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Wie authentisch sind Reenactement Gruppen? - The Company of ...

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<strong>Wie</strong> <strong>authentisch</strong> <strong>sind</strong> <strong>Reenactement</strong> <strong>Gruppen</strong>?<br />

Eine Untersuchung anhand der Schuhe der<br />

<strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George<br />

Maturaarbeit<br />

Marco Hostettler, 1e<br />

Betreuer: Max Bratschi<br />

Eingereicht am 13. August 2009<br />

Gymnasium Thun-Schadau<br />

1


1.Abstract<br />

Die Fragestellung, ob <strong>Reenactement</strong> <strong>Gruppen</strong> <strong>authentisch</strong> <strong>sind</strong> oder nicht, wird anhand der<br />

<strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George, einer international bekannten <strong>Reenactement</strong> Gruppe, und den<br />

Schuhen, die von ihren Mitgliedern getragen werden, untersucht. Um dies durchzuführen<br />

wurden die Schuhe unter die Lupe genommen und mit den historischen Tatsachen vergli-<br />

chen. Es wurde festgestellt, dass die Schuhrepliken der <strong>Company</strong> weitgehend als <strong>authentisch</strong><br />

beurteilt werden können. Dadurch lässt sich ableiten, dass Authentizität in Teilbereichen<br />

durchaus möglich ist, und bei seriöser und genauer Arbeit auch im Gesamten erreicht wer-<br />

den könnte. Es hängt aber von der Einstellung der Gruppe und ihrer Mitglieder ab, wie wich-<br />

tig ihnen Authentizität ist.<br />

2


2.Vorwort<br />

Das Mittelalter fasziniert mich. Oder ist es nur die romantisierte Vorstellung des Mittelalters,<br />

die in unserer postmodernen Kultur kursiert und breite Bevölkerungsschichten in ihren Bann<br />

zieht? Das Angebot, in dem das Mittelalter verkauft wird ist riesig. Unzählige Bücher und<br />

Filme widmen sich dem <strong>The</strong>ma, ein grosser Teil des Fantasy Genres orientiert sich am Mit-<br />

telalter. Doch es gibt auch mittelalterliche Feste, Märkte, Konzerte mit mittelalterlicher Mu-<br />

sik und andere vom Mittelalter inspirierte Veranstaltungen.<br />

Wer sich in seiner Freizeit für diese Epoche interessiert kommt gar nicht darum herum sich<br />

mit all den Angeboten zu beschäftigen. Die Atmosphäre, die auf einem mittelalterlichen<br />

Markt erzeugt werden kann, ist zum Teil absolut verzaubernd. Häufig werden auch zu be-<br />

stimmten Anlässen von Museen Spektakel organisiert. An solche Anlässe werden private<br />

Handwerker oder Darsteller des Mittelalters eingeladen, oder es wird mit <strong>Reenactement</strong><br />

<strong>Gruppen</strong> zusammengearbeitet. Letzteres <strong>sind</strong> <strong>Gruppen</strong>, die sich dem <strong>Wie</strong>dererleben von<br />

historischen Begebenheiten widmen und versuchen die Vorbilder aus alter Zeit möglichst<br />

exakt darzustellen.<br />

Da ich des Öfteren solche Veranstaltungen besuchte, fiel mir auf, dass manche dieser Grup-<br />

pen irgendwie überzeugender wirkten, als andere, die auf eine Art unreif herüberkamen. Da<br />

wäre ich also schon bei meiner <strong>The</strong>menwahl. Ich stellte Unterschiede in der Glaubhaftigkeit<br />

zwischen <strong>Reenactement</strong> <strong>Gruppen</strong> fest. Was aber entscheidet darüber, ob eine Reenacte-<br />

ment Gruppe überzeugender wirkt als andere? Ist es die Nähe zum Original, oder die Nähe<br />

zu den trügerischen Bildern, die wir vermittelt bekommen? Ich fand heraus, dass sich solche<br />

<strong>Gruppen</strong>, wie sie selbst sagen, sich an der Realität orientieren. Ist nun die Authentizität ent-<br />

scheidend für die Glaubhaftigkeit? Kann sie überhaupt erreicht werden? Dies wollte ich mit<br />

meiner Arbeit herausfinden. Um den Rahmen der Maturaarbeit nicht zu sprengen, werde ich<br />

nur eine Gruppe und nur einen Gegenstand genauer unter die Lupe nehmen und auf die Nä-<br />

he zum Vorbild untersuchen. Die Gruppe, die ich untersuchen werde, ist die <strong>Company</strong> <strong>of</strong><br />

Saynt George, als Gegenstand wählte ich den Schuh.<br />

An dieser Stelle möchte ich all jenen Mitgliedern der <strong>Company</strong> danken, die mir bereitwillig<br />

meine Fragen beantworteten und vorbildlich ihre Schuhe präsentierten. Besonderer Dank<br />

geht an Christian Folini, der mir die wichtigsten Kontakte gab, sowie an Anna Zehnder, die<br />

3


mich nach Gruyères begleitete und an meiner Stelle zahlreiche Fotos schoss. Auch möchte<br />

ich meinem Betreuer Max Bratschi danken.<br />

Im Laufe dieser Arbeit lernte ich viel über die mittelalterliche Schuhherstellung und erhielt<br />

einen guten Einblick ins <strong>Reenactement</strong>. Das bedeutet eine Horizonterweiterung in einem<br />

Bereich, der mich, wie bereits gesagt, besonders interessiert. Mein Wunschstudium Ge-<br />

schichte oder Archäologie ist gestärkt worden, die Zweifel daran verblassten. Denn das sich<br />

Befassen mit diesen <strong>The</strong>men war für mich keine Qual, sondern Faszination, denn es kam<br />

beständig Neues und Spannendes zu Tage. Ich h<strong>of</strong>fe, dass Sie nun beim Lesen zumindest<br />

ähnliches empfinden und wünsche Ihnen dabei viel Spass!<br />

4


3.Inhaltsverzeichnis<br />

1.Abstract ........................................................................................................................ 2<br />

2.Vorwort ........................................................................................................................ 3<br />

3.Inhaltsverzeichnis......................................................................................................... 5<br />

4.Einleitung ..................................................................................................................... 6<br />

4.1 <strong>Reenactement</strong> .................................................................................................................. 6<br />

4.3 Der Schuh als Gegenstand meiner Untersuchung ........................................................... 8<br />

5. Der Schuh im Mittelalter und im <strong>Reenactement</strong>........................................................ 9<br />

5.1 Besuch der Veranstaltung in Gruyères ............................................................................. 9<br />

5.1.1 Vorbereitung .......................................................................................................................... 9<br />

5.1.2 Durchführung ......................................................................................................................... 9<br />

5.2 Der Schuh im 15. Jahrhundert ........................................................................................ 11<br />

5.2.1 Konstruktion ......................................................................................................................... 11<br />

5.2.2 Material ................................................................................................................................ 13<br />

5.2.3 Mode .................................................................................................................................... 13<br />

5.3 Der Schuh im <strong>Reenactement</strong> .......................................................................................... 14<br />

5.4 Vergleich ......................................................................................................................... 17<br />

6. Fazit ........................................................................................................................... 20<br />

7. Quellenverzeichnis .................................................................................................... 22<br />

8. Anhang ...................................................................................................................... 24<br />

8.1 Anhang A ........................................................................................................................ 24<br />

8.2 Anhang B ........................................................................................................................ 24<br />

8.3 Anhang C ........................................................................................................................ 25<br />

8.4 Anhang D ........................................................................................................................ 26<br />

9. Eidesstattliche Erklärung ........................................................................................... 37<br />

5


4.Einleitung<br />

4.1 <strong>Reenactement</strong><br />

Haben Sie als Kind nicht schon mal davon geträumt in der Haut eines edlen Ritters oder<br />

Burgfräuleins zu stecken? 1 Spielten Sie nicht gerne mit Ritterfiguren? Waren Sie davon nicht<br />

fasziniert? Wenn ja, so kennen Sie jene tiefsten Wurzeln, die im Prinzip <strong>Reenactement</strong> her-<br />

vorbrachten. Selbstverständlich vermittelten ihnen diese von Erzählungen, Büchern und Fil-<br />

men gezeichneten Vorstellungen ein romantisiertes Mittelalter, vermochten aber in man-<br />

chen Menschen eine Bezauberung zu formen, die sich bis ins Erwachsenenalter hinzog. Dass<br />

muss aber nicht immer so sein, die Begeisterung kann auch später auftreten, wichtig ist nur,<br />

dass sie vorhanden ist, denn <strong>Reenactement</strong> ist „die Faszination gelebter Geschichte“ 2 . Dabei<br />

spielt es aber keine Rolle welche Epoche jene Begeisterung hervorruft. Der Begriff kommt<br />

aus dem englischen to reenact, etwas wiederholen. Ein Reenactor will seine Epoche wieder-<br />

erleben. Oft <strong>sind</strong> Anhänger dieses Hobbys in <strong>Gruppen</strong> vereint, wobei es auch als Einzelper-<br />

sonen agierende Leute gibt.<br />

Reenactors können einerseits an Veranstaltungen (z.B. auf einem Burgfest) auftreten und<br />

den Besuchern einen lebendigen Einblick in die Geschichte ermöglichen, oder für sich, unter<br />

Ausschluss der Öffentlichkeit, in die vergangene Zeit eintauchen. 3 Es ist ein Hobby das viel<br />

Herzblut und Leidenschaft erfordert, da man sonst nicht in der Lage wäre, genügend Motiva-<br />

tion zur möglichst realitätsnahen Darstellung der Vergangenheit aufzubringen. Ein Reenactor<br />

scheut nicht davor, sich mit zeitgenössischen Quellen, archäologischen Publikationen und in<br />

Museen ausgestellten Funden auseinanderzusetzen. Oft sitzt er Stunden über Stunden in der<br />

Werkstatt um seine Ausrüstung zu perfektionieren und sich in altem Handwerk zu üben.<br />

<strong>Reenactement</strong> kostet also zwar viel Energie, bietet einem aber die Möglichkeit aus unserer<br />

postmodernen und hektischen Zeit auszubrechen und sich in der nachgespielten Vergangen-<br />

heit zu erholen.<br />

Thomas Rauber, Mitglied der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George, sagte dazu: „Ich liebe es in unserer<br />

(…) Zeit ständiger Erreichbarkeit abzuschalten und mit allen Sinnen zu geniessen. Am Ende<br />

1 Was ist Reenactment?<br />

URL:http://www.reenactment.de/reenactment_start/reenactment_startseite/was_ist_reenactment/was_ist_reenact<br />

ment.html [Stand: 08.08.09]<br />

2 RE: Maturaarbeit (10.07.09) E-Mail von Thomas Rauber [raubi@hotmail.com]<br />

3 E-Mail von Thomas Rauber, a.a.O.<br />

6


eines Events bin ich körperlich zwar erschöpft, aber geistig total erholt. Ich mag es mit mei-<br />

nen Händen zu arbeiten, (…) und mich in Fertigkeiten zu üben die heute beinahe vergessen<br />

<strong>sind</strong>. Es <strong>sind</strong> auch die grossartigen Momente, die unvergessen bleiben. Wann hat man schon<br />

die Gelegenheit nachts unter einem grandiosen Sternenhimmel angetan mit Harnisch, Helm<br />

und Laterne durch eine dunkle Burg zu schreiten?“ 4<br />

<strong>Reenactement</strong> strebt nach Authentizität. Die lässt sich aber auch nur so weit erreichen, wie<br />

man die Vergangenheit anhand von Quellen und Funden nachvollziehen kann. Die Wirklich-<br />

keit lässt sich mit all ihren Facetten auf keinen Fall vollständig rekonstruieren. Nie können<br />

wir sicher sein, ob wir ein Bild aus der Vergangenheit richtig interpretieren oder auf dem<br />

Holzweg <strong>sind</strong>. Gab es etwa Dinge von deren Existenz wir (noch) gar nicht wissen? Waren<br />

seltene Fundstücke wirklich nur exklusiv oder doch weit verbreitet in Gebrauch? Niemand<br />

von uns hat es erlebt, niemand kann die ganze Realität kennen. Deshalb soll, wenn ich von<br />

Authentizität spreche, nicht die Nachstellung der Wirklichkeit gemeint sein, sondern die ge-<br />

naue Darstellung der überlieferten und rekonstruierten Einblicke in diese.<br />

4.2 Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George 5<br />

Um meine Untersuchung durchführen zu können, musste ich eine Gruppe auswählen, die ich<br />

auf Authentizität beurteilen wollte. Ich wollte einen Verein untersuchen, der sich auf einem<br />

hohen Niveau befindet. Dazu wählte ich einen, der mir bisher auf seinen Darstellungen am<br />

meisten beeindruckt hatte: Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George.<br />

Diese <strong>Reenactement</strong> Gruppe stellt eine Artillerieeinheit aus dem 15.Jahrhundert dar. Sie hat<br />

einen hohen Qualitätsanspruch und versucht das historische Mittelalter so gut als möglich<br />

umzusetzen. 6 So gehen ihre Mitglieder den alltäglichen militärischen Übungen nach und re-<br />

konstruieren das Lagerleben so realitätsnah wie es nur geht. Zurzeit <strong>sind</strong> rund hundert Per-<br />

sonen Mitglied, die aus verschiedensten Ländern stammen und durch ihr Hobby vereint<br />

<strong>sind</strong>. 7 Wichtig ist der <strong>Company</strong> auch die Zusammenarbeit mit Institutionen und Einzelperso-<br />

4<br />

vergl. Ebd., pg.6<br />

5<br />

(Genauere und weiterführende Informationen erhält man auf der Webseite: http://www.companie-<strong>of</strong>-stgeorge.ch)<br />

6<br />

Porträt der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George; URL: http://www.companie-<strong>of</strong>-st-george.ch/cms/?q=de/Portrait [Stand:<br />

08.08.09]<br />

7<br />

Re: Maturaarbeit (29.07.09) E-Mail von Christian Folini [christian.folini@time-machine.ch]<br />

7


nen, um den Wissensstand dauernd zu vertiefen und auszubauen. Die <strong>Company</strong> hat einen<br />

sehr guten Ruf und ist international bekannt. 8<br />

4.3 Der Schuh als Gegenstand meiner Untersuchung<br />

Sie mögen sich wohl fragen weshalb um Himmels willen ich den Schuh als Gegenstand mei-<br />

ner Untersuchung auserwählte. Ich hätte doch haufenweise andere Gegenstände wählen<br />

können, etwas Spannendes wie eine Waffe oder Rüstungsteile. Diese <strong>sind</strong> Gegenstände, die<br />

am meisten Beachtung von der Öffentlichkeit bekommen. Doch im allgemeinen Leben, sogar<br />

in ausserordentlichen Zeiten, war damals der Schuh von grösserer Bedeutung als Wappen<br />

oder Schwerter. Der Schuh war einer jener Alltagsgegenstände, die sowohl vom einfachen<br />

Bauern als auch vom edlen Ritter benutzt wurden. Er begleitete seinen Träger so lange über-<br />

allhin, bis er ganz abgenutzt war. So war er im Bewusstsein aller mittelalterlichen Menschen<br />

vertreten, was auch bei gegenwärtigen Menschen der Fall ist.<br />

Der Schuh ist eines der wichtigsten, aber auch unauffälligsten Kleidungsstücke in unserem<br />

alltäglichen Leben. Er besteht aus einigen zusammengenähten St<strong>of</strong>f-, Gummi- oder Leder-<br />

stücken, die unseren Fuss vor äusseren Einflüssen schützen und im Aussehen durch die ak-<br />

tuelle Mode beeinflusst wird. Der Schuh wird aber im Alltag kaum beachtet. Er ist so weit<br />

von unserer Kontrollzentrale entfernt, dass er manchmal ganz vergessen wird, bis er eines<br />

Tages ersetzt werden muss. Und trotzdem wird ein nicht zur Kleidung oder zum Anlass pas-<br />

sender Schuh meistens als störend empfunden. Lässt sich dies auch im <strong>Reenactement</strong> fest-<br />

stellen? Werden dort einfach schlichte und unauffällige Schuhe getragen, die zwar nichts<br />

Authentisches an sich haben, aber wenigstens nicht auffallen oder <strong>sind</strong> sie möglichst origi-<br />

nalgetreu nachgebaut?<br />

8 Prinzipien der <strong>Company</strong> ;URL: http://www.companie-<strong>of</strong>-st-george.ch/cms/?q=de/Principles [Stand: 08.08.09]<br />

8


5. Der Schuh im Mittelalter und im <strong>Reenactement</strong><br />

5.1 Besuch der Veranstaltung in Gruyères<br />

Damit ich die Schuhe der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George auf ihre Authentizität untersuchen konn-<br />

te, musste ich ein Datum finden, an dem die Gruppe an einer Veranstaltung teilnahm und ich<br />

Zeit hatte hinzugehen. Dieser Termin war am 20.06.2009 anlässlich des St. Jean Festes in<br />

Gruyères. 9 Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George war eine der beiden <strong>Gruppen</strong>, die das Städtchen<br />

zurück ins Mittelalter führen würden. Die andere Gruppe würde unten im Städtchen statio-<br />

niert sein, die <strong>Company</strong> oben im Schlosskomplex.<br />

5.1.1 Vorbereitung<br />

Ich hatte vor gehabt, mit Hilfe der Lektüre von Shoes and Pattens (F. Grew and M de Neer-<br />

gard; siehe Quellenverzeichnis, pg. 23) einen Musterschuh aufzuzeichnen und zu Beschrei-<br />

ben, um ihn später in Gruyères mit den dort vorliegenden Exemplaren zu vergleichen, um so<br />

daraus deren Grad an Authentizität festzustellen.<br />

Während dem Lesen jedoch, musste ich einsehen, dass die Variationen zu zahlreich waren,<br />

und es nicht so was wie einen Musterschuh gab. Ich begnügte mich also damit, alle relevan-<br />

ten Bereiche aufzulisten (siehe Anhang A, pg. 25), an denen sich meine Untersuchung orien-<br />

tieren und zu denen ich den dort anwesenden Spezialisten befragen würde.<br />

Ich nahm etwa eine Woche vor dem oben genannten Termin mit der <strong>Company</strong> Kontakt auf<br />

um mich anzumelden und eventuell bereits gewisse Auskünfte zu erhalten. Christian Folini,<br />

ein Mitglied der <strong>Company</strong>, antwortete ausführlich auf mein E-Mail und gab mir darin allge-<br />

meine Informationen sowie die Namen von zwei Personen, die ich vor Ort aufsuchen sollte<br />

um an meine benötigten Informationen zu kommen. 10 Zudem riet er mir, mit Stefan von der<br />

Heide, einem Schumacher, Kontakt aufzunehmen.<br />

5.1.2 Durchführung<br />

An diesem Tag machte ich mich auf den Weg nach Gruyères. Dort eingetr<strong>of</strong>fen, versuchte ich<br />

mir als erstes einen Überblick des Lagers zu verschaffen. Es waren viele Darsteller anwesend,<br />

die alltäglichen Beschäftigungen nachgingen. Die Soldaten absolvierten Übungen, Geistliche<br />

9 URL: http://www.companie-<strong>of</strong>-st-george.ch/cms/?q=de/Dates [Stand:08.08.09]<br />

10 16.06.09 E-Mail von C. Folini, a.a.O., pg. 6<br />

9


eteten, Handwerker arbeiteten und auch im Küchenzelt war ein geschäftiges Treiben. Die<br />

Szenerie wirkte sehr lebendig. Es war, als ob man durch das Tor in eine Zeitverschiebung<br />

geraten wäre und sich plötzlich mitten im ausgehenden Mittelalter befände. Das Lager war<br />

passend um die alten Mauern aufgestellt.<br />

Ich machte mich nach kurzer Zeit auf die Suche nach Thomas Rauber, dem Stellvertreter von<br />

Christian Folini. Nach seinem auffinden, erklärte ich ihm mein Anliegen und liess mich zu<br />

Sebastian Haug, dem Schuster bringen. Leider hatte er seine Werkstatt nicht dabei, da er an<br />

diesem Tag einen Soldaten darstellen wollte, konnte mir aber trotzdem vieles über mittelal-<br />

terliche Schuhe erzählen. Er zeigte mir diejenigen, die von den dort anwesenden Personen<br />

getragen wurden, und erzählte mir auch einiges über den Herstellungs- und Flickprozess. Er<br />

zeigte und erklärte mir den Aufbau seiner Schuhe, derer von Thomas Rauber und derer einer<br />

netten Dame (die sogar bereit gewesen war ein Exemplar auszuziehen) im Detail. Vom Ge-<br />

spräch machte ich mir handschriftlich Notizen, die ich später in den Computer übertrug (sie-<br />

he Anhang B, pg. 25).<br />

Nach diesem Interview suchte ich auf Sebastian Haugs Anraten mit dem dort anwesenden<br />

Trippenmacher das Gespräch. Trippen (siehe Abb. 4, pg. 12 und Abb. 10, pg. 18) waren höl-<br />

zerne Schuhuntersätze, die mit Lederriemen am Fuss befestigt wurden. Sie schützten den<br />

Schuh vor Dreck und starker Abnützung. Das Interview mit dem Trippenmacher hatte ich<br />

weder geplant, noch zeichnete ich es auf, da ich in meiner Vorbereitung die Trippen ausser<br />

Acht gelassen hatte und im Folgenden auch nicht genauer darauf eingehen werde.<br />

Nach der Veranstaltung setzte ich mich mit Stefan von der Heide, einem Schuhmacher der<br />

sich auf historische Schuhe spezialisiert hat, in Verbindung. Er war mir von meinen Kontakt-<br />

personen in der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George empfohlen worden. Ich musste von ihm wissen<br />

wie er seine Schuhe herstellt, da ich bisher nur mit einem Flickschuster gesprochen hatte.<br />

Ausserdem wurde mir gesagt, dass er einer der wenigen seriösen Schuhmacher sei, die Rep-<br />

liken von historischen Schuhen anfertigen. Ich werde davon ausgehen, dass sich eventuelle<br />

andere Hersteller in ihrem Verfahren, nicht wesentlich unterscheiden.<br />

10


5.2 Der Schuh im 15. Jahrhundert<br />

Der Schuh im 15. Jahrhundert war mehr oder weniger ein Wegwerfgegenstand, aufgrund der<br />

raschen Abnützung des Materials. 11 Seine Lebensdauer war natürlich von der Bodenbeschaf-<br />

fenheit, vom Wetter und von der Sorgfalt des Benutzers abhängig. Ärmere Menschen liessen<br />

ihn vielleicht ein- bis zweimal flicken, reichere kauften sich häufiger ein neues Paar Schuhe.<br />

Deren Leben dauerte durchschnittlich etwa drei bis vier Monate.<br />

5.2.1 Konstruktion<br />

Grundsätzlich bestand der Schuh aus Schaft und Sohle. 12 Der Schaft, bzw. das Oberleder, war<br />

im frühen 15. Jahrhundert <strong>of</strong>t aus zwei symmetrischen Teilen aufgebaut, die an der Ferse<br />

zusammengenäht wurden. Das Oberleder konnte des Öfteren auch aus einem Stück Leder,<br />

das um den Fuss „herumgewickelt“ und auf der Seite vernäht wurde, bestehen. Im Inneren<br />

des Schuhs, beim Fersenende, wurde eine halbkreisförmiges Stück Leder aufgenäht, damit<br />

die Strapazierfähigkeit dieser stark belasteten Stelle zu verstärkt wurde (s. Abb. 2, pg. 12).<br />

Der Verschluss bestand häufig aus Lederbändern mit Schnallen und befand sich auf dem Rist,<br />

wobei seitlich geschnürte Modelle ebenfalls nicht selten waren. Oft kamen zu dieser Zeit<br />

auch Schlupfschuhe vor.<br />

Im Mittelalter waren die Schuhe Wendegenäht. Das heisst, dass die Sohle und der Schaft mit<br />

der Innenseite gegen aussen (Fachsprache: auf links) miteinander vernäht, danach in Wasser<br />

eingeweicht und umgestülpt wurden. Die Naht, die den Schaft mit der Sohle zusammenhält<br />

ist beim fertigen Schuh folglich auf der Innenseite. Meistens wurde zwischen Oberleder und<br />

Sohle ein durchgehender Randstreifen eingenäht. Dieser Rand war ein schmales Lederband<br />

das die Wasserresistenz und Stabilität des Schuhs verstärkte (s. Abb. 3, pg. 12). Es konnte<br />

bei Bedarf auch eine Ersatzsohle an diesen Randstreifen genäht werden. Im späteren 15.<br />

Jahrhundert wurde von Anfang an eine äussere Sohle an den Rand genäht, was die Lebens-<br />

dauer und den Tragekomfort verlängerte sowie die Wasserdurchlässigkeit verringerte.<br />

11 GREW, Francis; DE NEERGAARD, Margrethe,: Schoes and Pattens - Medieval Finds From Excavations In<br />

London. 2. Aufl. Woodbridge: <strong>The</strong> Boydell Press, 2001<br />

12 Vergl. Ebd.<br />

11


Abb. 2 Lederstück zur Verstärkung der Ferse,<br />

sowie Innennähte<br />

Meistens bestanden die Sohlen aus einem Teil, konnten aber vor allem bei grösseren Schu-<br />

hen auch zweiteilig sein. Sie bestanden dann aus einem Vorder- und Fersenteil und waren in<br />

der engsten Stelle zusammengenäht.<br />

Um die Lebensdauer und Wetterfestigkeit der Schuhe zu optimieren, wurden Trippen herge-<br />

stellt. Trippen <strong>sind</strong> hölzerne Schuhuntersätze, später auch mehrere Schichten Leder, die<br />

mithilfe von Lederriemen an den Schuh befestigt wurden. Sie schützten auf diese Weise die<br />

Schuhe vorzüglich vor Dreck und Nässe, aber auch vor starker, von Steinböden bewirkter,<br />

Abnützung (siehe Abb. 4, pg. 12 und Abb.10, pg. 18).<br />

Bei weiteren Abklärungen, nachdem ich in Gruyères gewesen war, fand ich heraus, dass im<br />

Jahre 2008 in Paderborn (DE) Lederfunde aus dem 15. Jahrhundert durch Archäologin M.<br />

Gärtner-Krohn gemacht worden waren. 13 Darunter befanden sich mehrere Schuhe mit gena-<br />

gelten Sohlen. Die Nägel wurden in Zweitsohlen geschlagen, welche als Aussensohlen an den<br />

Rand des Schuhs genäht wurden. Sie verliehen den Schuhen eine längere Lebensdauer und<br />

Griffigkeit.<br />

13 Re: Herstellen eines Pechdrahtes (10.07.09) und Fw: Genagelte Schuhe (12.07.2009) E-Mails von Stefan von<br />

der Heide [shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Abb. 4 Trippen in Gebrauch<br />

Abb. 3 Aussen sichtbarer Rand<br />

12


5.2.2 Material<br />

Als Schuhleder wurde im Mittelalter vor allem Rinds- sowie Schafs- und Ziegen- oder in ein-<br />

zelnen Fällen auch Hirschleder verwendet. 14 Neben der Herkunft entschied auch die Art der<br />

Gerbung über die Eigenschaften des Leders. Es gab verschiedene Gerbmittel, die sowohl die<br />

Farbe als auch die Flexibilität des Leders beeinflussten. Der Schuhmacher musste also genau<br />

wissen, was er von Gerber für Produkte brauchte um modische Schuhe guter Qualität herzu-<br />

stellen.<br />

Für das Oberleder wurde eher dünnes und weiches Leder verwendet, meistens aus Ziegen<br />

oder Schafshaut, später vor allem vom Rind. 15<br />

Dicker und stärker war das Leder der Sohle, durfte jedoch aufgrund der wendegenähten<br />

Machart auch nicht zu unflexibel sein, da sich der Schuh sonst nicht umstülpen liess. 16 Nor-<br />

malerweise handelte es sich dabei um Rindsleder.<br />

Der Faden, mit dem genäht wurde, wurde aus verzwirnten Hanf oder Leinenfasern gemacht,<br />

die während dem Herstellungsprozess gewachst wurden, um die Haltbarkeit des Fadens zu<br />

verlängern. 17 Das Wachs hatte zudem einen abdichtenden Effekt auf die Naht, so dass die<br />

Wasserfestigkeit, wenn auch minim, verbessert wurde.<br />

Die Schnallen waren meistens aus Eisen geschmiedet, das in einzelnen Fällen verzinnt war. 18<br />

Es kamen auch andere Metalle als Schnallen vor.<br />

5.2.3 Mode<br />

Die Kleidungsmode verleiht ihrer Zeit ihren ganz eigenen Charakter. Sie spiegelt den zeitge-<br />

nössischen Geschmack und das allgemeine ästhetische Empfinden einer Generation wider.<br />

Das ist für uns in der näheren Vergangenheit gut zu beobachten, denn alle paar Jahrzehnte<br />

verwandelte sie sich. Dass sich die Mode verändert war auch schon im Mittelalter eine zu<br />

beobachtende Tatsache. Die Fundstücke aus verschiedenen Zeitabschnitten innerhalb eines<br />

Jahrhunderts weisen durch das gesamte Mittelalter hindurch ständig Veränderungen auf.<br />

Mal <strong>sind</strong> die Veränderungen unbedeutend, mal <strong>sind</strong> sie deutlicher. Neben Neukreationen<br />

wurden <strong>of</strong>t auch vergangene Modeerscheinungen wieder neu aufgegriffen und dem Zeit-<br />

geist angepasst.<br />

14 GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8<br />

15 vergl.Ebd<br />

16 vergl.Ebd<br />

17 vergl.Ebd<br />

18 vergl.Ebd<br />

13


Zu Beginn des 15. Jahrhunderts waren die meisten Schuhe ziemlich zugespitzt, nicht selten<br />

gab es Schnabelschuhe, die <strong>of</strong>t auch übertriebene Längen hatten. 19 Der grosse Zeh wurde<br />

dabei besonders betont. Schuhe mit niedrigem Schaft wurden weit häufiger getragen als<br />

solche mit hohem Schaft oder Stiefel. Als Verschluss dienten fast ausnahmslos Schnürungen<br />

und Schnallenverschlüsse. Ebenfalls häufig trug man verschlusslose Schlupfschuhe.<br />

Zwei bis drei Jahrzehnte später sah alles wieder anders aus. 20 Die Spitzen waren wieder brei-<br />

ter und runder geworden. Hohe Schuhe und Stiefel wurden im Gegensatz zu den Niedrigen<br />

wieder häufiger. Die Mode zu immer breiteren und runderen Schuhspitzen, die schliesslich<br />

gar keine Betonung auf den grossen Zeh mehr hatten, wurde gegen Ende des Jahrhunderts<br />

immer ausgeprägter.<br />

Oft waren die Schuhe hoher Würdenträger oder anderer reicher Leute dekoriert. 21 So gab es<br />

dem Oberleder ausgeschnittene oder eingeritzte Muster sowie Ziernähte um den Schuh zu<br />

verschönern. Häufig waren es geometrische oder organische Ornamente, die den Schuh zier-<br />

ten.<br />

5.3 Der Schuh im <strong>Reenactement</strong><br />

Dank den in Gruyères aufgenommenen Fotografien (siehe Anhang C, pg. 26) und dem Inter-<br />

view mit Sebastian Haug (siehe Anhang B, pg. 25) konnte ich Folgendes feststellen:<br />

I) Die Farbe der meisten Schuhe ist hell- bis dunkelbraun, nur wenige <strong>sind</strong> schwarz<br />

oder rot. Dadurch lässt sich jedoch nicht auf die Herkunft des Leders schliessen,<br />

da die Art der Gerbung die Farbe beeinflusst. Nach S. Haug ist das Leder vegeta-<br />

tiv, das heisst mit pflanzlichen Gerbmitteln, gegerbt und stammt vermutlich von<br />

19 GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8<br />

20 vergl. Ebd.<br />

21 vergl. Ebd.<br />

Abb. 5 Sich ablösender Flicken (angenähte<br />

Teilsohle)<br />

Abb. 6 Genagelte Sohle<br />

14


Rindern oder seltener von Ziegen. Welches Tier wirklich für die Schuhe sterben<br />

musste weiss nur der Schuhmacher, da sich dies von blossem Auge nicht genau<br />

überprüfen lässt.<br />

II) Von den 39 Schuhpaaren, die fotografiert wurden, <strong>sind</strong> 10 eindeutig geflickt, nur<br />

4 <strong>sind</strong> neu. Alle anderen Paare <strong>sind</strong> mehr oder weniger durch Abnutzungs-<br />

Erscheinungen gezeichnet, aber noch brauchbar. Handgemachte Schuhe in wen-<br />

degenähter Machart <strong>sind</strong> teuer. Deshalb werden sie im <strong>Reenactement</strong> so <strong>of</strong>t als<br />

möglich geflickt und getragen bis sie auseinanderfallen. Ihre durchschnittliche Le-<br />

bensdauer liegt, je nach Träger und Anwendungs-Intensität, im Bereich von etwa<br />

8 bis 10 Jahren. Nach dieser Zeitspanne <strong>sind</strong> meistens sämtliche Nähte aufgelöst,<br />

das Leder wird allmählich hart und brüchig und somit unangenehm zu tragen. Ge-<br />

flickt werden sie, indem eine neue Sohle, manchmal auch nur eine Teilsohle, dem<br />

Rand aufgenäht wird (siehe Abb. 5, pg. 14 und Abb. 11, pg. 18).<br />

III) 3 Schuhpaare haben eine genagelte Sohle. Dies ist ein überraschendes Ergebnis.<br />

Nach dem Studium der Fachliteratur, hätte ich keine genagelten Sohlen erwartet.<br />

Als Grund für die Nutzung solcher Schuhe im <strong>Reenactement</strong> könnte ich mir eine<br />

längere Haltbarkeit oder Stabilität vorstellen, da die Schuhe zuweilen auch auf<br />

modernen Böden, wie Asphalt, benutzt werden. (siehe Abb. 6, pg.14)<br />

Abb. 7 Hoher Schuh mit Schnürung auf dem Rist<br />

IV) Es kamen insgesamt drei verschiedene Schuhmodelle vor: niedrige Schuhe, die<br />

knöchelhoch <strong>sind</strong>, hohe Schuhe, die über dem Knöchel enden und Stiefel. Es gab<br />

ebenfalls drei Verschlussarten: Schnürung auf dem Rist, Schnallenverschlüsse auf<br />

dem Rist und gewickelte Lederriemen.<br />

Der hohe Schuh mit Schnürung auf dem Rist kommt bei Männerfüssen am häu-<br />

figsten vor (14 Modelle von 30). (Bsp.: Abb. 7)<br />

Abb. 8 Niedriger Schuh mit Schnallenverschluss<br />

15


Bei den Frauen <strong>sind</strong> die niedrigen Schuhe mit Ristschnürung oder Schnallen am<br />

Häufigsten (3 und 4 Modelle von 9). (Bsp.: Abb.8, pg. 15) Meine Daten über die<br />

weibliche Schuhmode <strong>sind</strong> etwas mager. Das liegt einerseits daran dass die Dar-<br />

stellerinnen in der Minderheit waren, und sie zusätzlich ihre Schuhe unter langen<br />

Röcken verstecken.<br />

Abb. 9 Ungewöhnliches Stiefelpaar mit Nähmaschinennähten<br />

und Gummisohle<br />

V) Ein hellbraunes Stiefelpaar sticht unter den Bildern hervor (siehe Abb. 9). Es ist<br />

ein ungewöhnliches Modell, welches in der Literatur nicht erwähnt wird. Es hat<br />

Nähmaschinennähte und eine Gummisohle, was es als eindeutig moderne Pro-<br />

duktion entlarvt. Die Nähmaschine wurde übrigens erst im 18. Jahrhundert er-<br />

funden, also rund dreihundert Jahre später. 22 Da sich dieses Stiefelpaar dermas-<br />

sen von den anderen unterscheidet, drängte sich mir die Annahme auf, dass es<br />

sich beim Träger nicht um ein Mitglied der <strong>Company</strong> handelt. Das wurde mir spä-<br />

ter von Thomas Rauber bestätigt. 23 Es handelt sich dabei wahrscheinlich um ei-<br />

nen gewandeten Besucher. Auch ein anderes Stiefelpaar hat Maschinennähte<br />

(siehe Abb. 12, pg. 19). Es ist schwarz und mit hellem Lederband umwickelt. Es<br />

handelt sich dabei auch nicht um ein <strong>Company</strong> Mitglied.<br />

VI) Je nach Gewicht des Trägers und Untergrund seien die Schuhe mehr oder weniger<br />

angenehm. Man könne aber die Bodenbeschaffenheit durch die drei bis vier Mil-<br />

limeter dicke Ledersohle gut spüren. Spitze Steine und andere kantige Gegenstei-<br />

ne <strong>sind</strong> also weder für den Schuh noch für den Fuss gut.<br />

22 FORSDYKE, Graham; Eine Zusammenfassung der Geschichte der Nähmaschine<br />

URL: http://www.angelfire.com/stars2/sternenquilter/GeschichteNaehmaschine.html [Stand: 08.08.09]<br />

23 RE: AW: AW: Maturaarbeit (13.07.09) E-Mail von Thomas Rauber [raubi@hotmail.com]<br />

16


5.4 Vergleich<br />

Die Konstruktion der fotogarfierten Schuhe ist, bis auf die beiden Stiefelpaare, den Abbil-<br />

dungen in der Fachliteratur sehr nahe. Die oben genannten Konstruktionsmerkmale lassen<br />

sich auf die meisten ausgewerteten Schuhe anwenden. Das lässt sich unter anderem auch<br />

gut daran erkennen, dass man aussen am Schuh keine Nähte sieht, ein Hinweis auf seine<br />

wendegenähte Machart. Auch dass er aus eher wenigen Teilstücken zusammengesetzt ist, ist<br />

ein weiterer Hinweis auf die Authentizität der Konstruktion.<br />

Ich vergleiche nun die Ergebnisse meiner Untersuchung mit meinen recherchierten Erkennt-<br />

nissen. Die folgenden Punkte beziehen sich auf die im vorangehenden Unterkapitel erläuter-<br />

ten.<br />

I) Der Schuhmacher S. von der Heide benutzt für seine Produkte nur vegetativ ge-<br />

gerbtes Ziegen- und Rinderleder sowie sämisch, also mit Tran oder Fischöl, ge-<br />

gerbtes Hirschleder. 24 Die für den Schuhbau verwendeten Lederhäute <strong>sind</strong>, was<br />

ihre Herkunft betrifft, <strong>authentisch</strong>. Zu untersuchen ob sie auch wirklich authen-<br />

tisch gegerbt wurden, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, aber aufgrund<br />

der Gerbung mit natürlichen Gerbmitteln lässt sich eine recht gute Annäherung<br />

ans Original vermuten.<br />

II) Im Mittelalter war der Schuh ein Verbrauchsgegenstand, der eher selten geflickt<br />

wurde. Man geht davon aus, dass er auch mit dem Gebrauch von Trippen (siehe<br />

Abb. 10, pg. 18) etwa drei bis vier Monate hielt, flicken inklusive, s<strong>of</strong>ern er geflickt<br />

wurde. 25 Anschliessend wurde er entweder einem Flickschuster gegeben, der die<br />

brauchbaren Bestandteile weiterverwendete oder entsorgte. 26 Wer es sich leisten<br />

konnte liess seine Schuhe gar nicht flicken, sondern ersetzte sie s<strong>of</strong>ort. Da liegt<br />

dann auch einer der grossen Kompromisse auf die im <strong>Reenactement</strong> eingegangen<br />

wird. Es ist nicht besonders <strong>authentisch</strong> wenn ein Bauer oder ein Soldat in halb-<br />

verfallenen Schuhen daherkommt, noch weniger wenn dies ein Edelmann tut. Da<br />

aber der Darsteller heutzutage nicht unbedingt vermögend ist, kann er sich auch<br />

24<br />

Re: Maturarbeit (07.07.09) E-Mail von Stefan von der Heide [shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

25<br />

vergl. Ebd.<br />

26<br />

GREW et al., Schoes and Pattens, a.a.O., pg. 8<br />

17


nicht häufig neue Schuhe leisten. Doch die Art wie sie geflickt werden ist<br />

wiederum sehr realitätsnah (siehe Abb. 11).<br />

III) Die genagelten Schuhe <strong>sind</strong>, obwohl in der von mir durchforschten Literatur noch<br />

unbekannt, durchaus <strong>authentisch</strong>. <strong>Wie</strong> bereits erwähnt (siehe Kap 5.2.1, pg. 11)<br />

machte im Jahr 2008 die Archäologin M. Gärtner-Krohn in Paderborn (DE) einen<br />

Fund von mehreren Leder-Gegenständen aus dem 15. Jahrhundert. Darunter be-<br />

fanden sich auch einige genagelte Schuhe. Da es eine relativ neue Entdeckung ist,<br />

ist somit auch erklärt weshalb nichts dazu in der Literatur zu finden war und ich<br />

von den Repliken überrascht war.<br />

IV) Es war schade dass nicht besonders viele verschiedene Schuhmodelle vorhanden<br />

27 vergl. Ebd., pg. 17<br />

Abb. 10 Schuh mit Trippen Abb. 11 Flicken, am Rand angenäht.<br />

waren. Es gab um 1400 weit mehr verschiedene Modellvarianten als ich in Gruyè-<br />

res antraf. 27 Das hat aber keinen grossen Einfluss auf die Authentizität der Schuh-<br />

population der <strong>Company</strong>, da es im Mittelalter auch vorkommen konnte, dass an<br />

gewissen Orten nur wenige Schuhmodelle vorkamen. Das kann ich mir besonders<br />

bei militärischen Organisationen gut vorstellen. Dazu kommt noch, dass zu Beginn<br />

des Jahrhunderts die Schuhmode ganz anders war als ein paar Jahrzehnte später,<br />

und sich auch die wieder veränderte. Aber es ist unwahrscheinlich, dass jeder-<br />

mann die modischen Strömungen verfolgte. Das bewirkt, dass die Mode keinen<br />

Einfluss auf die Authentizität hat, solange die Modelle den Moderichtungen einer<br />

grösseren Zeitspanne entsprechen.<br />

Die Verschlüsse waren allesamt <strong>authentisch</strong>. Der Lederriemen, der um den<br />

schwarzen Stiefel gewickelt war, ist zwar ziemlich altmodisch, lässt sich aber<br />

18


trotzdem als wirklichkeitsnah charakterisieren. Der Schuh an sich ist jedoch alles<br />

andere als wirklichkeitsnah, da er Nähmaschinen-Nähte hat.<br />

V) Das hellbraune Stiefelpaar ist eindeutig nicht realitätsnah, es ist sogar sehr weit<br />

davon entfernt. Einerseits wird es von Maschinennähten zusammengehalten und<br />

besitzt eine Gummisohle, andererseits hat es auch einen total unpassenden<br />

Schnitt. Das andere Stiefelpaar, das Schwarze mit der Lederwicklung (siehe Abb.<br />

12), würde rein vom Modell her schon ins 15. Jahrhundert passen, ist aber, was<br />

unschwer zu erkennen ist, auch mit einer Nähmaschine vernäht worden. Die Trä-<br />

ger beider Schuhpaare gehören, wie bereits erwähnt, nicht zur <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt<br />

George. Diese Stiefel wurden entweder von einem gewandeten Besucher oder<br />

einem Mitglied der zweiten Gruppe in Gruyères getragen.<br />

VI) Die Empfindung des Trägers ist etwas, was sich mit archäologischen Funden nur<br />

annehmen lässt. Solche Dinge merkt man nämlich erst wenn man sie auch erlebt.<br />

Es wurden somit Zweitsohlen wahrscheinlich nicht nur angebracht um die Was-<br />

ser-Durchlässigkeit zu vermindern sondern auch um den Tragekomfort zu verbes-<br />

sern.<br />

Abb. 12 Zweites Stiefelpaar mit Nähmaschinennaht<br />

19


6. Fazit<br />

Am Ende dieser Arbeit komme ich zur Schlussfolgerung, dass <strong>Reenactement</strong> <strong>Gruppen</strong> zu-<br />

mindest in Teilaspekten ihrer gesamten Darstellung recht <strong>authentisch</strong> sein können. Mit har-<br />

ter und sorgfältiger Arbeit lassen sich, wie man sieht, sehr gute Ergebnisse erzielen. Natür-<br />

lich gibt es immer kleine Details, wie zum Beispiel Punkt II, die eine absolut wirklichkeitsge-<br />

treue Darstellung verhindern. Aber solche Details fallen im Gesamten kaum ins Gewicht. Nun<br />

mag man noch dazu erwähnen, dass der Teufel im Detail steckt und eben genau jenes das<br />

Gesamtbild verfälsche. Aber ehrlich gesagt ist ein Edelmann in halbverfallenen aber authen-<br />

tischen Schuhen realitätsnäher als in zwar edlen aber modern hergestellten Schuhen.<br />

Dass ich trotzdem Personen in wirklich nicht <strong>authentisch</strong>en Schuhen umhergehen sah, liegt<br />

wahrscheinlich daran, dass, wie bereits erwähnt, der Schuh ein relativ unwichtig erscheinen-<br />

der Gegenstand ist. Zusätzlich <strong>sind</strong> wir postmoderne Menschen von Filmen und anderen<br />

Abbildungen, die vor allem der Fantasie entstammen und wenig bis nichts mit der Wirklich-<br />

keit zu tun haben, geprägt. Da das Interesse für <strong>authentisch</strong>e Schuhe in der Öffentlichkeit<br />

gering zu sein scheint, <strong>sind</strong> die Einzigen, die mit Kompromissen in diesem Bereich klar kom-<br />

men müssen die Träger selbst. Aber zu <strong>Reenactement</strong> gehört eben nicht nur die Darstellung,<br />

sondern auch das Arbeiten an der Authentizität um mit der Zeit immer mehr Kompromisse<br />

aus dem Weg räumen zu können. Es stellt sich aber immer auch die Frage, wie weit dass<br />

man überhaupt gehen will. Ab wann wird das Austilgen von Details lästig und zum Spassver-<br />

derber? Schliesslich ist <strong>Reenactement</strong> ein Hobby, das Freude machen soll und deshalb setzt<br />

sich jeder die Grenzen selbst. Christian Folini meinte dazu: „(…) dafür gibt es ja auch viele<br />

Neider und Leute, die uns für Spassbremsen halten, weil wir alles so ernst nehmen wür-<br />

den...“ 28 Die Mitglieder der <strong>Company</strong> schienen jedoch mit sehr viel Begeisterung und Freu-<br />

de dabei zu sein. Die Einen mögen eben neben der Darstellung auch die Arbeit an der Au-<br />

thentizität, die Anderen empfinden das eher als lästig.<br />

C. Folini sagte über die Authentizität von <strong>Reenactement</strong> <strong>Gruppen</strong>: „(…); sie können recht<br />

weit kommen, wenn sie es möchten, es gibt aber wohl überall Grenzen.“ 29 Ich denke dieses<br />

Zitat fasst meine Ergebnisse präzis zusammen. Denn ob und wie weit nun eine Reenacte-<br />

ment Gruppe <strong>authentisch</strong> sein kann, hängt von ihren Mitgliedern und deren Einstellung dazu<br />

28 Re: Maturaarbeit (16.06.09) E-Mail von C. Folini, a.a.O., pg. 6<br />

29 vergl. Ebd.<br />

20


ab. Immerhin besteht, wie ich herausgefunden habe, die Möglichkeit in Teilaspekten und<br />

somit früher oder später auch im Gesamten, den Originalen sehr nahe zu kommen.<br />

21


7. Quellenverzeichnis<br />

FOLINI, Christian Re: Maturaarbeit (16.06.09)<br />

E-Mail von Christian Folini<br />

[christian.folini@time-machine.ch]<br />

Re: Maturaarbeit (29.07.09)<br />

E-Mail von Christian Folini<br />

[christian.folini@time-machine.ch]<br />

FORSDYKE, Graham Eine Zusammenfassung der Geschichte der<br />

Nähmaschine<br />

URL: http://www.angelfire.com/stars2/sternen quilter/GeschichteNaehmaschine.html<br />

[Stand: 08.08.09]<br />

GREW, Francis et al. Shoes and Pattens - Medieval Finds From Excavations<br />

In London 2. Aufl. Woodbridge: <strong>The</strong> Boydell<br />

Press, 2001<br />

o. V. Was ist Reenactment?<br />

URL: http://www.reenactment.de/reenactment_sta<br />

rt/reenactment_startseite/was_ist_reenactment/w<br />

as_ist_reenactment.html [Stand: 08.08.09]<br />

o. V. Porträt der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George<br />

URL: http://www.companie-<strong>of</strong>-st-<br />

george.ch/cms/?q=de/Portrait [Stand: 08.08.09]<br />

o. V Prinzipien der <strong>Company</strong><br />

URL: http://www.companie-<strong>of</strong>-st-<br />

george.ch/cms/?q=de/Principles [Stand: 08.08.09]<br />

RAUBER, Thomas RE: Maturaarbeit (10.07.09)<br />

E-Mail von Thomas Rauber<br />

[raubi@hotmail.com]<br />

RE: AW: AW: Maturaarbeit (13.07.09)<br />

E-Mail von Thomas Rauber<br />

[raubi@hotmail.com]<br />

VON DER HEIDE, Stefan Re: Maturarbeit (07.07.09)<br />

E-Mail von Stefan von der Heide<br />

[shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Re: Herstellen eines Pechdrahtes (10.07.09)<br />

E-Mail von Stefan von der Heide<br />

[shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

22


Fw: Genagelte Schuhe (12.07.2009)<br />

E-Mail von Stefan von der Heide<br />

[shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

ZEHNDER, Anna sämtliche Fotografien<br />

23


8. Anhang<br />

8.1 Anhang A<br />

3.1Herstellungsprozess<br />

- 3.1.1 Lederart<br />

- 3.1.2 Gerbung<br />

- 3.1.3Faden<br />

3.2 Modell des Schuhs<br />

- 3.2.1 Form<br />

- 3.2.2 Sohlen<br />

3.3 Allgemein<br />

- 3.3.1 Angenehm<br />

- 3.3.3 Lebensdauer<br />

- 3.3.4 Flicken<br />

8.2 Anhang B<br />

Informationen aus dem Interview mit Sebastian Haug<br />

- Die Sohlen <strong>sind</strong> Hauptsächlich aus starkem Rindsleder. Das Oberleder besteht hauptsächlich<br />

Ziegenleder oder dünnem Rinderleder. Das Leder ist vegetativ gegerbt.<br />

- Der Faden besteht aus vor allem Hanf oder Leinen Zwirn, oder anderen Naturfasern,<br />

die mit Pech und Wachs zu einem sogenannten Pechdraht verarbeitet wurden.<br />

- Die meisten Schuhe <strong>sind</strong> auf dem Rist geschnürt, auch Schnallen <strong>sind</strong> beliebt.<br />

- In den meisten Fällen wird zwischen Schaft und Sohle ein Rand eingenäht, der Stabilität<br />

verleiht und verhindert, dass man mit der Zeit auf dem Oberleder geht. Der Flicken<br />

wird dort angenäht.<br />

- Die Lebensdauer beträgt im <strong>Reenactement</strong> durchschnittlich 8 – 10 Jahre. Die Schuhe<br />

werden so <strong>of</strong>t als möglich geflickt.<br />

- Gute handgemachte Schuhe <strong>sind</strong> heutzutage sehr teuer.<br />

- Als Vorbilder gelten archäologische Funde.<br />

- Je nach Gewicht und Empfindlichkeit des Trägers <strong>sind</strong> die Schuhe mehr oder weniger<br />

angenehm. Die Sohle ist jedoch relativ dünn, so dass man trotzdem auf unangenehme<br />

Weise die Bodenbeschaffenheit spüren kann. Besonders schlimm <strong>sind</strong> spitze Steine<br />

oder ähnliches.<br />

24


8.3 Anhang C<br />

Beobachtungen:<br />

Die Variabilität der Schuhmodelle war vor Ort nicht besonders ausgewogen.<br />

Die Farbe variiert bei den meisten von hell- bis dunkelbraun (27 Stück). Einige Exemplare<br />

<strong>sind</strong> auch schwarz (6) oder in Rottönen (6).<br />

Hier was ich anhand der Fotografien feststellte:<br />

Frauen und Schnürung auf Schnallen auf Lederriemen Total<br />

Männer<br />

dem Rist dem Rist<br />

niedriger Schuh 6 6 12<br />

hoher Schuh 16 4 20<br />

Stiefel 4 1 2 7<br />

Total 26 11 2 39<br />

Männer Schnürung auf Schnallen auf Lederriemen Total<br />

dem Rist dem Rist<br />

niedriger Schuh 3 2 5<br />

hoher Schuh 14 4 18<br />

Stiefel 4 1 2 7<br />

Total 21 7 2 30<br />

Frauen Schnürung auf Schnallen auf Lederriemen Total<br />

dem Rist dem Rist<br />

niedriger Schuh 3 4 7<br />

hoher Schuh 2 2<br />

Stiefel<br />

Total 5 4 9<br />

Ein niedriger Schuh ist unter dem Knöchel fertig, ein hoher Schuh knapp oberhalb des Knöchels.<br />

Alles Höhere ist ein Stiefel.<br />

In den Fotos <strong>sind</strong> drei Schuhe mit genagelter Sohle zu sehen.<br />

25


Ein Stiefel passt nicht ins Schema, die Verarbeitung der Nähte erscheint modern und ich<br />

glaube eine Gummisohle zu erkennen.<br />

Das die Frauen in meinen Fotographien in der Minderheit <strong>sind</strong>, hat damit zu tun, dass unter<br />

den Röcken die Schuhe gut versteckt <strong>sind</strong>.<br />

Der hohe Schuh mit Schnürung auf dem Rist ist der häufigste Männerschuh. Der niedrige<br />

Schuh mit Schnallenverschluss auf dem Rist ist der häufigste Damenschuh.<br />

Von den 39 Schuhen <strong>sind</strong> 10 eindeutig geflickt und 4 eindeutig neu. Alle anderen <strong>sind</strong> mehr<br />

oder weniger gebraucht.<br />

8.4 Anhang D<br />

E-Mails:<br />

Von: Christian Folini [mailto:christian.folini@time-machine.ch]<br />

Gesendet: Dienstag, 16. Juni 2009 21:29<br />

An: Marco Hostettler<br />

Cc: raubi@hotmail.com<br />

Betreff: Re: Maturaarbeit<br />

Hallo Marco,<br />

Ich wechsle mal zum Du. Ich denke, das macht die Sache angenehmer.<br />

On Tue, Jun 16, 2009 at 12:16:55PM +0200, Marco Hostettler wrote:<br />

> Ich, Marco Hostettler bin Gymnasiast und besuche das Gymnasium Thun Schadau.<br />

Dann leben wir ja ganz in der Nähe. Ich bin Christian Folini, wohne<br />

in Riggisberg und bin Doktor der mittelalterlichen Geschichte.<br />

> Ich arbeite zur Zeit an meiner Maturaarbeit. Ihr <strong>The</strong>ma liegt im Bereich<br />

> Reenactment/Mittelalter,<br />

Gute Wahl. :)<br />

> einem Gebiet das mich fasziniert. Ich möchte herausfinden wie <strong>authentisch</strong><br />

> Reenactmentgruppen<br />

><br />

> <strong>sind</strong>, sein können.<br />

Sie <strong>sind</strong> in aller Regel nicht sehr <strong>authentisch</strong>; sie können recht<br />

weit kommen, wenn sie es möchten, es gibt aber wohl überall Grenzen.<br />

26


Um den Rahmen einer Maturitätsarbeit nicht zu sprengen, musste ich mich auf<br />

> eine Gruppe und einen<br />

><br />

> bestimmten Untersuchungsgegenstand fokussieren.<br />

><br />

> Ich entschied mich Ihre Gruppe unter die Lupe zu nehmen, da ich Ihre<br />

> Darbietungen sehr überzeugend<br />

><br />

> Finde und Sie wohle eine der Bekanntesten <strong>Gruppen</strong> in Europa <strong>sind</strong>. Als<br />

> Untersuchungsgegenstand<br />

><br />

> wählte ich den Schuh, einem wichtigen Gegenstand im täglichen Leben.<br />

Uns auszuwählen ist natürlich nett. Woher kennst Du uns und wie<br />

kommst Du auf die Idee, wir seien eine der bekanntesten <strong>Gruppen</strong><br />

in Europa? Diese Fragen <strong>sind</strong> für uns sehr wichtig und interessant,<br />

denn wir kennen uns ja bereits...<br />

Schuhe <strong>sind</strong> auch eine sehr gute Wahl. Judy Swan, eine Spezialistin<br />

für mittelalterliches Schuhwerk mit inzwischen gegen 80 Jahren, hat<br />

2007 auf einer Tagung in der Abeggstiftung dazu Folgendes gesagt:<br />

"If you are a young student and you are interested in the history<br />

<strong>of</strong> costume: Please join us and do research on shoes. <strong>The</strong>re is so much<br />

which we do not know! We need your help!"<br />

> Um an meine benötigten Informationen heranzukommen, dachte ich daran Sie<br />

> nächsten Samstag<br />

><br />

> in Gruyères zu besuchen.<br />

Auch das ist eine gute Idee. Ich werde vermutlich aus privaten Gründen<br />

nicht vor Ort sein, empfehle Dir aber, Dich nach Thomas Rauber, aka<br />

Raubi durchzufragen. Er vertritt mich, hat bestimmt viel Freizeit<br />

und kann Dich an die richtigen Leute weitervermitteln.<br />

> Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich von ihrer Aktivität ein paar<br />

> Fotos schiessen werde,<br />

Das ist willkommen. Wenn wir die Photos danach auch bekommen, dann umso mehr.<br />

> und h<strong>of</strong>fe dass ich einige Mitglieder kurz interviewen darf.<br />

Sehr gerne. Einfach fragen und sie werden sicher ja sagen, wenn sie<br />

Zeit haben.<br />

> Ich muss aber vor allem ein paar Schuhe (3-5 Paare) genauer untersuchen<br />

27


(Ansehen, Fotos machen)<br />

><br />

> und dem Schuhmacher ein paar Fragen über Material, Herstellung usw. stellen.<br />

Wir hatten vorgesehen, dass Sebastian Haug als Flickschuster vor<br />

Ort arbeiten wird. Sebastian macht jetzt aber trotzdem auf Soldat.<br />

Das heisst aber nicht, dass er nicht sehr viel zum <strong>The</strong>ma sagen<br />

könnte. Raubi kann ihn Dir dann zeigen.<br />

Nach der Veranstaltung macht es sicher Sinn, Dich mit einem richtigen<br />

Schuhmacher zu unterhalten. Ich empfehle Dir, Dich mit Stefan von<br />

der Heide in Verbindung zu setzen. Er erzählt sehr gerne und kann<br />

Dir alles zu mittelalterlichen Schuhen erklären:<br />

shoes.ad.libitum@t-online.de<br />

Grüsse ihn von mir.<br />

Es gibt 2 Bücher, die für Deine Arbeit von Interesse <strong>sind</strong>. Sie müssten<br />

über den interbibliothekaran Leihverkehr auch nach Thun zu liefern sein:<br />

http://www.amazon.com/Stepping-through-time-Archaeologicalprehistoric/dp/9080104469<br />

http://www.amazon.com/Shoes-Pattens-Medieval-Excavations-London/dp/0851158382<br />

So, ich denke, damit kommst Du zurecht. Wenn danach noch Fragen <strong>of</strong>fen<br />

<strong>sind</strong>, dann frage einfach nach.<br />

Liebe Grüsse,<br />

Christian Folini<br />

--<br />

I skate to where the puck is going to be, not to where it has been.<br />

-- Wayne Gretzky<br />

Von: Christian Folini [mailto:christian.folini@time-machine.ch]<br />

Gesendet: Mittwoch, 29. Juli 2009 11:23<br />

An: Marco Hostettler<br />

Betreff: Re: Maturaarbeit<br />

Hallo Marco,<br />

Das hat leider etwas gedauert. Wir waren mit Vorbereitungen für unsere<br />

Lenzburgveranstaltung beschäftigt und da fallen Mails gerene etwas<br />

flach..<br />

> - <strong>Wie</strong> gross ist die <strong>Company</strong>?<br />

Rund 100 Mitglieder. Etwa 60 aktiv. Wir kommen mit Gästen auf eine<br />

maximale Eventgrösse von rund 130 Personen.<br />

> - <strong>Wie</strong> hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?<br />

Gewachsen und stabiler geworden.<br />

28


- Was ist die "Philosophie"?<br />

http://www.companie-<strong>of</strong>-st-george.ch/cms/?q=de/Principles<br />

> - Was ist Reenactment für dich? Was bedeutet dir die <strong>Company</strong>?<br />

Reenactment ist ein tolles Hobby. Es ist auch eine Möglichkeit, mein<br />

Wissen, dass ich als Historiker erworben habe konkret zu überprüfen<br />

oder zu erweitern. Die <strong>Company</strong> ist eine Gruppe mit vielen Freunden,<br />

die ich ein paar Mal während eines Jahres wiedertreffe.<br />

> Soll ich dir eine CD mit den Fotos brennen?<br />

Gerne.<br />

Christian Folini<br />

Bühlenstrasse 3<br />

CH-3132 Riggisberg<br />

Ahoj,<br />

Christian<br />

--<br />

Investors should be aware <strong>of</strong> the overall dangers the legal pr<strong>of</strong>ession<br />

present to companies, and how its current and generalized naiveté can<br />

sink fortunes overnight.<br />

--- John Dvorak on the digg.com story in May 2007<br />

Von: Thomas Rauber [mailto:raubi@hotmail.com]<br />

Gesendet: Freitag, 10. Juli 2009 10:58<br />

An: marco_hostettler@hispeed.ch<br />

Betreff: RE: Maturaarbeit<br />

Hallo Marco<br />

Entschuldigung das ich erst jetzt antworte, aber ich hatte einiges um die Ohren,<br />

Vielen Dank für deine Hilfsbereitschaft in Gruyères! Der Event war sehr Beeindruckend!<br />

Freut mich zu hören das es Dir gefallen hat. Vielleicht hast Du ja Lust irgendwann mal selbst<br />

ins Hobby <strong>Reenactement</strong> einzusteigen?<br />

- <strong>Wie</strong> gross ist die <strong>Company</strong>?<br />

Zurzeit umfasst die Companie <strong>of</strong> St. George etwas über 100 Mitglieder, 82 Veteranen (Vollmitglieder)<br />

und 23 Rekruten. Wobei nicht alle aktiv <strong>sind</strong>. Wir haben auf grossen Events auch<br />

<strong>of</strong>t Gäste aus anderen <strong>Gruppen</strong>.<br />

- <strong>Wie</strong> hat sie sich in den letzten Jahren entwickelt?<br />

Die Gruppe entwickelt und verändert sich ständig. Die Gründer <strong>sind</strong> nicht mehr so aktiv, jüngere<br />

Leute ziehen nach. Es braucht viel Engagement und Herzblut um eine internationale<br />

Gruppe dieser Grösse zu koordinieren und zu planen. Wir versuchen auch ständig uns zu<br />

verbessern und auszutauschen und den Standard höher zu schrauben. Wir wollen uns nicht<br />

auf unserem Ruf als akurate und ausgezeichnete Living-History-Gruppe ausruhen, sondern<br />

auch immer wieder unter Beweis stellen das wir ihn verdient haben.<br />

29


- Was ist die "Philosophie"?<br />

Diese Frage wurde sehr gut auf unserer Homepage in Worten zusammengefasst und ich<br />

könnt es nicht besser beschreiben, deswegen hier unsere Prinzipien:<br />

Das Mittelalter erfreut sich seit Jahren eines grossen Interesses in der Öffentlichkeit. Das<br />

breite Angebot an historischen und historisch inspirierten Veranstaltungen lässt den Zuschauer<br />

<strong>of</strong>t etwas ratlos zurück. Es ist schwer in der Menge der Darbietungen das historisch<br />

verbürgte Mittelalter ausfindig zu machen. Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> St. George ist exakt diesem Mittelalter<br />

und nichts anderem verpflichtet.<br />

Qualitätsanspruch - High Fidelity Reenactment<br />

Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> St. George gilt als Massstab in der historisch getreuen Darstellung. Dieser<br />

hart erarbeitete Status beruht auf unserer quellenorientierten Darstellung, die das Mittelalter<br />

kompromisslos lebendig machen will. So erwartet die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George von ihren<br />

Mitgliedern eine gewissenhafte und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem historischen<br />

Vorbild. Nur so kann es gelingen, unserem Ruf auch zukünftig gerecht zu werden.<br />

Denn es bleibt noch viel zu tun. Jede Diskussion bringt neue Ideen und Hinweise, wo wir unsere<br />

Interpretation und die Ausrüstung noch verbessern können. Authentizität ist als Ziel<br />

nicht erreichbar. Aber wir arbeiten hart daran, dem Anspruch näher und näher zu kommen.<br />

Zusammenarbeit und Forschung<br />

Fortschritt basiert auf dem Austausch von Wissen. Deshalb heissen wir den Austausch und<br />

die Kooperation mit Institutionen und Einzelpersonen stets willkommen. Unsere Forschung<br />

richtet sich nach archäologischen Funden, Museumsexponaten, Textquellen und historischen<br />

Abbildungen. Auf diese Art und Weise ergänzen und verbessern wir konstant unsere<br />

Darstellung und Ausrüstung. Ziel ist es, unser Wissen und dasjenige unserer Partner über das<br />

Alltagsleben im 15. Jahrhundert laufend zu aktualisieren und zu vertiefen.<br />

Freundschaft<br />

Die <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynt George lebt von der Energie und dem Enthusiasmus ihrer Mitglieder.<br />

Fröhliche und motivierte Mitglieder <strong>sind</strong> die Basis für jede erfolgreiche Veranstaltung und<br />

ein erfülltes Hobby. Die unter uns gepflegte Freundschaft ist für die gute Stimmung in unserem<br />

Lager verantwortlich und hilft unserer Gruppe, interne wie äussere Konflikte meistern<br />

zu können. Das gemeinsame Festhalten an den Zielen und das Teilen unserer Interessen und<br />

Erfahrungen festigt unseren Zusammenhalt. Konsequenterweise nehmen wir deshalb unser<br />

Hobby sehr ernst, uns selber aber bedeutend weniger.<br />

- Was ist Reenactment für dich? Was bedeutet dir die <strong>Company</strong>?<br />

Es ist die Faszination gelebter Geschichte. Welcher Mann und welche Frau hat als Kind nicht<br />

vom Mittelalter geträumt? Natürlich war dieses Bild verromantisiert und von Filmen geprägt<br />

und hatte nichts mit dem zu tun was wir darstellen. Aber die "Realität" ist bei weitem spannender<br />

als jeder Film. Natürlich können wir nie zu hundert Prozent behaupten "so war es",<br />

bei vielem können wir nur annehmen das es so gewesen sein könnte. Ich liebe es mich mit<br />

Quellen auseinanderzusetzen, in den Lagern eines Museums Originalstücke in den Händen<br />

zu halten, zu fotografieren, auszumessen und zu versuchen sie nachzubauen. Ich liebe es<br />

auch in unserer hochtechnologisierten, schnellebigen Zeit ständiger Erreichbarkeit abzuschalten<br />

und mit allen Sinnen zu geniessen. Am Ende eines Events bin ich körperlich zwar<br />

erschöpft, aber geistig total erholt. Ich mag es mit meinen Händen zu arbeiten, Kleider zu<br />

nähen, Leder zu bearbeiten oder auch banal Holz zu hacken und mich in Fertigkeiten zu üben<br />

die heute beinahe vergessen <strong>sind</strong>. Es <strong>sind</strong> auch die grossartigen Momente die unvergessen<br />

bleiben. Wann hat man schon die Gelegenheit nachts unter einem grandiosen Sternenhimmel<br />

angetan mit Harnisch, Helm und Laterne durch eine dunkle Burg zu schreiten? Und natürlich<br />

die Internationalität der Gruppe. Durch die Jahre in der Companie habe ich Leute aus<br />

30


zwölf europäischen Ländern kennen gelernt von denen einige sehr gute Freunde geworden<br />

<strong>sind</strong>. Es ist unglaublich spannend sich mit Leuten aus Schweden, Polen, England oder Finnland<br />

(um nur einige zu nennen) zu unterhalten. Ich finde Geschichte ist zu wissen wo wir<br />

herkommen. Vieles ist vergessen gegangen, wartet aber nur darauf wieder entdeckt und<br />

"gelebt" zu werden und darauf freue ich mich immer wieder.<br />

So, ich h<strong>of</strong>fe, ich konnte Deine Fragen zu Deiner Zufriedenheit beantworten. Fallsnoch etwas<br />

auftauchen sollte kannst Du jederzeit nachfragen. Wir <strong>sind</strong> übrigens vom 21. bis 26. Juli auf<br />

der Lenzburg zu Gast.<br />

Viele Grüsse<br />

Thomas<br />

Von: Thomas Rauber [mailto:raubi@hotmail.com]<br />

Gesendet: Montag, 13. Juli 2009 15:49<br />

An: marco_hostettler@hispeed.ch<br />

Betreff: RE: AW: AW: Maturaarbeit<br />

Hoi Marco!<br />

Nein, der Träger dieses Stiefels gehört definitiv nicht zu uns... :)<br />

Niemand bei uns trägt Stiefel mit Gummisohlen und Maschinennähten. *gg*<br />

Ich vermute das ist einer von den "Basilisken" oder ein Besucher. Die Basilisken waren eine<br />

zweite Gruppe die in Gruyeres auch ihr Lager hatten, aber unten in der Stadt. Sie stellen<br />

auch 15tes-Jahrhundert dar, aber mehr für den Bereich Mittelaltermarkt und ohne den hohen<br />

Anspruch den wir haben. Bitte dieses Foto nicht in Bezug mit der Companie <strong>of</strong> St.<br />

George verwenden.<br />

Viele Grüsse<br />

Thomas<br />

From: marco_hostettler@hispeed.ch<br />

To: raubi@hotmail.com<br />

Subject: AW: AW: Maturaarbeit<br />

Date: Mon, 13 Jul 2009 15:25:33 +0200<br />

Hallo Thomas,<br />

Ja, es ist gut möglich dass es sich um einen Besucher handelt. Leider ist kein Ganzkörperfoto<br />

vorhanden.<br />

Das Einzige was mich eben zweifeln lässt, ist dass er den Stiefel präsentiert.<br />

Im Anhang findest du ein Bild.<br />

Viele Grüsse<br />

Marco<br />

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Von: Thomas Rauber [mailto:raubi@hotmail.com]<br />

Gesendet: Montag, 13. Juli 2009 12:57<br />

An: marco_hostettler@hispeed.ch<br />

Betreff: RE: AW: Maturaarbeit<br />

Hallo Marco<br />

Also ich würde die Hand ins Feuer legen, dass alle Teilnehmer im Companie-Lager Schuh-<br />

Rekonstruktionen nach Originalfunden getragen haben.<br />

Das was Du ansprichst ist manchmal ein Problem auf Veranstaltungen, nämlich zahlende<br />

Besucher in teilweise nicht schlechter Gewandung, die herumgehen, Zigaretten rauchen und<br />

fotografieren. Für den normalen Besucher der sich nicht mit der Materie auseinadersetzt ist<br />

es <strong>of</strong>t nicht leicht zu unterscheiden wer gehört dazu und wer nicht. In Gruyeres hatte ich<br />

zum Beispiel Besuch von einem Freund der mir dann gleich gesagt hat, dass die Companie<br />

gar nicht so Autentisch sei wie ich immer erzähle, er hätte schon jemand von uns mit Fotoapperat<br />

gesehen. Das war dann aber eben eine Besucherin.<br />

Wenn Du magst kannst Du mir ja das Bild schicken.<br />

Viele Grüsse<br />

Thomas<br />

From: marco_hostettler@hispeed.ch<br />

To: raubi@hotmail.com<br />

Subject: AW: Maturaarbeit<br />

Date: Mon, 13 Jul 2009 12:17:06 +0200<br />

Guten Tag Thomas<br />

Danke für deine ausführlichen Antworten! Ist es möglich, dass einige Mitglieder der <strong>Company</strong><br />

total „un<strong>authentisch</strong>e“ Schuhe tragen? Die meisten Schuhe die ich auf Foto habe, <strong>sind</strong> nämlich<br />

den archäologischen Vorbildern sehr nahe, nur ein Paar Stiefel überhaupt nicht, was mich<br />

zweifeln<br />

lässt, ob der Besitzer ein Mitglied ist oder nicht.<br />

Gerne würde ich auf die Lenzburg kommen.<br />

Viele Grüsse<br />

Marco<br />

Von: Stefan von der Heide [mailto:shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Gesendet: Dienstag, 7. Juli 2009 23:31<br />

An: Marco Hostettler<br />

Betreff: Re: Maturarbeit<br />

Guten Tag Herr Hostettler,<br />

gerne beantworte ich Ihre Fragen soweit möglich.<br />

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Ich verarbeite rein vegetabil, also mit pflanzlichen Gerbmitteln gegerbtes Ziegen- und Rindeder,<br />

sowie auch sämisch gegerbtes Hirschleder.<br />

>Die Vorbilder entnehme ich archäologischen Publikationen und zeitgenössischen bildlichen<br />

Darstellungen.<br />

>Das Nähmaterial wird als Pechdraht bezeichnet und besteht je nach Anwendungsbereich<br />

aus 2 - 10 Leinen- oder Hanffäden, die miteinander verzwirnt, gepecht und gewachst werden.<br />

Wenn Sie das näher interessiert, kann ich Ihnen auch eine Anleitung zum Herstellen von<br />

Pechdrähten zukommen lassen.<br />

>Schuhmacher brauchen nur wenige Werkzeuge: Hammer, Messer (Halbmondmesser,<br />

Schärfmesser, Randmesser Beschneidemesser), Zwickzangen schmal und breit, Nähahlen<br />

(gerade und gebogen), Spannriemen und Leistenhaken.<br />

>Die erste Hürde besteht darin, die Fußmaße auf einen Holzleisten proportional richtig zu<br />

übertragen. Dieser Leisten ergibt die spätere Schuhform. In ihm <strong>sind</strong> bereits mode- und konstruktionsbedingte<br />

Erfordernisse berücksichtigt. Die nächste Aufgabe liegt im richtigen Umsetzen<br />

des dreidimensionalen Leistens in eine zweidimensionale Form, damit es möglich ist,<br />

das Schuhoberteil auf Papier entwerfen zu können. In einem dritten Schritt wird das Oberteil<br />

aus Leder ausgeschnitten und zusammen genäht. Im letzten Schritt heftet man die Sohle auf<br />

den Leisten, spannt das Oberteil mit Hilfe von Nägeln darüber (man zwickt den Schuh), näht<br />

Oberteil und Sohle zusammen, zieht den Leisten heraus, dreht den Schuh um, sodaß alle<br />

Nähte innen liegen, steckt den anderen Leisten anschliessend in den fertigen Schuh hinein<br />

und formt ihn durch manuelle Bearbeitung an den Leisten an. Das ist mal ganz grob der<br />

Werdegang eines mittelalterlichen wendegenähten Schuhs.<br />

> Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der Empfindlichkeit der Füße und des Geschicks<br />

des Schuhmachers. Gesund <strong>sind</strong> sie wegen des chemiefreien Leders und der anatomischen<br />

Form.<br />

> Eine heikle Frage: Die Tragedauer im Reenactment richtet sich nach dem Gang des Trägers,<br />

der Bodenbeschaffenheit und des Wetters. Naturboden :-) / Kopfsteinpflaster, Kies :-I / Asphalt<br />

und Schotter :-(<br />

Man schätzt die Tragedauer wendegenähter Schuhe im Mittelalter incl. Reparaturen auf ca.<br />

3 -4 Monate, wobei das natürlich ebenfalls von den o. g. Faktoren abhängig war, wenn man<br />

mal von Asphalt und Schotter absieht.<br />

> Durch Aufnähen von Lederstücken auf schadhafte Stellen, ggf. auch Herausschneiden von<br />

schadhaften Stellen und Ersetzen durch Ergänzungen aus neuem Leder.<br />

Was die Bilder angeht: meinen Sie Bilder von fertigen Schuhen oder von Arbeitsvorgängen?<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Meister Knieriem<br />

Stefan v.d. Heide<br />

----- Original Message -----<br />

From: Marco Hostettler<br />

To: shoes.ad.libitum@t-online.de<br />

Sent: Tuesday, July 07, 2009 10:27 AM<br />

Subject: Maturarbeit<br />

Guten Morgen Herr Von der Heide<br />

33


Ich , Marco Hostettler, arbeite zur Zeit an meiner Maturitätsarbeit, die sich um<br />

mittelalterliche Schuhe dreht.<br />

Ich setzte mich mit Christian Folini, von der <strong>Company</strong> <strong>of</strong> Saynte George, in Verbindung<br />

um meine Untersuchung über Schuhe durchzuführen. Ein Gruss von ihm.<br />

Er empfahl mir, mich mit Ihnen in Kontakt zu setzen und Sie über das <strong>The</strong>ma auszufragen.<br />

Ich wäre froh wenn Sie mir folgende Fragen dazu beantworten würden:<br />

- Was verwenden Sie für Leder?, <strong>Wie</strong> ist es gegerbt?<br />

- Was für Vorbilder verwenden Sie für die Schnittmuster?<br />

- <strong>Wie</strong> ist der Faden gemacht?<br />

- Was für Werkzeug verwenden Sie zur Bearbeitung?<br />

- Was <strong>sind</strong> die Hauptschwierigkeiten in der Herstellung?<br />

- Glauben Sie dass die Schuhe gesund/angenehm <strong>sind</strong>?<br />

- Was ist die durchschnittliche Lebensdauer im Reenactment/im Mittelalter?<br />

- <strong>Wie</strong> Flickt man am besten?<br />

Sollten Sie vielleicht zwei, drei Bilder dazu haben, fände ich es Nett wenn Sie sie mir schicken<br />

könnten.<br />

Dürfte ich in dem Falle die Bilder in meiner Arbeit auch verwenden?<br />

Mit freundlichen Grüssen<br />

Marco Hostettler<br />

Hagacherweg 21d<br />

3608 Thun<br />

079 852 44 91<br />

Von: Stefan von der Heide [mailto:shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Gesendet: Freitag, 10. Juli 2009 20:40<br />

An: Marco Hostettler<br />

Betreff: Re: Herstellen eines Pechdrahtes<br />

Guten Tag Herr Hostettler,<br />

wetterfest im Sinne von wasserdicht wie Gummistiefel sicher nicht. Wenn man mit solchen<br />

Schuhen eine zeitlang im Regen herumläuft, <strong>sind</strong> die Schuhe durchnäßt. <strong>Wie</strong> unsere Vorfahren<br />

das Problem bei Überlandreisen gelöst haben, ist mir nicht bekannt. Ich kann mir aber<br />

vorstellen, daß sie sich untergestellt haben und abgewartet haben, bis der Regen aufgehört<br />

hat und das Wasser sich verlaufen hatte.<br />

Zum <strong>The</strong>ma Schuhnägel: Letztes Jahr wurde in Paderborn ein Fund von mehreren genagelten<br />

Schuhsohlen gemacht, der ziemlich sicher aus dem 15. Jh. stammt. Damit war in der Reenactmentszene<br />

eine lange Diskussion beendet. Die Nägel werden in Teilsohlen, die auch als<br />

Sohlenflicken bezeichnet werden, eingeschlagen und diese dann an den umlaufenden Rand<br />

der ersten Sohle festgenäht. Auf diese Weise beeinträchtigen die Nägel nicht die Haltbarkeit<br />

der Sohlennähte. Der Sinn dieser Nägel liegt in der Verschleißminderung und der besseren<br />

Griffigkeit der Sohle auf Naturboden und ungepflasterten Wegen.<br />

34


Mit freundlichen Grüßen<br />

Meister Knieriem<br />

Stefan v.d. Heide<br />

----- Original Message -----<br />

From: Marco Hostettler<br />

To: 'Stefan von der Heide'<br />

Sent: Thursday, July 09, 2009 10:14 AM<br />

Subject: AW: Herstellen eines Pechdrahtes<br />

Guten Tag Herr v. d. Heide,<br />

Vielen Dank für die Anhänge und Informationen. Die Bilder haben leider eine etwas schlechte<br />

Auflösung,<br />

und um die Zeitschrift kommen zu lassen ist der Abgabetermin der Arbeit leider etwas zu<br />

knapp…<br />

Aber so wichtig ist dies auch nicht. Die Anleitung für den Pechdraht konnte ich öffnen.<br />

Ich würde gerne noch wissen, ob solche Schuhe wetterfest <strong>sind</strong>?<br />

Viele Grüsse<br />

Marco Hostettler<br />

Von: Stefan von der Heide [mailto:shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Gesendet: Mittwoch, 8. Juli 2009 20:25<br />

An: Marco Hostettler<br />

Betreff: Herstellen eines Pechdrahtes<br />

Guten Tag Herr Hostettler,<br />

hier nun die Anleitung zum Herstellen von Pechdrähten.<br />

Wenn Sie weitere Fragen haben, können Sie sich jederzeit an mich wenden.<br />

Mit freundliche Grüßen<br />

Meister Knieriem<br />

Stefan v.d. Heide<br />

Von: Stefan von der Heide [mailto:shoes.ad.libitum@t-online.de]<br />

Gesendet: Sonntag, 12. Juli 2009 20:36<br />

An: Marco Hostettler<br />

Betreff: Fw: Genagelte Schuhe<br />

Guten Tag Herr Hostettler,<br />

im Anhang das Foto des Fundes und die Kontaktdaten der Archäologin.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

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Meister Knieriem<br />

Stefan v.d. Heide<br />

----- Original Message -----<br />

From: Jens Börner<br />

To: info@knieriem.net<br />

Sent: Sunday, October 05, 2008 8:06 PM<br />

Subject: Genagelte Schuhe<br />

Hi Stefan,<br />

Hier das versprochene Foto, und Kontaktdaten der Archäologin:<br />

M. Gaertner-Krohn<br />

Museum in der Kaiserpfalz<br />

Am Ikenberg 2<br />

33098 Paderborn<br />

Tel. 05252/105110<br />

mit freundlichen Grüßen<br />

Jens Börner<br />

Diu Minnezît<br />

Rekonstruktion von Sachkultur und Alltag des deutschen und französischen Mittelalters<br />

http://www.diu-minnezit.de<br />

36


9. Eidesstattliche Erklärung<br />

Hiermit bestätige ich, die vorliegende Arbeit selbstständig und unter Angabe aller benötigten<br />

Quellen verfasst zu haben.<br />

Datum und Unterschrift<br />

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