GIG September 2016
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MUSIK<br />
CDS VINYL & MP3<br />
31<br />
sich, dass Zeit für Freude sein muss. Er singt<br />
sich mit Verve durch die Weite seiner Seele und<br />
instruiert danach die Streicher, sich im Alleingang<br />
zur dominierenden Kraft zu machen. Göttlich!<br />
An „A Desperate Man“ gefallen die holprigen<br />
Rhythmen, kräftigen Bläser und Anspielungen<br />
auf den jüngsten Sound von Róisín Murphy.<br />
An anderen Stellen begrüßt uns Hannon mit<br />
Klängen aus Folk, Disco, alter Orchestermusik<br />
und Viehzüchterhalle. Hannon ist ein Musiker<br />
auf einem ganz eigenen Parcours zwischen Kunst<br />
und Humor. Man sollte sich das Vergnügen mit<br />
ihm auch dieses Mal nicht entgehen lassen.<br />
Thomas Weiland<br />
Divine Comedy/PIAS/Rough Trade;<br />
www.thedivinecomedy.com<br />
Family*5<br />
Was zählt<br />
Auf dem Cover die Bandmitglieder<br />
als Geldscheinfiguren<br />
zwischen kubanischer Revolution<br />
und Flüchtlingsleid:<br />
Diese Illustration scheint<br />
nicht abwegig, schließt die<br />
Thematik und auch die Stilisierung<br />
der Bandmitglieder als Besatzungsmitglieder<br />
im mehrfachen Sinn an an das Debütalbum<br />
„Resistance“ aus 1985. Das von Ekki Maas<br />
produzierte erste Eff-Fünf-Album seit 2004<br />
(„Wege zum Ruhm“) überrascht. Die Band um Peter<br />
Hein und Xao Seffcheque war immer rauer<br />
und gleichzeitig seelenvoller als die Fehlfarben.<br />
Einst als Flucht für Hein nach dessen vorläufigem<br />
Abschied von den Farben, entpuppten sich<br />
Family*5 letztlich als eigene Band, die nicht nur<br />
durch die tollen Bläser immer auch für Soul und<br />
Funk standen. Wobei hier stoische Stücke wie<br />
„Mit der Zeit“ durchaus Feedback-lastig an krachige<br />
Bands wie die späten Sonic Youth erinnern.<br />
Heins Texte bleiben gleichermaßen privat und<br />
politisch. Manches Pathos weist vielleicht etwas<br />
weit in Richtung eines postpunkigen Hannes Wader<br />
(„Stolpere nicht“), das wird mit Selbstironie<br />
aber gleich wieder einkassiert („Lämmer“). Dieses<br />
Album wächst. Da darf sogar Bowies „Helden“<br />
rumpelig gecovert werden. Und sich ‚nicht<br />
zu vertschüssen’ im Sinne von ‚Haltung zu bewahren’,<br />
ist sprachlich einfach toll.<br />
Christoph Jacke<br />
Tapete/Indigo; www.tapeterecords.com/artists/<br />
SILBERSEE<br />
Funny van Dannen<br />
Come On - Live im Lido<br />
Come on, let’s face it: Dieser<br />
schlitzohrige Liedschmied<br />
hat in seinen konzisen,<br />
blitzgescheiten Songs<br />
hier und heute eine ähnliche<br />
sardonische Schärfe und<br />
einen geistesverwandten<br />
Witz wie der junge Dylan. Und dockt auch mit<br />
seiner Nichtstimme, mit der er, so heißt es im<br />
ersten smashenden Titel, „schön singen“ kann,<br />
und seinem kunstlosen Drei-Akkorde-und-die-<br />
Wahrheit-Geschrammel, ironisch gebrochen<br />
mitunter und deshalb umso wirksamer, an die<br />
Protestsängergeneration an. Das Tränen der<br />
Selbsterkenntnis in die Augen treibende „Wir<br />
Deutschen“ hört man auf Dauerrotation. Verstimmt<br />
nur durch die penetranten Beifallsbekundungen<br />
nach entsprechenden Songzeilen auf<br />
diesem ansonsten Funny-tastischen Live-Album<br />
mit neuem Material.<br />
JKP/Warner; www.funny-van-dannen.de<br />
Andrea Schröder<br />
Void<br />
Man muss bei Frau Schröders<br />
Musik auf „Void“ an<br />
die seligen Walkabouts<br />
denken, wenngleich deren<br />
Chris Eckman nur das Debüt<br />
der gestrengen Dame<br />
produzierte, aber auch an<br />
das Drama und die Schwermütigkeit von Nico,<br />
Nick Cave, PJ Harvey, gar Scott Walker.<br />
Vielleicht sorgt die gewollte Nähe zu diesen<br />
Vorlagen auf einem Teil der Titel zu einer staubig<br />
starren, bisweilen bleiernen Ehrerbietung und<br />
beinahe zwanghaft düsteren Beschwörungen, die<br />
leicht manieristisch wirken, gelegentlich aber<br />
auch ganz schön ans Gemüt gehen können.<br />
Glitterhouse; www.andreaschroeder.com<br />
King Creosote<br />
Astronaut Meets Appleman<br />
In langen, wunderbar weit<br />
ausholenden Folk-Mantras,<br />
in denen durchaus die<br />
Texturen elektronischer<br />
Dance-Music nachwirken,<br />
schaukelt sich dieser großartige<br />
schottische Songpoet,<br />
der mit Techno-Cat Jon Hopkins schon das<br />
Meisterwerk „Diamond Mine“ aufnahm, in eine<br />
Art stille Ekstase. Vollkommen unkonventionell<br />
eingesetzte Geigen, Harfen und Dudelsäcke verstärken<br />
durch rotierende Kreiselbewegungen<br />
die hypnotische Magie dieser Lieder. Dazu erzählt<br />
King Creosote von Mond und Sternen, Nullen<br />
und Einsen, Liebe und Leben, Mathematik,<br />
tickenden Uhren und dem Schlag des Herzens.<br />
Hinreißend!<br />
Domino /V.Ö.: 02.09.;<br />
www.kingcreosote.com<br />
Jack White<br />
Acoustic Recordings 1998-<strong>2016</strong><br />
Warum der genialische Retrorocker<br />
die meisten dieser<br />
26 akustischen Songskizzen,<br />
Demos, B-Seiten<br />
und Stegreifaufnahmen aus<br />
verschiedenen Schaffensphasen<br />
nicht schon zuvor<br />
regulär auf Alben veröffentlicht hat, darüber<br />
wundert man sich fast so sehr wie im Falle Bob<br />
Dylan. Juwelen wie die stürmische Version von<br />
„Hotel Yorba“, „Apple Blossom“, die melancholischen<br />
Stomper „We’re Going To Be Friends“ und<br />
„You’ve Got Her In Your Pocket“ oder das aufgekratzte<br />
„It’s True That We Love One Another“<br />
vibrieren vor manischer Vitalität, Rock’n’Roll-<br />
Swagger und tief schürfendem Blues-Feeling und<br />
besitzen laszive Hooklines und Grooves, wie man<br />
sie sonst nur auf, sagen wir mal, „Exile On Main<br />
Street“ findet. Auf diesem Americana-Album des<br />
Monats gibt’s daher Masse und Klasse.<br />
XL Recordings/Beggars/V.Ö.: 09.09.;<br />
www.jackwhiteIII.com<br />
Texte: Andreas Dewald