Die perfekte Passform
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„<br />
Thema des Monats<br />
<strong>Die</strong> <strong>perfekte</strong> <strong>Passform</strong><br />
Ein Sattel ist auch nur<br />
Speiche eines Rades,<br />
das rund laufen sollte<br />
“<br />
Für Sattlermeister Tarquin Cosack gibt es eine ganz klare Leitlinie: Der Sattel muss<br />
immer zu Verwendungszweck und Stand der Ausbildung von Pferd und Reiter passen.<br />
Im Interview mit Mein Pferd erklärt er, wie er eine Sattelanpassung durchführt<br />
Interview: Julia Schay-Beneke<br />
Mein Pferd: <strong>Die</strong> <strong>perfekte</strong> <strong>Passform</strong> des<br />
Sattels ist das A und O – für Pferd und<br />
Reiter. Warum haben trotzdem so viele<br />
Pferde schlecht sitzende Sättel?<br />
Tarquin Cosack: <strong>Die</strong> Erfahrungen der letzten<br />
15 Jahre zeigen, dass die Gründe vielfältig<br />
und nicht immer ganz klar zu erkennen<br />
sind. <strong>Die</strong>s fällt in manchen Bereichen sogar<br />
den Profis recht schwer. Im täglichen Außendienst<br />
bei der Kontrolle von „Fremdfabrikaten“<br />
– also von Sätteln, die nicht aus<br />
unserer Herstellung sind – resultieren etwa<br />
70 Prozent der Probleme aus einer falschen<br />
„Einsatzzweckanlayse“ des Reiters und des<br />
damit falsch gewählten Sattelmodells. Im<br />
Klartext heißt das, dass häufig Satteltypen<br />
gewählt werden, die schlicht nicht für den<br />
Zweck des Reiters gedacht sind. Schließlich<br />
gibt es Gründe, weshalb ein Dressur- oder<br />
Westernsattel sowie alle Typen dazwischen<br />
unterschiedlich entwickelt wurden. Ein Vielseitigkeitssattel<br />
kann nicht nachhaltig auf<br />
einem Wanderreitpferd funktionieren, und<br />
ein Arbeitssattel ist eher ungünstig für gehobene<br />
Dressuransprüche. <strong>Die</strong>se falsche Auswahl<br />
von Sattelmodellen resultiert häufig aus<br />
falscher oder nicht wissender Beratung vom<br />
Fachhandel oder sogar Sattlern. Fatalerweise<br />
muss man keine Qualifikation erfüllen,<br />
um ein Sattelhändler zu werden und es gibt<br />
nur noch ganz wenige gut ausgebildete Sattler,<br />
die nicht in der Industrie sondern im<br />
Handwerk gelernt haben.<br />
Welche Probleme machen die übrigen<br />
30 Prozent aus?<br />
Ein Sattel ist zwar elementares Bindeglied<br />
zwischen Pferd und Reiter, aber auch nur<br />
eine Speiche eines Rades, das rundlaufen<br />
sollte. Viele Probleme entstehen aus mangelnder<br />
Ausbildung von Pferd und Reiter<br />
sowie überhöhtem Reitergewicht für die<br />
gewählten Sattelmodelle. Im Kern gesagt<br />
sollten mehr Reiter dem Pferd das Tragen<br />
lehren – unabhängig von der Reitweise –<br />
und ihre eigenen reiterlichen Fähigkeiten<br />
stets verbessern. Vom Standpunkt des<br />
Handwerkers aus, der täglich individuelle<br />
Lösungen im Maßsattelbereich entwickeln<br />
muss, kommen weitere, vielschichtigere<br />
Gründe hinzu. Während im Leistungssport<br />
„Nicht jeder kann die<br />
Vorteile eines PSstarken<br />
Autos auch<br />
ausnutzen ohne sich<br />
selber und andere zu<br />
gefährden.“<br />
Tarquin Cosack<br />
relativ ähnliche Pferdetypen eingesetzt<br />
werden und für eben diese Rassen langjährige<br />
Erfahrungen vorliegen, finden wir<br />
gerade im Freizeitsport eine Bandbreite an<br />
Rassen und deren Kreuzungen, die teils<br />
aktuellen Trends unterliegen. Einen Sattel<br />
von der Stange zu kaufen führt hier in über<br />
50 Prozent der Fälle dazu, dass Reiter oder<br />
Pferd schmerzhafte Kompromisse eingehen<br />
müssen. Und zu guter Letzt finden wir häufig<br />
Krankheitsbilder vor, die individu elle<br />
Lösungen benötigen, die in der Konfek tion<br />
nicht umsetzbar sind.<br />
Wie erkenne ich als Laie, ob der Sattel<br />
für mein Pferd oder mich (un)geeignet<br />
ist? Worauf muss ich achten?<br />
In erster Linie sollte der Sattel dem Verwendungszweck<br />
und dem Stand der Ausbildung<br />
von Pferd und Reiter entsprechen. Nicht<br />
jeder kann die Vorteile eines PS-starken Autos<br />
auch ausnutzen, ohne sich selber oder<br />
andere zu gefährden! Der Sitz sollte mich<br />
in meiner gewählten Reitweise unterstützen.<br />
Rein optisch einen Sattel auf <strong>Passform</strong><br />
zu überprüfen ist fast unmöglich. Man kann<br />
zwar erste Anhaltspunkte erahnen, aber ausschlaggebend<br />
werden immer die individuellen<br />
Maße des Pferdes sein. Leider werden<br />
wir dennoch jeden Tag damit konfrontiert,<br />
dass Personen aus reiner Inaugenscheinnahme<br />
einen Sattel auf <strong>Passform</strong> beurteilen wollen.<br />
<strong>Die</strong>s grenzt schon an grobe Fahrlässigkeit!<br />
Häufig wird verständlicherweise auch<br />
der erste Rat bei Menschen und Betreuern<br />
aus Gesundheitsberufen (Tierarzt oder Osteopath)<br />
oder beim Reitlehrer gesucht. Hier<br />
ist große Vorsicht vonnöten, da diese Personen<br />
in ihrem Fachgebiet sicherlich gut sind,<br />
aber vom Handwerk meist schlichtweg keine<br />
Ahnung haben. So werden häufig unseriöse<br />
oder verunsichernde Aussagen getroffen.<br />
UNSER EXPERTE<br />
Tarquin Cosack hat seine<br />
Ausbildung zum Sattler<br />
(Fachrichtung Reitsport) als<br />
Landesbester mit der Note<br />
„1“ abgeschlossen. Er ist als<br />
Dozent an der Berufsschule<br />
(Fachklasse „Sattler“) tätig.<br />
Seit 2012 leitet er die Ausbildung<br />
der Meisterschüler im<br />
Handwerk „Sattler; Fachrichtung Reitsport“<br />
im eigenen Hause.<br />
www.hofsattlerei-cosack.de<br />
Der Satteltyp sollte immer<br />
so gewählt werden, dass<br />
er dem Zweck des Reiters<br />
entspricht<br />
60 www.mein-pferd.de 10/2016<br />
10/2016 www.mein-pferd.de<br />
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Thema des Monats<br />
Welche Verhaltensweisen und Symptome<br />
sind bei Pferden typisch, wenn<br />
der Sattel zwickt?<br />
<strong>Die</strong>s ist ganz abhängig von der Ursache<br />
(Impulsgeber). Ein Sattelzwang, häufig hervorgerufen<br />
durch unpassende Kopfeisen oder<br />
eine falsche Gurtung, fängt mit Drohgebärden<br />
an und endet im gezielten Schnappen.<br />
Mir wurden auch schon Pferde vorgestellt,<br />
die sich beim Angurten hingeworfen haben.<br />
Bei falsch positionierten Schwerpunkten<br />
können Pferde auf die Vorhand fallen, oder<br />
ein Hergeben des Rückens wird verhindert.<br />
Weiterhin können Taktunreinheiten, vermehrtes<br />
Stolpern oder ein Verlust von Raumgriff<br />
Symp tome von <strong>Passform</strong>problemen<br />
sein. Sogar Steigen, Bocken oder Durchgehen<br />
können auf den Sattel zurückzuführen<br />
sein. In jedem Fall wird das Pferd vor allen<br />
Symptomen eine Druckempfindlichkeit in<br />
der Sattellage nach dem Reiten zeigen. Jeder<br />
verantwortungsbewusste Reiter, der nach der<br />
Arbeit noch einmal die Sattellage striegelt,<br />
wird hier die ersten Anzeichen feststellen.<br />
Bei jeder Anpassung sollte der Sattler ein<br />
umfangreiches Kundengespräch führen –<br />
über das Pferd, die aktuelle Problematik<br />
und die Zielsetzung<br />
Welche physischen und psychischen<br />
Folgen kann ein unpassender Sattel für<br />
mein Pferd haben?<br />
Als erstes ist der uns allen bekannte Satteldruck<br />
zu nennen. <strong>Die</strong>s ist das Endstadium<br />
einer längeren Übersäuerung der Muskulatur<br />
und dadurch zurückgebildeten Durchblutung<br />
des Gewebes. In der Muskulatur<br />
können Atrophien (Muskelschwund) oder<br />
„<strong>Die</strong> <strong>Passform</strong><br />
eines Sattels stellt<br />
verschieden hohe<br />
Ansprüche an die<br />
statischen und<br />
dynamischen Maße<br />
des Pferdes.“<br />
Tarquin Cosack<br />
auch Ödeme (Flüssigkeitsdepots) entstehen.<br />
Im Skelettbereich können immer wiederkehrende<br />
Blockaden der Lendenwirbel,<br />
eine Deforma tion des Schulterblattknorpels<br />
oder auch degenerative Prozesse der<br />
Dornfortsätze durch einen unpassenden<br />
Sattel verursacht werden. Das Pferd hat ein<br />
– mit uns Menschen nicht vergleichbares –<br />
enorm langes Schmerzgedächtnis. Negative<br />
Verknüpfungen (z. B. Sattelzwang)<br />
können deshalb zu langfristigen psychischen<br />
Folgen führen.<br />
Wie wirkt sich ein schlecht sitzender<br />
Sattel auf den Reiter aus?<br />
Passt der Sattel nicht in der Sitzgröße, der<br />
Pauschenlage oder der Steigbügelpositionierung,<br />
kann dies dazu führen, dass der<br />
Reiter auf dem Sattel klemmt, sich wund<br />
reitet oder nicht in die korrekte Hilfengebung<br />
für die Bewegung des Pferdes<br />
kommt – somit hindert er das Pferd eher<br />
im Bewegungsablauf, als dass er es positiv<br />
unterstützt.<br />
Wie nehmen Sie eine Sattelanpassung<br />
vor? Welche Fragen sind entscheidend,<br />
worauf achten Sie?<br />
Bei einer jeden Sattelanpassung wird ein<br />
umfangreiches Kundengespräch über das<br />
Pferd, seine Geschichte, die aktuelle Problematik<br />
und die Zielsetzung geführt.<br />
Im Anschluss durchläuft das Pferd einen<br />
vierseitigen Bewertungsbogen, in dem<br />
alle Details, Exterieurmerkmale etc. festgehalten<br />
werden. Danach wird das Pferd<br />
mit mehreren Messwerkzeugen detailliert<br />
vermaßt und eine Bilderdokumentation<br />
erstellt. <strong>Die</strong>ser ganze Vorgang dauert circa<br />
eine Stunde. Erst danach können wir eine<br />
Aussage zum Thema <strong>Passform</strong> oder einer<br />
Sattelempfehlung tätigen.<br />
Anhand welcher Anhaltspunkte sehen<br />
Sie, ob ein Sattel richtig sitzt?<br />
In erster Linie sollte sich das Pferd unter dem<br />
Sattel mit einer gewissen Losgelassenheit und<br />
Bewegungsfreude reiten lassen. <strong>Die</strong>s ist aber<br />
nur möglich, wenn der Sattel zur Rumpfform<br />
des Pferdes passt und der gesamten<br />
Biomechanik (z. B. Schulterblattspiel) genug<br />
Freiraum lässt. Ist der Schwerpunkt des Sattels<br />
richtig über dem tiefsten Punkt des Rückens<br />
– nicht dem Masseschwerpunkt des<br />
Pferdes – positioniert, wird der Reiter die<br />
Möglichkeit haben, seine Hilfen in das Pferd<br />
gezielt einfließen zu lassen.<br />
Sollte der Sattel eines Pferdes nur im<br />
Stand oder auch in der Bewegung und<br />
mit Reiter angepasst werden?<br />
<strong>Die</strong>se Frage wird selbst in Fachkreisen heiß<br />
und kontrovers diskutiert, und es wird hier<br />
nie eine einhellige „Schulmeinung“ geben.<br />
Wenn wir uns an die sachlichen Fakten halten,<br />
dann würde ich die Frage so beant worten: Jedes<br />
Pferd entwickelt durch seine Biomechanik<br />
eine gewisse Dynamik, sobald es sich aus dem<br />
Stand (Statik) heraus bewegt. Messbar ist jedoch<br />
lediglich die Statik, bei der Dynamik ist<br />
dies technisch noch nicht möglich. Nun stellt<br />
die <strong>Passform</strong> eines Sattels verschieden hohe<br />
Ansprüche an die statischen und dynamischen<br />
Maße des Pferdes. <strong>Die</strong> Dynamik ist abhängig<br />
von den rassespezifischen Eigenschaften des<br />
Pferdes (ein Isländer schwingt z. B. weitaus<br />
weniger im Rücken als ein moderner Warmblüter),<br />
dem Ausbildungsstand des Pferdes<br />
und dem reiterlichen Grundvermögen.<br />
Spielen noch weitere Faktoren eine Rolle?<br />
Zu guter Letzt kommt noch das Thema<br />
Zeitspanne ins Spiel. Selbst bei einem gut<br />
ausgebildeten Pferd werde ich diese Konzentration<br />
und Haltung keine zwei Stunden im<br />
Gelände erwarten können, und es ist völlig<br />
natürlich, dass das Pferd in dem Moment<br />
auseinanderfällt und die Anteile der Statik<br />
überwiegen werden. Lassen sich mich diese<br />
Frage mit den Worten meines alten Ausbilders<br />
abschließen: „Lerne ein Pferd zu lesen.<br />
Es erzählt dir seine Geschichte, und ein guter<br />
Handwerker und Reiter wird diese lesen und<br />
verstehen können und darauf basierend entsprechende<br />
eine Entscheidung treffen.“<br />
Anzeige<br />
1/4 hoch<br />
im<br />
anschnitt<br />
Wie regelmäßig sollte ein Sattel überprüft<br />
und gegebenenfalls angepasst werden?<br />
Abhängig von dem Alter des Pferdes und der<br />
kontinuierlichen Arbeit unter dem Sattel haben<br />
wir Kunden, die wir im halbjährlichen<br />
Rhythmus betreuen oder in sogar noch kürzeren<br />
Zeitfenstern. Haben Sie ein junges Pferd<br />
oder ein Pferd, das sich im Wiederaufbau befindet<br />
oder durch die Haltung und fehlende<br />
Infrastruktur im Winter nicht kontinuierlich<br />
geritten werden kann, dann sollten Sie auch<br />
alle sechs Monate den Sattel kontrollieren lassen.<br />
Je älter das Pferd und je kontinuierlicher<br />
dieses gearbeitet wird, umso länger kann die<br />
Zeitspanne bis zur nächsten Kontrolle (etwa<br />
ein Mal pro Jahr) dauern. Ein Mal im Jahr<br />
sollte man den Sattel allerdings immer kontrollieren<br />
lassen, um auf nachhaltige und langfristige<br />
Veränderungen Einfluss nehmen zu<br />
können oder präventiv zu arbeiten.<br />
Fotos: Laura Boucsein (1), Ilja van de Kasteele (2)<br />
62 www.mein-pferd.de 10/2016<br />
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