Welche Natur schützen wir? - Stiftung Natur und Umwelt Rheinland ...
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sich« <strong>und</strong> ohne Rücksicht auf ihre besondere ästhetische<br />
Attraktivität erhalten werden.<br />
Die Erfahrung einer Landschaft wie der des Mittelrheintals<br />
ist seit der Begründung der neuzeitlichen Ästhetik im<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>ert wesentlich durch Bilder bestimmt, deren<br />
Spektrum von der Vorstellung der Landschaft als großer<br />
Garten oder erweiterter Park bis zur Idee einer abenteuerlichen<br />
Wildnis reicht, die für die Theoretiker des <strong>Natur</strong>schönen<br />
unter den Rahmenbedingungen westeuropäischer<br />
Zivilisation allerdings nur ein imaginärer Grenzwert sein<br />
konnte. 6 So bezog sich Immanuel Kant auf eine Beschreibung<br />
der Insel Sumatra, um als ästhetisches Ideal eine<br />
»an Mannigfaltigkeiten bis zur Üppigkeit verschwenderische<br />
<strong>Natur</strong>« zu beschwören, »die keinem Zwange künstlicher<br />
Regeln unterworfen ist« <strong>und</strong> dem Geschmack<br />
des Betrachters «für beständig Nahrung geben kann«,<br />
während ein land<strong>wir</strong>tschaftlicher Nutzung unterworfener<br />
»Pfeffergarten, wo die Stangen, an denen sich dieses<br />
Gewächs rankt, in Parallellinien Alleen zwischen sich bilden«,<br />
ästhetische Langeweile erzeuge. 7<br />
Trotz seiner imaginären Züge bleibt das Bedürfnis nach<br />
dem Wilden, Chaotischen, Ungeregelten der <strong>Natur</strong> als<br />
wichtiges ästhetisches Kriterium des Widerspruchs gegen<br />
alle Vorstellungen vollkommener Planbarkeit bedeutsam.<br />
Dafür steht innerhalb einer vom Menschen vielfältig umgestalteten<br />
Landschaft als pars pro toto die Brache. Der am<br />
Sinn des Fortschritts zweifelnde Philosoph Schopenhauer<br />
feierte sie mit den Worten: »Wie ästhetisch ist doch die<br />
<strong>Natur</strong>! Jedes ganz unangebaute <strong>und</strong> verwilderte, d.h. ihr<br />
selber frei überlassene Fleckchen, sei es auch klein, wenn<br />
nur die Tatze des Menschen davon bleibt, dekoriert sie<br />
alsbald auf die geschmackvollste Weise, bekleidet es mit<br />
Pflanzen, Blumen <strong>und</strong> Gesträuchen, deren ungezwungenes<br />
Wesen, natürliche Grazie <strong>und</strong> anmutige Gruppierung<br />
davon zeugt, dass sie nicht unter der Zuchtrute des großen<br />
Egoisten aufgewachsen sind, sondern hier die <strong>Natur</strong> frei<br />
gewaltet hat. Jedes vernachlässigte Plätzchen <strong>wir</strong>d alsbald<br />
schön.« 8 Die von den Winzern aufgegebenen <strong>und</strong> langsam<br />
verfallenden Weinterrassen am Mittelrhein können hier die<br />
ästhetische Ambivalenz der Bilder zwischen der Lust am<br />
Chaotischen <strong>und</strong> dem Bekenntnis zur kulturellen Ordnung<br />
10 |<br />
verdeutlichen.<br />
Die Fixierung auf Bilder <strong>und</strong> die dadurch bedingte Vorprägung<br />
der Einstellung zur Landschaft ist bei aller Vielfalt<br />
der Möglichkeiten zwischen Wildnis <strong>und</strong> Idylle eine die<br />
ästhetische Erfahrung des Gesamtphänomens Landschaft<br />
<strong>und</strong> <strong>Natur</strong> einschränkende Sichtweise, weil die »leibhaftige«<br />
Präsenz tendenziell alle Sinne aktiviert. Wird die Realität<br />
einer Landschaft konsequent an die raumzeitliche<br />
Situation des ästhetisch erfahrenden Subjekts geb<strong>und</strong>en,<br />
so potenziert sich außerdem die Bedeutung des Einzelnen,<br />
Singulären, Individuellen bis hin zum Wechsel einzelner<br />
Augenblicke, wenn sich z.B. eine Wolke vor die Sonne<br />
schiebt <strong>und</strong> das Flusstal dadurch in einem anderen Licht,<br />
einer anderen Atmosphäre, einem anderen Farbklang<br />
erscheint. Die ästhetische Erscheinung modifiziert sich<br />
ebenso nach dem räumlichen Eindruck. Allein der Standortwechsel<br />
vom Ufer zur Höhe mit der Erfahrung des Aufstiegs<br />
<strong>und</strong> Abstiegs oder der Blickwechsel vom weiten<br />
Flusstal ins enge Seitental markiert eine solche Vielzahl<br />
ästhetischer Differenzen in der Wahrnehmung der Physiognomie<br />
einer Landschaft, dass sie durch keine noch<br />
so detaillierte Beschreibung oder bildliche Dokumentation<br />
wiedergegeben werden kann.<br />
Die Komplexität <strong>wir</strong>d nun noch gesteigert durch die<br />
»innere« Resonanz als individueller Färbung durch die<br />
Empfindungen, Gefühle <strong>und</strong> Reflexionen dessen, der sich<br />
in dieser Landschaft bewegt. Die Romantiker haben diese<br />
Dimension der Erfahrung entscheidend aufgewertet. Als<br />
Gefüge von Assoziationen kann sie nun über die realen<br />
Gegebenheiten hinaus den ganzen Raum der Phantasie<br />
erfüllen <strong>und</strong> schließt eine aus Mythen, Märchen <strong>und</strong><br />
Sagen gewobene imaginäre Historie ausdrücklich ein.<br />
Zu einem solchen romantischen <strong>Natur</strong>verständnis gehört<br />
nicht zuletzt der Anspruch, mit <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> Landschaft<br />
wie mit einem Subjekt einen Dialog zu führen: »Wird nicht<br />
der Fels ein eigentümliches Du, eben wenn ich ihn anrede?<br />
Und was bin ich anders als der Strom, wenn ich<br />
wehmütig in seine Wellen hineinschaue, <strong>und</strong> in Gedanken<br />
in seinem Gleiten verliere?« 9 Diese Sprache lässt sich<br />
andererseits nicht in eine eindeutige Botschaft übersetzen;<br />
sie bleibt rätselhaft, dunkel, vieldeutig <strong>und</strong> schreibt<br />
sich wie eine nicht zu entziffernde Hieroglyphe beunruhigend<br />
<strong>und</strong> verheißungsvoll zugleich in die Fraglichkeit<br />
der eigenen Existenz ein. 10 Hier sind <strong>wir</strong> zugleich am<br />
weitesten von jedem Anspruch objektiver Begründbarkeit<br />
entfernt.<br />
Die Frage, welche <strong>Natur</strong> <strong>wir</strong> <strong>schützen</strong> wollen, <strong>wir</strong>d im<br />
Falle des Mittelrheintals sicherlich am stärksten dadurch<br />
irritiert, dass <strong>wir</strong> es insgesamt mit einer kulturell so stark<br />
überformten <strong>Natur</strong> zu tun haben, dass <strong>wir</strong> die Anteile von<br />
Kultur <strong>und</strong> <strong>Natur</strong> nur noch auf einer relativ allgemeinen<br />
analytischen Ebene z.B. der biologischen Bestimmung<br />
von Fauna <strong>und</strong> Flora trennen können. Es dominiert der<br />
ganzheitliche Zusammenhang dessen, was heute mit<br />
Recht »Kulturlandschaft« genannt <strong>wir</strong>d. <strong>Welche</strong>n Anteil<br />
hier wiederum eine rückwärts gewandte, romantisch gefärbte<br />
Imagination hat, formuliert Lucius Burckhardt durch<br />
die provozierende These: »Kulturlandschaft ist die Landschaft,<br />
in die man zu spät kommt, deren Reiz darin besteht,<br />
dass man darin gerade noch lesen kann, wie es einmal<br />
war. Und wie es einmal war, das ist für uns so, wie es<br />
›eigentlich‹ sein müsste.« Derartige Rekonstrukte könne<br />
man im strengen Sinne gar nicht »konservieren«. Die<br />
Frage, was Kulturlandschaft in ihrer Substanz eigentlich<br />
Anmerkungen<br />
1 Immanuel Kant: Werke, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. VI, Frankfurt<br />
am Main 1964, S. 410 / 411<br />
2 Vgl. hierzu als frühes Beispiel einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Kritik Friedrich<br />
Achleitner (Hrsg.): Die Ware Landschaft. Eine kritische Analyse des<br />
Landschaftsbegriffs, Salzburg 1977<br />
3 Schon Immanuel Kant <strong>und</strong> Friedrich Schiller (Kallias oder Über die<br />
Schönheit, 1793) hatte die Erfahrung des <strong>Natur</strong>schönen mit dem<br />
übergeordneten moralischen Gesichtspunkt einer Kultivierung aller<br />
»Gemütskräfte« in Verbindung gebracht. Zur neueren Diskussion<br />
vgl. Martin Seel: Die Moral des <strong>Natur</strong>schönen, in ders.: Eine Ästhetik<br />
der <strong>Natur</strong>, Frankfurt am Main 1991, S. 288 ff.<br />
4 Vgl. dazu das Hauptwerk von Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung<br />
– Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt<br />
am Main 1979<br />
5 So der insgesamt eher plakative <strong>und</strong> analytisch kaum differenzierte<br />
Vorschlag von Gernot Böhme Für eine ökologische <strong>Natur</strong>ästhetik,<br />
Frankfurt am Main 1989, wonach die Aufgabe einer aktuellen<br />
Ästhetik darin bestehe »zu klären, welche Rolle Schönheit in ökologischen<br />
Gefügen spielt, die gut sind im Sinne von zuträglich <strong>und</strong><br />
wünschenswert für den Menschen.« (S. 46f.)<br />
»ist«, sei daher »keine faktische oder historische, sondern<br />
eine ästhetische. Es ist die Frage, als was <strong>wir</strong> sie wahrnehmen.«<br />
11 Der Folgerung, dass Kulturlandschaften nur<br />
»ein Konstrukt der Wahrnehmung« seien, lässt sich allerdings<br />
mit guten Gründen widersprechen. Die Dialektik von<br />
Objektivität – faktisches Gegebensein bestimmter landschaftlicher<br />
Verhältnisse –, Subjektivität – Wahrnehmung<br />
von Landschaft aus einer bestimmten persönlichen Perspektive<br />
– <strong>und</strong> Intersubjektivität – traditionell überkommenes<br />
<strong>und</strong> modern sich veränderndes kollektives Verständnis<br />
von Landschaft – lässt sich nicht bruchlos nach der<br />
einen oder anderen Seite hin auflösen. Es handelt sich<br />
vielmehr um einen höchst komplexen Prozess, der immer<br />
wieder nach Versuchen verlangt, die die Rekonstruktion<br />
des Vergangenen, die Wahrnehmung des gegenwärtigen<br />
Zustands <strong>und</strong> die Vorwegnahme zukünftiger Entwicklungen<br />
plausibel miteinander verbinden. Was daran mit Fug<br />
<strong>und</strong> Recht »<strong>Natur</strong>« genannt werden kann, ist also ein nie<br />
definitiv bestimmbarer dynamischer Zusammenhang,<br />
der im Sinne des Philosophen Ernst Bloch stets auch ein<br />
Stück Utopie als »Traum nach vorwärts« enthält. 12<br />
6 Zum gesamten historischen Kontext vgl. Brigitte Wormbs: Über den<br />
Umgang mit <strong>Natur</strong>. Landschaft zwischen Illusion <strong>und</strong> Ideal, München<br />
1976; Jörg Zimmermann: Zur Geschichte des ästhetischen <strong>Natur</strong>begriffs,<br />
in ders. (Hrsg.): Das <strong>Natur</strong>bild des Menschen, München 1982,<br />
S. 118 – 155; Manfred Smuda (Hrsg.): Landschaft, Frankfurt am Main<br />
1986 <strong>und</strong> Jörg Zimmermann (Hrsg.): Ästhetik <strong>und</strong> <strong>Natur</strong>erfahrung,<br />
Stuttgart 1996<br />
7 Kant: Kritik der Urteilskraft, § 22<br />
8 Arthur Schopenhauer: Vereinzelte Bemerkungen über <strong>Natur</strong>schönheit,<br />
in ders.: Die Welt als Wille <strong>und</strong> Vorstellung, Bd. 2, Leipzig 1844.<br />
9 Novalis: Schriften, hrsg. v. P. Kluckhohn <strong>und</strong> R. Samuel, Stuttgart<br />
1960 ff., Bd. I, S. 389<br />
10 Zur ästhetischen Lesart der Analogie von <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> Sprache vgl.<br />
Jörg Zimmermann: Ästhetische Erfahrung <strong>und</strong> die »Sprache der<br />
<strong>Natur</strong>«, in ders. (Hrsg.): Sprache <strong>und</strong> Welterfahrung. München 1978,<br />
S. 234 – 257<br />
11 Lucius Burckhardt: Landschaft ist transitorisch, in: TOPOS Nr. 6,<br />
München 1994, S. 40<br />
12 Vgl. Ernst Bloch über unabgegoltene Ansprüche von Tradition im<br />
Horizont einer antizipatorisch entworfenen Zukunft. (Das Prinzip<br />
Hoffnung, Frankfurt am Main 1959, Kap. 15ff.)<br />
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