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Dr. Karen Schemken

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[114] GESUNDHEIT<br />

DIE KASTRATION<br />

Eine der ältesten Operationen an Haustieren ist heute umstrittener denn je.<br />

Tierärztin <strong>Dr</strong>. <strong>Karen</strong> <strong>Schemken</strong> kennt die Vor- und Nachteile der Verhütungsmethode<br />

und medizinische Irrtümer, die sich unter Hundehaltern hartnäckig behaupten<br />

In den Hoden eines Rüden werden die<br />

Sexualhormone produziert, die auch<br />

für das geschlechtsspezifische Verhalten<br />

des Tieres verantwortlich sind.<br />

WERDEN NUR<br />

RÜDEN KASTRIERT?<br />

„Ist doch ganz klar: Rüden werden kastriert<br />

und Hündinnen sterilisiert!“ Die Hunde-<br />

halterin Elke Franzki aus Monheim vertritt<br />

damit eine weit verbreitete Meinung. Die<br />

entspricht allerdings nicht den Tatsachen.<br />

Denn bei einer Kastration werden die Eierstöcke<br />

oder die Hoden komplett entfernt,<br />

während bei einer Sterilisation nur die Eileiter<br />

oder die Samenleiter unterbunden werden.<br />

Die Operationsmethode hat also nichts<br />

mit dem Geschlecht zu tun. Bei Hündinnen<br />

wird bei der Kastration zusätzlich oftmals<br />

die Gebärmutter mit entfernt, je nach Alter<br />

der Hündin und Zustand des Organs zum<br />

Operationszeitpunkt.<br />

In den Eierstöcken und den Hoden werden<br />

Sexualhormone produziert, die vor allem<br />

für die Entwicklung der Geschlechtsorgane<br />

und für das geschlechtsspezifische Verhalten<br />

verantwortlich sind, aber auch andere Körper-<br />

funktionen kontrollieren. Werden die Keimdrüsen<br />

entfernt, treten verschiedene körper-<br />

liche Effekte und Verhaltensänderungen auf.<br />

Die Sterilisation hingegen dient lediglich der<br />

Vermeidung ungewollten Nachwuchses, die<br />

Hündin wird nach einer Operation weiterhin<br />

läufig und der Rüde liebeskrank.<br />

WANN IST EINE<br />

OPERATION SINNVOLL?<br />

Die meisten Hunde werden je nach Rasse<br />

zwischen dem 6. und dem 9. Monat geschlechtsreif,<br />

in Einzelfällen auch später.<br />

Wenn die Hündin zweimal im Jahr läufig ist,<br />

hat sie jeweils rund zwei Wochen lang blutigen<br />

Ausfluss und verströmt einen Geruch,<br />

FOTO: F O L I O / P L A I N P I C T U R E<br />

der für Rüden äußerst attraktiv ist. Die für<br />

die Fortpflanzung entscheidenden Tage sind<br />

erst am Ende der zwei Wochen, wenn die<br />

Hündin „steht“ und begattungswillige Rüden<br />

nicht mehr wegbeißt. Dann ist bei Hundehaltern<br />

höchste Aufmerksamkeit gefordert,<br />

denn auch die liebestollen Hundedamen zeigen<br />

sich erfinderisch in ihrem <strong>Dr</strong>ang, einen<br />

Partner zu finden. Liegt der Duft einer läufigen<br />

Hündin in der Luft, sind die Rüden oft<br />

nicht mehr zu bremsen, und selbst wohlerzogene<br />

Hunde verweigern strikt den Gehorsam.<br />

Vermeidung ungewollten Nachwuchses<br />

und unerwünschten Sexualverhaltens: Viele<br />

Hundehalter sehen in einer Kastration die<br />

einfachste Lösung, dem Treiben ein Ende zu<br />

setzen. Einen Hund zu kastrieren, weil die<br />

Läufigkeit lästig und der Trieb nervig ist, sollte<br />

allerdings kein Grund für einen solch<br />

drastischen Eingriff sein. Schließlich ist eine<br />

Kastration immer auch mit Risiken und Ne-<br />

benwirkungen verbunden. Hartwig Bostedt,<br />

emeritierter Professor für Physiologie und<br />

Pathologie der Fortpflanzung am Fachbereich<br />

Veterinärmedizin der Universität Gießen,<br />

meint dazu: „Die Sexualhormone nehmen<br />

einen wesentlichen Einfluss auf das körperliche<br />

und seelische Allgemeinbefinden von<br />

Tieren. Die Entnahme von Hoden oder Eierstöcken<br />

ist immer ein erheblicher Eingriff<br />

und keinesfalls eine Lappalie, wie manche<br />

Mitmenschen meinen.“ Allerdings gebe es<br />

eine etho-soziologische Indikation: wenn das<br />

geschlechtsspezifische Verhalten des Sozialpartners<br />

Hund etwa für ältere oder versehrte<br />

Menschen nicht kontrollierbar ist.<br />

Medizinische Indikationen wie Erkrankungen<br />

der Geschlechtsorgane: Bei jungen Hunden<br />

ist ein anfänglicher starker Trieb oftmals<br />

normal, im Alter von 3 bis 4 Jahren werden<br />

sie aber meistens deutlich ruhiger. Bei auffallend<br />

starkem Sexualtrieb gibt eine Hormonbestimmung<br />

im Blut Aufschluss, ob eine<br />

Hypersexualität vorliegt. Das wäre eine medizinische<br />

Indikation für eine Kastration,<br />

denn dann leidet der Hund selbst darunter,<br />

nicht nur das Nervenkostüm des Besitzers.<br />

Weitere medizinische Indikationen sind<br />

andere Erkrankungen der Geschlechtsorgane<br />

wie etwa Gebärmuttervereiterungen oder<br />

tumoröse Entartungen. Im Zyklus der Hormone<br />

verändern sich die Gewebe von Gebärmutter<br />

und Milchdrüsen regelmäßig.<br />

Dadurch können gut- oder bösartige Ent-<br />

artungen begünstigt werden, so dass nach<br />

Entfernung eines bereits entwickelten Tumors<br />

oftmals zu einer Kastration geraten wird.<br />

Vorbeugung von Erkrankungen der<br />

Geschlechtsorgane: Prophylaktische Kastrationen<br />

zur Vermeidung solcher Erkrankungen<br />

sind zwar weit verbreitet, hinsichtlich<br />

des tatsächlichen Erkrankungsrisikos kursieren<br />

aber sehr verschiedene Angaben. Laut<br />

Professor Bostedt gibt es beispielsweise keine<br />

verlässliche bundesweite Untersuchung über<br />

das Verhältnis zwischen unkastrierten, an<br />

Mammatumoren erkrankten Tieren und bis<br />

ins hohe Alter gesund gebliebenen Tieren.<br />

Das absolute Erkrankungsrisiko lässt sich<br />

demnach kaum beziffern, wie schon die kursierenden<br />

Schätzungen von 2 bis zu 50 Prozent<br />

verraten. Nichtsdestotrotz fällt auf, dass<br />

insbesondere früh kastrierte Tiere erheblich<br />

seltener mit Gesäugetumoren in Tierarztpraxen<br />

registriert werden. Anerkannten Studien<br />

zufolge sinkt das relative Risiko eines<br />

Gesäugetumors bei Kastration vor der ersten<br />

Läufigkeit auf unter 1 Prozent, nach der ersten<br />

Läufigkeit liegt es noch bei 8 Prozent. Ab<br />

einem Alter von ungefähr 2,5 Jahren entfällt<br />

allerdings dieser Vorteil.<br />

Beeinflussung von Verhaltensproblemen:<br />

Insbesondere bei Rüden versprechen sich<br />

viele Besitzer eine Verbesserung von Verhaltensproblemen<br />

wie Aggressivität oder Hyperaktivität.<br />

Zum Beispiel kann das so genannte<br />

Dominanzverhalten von Hunden,<br />

das gern als Grund angeführt wird, oftmals<br />

durch konsequentere Erziehung eher be-<br />

einflusst werden als durch eine Kastration.<br />

Verhaltensweisen wie Aufreiten, Markieren,<br />

Streunen und Aggressionen gegenüber Geschlechtsgenossen<br />

sind beim Rüden zwar<br />

eindeutig testosteronabhängig, werden aber<br />

schon vor der Geburt angelegt. Daher bringt<br />

eine Kastration zur Reduzierung dieser<br />

PLUS<br />

FRÜHREIF UNREIF: JUNGE<br />

HUNDE ZU KASTRIEREN, FÄLLT<br />

VIELEN BESITZERN SCHWER<br />

Soll früh in die körperliche und psychische<br />

Entwicklung der Tiere eingegriffen werden?<br />

Die Diskussion um die Frühkastration<br />

TIERSCHUTZ UND VORSORGE<br />

Die Kastration vor Eintritt der Geschlechtsreife<br />

wurde in den USA zur Eindämmung der<br />

streunenden Hundepopulation eingeführt.<br />

Dort werden solche Routineeingriffe vollzogen,<br />

sobald man der Hunde habhaft wird, also<br />

oft schon im Welpenalter. Hierzulande wird<br />

die Kastration vor der ersten Läufigkeit, also<br />

vor dem 6. Lebensmonat, propagiert.<br />

VORTEILE DER KASTRATION<br />

Der operative Eingriff ist erheblich kleiner,<br />

da die Organe des jungen Hundes noch nicht<br />

vollständig entwickelt sind. Bei Hündinnen<br />

wird oft die Gebärmutter im Körper belassen,<br />

dadurch wird der Schnitt kleiner, die Operation<br />

kann schneller durchgeführt gehen.<br />

Das Risiko, an Gesäugetumoren zu erkranken,<br />

ist für die früh kastrierte Hündin niedriger.<br />

Es wird, verglichen mit dem Risiko unkastrierter<br />

Hunde, mit unter ein Prozent angegeben.<br />

NACHTEILE DER KASTRATION<br />

Nach Frühkastrationen können Harninkontinenz,<br />

Fellveränderungen, Gewichtszunahme<br />

und Verhaltensänderungen auftreten.<br />

Wachstumsstörungen zählen ebenso zu den<br />

Risiken einer Kastration im Welpenalter: Wenn<br />

eine Hündin vor der ersten Läufigkeit kas-<br />

triert wird, wachsen die äußeren Geschlechtsorgane<br />

nicht zu ihrer normalen Größe heran.<br />

Zusätzliche Fetteinlagerungen können den<br />

Abfluss von Vaginalsekreten und Urin erschweren,<br />

wodurch in Abhängigkeit von den<br />

anatomischen Verhältnissen chronische Entzündungen<br />

begünstigt werden.<br />

Die Entwicklung der langen Röhrenknochen<br />

der Beine wird durch eine frühe Kastration<br />

beeinflusst: Die Epiphysenfugen, die Wachstumszonen<br />

der Knochen, schließen sich ca.<br />

drei Monate später, die Beine werden etwas<br />

länger. Ob dies zu gesundheitlichen Problemen<br />

führen kann, ist noch nicht geklärt.


[116] GESUNDHEIT<br />

GESCHLECHTSORGAN DER HÜNDIN<br />

4<br />

1<br />

GESCHLECHTSORGAN DES RÜDEN<br />

1<br />

2<br />

5<br />

Verhaltensweisen nur bei etwa 60 Prozent<br />

spür bar Erfolg. Vielen erscheint dies als gute<br />

Aussicht, automatisch leichter erziehbar werden<br />

Rüden durch die Kastration aber nicht.<br />

Verhaltenssteuerung beim Halten mehrerer<br />

Tiere: Sabine Pferdekamp aus Essen hat sich<br />

zur Kastration ihrer Magyar-Vizsla-Hündin<br />

aus anderen Gründen entschieden: „Da ich<br />

auch noch einen Rüden habe, wurde es zu<br />

Hause unerträglich, wenn die Hündin läufi g<br />

war.“ Die Hundehalterin fürchtete, ihr Hund<br />

Gordon könnte vielleicht von anderen unkastrierten<br />

Rüden „nicht ganz für voll genommen“<br />

werden. Aus diesem Grund hat sie<br />

lieber Hündin Grace kastrieren lassen.<br />

2<br />

12<br />

3<br />

9<br />

11<br />

6<br />

10<br />

8<br />

3<br />

4<br />

9<br />

7<br />

7<br />

6<br />

8<br />

5<br />

Bei einer Kastration der<br />

Hündin werden die Eierstöcke<br />

ober- und unterhalb abgebunden.<br />

Wird die Gebärmutter<br />

mitentfernt, erfolgt<br />

eine weitere Abbindung auf<br />

Höhe des Muttermundes und<br />

die Entfernung des Organs.<br />

Bei der Kastration des<br />

Rüden werden die Hoden nacheinander<br />

in der Regel durch einen<br />

Hautschnitt<br />

direkt vor dem Hodensack abgebunden<br />

und entfernt.<br />

Wenn Hündin und Rüde in einem Haushalt<br />

leben, ist die Kastration eines Tieres zur Vermeidung<br />

von Nachwuchs in der Regel die<br />

sichers te und praktikabelste Lösung. Das<br />

Gleiche gilt für Tierheime. Medikamentöse<br />

Verhütung wird aufgrund der Nebenwirkungen<br />

allenfalls kurzfristig empfohlen, zum<br />

Beispiel für Tiere, die bei Züchtern leben.<br />

MÖGLICHE FOLGEN<br />

EINER KASTRATION<br />

Die mit einer Operation einhergehenden<br />

gesundheitlichen Nachteile wiegen nach Professor<br />

Bostedts klinischen Erfahrungen die<br />

Vorteile teilweise auf: „Die Vorsorge gegen<br />

Gesäugekrebs mag ein Grund für die Kastra-<br />

[1] linke Niere<br />

[2] Harnleiter<br />

[3] Darmbeinschaufel<br />

(Teil des Beckens)<br />

[4] letzte Rippe<br />

[5] Eierstock<br />

[6] Vagina<br />

[7] Vulva<br />

[8] Blase<br />

[9] linkes Uterushorn<br />

[1] letzte und vorletzte Rippe<br />

[2] linke Niere<br />

[3] Harnleiter<br />

[4] Prostata<br />

[5] Harnröhre<br />

[6] Blase<br />

[7] linker Samenleiter<br />

[8] linker Hoden<br />

[9] Hodensack<br />

[10] Penisknochen<br />

[11] Peniskörper mit<br />

Schwellkörper<br />

[12] Vorhaut<br />

tion sein. Aber dafür können beispielsweise<br />

Probleme mit Harninkontinenz und bei<br />

Frühkastrationen sogar krankheitsfördernde<br />

Veränderungen an den äußeren Geschlechtsorganen<br />

entstehen.“ Die Wahrscheinlichkeit,<br />

mit der solche Probleme auftreten, hängt von<br />

verschiedenen Faktoren ab, der Zusammenhang<br />

mit der Kastration ist aber eindeutig.<br />

Operationsfolge Harninkontinenz: Zwischen<br />

10 und 20 Prozent der kastrierten Hündinnen<br />

werden inkontinent, 75 Prozent davon<br />

innerhalb der ersten drei Jahre nach der Kastration.<br />

Eine große Rolle spielen dabei die<br />

Rasse und das Körpergewicht: Beim Boxer,<br />

Dobermann, Riesenschnauzer, Rottweiler,<br />

ILLUSTRATION: K AT H A R I N A B OT T E N B E R G , AU S „ K A S T R AT I O N B E I M H U N D “ VO N D R . G A B R I E L E N I E P E L / KO S M O S V E R L AG<br />

Bobtail und Irish Setter ist das Risiko größer.<br />

Generell gelten Hunde über 20 Kilogramm<br />

Körpergewicht als stärker gefährdet. Die<br />

Harninkontinenz ist zwar medikamentös<br />

gut zu behandeln, erfordert aber lebenslange<br />

Arzneimittelgabe. Alternativ sind auch chirurgische<br />

Therapiemaßnahmen möglich.<br />

Gewichtszunahme: Auch die äußere Erscheinung<br />

des Hundes kann sich durch die<br />

Kastration ändern. „Wenn der Sexualtrieb<br />

wegfällt, kommt der Fresstrieb durch“, lautet<br />

eine alte Binsenweisheit. Kastrierte Tiere<br />

haben meistens einen ungezügelten Appetit<br />

und sollten nur kontrolliert gefüttert werden.<br />

Die oft beschworene Veränderung des<br />

Stoffwechsels als Gegenargument zu angeblich<br />

sinn losen Diäten konnte bislang wissenschaftlich<br />

noch nicht belegt werden. Vielmehr<br />

zeigen experimentelle Studien, dass<br />

die Gewichts zunahme nur bei Tieren auftritt,<br />

deren Aktivität nach der Kastration deutlich<br />

zurückgeht. Bewegung und richtige Ernährung<br />

bleiben eben auch weiterhin alles.<br />

Fellveränderungen: Bei langhaarigen Rassen<br />

wie zum Beispiel Irish Setter oder Cockerspaniel<br />

können Fellveränderungen auftreten.<br />

Durch die stärker wachsende Unterwolle<br />

wird das so genannte Babyfell sehr weich und<br />

zottelig. Das Risiko für langhaarige Hunde<br />

liegt bei rund 30 Prozent, die Fellveränderungen<br />

können nur durch regelmäßiges Trimmen<br />

teilweise korrigiert werden.<br />

Verhaltensänderungen: Das Sozialverhalten<br />

der Hunde wird vom Geschlecht stark beeinfl<br />

usst, wie Catrin Lemke aus Gevelsberg,<br />

Halterin zweier kastrierter Hündinnen,<br />

berichtet: „Meine Golden-Retriever-Hündin<br />

Kira wurde mit acht Jahren wegen eines<br />

Gesäugetumors und ständiger Scheinträchtigkeit<br />

kastriert. Von dem Moment an versuchte<br />

die kleinere und jüngere Misch lingshündin<br />

Lena, in der Rangordnung aufzusteigen,<br />

was unsere Kira nicht zulassen wollte.<br />

Sie hat sich ständig zur Wehr gesetzt. Um<br />

den Streitigkeiten ein Ende zu setzen, haben<br />

wir Lena auch kastrieren lassen, danach war<br />

die Rangordnung wieder klar.“<br />

Allerdings: Rangordnungsprobleme zwischen<br />

Hund und Mensch beruhen in der Regel<br />

auf Erziehungsfehlern und sollten unbedingt<br />

von einem erfahrenen Hundetrainer beurteilt<br />

werden. Wenn der Mensch die Hundesprache<br />

nicht beherrscht, wird sich durch<br />

eine Kastration nicht viel ändern.<br />

Bei beiden Geschlechtern des Hundes<br />

können individuell verschieden ausgeprägte<br />

und nicht vorhersehbare Verhaltensänderungen<br />

auftreten wie zum Beispiel verminderte<br />

Aktivität oder bei Frühkastration auch<br />

lebenslänglich stark ausgeprägter Spieltrieb.<br />

Bei Hündinnen kann es nach einer Kastration<br />

sogar zu einer Steigerung aggressiven<br />

Verhaltens kommen.<br />

Narkoserisiko und Komplikationen bei<br />

oder nach der Operation: Eine Kastration<br />

gehört zwar in den meisten Tierarztpraxen<br />

zu den Routineeingriffen. Doch selbst bei<br />

regelgerechten und technisch bestens unterstützten<br />

Operationen kann ein gewisses<br />

Restrisiko für Narkosezwischenfälle oder<br />

Komplikationen bei oder nach dem Eingriff<br />

niemals ganz ausgeschlossen werden. Noch<br />

bei gesunden, jungen Hündinnen, höchsten<br />

technischen Standards und erfahrenen Operateuren<br />

kommt es Erhebungen zufolge in<br />

zwei bis acht Prozent aller Eingriffe zu Komplikationen.<br />

Zu diesen zählen Blutungen,<br />

abgebundene Harnleiter oder Verklebungen<br />

im Bauchraum sowie Entzündungen der<br />

Hautnaht und klaffende Wund ränder, etwa<br />

durch intensives Belecken der Wunde.<br />

UND WER ENTSCHEIDET?<br />

Die möglichen Effekte und Nebenwirkungen<br />

von Kastrationen an Hunden beider<br />

Geschlechter sind zwar heutzutage besser bekannt<br />

als noch vor zwanzig Jahren, bieten<br />

aber immer noch ein breites Forschungsfeld<br />

für weitere Aufklärung. Es gibt keine allgemeingültige<br />

Empfehlung, in vielen Fällen<br />

sprechen gute Gründe für, aber oftmals eben<br />

auch gegen eine Kastration. Dieser Eingriff<br />

sollte stets individuell mit dem Tierarzt<br />

diskutiert und entschieden werden. Immer<br />

unter Berücksichtigung der Rasse, des Alters<br />

und der äußeren Umstände des Hundes.<br />

adresse seite 130<br />

PLUS<br />

ZWEIDEUTIG EINDEUTIG:<br />

WIE DIE KASTRATION UNTER<br />

JURISTEN BEWERTET WIRD<br />

Die Gegner der Kastration, darunter auch<br />

Tierärzte, reklamieren, sie sei nach dem<br />

Tierschutzgesetz verboten. Was ist rechtens?<br />

EIN GERICHTSURTEIL<br />

Tierärzte eines Veterinäramtes in Nordrhein-<br />

Westfalen hatten einen Bußgeldbescheid gegen<br />

einen niedergelassenen Tierarzt wegen unerlaubter<br />

Kastrationen erlassen. In einem Urteil<br />

des Amtsgerichts Mönchengladbach vom<br />

11. 8. 1999 wurde der Veterinär vom Vorwurf<br />

des zweifachen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz<br />

freigesprochen.<br />

DIE RECHTSLAGE<br />

Michael Panek, Rechtsreferent des Bundesverbandes<br />

praktizierender Tierärzte: „Dieses<br />

Urteil bestätigt die rechtliche Situation. Zwar<br />

sind laut § 6, Abs.1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes<br />

das vollständige oder teilweise Amputieren<br />

von Körperteilen oder das vollständige oder<br />

teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen<br />

oder Geweben eines Wirbeltieres verboten.<br />

Das Gesetz defi niert allerdings darüber hinaus<br />

eine Reihe von Ausnahmen.“<br />

WICHTIGE AUSNAHMEN IM GESETZ<br />

Zu den Rechtsausnahmen des Tierschutzgesetzes<br />

zählt die Verhinderung der unkontrollierten<br />

Fortpfl anzung oder, soweit tierärztliche<br />

Bedenken nicht entgegenstehen, die weitere<br />

Nutzung oder Haltung des Tieres.<br />

„TIERÄRZTLICHE BEDENKEN“<br />

Der Passus „soweit tierärztliche Bedenken<br />

nicht entgegenstehen“, ist ein Streitpunkt. „Er<br />

bezieht sich auf medizinische Aspekte“, so<br />

Michael Panek: „Der Tierarzt hat eine gewissenhafte,<br />

an den Regeln der veterinärmedizinischen<br />

Wissenschaft orientierte Prüfung des<br />

Gesundheitszustands des Tieres vorzunehmen,<br />

ob ein Eingriff gesundheitliche Gefahren oder<br />

Risiken in sich birgt. Ist das nicht der Fall,<br />

darf eine Kastration durchgeführt werden.“<br />

„WEITERE NUTZUNG UND HALTUNG“<br />

Dieser Passus legt die Entscheidung über eine<br />

Kastration ins Ermessen des Hundehalters,<br />

nicht in das des Tierarztes, so der Jurist Panek.

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