die landschaft als geistiger raum - Axis Mundi
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DIE LANDSCHAFT ALS GEISTIGER RAUM<br />
Über den Ort <strong>als</strong> Tor zu Jenseitswelten am Beispiel des Alatsee<br />
Hans-Jörg Müller<br />
Der Brockhaus nennt Landschaft eine "Geländeeinheit, wie sie durch <strong>die</strong> geologischen und<br />
klimatischen Erdkräfte, durch Wasser, Pflanzen-, Tierwelt und Mensch geformt wurde." Die<br />
Geomantie <strong>als</strong> spirituelle Wissenschaft versteht <strong>die</strong> Landschaft darüberhinaus <strong>als</strong> manifestiertes<br />
Organ einer beseelten und von Lebendigkeit durchzogenen Erde. Wie der menschliche Körper<br />
Ausdruck von Charakter, Emotion und Geist des Menschenwesens ist, so ist nach ihrer<br />
Vorstellung <strong>die</strong> Landschaft Körper und Abbild ihres innewohnenden Geistes. Unterschiedliche<br />
Landschaftsbilder, Geschichte, Kultur und Bräuche bringen demgemäß den Geist einer Region<br />
zum Ausdruck. Am deutlichsten wird <strong>die</strong>s erfahrbar durch ihre besonderen Orte.<br />
Jede natürliche Landschaft besitzt Plätze mit herausragenden Eigenschaften. Quellen, Hügel,<br />
mächtige Bäume, alleinstehende Steine, Höhlen und Berge. Plätze mit Atmosphären, <strong>die</strong><br />
Innerlichkeit, Tiefe oder Erhabenheit auslösen. Gleichgültig welche Religion oder Zeitepoche, <strong>die</strong><br />
Plätze wurden von allen Kulturen geachtet und <strong>als</strong> heilig befunden. Sie wurden schon immer von<br />
Menschen aufgesucht, um sich hier zu stärken, um Zugang zu finden zu geistigen<br />
Bewußtseinsdimensionen oder den Kontakt zum Ewigen.<br />
Diese Kraftplätze finden ihren Ursprung - aus menschlicher Perspektive - durch ihre<br />
ungewöhnliche Form, durch <strong>die</strong> Offenbarung <strong>geistiger</strong> Wesen in Träumen und Visionen oder<br />
durch <strong>die</strong> Methoden geomantischer Divination. In den meisten Fällen wurden <strong>die</strong>se Orte durch<br />
menschliche Eingriffe verändert, sie wurden mit Zeichen und Symbolen besetzt, Tempel und<br />
Kirchen wurden gebaut mit dem Ziel, den Ort und seine innewohnenden Kräfte mit der jeweiligen<br />
Kultur in Einklang zu bringen, um <strong>die</strong> Erfahrbarkeit der Orte zu erleichtern oder um gezielte<br />
Eingriffe in den Kräftehaushalt der Orte vorzunehmen. Im Zuge der geschichtlichen Entwicklung<br />
wurden immer neue Formen der Überbauung realisiert, bis der ursprüngliche Kern des Platzes,<br />
eine natürliche Ausprägung der Landschaft, aus der Aufmerksamkeit fiel.<br />
Viele Orte sind aber in Vergessenheit geraten oder waren wegen ihrer Unzugänglichkeit vor<br />
Eingriffen geschützt. Diese Plätze der Natur, wo allein <strong>die</strong> Lebendigkeit der Landschaft waltet,<br />
folgen anderen Regeln. Sie mußten nicht durch Einweihung, Umfriedung oder Aufrechterhaltung<br />
eines bestimmten Ritus am Leben gehalten werden und sind noch heute Zeugen der<br />
ursprünglichen Kraft des Transzendenten im Erden<strong>raum</strong>. Hier ist <strong>die</strong> Natur noch <strong>als</strong> Erscheinung<br />
Gottes und <strong>als</strong> Körper des Erdenseele erlebbar.<br />
Ich möchte hier aus persönlicher Sicht eine Dimension der Landschaft darstellen, welche<br />
zunehmend in das Bewußtsein vieler rückt: Die Landschaft <strong>als</strong> Gefäß und Tor zu geistigen Welten.<br />
Dafür greife ich ein Erlebnis einer solchen inneren Landschaft heraus, welches ich vor vielen<br />
Jahren im Rahmen der Untersuchung von Kraftorten anläßlich der Recherchen zu "Magisch<br />
Reisen-Deutschland" erlebte, welches sich in vielen Aspekten <strong>als</strong> durchaus exemplarisch erweist:<br />
Gemeinsam mit meinem Freund David Lucyn besuchte ich im südöstliche Allgäu den Alatsee,<br />
einen idyllisch gelegenen See westlich von Füssen. Dieser in einem Talkessel liegende See wird<br />
von 14 Quellen umsäumt, welche in keltischer Zeit vermutlich mit Quellkulten in Verbindung<br />
standen. Die Allgäuer Sage berichtet, der Alatsee wäre wie ein Trichter geformt, an dessen Ende<br />
sich aber der See wieder verbreite und einen noch tieferen Hohl<strong>raum</strong> von unermeßlicher Tiefe<br />
bilde, welcher ein Ungeheuer berge.<br />
Im Reich der verwunschen Göttin: der Alatsee<br />
Schon gleich bei Eintritt in das Seenareal ergriff mich das Gefühl, an einen außergewöhnlichen Ort<br />
gelangt zu sein. Eine erste geomantische Betrachtung ergab, dass das nahe Aggenstein-Massiv<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 1
das Landschaftszentrum <strong>die</strong>ses Natur<strong>raum</strong>es war. Im See selbst, der von Hügelketten umhüllt<br />
wird und so eine natürliche Mitte bildet, war radiästhetisch ein sogenannter "Einstrahlpunkt"<br />
wahrnehmbar, eine kosmische Achse, <strong>die</strong> Erde und Himmel verbindet.<br />
Wir fuhren mit einem aufgetriebenen Boot hinaus an <strong>die</strong>se Stelle. Als wir dort angelangt waren,<br />
konzentrierte ich mich auf <strong>die</strong> innere Qualität <strong>die</strong>ses Platzes. Mit einem Male wurde ich in einem<br />
Strudel jäh hinabgerissen. Ich tauchte mit dem Erreichen des Grundes ein in eine dunklen<br />
Farbigkeit, aus welcher sich bald Stimme und kaum faßbares Antlitz einer "Frau des Sees"<br />
herausschälte. Ich konnte sie fühlen <strong>als</strong> eine Wesenheit mit weit über <strong>die</strong>sen Platz ausgedehntem<br />
Bewußtsein. Nach einem Moment des gegenseitigen Wahrnehmens forderte sie mich durch ihre<br />
emotionale Nähe auf, sie persönlich anzunehmen, mich auf sie einzulassen; ich spürte, dass ich<br />
Ihr - <strong>als</strong> Kraft - fehlte. Frei ließ ich mich darauf ein und erlebte eine mich ergreifende räumliche<br />
Verschmelzung mit ihr, bis ein Gefühl einer vertrauensvollen und gelösten Atmosphäre eintrat.<br />
Plötzlich und unerwartet wurde ich frei von <strong>die</strong>ser Situation, alles war wie weggeblasen. Frei für<br />
einen Aufstieg, wieder zu mir selbst, wie ich leiblich noch immer im Boot lag. Doch bevor ich mich<br />
ganz in meinen Körper einlassen konnte, zog es mich schon nach oben, weit über des See<br />
hinaus.<br />
Ich kam in einen ausgedehnten Bereich, der dem des Sees zunächst ähnlich schien. Ich spürte<br />
eine Situation vergleichbar einen Torwächter: meine persönliche Emotionen waren nicht ähnlich<br />
dem, was kommen sollte. So konzentrierte ich mich auf meinen inneren Wesenkern und ließ alle<br />
Formen von Belastungen hinter mir. Da wandelte sich <strong>die</strong> Situation, ich wurde eingelassen in<br />
einen Licht<strong>raum</strong>, wie ich es noch nie erlebt habe: ein in sich in ständiger Bewegung befindlicher<br />
Raum, lichtdurchzogen, Kräfte webend, gedankenerfüllt; viele Formen an Wissen und Geistigkeit<br />
in sich tragend. Unvermittelt wurde mir bewußt, dass ich mich in einem inneren Reich, einem der<br />
Erde zugewandten Engelreich befand, welches über dem See schwebte. Ich nahm teil an <strong>die</strong>sem<br />
Sein, seiner Kraft, seiner wunderbar erhabenen Klänge, seiner strahlenden Herrlichkeit ohne mit<br />
einem der Wesen in direkten Kontakt zu treten. Ich nahm einfach wahr und wurde<br />
wahrgenommen. Durch eine damit verbundene Weitung meines Geistes war mir, <strong>als</strong> ob ich lernte,<br />
ohne zu verstehen. Ich begriff den Sinn und <strong>die</strong> natürliche Selbstverständlichkeit der Situation: hier<br />
war eines der Reiche, wo <strong>die</strong> Engelwelt sich einließ auf den Erdenkörper, sich eingab in <strong>die</strong> Welt.<br />
Es war wie ein Reich des Zukünftigen, welches beständig darin verweilte, sich langsam in <strong>die</strong> Erde<br />
einzugeben, <strong>als</strong> Ideenreich zu inkarnieren. Mit <strong>die</strong>ser Erekenntnis verließ ich den Ort und kam zu<br />
mir selbst zurück. Nach dem Ablegen innerer Geladenheit wurde mir über längere Zeit bewußt,<br />
dass ich von nun an <strong>die</strong> Welt aus anderen Augen würde sehen können. Die Erde <strong>als</strong> einen<br />
Lebens- und Bewußtseins<strong>raum</strong>, welcher beständig impulsiert wird von geistigen Intentionen, ohne<br />
dass <strong>die</strong>s auch nur in irgend einer Form - schon gar nicht im Zeitalter der Moderne -<br />
wahrgenommen würde. Welcher aber besteht und sein immerwährendes Werk vollzieht.<br />
Es folgten nun Untersuchungen und Recherchen; <strong>die</strong> Sagen der Umgebung erläuterten nun in<br />
exakter Weise <strong>die</strong>sen erlebten Mythos. Die erste Sage, <strong>die</strong> auch für den nahegelegenen<br />
Weißensee gilt, berichtet:<br />
Drei Schwestern waren <strong>die</strong> Herrinnen <strong>die</strong>ses gesegneten Landes. Sie bewohnten eine Burg am<br />
Bergeshang des Aggenstein. Solange sie in friedvoller Eintracht lebten, war alles gut. Aber eines<br />
Tages gerieten <strong>die</strong> Schwestern in Streit, jede wollte ihren Teil am Besitz. Um <strong>die</strong> Mittagszeit<br />
standen sie auf der Burg und schauten über den Gottesgarten hin.<br />
"Mir <strong>die</strong> Burg und das Land gen Mittag" sagte <strong>die</strong> Älteste. "Das will ich für mich", rief <strong>die</strong> Jüngste.<br />
Die Mittlere aber verwünschte <strong>die</strong> Schwestern: "Dass euch <strong>die</strong> Erde mitsamt dem Grund<br />
verschlänge". Ein fürchterlicher Donnerschlag war <strong>die</strong> Antwort, es sah aus, <strong>als</strong> neigten sich <strong>die</strong><br />
Berge über dem Tal zusammen. Ein Krachen und Bersten erfüllte <strong>die</strong> Luft, <strong>als</strong> ob das Weltenende<br />
gekommen wäre. Felsblöcke sausen gen Tal und eine tiefe Dunkelheit bedeckte das Land. Aus<br />
der Tiefe aber gurgelte das Wasser herauf und am Abend war das Tal mit einem weiten See<br />
gefüllt. Man hat nachm<strong>als</strong> <strong>die</strong> drei Schwestern noch oft aus dem Seegrund klagen hören:<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 2
"Druje hands g`hött, jeda haut`s g`wöllt,<br />
Koina hauts kriat - schenk du mir dei Liab"<br />
Wer auch immer den Versuch unternahm, <strong>die</strong> drei Unglücklichen zu befreien, es schlug stets fehl.<br />
Einmal kamen drei Reiter auf dem Rückweg vom heiligen Land am See vorbei. Auf einmal spitzten<br />
<strong>die</strong> Rößlein <strong>die</strong> Ohren und stürmten mitsamt den Reitern dem See zu. Sie brauchten alle Kraft, bis<br />
sie <strong>die</strong> Pferde wieder in der Gewalt hatten. Da war’s, wie wenn ein Klageton aus dem Schilf käme.<br />
Hier erkennen wir das Thema der drei Ewigen. Sie sind der manifestierte Ausdruck der<br />
Erdenseele; <strong>als</strong> Werden, Leben und Vergehen Aspekte der dreigestaltigen Göttin, auch bekannt<br />
<strong>als</strong> <strong>die</strong> drei Beten Ambet, Borbet und Wilbet. Als <strong>die</strong> drei Weissen Frauen tauchen sie im Allgäu<br />
sehr häufig auf.<br />
Auf Materie und Besitz bezogen wurden <strong>die</strong>se geistigen Kräfte ganz von der Schwerekraft der<br />
Erde erfaßt, verwunschen. Nur durch Annahme (in vielen Sagen taucht <strong>die</strong> verwunschene Frau <strong>als</strong><br />
Drache, schwarzer Pudel oder alte Frau auf, welcher der furchtsame Besucher sich angstfrei<br />
stellen muß, um sie zu erlösen oder verwandeln) und Kontakt zu ihrem geistigen Ursprung kann<br />
Erlösung erreicht werden, öffnet sich der Weg für <strong>die</strong> oberweltlichen Dimensionen. So erkennen<br />
wir hier auch ein grundlegendes Muster für <strong>die</strong> geomantische Arbeit: erst durch <strong>die</strong> Erde, <strong>die</strong><br />
liebende Annahme und Meisterung der Welt gehen, bevor eine - tendenziell einseitige -<br />
Hinwendung zum Geistigen sinnvoll geschehen kann.<br />
Die nächste Sage weiß: „Hoch oben am Aggenstein (der ehemaligen Wohnstätte der Schwestern)<br />
haben <strong>die</strong> Venediger (Wissendes Naturvolk, Metallkundler, Drachenbesänftiger, <strong>die</strong> "Engel des<br />
Zwergenreiches") ein wahres Märchenschloss, welches nur alles sieben Jahre von einem<br />
Menschen erblickt werden kann. Zum größten Teil soll es unterirdisch liegen, aber ein Stück rage<br />
es heraus. Hier oben halten <strong>die</strong> Venediger Gericht und lassen ihre menschlichen Besucher ihr<br />
Leben in einem Spiegel betrachten. Keinen "Unreinen" lassen sie in ihr Schloss herein, keinen<br />
lebendig wieder heraus.“<br />
Hier finden wir <strong>die</strong> Wiederspiegelung des geistigen Reiches, das an das Weltengericht erinnert.<br />
Der Berg - <strong>als</strong> <strong>die</strong> dem Himmel am nächsten stehende Lokalität - wird mit dem Himmel- und<br />
Engelreich assoziiert. Hier klingt schon an, dass sich traditionelle Vorstellungen über <strong>die</strong><br />
Jenseitswelt - Fegefeuer oder Letztes Gericht - an geographisch festmachbaren Orten fixieren<br />
kann.<br />
Im Zuge der weiteren Betrachtung des Ortes erkannte ich in <strong>die</strong> Gestalt der Landschaft<br />
eingebettet einen großen, leuchtenden Tunnel, der wie ein Gebärkanal zwischen zwei Hügelketten<br />
in den See überging; es deutete sich das Muster eines Körpers - in der Landschaft liegend - an.<br />
Ich verfolgte den Verlauf bis zu seinem Ausgangspunkt: Burg Falkenstein.<br />
Tore in <strong>die</strong> Anderswelt: Wo <strong>die</strong> innere Landschaft <strong>die</strong> äußere Landschaft berührt<br />
Die Bergruine Falkenstein, <strong>die</strong> <strong>als</strong> höchstgelegene Ruine Deutschlands gilt, war von König Ludwig<br />
II von Bayern bereits für ein weiteres seiner T<strong>raum</strong>schlösser auserkoren worden. Es existieren<br />
eine Vielzahl von Plänen, <strong>die</strong> nicht mehr zur Ausführung kamen, da Ludwig bekanntlich<br />
entmündigt und kurz darauf verstorben aufgefunden wurde. Die hiesige Sage erzählt:<br />
Nach der Überlieferung soll der Falkenstein einen ungeheuren Schatz bergen. Venediger sollen<br />
einstm<strong>als</strong> einen unterirdischen Gang vom benachbarten Salober unter dem Alatsee hindurch bis<br />
nach Hohenschwangau gebaut haben; in <strong>die</strong>sem Gang hätten sie eine märchenhafte Fülle Goldes<br />
und unzählige Edelsteine für kommende Fürsten aufbewahrt. Wer <strong>als</strong> Flüchtling in den Berg<br />
kommen, solle von den Schätzen nur soviel nehmen, wie er zur Linderung seiner Not brauche,<br />
sonst schließe sich <strong>die</strong> eiserne Tür des Gewölbes. Bischof Wigold habe einst der Versuchung<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 3
standgehalten, ein Mann aus seinem Gefolge - Gaubald - hat sich <strong>als</strong> Einsiedler in der Nähe des<br />
Eingangs niedergelassen, um vor dem Fluch des Goldes zu warnen. Er selbst sei über hundert<br />
Jahre alt geworden und galt <strong>als</strong> heilkräftig. Seine Felsklause fand immer wieder einen Erben,<br />
darunter auch ein vor 50 Jahren verstorbener Eremit, der letzte in einer Kette von Einsiedlern, <strong>die</strong><br />
dort lebten.<br />
Hier wird nun eindeutig <strong>die</strong> wahrgenommene Linie <strong>als</strong> Höhle erwähnt, welche Schätze für <strong>die</strong><br />
Zukunft bereithält. Damit sind aus geomantischer Sicht geistige Schätze gemeint, denn noch<br />
niemand hat den Schatz eines mythischen Ortes bergen können; zumindest nicht ohne <strong>die</strong>sen<br />
vorher "magisch" zu wandeln. Dieser "Eingang" ist ein konkreter Ort an einem Felsen, dort, wo der<br />
Lichtpfad verläuft.<br />
Zunächst zeigt sich, dass Inhalte individueller Erfahrung eines heutigen Menschen, auch wenn in<br />
einem völlig anderen Kontext erlebt, von anderen zuvor erlebt und folgend tra<strong>die</strong>rt wurde. Das<br />
entspricht der Idee des "Lesens der Landschaft", wenn man den immerwährenden Mythos<br />
nachvollzieht, der auch in den örtlichen Legenden seinen Niederschlag gefunden hat.<br />
Volkskundliche Sagen können hier deshalb durchaus <strong>als</strong> tra<strong>die</strong>rte, aber einst "reale"<br />
transzendente Erfahrungen von Menschen angesehen werden, <strong>die</strong> wir ernst nehmen dürfen. Man<br />
kann <strong>als</strong>o sagen, hier ist ein solcher Mythos der Landschaft eingeschrieben, ein <strong>geistiger</strong><br />
Erfahrungsweg, der eine räumliche und zeitliche Dimension besitzt.<br />
Und: auch <strong>die</strong> alte Ritterburg auf dem Schwanstein, dort, wo heute das Prunkschloss des<br />
unglücklichen Bayernkönigs sich erhebt, sei verwunschen und berge einen Schatz. Das von mir<br />
zunächst <strong>als</strong> bedeutungslos angesehene Schloss Neuschwanstein ist genau auf dem<br />
Austrittspunkt placiert. Wer heute in der Ebene vorbeifährt, kann in einem bestimmten Moment<br />
erkennen, dass <strong>die</strong> umgebenden Berge einen ideal geformten Kelch ergeben, wobei das Schloss<br />
selbst auf dem Fuß des Kelches thront. Auch wenn ich überzeugt bin, dass Ludwig II nicht aus<br />
einem geomantischem Wissen unserer oder vergangener Zeiten gehandelt hat, sondern aus einer<br />
Mischung von Romantik, mystischer Spekulation und eine Form von übersteigerter Empathie, hat<br />
er hier doch reagiert auf einen in <strong>die</strong> Landschaft eingeschriebenen Mythos.<br />
Gehen wir noch einen Schritt weiter: abgesehen von der metaphysischen Bedeutung der Situation<br />
hat <strong>die</strong>ses Landschaftsensemble auch in der äußeren Welt seine Bedeutung: Ludwig hat - über<br />
welche Wege auch immer - einen Ort geschaffen, der verbunden ist mit dem Mythos der<br />
Landschaft, einen Ort, der auch über <strong>die</strong> Gr<strong>als</strong>thematik einen tempelartigen Charakter besitzt und<br />
somit Raum schafft für Phantasie und Erlebniskraft. Dieser Ort nun besitzt eine Anziehungskraft,<br />
<strong>die</strong> weit über das Faszinosum der für ihre Zeit schon mehr <strong>als</strong> ungewöhnlichen Architektur<br />
hinausreicht. Er zieht Jahr für Jahr Millionen von Menschen; er ist der "Marketingfaktor Nr. 1" der<br />
gesamten Region. Für das Land Bayern <strong>die</strong> Investition, <strong>die</strong> sich im Laufe der Zeit - vor allen<br />
anderen - amortisiert hat, auch wenn ironischerweise Ludwig selbst an <strong>die</strong>sem Faktor, seine<br />
einseitigen Ausgaben, persönlich und politisch gescheitert ist.<br />
Der Vergleich mag gewagt sein - immerhin ist der Ort weder wirklich sakral noch vermittelt er den<br />
Mythos selbst - aber hier ist doch eine dem Kirchbau verwandte Situation eingetreten: Die<br />
transzendente Wirklichkeit eines Orte manifestiert sich auf vielen Ebenen: Es besteht ein Ort,<br />
dessen Existenz <strong>die</strong> Aufrechterhaltung der jenseitigen Ordnung ermöglicht und fördert, ein<br />
Erlebnis<strong>raum</strong> für den "Pilger" und ein Attraktor, der <strong>die</strong> Region belebt und darstellt. Kathedralen<br />
liegen <strong>die</strong> gleichen Prinzipien zugrunde: der Weg durch den Kirch<strong>raum</strong>, der dem Weg der<br />
Menschheit durch <strong>die</strong> Geschichte symbolisiert. Die Achse der Himmelsleiter, um <strong>die</strong> der Bau<br />
konstruiert ist. Die geistige Dimension, oft in Fresken dargestellt. Und <strong>die</strong> Funktion <strong>als</strong> Mittelpunkt<br />
der Stadt; Darstellungsfläche für Adel, Klerus und Bürgertum; Kraftzentrum ihres Um<strong>raum</strong>es.<br />
Die Geomantie des Landschaftsensembles<br />
Es kommen in <strong>die</strong>sen Komplex nun mehrere klassische geomantische Phänomene zusammen:<br />
Der horizontale Weg des Geistes, symbolisiert durch den "unterirdischen" Gang. Der vertikale<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 4
Weg, der Unterwelt - das Reich der Göttin mit ihren drei Aspekten - und Himmelswelt -<br />
Venedigerschloss mit Weltengericht - verbindet. Ein Ort, der mit seiner kesselartigen Form eine<br />
Mitte bildet und beide Strukturen zur Überschneidung bringt. Eine Landschaftsform, welcher <strong>die</strong><br />
Form eines Körpers nahelegt, in den das Geschehen eingebettet ist. Und bebaute Orte, deren<br />
Ortslegenden jeweils darauf Bezug nehmen. Wir sehen, dass hier ein archetypisches Konzept<br />
über den Aufbau der jenseitigen Welt sich konkret abbildet in der Landschaft in jeweils natürlicher<br />
und kultürlicher Form.<br />
Wege des Geistes - Wege der Kraft<br />
In der Geomantie haben Phänomene wie der unterirdische Weg ihren festen Platz. Die nach dem<br />
englischen Forscher Watkins "Ley-Lines" benannten Liniensysteme sind heute zu einem<br />
(fachwissenschaftlich nicht genau umrissenen) Überbegriff für lineare Strukturen in der Landschaft<br />
geworden. Die Erklärungsansätze reichen von astronomischen Visurlinien über historische Wege,<br />
magisch-symbolische Bezugssysteme bis hin zu Wegen der Erdkraft. Erst mit Paul Devereux<br />
bekam <strong>die</strong> Deutung Aufschwung, dass es sich um "Wege des Geistes" handelt, er bringt <strong>die</strong>se in<br />
Zusammenhang mit der Praxis der schamanischen Seelenreise .<br />
Fest steht, dass <strong>die</strong> Sagen berichten von Geistern und Verstorbenen, <strong>die</strong> sich auf geradem Wege<br />
zwischen Friedhof und Kirche bewegen; irische Legenden sprechen von Feenwegen, <strong>die</strong> nicht<br />
architektonisch besetzt werden dürfen. Unsere Sagenwelt berichtet neben den Höhlengängen von<br />
fliegende Drachen, Hammerwürfen von Riesen oder übernatürlich weiten Pferdesprünge, <strong>die</strong> zwei<br />
Orte verbinden. Derlei Hinweise über unterirdische Gänge oder Wege der Erdmutter durch das<br />
Land begegnen uns allenthalben: Auerberg bei Bernbeuren, Hörseelenberg im Wartburgland,<br />
Untersberg nahe Berchtesgaden, Hohe Meißner, u.v.m..<br />
Eine Beobachtung am Rande der Nahtodeserfahrung<br />
Gewöhnlichen Sterblichen nun sei der Zugang versperrt. Nur wer an einem Sonntag geboren ist<br />
oder St.Georg zu seinem Namenspatron habe, könne beispielsweise den Weg im dunklen Gang<br />
ohne Gefahren gehen. An anderer Stelle heißt es, dass wenn ein gewöhnlicher Mensch in den<br />
Gang - auch der "güldene Weg" genannt - gerät, er vom strahlenden Goldglanz der Wände<br />
erblinde - deutlichen Hinweise auf den eindeutig nichtmateriellen Charakter des gemeinten<br />
Phänomens.<br />
Weiter bringt uns hier <strong>die</strong> Nahtodesforschung mit den Schilderungen verstorbener, aber zum<br />
Leben zurückgekehrter Personen. Diesen ist häufig <strong>die</strong> Beschreibung einer "Lichtröhre" gemein,<br />
durch welche sie - nach einer ersten nachtodlichen Phase der Orientierung im konkreten Raum -<br />
gleiten auf dem Weg in himmlische Sphären. Möglicherweise haben wir es hier mit der<br />
Beschreibung eines Phänomens "von innen" zu tun, welches in der Geomantie <strong>als</strong> Ley-Lines oder<br />
sogenannter Einstrahlpunkt "von aussen" beschrieben wird. Hieronymus Bosch (siehe<br />
nebenstehende Abbildung) hat in seinem Werk "Das Para<strong>die</strong>s" der "Aufstieg der Seelen" illustriert:<br />
<strong>die</strong> körperlose Seele nimmt ihren Weg durch einen Tunnel, an dessen Ende das strahlende Licht<br />
des Himmlischen aufscheint. Offensichtlich haben wir es mit dem Phänomen zu tun, welches <strong>die</strong><br />
"Topographie" einer <strong>als</strong> real anzunehmenden jenseitigen Welt mit dem Erden<strong>raum</strong> verbindet.<br />
Abstieg und Aufstieg<br />
Dann begegnete uns <strong>die</strong> vertikale Achse. Ganz klassisch ihre Beschreibung bei Jakob im AT:<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 5
Und Jakob zog aus von Beerseba... Da geriet er an <strong>die</strong> Stätte und blieb daselbst über Nacht .Und<br />
er nahm einen von den Steinen der Stätte und legte ihn sich zu Häupten und legte sich schlafen<br />
an <strong>die</strong>ser Stelle.<br />
Da träumte ihm deutlich, eine Leiter sei auf <strong>die</strong> Erde gestellt, deren Spitze reichte bis zum Himmel,<br />
und <strong>die</strong> Engel Gottes stiegen auf ihr auf und ab. Und plötzlich stand Jahwe vor ihm und sprach:<br />
Ich bin Jahwe, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks: das Land, auf dem du liegst,<br />
das will ich dir und deinem Samen geben. Denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich ausgeführt<br />
habe, was ich verheissen habe ! Da wachte Jakob aus seinem Schlafe auf und sprach:<br />
Wahrhaftig, Jahwe ist an <strong>die</strong>ser Stätte, und ich wusste es nicht ! Da fürchtete er sich und sprach:<br />
Wie schauerlich ist <strong>die</strong>se Stätte! Ja das ist ein Wohnsitz Gottes und eine Pforte des Himmels !<br />
Frühmorgens aber nahm Jakob den Stein, den er sich zu Häupten gelegt hatte, stellte ihn auf <strong>als</strong><br />
M<strong>als</strong>tein und goß Öl oben herauf. Und er gab jener Stätte den Namen Bethel...Und Jakob tat ein<br />
Gelübde und sprach: Wenn Gott mit mir sein wird...so soll...an <strong>die</strong>ser Stein, den ich <strong>als</strong> M<strong>als</strong>tein<br />
aufgestellt habe, ein Gotteshaus werden.<br />
In <strong>die</strong>ser Erzählung ist archetypenhaft alles enthalten: <strong>die</strong> vertikale Achse, <strong>die</strong> Gott und Mensch<br />
verbindet, <strong>die</strong> Engel <strong>als</strong> Mittler, <strong>die</strong> Bedeutung der Erlebten für das weitere Leben, <strong>die</strong> Markierung<br />
der Stelle, das Geschehen <strong>als</strong> "Grundstein" für einen sakralen Bau. Das Geschilderte ist kein<br />
Einzelfall: an der Tassilolinde von Wessobrunn beispielsweise hatte ebenjener Tassilo ebenfalls<br />
einen T<strong>raum</strong> von der Himmelsleiter, abstrakt sprechen <strong>die</strong> Mystiker von ihrem Aufstieg über <strong>die</strong><br />
Himmelsleiter. In der etruskischen Geomantie wird <strong>die</strong> Achse in der Mitte der Stadt <strong>als</strong> gefaßter<br />
Omphalos (Nabel der Welt) placiert, von dem es hieß, hier gingen <strong>die</strong> Toten - einmal im Jahr,<br />
wenn der Stein geöffnet wird - ein und aus. Diese Achse entspricht einem grundlegenden<br />
kosmologischen Muster, welches sich hier realisiert.<br />
Die Jenseitswelten <strong>als</strong> Land hinter der Landschaft<br />
Das, was uns hier begegnet <strong>als</strong> kräftemässige oder kosmologische Strukturen von "Orten der<br />
Kraft", ist allerdings nur das objekthafte Abbild einer tieferen Dimension. Denn das Bedeutsame<br />
sind <strong>die</strong> geistigen Reiche selbst, welche hinter der äußeren Erscheinung stehen. Wie <strong>die</strong> Sagen<br />
von den "versunkenen Schlössern oder Städten" berichten viele Mythen <strong>die</strong>ser Welt von Kaisern<br />
mit ihrem Hofstaat im Berg, Unterweltsbereichen der Toten, versunkenen Reichen wie dem<br />
englischen Avalon, und himmlischen Welten, <strong>die</strong> letztlich alle mit der Vorstellung vom<br />
vergangenen oder zukünftigen Para<strong>die</strong>s in Zusammenhang stehen. Diese Reiche werden<br />
durchweg nicht <strong>als</strong> historisch vergangene Zeiten, sondern <strong>als</strong> parallele Welten beschrieben, <strong>die</strong> in<br />
der manifestierten Landschaft verborgen sind.<br />
"Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde " Offenbarung 21,1<br />
"...und er führte mich im Geiste auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir <strong>die</strong> große Stadt,<br />
das heilige Jerusalem, herniederfahren aus dem Himmel, von Gott." So Johannes in der<br />
Offenbarung. Hier erweist sich der Jenseitsort <strong>als</strong> zentrale Vision und Bezugspunkt der großen<br />
Weltreligion, verbunden mit den Gedanken von Ursprung, endzeitlicher Erlösung und Gottesnähe.<br />
Die Rückverbindungen der Menschen mit dem para<strong>die</strong>sischen Urstand - wie dem eines neuen,<br />
kommenden Para<strong>die</strong>ses, das himmlische Jerusalem im christlichen Glauben - war für den<br />
Menschen der Vergangenheit essentiell, wollten er seine Orientierung auf den "Weg durch <strong>die</strong><br />
Geschichte" nicht verlieren, wollten er in Kontakt bleiben mit dem göttlichen Ursprung und<br />
Erlösungszustand der konkreten Geschichte. Demzufolge hatten auch <strong>die</strong> Orte, welchen <strong>die</strong>sen<br />
Zugang versprachen, besondere Bedeutung.<br />
Stätten der Inkarnation<br />
Chartres, jene berühmte Kathedrale, errichtet auf dem Hügel, der einst den Druiden heilig war,<br />
Meisterwerk gotischer Baukunst, gilt <strong>als</strong> eine der Wiegen der europäischen Geisteskultur. Auch<br />
axis mundi geomantie und integrale planung 6
aus dem Umkreis des Mont St. Michel - und viele mehr in Europa - sind Kulturimpulse gekommen,<br />
entstanden Weltbilder, <strong>die</strong> den Geist einer Epoche ausmachten. Eine Geist, der aus<br />
geomantischen Verständnis sich über <strong>die</strong>se Orte "inkarniert" und sich aufmacht, in einer Epoche,<br />
einer Menschengruppe oder einer Region zu existieren. Diese Anschauung geht im Grunde<br />
wieder parallel mit der Sichtweise der Etrusker, <strong>die</strong> doch wesentlichen Einfluß nahmen auf <strong>die</strong><br />
Prinzipien des europäischen Städtebaus und der Tradition des Sakralbaus: Die Identität einer<br />
Stadt, eine Epoche gar wurde <strong>als</strong> Wesen verstanden - mit Geburt, Höhepunkt und Tod - und<br />
wurde entsprechend behandelt, indem ihr mit Landschafts<strong>raum</strong>, Stadt oder Tempel ein Körper<br />
geboten wurde.<br />
Landschaft der Vergangenheit - Landschaft der Zukunft<br />
Wenn wir an <strong>die</strong> Landschaft der Zukunft denken, meinen wir heute vielleicht eine<br />
Architektur<strong>landschaft</strong>, ein neues Design in der Landschaftsplanung oder gar <strong>die</strong> Ödnis einer<br />
zerstörten Umwelt. Zukünftige Landschaft an sich kann aber auch anders verstanden werden, <strong>als</strong><br />
Raum, der sich entwickelt aus dem Geistigen, einer Evolution aus dem "Inneren" in das Äußere<br />
folgend. Hier besteht ein Übergang im Wahrnehmen vom Zeitlichen zum Ewigen, indem sich<br />
unser Raum-Zeit-Verständnis schichtweise auflöst. Zukunft wie Vergangenheit sind der<br />
Landschaft - aus geomantischer Sicht - immanent und aktualisiert sich über den Prozess der<br />
Verkörperung des Geistigen im Konkreten..<br />
All <strong>die</strong>se Erfahrungen der geistigen Welt waren im Laufe der Menschheitsgeschichte immer<br />
bedeutsame Inspiration für das konkrete gesellschaftliche Leben und gestaltertierischen<br />
Maßnahmen. Das Spannungsfeld zwischen <strong>als</strong> real verstandener Vision und aktueller Wirklichkeit<br />
war treibender Motor für Mensch und Gesellschaft. Die heutige Zeit hingegen ist wie keine andere<br />
geprägt von Isolation zu Natur und Geisteswelt, unsere Zeit der "untergegangenen Utopien" hat<br />
ihre Ziele, und damit einem wichtigen Aspekt von Zeit verloren. Die großen Mythen sind verbannt<br />
in <strong>die</strong> Illusionswelten Hollywoods. Selbst der areligiöse Kommunismus kannte <strong>die</strong> klassenlose<br />
Gesellschaft <strong>als</strong> Fernziel. Wir heute nur technoide Utopien.<br />
Hier kann <strong>die</strong> Geomantie Wege der persönliche Ausrichtung aufzeigen, denn eine Wiederkehr des<br />
Spirituellen muss auch mit der Wiederfindung geistige Utopien verbunden sein.<br />
Ein Weg, wie ihn beispielsweise der bekannte Romanautor James Redfield in einzelnen der<br />
Botschaften von Celestine erahnen läßt: Die geistigen Dimensionen öffnen sich erneut dem<br />
Vorbereiteten und erschließen damit neue Quellen, Kraft und Erkenntnis zu gewinnen. Die<br />
Geomantie versucht nun, hier nicht nur einen individuellen Erfahrungsweg aufzuzeigen, sondern<br />
Orte zu entwickeln, and denen eine Vielheit von Menschen in ihrem jeweiligen<br />
Bewußtseinsstadium teilhaben können.<br />
Wahrnehmung und Erfahrung<br />
Neben der praktischen Nutzanwendung der Geomantie in Architektur, Stadt- und<br />
Landschaftsplanung ist es eines ihrer Hauptanliegen, Mensch und Natur wieder<br />
zusammenzuführen durch das Verweisen auf tieferen Zusammenhänge von Erde und Mensch.<br />
Vor allem der Weg des Menschen zum Geistigen, zum Ursprung hin und <strong>die</strong> Verwirklichung<br />
<strong>die</strong>ses Geistes wiederum durch den Menschen in der physischen Welt ist ein wesentlichen<br />
Moment der Geomantie. Eine Landschaft kann anhand solcher auf das Übergeordnete<br />
verweisende Landschaftstempel wieder <strong>als</strong> lebendiger Organismus erfahren werden, mit dem der<br />
Mensch in wechselseitiger Beziehung steht. Und auch <strong>die</strong> Landschaft benötigt den Menschen, will<br />
erkannt und geachtet werden in ihrer Wesenhaftigkeit. Der Alatseekomplex ist ein gutes Beispiel:<br />
<strong>die</strong> Sage blieb bruchstückhaft, wenn nicht durch persönliche Erfahrung ein ganzheitliches Bild<br />
entstünde.<br />
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Die vorab beschriebene Form der Wahrnehmung der Geisteswelten ist eine von vielen<br />
Zugangsformen in der Geomantie. Der schamanischen Reise gleicht stellt sie sich -<br />
sinnvollerweise - nicht bei jedem ein. Denn solche Zugänge, <strong>die</strong> eine Reise in <strong>die</strong> inneren Welten<br />
beinhalten sind nicht ohne Gefahren. Auf <strong>die</strong>sem Erfahrungsweg finden Begegnungen statt mit<br />
metaphysischen Kräften, mit heilenden, lehrenden, aber auch herausfordernden Wesen. Prozesse<br />
mit transformierenden Charakter sind zu erwarten, <strong>die</strong> charakterliche Festigkeit, Fähigkeiten von<br />
Schutz, Durchlässigkeit und Reinigung und eine Bereitschaft zu persönlicher Entwicklung<br />
erfordern. Fragen tauchen auf wie: <strong>die</strong> Unterscheidung der Geister, <strong>die</strong> Achtsamkeit im Umgang<br />
mit Geistwesen, <strong>die</strong> Aufrechterhaltung der Ganzheit des eigenen Wesens. Von was und wem<br />
lasse ich mich führen ? Was ist mein Ziel ? Bleibe ich im Kontakt zum Ganzen ? Ein Zugang zu<br />
<strong>die</strong>sen Welten darf sicherlich nicht <strong>als</strong> das letzte Ziel verstanden werden und kann sicherlich aus<br />
einer spirituellen Sicht auch <strong>als</strong> sehr relativ oder gar bedenklich oder nutzlos betrachtet werden.<br />
Hier muss eine Vorbereitung erfolgen, einem initiatischem Weg gleich. Erfahrungswege kennen in<br />
jeder Zeit andere Bedingungen heute, denn auch seelische Prozesse und geistige<br />
Zusammenhänge sind in beständigem Wandel. Es haben deshalb verschiedene Kulturen und<br />
Religionen unterschiedliche Antworten auf <strong>die</strong> Art des Erfahrungszuganges gefunden. Die<br />
Schamanen waren befähigt, durch Techniken der Trance zu reisen in <strong>die</strong>se Anderswelten.<br />
Mystiker durch innere Läuterung auf einen räumlich nicht festgelegten Weg. In der europäischen<br />
Bilderwelt - siehe nebenstehende Darstellung der apokalyptischen Schau des Johannes - taucht<br />
<strong>die</strong> geistige Dimension noch <strong>als</strong> integraler Bestandteil der natürlichen Landschaft auf. Dies deutet<br />
auf eine vergangene Bewußtseinsform, <strong>die</strong> beides in einem Erfahrungs<strong>raum</strong> denkt und erlebt, <strong>die</strong><br />
verschiedenen Dimensionen des Seins stehen hier noch in erlebbarer Verbindung zueinander.<br />
Wir müssen folglich heute gültige und akzeptable Formen von Erfahrungswegen neu kreieren,<br />
auch wenn hier schon viel getan wurde. Diese zu systematisiert und zu vermittelt sehe ich <strong>als</strong><br />
Aufgaben einer Pädagogik des Umgangs mit geistigen Welten.<br />
Relevanz für <strong>die</strong> heutige Zeit<br />
Nun scheint es, dass <strong>die</strong> beschriebenen metaphysischen Erfahrungsformen wie auch <strong>die</strong> Ansätze,<br />
durch Sakralbau, Grabinstallationen oder Stadtplanungen einzugreifen und anzusetzen bei<br />
jenseitigen Dimensionen in der heutigen Zeit keine Relevanz mehr besitzen, besitzen können. Ich<br />
sehe aber fünf Bereiche, wo geradezu eine Notwendigkeit des Handelns besteht:<br />
1. Verantwortung für <strong>die</strong> Eingriffe unserer Kultur in <strong>die</strong> Jenseitsräume. Aus der Perspektive des<br />
Geomanten muss ich <strong>die</strong> Notwendigkeit benennen, dass wir wieder Verantwortung übernehmen<br />
müssen für <strong>die</strong> besonderen Orte und ihre Funktionen. Gerade im Jenseitsbereich gibt es<br />
Störungen durch zivilisatorische Eingriffe. Friedhöfe, wo Seelen eingesperrt sind. Städte, in<br />
welchen Naturwesen <strong>als</strong> destruktive Atmosphären vagabun<strong>die</strong>ren, Landschaften, in welchen <strong>die</strong><br />
Organe der Landschaft mißhandelt wurden. Zwar gibt es Wege des Ausgleiches aus der geistigen<br />
Welt selbst, aber <strong>die</strong> geistigen Welten sind wiederum ist auch nur ein Spiegelbild der Realität. Das<br />
Problem: Es gibt keine akzeptierten gesellschaftlichen Autoritäten mehr in <strong>die</strong>sem Bereich. Und:<br />
<strong>die</strong>ser wissenschaftlich kaum faßbare Bereich kann schlecht in einer demokratisch sich<br />
organisierenden Welt integriert werden, da er nur "geglaubt" oder von weniger erfahren werden<br />
kann. Hier gilt es, neue Wege des gemeinschaftlichen Handelns zu gehen, denn gerade hier<br />
erweist sich Geomantie <strong>als</strong> Handeln aus der Verantwortung auch gegenüber der Welt und nicht<br />
<strong>als</strong> individueller Erfahrungsansatz allein.<br />
2. Die Stärkung der Eigenorganisation der Natur. Ohne Zweifel können wir sagen, dass der<br />
Natur<strong>raum</strong> in Mitteleuropa bis auf wenige Stellen nicht mehr besteht. Alles ist Kultur<strong>landschaft</strong>,<br />
überall greift der Mensch ein. Wenn wir nun wieder nach den Prinzipien der Natur gestalteten und<br />
<strong>die</strong> innewohnende Lebendigkeit des Erdenkörpers aufgreifen, kann <strong>die</strong> Eigenintelligenz der Natur -<br />
<strong>als</strong> Schöpfungsprinzip - wider neue Kraft gewinnen.<br />
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3. Würde der Natur und Achtung der Lebendigkeit. Wenn sich <strong>die</strong> heutige Kultur befreien möchte<br />
aus ihrer von Natur und Kosmos isolierten Situation, muss sie neue Wege gehen, Landschaft und<br />
Natur ihre Würde zurückzugeben. Wie bei der Emanzipation <strong>die</strong> völlig absurde, aber historisch<br />
reale Anerkennung der Seele der Frau, beim Tierschutz das Anerkennen eines Seelisch-<br />
Emotionales in der Tierwelt, so muss bei der Neubewertung von Landschaft das Anerkennen einer<br />
Eigenintelligenz einem äußeren Umdenken vorausgehen.<br />
4. Erfahrungsräume mit Tiefendimensionen in einer sakralen Landschaft. Der heutige Mensch<br />
hungert nach Tiefenerfahrung und begegnet nur sinnentleertem Erlebnistourismus. Konzepte<br />
können entwickelt werden, <strong>die</strong> Menschen mit ihren Wahrnehmungsfähigkeiten Tiefenerfahrungen<br />
ermöglichen, wenn offene Räume angeboten werden, <strong>die</strong> den archetypischen Grundmustern<br />
folgen und authentisch <strong>die</strong> innewohnenden Identität der Landschaft aufgreifen.<br />
Ein modernes Beispiel ist ein Raum im "Meteorit", der Inszenierung von modernen "Orten der<br />
Kraft" durch Andre Heller im Meteorit im Essener RWE-Park unter der Thematik "Energie".<br />
5. Gestaltung nach den Gesetzen des Lebens, Neue Ansätze in Stadt- und Landschaftsplanung,<br />
der Ort <strong>als</strong> Marketingfaktor: Plätze und Raumstrukturen können geistige Realitäten aufgreifen.<br />
Damit würden wieder Zentren der Kraft geschaffen, denn Orte mit Atmosphäre und<br />
Anziehungskraft resultiert letztlich auch aus dem geistigen Raum, der hinter einem Ort steht.<br />
Bauprojekten eine Angebundenheit an Tiefendimensionen vermitteln bedeutet, ihnen eine<br />
lebendige Identität zu schaffen, <strong>die</strong> dem Besucher eine Atmosphäre der Stimmigkeit und<br />
Eingebettetseins in das Ganze vermittelten. Noch heute zeugen Städte, <strong>die</strong> nach den Prinzipien<br />
<strong>die</strong>ser Angebundenheit geschaffen wurden, von außergewöhnlicher Atmosphäre und Attraktivität.<br />
Eine Geomantie der Zukunft wird sich gerade an <strong>die</strong>sem Bereich messen lassen müssen und<br />
nicht nur allein an formalen und konzeptuellen Neuerungen oder der Beliebtheit in esoterischen<br />
Kreisen. Damit sie nicht langfristig nur <strong>als</strong> Dienstleiter für private Bauträger, <strong>als</strong> Forschungsbereich<br />
historischer Ansätze und <strong>als</strong> esoterische Nischenerscheinung beschränkt bleibt, sondern <strong>als</strong><br />
ernstzunehmenden Ansatz gelten kann für eine lebendige Landschaftsgestaltung.<br />
Der Autor: Hans-Jörg Müller, bildender Künstler und Geomant. Langjährige Praxis, Forschung und Lehre in<br />
den Bereichen: Organische Geomantie, Genienlehre, Ätherlehre & Radiästhesie. Sakralarchitektur,<br />
Geomantie in Stadt- und Landschaftsplanung. Als Künstler: Rauminstallation, Kunstaktionen & Sakrale<br />
Landschaftsgestaltung. Über 100 Seminaren bei öffentlichen Bildungsträgern, Konferenzen und<br />
Universitäten. Leiter der ersten europäischen Ausbildung in Geomantie, Gründer von HAGIA CHORA -<br />
Schule für Geomantie.<br />
Er führt heute das Büro AXIS MUNDI - Geomantie und Integrale Planung in Mühldorf. Vielzählige<br />
Ortsanalysen, Bauherrenberatungen, Gestaltungsprojekte im In- und Ausland.<br />
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