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Achtsames Leben Herbst 2016

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ewusstes leben<br />

Mut zum <strong>Leben</strong>swandel: In den Jahren zwischen 43 und 63<br />

wollten Fußballer werden, uns um ein eigenes<br />

Pferd kümmern oder Dompteur werden. Aber<br />

wir bekamen nur zu hören, wir hätten kein Talent<br />

dazu oder zwei linke Hände, das sei alles<br />

nur dummes Zeug oder brotlose Kunst, zu teuer<br />

oder zu gefährlich … Also förderte man, als<br />

eigene Kinder kamen, lieber diese, als seine<br />

Sehnsüchte wieder zu beatmen. Umso sinnvoller<br />

ist es jetzt, der eigentlichen Sehnsuchtsbotschaft<br />

nachzuspüren. Der grauhaarige Herr mit<br />

seinem nagelneuen Porsche wird vielleicht belächelt,<br />

doch womöglich ist der Flitzer ein Symbol<br />

seiner (uneingestandenen) Sehnsucht nach<br />

Abenteuern und Grenzerfahrungen, die er als<br />

Junge unterdrücken musste. Die gestylte, superschlanke<br />

70-jährige Dame mit der langen Mähne<br />

wirkt auf den ersten Blick agil, bis sie sich<br />

mühsam aus dem Sessel erhebt und nach ihrem<br />

Krückstock greift. Manche finden es peinlich,<br />

wenn „die Alten“ immer noch auf jung<br />

machen wollen, doch dahinter steckt die Sehnsucht,<br />

die einstige Attraktivität um keinen Preis<br />

zu verlieren. Frauen, die in jungen Jahren ob ihrer<br />

Schönheit umschwärmt wurden, haben es<br />

im Alter besonders schwer, Abschied davon zu<br />

nehmen. Niemand sollte das verurteilen, zumal<br />

nicht jeder den Mut oder die Lust hat, nach der<br />

tieferen Botschaft seiner Sehnsucht zu forschen.<br />

(…)<br />

Wir haben nun die Möglichkeit, uns mit unseren<br />

Erfahrungen auseinanderzusetzen, die Dinge<br />

im Licht des Gewesenen auf einer reifen Ebene<br />

zu betrachten, Unerledigtes abzuschließen<br />

und unnötige Kämpfe zu beenden. Wer sich um<br />

diese biografische Aufgabe drückt, der drückt<br />

sich vor seinen Gefühlen, die jedoch notwendig<br />

sind, um Altes abschließen zu können. Manche<br />

meinen deshalb, sie würden jetzt dünnhäutiger<br />

und dickfelliger zugleich. Der Grund: Sie können<br />

diese Aufgabe nicht annehmen und das<br />

Ziel dieser inneren Arbeit nicht erkennen. Wozu<br />

denn sich anstrengen? Wem zuhören, wenn einem<br />

auch niemand zuhört? Warum etwas geben,<br />

wenn nichts zurückkommt? Doch damit<br />

folgt man bloß Paul Watzlawicks berühmter<br />

„Anleitung zum Unglücklichsein“. Denn bei dieser<br />

Haltung dem <strong>Leben</strong> und den Menschen gegenüber<br />

gedeihen Kränkungen bestens - und<br />

nicht zuletzt ist man selbst gekränkt, weil einem<br />

das <strong>Leben</strong> nicht gehorcht. Kränkung ist stets<br />

ein Resultat aus Gefühlen wie Schmerz, Scham,<br />

Angst und Trauer. Sind wir gekränkt, können<br />

wir einfach nicht mehr frei fühlen und denken,<br />

weil wir in uns selbst verheddert sind, in unseren<br />

subjektiven Wahrnehmungen und Sichtweisen,<br />

in unserer vermeintlichen Wahrheit, die jeden<br />

Irrtum ausschließt. Doch je mehr wir uns<br />

in den Ärger der Kränkung verbeißen, desto<br />

mehr entfernen wir uns von der <strong>Leben</strong>swirklichkeit<br />

und nähren unsere Verbohrtheit. Wer bereit<br />

ist, sich seinen Ärger - und die permanente<br />

Bereitschaft dazu - näher anzusehen, wird<br />

entdecken, wo Mitgefühl und Hilfsbereitschaft<br />

sich verschlossen haben. Deshalb schubst uns<br />

das <strong>Leben</strong> zwischen 50 und 60 verstärkt an, damit<br />

wir an Entwicklungsfahrt aufnehmen. Wir<br />

werden vermehrt mit Verlust, Krankheit und Tod<br />

konfrontiert, müssen von vielem Abschied nehmen<br />

und uns neu ausrichten. Sofern wir uns<br />

dem nicht verweigern, wird unsere persönliche<br />

Entwicklung beschleunigt wie selten zuvor. Natürlich<br />

haben wir niemals Zeit zu verplempern,<br />

aber jetzt wird es uns hoffentlich mehr denn je<br />

bewusst.<br />

Hierin besteht auch der biografische Sinn dieser<br />

Zeitspanne: Gibt es Familiengeheimnisse,<br />

die gelüftet werden wollen? Gibt es noch etwas<br />

zu erledigen? Gibt es etwas zu vergeben?<br />

Womit möchte ich mich aussöhnen? Lasse ich<br />

mich noch immer zurückhalten, statt mich aktiv<br />

einzubringen? Wem will ich meine <strong>Leben</strong>szeit<br />

widmen, wie meine verbleibenden Jahre fruchtbar<br />

machen? (…)<br />

Textauszug aus „Mut zum <strong>Leben</strong>swandel“<br />

von Brigitte Hieronimus<br />

mit freundlicher Genehmigung<br />

des Kamphausen Verlages<br />

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