Ronja Naujoks - Der Kirschgarten - Schauspiel Stuttgart
Ronja Naujoks - Der Kirschgarten - Schauspiel Stuttgart
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„<strong>Der</strong> <strong>Kirschgarten</strong>“<br />
Das Stück „<strong>Der</strong> <strong>Kirschgarten</strong>“ von Anton Tschechow in der Inszenierung von<br />
Michael Thalheimer hatte am 16. Januar 2010 im Staatstheater in <strong>Stuttgart</strong><br />
Premiere.<br />
Michael Thalheimer beginnt seine Inszenierung mit einem beeindruckenden Bild:<br />
Alle 12 <strong>Schauspiel</strong>er stehen in einer Reihe am vordersten Rand der Bühne und<br />
schauen einfach ins Publikum. Mehrere Minuten stehen sie da und warten. Die<br />
Spannung steigt und es breitet sich Unruhe im Zuschauerraum aus. Mit einem<br />
überraschend, schnellen Tempo beginnt plötzlich ein Dialog und das Stück fängt an.<br />
Im Mittelpunkt der Handlung, die um 1900 spielt, steht ein <strong>Kirschgarten</strong> der zu<br />
einem Landgut in Russland gehört. Früher war dieses Gut berühmt und beliebt.<br />
Aber seit der Abschaffung der Leibeigenschaft durch die Revolution ist die Familie<br />
verarmt. Nun ist die Familie dazu gezwungen den <strong>Kirschgarten</strong> zu verkaufen.<br />
Während der 2 Stunden Spieldauer erfährt der Zuschauer, dass jedes<br />
Familienmitglied, die Gutsbesitzerin (Anna Windmüller), ihre beiden Töchter (Sarah<br />
Sophia Meyer, Minna Wündrich) und ihr Bruder (Martin Leutgeb), sowie auch ihre<br />
Angestellten und Bekannten, ihre ganz eigenen Erinnerungen an den <strong>Kirschgarten</strong><br />
haben. So erinnern sich die Gutsbesitzerin und ihr Bruder einerseits an ihre<br />
Kindheit, wobei die Erzählungen verklärt und unwirklich wirken. Andererseits<br />
bringt sich die Gutsbesitzerin auch traurige Ereignisse, wie den Tod ihres Mannes<br />
und ihres Sohnes in Erinnerung. Dem gegenüber stehen die Erinnerungen des alten<br />
Diener Firs (Elmar Roloff) und des neureichen Kaufmanns Lopachin (Markus Lerch),<br />
ein Sohn eines ehemaligen Leibeigenen, die beide den <strong>Kirschgarten</strong> lange aus dem<br />
Blick der Unterdrückten sehen mussten. Zum Schluss kauft Lopachin den<br />
<strong>Kirschgarten</strong>. Er wird seine eigene, neue Idee umsetzen, den Garten abholzen und<br />
auf dem Grundstück Ferienhäuser bauen.<br />
Besonders beeindruckend ist das von Olaf Altmann gestaltete Bühnenbild.<br />
Es besteht aus 2 Halbschrägen, die offen dastehen wie ein „geöffnetes<br />
Krokodilmaul“, in das die Zuschauer direkt hinein blicken. Die obere Schräge senkt<br />
sich im Verlauf des Stückes langsam und kaum merklich immer weiter herunter.<br />
Sie begräbt die Darsteller regelrecht, die erst im letzten Moment aus dem schmalen<br />
übrig geblieben Spalt herauskriechen. An dieser Stelle auch ein riesiges Lob an die<br />
<strong>Schauspiel</strong>er (Rahel Ohm, Jonas Fürstenau, Emilia de Fries, Markus Weickert,<br />
Christoph Gawenda, Boris Koneczny). Zum Schluss schließt sich der Spalt ganz und<br />
die Darsteller spielen nun auf der Vorderbühne, hinter ihnen steht eine riesige,<br />
graue Wand. Es gibt kein Zurück mehr und der <strong>Kirschgarten</strong> ist verloren.<br />
Ebenfalls kaum merklich, erklingt immer wieder im Hintergrund, parallel zu den<br />
Dialogen, Musik. Es ist ständig die gleiche Melodie.So wie die Zuschauer kaum die
Musik und die Veränderung des Bühnenbildes wahrnehmen, so scheinen die<br />
Figuren nicht zu realisieren, dass der <strong>Kirschgarten</strong> im Prinzip längst verloren ist.<br />
Eine wirklich sehenswerte Inszenierung.<br />
<strong>Ronja</strong> <strong>Naujoks</strong>