Pflegeeltern in Harburg kritisieren Jugendamt - Freunde der Kinder ...

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NACH DEM TOD VON CHANTAL
Pflegeeltern in Harburg kritisieren Jugendamt
17.02.2012, 07:14 Uhr Christian Hilmes
Die Initiative Pfeil e.V. fordert, dass die Behörde sozial engagierten Bürgern im Landkreis den Rücken frei
hält, statt sie zu bevormunden.
WINSEN. "Ich habe keine Angst vor einem Drogentest", sagt Christine Reifschläger und greift sich mit einem
Schmunzeln in ihr blondes Haar. Auf ihrem Kopf sei kein Indiz für den Konsum von Haschisch, Speed oder
Kokain zu finden. Dass sie als Pflegemutter aber genau damit in Verbindung gebracht wird, nervt sie sehr.
Würde die Winsenerin in der Hansestadt Hamburg wohnen, hätte sie bis spätestens Mittwoch ein sogenanntes
Drogenscreening über sich ergehen lassen müssen. Mit diesem Pflichttest reagierte Hamburgs Familiensenator
Ende Januar auf den Fall der 13 Jahre alten Chantal, die sich bei ihren beiden suchtkranken Pflegeeltern in
Wilhelmsburg mit der Ersatzdroge Methadon vergiftet hatte.
Inzwischen ist der Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Markus Schreiber, zurückgetreten und der "Fall
Chantal" aus den Medien verschwunden. Probleme im Alltag mit teilweise verhaltensauffälligen Pflegekindern ist
im Hamburger Süden aber nach wie vor ein Thema. Am Mittwochabend stand es beispielsweise auf der
Tagesordnung der ersten Sitzung des neu zusammengesetzten Jugendhilfeausschusses im Winsener Kreishaus.
Im Landkreis Harburg werden aktuell 152 Kinder und Jugendliche in rund 100 Pflegefamilien betreut. 30
Ersatzeltern haben jeweils mehr als ein Pflegekind bei sich aufgenommen. Auf dem ehemaligen Bauernhof von
Christine Reifschläger in Winsen zum Beispiel sind fünf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 16
Jahren untergekommen.
Nachfolger für Kahrs im Jugendhilfeausschuss
"Die Pflegeeltern leisten einen unheimlich großen Dienst für den Landkreis Harburg", sagte Reiner Kaminski vor
den 41 Ausschussmitgliedern. Der Fachbereichsleiter für Gesundheit, Jugend und Soziales in der Winsener
Kreisverwaltung hält sich bei finanziellen Entschädigungen für dieses Engagement zurück. Konkret gefordert
hatten die drei Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen, dass der Landkreis eine
"Gruppenbinnenhaftpflichtversicherung" für alle Pflegeeltern in seinem Zuständigkeitsbereich abschließt.
"Unsere Pflegeeltern und -kinder sind bereits über den Kommunalen Schadenausgleich Hannover
haftpflichtversichert", sagt dazu Kaminski. Eine Gruppenversicherung für alle Betroffenen sei seiner Meinung
nach überflüssig. Dem steht eine "dringende Empfehlung" von Barbara Stiels entgegen. Die Leiterin des
Kreisjugendamtes: "Damit Pflegeeltern einen ausreichenden Versicherungsschutz erhalten, sollten sie eine
'Binnenhaftpflichtversicherung' abschließen." Diese spezielle Zusatzversicherung für Vollzeitpflegeeltern komme
für Schäden auf, die Pflegekinder in den Haushalten ihrer Ersatzeltern anrichten.
Die Beiträge für solche privat abgeschlossenen Einzelpolicen können sich die Pflegeeltern zwar vom Jugendamt
erstatten lassen. Doch für Götz Gerke von der Pflegeelterninitiative im Landkreis Harburg (Pfeil e.V.) ist diese
Gewährung von Einzelanträgen zu wenig: "Wir halten es für die Fürsorgepflicht des Jugendamtes, alle
Pflegeeltern mit Aufnahme eines Pflegekindes ausreichend zu versichern."
"Es geht uns aber eigentlich um viel mehr als die jährlich etwa 21 Euro pro Kind kostende Absicherung der
Pflegeeltern", sagt Gerke. Der Winsener ist zwar leiblicher Vater zweier Kinder. Für die Betreuung seiner drei
Pflegekinder wünscht sich der Vertriebsleiter eines Landhandels oftmals aber notwendiges Hintergrundwissen
aus dem Bereich Sozialpädagogik.
"Wir Pflegeeltern sind zur Teilnahme an Fortbildungen sogar verpflichtet." Nach Gerkes Angaben finden solche
Kurse im Landkreis Harburg seit mindestens acht Jahren nicht mehr statt. "Wir halten die Weiterbildung in
Erziehungsfragen aber für sehr wichtig, um mit den teils stark vorgeprägten Kindern richtig umzugehen und die
richtigen Therapien in die Wege zu leiten", so der Sprecher des Vereins, in dem 35 Familien Mitglied sind. Sie

etreuen 45 Pflegekinder, die mitunter sexuelle Gewalt erfahren haben und deren leibliche Eltern teilweise
psychisch oder suchtkrank sind.
Um einen zweiten "Fall Chantal" zu vermeiden, bei dem eine Halbwaise in die Hände von unzuverlässigen
Ersatzeltern gegeben wurde, müssen angehende Pflegeeltern im Landkreis Harburg ein erweitertes
Führungszeugnis vorlegen. Tadellos muss auch das Gesundheitszeugnis sein, das in Einzelfällen eingefordert
wird. Die Bewerber sollen "wirtschaftlich unabhängig" sein und über "kindgerechten hygienischen" Wohnraum
verfügen.
Die Interessen der durchleuchteten Ersatzeltern vertritt Götz Gerke bei der Wiedervorlage des am Mittwoch
vertagten Grünen-Antrags bei der nächsten Ausschusssitzung am 23. Mai auch mit der Forderung nach mehr
Personal im Pflegekinderdienst. "Die zwei Mitarbeiterinnen sind völlig überlastet", sagt Gerke. "Nach dem
Berechnungsschlüssel für die Jugendämter in Niedersachsen müssten es bei uns mindestens vier
Vollzeitarbeitskräfte sein."