TdA Spielzeitheft 2017/18
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Liebes Publikum!<br />
Diese Zeilen schreibe ich während der Ostertage <strong>2017</strong>, in einer Zeit also, an die man sich – fürchte<br />
ich – noch länger erinnern wird: Giftgas in Syrien, unterschiedliche Schuldzuweisungen der<br />
Mächtigen, keine Gewissheit über die wahren Sachverhalte. Sicher ist nur: über 80 Todesopfer,<br />
elendiglich zugrunde gegangen am chemischen Kampfstoff Sarin, darunter viele Kinder. Die<br />
internationale Gemeinschaft setzt ein betroffenes Gesicht auf. Ich möchte fragen: Warum erst<br />
jetzt oder jetzt erneut nach langem Schweigen? Nach UN-Schätzungen gab es bereits mehr<br />
als 500.000 Tote in diesem seit sechs Jahren andauernden Krieg, Millionen Menschen sind<br />
auf der Flucht. Alle Versuche, eine dauerhafte Waffenruhe zu etablieren, scheiterten bisher.<br />
Kommen Sie noch mit? Verstehen Sie noch, was in der Welt vor sich geht? Moralische<br />
Entrüstung gegen Giftgaseinsätze einerseits, andererseits verkauften deutsche Firmen 2016<br />
Rüstungsgüter im Wert von fast sieben Milliarden Euro ins Ausland, unter anderem nach<br />
Nahost und Nordafrika. Und in Deutschland vergeht kein Tag ohne durchschnittlich zwei<br />
bis drei Angriffe gegen Flüchtlingsheime. Das Bundeskriminalamt hat 2016 bundesweit 921<br />
Attacken auf Asylunterkünfte verzeichnet. Indessen erschüttert die Karwoche <strong>2017</strong> auch der<br />
Anschlag von Stockholm, ausgeführt mit einem LKW nach demselben IS-Muster wie zuvor<br />
in London, Berlin und Nizza. Und das Sprengstoff-Attentat auf die Mannschaft von Borussia<br />
Dortmund. Die Angst geht um und treibt seltsame Blüten.<br />
Reichtum schafft Not und Elend. Not und Elend treffen auf Reichtum. Und Hass und Gewalt<br />
sind – so scheint es – auf dem Vormarsch. Zeit innezuhalten und sich zu fragen: »Wofür<br />
stehst du?«<br />
Welche Werte sind uns wichtig? Angesichts der Ereignisse? Seit Wochen gibt es regelmäßige<br />
Demonstrationen für die Werte der Europäischen Union. Solidarität, Freiheit, Demokratie,<br />
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte werden neu entdeckt. Vielleicht entdecken wir:<br />
Demokratie ist nicht die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Demokratie bedeutet,<br />
dass Grundrechte für den Einzelnen aktiv einklagbar sind, dass der Rechtsstaat seine<br />
schützende Hand über jeden einzelnen Bürger hält, dass Menschenrechte ohne Wenn und<br />
Aber für jeden gültig sind. »Menschenrechte können und müssen nicht verdient werden. Es<br />
gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und<br />
geschützt wird«, so die Autorin und Publizistin Carolin Emcke, aus deren Rede anlässlich der<br />
Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels wir auf den kommenden Seiten<br />
noch ausführlich zitieren.<br />
Ich lade Sie also zu unserer »wertvollen« Spielzeit ein, in der wir fragen: Wie wollen wir<br />
eigentlich leben? Was sind unsere Werte, die uns Orientierung geben und unsere Gesellschaft<br />
ausmachen (sollen)?<br />
Herzlichst, Ihr<br />
Alexander Netschajew — Intendant Theater der Altmark<br />
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