Patina in der Mode - Kostüm und Modekuratorin, Mode
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Ursula Strate<br />
<strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Mode</strong><br />
<strong>Mode</strong> kann ke<strong>in</strong>e <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> ansetzen; das können<br />
nur die Klei<strong>der</strong>, <strong>in</strong> denen sie sich präsentiert -<br />
doch dann s<strong>in</strong>d diese meist aus <strong>der</strong> <strong>Mode</strong>. <strong>Mode</strong><br />
kann aber <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> vortäuschen <strong>und</strong> mit ihr <strong>in</strong> natürlicher<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> künstlicher Form spielen. Verschiedene<br />
Trends <strong>und</strong> <strong>Mode</strong>n wie die <strong>der</strong> Punks, <strong>der</strong><br />
Lumpen- <strong>und</strong> Grunge-Look sowie die Recycl<strong>in</strong>gmode<br />
führen uns falsche <strong>und</strong> echte <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> vor.<br />
Das Material e<strong>in</strong>es Kleidungsstücks altert entsprechend<br />
se<strong>in</strong>er Beanspruchung. Es wird beim<br />
Tragen gedehnt <strong>und</strong> zusammengeschoben; es<br />
bekommt Beulen <strong>und</strong> Knitterfalten - egal ob es<br />
sich um Gewebtes, Gestricktes o<strong>der</strong> um Le<strong>der</strong><br />
handelt. Die Qualität <strong>der</strong> Ware spielt bei <strong>der</strong> Stärke<br />
<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen ebenso e<strong>in</strong>e Rolle wie <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>fluß von Wärme <strong>und</strong> Feuchtigkeit. Der fe<strong>in</strong>e<br />
Faserflor auf textilen Oberflächen wird aufgerauht<br />
<strong>und</strong> abgerieben. An den Bruchkanten <strong>der</strong> Säume<br />
zeigt sich <strong>der</strong> Faserverlust zuerst. Wie abrasiert<br />
wirken strapazierte Flächen; die Gewebeb<strong>in</strong>dung<br />
tritt überdeutlich hervor. Die Stoffpartie sieht<br />
>speckig< aus. Er<strong>in</strong>nert sei hier an die Glanzflächen<br />
bei täglich getragenen Herrenanzügen,<br />
die sich am Gesäß, am Knie <strong>und</strong> an den Taschene<strong>in</strong>griffen<br />
e<strong>in</strong>stellen. Bei den schlechten Stoffqualitäten<br />
<strong>der</strong> Nachkriegszeit mußte e<strong>in</strong> Anzug<br />
fast täglich mit Dampf aufgebügelt werden, um<br />
den plattgepressten Faserflor wie<strong>der</strong> aufzurichten.<br />
In den Kriegs- <strong>und</strong> Nachkriegsjahren gab es<br />
schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e >Recycl<strong>in</strong>gmode< - aus<br />
<strong>der</strong> Not heraus. Getragene Gar<strong>der</strong>obe wurde<br />
ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>getrennt, gewendet, überfärbt<br />
<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> verarbeitet. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
bot das <strong>Mode</strong>bild <strong>in</strong> jener Zeit<br />
Zusammengestückeltes unterschiedlicher<br />
Materialien <strong>und</strong> Farben. Klei<strong>der</strong>, Mäntel <strong>und</strong><br />
Jacken hatten abgesetzte Passen, Blenden,<br />
Taschen, Krägen usw. Damen- wie<br />
Herrenschnei<strong>der</strong> hatten viel Arbeit damit,<br />
Decken aus Armeebeständen,<br />
Fallschirmseide <strong>und</strong> Uniformen <strong>in</strong> modische<br />
Bekleidung zu verwandeln.<br />
Ich habe noch die Klei<strong>der</strong> vor Augen, die<br />
me<strong>in</strong>e Mutter <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e ältere Schwester<br />
Anfang 1950 trugen. Sie waren aus schwarzweiß-roten<br />
Fahnen geschnei<strong>der</strong>t - die <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong><br />
- 1 -<br />
Berl<strong>in</strong>s <strong>Mode</strong>nblatt 1943:<br />
„Hübsches machen aus alten Sachen“<br />
Berl<strong>in</strong>er <strong>Mode</strong>nblatt 1943:<br />
„Aus zwei mach e<strong>in</strong>s“
unter großer, weitläufiger Blütenstickerei<br />
versteckt. Me<strong>in</strong>en Brü<strong>der</strong>n kratzten die knielangen<br />
Stoffhosen an den Be<strong>in</strong>en, die aus<br />
den gewendeten Tuchröcken <strong>und</strong> Anzügen<br />
des Großvaters genäht worden waren. "Es<br />
ist ja so e<strong>in</strong> gutes Tuch", kl<strong>in</strong>gt mir noch <strong>in</strong><br />
den Ohren. Mit „Krausem<strong>in</strong>zwasser“ wurden<br />
die ehemaligen Nahtlöcher bearbeitet: E<strong>in</strong><br />
Hausmittel, das die Fasern zum Aufquellen<br />
br<strong>in</strong>gt <strong>und</strong> die Löcher schließt.<br />
Heutzutage wan<strong>der</strong>t abgelegte Garde-<br />
Robe auf den Flohmarkt, <strong>in</strong> den Sack <strong>der</strong> Alt-<br />
klei<strong>der</strong>sammlung, o<strong>der</strong> - wenn sie noch modisch<br />
aktuell <strong>und</strong> ohne sichtbare <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> ist - kommt<br />
sie vielleicht <strong>in</strong> den Secondhandladen. Manche Zwei <strong>Kostüm</strong>e nie<strong>der</strong>ländischer Punks.<br />
kostbare Hülle f<strong>in</strong>det sich auch als kulturge-<br />
schichtliches Dokument <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Museums-<br />
sammlung wie<strong>der</strong>. <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> spielt dann bei <strong>der</strong><br />
Konservierung e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Rolle. In unseren<br />
Klei<strong>der</strong>schränken hängt so manches alte Stück,<br />
das mit dem Älterwerden e<strong>in</strong>e Edelpat<strong>in</strong>a bekom-<br />
men hat. Dazu zählen meist die echten Klassiker.<br />
Denken wir beispielweise an den berühmten<br />
Trenchcoat (Marke Burberry), <strong>der</strong> nicht neu aus-<br />
sehen darf. Man schätzt ihn erst richtig mit <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> –<br />
wie bei e<strong>in</strong>er Bronzeplastik. Abgerissene Klamot-<br />
ten gelten bei Rocker-Gruppen als Statussymbol.<br />
Auch Le<strong>der</strong>kleidung braucht das Aussehen von<br />
Getragenem. E<strong>in</strong> gutes Beispiel: die hirschle<strong>der</strong>-<br />
ne Knieb<strong>und</strong>hose <strong>der</strong> bayerischen <strong>und</strong> österrei-<br />
chischen Regionaltrachten. Wenn so e<strong>in</strong>e „Büx“<br />
nicht speckig ist, fühlt sich <strong>der</strong> Träger nicht wohl.<br />
Der Soziologe <strong>und</strong> Philosoph Georg Simmel<br />
schrieb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Philosophie <strong>der</strong> <strong>Mode</strong>, 1905: "Der<br />
Mensch, <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Mode</strong> folgen kann <strong>und</strong> will, trägt<br />
öfters neue Klei<strong>der</strong>. Das neue Kleid aber bestimmt<br />
unsere Haltung mehr als das alte, das schließlich<br />
ganz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Richtung unserer <strong>in</strong>dividuellen Gesten<br />
ausgearbeitet ist, e<strong>in</strong>er jeden wi<strong>der</strong>standslos nach-<br />
gibt <strong>und</strong> oft <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>sten Beson<strong>der</strong>heiten unsere In-<br />
nervationen sich verraten läßt. Daß wir uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
alten Gewande >behaglicher< fühlen, als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Nie<strong>der</strong>ländisches <strong>Kostüm</strong>museum, Den<br />
Haag.<br />
neuen, bedeutet nichts an<strong>der</strong>es, als daß dieses uns Lucas Cranach d. Ä., He<strong>in</strong>rich <strong>der</strong><br />
se<strong>in</strong> eigenes Formgesetz auferlegt, das mit längerem<br />
Tragen allmählich <strong>in</strong> das unserer Bewegungen übergeht."<br />
Fromme, Herzog von Sachsen,1514,<br />
Öl auf L<strong>in</strong>denholz, 92 x 75 cm,<br />
Staatliche Kunstsammlungen ,<br />
Dresden<br />
Um das Gefühl für e<strong>in</strong>getragene Klei<strong>der</strong> herzustellen, pflegen englische Herrenschnei<strong>der</strong>,<br />
neu gefertigte Gar<strong>der</strong>obe für ihre noblen Lords zuvor von Studenten tragen zu lassen.<br />
- 2 -
Was man seit Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>in</strong> <strong>der</strong> Adels-<br />
kleidung als Bescheidenheit <strong>und</strong> Wertschätzung von<br />
<strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> bezeichnen könnte, ist <strong>in</strong> Wirklichkeit e<strong>in</strong>e bewus-<br />
ste Untertreibung, um sich gegen die modische Annähe-<br />
rung <strong>der</strong> Bourgeoisie zu wehren. "...Man gibt e<strong>in</strong> Vermö-<br />
gen aus, nur um auszusehen, als hätte man sich auf<br />
dem Flohmarkt e<strong>in</strong>gekleidet“, läßt Simone de Beauvoir<br />
1966 e<strong>in</strong>e Dame <strong>der</strong> Gesellschaft äußern; die Stelle f<strong>in</strong>-<br />
det sich <strong>in</strong> ihrem Roman Die Welt <strong>der</strong> schönen Bil<strong>der</strong>,<br />
<strong>in</strong> dem die Schriftsteller<strong>in</strong> mit Schärfe <strong>und</strong> Ironie die<br />
Welt <strong>der</strong> Neureichen schil<strong>der</strong>t. Ihre Akteur<strong>in</strong> trägt teuer-<br />
ste Haute Couture mit Pseudo-<strong>Pat<strong>in</strong>a</strong>, nur um so auszu-<br />
sehen, als kaufe sie ihre Klei<strong>der</strong> secondhand - sie will<br />
auf ke<strong>in</strong>en Fall den übrigen Damen gleichen, die auf-<br />
fällige Chanel-<strong>Kostüm</strong>e tragen.<br />
Die Unterscheidung von se<strong>in</strong>esgleichen o<strong>der</strong> von ande-<br />
ren Gesellschaftsschichten - ob durch Übertreibung o<strong>der</strong><br />
wie hier durch Un<strong>der</strong>statement - spielt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Mode</strong> e<strong>in</strong>e<br />
Hauptrolle. Die Abgrenzung junger Designertalente von<br />
<strong>der</strong> älteren Generation wird gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>beziehung<br />
von <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>in</strong> ihren Kreationen deutlich. Das nicht, weil<br />
sie sich moralisch dem Recycl<strong>in</strong>g verpflichtet fühlten. Sie<br />
benutzen es als Ausdrucksmittel <strong>der</strong> Destruktion.<br />
<strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> als <strong>Mode</strong>faktor ist ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung unserer Zeit. Wie<br />
uns die <strong>Kostüm</strong>geschichte zeigt, gibt es frühere Beispiele.<br />
So wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Renaissance-<strong>Mode</strong>, als mit <strong>der</strong> Wertschät-<br />
zung <strong>der</strong> Arbeit auch die Arbeitskleidung ihren deklassieren-<br />
den Charakter verlor, unter an<strong>der</strong>em die Schlitzmode <strong>der</strong><br />
Kriegsleute „lanciert“ (vgl. Erika Thiel, Geschichte des Ko-<br />
stüms, Berl<strong>in</strong> 1960). Die Landsknechte schlitzten Wams <strong>und</strong><br />
Hose auf, weil sie unter <strong>der</strong> engen Kleidung litten. In <strong>der</strong> Mo-<br />
De wurde diese Eigenart aufgegriffen. Der ursprüngliche S<strong>in</strong>n<br />
Des Aufschlitzens wich im Laufe des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts re<strong>in</strong>er<br />
Dekoration. Es wurde zum <strong>Mode</strong>geck, <strong>der</strong> auch am Hof sei-<br />
nen E<strong>in</strong>zug hielt. E<strong>in</strong> schönes <strong>und</strong> aufschlussreiches Beispiel<br />
dafür, daß auch schon früher <strong>Mode</strong>e<strong>in</strong>flüsse von <strong>der</strong> Straße<br />
kamen. E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s anschauliche Darstellung dieser Mo-<br />
delaune bei Hofe zeigt uns Lucas Cranach d. Ä. im Bildnis<br />
Herzog He<strong>in</strong>richs des Frommen von Sachsen aus <strong>der</strong> Zeit<br />
um 1514.<br />
Vivienne Westwood, die schräge <strong>Mode</strong>designer<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />
ehemalige „Punk-Queen“ aus London, zeigte bei ihrem<br />
Pariser Defilee <strong>der</strong> Herbst/W<strong>in</strong>terkollektion 1991/92 die<br />
gleiche flächendeckende Schlitztechnik an ihren Krea-<br />
tionen. Glatte Le<strong>der</strong>oberteile hatten viele kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schnitte -<br />
e<strong>in</strong> agressives Design, das nur durch die Anordnung im<br />
Muster gemil<strong>der</strong>t wurde. Auch die Jeans dieser Show<br />
waren <strong>in</strong> senkrechten parallelen L<strong>in</strong>ien aufgeschlitzt.<br />
- 3 -<br />
Vivienne Westwoods<br />
„geschlitzte <strong>Mode</strong>“ Herbst/W<strong>in</strong>ter<br />
1991/92. aus:<br />
COLLECTIONS II, Paris-London’91<br />
– ’92, Autumn & W<strong>in</strong>ter, published<br />
by GAP JAPAN CO., Ltd.<br />
Geschlitze Jeans von Vivienne<br />
Westwood
Was im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Effekt des weißen Le<strong>in</strong>enhemds unter dem geschlitzten Wams<br />
bewirkte, das man als Schmuckwerk durch die Schlitzöffnungen zog <strong>und</strong> aufbauschte,<br />
besorgten hier die hellen Ausfransungen<br />
des Jeansstoffes (Denim) an Schnitt- <strong>und</strong> Bruchstellen.<br />
Das Indigoblau <strong>der</strong> oxidativ geschädigten Baumwollfaser<br />
ersche<strong>in</strong>t durch das Aufspleißen <strong>und</strong> durch die Lichtrefle-<br />
xion an <strong>der</strong> Oberfläche fast weiß. Der italienische <strong>Mode</strong>-<br />
designer <strong>und</strong> Schockspezialist <strong>der</strong> Szene, Franco<br />
Mosch<strong>in</strong>o, benutzte diesen weißen Franseneffekt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Sommerkollektion 1995 wie Fellbesätze an Ärmel <strong>und</strong> Kragen<br />
se<strong>in</strong>er Jeansjacken.<br />
Gerade die Jeans mit ihrer weltweiten Fangeme<strong>in</strong>de bei<br />
jung <strong>und</strong> alt ist e<strong>in</strong> Kleidungsstück, an dem <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> Be-<br />
deutung hat - auch wenn sie <strong>in</strong> den meisten Fällen<br />
künstlich herbeigeführt ist. Sie übermittelt dem Träger<br />
das stolze Gefühl von überstandenen Abenteuern <strong>und</strong><br />
vom Besitz e<strong>in</strong>es unverwüstlichen Kleidungsstückes.<br />
Um den steifen Denim-Stoff <strong>der</strong> blauen Nietenhose Junya Watanabe für „Comme des<br />
tragbarer zu machen, wird die Jeans vorgewaschen.<br />
Das erzeugt die erste <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong>. E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Ergebnis<br />
zeigt die Wäsche mit Lava-Geste<strong>in</strong>. Die so bearbeitete<br />
(stone-washed) Jeans wurde noch weicher, weil die<br />
Fibrillen ihrer Baumwolle, das Fasergefüge, dabei<br />
aufgerieben werden. Weitere Manipulationen, wie<br />
das Waschen <strong>der</strong> Jeanskleidung mit bleichenden<br />
Substanzen („bleach-washed“, Chlorbleichlaugen<br />
<strong>und</strong> Natriumhydrochlorit), werden mit <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>wäsche<br />
komb<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> lassen den Stoff noch strapazierter aus-<br />
sehen.<br />
Da viele Designer <strong>und</strong> die Bekleidungs<strong>in</strong>dustrie<br />
an diesem modischen <strong>und</strong> funktionellem Produkt verdie-<br />
nen wollen, versucht je<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>e >neue< Jeans auf den<br />
Markt zu br<strong>in</strong>gen. <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> gehört <strong>in</strong> ihr kreatives Konzept.<br />
So legte vor drei Jahren die italienische Jeans-Firma<br />
Diesel e<strong>in</strong>e Hose <strong>in</strong> die Regale <strong>der</strong> Boutiquen, die sie<br />
zuvor mit Schrotkugeln durchlöchern ließ, um den wilden<br />
Westen vorzutäuschen. Selbst K<strong>in</strong><strong>der</strong> greifen zur Schere,<br />
um die Jeans abenteuerlicher aussehen zu lassen.<br />
Der junge japanische <strong>Mode</strong>designer Junya Wata-<br />
nabe, <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen für se<strong>in</strong>e Recycl<strong>in</strong>gmode berühmt<br />
geworden ist, hatte für „Commes des Garcons“ e<strong>in</strong>e<br />
Komb<strong>in</strong>ation von <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>und</strong> Recycl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> Herbst/<br />
W<strong>in</strong>terkollektion 1992/93 auf den Laufsteg geschickt.<br />
Er schnei<strong>der</strong>te Jacken <strong>und</strong> Westen, für die er deutlich<br />
erkennbare Jeans-Hosenteile verarbeitete. Se<strong>in</strong>e<br />
Overalls bestehen aus Flicken <strong>und</strong> Teilstücken alter<br />
Herrensakkos. Watanabe steht nicht alle<strong>in</strong> mit diesem<br />
eigenwilligen Design. Auch die Marke „Nicole Club“<br />
präsentiert <strong>in</strong> Tokio Klei<strong>der</strong>, die den Sche<strong>in</strong> von <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong><br />
tragen: Das Hosen<strong>in</strong>nere wird umgestülpt, Abnäher,<br />
- 4 -<br />
Garçon“, Herbst/W<strong>in</strong>ter 1992/93,<br />
Tokyo aus: COLLECTIONS III,<br />
Tokyo – New York, ’92 – ’93,<br />
Autumn & W<strong>in</strong>ter, published by<br />
GAP JAPAN Co., Ltd.<br />
Junya Watanabe, Herbst/W<strong>in</strong>ter<br />
1992/93, Tokyo aus:<br />
COLLECTIONS III, Tokyo – New<br />
York, ’92 – ’93, Autumn & W<strong>in</strong>ter,<br />
published by GAP JAPAN Co., Ltd.
ausgefranste Nahtzugaben <strong>und</strong> Hosentaschen liegen<br />
außen an <strong>der</strong> Oberfläche - wie entblößt für den Betrach-<br />
ter. Die jungen <strong>Mode</strong>macher haben e<strong>in</strong>en Stil gef<strong>und</strong>en,<br />
<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachfolge <strong>der</strong> großen Altmeister <strong>und</strong> Klei<strong>der</strong>-<br />
künstler wie Kansai <strong>und</strong> Yohji Yamamoto, Issey Miyake<br />
<strong>und</strong> Rei Kawakubo steht, die e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Bewußtse<strong>in</strong><br />
für Kleidung nach Europa gebracht haben. Mit ihren<br />
körperumfließenden Gewän<strong>der</strong>n, mit ihren Kleidskulp-<br />
turen aus ungewöhnlichen Materialien brachten sie e<strong>in</strong><br />
sche<strong>in</strong>bar zeitloses Design <strong>in</strong> die <strong>Mode</strong>welt <strong>und</strong> erschrek-<br />
kten die Zunftgenossen <strong>in</strong> Paris. Als Rei Kawakubo 1981<br />
dort mit >Comme des Garcons< ihr Defilee hatte, g<strong>in</strong>g<br />
e<strong>in</strong> Aufschrei <strong>der</strong> Empörung durch die Presse. Die japa- Junya Watanabe, Herbst/W<strong>in</strong>ter<br />
nischen Kollektionen von 1983 wurden von den europäischen<br />
Kollegen als >Lumpen-Look< <strong>und</strong> als Spuk empf<strong>und</strong>en.<br />
Karl Lagerfeld fühlte sich damals veranlaßt<br />
zu warnen: „Achtung, <strong>der</strong> nächste Zug kommt aus Japan.<br />
Dies ist e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bahnstraße. Direkt <strong>in</strong> die Mülltonne!“<br />
(FAZ Magaz<strong>in</strong>,17.02.1984).<br />
Gerade Miyake unterstreicht das Knitten <strong>und</strong> die Alte-<br />
rung <strong>der</strong> Stoffe mit e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en Falt- <strong>und</strong> Plissier-<br />
technik, die er schon 1975 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Designstudio <strong>in</strong><br />
Tokio entwickelte <strong>und</strong> die er bis heute immer wie<strong>der</strong><br />
verwandelt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Kreationen e<strong>in</strong>fließen läßt. Der<br />
hiesige Klei<strong>der</strong>markt ist <strong>in</strong> den Knitter-Look aus Japan<br />
e<strong>in</strong>gestiegen, <strong>und</strong> die Textilausrüster br<strong>in</strong>gen seitdem<br />
mit je<strong>der</strong> Saison irgendwelche Permanentpress-Appre-<br />
turen auf neue Stoffe.<br />
Die Inspiration von Ost <strong>und</strong> West, „East meets West“,<br />
verläuft gegenseitig. Japanische Newcomer schöpfen<br />
auch aus dem europäischen F<strong>und</strong>us, orientieren sich<br />
nicht nur <strong>in</strong> New York, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> europäischen<br />
Metropolen. London zählt da zu den führenden Vorbil-<br />
<strong>der</strong>n - als „Creative Pool“ für Insi<strong>der</strong>, e<strong>in</strong> Mekka für<br />
schrille <strong>Mode</strong>trends.<br />
1977 war <strong>in</strong> den Elendsvierteln Londons die antibürger-<br />
liche Punk-<strong>Mode</strong> aufgekommen - lanciert von den Mu-<br />
sikern <strong>der</strong> Szene. Ihr abson<strong>der</strong>licher Kleidungsstil <strong>in</strong><br />
schwarzem Le<strong>der</strong>, abgerissenen Klamotten mit schwe-<br />
rem Kettenschmuck, Sicherheitsnadeln im Gesicht <strong>und</strong><br />
grell gefärbten Haaren wirkte provokativ <strong>und</strong> schockie-<br />
rend <strong>und</strong> bee<strong>in</strong>flußte e<strong>in</strong>e ganze <strong>Mode</strong>-Generation. Bis<br />
heute greifen junge Designer auf die Punk-<strong>Mode</strong> zurück.<br />
So präsentierte auch Alexan<strong>der</strong> MacQueen auf <strong>der</strong><br />
„New Generation Show“ im Sommer 1994 e<strong>in</strong>e bis zur<br />
Geschmacklosigkeit ausgefallene <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kol-<br />
lektion. Er zeigte Stoffdrucke, die Verletzungen des<br />
Körpers durch Krieg o<strong>der</strong> Folter auf <strong>der</strong> Kleidung<br />
- 5 -<br />
1992/93, Tokyo aus:<br />
COLLECTIONS IIII, Tokyo – New<br />
York, ’92 – ’93, Autumn & W<strong>in</strong>ter,<br />
published by GAP JAPAN Co., Ltd.<br />
Falt- <strong>und</strong> Plissiertechnik von<br />
Issey Miyake, „Pleats & Twist“,<br />
Frühl<strong>in</strong>g/Sommer 1993, Photo:<br />
Ra<strong>in</strong>er Leitzgen für die<br />
Süddeutsche Zeitung, aus:<br />
Issey Miyake von Mark Holborn,<br />
Taschen.<br />
Falt- <strong>und</strong> Plissiertechnik von<br />
Issey Miyake „Twist“,<br />
Frühl<strong>in</strong>g/Sommer 1992, Photo:<br />
Tyen, aus: Issey Miyake von<br />
Mark Holborn, Taschen.
vortäuschen, dann Abdrücke von Autoreifen (Sommerkollektion 1995), als sei die Träger<strong>in</strong><br />
des Outfits überfahren worden <strong>und</strong> zerrissene Spitzenabendklei<strong>der</strong> (W<strong>in</strong>terkollektion<br />
1995/96) wie nach e<strong>in</strong>er tätlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung. Ausgeätzte Fuß- <strong>und</strong> Handab-<br />
drücke auf dem Gewebe simulieren gewaltsame E<strong>in</strong>-<br />
wirkungen, - vorgeführt von <strong>der</strong> Marke „Red or Dead“<br />
<strong>in</strong> London (Sommerkollektion 1994).<br />
In London präsentierten sich auch 1987 die Antwer-<br />
pener Nachwuchstalente, von denen e<strong>in</strong>ige <strong>in</strong>zwischen<br />
erfolgreich aufgestiegen s<strong>in</strong>d (Ann Demeulemeester,<br />
Drees van Noten, Dirk Bikkemberg). Sie zählen zu<br />
den <strong>in</strong>novativsten jungen <strong>Mode</strong>machern. Ihr geme<strong>in</strong>-<br />
sames Design-Konzept war gegen den konventionel-<br />
len Prestige-Chic dieser Jahre gerichtet: Nichts sollte<br />
neu aussehen. Ihre <strong>Mode</strong>lle sollten die <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> von<br />
schon Getragenem haben. Ungebügelte Anzüge, zer-<br />
knitterte Blusen <strong>und</strong> schlampig zusammengenähte<br />
Klei<strong>der</strong> mit zipfligen Säumen waren aus unterschied-<br />
lichsten Materialien zusammengestückelt. Die Kla-<br />
motten, die aussahen, als wären sie reif für die Altklei-<br />
<strong>der</strong>sammlung, waren damals höchst aktuelle Avantgar-<br />
demode. E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Designer, Mart<strong>in</strong> Margiela, hat sich<br />
<strong>der</strong> <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>der</strong> alten Klei<strong>der</strong> bedient. Er sucht sie wie<br />
e<strong>in</strong> Lumpensammler auf dem Flohmarkt zusammen<br />
<strong>und</strong> macht neue Kreationen aus ihnen. Jedes <strong>Mode</strong>ll<br />
ist e<strong>in</strong> Unikat, jedes erzählt von den Spuren <strong>der</strong> Zeit,<br />
die auf den Stoffen durch den Gebrauch haften geblie-<br />
ben s<strong>in</strong>d.<br />
Auch <strong>in</strong> Deutschland gibt es junge Designer,<br />
die mit Altklei<strong>der</strong>n experimentieren. Oft geschieht<br />
dies am Anfang e<strong>in</strong>er Existenzgründung - aus <strong>der</strong><br />
Not heraus, weil das große Geld für teure Stoffe fehlt.<br />
Auch Seidenstoffe mit sche<strong>in</strong>barer <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong>, die<br />
wie im verblichenem Glanze schimmern - Romeo Gigli<br />
verwendet solche Seiden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Kollektionen -, s<strong>in</strong>d<br />
Anfang unseres Jahrhun<strong>der</strong>ts von Mariano Fortuny<br />
kreiert worden <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Mode</strong> gekommen. Der spanische<br />
Maler entwickelte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Atelier <strong>in</strong> Venedig beson<strong>der</strong>e<br />
Ausrüstungsverfahren für Seidenstoffe. Neben e<strong>in</strong>er<br />
Plissiertechnik ließ er sich auch Druckverfahren paten-<br />
tieren, mit dem es ihm gelang, durch Übere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>legen<br />
von Farbschichten, e<strong>in</strong>farbige Flächen so zu beleben,<br />
daß ihr eigenartig verblaßtes Schimmern e<strong>in</strong> Seiden-<br />
gewebe aus dem 15. Jahrhun<strong>der</strong>t vorgespiegelte.<br />
Se<strong>in</strong>e Druckmuster, die er alter Textilkunst entlehnte,<br />
verstärkten noch diese <strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit.<br />
<strong>Pat<strong>in</strong>a</strong> als Stilmittel ist nichts Neues, son<strong>der</strong>n<br />
war stets e<strong>in</strong>e spezifische modische Technik, durch<br />
den Rückgriff auf Vergangenes <strong>der</strong> Gegenwart voraus<br />
zu se<strong>in</strong>.<br />
- 6 -<br />
Alexan<strong>der</strong> McQueen,<br />
Frühl<strong>in</strong>g/ Sommer 1994,<br />
London, aus:<br />
COLLECTIONS II, Paris –<br />
London, ’94 Spr<strong>in</strong>g &<br />
Summer, published by<br />
GAP JAPAN Co. Ltd.<br />
„Red or Dead“, Frühl<strong>in</strong>g/<br />
Sommer 1994, London,<br />
aus: COLLECTIONS II,<br />
Paris – London, ’94 Spr<strong>in</strong>g<br />
& Summer, published by<br />
GAP JAPAN Co. Ltd.