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Carsten Kretschmann<br />

Von schlesischem Adel<br />

Die Grafen und Freiherren von <strong>Strachwitz</strong><br />

Eines schönen Tages reitet König Marbod, der Gründer des legendären Markomannenreichs, zur<br />

Jagd. Es sind die Jahre unmittelbar vor Christi Geburt, und der Wald ist dunkel und finster. Ein<br />

schwarzer Eber hat es dem König angetan. Er setzt ihm nach, stürzt vom Pferd und sieht sich plötzlich<br />

ganz allein dem wütenden Wildschwein gegenüber. Ganz allein? Zum Glück nicht. In letzter Sekunde<br />

ist ein Mann aus dem königlichen Gefolge zur Stelle, Suski mit Namen. Er zieht sein Schwert, vollführt<br />

den Streich – und das Haupt des Keilers fällt zu Boden. Marbod kann es kaum fassen. Woher er denn<br />

den Mut genommen habe, will der König von seinem Retter wissen. Es sei, so lautet die Antwort,<br />

mehr die Furcht um Marbods Leben gewesen <strong>als</strong> die eigene Kraft. Da springt der König auf, schlägt<br />

den treuen Suski zum Ritter und ruft feierlich in der Landessprache: „Weil es mehr die Furcht gewesen<br />

ist, sollst Du fortan <strong>Strachwitz</strong> heißen!“ Denn „strach“ bedeutet sowohl im Tschechischen <strong>als</strong><br />

auch im Polnischen nichts anderes <strong>als</strong> „Furcht“, „Angst“ oder „Schrecken“.<br />

Den meisten von Ihnen wird diese Geschichte bekannt sein. Es handelt sich um die Wappensage der<br />

Familie, und sie erzählt anschaulich und einprägsam, wie der Name <strong>Strachwitz</strong> entstanden und wie<br />

der Kopf des Keilers in das Wappen gelangt ist – und all das Blut. Das Streben nach einer sagenhaften<br />

Herkunft ist für adlige Familien nicht untypisch. Um einen Ahnherrn in mythisch-heldenhafter Zeit<br />

vorweisen zu können, wurden die genealogischen Anfänge häufig in die ferne Vergangenheit verschoben.<br />

Und wenn die Ahnentafel schon nicht bis zu Aeneas reichte (wie dies einige Familien des<br />

Hochadels für sich in Anspruch nahmen), so doch zumindest bis an die Zeitenwende. Für das Selbstverständnis<br />

der Familie, für das Image, das sie sich beilegte, für die Frage, wie sie von anderen wahrgenommen<br />

werden wollte, ist die Wappensage daher durchaus von Gewicht. Sie verdichtete bildhaft<br />

den Anspruch, uradliger Herkunft zu sein. Und es ist sicher kein Zufall, dass dieser Anspruch gerade<br />

im 18. und 19. Jahrhundert formuliert wurde, in einer Zeit <strong>als</strong>o, in der die Konfliktlinien innerhalb des<br />

Adels deutlicher hervortraten – durch das Aussterben alter Familien ebenso wie durch das Anwachsen<br />

des Brief- und Geldadels. Der Verweis auf eine zwar nicht nachprüfbare, aber gerade deshalb<br />

ehrwürdige Tradition schuf eine wichtige Legitimationsbasis. Sie spielte eine wesentliche Rolle bei<br />

dem vielbeschworenen „Obenbleiben“, mit dem auch die Familie <strong>Strachwitz</strong> seit der Auflösung der<br />

ständischen Ordnung in vielfältiger Hinsicht konfrontiert war – politisch, rechtlich und nicht zuletzt<br />

ökonomisch.<br />

Wissenschaftlich betrachtet ist die Marbod-Geschichte schlichtweg unhaltbar. Es beginnt schon damit,<br />

dass das Familienwappen ja ursprünglich keinen abgeschlagenen Keilerkopf gezeigt hat. Auch<br />

wird die Bezeichnung „Susky“ erst zu einem Zeitpunkt greifbar, <strong>als</strong> der Name <strong>Strachwitz</strong> bereits existiert<br />

– sie ist ein Beiname. Und dass ausgerech<strong>net</strong> ein Germanenherzog reinstes Tschechisch gesprochen<br />

haben soll (nur so funktioniert das Sprachspiel!), ist des Guten denn doch zu viel. Freilich: Die<br />

1


Aspekte der Familientradition zu benennen, die historisch unzureichend belegt sind, ist eine vergleichsweise<br />

einfache Aufgabe. Sicher stammen die <strong>Strachwitz</strong> nicht von den Vandalen ab. Sicher<br />

hatten sie keinen besonderen Bezug zur Tyr-Rune, wie es manch einer in den runenseligen dreißiger<br />

und vierziger Jahren gern gesehen hätte. Sicher waren sie nicht verwandt mit den Schweinichen.<br />

Sicher haben sie nicht bei der großen Mongolenschlacht 1241 gekämpft, auch wenn sie sich zu den<br />

„Vettern von Wahlstatt“ rechnen dürfen. Und sicher war der heilige Hyazinth, der <strong>als</strong> „Apostel des<br />

Nordens“ noch heute in Groß Stein verehrt wird, kein Mitglied der Familie.<br />

Viel schwieriger ist es – speziell für die ersten Jahrhunderte –, die Fakten zusammenzustellen, die<br />

historisch einwandfrei verbürgt sind. Das hat vor allem mit der ungleichen Überlieferung zu tun.<br />

Grundsätzlich bevorzugte man in der ländlichen Welt, in der die Familie zuhause war, die mündliche<br />

Kommunikation. Schriftstücke – Urkunden zumal – begegnen uns nur dort, wo es um förmliche<br />

Rechtsgeschäfte geht, <strong>als</strong>o etwa um den Verkauf oder die Verpachtung von Land. Die Fragen aber,<br />

wie die Menschen gelebt, was sie gedacht, wonach sie gestrebt haben, diese Fragen ließen sich nur<br />

auf der Grundlage von Briefwechseln, Tagebüchern oder Lebenserinnerungen beantworten. Solche<br />

Zeugnisse fehlen jedoch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein so gut wie vollständig. Nur für einzelne<br />

Persönlichkeiten, beispielsweise für den Weihbischof oder den Dichter, lassen sich seit Mitte des<br />

18. Jahrhunderts individuellere Antriebskräfte belegen. Das ist insofern nicht außergewöhnlich, <strong>als</strong> ja<br />

erst die Moderne den entscheidenden Schub der Individualisierung ausgelöst hat. Indes: Die Tagebücher,<br />

die in dieser Zeit ganz sicher von einzelnen Töchtern der Familie geführt worden sind, die Briefe,<br />

die zwischen Eltern und Kindern, Vettern und Cousinen getauscht wurden – sie sind nicht überliefert.<br />

Dass bedeutet nun nicht, dass die Familie besonders nachlässig mit diesen Dokumenten umgegangen<br />

wäre. Es zeigt aber, welche Zäsur das Jahr 1945 auch in dieser Hinsicht bildet: Ganze Gutsarchive<br />

haben den Krieg, haben Flucht und Vertreibung nicht überstanden. Ein Zufall ist es, wenn sich – wie<br />

im Falle der Grafen Praschma auf Falkenberg – für den Zeitraum zwischen 1407 und 1944 ein geschlossener<br />

Aktenbestand erhalten hat. In rund 2.000 Einheiten liegt er heute im Staatsarchiv Oppeln.<br />

Das Archiv der Familie <strong>Strachwitz</strong>, das sich seit dem vergangenen Jahr in der Obhut des Geheimen<br />

Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin befindet, kann damit nicht konkurrieren. Und<br />

dies schon deshalb nicht, weil sein Schwerpunkt unverkennbar auf dem 20. Jahrhundert liegt. Aber es<br />

geht hier ja letztlich auch nicht um Konkurrenz.<br />

Ich betone dies deshalb, weil ich mich im Grunde genommen ebenfalls in einer Konkurrenzsituation<br />

befinde. Vor über hundert Jahren hat die Familie – der Verband existierte noch nicht – schon einmal<br />

den Auftrag erteilt, eine „Geschichte des Gräflichen und Freiherrlichen Geschlechts von <strong>Strachwitz</strong>“<br />

zu erstellen. Im Sommer 1897 schloss der damalige Senior, Hugo Graf <strong>Strachwitz</strong>, königlichkaiserlicher<br />

Rittmeister in Linz, einen entsprechenden Vertrag mit Ewald Wernicke. Wernicke, ein<br />

Schulmann, selbst in Schlesien beheimatet, hatte sich mit seiner voluminösen „Chronik der Stadt<br />

Bunzlau von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart“ (1884) empfohlen. Im Juli 1898 berichtete er der<br />

Familie auf dem Geschlechtstag in Breslau über den Fortgang seiner Forschungen und verpflichtete<br />

sich, binnen zwei Jahren ein druckfertiges Manuskript vorzulegen. Es sollten vier Jahre vergehen, bis<br />

Wernicke den Text abschloss. Am Ende war ein Werk im Umfang von 462 Seiten entstanden – aber<br />

keine Geschichte der Familie. Das Manuskript blieb unveröffentlicht. Was hatte Wernicke getan?<br />

Nun, er hatte zunächst einmal alle verfügbaren Urkunden gesammelt, in denen der Name <strong>Strachwitz</strong><br />

vorkommt. Er hatte diese Zeugnisse mit philologischem Ernst ausgewertet. Er hatte knappe Zusammenfassungen,<br />

sogenannte Regesten, angefertigt. Und er hatte sich erschöpfend mit genealogischen<br />

2


Problemen beschäftigt. Allein, das Material war ihm entglitten. Trotz der Fülle an Details konnte kein<br />

kohärentes Gesamtbild entstehen.<br />

All dies stand mir <strong>als</strong> Warnung vor Augen, <strong>als</strong> ich im Sommer 2010 – gewissermaßen in Wernickes<br />

Spuren – den Auftrag übernahm, eine kleine Geschichte der Familie zu schreiben, „mit wissenschaftlicher<br />

Methodik […], jedoch in den Darlegungen und Formulierungen für einen weiteren Personenkreis“<br />

bestimmt. So heißt es im Vertrag. Mittlerweile ist ein Rohmanuskript von 75 Seiten entstanden<br />

(Gliederung <strong>als</strong> Tischvorlage!). Mit einem Anhang und zahlreichen Abbildungen versehen, wird es ein<br />

handliches Buch von etwa 120, 130 Seiten werden, und wir sind glücklich, dass sich ein namhafter<br />

deutscher Verlag für das Manuskript interessiert.<br />

Nicht zufällig habe ich soeben von einer „kleinen Geschichte“ gesprochen. Allen Beteiligten war von<br />

vornherein bewusst, dass das Buch keine lückenlose, erschöpfende Darstellung der Familie in ihren<br />

unterschiedlichen Linien werden sollte. Dies wäre aufgrund der schwierigen Überlieferungssituation<br />

auch kaum möglich. Doch auch unabhängig von diesem Quellenvorbehalt, sollte weder eine genealogische<br />

Studie entstehen, wie sie wohl vor allem das Herz von Familienforschern höher schlagen lässt,<br />

noch eine Spezialuntersuchung, die nur noch für Fachleute verständlich ist. Was uns vorschwebte,<br />

war vielmehr ein historischer Essay, der die Grundzüge der Familiengeschichte umreißt, sie jedoch<br />

zugleich in die allgemeinere Entwicklung des schlesischen Adels einord<strong>net</strong>.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass nicht alle Häuser der Familie gleichermaßen berücksichtigt<br />

werden konnten. Es kam uns hier weniger auf einen gewissermaßen idealen Proporz an <strong>als</strong><br />

auf die großen Linien. Sie verdichten sich jedoch immer wieder in einzelnen Persönlichkeiten: für das<br />

17. Jahrhundert beispielsweise in den beiden ersten Freiherren, Christoph und Maximilian; für das<br />

18. Jahrhundert in Johann Friedrich (dem Stammvater aller hier versammelten Familienmitglieder),<br />

der am Spanischen Erbfolgekrieg teilnahm und Kreishauptmann in Lublinitz war, aber natürlich auch<br />

in Weihbischof Moritz und in Karl Joseph, dem ersten Grafen; für das 19. Jahrhundert sodann in Moritz,<br />

dem bekannten Balladendichter, und in Alfred, dem Zentrumsvertreter in Abgeord<strong>net</strong>enhaus<br />

und Reichstag; für das 20. Jahrhundert in Hyazinth, dem „Panzergrafen“ und Ritterkreuzträger, in<br />

Kurt, dem österreichischen Publizisten und Hitlergegner, sowie in Rudolf, dem deutschen Botschafter<br />

beim Heiligen Stuhl.<br />

Sie alle stehen exemplarisch für bestimmte Konstellationen: für das Verhältnis von Territorium und<br />

Reich, für die Beziehungen zwischen Ständen und König, für die nicht immer einfache Positionierung<br />

zwischen Hohenzollern und Habsburgern, für die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, für den<br />

höchst unterschiedlichen Umgang mit Grundbesitz, für das keineswegs konfliktfreie Nebeneinander<br />

von praktischen landwirtschaftlichen Kenntnissen und höherer, akademischer Bildung, für die Erfahrungen<br />

von Krieg und Frieden. Im Buch spielen sie daher allesamt eine prominente Rolle – und zwar<br />

unabhängig von der Frage, ob auf diese Weise ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den einzelnen<br />

Linien, Zweigen und Ästen hergestellt wird. Es geht vielmehr um die Gesamtfamilie.<br />

Das heißt nun freilich nicht, dass einzelne Aspekte der verschiedenen Häuser überhaupt nicht berücksichtigt<br />

würden. Ich bin Ihnen für Hinweise und Anregungen in diesem Zusammenhang sogar<br />

ausgesprochen dankbar. Und ich formuliere dies nicht <strong>als</strong> Phrase. Zwar habe ich die relevante Überlieferung<br />

in den Archiven von Berlin, Breslau, Oppeln und Wien gründlich gesichtet. Es ist jedoch<br />

keineswegs sicher, dass sich alles, was wichtig ist, auch in den Akten findet. Die Einladung zu Ihrem<br />

Familientag, für die ich mich sehr herzlich bedanken möchte, habe ich auch deshalb gern angenom-<br />

3


men, weil Sie möglicherweise wichtige Momente in der Geschichte Ihrer Familie und Ihres Hauses<br />

benennen können, von deren Existenz ich – trotz aller Recherche – noch keine rechte Vorstellung<br />

habe (E-Mail-Adresse!). Vor allem aber bin ich heute hier, um Ihnen eine kleine Kostprobe von dem<br />

zu geben, was in absehbarer Zeit <strong>als</strong> Buch auf den Markt kommen soll.<br />

Uradelig sei das Geschlecht der <strong>Strachwitz</strong>. So steht es in den alten Ausgaben des Gotha. So heißt es<br />

im Genealogischen Handbuch des deutschen Adels. Und so vermerkt es auch der entsprechende<br />

Band des Adelslexikons, der 2003 erschienen ist. Der Begriff des Uradels, in dem viel ferne Markomannen-Herrlichkeit<br />

mitschwingt, ist eine relativ willkürliche Setzung. Propagiert wurde er vor allem<br />

vom preußischen Heroldsamt. Das macht ihn nicht unangreifbar. Verwendet man den Begriff jedoch,<br />

so ist man zwangsläufig an die gängige Definition gebunden. Ihr zufolge zählen nur diejenigen Geschlechter<br />

zum Uradel, die spätestens um 1400 dem ritterbürtigen Adel angehört haben. Aber trifft<br />

das auf die Familie zu? Unter dem Namen <strong>Strachwitz</strong> tritt sie uns erstm<strong>als</strong> in Gestalt von Breslauer<br />

Bürgern entgegen. Zwar ist hin und wieder erwogen worden, ob es sich bei den ersten Vertretern<br />

nicht um Ministerialen des Breslauer Bischofs gehandelt haben könnte. Das würde möglicherweise<br />

den slawisch klingenden Namen erklären und zugleich zu verstehen helfen, weshalb die Familie offensichtlich<br />

eine besondere Beziehung zu dieser Domstadt besaß – mit eigenem Haus auf der Reuscherstraße.<br />

Allein, <strong>als</strong> Ministeriale hätten die <strong>Strachwitz</strong> sicherlich eindeutige Spuren hinterlassen,<br />

vor allem <strong>als</strong> Zeugen in bischöflichen Urkunden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Und so liegt der Schluss<br />

nahe, dass die ersten Träger des Namens tatsächlich dem Breslauer Patriziat entstammten.<br />

Urkundlich begeg<strong>net</strong> uns 1285 erstm<strong>als</strong> ein „Woyzlaus de Strachowiz“. Dass die Familie bereits 44<br />

Jahre zuvor bei der Schlacht von Wahlstatt einen hohen Blutzoll errichtet haben soll, erscheint auch<br />

deshalb wenig glaubhaft. Für 1338 ist sodann ein Rechtsgeschäft bezeugt, bei dem ein gewisser Johannes<br />

„genannt von <strong>Strachwitz</strong>“ (dictus de <strong>Strachwitz</strong>) eine dreiviertel Hufe (rund zehn Hektar) in<br />

<strong>Strachwitz</strong>, einem Dorf unweit von Breslau, erwarb. Aufgrund der Namensangabe wird man davon<br />

ausgehen können, dass die Familie bereits zuvor in <strong>Strachwitz</strong> Besitz erworben hatte. Nach diesem<br />

Ort hat sie sich jedenfalls benannt – ein Vorgang, der im Mittelalter, wo es ja noch keine Nachnamen<br />

im heutigen Sinne gab, nicht unüblich gewesen ist. Auch Nikolaus, der 1346/47 <strong>als</strong> Landbesitzer in<br />

<strong>Strachwitz</strong> nachweisbar ist, war Bürger von Breslau, Ratsherr und Schöffe überdies. Dass er sich „von<br />

<strong>Strachwitz</strong>“ nannte, ist daher nicht unbedingt <strong>als</strong> Adelsprädikat zu lesen. Keine überlieferte Urkunde<br />

bezeich<strong>net</strong> ihn <strong>als</strong> „miles“, „nobilis“ oder „dominus“ Und wenn man bedenkt, dass die Ehefrauen der<br />

ersten Namensträger durchweg nicht-adeliger Herkunft waren, so wachsen die Zweifel noch.<br />

Erst ein Enkel des gerade erwähnten Nikolaus, ebenfalls Nikolaus genannt, heiratete gewissermaßen<br />

„nach oben“. Mitte des 15. Jahrhunderts schloss er den Bund fürs Leben mit Katharina von Zauche,<br />

der Tochter des Christoph von Zauche auf Groß-Zauche bei Trebnitz im Herzogtum Oels, rund sechs<br />

Wegstunden von Breslau entfernt. Durch diese Verbindung verlagerte sich in der Folge nicht nur der<br />

Schwerpunkt des Familienbesitzes in das Umland von Oels: Gleich mehrere Güter wurden dort im 16.<br />

und 17. Jahrhundert erworben, oftm<strong>als</strong> Hammergüter wie Massel, Deutsch-Hammer oder Borek-<br />

Hammer. Durch die Verbindung mit Katharina von Zauche kam zudem ein Gut in die Familie, das bis<br />

heute <strong>als</strong> Namenspartikel lebendig geblieben ist. (Dass es nur drei Generationen lang im Besitz der<br />

<strong>Strachwitz</strong> blieb, spielt dabei übrigens keine Rolle – wie man sich ohnehin mit dem Gedanken anfreunden<br />

muss, dass die Eigentumsverhältnisse noch über Jahrhunderte hinweg einer regen Fluktuation<br />

unterworfen sein sollten. Auch dies war in Schlesien allerdings keine Seltenheit.) Der Namenszusatz<br />

„von Zauche“ war nebenbei auch in der polnischen Variante gebräuchlich: „Zauche“ kommt vom<br />

polnischen „suchy“, bedeutet so viel wie „trocken“ – was angesichts der unbestellbaren mittelalterli-<br />

4


chen Sumpflandschaften nicht unbedingt abschätzig zu verstehen ist –, und manche Vertreter der<br />

Familie nannten sich in der Folge schlicht und einfach „Suski“. Womit wir beim realistischen Hintergrund<br />

der eingangs erwähnten Wappensage wären. Und zugleich mit einem Kulturraum konfrontiert<br />

sind, in dem zwischen Deutsch und Polnisch noch keineswegs so trennscharf unterschieden wurde,<br />

wie es die Nationalisten auf beiden Seiten im 19. und 20. Jahrhundert propagierten. Auch die Vornamen<br />

innerhalb der Familie, bei denen zunächst noch deutsche neben slawischen begegnen, weist<br />

in diese Richtung.<br />

Der Beiname („von Zauche“ beziehungsweise „Susky“) war auch deshalb wichtig, weil es in Schlesien<br />

weitere Familien gab, die den Namen <strong>Strachwitz</strong> führten. Unter ihnen trat eine hervor, die sich –<br />

nach ihrem Besitz in der Nähe von Striegau im Herzogtum Schweidnitz – „von <strong>Strachwitz</strong>-Gäbersdorf“<br />

nannte. Da der Person<strong>als</strong>tand der Gäbersdorfer und der Zaucher, die nicht miteinander verwandt<br />

waren, offensichtlich stark dezimiert war, kam es 1626 – inmitten des Dreißigjährigen Krieges – zu<br />

einer denkwürdigen Zusammenkunft am Zobtenberg, einem der mythenumwobenen Orte Schlesiens.<br />

Dort beschlossen Vertreter beider Familien eine Namens- und Wappenvereinigung, die im Jahr<br />

darauf von Kaiser Ferdinand II. bestätigt wurde – die Habsburger waren seit 1526 Könige von Böhmen<br />

und Herzöge von Schlesien. Durch diese Vereinigung entstand die Grundform jenes Wappens,<br />

wie es noch heute bekannt ist. Zugleich verortete sie die Familie rechtsgültig im adligen Stand: Die<br />

Zugehörigkeit der Gäbersdorfer zum Adel hatte stets außer Frage gestanden, und die Wappenverleihung<br />

durch König Sigismund 1420 hatte ausschließlich ihnen gegolten. Durch die Namens- und Wappenvereinigung<br />

reihten sich die Zaucher in diese Tradition ein, und der Kaiser persönlich sanktionierte<br />

das Vorgehen. Es war, wenn man so will, ein langsames Hineinwachsen in den Adel, das in Zobten<br />

zum Abschluss kam. Wobei hinzugefügt werden muss, dass eine solche Entwicklung in Schlesien, wo<br />

der Adelsstand – beeinflusst von den Verhältnissen in Polen – lange Zeit durchlässiger gewesen ist <strong>als</strong><br />

im Heiligen Römischen Reich, durchaus keine Seltenheit war.<br />

Die Familie hätte sich kaum einen günstigeren Moment für die Wappenvereinigung aussuchen können.<br />

Denn der Dreißigjährige Krieg, der <strong>als</strong> böhmischer Aufstand begonnen hatte und auch die schlesischen<br />

Herzogtümer erschütterte, setzte das Haus Habsburg massiv unter Druck. Wollte es Macht<br />

und Einfluss behaupten, musste es sich auf die katholischen, kaisertreuen Familien vor Ort stützen –<br />

sie dafür aber auch angemessen belohnen, durch Titel, Ämter und Privilegien. Mit einem Wort: Es<br />

ging um Klientelbildung. Nur so ist zu verstehen, warum Kaiser Ferdinand II. ausgerech<strong>net</strong> 1630 – im<br />

Reich standen mittlerweile sogar die katholischen Kurfürsten gegen ihn – zwei katholische Vertreter<br />

der Familie (das Haus Tschwertwitz war und blieb bis zu seinem Ende protestantisch!) <strong>als</strong> König von<br />

Böhmen in den erblichen Freiherrnstand erhob: Christoph von <strong>Strachwitz</strong>, Domherr zu Breslau, sowie<br />

dessen Bruder Maximilian, Landeshauptmann des Fürstentums Neisse.<br />

Interessant ist es zu beobachten, dass sich diese Konstellation im Grunde genommen rund 150 Jahre<br />

später wiederholte, diesmal allerdings unter anti-habsburgischen Vorzeichen. Erneut war es die<br />

machtpolitisch motivierte Dank- und Gunstbezeugung eines Monarchen, die dazu führte, dass Karl<br />

Joseph von <strong>Strachwitz</strong>, der unter anderem die Herrschaften Kamienietz und Dombrowka erworben<br />

hatte, 1798 <strong>als</strong> „<strong>Strachwitz</strong> von Groß-Zauche und Cammi<strong>net</strong>z“ in den preußischen Grafenstand erhoben<br />

wurde. „Ochsengrafen“, so nannte man die schlesischen Adligen, die nach dem Einfall Friedrichs<br />

des Großen für treue Dienste während der verschiedenen Kriegszüge gegraft wurden, in der Regel<br />

anlässlich der Huldigung der schlesischen Stände. Da mag es beinahe ein wenig zu denken geben,<br />

dass die Familie weder bei der Huldigung für Friedrich II. 1741 noch bei derjenigen für Friedrich Wilhelm<br />

II. 1786, sondern erst bei derjenigen Friedrich Wilhelms III. 1798 das Grafendiplom empfing.<br />

5


Der preußisch-österreichische Dualismus, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine unheilvolle Dynamik<br />

entwickelte, zog Schlesien erheblich in Mitleidenschaft. Teilungen waren die Folge. Und der Souverän<br />

forderte hier wie dort unbedingte Treue ein. Die Familie indes blieb in gewisser Weise supranational<br />

– und dies wohlgemerkt in einem Zeitalter der beginnenden Radikalnationalisierung. Selbstverständlich<br />

dienten Vertreter der Familie im 19. Jahrhundert <strong>als</strong> Offiziere sowohl in der preußischen<br />

<strong>als</strong> auch in der österreichischen Armee. Und der Besitz der unterschiedlichen Linien spannte sich<br />

mittlerweile von Schlesien über Mähren bis weit in die Steiermark. Ein Ereignis wie der preußischösterreichische<br />

Bruderkrieg des Jahres 1866 hätte vor diesem Hintergrund geradezu traumatisch<br />

wirken können. Doch der Konjunktiv deutet es bereits an: Wir wissen darüber nicht genug. Auch hier<br />

reiten die Toten schnell… „Sire, ich bin ein deutscher Fürst!“, so soll Kaiser Franz Joseph 1859 Napoleon<br />

III. beschieden haben, <strong>als</strong> der ihn für ein Bündnis gegen Preußen zu gewinnen suchte. Hätte ein<br />

<strong>Strachwitz</strong> ähnlich gesprochen?<br />

Die jüngere Linie führte den preußischen Grafentitel – und dazu das (1798 vermehrte) Wappen, wie<br />

es ihr einst der Habsburgerkaiser <strong>als</strong> böhmischer Landesherr gnädig bestätigt hatte: Muscheln und<br />

Keilerkopf in den Farben Schwarz und Gold (zuvor waren es Blau und Weiß gewesen). Am Ende des<br />

19. Jahrhunderts nahm die Familie daran Anstoß. Auf dem Geschlechtstag am 17. Juli 1898 in Breslau<br />

stand die Frage der Wappenfarben ausdrücklich auf der Tagesordnung. Dabei spielte der Umstand,<br />

dass Schwarz und Gold ausgerech<strong>net</strong> die Farben Habsburgs waren, allerdings gar keine Rolle. Vielmehr<br />

bedrückte es die Familie, dass durch die Kombination von Schwarz und Gold mit dem roten Blut<br />

des Wappentiers eine Farbfolge entstand, die während der Revolution von 1848 <strong>als</strong> schwarz-rotgoldene<br />

Trikolore zum Inbegriff der demokratisch-republikanischen Bewegung in Deutschland geworden<br />

war. Nur aus diesem Grund wollte man den Fall dem preußischen Heroldsamt vorlegen.<br />

Gleichwohl: Der preußisch-österreichische Dualismus blieb eine Tatsache. Mit ihr rech<strong>net</strong>e man. Aber<br />

man unterwarf sich ihr nicht. Allen Wechselfällen zum Trotz hielt der schlesische Adel bis zum Ersten<br />

Weltkrieg nicht selten an der Vorstellung einer vor- und übernationalen Struktur des Oderlandes fest.<br />

Stets hatte sich Schlesien im Spannungsfeld unterschiedlicher Mächte befunden: Polen, Böhmen und<br />

Ungarn, das Heilige Römische Reich, Preußen und Österreich – sie alle hatten die Geschicke Schlesiens<br />

in wechselnden Konstellationen über Jahrhunderte hinweg bestimmt. Eine regelrechte Staatlichkeit<br />

war so nie entstanden, jedenfalls nicht im heutigen Sinne. Viel eher wird man von einem Länderverbund<br />

sprechen müssen, der weniger politisch <strong>als</strong> historisch und kulturell definiert war. Gerade<br />

deshalb spielte die adlige Familie in diesem Kontext eine entscheidende Rolle. Sie war der erste Träger<br />

des historischen und kulturellen Erbes. Als eine Gemeinschaft, die sich durch Traditionen und<br />

Werte definierte, vermochte sie sich zudem der Inbesitznahme durch die modernen Massenideologien<br />

zu entziehen. Jedenfalls zunächst.<br />

Ein wichtiges Leitmotiv ist dabei ein entschiedenes „Sowohl-<strong>als</strong>-auch“. Weihbischof Moritz etwa sicherte<br />

<strong>als</strong> Administrator des Bistums Breslau den preußischen Herrschaftsaufbau in Schlesien ab,<br />

eröff<strong>net</strong>e der Kirche – im Einvernehmen mit der Kurie – jedoch zugleich erhebliche Freiräume. Zudem<br />

stiftete er mit Bruschewitz, Ramschau sowie Gross- und Klein-Weigelsdorf den ersten Fideikommiss<br />

der Familie. Karl Joseph wiederum hielt trotz seines preußischen Grafentitels an der Landstandschaft<br />

für die Erbländer der böhmischen Krone fest. Damit war unter anderem das Recht verbunden,<br />

anlässlich der Huldigung in Wien wie ein Fürst einzuziehen: in geschmückter sechsspänniger<br />

Equipage, zwei Läufer voraus. Hans, der Vater des Dichters Moritz, kämpfte in den Befreiungskriegen<br />

zunächst auf preußischer, dann auf österreichischer Seite. 1814 wurde er Militärkommandant des<br />

Großherzogtums Toskana, mit Sitz in Lucca und Florenz. Als Kaiserlicher Kammerherr nahm er 1816<br />

6


seinen Abschied – und wurde wenig später preußischer Landrat im Kreis Frankenstein. Der Dichter<br />

selbst wiederum studierte in Berlin, sehnte sich nach Italien und starb in Wien. Und auch die Tatsache,<br />

dass die Familie noch 1770 – ungeachtet der Teilungspolitik der großen Mächte – das polnische<br />

Indigenat erwarb, verweist auf ihren supranationalen Charakter.<br />

Ich komme zum Schluss. Von manchem habe ich heute nicht gesprochen. Von der Gutswirtschaft<br />

etwa, die über Jahrhunderte hindurch das soziale und ökonomische Rückgrat der Familie bildete –<br />

von der Herrschaft über Land und Leute, vom Kirchen- und Schulpatronat, von Polizeigewalt und<br />

Patrimonialgericht, vom Jagd- und Forstprivileg. All diese Vorrechte bestimmten das Leben auf den<br />

verschiedenen Besitzungen, in Gross-Stein ebenso wie in Gustau, Hünern, Zdounek oder Groß-<br />

Reichenau. Sie prägten Alltag wie Fest und schufen eine kleine Welt, in der die Bestellung des Pfarrers<br />

ebenso zu den adligen Aufgaben gehörte wie die Fahrt zum Breslauer Wollmarkt.<br />

Nicht gesprochen habe ich überdies von den Bildungs- und Karrierewegen. Wie im Adel insgesamt, so<br />

waren es Positionen in Armee, Verwaltung und Kirche, die die männlichen Vertreter der Familie reizten<br />

– vor allem dann, wenn sie keine Aussicht auf ein ersprießliches Erbteil hatten. Nicht gesprochen<br />

habe ich von jenen Lebenswelten, die am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert – unter dem Einfluss<br />

einer sich radikal, ja revolutionär verändernden Gesellschaftsordnung – nicht nur erstaunliche<br />

Beharrungskräfte entfalteten, sondern auch Innovationsbereitschaft bewiesen. Am 4. November<br />

1902 fand in Stubendorf eine Jagd statt. Mit von der Partie waren Nachbarn und Freunde, die<br />

Dohnas, Hardenbergs und Matuschkas. Nach erfolgreicher Jagd – laut Streckenbericht wurden 759<br />

Schuss abgegeben und insgesamt 347 Tiere erlegt – wurde das Menu serviert: erst Schleie blau, dann<br />

Schinken in Burgunder, Hummer, Fasan und Kompott, Artischocken, schließlich Vanilleeis, Käsestangen,<br />

Obst und Dessert. War das die gute alte Zeit? Richteten sich hierauf die rückwärtsgewandten<br />

Utopien?<br />

Gewiss, wer Alexander Dunckers prächtige Lithografien der schlesischen Schlösser betrachtet, findet<br />

ferne Idyllen. Und wer die Romane von Hubertus-Kraft Graf <strong>Strachwitz</strong> zur Hand nimmt, wird ihnen<br />

ebenfalls begegnen. Aber was sagt das letztlich aus? Das 19. Jahrhundert war für den schlesischen<br />

Adel insgesamt durch eine gigantische Überschuldungskrise gekennzeich<strong>net</strong>: Bürgschaften, Pfändungen<br />

und Notverkäufe waren an der Tagesordnung. Auch die Familie blieb davon nicht verschont. Als<br />

Ernst Joachim, ein Sohn des ersten Grafen 1826 starb, konnte er seinen Kindern einen hochansehnlichen<br />

Besitz hinterlassen: Groß-Stein und Stubendorf, dazu noch unter anderem Schedlitz, Kadlub,<br />

Sakrau und Dombrowka. Allerdings lagen auf den Gütern gewaltige Schulden und Hypotheken, und<br />

die Erben hatten es nicht immer leicht. Ja, es bestand sogar dringender Handlungsbedarf: Die Landwirtschaft<br />

musste rentabler werden, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollte. Also wurde die Verwaltung<br />

effizienter organisiert, und auch die moderne Technik hielt bald Einzug auf den Gütern.<br />

Insgesamt wird man sagen dürfen, dass Traditionsbewusstsein und Mut zum Neuen die Familie kennzeich<strong>net</strong>en.<br />

Dafür lässt sich kaum ein schöneres Beispiel finden <strong>als</strong> das Herrenhaus, das zwischen<br />

1925 und 1928 für Alfred Graf <strong>Strachwitz</strong> in Kadlub errichtet wurde. Denn der Architekt war kein<br />

anderer <strong>als</strong> Heinrich Lauterbach, Meisterschüler Hans Poelzigs, ein Verfechter des Neuen Bauens und<br />

zugleich Vorsitzender des Schlesischen Werkbunds. Sein Entwurf war zwar von den adligen Idealen<br />

des Landlebens inspiriert, stellte sie aber mitten hinein in die moderne Welt – eine Entscheidung, der<br />

man eine tiefergehende, eine symbolische Bedeutung nicht absprechen kann. Heute aber wollte ich<br />

vor allem von jenen Besonderheiten sprechen, die zugleich ins Allgemeine verweisen. Von dem vornationalen,<br />

dem überstaatlichen Charakter der Familie. Kurz: von schlesischem Adel.<br />

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