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S 52<br />

WeltWoche Stil no. 6<br />

Famiglia Windhund<br />

das erbe der trussardis sind feinste Schuhe für reiche hände.<br />

und der Fluch, der auf den mailändern lag, ist vergangenheit.<br />

von valeSka janSen (Text) und Piero martinello (Bild)<br />

Alles begann mit Handschuhen, keinen gewöhnlichen Handschuhen<br />

allerdings. 1911 verarbeitete ein junger Mann in seiner Werkstatt<br />

in Bergamo in Norditalien feines, weiches Ziegen leder zu<br />

Fingerhandschuhen. Die längste Zeit waren Handschuhe, meistens<br />

Fäustlinge, aus hartem, brüchigem Rinds- oder Schweineleder<br />

hergestellt worden. Und die wenigen Fingerhandschuhe,<br />

die es gab, überstanden das Tragen bloss wenige Tage. Der Name<br />

des Mannes war Dante Trussardi, und seine Handschuhe waren<br />

zart, elegant, trotzdem stabil und also etwas Neues.<br />

Das passte der feinen Gesellschaft, denn um sich nicht die<br />

Hände schmutzig zu machen auf der Strasse, wenn man ausging,<br />

waren Lederhandschuhe nützlich. Das moderne Accessoire strahlte<br />

aus bis in die Neue Welt, bis nach Amerika. Auch dort fand man<br />

es fancy, die Hände mit diesen feinen «Schuhen» zu schützen.<br />

Dazu kam: «Made in Italy» klang gut. Stand für europäische<br />

Lebensart. Wer Lederhandschuhe von Dante Trussardi anhatte,<br />

musste jemand sein.<br />

Als Nicola Trussardi, Dantes Sohn, fünfzig Jahre später die<br />

Firma von seinem Vater bekam, war aus dem Atelier in Bergamo<br />

ein Unternehmen mit Sitz in Mailand geworden. Nicola sah sich als<br />

Geschäftsmann, nicht als Lederhandwerker. Er dachte gross und<br />

sein Ziel war, das Unternehmen weiter aufzubauen. Unter seiner<br />

Leitung wurden auch Handtaschen, Portemonnaies, Gürtel und<br />

Gepäck hergestellt, weiterhin aus guten Materialien und in feinster<br />

Handarbeit, doch in grossen Stückzahlen. Und, naturalmente,<br />

immer «made in Italy». Denn das war mehr als eine Herkunftsbezeichnung,<br />

ein Hinweis darauf, dass man ein connoisseur war. Es war<br />

die Zeit, als junge Amerikaner (mit Vermögen in der Familie) noch<br />

die grand tour machten und so das alte Europa kennenlernten. Und<br />

Italien war das Land der Palazzi, der Dogen, der Geschichte. Aber<br />

auch der Mode und, zum Beispiel, der feinen Lederwaren. Mit italienischen<br />

(Hand-)Schuhen war man einer wie Marcello Mastroianni<br />

in «Dolce Vita» und keiner wie John Wayne in «Rio Bravo».<br />

Nicola entwarf 1973 ein Firmenlogo – den Windhund. Der<br />

stand für das, wofür das Unternehmen stehen sollte: Geschwindigkeit,<br />

Eleganz, Tradition. Das Logo kam auf Brillen, Möbel, Accessoires,<br />

Schmuck, Düfte und sogar eine Zigarettenmarke. Es gab eigentlich<br />

nichts, was es nicht mit dem typischen Trussardi-Symbol<br />

zu erstehen gab. Es war die Zeit, als Nicola Trussardi das Unternehmen<br />

mit hoher Geschwindigkeit in die Zukunft lenkte und<br />

sein Ideenreichtum die Firma fast von der Strasse abbrachte.<br />

Nicola und sein Windhund hatten keine Bremsen und jagten<br />

weiter. 1983 wurde die erste Kollektion aus der Linie «Trussardi<br />

Donna» im Foyer der Mailänder Scala präsentiert. Ein Jahr später<br />

konnten auch die Herren von Kopf bis Fuss in Trussardi gekleidet<br />

gehen: mit der ersten «Trussardi Uomo»-Kollektion.<br />

Beste Verbindungen zur Politik und die nötigen finanziellen<br />

Mittel (sagte man) brachten Nicola kurz darauf einen Staatsbetriebsauftrag<br />

ein: Er durfte die Flotte Alitalias bestuhlen. Wenig<br />

später, der zweite Staatsbetriebsauftrag, das Interieur der Alfa-<br />

Romeo-Modelle gestalten. Möglich, dass er das auch Bettino Craxi<br />

november/dezember 2011<br />

zu verdanken hatte. Dieser war gerade zum Führer der Sozialisten<br />

ernannt worden, Nicola war ein Freund.<br />

Nicola Trussardi war unermüdlich: 1988 zog die italienische<br />

Delegation, von Kopf bis Fuss in Trussardi gekleidet, in das<br />

Olympia-Stadion von Seoul. Die achtziger Jahre waren gut für das<br />

Grossunternehmen, Stücke der Marke zu Must-have-Objekten<br />

geworden. Einige Artikel waren auch fast erschwinglich für die<br />

Masse, kleinere Accessoires zum Beispiel. Doch die Geschwindigkeit,<br />

die die längste Zeit Trussardis Freund gewesen war, wurde<br />

sein Schicksal, sein Verhängnis – im Frühjahr 1999 fuhr er seinen<br />

Mercedes in der Nähe von Mailand in einer Kurve von der Strasse,<br />

Trussardi, der mit Gürteln reich geworden war und Auto-Interiors<br />

gestaltet hatte, hatte den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Zwei<br />

Tage nach dem Unfall starb er im Spital.<br />

Ein hartes Los für die Familie. Der Padrone war tot, sein Sohn,<br />

Francesco, noch jung. Doch der musste die Unternehmensführung<br />

übernehmen, mit 27 Jahren, und die Aufgabe, das zuvor zu<br />

schnell gewachsene Angebot der Marke zu verkleinern und wieder<br />

das zu machen, was man am besten machte. Die Kreativität seines<br />

Vaters fehlte ihm, er war eher ein Betriebswirtschafter. Er versuchte,<br />

die Geschäftszweige zusammenzufassen, und begann, das<br />

Kerngeschäft, die Accessoires, zu stärken. Viel Zeit dafür hatte er<br />

nicht, nur vier Jahre. 2003 verunglückte Francesco, genau wie sein<br />

Vater, in seinem Auto, einem Ferrari 360 Modena, er starb auf der<br />

Stelle. Journalisten schrieben vom Fluch der Trussardis, erzählten<br />

die Geschichte von Aufstieg und Fall des Hauses Trussardi, der<br />

Familie mit dem Zeichen des Windhundes. Da war zwar noch der<br />

kleine Bruder, Tomaso, damals zwanzig Jahre alt. Doch man entschied,<br />

dass die Schwester das Erbe Francescos übernehmen sollte.<br />

Beatrice hatte in New York Kunstgeschichte studiert, nach ihrer<br />

Rückkehr aber im Mailänder Haupthaus mitgearbeitet. Sie stand<br />

also zuerst in der Pflicht und danach, mit 29 Jahren, an der Spitze<br />

des Unternehmens, dessen Geschäfte nicht mehr gut gingen.<br />

«Es war kein Schock für mich, so plötzlich das Familienunternehmen<br />

zu leiten. Ich war schliesslich bereits zwei Jahre lang voll<br />

involviert gewesen», sagt die blonde Frau, die kühl wirkt. Andere<br />

Ambitio nen hätte sie niemals gehabt, erklärt sie beinahe streng.<br />

Heute ist sie vierzig Jahre alt und hat das fortgeführt, was ihr<br />

Bruder Francesco begann. «Back to the roots», sagt sie. Die Stammfabrik<br />

in Bergamo hat sie verkauft und einmal vergebene Lizenzgeschäfte<br />

zurückgeholt in die Familie.<br />

«Wir sind zu 100 Prozent Italien», sagt sie. Und meint damit,<br />

dass sich die Firma heute wieder auf alte Werte besinnen will wie<br />

damals Dante Trussardi, der Herr der Handschuhe. Oder, mit<br />

anderen Worten, auf beste Verarbeitung und hohe Qualität des<br />

Mate rials. «Leder ist die DNA unserer Firma.»<br />

Dieses Jahr ist es hundert Jahre her, dass Trussardi sein Geschäft<br />

eröffnet hatte. Und Handschuhe herstellen ist noch immer<br />

das, was die Mitarbeiter von Trussardi am besten können; noch<br />

immer «made in Italy». Der Windhund, sozusagen, rennt nicht<br />

mehr so schnell, doch er ist nicht alt, er ist reif geworden.

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