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Katholische Kirche - _Wir wollen mehr, als den Zölibat infrage stellen_ - Süddeutsche

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Panorama<br />

14. Januar 2017, 14:10 <strong>Katholische</strong> <strong>Kirche</strong><br />

"<strong>Wir</strong> <strong>wollen</strong> <strong>mehr</strong>, <strong>als</strong> <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong><br />

<strong>infrage</strong> <strong>stellen</strong>"<br />

Elf Priester verlangen in einem offenen Brief tiefgreifende Reformen. Einer von ihnen<br />

ist der Kölner Pfarrer Franz Decker. Ein Gespräch über leere <strong>Kirche</strong>n und einsame<br />

Männer.<br />

Interview von Felicitas Kock<br />

Eine Gruppe katholischer Priester aus dem Rheinland hat in einem offenen Brief ihren<br />

Unmut über die Entwicklung der <strong>Kirche</strong> zum Ausdruck gebracht. Die Männer, die sich seit<br />

ihrer Weihe vor 50 Jahren regelmäßig treffen, fordern eine Öffnung des Priesteramtes<br />

für Frauen, sie <strong>wollen</strong> ein gemeinsames Abendmahl von Protestanten und Katholiken -<br />

und <strong>stellen</strong> <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong> <strong>infrage</strong>. Auch Franz Decker war an der Entstehung des Briefs<br />

beteiligt. Er war 24 Jahre lang Gemeindepfarrer, hat elf Jahre <strong>den</strong> Kölner Caritasverband<br />

geleitet und ist jetzt im Ruhestand.<br />

Herr Decker, Sie haben mit Ihrem gemeinsamen Brief für großen <strong>Wir</strong>bel gesorgt. Sind<br />

Sie zufrie<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> Reaktionen?<br />

Mit diesem Echo haben wir tatsächlich nicht gerechnet. Dementsprechend groß ist jetzt<br />

die Freude, dass sich so viele Menschen für das interessieren, was wir zu sagen haben.<br />

Mit einer Einschränkung: <strong>Wir</strong> <strong>wollen</strong> mit unserem Brief <strong>mehr</strong>, <strong>als</strong> <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong> <strong>infrage</strong><br />

<strong>stellen</strong>. Das Thema kommt erst im allerletzten Absatz zur Sprache - trotzdem geht es in<br />

der öffentlichen Debatte jetzt nur darum.<br />

Vielleicht, weil es sich um ein Thema handelt, zu dem auch viele Menschen außerhalb<br />

der <strong>Kirche</strong> eine Meinung haben. Woher kommt ihre kritische Haltung dazu?<br />

<strong>Wir</strong> haben in der Ausbildung gelernt, dass man <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong> <strong>als</strong> Quelle der Spiritualität<br />

sehen soll und dass er Energie freisetzt für die Beziehung zur Gemeinde. Es hieß, man<br />

müsse zum <strong>Zölibat</strong> berufen sein. Das habe ich so nie gefühlt. Ich fühlte mich zum<br />

Priesteramt berufen, nicht zum <strong>Zölibat</strong>. Wenn man das dam<strong>als</strong> zur f<strong>als</strong>chen Person<br />

sagte, war das ein Weihehindernis. Aber ich habe im Lauf der vergangenen 50 Jahre<br />

wirklich nie festgestellt, dass das zölibatäre Leben eine Quelle meiner Spiritualität war.<br />

In Ihrem Brief heißt es, der <strong>Zölibat</strong> schaffe eine Einsamkeit, die es so nicht bräuchte.


Der <strong>Zölibat</strong> ist ja <strong>als</strong> Lebensform von Mönchen zu Beginn des Mittelalters entstan<strong>den</strong>.<br />

Die haben in großen Gemeinschaften gelebt und gewirkt. Das war für diese Lebensform<br />

ein ganz anderer Hintergrund. Mit dem Leben eines alleinstehen<strong>den</strong> Priesters von heute<br />

hat das wenig zu tun. Ich habe vielfach gesehen, dass Leute, die sich für <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong><br />

entschie<strong>den</strong> haben, schlicht beziehungsunfähig waren. Aber ein zölibatäres Leben<br />

dröselt so etwas nicht auf, sondern fördert es. Gleichzeitig heißt der <strong>Zölibat</strong> nicht, dass<br />

man alleine bleiben muss. Ich habe immer mit <strong>mehr</strong>eren Leuten in einer<br />

Hausgemeinschaft zusammengewohnt. Einmal während des Bosnienkrieges mit einer<br />

Flüchtlingsfamilie. Das hat mich herausgefordert, aber ebenso auch getragen und das<br />

hat mir immer Inspiration und Bo<strong>den</strong>haftung für meinen Beruf gegeben.<br />

<strong>Katholische</strong> Priester beklagen Einsamkeit<br />

Hochrangige Geistliche aus dem Rheinland wen<strong>den</strong> sich in einem offenen Brief gegen das <strong>Zölibat</strong>. Das<br />

erzwungene Leben <strong>als</strong> Alleinstehende mache sie zu "altern<strong>den</strong> Ehelosen". <strong>mehr</strong> ...<br />

Also sind Sie nicht für eine Abschaffung des <strong>Zölibat</strong>s, wie nun vielerorts zu lesen ist?<br />

<strong>Wir</strong> sind für Flexibilität. Als <strong>Kirche</strong>nleitung sollte man <strong>den</strong> <strong>Zölibat</strong> nicht allgemein<br />

verpflichtend machen. Die Priester sollen die Wahl haben. Natürlich wer<strong>den</strong> sich dann<br />

viele dagegen entschei<strong>den</strong>. Aber das ist in Ordnung. Die Vorstellung, der Priester könne<br />

nur zölibatär ein guter Priester sein, ist eine klassische historisch überholte<br />

Männervorstellung einer von Männern dominierten klerikalen <strong>Kirche</strong>. Diese Vorstellung<br />

ist es, die abgeschafft gehört.<br />

Wie lange haben Sie <strong>den</strong>n an dem Schreiben gearbeitet? Waren sich alle einig oder<br />

haben Sie viel gerungen?<br />

<strong>Wir</strong> waren uns bis zum Schluss nicht einig. <strong>Wir</strong> treffen uns jetzt seit unserer<br />

Priesterweihe vor 50 Jahren einmal im Monat. Dass es gelungen ist, diese Treffen am<br />

Leben zu halten, ist bei all dem Alltagsstress schon ein kleines Wunder. Als klar war, dass<br />

wir in diesem Jahr eine gemeinsame Feier abhalten <strong>wollen</strong>, haben wir darüber<br />

gesprochen, wie wir die vergangenen 50 Jahre eigentlich sehen. Irgendwer hat dann<br />

einen Zettel auf <strong>den</strong> Tisch gelegt und vorgeschlagen, alles aufzuschreiben. Den<br />

Textvorschlag, der am Ende herauskam, haben wir lange diskutiert. Am Schluss sagte<br />

einer: Das unterschreibe ich nicht, das ist viel zu brav. Aber jetzt stehen alle dahinter.<br />

Die Gruppe, die jetzt <strong>den</strong> Brief verfasst hat, hat schon 2012 beim "Aufruf zum<br />

Ungehorsam" des ehemaligen Wiener Generalvikars Helmut Schüller mitgemacht.<br />

Dam<strong>als</strong> erhielten Sie vom Kölner Kardinal Meisner und auch von Papst Franziskus eine<br />

klare Absage. Jetzt gehen Sie mit <strong>den</strong> <strong>mehr</strong> oder weniger gleichen Forderungen an die<br />

Öffentlichkeit.<br />

Natürlich sind das alles Langzeitforderungen. Die Priesterweihe der Frau zum Beispiel ist<br />

<strong>als</strong> Theoriefrage so weit diskutiert, dass man auf dieser Ebene nicht <strong>mehr</strong> groß zu re<strong>den</strong><br />

braucht. Es hat sich viel getan in <strong>den</strong> vergangenen Jahren, Frauen übernehmen schon


jetzt so viele wichtige Aufgaben. Ich <strong>den</strong>ke, das wird weiter so ablaufen: in kleinen<br />

Schritten, bis die Frauenordination irgendwann doch unausweichlich ist. Ich gehe nicht<br />

davon aus, dass ich diesen Schritt noch erleben werde. Aber dass er kommt, finde ich für<br />

die Gemeindepraxis und vor allem für die Glaubwürdigkeit der <strong>Kirche</strong> unumgänglich.<br />

Franz Decker war 24 Jahre lang Gemeindepfarrer.<br />

(Foto: privat)<br />

Sie schreiben, dass es schmerzt, dass heute nur noch so wenige Menschen in die<br />

<strong>Kirche</strong> kommen.<br />

Ja, das ist hart zu sehen, vor allem bei jungen Leuten. Ich habe sechs Geschwister, von<br />

<strong>den</strong>en sich <strong>mehr</strong>ere in der <strong>Kirche</strong> engagieren. Ihre Kinder interessieren sich aber<br />

größtenteils nicht für das Thema. Das hat vielerlei Gründe und liegt auch an der<br />

allgemeinen Entwicklung unserer Gesellschaft, <strong>als</strong>o außerhalb unseres Einflusses. Aber<br />

natürlich müssen wir etwas tun: <strong>Wir</strong> müssen zum Beispiel eine neue Sprache fin<strong>den</strong>, mit<br />

der wir die Leute erreichen. In der Bibel stehen ja nicht irgendwelche alten Geschichten.<br />

Dort steht, was die Menschen unbedingt angeht, auch heute. Nur müssen die biblischen<br />

Metaphern und Bilder wieder verständlich gemacht wer<strong>den</strong>.<br />

Warum sind Sie Priester gewor<strong>den</strong>?<br />

Ich war 18, <strong>als</strong> ich mich dafür entschie<strong>den</strong> habe. Das war dam<strong>als</strong> in meinem Umfeld ein<br />

ganz normaler, gängiger Beruf. Ich stamme aus einer gutkatholischen Familie. Einige<br />

meiner Tanten und Onkel waren Or<strong>den</strong>sleute, ein Bruder meines Vaters war Priester. Den<br />

Kölner Kardinal Frings habe ich schon durch meinen Großvater kennengelernt, da war ich<br />

noch ein kleiner Junge. Ich empfand das Priesteramt <strong>als</strong> Beruf mit einer verlocken<strong>den</strong><br />

Vision, für die ich mich einsetzen wollte. Das ist bis heute so geblieben. Aber natürlich<br />

haben wir in der Ausbildung viel erlebt, was schrecklich verspießt war. Dagegen haben<br />

wir uns immer gewehrt. Meine erste Stelle entsprach überhaupt nicht meinen<br />

Vorstellungen von Seelsorge. Ich habe mich schlecht ausgebildet gefühlt und deshalb<br />

zusätzlich zum Theologiestudium noch Pädagogik in Frankfurt studiert. Da habe ich bei<br />

der Stu<strong>den</strong>tenbewegung mitgemacht und war nach der Diplom-Prüfung noch drei Jahre<br />

dort Stu<strong>den</strong>tenpfarrer. Das waren für mich wichtige und prägende Erfahrungen.<br />

In Ihrem Brief äußern Sie deutliche Kritik. Aus ihm geht auch hervor, dass Sie sich nach<br />

dem zweiten Vatikanischen Konzil größere Veränderungen erhofft hatten. Mit dem<br />

Wissen, das Sie heute haben: Wür<strong>den</strong> Sie noch einmal <strong>den</strong> gleichen Weg einschlagen?


Meine Entscheidung für das Priesteramt fiel vor dem Konzil, das hat mich dam<strong>als</strong> <strong>als</strong>o<br />

nicht beeinflusst. Mit dem heutigen Wissen..., ja, ich <strong>den</strong>ke, ich hätte das trotzdem<br />

gemacht. Wenn ich das <strong>als</strong> 18 Jähriger in der heutigen Zeit zu entschei<strong>den</strong> hätte, bin ich<br />

mir nicht so sicher. Wenn mich heute ein junger Mann fragen würde, ob er Priester<br />

wer<strong>den</strong> soll, würde ich mit ihm über seine beruflichen Erwartungen nach<strong>den</strong>ken, ich<br />

würde ihn nach seiner Weltzugewandtheit fragen - und ihm ein Stück von meiner Vision<br />

der Nachfolge Christi erzählen.<br />

"Die Not vieler Seelsorger ist groß"<br />

Immer <strong>mehr</strong> Priester und Or<strong>den</strong>sleute fühlen sich überfordert. Der Therapeut Wunibald Müller hilft<br />

ihnen, ihre Lebenskrise zu bewältigen. Matthias Drobinski <strong>mehr</strong> ...<br />

URL: http://www.sueddeutsche.de/panorama/katholische-kirche-wir-<strong>wollen</strong>-<strong>mehr</strong>-<strong>als</strong>-<strong>den</strong>-zoelibat<strong>infrage</strong>-<strong>stellen</strong>-1.3332013<br />

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Quelle: SZ.de/mane<br />

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