Berner Kulturagenda 2017 N° 16
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14 Anzeiger Region Bern 30<br />
27. April – 3. Mai <strong>2017</strong><br />
Dorothes letzte Ausstellung<br />
Dorothe Freiburghaus, Galeristin aus Leidenschaft, hört<br />
auf. Von ihrem Kunstkeller in der Altstadt aus prägte sie<br />
fast 50 Jahre lang Berns Kunst- und Kulturleben.<br />
Die Naturbilder des Seeländer Malers<br />
Martin Ziegelmüller hängen, die Beschriftungen<br />
liegen auf A4-Blättern<br />
für das Publikum bereit, alles fertig,<br />
ein paar Tage vor der Vernissage. Alles<br />
wie immer, wäre es nicht die letzte<br />
Ausstellung im Kunstkeller von<br />
Dorothe Freiburghaus. Mit 73 Jahren<br />
schliesst sie die Galerie in der Altstadt.<br />
Niemand und nichts zwinge sie dazu,<br />
es sei einfach Zeit, sagt sie und hofft,<br />
dass nach ihr wieder ein Kunstort das<br />
alte Gemäuer beleben wird.<br />
Ein Kind der 68er<br />
Derselbe Martin Ziegelmüller war<br />
1970 der Erste, der im zur Galerie umgebauten<br />
Gewölbekeller an der Gerechtigkeitsgasse<br />
40 ausstellte. Freiburghaus<br />
eröffnete den Kunstkeller im<br />
Jahr vor der Einführung des Schweizer<br />
Frauenstimmrechts.<br />
Die ausgebildete Zeichnungslehrerin<br />
wurde in der 68er-Bewegung politisiert.<br />
«Kunst ist da, um etwas zu verändern»,<br />
findet sie nach wie vor. Heute<br />
meint sie damit mehr Denkanstösse<br />
als die Umwälzung von Systemen, an<br />
die sie als junge Frau glaubte.<br />
In der <strong>Berner</strong> Kulturpolitik war sie<br />
umtriebig, etwa mit dem Aufbau des<br />
Vereins <strong>Berner</strong> Galerien oder dieser<br />
<strong>Kulturagenda</strong>. Das städtische Kulturgeschehen<br />
kommentiert Freiburghaus<br />
regelmässig auf ihrer Webseite, von<br />
2012 bis 2014 schrieb sie zudem für<br />
das Onlinemagazin «Journal B».<br />
Leicht gewichtet<br />
Toto läuft ständig eine Laus über die<br />
Leber. Er hat gleich mit mehreren<br />
Sinnkrisen zu kämpfen – so engagiert<br />
er für seine Frau Liebhaber, da er selbst<br />
an einer Potenzstörung leidet, und<br />
muss zusehen, wie an seinem geplanten<br />
Auschwitz-Kongress für Mercedes<br />
Benz die Werbekeule geschwungen<br />
werden soll. Totila Blumen, gespielt<br />
von Lars Eidinger («Personal Shopper»),<br />
forscht zum Holocaust, verliert<br />
Haare und sein Nervenkostüm ist ein<br />
Flickwerk. Als ihm die französische<br />
Praktikantin Zazie (Adèle Haenel) von<br />
seinem Vorgesetzten (Jan Josef Liefers)<br />
vor die Nase gesetzt wird, reissen auch<br />
Schreibend hat sie sich jeweils auch<br />
mit der Kunst auseinandergesetzt, die<br />
sie zeigte. Künstlerinnen und Künstler<br />
hat sie nach ihrem Massstab und nicht<br />
Wie geht die dritte Generation mit dem Erbe des Dritten<br />
Reichs um? Chris Kraus’ Tragikomödie «Die Blumen von<br />
gestern» mit Lars Eidinger läuft im Kino.<br />
Xenix Film<br />
Opferenkelin und Täterenkel nähern sich einander an.<br />
Jonas Kambli<br />
noch die letzten Geduldsfäden. Doch<br />
die beiden haben eine «pränatale Vergangenheit»:<br />
Totilas nationalsozialistischer<br />
Grossvater hat mutmasslich<br />
Zazies jüdische Grossmutter ermordet<br />
– Täterenkel und Opferenkelin nähern<br />
sich einander an.<br />
Mit «Die Blumen von gestern» hat<br />
Regisseur Chris Kraus («Vier Minuten»)<br />
eine skurrile Liebesgeschichte<br />
mit historischem Boden, namhafter<br />
Besetzung und absurden Wendungen<br />
kreiert. <br />
Marie Gfeller<br />
CineMovie, Bern<br />
Täglich, 14.45 und 20.30 Uhr<br />
www.quinnie.ch<br />
nach Bekanntheit oder Mode-Meinungen<br />
ausgewählt. Der Kunstkeller mauserte<br />
sich so zur «unterirdischen Startrampe<br />
für Kunst» (Peter Bräuninger).<br />
Die Kunstschaffenden schätzten<br />
auch die persönliche Atmosphäre, wie<br />
die Festschrift «Ich über dich, du über<br />
mich» zum 40. Jubiläum verdeutlichte.<br />
«Ich fühle mich ‹ganzheitlich›<br />
wahrgenommen», schrieb Sarah<br />
Anais und Bruno sind ein Geschwisterpaar<br />
mit einer aussergewöhnlich<br />
engen Beziehung und einem Zusammenhalt,<br />
der durch die Alkoholsucht<br />
der Mutter und ihrer daraus resultierenden<br />
Ohnmacht verstärkt wird. «Immer<br />
ist alles schön» von Julia Weber<br />
beginnt mit einem Urlaub, der kurz<br />
den Anschein macht, als wäre tatsächlich<br />
alles gut. Doch bald suchen die<br />
Kinder ihre torkelnde Mutter und finden<br />
sie betrunken auf einem Fest.<br />
Kindliche Gedankenwelt<br />
Die beiden Kinder kümmern sich<br />
um ihre Mutter Maria, die mit Sätzen<br />
wie «Es ist nicht einfach, so ein Leben<br />
zu leben, sagt die Mutter, darum will<br />
sie noch ein Glas» ihren Kindern unterschwellige<br />
Vorwürfe macht. Als sie<br />
schläft, anstatt die Kinder in die Schule<br />
zu schicken, sagt sie: «Ihr seid<br />
krank, sonst wärt ihr nicht hier, sondern<br />
in der Schule, und wärt ihr doch<br />
hier, aber nicht krank, dann wäre ich<br />
eine schlechte Mutter.» Dass die Geschichte<br />
teilweise aus der Perspektive<br />
von Maria erzählt wird, bringt ihr immer<br />
wieder ein wenig Verständnis entgegen,<br />
das aber spätestens am Schluss<br />
des Buches zunichte gemacht wird.<br />
Julia Weber, 1983 in Tansania geboren,<br />
schloss 2012 ihr Studium am Literaturinstitut<br />
in Biel ab und lebt mit ihrem<br />
Mann und ihrem Kind in Zürich.<br />
Sie illustriert die Gedankenwelt der<br />
Fuhrimann. Und Werner Ignaz Jans<br />
dichtete in Anspielung auf den kalten<br />
Keller im Winter: «Ohne dein inneres<br />
Kunst-Feuer wären wir alle erfroren.» <br />
Céline Graf<br />
Kunstkeller Bern<br />
Vernissage: Sa., 29.4., 17 Uhr<br />
Ausstellung bis 10.6.<br />
www.kunstkellerbern.ch<br />
«Kunst ist da, um etwas zu verändern»: Dorothe Freiburghaus zwischen Ölgemälden von Martin Ziegelmüller.<br />
Gegen die Ohnmacht<br />
Der Debütroman «Immer ist alles schön» von Julia Weber,<br />
die am Literaturinstitut in Biel studiert hat, geht unter die<br />
Haut. Die Zürcherin liest im Kunst- und Kulturhaus Visavis.<br />
Ayse Yavas<br />
Leiser Humor von Julia Weber.<br />
kleinen Anais mit einer unglaublichen<br />
Einfühlsamkeit in kindliche Gefühle<br />
und Fantasien, was die tragische Geschichte<br />
mit leisem Humor erschütternd<br />
macht. Im Kunst- und Kulturhaus<br />
Visavis liest sie in der neuen<br />
Reihe «Hörbar». Lula Pergoletti<br />
Kunst- und Kulturhaus Visavis, Bern<br />
So., 30.4., 17 Uhr<br />
www.kultur-visavis.ch<br />
Ostring meldet:<br />
Wer mit Tieren spricht, hat viel<br />
verstanden.<br />
Matto Kämpf<br />
Anschlag<br />
Martin Chiang<br />
Ein guter Pianist zeichnet sich durch<br />
einen präzisen, sauberen Anschlag<br />
aus. Dabei gibt es diverse Arten, die<br />
Tasten eines Klaviers anzuschlagen.<br />
Ob wuchtig, zart oder flink, der in der<br />
«Meisterzyklus»-Reihe auftretende<br />
Genfer Pianist Louis Schwizgebel<br />
weiss die Ausdrucksmöglichkeiten einer<br />
Klaviatur geschickt und nuanciert<br />
einzusetzen. Zu Beginn der «Mondscheinsonate»<br />
von Ludwig van Beethoven<br />
etwa fallen die Finger wie<br />
schwere Tropfen hinab, doch im dritten<br />
Satz scheinen sie wie von der<br />
Taran tel gestochen zu sein. Genauso<br />
variationsreich ist das weitere Programm:<br />
Der Schweizer Tastenvirtuose<br />
spielt zwei Chopin-Balladen sowie den<br />
Zyklus «Bilder einer Ausstellung» von<br />
Modest Mussorgsky. <br />
sr<br />
Kulturcasino, Bern<br />
Do., 27.4., 19.30 Uhr<br />
www.meisterzyklus.ch<br />
Wir verlosen 2 × 2 Tickets:<br />
tickets@bka.ch<br />
Anmut<br />
Eine aufrechte Haltung gehört zu<br />
den Grundsätzen des französischen<br />
Barock tanzes. Zur Regierungszeit des<br />
Sonnenkönigs Louis XIV. war Eleganz<br />
ein Ausdruck der höfischen Etikette,<br />
wie sie in Versailles – zumindest vordergründig<br />
– gepflegt wurde. In diese<br />
schillernde Zeit darf das <strong>Berner</strong> Publikum<br />
am zweiten Abonnementskonzert<br />
«Le roi danse» des Barockensembles<br />
Die Freitagsakademie eintauchen.<br />
Als lebhaftes Exempel einer tanzenden<br />
Hofdame tritt die Slowenin Mojca<br />
Gal (Bild) auf. Zu Musik von Jean-Baptiste<br />
Lully, François Couperin und anderen<br />
füllt die Violinistin und Tänzerin<br />
den Raum mit Präsenz, Leichtigkeit<br />
und distinguierter Anmut. sr<br />
Konservatorium, Bern<br />
Fr., 28.4., 19.30 Uhr<br />
www.freitagsakademie.com<br />
Andacht<br />
Ein Himmel und keine Hölle. Das ist<br />
die Hoffnung, welcher der französische<br />
Komponist Gabriel Fauré mit seinem<br />
«Requiem» für Chor und Soli Gehör<br />
verschafft. Der Cantate Chor<br />
Bolligen, das Vokalensemble Suppléments<br />
musicaux und das Orchester Le<br />
buisson prospérant geben sich an ihrem<br />
Konzert «Hoffnung und Frieden»<br />
diesen zugleich sanften und kraftvollen<br />
Harmonien hin. Eine unendliche<br />
Weite eröffnet ebenfalls das Werk für<br />
Chor und Streichorchester «Da pacem<br />
domine» von Arvo Pärt. Wenn die über<br />
100 Sängerinnen und Sänger unter der<br />
Leitung von Jörg Ulrich Busch in<br />
Latein «Gib Frieden, Herr» singen,<br />
dann breiten sich Momente innerster<br />
Andacht aus. <br />
sr<br />
Französische Kirche, Bern<br />
Sa., 29.4., 20 Uhr<br />
So., 30.4., 17 Uhr<br />
www.cantatechor.ch<br />
TICKETS