1. Themenblock STADT:BAUKULTUR Impulsvortrag Volkwin Marg – 20 Zusammenfassung Zwiegespräch Karl-Heinz Cox ∞ Stephan Hilterhaus – 24 STADT:MENSCH:HEIMAT // STADT:BAUKULTUR 18/19
Impulsvortrag zum Thema Stadt:Baukultur Prof. Dipl.-Ing. Volkwin Marg Bevor ich über das eigentliche Thema Baukultur spreche, möchte ich daran erinnern, wo der Begriff ›Kultur‹ seinen Ursprung hat: in der Agrikultur, der Bodenkultur, das heißt in der Bearbeitung und Pflege landwirtschaftlich kultivierter Flächen. Orientiert man sich an diesem Bild, dann wird sichtbar, dass der lateinische Begriff bereits mehrere Ebenen beinhaltet: die <strong>des</strong> Schaffens, der Erhaltung, <strong>des</strong> Kultivierten, aber auch das Sammeln, Nutzen und Weitergeben <strong>des</strong> Wissens um Methoden der Kultivierung. Kultur ist also ein Prozess <strong>des</strong> Schaffens und Bewahrens gleichermaßen. Nehmen wir nun den Begriff ›Bau‹kultur, so ist dies die Kultivierung der gebauten Stadt, wie Agrikultur die Kultivierung <strong>des</strong> urbar gemachten Lan<strong>des</strong> ist. Kultivierung ist ein gesellschaftlicher Prozess, in dem erlernte Fertigkeiten über Generationen und über Jahrhunderte bewahrt, verfeinert, verbessert und weitergegeben werden. Speziell in der Forstwirtschaft mit ihren langen Re- Produktionszyklen ist sehr früh der entscheidende Aspekt ›guter‹ Kultivierung ins Spiel gekommen: die Nachhaltigkeit <strong>des</strong> eigenen Wirtschaftens zum Gemeinwohl späterer Generationen. Kulturelle Nachhaltigkeit bedeutet: Kollektive Kultivierung ist nur möglich auf der Grundlage individueller Kultivierung, muss also von Generation zu Generation über Persönlichkeitsbildung übertragen werden. Kulturelle Bildung setzt sich lebenslang fort, sei es sozial, sittlich, musisch, gedanklich, sei es in Familie, Schule oder Beruf. Weil mit diesem Verständnis Werte und Wissen weitergereicht werden, ist Kultivierung tendenziell konservativ, als sie dazu neigt, das erreichte Kulturgut – also den gesellschaftlichen Leistungsstand vieler Generationen – zu bewahren und zu tradieren. Wissensaneignung und -verarbeitung aber sind ein fortdauernder, kaum aufzuhaltender Prozess, der zu neuen Erkenntnissen und technischem Fortschritt führt. Infolge<strong>des</strong>sen ergeben sich immer wieder Veränderungen, zum Beispiel auch solche der Umweltbedingungen und der Entfaltungsmöglichkeiten für Gesellschaft und Individuum. Wenn dagegen Kultivierung erstarrend beim Bewährten verharrt und nicht den kulturellen Fortschritt einbezieht, entsteht zwischen Verharren und Fortschreiten die so genannte ›kulturelle Lücke‹. Eine soziale und kulturelle Lücke verursacht aber – wenn sie nicht überbrückt wird – ruckartige gesellschaftliche Veränderungen <strong>info</strong>lge sich stauender Spannungen, so genannte Sozial- und Kulturrevolutionen. <strong>Die</strong> Trennung der ursprünglichen Baumeister in Architekten und Ingenieure, zwischen Baukunst und Ingenieurtechnik vollzieht sich nach der ersten industriellen Revolution HANS-SACHS-HAUS, GELSENKIRCHEN, ALFRED FISCHER STADT:MENSCH:HEIMAT // STADT:BAUKULTUR 20/21