STYL_H_BS_WOB_03_S.78-85_Oper
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<strong>03</strong> | 2016 ·Architektur. Interieur. Design. Fotografie.<br />
„Am Tag der Aufführung mache ich fast nichts<br />
– ich spare Energie“, sagt die Sängerin. Zu Hause<br />
noch einmal die Noten ansehen, schön frühstücken<br />
und manchmal spazieren gehen, um<br />
den Kreislauf in Schwung zu bringen. Ganz<br />
wichtig: Das Mittagessen nicht später als vier<br />
Stunden vor der Vorstellung einnehmen, keine<br />
zu großen Portionen essen und unbedingt selber<br />
kochen. „Dann weiß ich, was drin ist. Heute<br />
gab es Hähnchenleber und Rucolasalat“, erzählt<br />
die Sopranistin.<br />
Sie sitzt im Schminkmantel vor dem Spiegel<br />
und verfolgt, wie Maskenbildnerin Nelli Abel<br />
sie in knapp 45 Minuten Schritt für Schritt in<br />
„Manon Lescaut“ verwandelt. Erst das extrastarke<br />
Bühnen-Make-up, dann Puder und<br />
Rouge auf die Wangen, dann die falschen Wimpern,<br />
zum Schluss der Lippenstift. „Eben war<br />
ich noch ich, aber mit der Maske nehme ich<br />
mehr und mehr meine Rolle an“, erklärt Karine<br />
Babajanyan. Als letztes setzt ihr Nelli Abel<br />
noch die dunkle Perücke mit den streng nach<br />
hinten gekämmten Haaren und dem braven<br />
Seitenzopf auf.<br />
Im Laufe des Abends wird die Sängerin die<br />
Zopffrisur gegen zwei weitere Perücken auswechseln.<br />
Im zweiten Akt ist es eine graue Rokoko-Perücke.<br />
In der Gefängnisszene im dritten<br />
Akt und der Sterbeszene im vierten Akt<br />
sind die Haare wirr und offen. Alle drei Perücken<br />
sind aus Echthaar. Nelli Abel hat sie selber<br />
geknüpft und an jeder von ihnen fast 50<br />
Stunden gesessen. „Je größer der Kopf, desto<br />
größer der Aufwand“, sagt die Maskenbildnerin.<br />
An Herrenperücken sitzt man daher etwas<br />
länger.<br />
Plötzlich betritt unerwarteter Besuch die Garderobe.<br />
<strong>Oper</strong>nsänger Michael Dries schaut<br />
vorbei. In „Manon Lescaut“ spielt er den „Geronte<br />
de Ravoir“, einen alternden Lebemann,<br />
der „Manon Lescaut“ für kurze Zeit ein Leben<br />
im Luxus bietet, sie später aber wegen Diebstahls<br />
verhaften lässt. Seinen edlen Gehrock<br />
und die graue Rokoko-Perücke trägt der Solist<br />
jetzt allerdings noch nicht. Von seinem Kostüm<br />
hat er lediglich schon die schwarze Kniehose<br />
an. Die Füße stecken auch noch nicht in<br />
eleganten Schnallenschuhen, sondern in gemütlichen<br />
Filzpantoffeln.<br />
„Wollen wir nochmal tanzen?“, fragt Michael<br />
Dries. Karine Babajanyan zückt sofort ihr<br />
Handy und kurze Zeit später erklingt daraus<br />
die Melodie des Menuetts, das beide als „Manon“<br />
und „Geronte“ in etwa zwei Stunden gemeinsam<br />
auf der Bühne tanzen werden. Jetzt<br />
tanzen sie auf dem Flur. Verbeugung, Knicks,<br />
eins, zwei, aufeinander zu, umeinander herum.<br />
Michael Dries schaut skeptisch. Da kommt<br />
Unterstützung. Anastasia Bobrykova, ehemalige<br />
Solotänzerin des hannoverschen Ballettensembles<br />
und jetzt Inspizientin, korrigiert<br />
die Haltung des Tanzpaares. „Die Verbeugung<br />
muss präzise sein“, betont sie. Dries zieht die<br />
1 5<br />
2 6<br />
3 7<br />
4 8<br />
9<br />
Die Ruhe vor dem Sturm<br />
Pantoffeln aus und macht auf Strümpfen weiter.<br />
Das Menuett gelingt. „Jetzt hammer’s“,<br />
freut sich der gebürtige Münchner. Noch eine<br />
letzte herzliche Umarmung vor dem Auftritt<br />
und der Solist verschwindet wieder in Richtung<br />
Herren-Garderobe.<br />
Karine Babajanyan huscht derweil in den Einsingraum.<br />
Durch die geschlossene Tür dringt<br />
kurz darauf Gesang und Klaviermusik. Die Sopranistin<br />
macht zuerst Übungen zum Aufwärmen<br />
der Stimme und singt danach ein paar<br />
Passagen aus dem Stück. Anschließend geht es<br />
wieder zurück in die Garderobe. Ankleiderin<br />
Birgit Klötzer wartet schon mit dem ersten<br />
Kostüm – einem schwarzen, schlichten Kleid.<br />
Babajanyan nennt es ihr „Klosterkleid“. Es hat<br />
unzählige Haken, Ösen und Knöpfe. Klötzer<br />
hat mit dem Schließen alle Hände voll zu tun.<br />
Sie zurrt die rosafarbene Korsage darunter fest<br />
und streicht das Kleid darüber glatt. „Alle Kostüme<br />
sind historisch an das 18. Jahrhundert<br />
angelehnt“, sagt die Ankleiderin.<br />
Karine Babajanyans absolutes Lieblingskleid<br />
ist aber das gelbe, das sie im zweiten Akt trägt.<br />
Ein Traum aus viel, viel Stoff mit ellbogenlangen<br />
und halb aufgesetzten Ärmelaufschlägen<br />
und ausgestelltem Rock. Um die schwarze gegen<br />
die gelbe Robe auszutauschen, bleiben der<br />
<strong>Oper</strong>nsängerin in der Umbaupause zwischen<br />
dem ersten und zweiten Akt gerade einmal drei<br />
Minuten. Die Zeit ist so knapp bemessen, dass<br />
die Sopranistin den so genannten schnellen<br />
Umzug samt Perückenwechsel nicht in ihrer<br />
eigenen Garderobe, sondern in einer mobilen<br />
Extrakabine direkt hinter der Bühne bewerkstelligen<br />
muss.<br />
Nur noch etwa 45 Minuten bis Vorstellungsbeginn:<br />
In der Garderobe kommt ein wenig Hektik<br />
auf. Erst schaut der Regieassistent vorbei,<br />
dann eine Mitarbeiterin aus dem künstlerischen<br />
Betriebsbüro. Beide wünschen: „Toi, toi,<br />
toi!“ Als nächstes schneit Generalmusikdirektor<br />
Ivan Repušsiće herein, der die Vorstellung<br />
heute dirigieren wird. Er trägt Frack, weißes<br />
Hemd und Fliege und hat die Noten dabei. Er<br />
will noch kurz auf etwas hinweisen, spricht<br />
schnell, gestikuliert – und ist auch schon wieder<br />
weg.<br />
1 - 4 Mit viel Schminke und dunkler<br />
Perücke verwandelt Maskenbildnerin<br />
Nelli Abel die Sängerin Karine<br />
Babajanyan in „Manon Lescaut“.<br />
5 + 6 Kurz vor Vorstellungsbeginn<br />
proben Karine Babajanyan und<br />
Michael Dries (er spielt die Rolle<br />
des „Geronte de Ravoir“) das<br />
Menuett, das sie auf der Bühne<br />
tanzen werden.<br />
7 + 8 Noch ein letzter Blick auf<br />
die Noten, bevor die Sopranistin<br />
mit Gesangsübungen ihre Stimme<br />
aufwärmt.<br />
9 Letzte Minuten voller Konzentration<br />
in der Garderobe hinter der<br />
Bühne.<br />
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