4 :> krass – - Magazin <strong>der</strong> Grünen Jugend NRW Ein Versuch, Familie zu erklären Was Familie ist und warum wir uns trotz aller Widrigkeiten und Herausfor<strong>der</strong>ungen mehrheitlich für diese Form des gemeinschaftlichen Zusammenlebens entscheiden, ist schwieriger zu beschreiben, als man denkt. Simon Winter läufig wohl als herkömmlich bezeichnen Auch erwähnenswert ist die Regenbo- Eingangs möchte ich versuchen, den Begriff <strong>der</strong> Familie einzugrenzen und zu würde, als „das konservative Familienbild“. Sie besteht aus einem Paar aus Frau und Mann sowie einem o<strong>der</strong> mehreren leibligenfamilie. Sie ist definitiv eine Erscheinung des späten 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts und etabliert sich momentan nur schwer – insbe- definieren. Was ist eine Familie und was chen Kin<strong>der</strong>n. Jedoch muss es sich selbst son<strong>der</strong>e gegen konservativen Wi<strong>der</strong>stand. ist keine Familie mehr? Warum lebten die bei <strong>der</strong> Kernfamilie nicht um ein verheira- In ihr erzieht ein gleichgeschlechtliches Menschen in fast allen Kulturen und Zeitetes Paar handeln. Psychologisch betrach- Paar in einer offenen Beziehung lebend, ten in familiären Lebensgemeinschaften? tet befindet sich ein je<strong>der</strong> Mensch sein verpartnert o<strong>der</strong> – wenn es die rechtliche Und wieso entscheiden sich Paare immer Leben lang in <strong>der</strong> Kernfamilie, auch wenn Situation zulässt – auch verheiratet ein wie<strong>der</strong> für Kin<strong>der</strong> – auch wenn <strong>der</strong> demo- die Zugehörigen nicht o<strong>der</strong> nicht mehr zu- o<strong>der</strong> mehrere Kin<strong>der</strong>. grafische Wandel mittlerweile diese Entsammenleben. Der Psychologie geht es vor Der Familienbegriff kann folglich nur wicklung etwas abschwächt? Wieso gehen allem um das „System Vater-Mutter-Kind“, so allgemein definiert werden, dass all Menschen nicht den einfacheren Weg des in dem man sich befindet. Bereits hierbei diese voneinan<strong>der</strong> bisweilen sehr verschie- Einzelkämpfers in einer an Karriere und wird deutlich, wie schwer es ist, allein diedenen Erscheinungsformen von ihm um- Status orientierten Gesellschaft? sen Unterbegriff zu erfassen: Während das fasst werden. Zwingend für eine Familie Was ist denn jetzt Familie? Im Land- englische Äquivalent zur Kernfamilie („nu- ist wohl, dass die Zugehörigen dauerhaft tagswahlprogramm <strong>der</strong> Altgrünen finclear family“) auch Adoptivkin<strong>der</strong> mitein- zusammenleben. Insofern besitzt sie eine det sich direkt zu Beginn des Abschnittes bezieht, ist das bei <strong>der</strong> Verwendung des identitätsstiftende Funktion: In vielen Ge- „Menschliches NRW“ <strong>der</strong> Versuch einer De- deutschen Begriffs <strong>der</strong> Kernfamilie keinessellschaften findet <strong>der</strong> Name insbeson<strong>der</strong>e finition: „Die Familie ist ein zentraler und wegs <strong>der</strong> Fall. des Vaters Eingang in den Familiennamen. emotionaler Ort für Mädchen und Jungen. Die Soziologie beschreibt als Funktio- Eine Person kann man also in vielen Kul- Familie ist da, wo Kin<strong>der</strong> sind […] o<strong>der</strong> wo nen <strong>der</strong> Kernfamilie vor allem die „biologituren allein durch den Zunamen einem El- Menschen dauerhaft Verantwortung füreische und soziale Reproduktion“. Während ternteil zuordnen. Dadurch entsteht eine nan<strong>der</strong> übernehmen.“ das erstere eindeutig die Fortpflanzung be- gewisse Sozialisation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in bereits Dabei handelt es sich zweifelsohne um trifft, verhält es sich nicht so einfach mit jungem Alter – denn wer Mutter o<strong>der</strong> Va- eine recht allgemeine Definition. Insbe- dem zweiten Begriff: Die soziale Reprodukter kennt, kennt dann auch Tochter o<strong>der</strong> son<strong>der</strong>e durch den letzten Teilsatz wird tion umfasst vor allem die Sozialisation <strong>der</strong> Sohn und das gilt selbstverständlich auch ausgesagt, dass auch Paare – ob gleich- Zugehörigen. Sie werden durch das System umgekehrt. So wird durch die Familie ein o<strong>der</strong> verschiedengeschlechtlich – eine Fa- <strong>der</strong> Kernfamilie in eine Gesellschaft inte- erstes soziales Netzwerk für die Kin<strong>der</strong> gemilie bilden. Ferner bleibt zu erörtern, ob griert.schaffen. überhaupt ein verwandtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Familienmitglie<strong>der</strong>n bestehen muss, damit eine Fami- Am zweithäufigsten ist hierzulande die wachsende Menge <strong>der</strong> Einelternfamilien. Eine alleinerziehende Person – dabei muss Die Funktion <strong>der</strong> biologischen Reproduktion erfüllen hingegen nicht alle Forlie entsteht. Schließlich übernimmt man es sich rechtlich gesehen nicht einmal um men <strong>der</strong> Familie: Die Regenbogenfamilie auch in einer Wohngemeinschaft unter einen leiblichen Elternteil handeln, denn ist zwar in <strong>der</strong> Lage, Kin<strong>der</strong> großzuziehen, Umständen dauerhaft füreinan<strong>der</strong> Verant- denkbar ist auch eine Pflegemutter/ein kann sie aber nicht in die Welt setzen. Oft wortung. Pflegevater o<strong>der</strong> ein Großelternteil – zieht ist auch ein Paar konstitutiver Bestandteil Und schließlich ist auch die Frage, ob ein o<strong>der</strong> mehrere Kin<strong>der</strong> groß. einer Familie – jedoch nicht immer, denn nicht die emotionale Bindung aller Fami- Die so genannte Patchworkfamilie die Einelternfamilie muss ohne Paar auslienmitglie<strong>der</strong> zueinan<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Beschrei- findet als dritthäufigste Familienform in kommen.bung des Wahlprogramms zu kurz kommt. Deutschland ebenfalls weite Verbreitung. Ich denke, es wird deutlich, dass es DIE Handelt es sich noch um eine Familie, Auch als „Stieffamilie“ bezeichnet defi- Familiendefinition schlechthin nicht gibt. wenn sie zerstritten ist? niert sie sich dadurch, dass ein Elternteil Man kann Familie biologisch definieren, ein Kind aus einer früheren Beziehung in dann sind allenfalls Kernfamilien und viel- Familie ist nicht gleich Familie eine neue Familie mitbringt. Als Stieffamileicht auch noch Patchworkfamilien echte lie werden aber nach neuerer Auffassung Familien. Jedoch wird man dabei nicht den Wichtig ist für uns Junggrüne zu betonen, auch Familien bezeichnet, die aus Pflege- an<strong>der</strong>en Familienformen gerecht, die psy- dass Familie in vielen verschiedenen Erkin<strong>der</strong>n bestehen; die Heirat <strong>der</strong> Elternchologisch betrachtet eine ähnliche soziascheinungsformen in unserer Gesellschaft teile ist dazu auch nicht mehr zwingend le Konstellation darstellen. Schließlich ist auftritt. In <strong>der</strong> westlichen Welt ist die notwendig. auch die soziologische Betrachtungsweise „Kernfamilie“ die häufigste Familienform. Sie scheint das zu sein, was man landnicht unerheblich. Um also einen Familienbegriff zu schaffen, <strong>der</strong> zwar nicht <strong>der</strong> wissenschaftlichen Betrachtung standhalten kann, aber zumindest einen Begriff darstellt, von dem man ausgehen und mit dem man arbeiten kann, ist vor allem die Betrachtung verschiedener Funktionen, die von <strong>der</strong> Familie übernommen werden, von größter Bedeutung. Familie funktional – Wozu Familie? Die Sozialisationsfunktion <strong>der</strong> Familie ist ein Nonplusultra für die Familiendefinition. Die Familie ist unverzichtbar für die Einbettung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in ein soziales Netzwerk – bereits von Geburt an. Sie vermittelt soziale Kompetenz und wirkt wesentlich auf den Charakter des Kindes ein. Auch die wirtschaftliche Funktion <strong>der</strong> Familie ist bei einer Definition nicht zu vernachlässigen, wenngleich sie banal erscheint: In einer Familie werden auch Zugehörige miternährt, die alleine gar nicht überlebensfähig wären. Das ist nur durch eine starke emotionale Bindung zu erklären, die auf biologischer Verwandtschaft basieren kann, aber nicht muss. In vielen Gesellschaften hat die Familie auch eine politische Funktion inne: Durch sie wird den Kin<strong>der</strong>n ein Status in <strong>der</strong> Gesellschaft eingeräumt. Im Feudalwesen beispielsweise wird Adel innerhalb <strong>der</strong> Familie vererbt. Unterschwellig besitzt Familie wohl auch hier in Deutschland diese politische Funktion, wenn man sich vor allem die sich verhärtenden Fronten zwischen Arm und Reich, Unter- und Oberschicht anschaut. Kin<strong>der</strong> aus gebildeten Familien mit hohem Status haben bessere Chancen, einen höheren Bildungsgrad und einen entsprechenden gesellschaftlichen Status zu erreichen, als Kin<strong>der</strong> aus dem so genannten Prekariat. Familie: Ein weiterer Definitionsversuch Eine abschließende Definition des Begriffs Familie muss auf unsere Kultur beschränkt bleiben und weist in eine ähnliche Richtung wie die Definition <strong>der</strong> Altgrünen im Landtagswahlprogramm 2010. Man könnte formulieren: Familie ist eine Wohngemeinschaft mit Personen aus zwei o<strong>der</strong> mehr Generationen; in ihr leben – miteinan<strong>der</strong> dauerhaft und emotional verbunden – ein o<strong>der</strong> mehrere Erwachsene mit mindestens einem (vielleicht mittlerweile erwachsenen) Kind zusammen und erleichtern den min<strong>der</strong>jährigen Mitglie<strong>der</strong>n die Sozialisation; alle Beteiligten übernehmen ihrer Reife entsprechend Verantwortung füreinan<strong>der</strong>. 04.2010 Das Statistische Bundesamt passte seine Familiendefinition 2005 den neueren Entwicklungen an: <strong>Ehe</strong>paare, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften o<strong>der</strong> alleinerziehende Personen bilden gemeinsam mit mindestens einem ledigen Kind in einem Haushalt lebend demnach eine Familie. Die Kin<strong>der</strong> können leiblich, adoptiert o<strong>der</strong> Stief- o<strong>der</strong> Pflegekin<strong>der</strong> sein. Wichtig ist wohl anzumerken, dass mo- Familie ist ein Ort von Geborgenheit, gegenseitiger Fürsorge und Gemeinschaft <strong>der</strong>ne Familiendefinitionen nicht nur das Bild <strong>der</strong> bürgerlichen Kernfamilie, son<strong>der</strong>n die gesamte Vielfalt aller Familienformen abdecken müssen. Daran hat sich schließlich auch die aktuelle Familienpolitik zu orientieren: Sie muss allen Familienformen gerecht werden und das macht sie zu einer hochkomplexen Angelegenheit. Der Reiz <strong>der</strong> Familie Aufgrund <strong>der</strong> erwähnten Funktionen bildet die Familie als kleinste soziale Einheit ein wichtiges Element unserer Gesellschaft. Sie ist zum einen zumeist sicherlich biologisch bedingt und ist deshalb auch genetisch im Denken des Menschen einprogrammiert. Zum an<strong>der</strong>en ergibt sie sich aus den kulturellen Umständen: Wer in einer Familie aufwächst, möchte auch als erwachsener Mensch den ständigen Kontakt zu an<strong>der</strong>en Familienmitglie<strong>der</strong>n nicht vermissen müssen. Das gemeinschaftliche Miteinan<strong>der</strong>, die emotionale Bindung und die wechselseitigen Verantwortlichkeiten sowie die Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> eigenen Herkunft und Identität durch die Familie machen wohl einen Reiz aus, für den <strong>der</strong> Mensch große Anstrengungen in Kauf zu nehmen bereit ist. Deshalb ent- scheidet er sich immer wie<strong>der</strong> für eine familiäre Lebensgemeinschaft und auch für das Großziehen von Kin<strong>der</strong>n. Denn Kin<strong>der</strong> schenken Aufmerksamkeit und Bedeutung. Die Erziehenden haben eine unverzichtbare Funktion im Leben <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und insofern kann das Aufziehen von (nicht unbedingt leiblichen) Kin<strong>der</strong>n durchaus auch eine sinnstiftende Funktion besitzen. Kin<strong>der</strong> sind das, was man <strong>der</strong> Nachwelt hinterlässt, gewissermaßen die Erfüllung des von vielen Menschen ersehnten Wunsches, den Tod zu überwinden; denn in den eigenen Kin<strong>der</strong>n lebt man – sinnbildlich gesprochen – weiter. Im Moment ist die Geburtenrate in Deutschland rückläufig und immer weniger Menschen entscheiden sich für eine eigene Familie. Ein möglicher Erklärungsansatz ist <strong>der</strong> zunehmende Funktionsverlust <strong>der</strong> Familie: Durch den Sozialstaat werden einige Funktionen erfüllt, die sonst die Familie übernommen hat. Genannt seien hierzu beispielsweise die Unterstützung und Pflege im Krankheitsfall und die Absicherung im Alter. Nicht zuletzt for<strong>der</strong>t auch die Emanzipation <strong>der</strong> Frauen und die zunehmende <strong>Gleichberechtigung</strong> <strong>der</strong> Geschlechter neue Familienkonzepte, auch an ihr mag die Familienbildung gelegentlich scheitern. Dennoch bietet die Familie einige unbestreitbare Vorteile, wodurch sie als Form des Zusammenlebens attraktiv erscheint: In ihr werden Schwächere psychologisch, sozial und finanziell aufgefangen, in ihr schenkt man sich durch die gegenseitige Zuwendung Bedeutung, in ihr ist man bereit, einan<strong>der</strong> trotz unvermeidlicher Unstimmigkeiten zu unterstützen. 5