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Interview Krieg in Wien.pdf - Michael Glawogger

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KRIEG IN WIEN<br />

E<strong>in</strong> Film von <strong>Michael</strong> <strong>Glawogger</strong> über Nachrichten das Leben,<br />

die Liebe und den Tod.<br />

Mit <strong>Michael</strong> <strong>Glawogger</strong> und Ulrich Seidl sprach Edmund Steirer.<br />

Aus der Zeitschrift „Blimp“ Ausgabe 13,<br />

Herbst 1989<br />

Synopsis:<br />

E<strong>in</strong> blonder Bub vor se<strong>in</strong>em Videoschirm:<br />

„Die Bösen s<strong>in</strong>d die Roboter und die Guten s<strong>in</strong>d die – Menschen“. Schnitt. E<strong>in</strong> dicker Mann mit e<strong>in</strong>em Netz, <strong>in</strong><br />

dem e<strong>in</strong> Fisch zappelt, h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em Ladentisch: „Me<strong>in</strong> Name ist Gregori, ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Wien</strong> geboren, gelernter<br />

Fleischhauer und verkaufe jetzt Fische“. Schnitt. Newsblock: Kaum erkennbar zwei Opfer der Schiffskatastrophe<br />

vor den Philipp<strong>in</strong>en, dazu e<strong>in</strong> Text<strong>in</strong>sert: „Tragedia en el mare“. Schnitt. Horst Friedrich Mayer im Zeit im Bild<br />

Studio: „Die Nachrichten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fernsehsendung haben ke<strong>in</strong>e andere Aufgabe, als möglichst schnell, möglichst<br />

präzise, möglichst genau und möglichst objektiv, wie es e<strong>in</strong>er öffentlich-rechtlichen Anstalt eben<br />

zukommt, über das was im Land und <strong>in</strong> der Welt eben passiert zu <strong>in</strong>formieren“. Ab „möglichst objektiv“ spricht<br />

H. F. Mayer aus dem Off weiter, während das Profil e<strong>in</strong>es mit e<strong>in</strong>em Feldstecher ausgestatteten Mannes und <strong>in</strong><br />

weiterer Folge verschiedene Nachrichtensignations aus aller Welt <strong>in</strong> rascher Folge und mit Überblendungen<br />

gezeigt werden. Dazu e<strong>in</strong> Text<strong>in</strong>sert: „Im Fernsehen werden fast nur harmlose Bilder gezeigt“. Schnitt.<br />

Amerikanischer Nachrichtensprecher: „This is no fun game, this is it“. Schnitt.<br />

<strong>Interview</strong>:<br />

STEIRER: „<strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> <strong>Wien</strong>“ ist nach e<strong>in</strong>er Reihe von Kurzfilmen de<strong>in</strong> erster, ich möchte e<strong>in</strong>mal sagen „langer Film“,<br />

der auch e<strong>in</strong>er breiteren Öffentlichkeit zugänglich se<strong>in</strong> wird. Soviel ich weiß, ist das Drehbuch geme<strong>in</strong>sam mit<br />

Ulrich Seidl, der auch an der Regie mitgearbeitet hat, entstanden.<br />

GLAWOGGER: Es gibt ke<strong>in</strong> Drehbuch <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>n für diesen Film. Ausgangsbasis für „<strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> <strong>Wien</strong>“ war e<strong>in</strong><br />

Konzept und e<strong>in</strong>e grundsätzliche Idee, und alles was an diesem Film nach Drehbuch aussieht, s<strong>in</strong>d<br />

Entscheidungen, die letztendlich am Schneidetisch gefallen s<strong>in</strong>d. Es ist sozusagen aus e<strong>in</strong>em großen Konzept<br />

e<strong>in</strong>e Detailarbeit geworden, die auch das eigentliche Gesicht des Filmes ausmacht. Das Konzept als<br />

Ausgangsbasis ist schriftlich vorgelegen und war <strong>in</strong> dieser Art allen Mitwirkenden bekannt. Was den Film jedoch<br />

im Detail ausmacht, und das ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach auch wichtig, da ich ihn ja als Detailarbeit ansehe, s<strong>in</strong>d<br />

die e<strong>in</strong>zelnen, zum Teil auch unabhängig vone<strong>in</strong>ander entstandenen Beiträge der Mitwirkenden. Man könnte<br />

sagen, dass dieser Film wie e<strong>in</strong> offenes Mosaik, e<strong>in</strong> Mosaik ohne Ränder, funktioniert. Das heißt, jede kle<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>heit, die verwendet wurde, ist e<strong>in</strong> Stückchen, das den Film aufbaut, und da kann jeder daran weiterbauen.<br />

Also die Schneidearbeit endet eigentlich nicht mit der Fertigstellung des Filmes. Deswegen nenne ich ihn auch<br />

gerne e<strong>in</strong> offenes Mosaik.<br />

STEIRER: H<strong>in</strong>ter diesem offenen Mosaik kann natürlich auch e<strong>in</strong>e Angst vor dem Grenzenziehen, Stellungnehmen<br />

stehen.<br />

GLAWOGGER: Ne<strong>in</strong>, das ist vielmehr grundsätzlich für die Weltsicht, die dem Film zugrunde liegt, die grundsätzlich<br />

fehlende Weltanschauung. Man kann sagen, das ist me<strong>in</strong>e momentane Sicht der Welt, und die ist e<strong>in</strong>e, wo<br />

es ke<strong>in</strong>e Weltanschauung gibt, die man artikulieren könnte, sondern die vielmehr aus unzähligen kle<strong>in</strong>en<br />

D<strong>in</strong>gen besteht, an die man sich wiederum aus unzähligen Perspektiven annähern kann. Es gibt ja ke<strong>in</strong>en Satz<br />

über die Welt, den man sagen könnte, ohne etwas Falsches zu sagen. E<strong>in</strong>en Film über Nachrichten hätte ich mit<br />

21 Jahren viel klarer gemacht als heute, obwohl man das eigentlich umgekehrt sehen könnte. Die erste Idee zu<br />

dem Film war, e<strong>in</strong>e Momentaufnahme zu machen, zu dem Thema: Was ist die Welt - im Fernsehen, im<br />

Wohnzimmer und dort überall.<br />

1


SEIDL: Ich glaube, zur Entstehung des ganzen könnte man sagen, dass vom <strong>Michael</strong> die Idee war, den Film zu<br />

machen, und ich nach Durchsicht des Konzeptes daran <strong>in</strong>teressiert war, e<strong>in</strong>en Teil der Arbeit zu übernehmen.<br />

Wir haben uns auf e<strong>in</strong>e Arbeitsteilung gee<strong>in</strong>igt, wobei wir <strong>in</strong> weiterer Folge zwar immer wieder darüber gesprochen<br />

haben, was entstehen soll, ohne dass das jedoch zw<strong>in</strong>gende Konsequenzen für die Arbeit an unseren<br />

eigenen Beiträgen gehabt hätte. Das heißt, er hat zwar gewusst was ich mache und umgekehrt, aber die beiden<br />

Teile s<strong>in</strong>d völlig unabhängig vone<strong>in</strong>ander entstanden. Insofern war es e<strong>in</strong> mutiger Versuch e<strong>in</strong>er<br />

Kooperation, bei dem man bis zur Arbeit am Schneidetisch nicht gewusst hat, ob aus den e<strong>in</strong>zelnen Bauste<strong>in</strong>en<br />

sowohl <strong>in</strong>haltlich,<br />

als auch formal, e<strong>in</strong> Ganzes entstehen werde. Für mich war es außerdem die Möglichkeit, e<strong>in</strong>mal ganz alltägliche<br />

Bilder drehen zu können, ohne dabei bereits an e<strong>in</strong>en übergeordneten Rahmen denken zu müssen, da wir<br />

auch damit gerechnet haben, dass der Film letzten Endes gar nicht zustande kommen könnte.<br />

GLAWOGGER: Das war ja auch das Wagnis, sowohl <strong>in</strong>haltlich, als auch formal auszuprobieren, ob die Bilder des<br />

Alltags, zusammen geschnitten mit den Bildern der Nachrichten e<strong>in</strong>e eigene Qualität erhalten. Ob aus dem<br />

Unbesonderen dadurch etwas besonderes, berichtenswertes wird, ob und wie aus dem Alltag <strong>Krieg</strong> wird, ob dieser<br />

<strong>Krieg</strong>, den man sieht aber nicht filmen kann, dadurch sichtbar wird. Es ist praktisch e<strong>in</strong> typischer<br />

Montagefilm, <strong>in</strong> dem es kaum Sequenzen oder Bilder gibt, die das heißen, was sie darstellen, da sie aus ihrem<br />

Kontext herausgenommen auf der Le<strong>in</strong>wand ersche<strong>in</strong>en, wo sie wiederum mit anderen Bildern <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

gebracht werden, und das ergibt im Laufe dieses Filmes e<strong>in</strong>e Art Dom<strong>in</strong>oeffekt, wobei die Anzahl der<br />

Querverb<strong>in</strong>dungen ständig zunimmt. Das habe ich auch den vielfältigen Reaktionen auf diesen Film entnehmen<br />

können, wo viel mehr Querverb<strong>in</strong>dungen gezogen werden als ich selbst <strong>in</strong> diesem Film gesehen habe, beziehungsweise<br />

kenne. Das ist manchmal erfreulich, manchmal nicht.<br />

STEIRER: Um noch e<strong>in</strong>mal auf die Arbeitsteilung zurückzukommen: Wer ist wofür verantwortlich?<br />

GLAWOGGER: Ulrich hat hauptsächlich die Beobachtungen des Alltags und den Großteil der Statements<br />

gedreht, während ich die Geschichte der beiden Frauen und den Nachrichtenteil übernommen habe. Das ist die<br />

Aufteilung der Dreharbeiten, während beim Schnitt jeder auch an den Teilen des anderen mitgewirkt hat.<br />

SEIDL: Die eigentliche Zusammenarbeit hat hauptsächlich am Schneidetisch stattgefunden, wobei die<br />

Dreharbeiten, wie bereits erwähnt, unabhängig vone<strong>in</strong>ander verlaufen s<strong>in</strong>d. Wollte man den Film dah<strong>in</strong>gehend<br />

untersuchen, könnte man auch an verschiedenen E<strong>in</strong>stellungen, Kameraführung etc. die unterschiedlichen<br />

Stilpr<strong>in</strong>zipien erkennen. Auch was die Informationsfülle anbelangt, f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den Alltagssequenzen im Vergleich<br />

zu den Nachrichten nichts statt, als zunächst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Bild, das aufgrund se<strong>in</strong>er zurückhaltenden<br />

Kameraführung den Zuschauer zw<strong>in</strong>gt, genauer h<strong>in</strong>zusehen und auf die Kle<strong>in</strong>igkeiten zu achten.<br />

STEIRER: Im H<strong>in</strong>blick auf die Montage stellt sich für mich die Frage, ob du der Fremde <strong>in</strong> Ulrichs Geschichte oder<br />

Ulrich der Fremde <strong>in</strong> de<strong>in</strong>er Geschichte ist.<br />

GLAWOGGER: Ich glaube, so kann man das nicht sehen. Gerade bei so e<strong>in</strong>em Film reicht das Denken und<br />

Beobachten e<strong>in</strong>es Menschen nicht aus. Wenn man sich zu e<strong>in</strong>er Sammeltätigkeit entschließt, kommt es darauf<br />

an, möglichst viele verschiedene Wahrnehmungen aufzunehmen, was man diesem Film auch vorwerfen könnte,<br />

dass er auf diese Weise überladen und versponnen ist, aber das ist im Grunde auch e<strong>in</strong>e Qualität, die wir<br />

gesucht haben. Wenn man also vom Fremden im Film e<strong>in</strong>es anderen spricht oder so bezeichnen möchte, würde<br />

ich das als positiv betrachten. Fremde Gedanken im eigenen Film f<strong>in</strong>de ich sehr wichtig, denn viel zu oft s<strong>in</strong>d<br />

Filme <strong>in</strong> dieser Weise, <strong>in</strong> der Art des Denkens l<strong>in</strong>ear und zu wenig verzweigt, um wirklich <strong>in</strong>teressant zu se<strong>in</strong><br />

und im K<strong>in</strong>o denken zu machen. Es gibt zum Beispiel E<strong>in</strong>stellungen <strong>in</strong> diesem Film, die ganz e<strong>in</strong>deutig zu<br />

Ulrichs Teil gehören, die jedoch ich für ihn gemacht habe, mit dem Wissen, das würde er jetzt hier filmen,<br />

ebenso wie er Szenen für mich gedreht hat, wenn es aus Zeitgründen nicht anders möglich war. STEIRER: Das<br />

heißt also, nicht nur e<strong>in</strong> Geltenlassen des anderen ohne E<strong>in</strong>vernahme, sondern auch e<strong>in</strong> Prozess des sich<br />

H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>fühlens <strong>in</strong> den anderen und e<strong>in</strong> Nachempf<strong>in</strong>den se<strong>in</strong>er Arbeitsweise.<br />

GLAWOGGER: Schon, aber wir haben auch gut streiten können mite<strong>in</strong>ander, wo es wiederum sehr klare<br />

Abgrenzungen gegeben hat. Aber wenn das nicht gewesen wäre, so hätte ich bereits im Konzept ganz klar formuliert,<br />

dass immer, wenn man sich <strong>in</strong> diesem Film wohl zufühlen beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong> Bruch stattf<strong>in</strong>den muss. Das<br />

war dann auch die Schwierigkeit beim Schneiden, etwas permanent zu brechen und dem Film trotzdem so<br />

2


etwas wie e<strong>in</strong>en Bogen zu geben. Du reißt sozusagen ständig kle<strong>in</strong>e Häuser, die du dir gebaut hast, nieder und<br />

musst trotzdem darauf achten, dass e<strong>in</strong> Haus steht.<br />

STEIRER: Wenn du sagst, dass es zwischen euch auch Kämpfe gegeben hat, würde mich <strong>in</strong>teressieren, ob, und<br />

wenn ja, welche „Kampftechniken“ ihr angewandt habt, um eure Ideen durchzusetzen.<br />

GLAWOGGER: Das sieht man ohneh<strong>in</strong> im Bild.<br />

SEIDL: Es hat zum Beispiel nach e<strong>in</strong>em Teil des Rohschnittes wegen der verschiedenen Tempi e<strong>in</strong>e größere<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung gegeben, als es darum gegangen ist, me<strong>in</strong>e reduzierten, langsamen Bilder mit <strong>Michael</strong>s<br />

schnellen, be<strong>in</strong>ahe aufdr<strong>in</strong>glichen Sequenzen zu montieren. Während für <strong>Michael</strong> immer das Tempo maßgeblich<br />

war, b<strong>in</strong> ich sozusagen auf die Bremse gestiegen, da ich der Ansicht b<strong>in</strong>, dass man mit langsamen, beschaulichen<br />

Bildern und der Möglichkeit zu reflektieren mehr erreichen kann.<br />

GLAWOGGER: Dah<strong>in</strong>ter stecken im Grunde zwei unterschiedliche Verfahrensweisen, die ja bekannt s<strong>in</strong>d.<br />

Schwierig wird es dann, wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Film beide Techniken zur Geltung kommen sollen. Wenn also der<br />

Zuschauer sich auf das e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>lässt und dann sofort wieder <strong>in</strong> das andere gerissen wird, wobei h<strong>in</strong>ter den<br />

schnellen Sachen die Absicht gestanden ist, etwas sozusagen mit den eigenen Mitteln zu schlagen. E<strong>in</strong><br />

Nachrichtensprecher hat ja nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e halbe Stunde Zeit, um viel mehr Information zu vermitteln, als<br />

man <strong>in</strong> dieser Zeit eigentlich unterbr<strong>in</strong>gen kann. Amerikanische Nachrichtensprecher können zum Beispiel so<br />

schnell sprechen, dass sie <strong>in</strong> dieser Zeit viel mehr Information geben können als jeder andere Mensch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

anderen Land, weil das ihr Job ist und das auch nur so funktionieren kann. Mir war es wichtig, diesen Überfluss<br />

an Information und Überfluss an Bildern, der heute auf der Welt und <strong>in</strong> jedem Wohnzimmer existiert,<br />

spürbar zu machen, dass heißt, der Film hat genauso e<strong>in</strong>e Überfluss gebraucht und es war auch, obwohl <strong>Krieg</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Wien</strong> 90 M<strong>in</strong>uten dauert, e<strong>in</strong> ständiger Kampf gegen die Zeit und somit auch e<strong>in</strong> Kampf gegen die<br />

Beschaulichkeit <strong>in</strong> Ulrichs Bildern, die der Film allerd<strong>in</strong>gs braucht, weil ja sonst das andere gar nicht spürbar<br />

würde.<br />

STEIRER: Also könnte man „<strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> <strong>Wien</strong>“ durchaus als Symbiose zweier verschiedener Strategien verstehen, dieses<br />

D<strong>in</strong>g - Welt - zu begreifen. Zum e<strong>in</strong>en der Versuch, der Flut an Informationen durch atemloses H<strong>in</strong>terherkeuchen<br />

gerecht zu werden und zum anderen, <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Stillstehens e<strong>in</strong>en Akt der Verweigerung zu vollziehen.<br />

GLAWOGGER: Ja, als Übere<strong>in</strong>kommen, dass nach dem heutigen Stand der D<strong>in</strong>ge weder das e<strong>in</strong>e noch das andere<br />

als funktionierend angesehen werden kann. Ich sehe das nämlich so, dass sich dieser Stillstand und die Ruhe<br />

im K<strong>in</strong>o längst etabliert haben und bereits e<strong>in</strong>e bestimmte Erwartungshaltung befriedigt, während me<strong>in</strong>e<br />

Vorgangsweise wiederum leicht Gefahr läuft, zu dem zu werden, was sie <strong>in</strong> Frage stellen möchte. So gesehen<br />

bergen beide Vorgangsweisen Gefahren <strong>in</strong> sich, denen man vielleicht eben dadurch entgehen kann, <strong>in</strong>dem man<br />

sie e<strong>in</strong>ander zuschiebt.<br />

STEIRER: Was hat die eigentlich dazu motiviert, diesen Film zu machen?<br />

GLAWOGGER: Die Motivation, diesen Film zu machen - und ihn so zu machen, könnte ich vielleicht so beschreiben,<br />

dass es mir immer e<strong>in</strong> Bedürfnis war, Gleichzeitigkeiten zu kreieren. Wenn ich zum Beispiel auf e<strong>in</strong>e Stadt<br />

h<strong>in</strong>unterschaue, so gibt es mir e<strong>in</strong> Kribbeln im Rücken, wenn ich daran denke, was passiert alles <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

M<strong>in</strong>ute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt gleichzeitig, weil ich glaube, das sagt viel über die Welt und das regt me<strong>in</strong>e Phantasie an.<br />

Also die Filme, die ich gerne machen möchte, könnte man als Stückchenwerke bezeichnen, <strong>in</strong>sofern sie mit<br />

dem Gefühl zusammenhängen: „Was passiert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt“, und das kann genauso gut e<strong>in</strong><br />

Thema se<strong>in</strong>, wie e<strong>in</strong> Geschichte e<strong>in</strong> Thema se<strong>in</strong> kann. Ich habe nichts gegen den narrativen Film, ich f<strong>in</strong>de tolle<br />

Geschichtenerzähler ganz wichtig. E<strong>in</strong>e schöne Geschichte zu erzählen ist etwas wunderbares, und ich fände es<br />

idiotisch zu sagen, der narrative Film habe ke<strong>in</strong>e Funktion mehr. Me<strong>in</strong> Anliegen beziehungsweise me<strong>in</strong> spezielles<br />

Spielgebiet ist eben das Produzieren von Gleichzeitigkeiten.<br />

STEIRER: Setzt dieser Wunsch nach Gleichzeitigkeiten den Verlust der Identität voraus?<br />

GLAWOGGER: Ich f<strong>in</strong>de Leute, die sich selbst der Ruhe- und Mittelpunkt der Welt s<strong>in</strong>d, langweilig. Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Beziehung total europäisch, ich glaube nicht an den eigenen, ruhigen Mittelpunkt oder an die Identität, die<br />

3


e<strong>in</strong>em das auflöst oder das gibt, was <strong>in</strong>teressant ist.<br />

STEIRER: Ulrich, wenn ich an jene Szenen denke, <strong>in</strong> denen du die Leute vor laufender Kamera ihre Wohnzimmer<br />

beschreiben lässt, so könnte ich als Zuschauer das ganze Spektrum zwischen wirklicher Anteilnahme bis h<strong>in</strong> zum<br />

bösesten Zynismus auf mich wirken lassen. Wo <strong>in</strong>nerhalb dieser beiden Pole würdest du de<strong>in</strong>e Intentionen ansiedeln?<br />

SEIDL: Es ist irgendwie sehr schwer für mich, das zu verbalisieren. Ich glaube, das Bild spricht dafür, und das<br />

erste, was ich von mir erwarte, ist, dass der Zuschauer auf irgende<strong>in</strong>e Art betroffen ist. Ob es für ihn lustig,<br />

traurig, melancholisch, zynisch oder was auch immer ist, muss er selbst entscheiden. Das ist natürlich e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Gratwanderung und ich glaube, dass ich auf diese Frage ke<strong>in</strong>e befriedigende Antwort geben kann.<br />

STEIRER: Ich hätte vielleicht noch gerne gewusst, ob euch im Rahmen dieses Gespräches andere Themenbereiche<br />

wichtiger gewesen wären.<br />

GLAWOGGER: Ich kann nur sagen, dass ich froh b<strong>in</strong>, dass der Film offensichtlich so ist, dass man nicht gleich<br />

über die Produktionsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Österreich sprechen muss.<br />

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