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Risikomanagement - kma medien

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Schriftenreihe: Gesundheitswirtschaft<br />

Krankenhaus-Management,<br />

Medizinrecht, Gesundheitsökonomie<br />

Herausgeber Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

BAND 2<br />

Wilfried von Eiff (Hrsg.)<br />

<strong>Risikomanagement</strong><br />

Kosten-/Nutzen-basierte<br />

Entscheidungen im Krankenhaus<br />

2., erweiterte Aufl age<br />

<strong>kma</strong> Reader<br />

WIKOM - Verlag


2., erweiterte Aufl age<br />

<strong>kma</strong> Reader<br />

WIKOM - Verlag<br />

Schriftenreihe: Gesundheitswirtschaft<br />

Krankenhaus-Management,<br />

Medizinrecht, Gesundheitsökonomie<br />

Herausgeber Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

BAND 2<br />

Wilfried von Eiff (Hrsg.)<br />

<strong>Risikomanagement</strong><br />

Kosten-/Nutzen-basierte<br />

Entscheidungen im Krankenhaus


Schriftenreihe: Gesundheitswirtschaft<br />

Herausgeber der Buchreihe: Wilfried von Eiff<br />

Verlag: WIKOM GmbH, Karlhäuser 6, 94110 Wegscheid<br />

Band 2: <strong>Risikomanagement</strong><br />

Kosten-/Nutzen-basierte Entscheidungen im Krankenhaus<br />

Herausgeber: Wilfried von Eiff<br />

1. Auflage: Februar 2006<br />

2., erweiterte Auflage: August 2007<br />

Die Deutsche Bibliothek<br />

ISBN 978-3-9811053-4-6<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© 2007 by WIKOM GmbH, Wegscheid<br />

Das Werk einließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede<br />

Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />

ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt<br />

insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen<br />

und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Printed in Germany<br />

Druck: Bosch Druck GmbH, Landshut<br />

2


Schriftenreihe: Gesundheitswirtschaft<br />

Krankenhaus-Management, Medizinrecht,<br />

Gesundheitsökonomie<br />

Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Münster<br />

Band 1<br />

Wilfried von Eiff/Ansgar Klemann (Hrsg.)<br />

Unternehmensverbindungen<br />

Strategisches Management von Kooperationen, Allianzen und Fusionen im<br />

Gesundheitswesen<br />

1. Auflage August 2005<br />

2. Auflage November 2005 • 576 Seiten • Euro 27,- • ISBN 3-9808398-7-7<br />

Band 2<br />

Wilfried von Eiff (Hrsg.)<br />

<strong>Risikomanagement</strong><br />

Kosten-/Nutzen-basierte Entscheidungen im Krankenhaus<br />

1. Auflage Februar 2006<br />

2. Auflage August 2007 • 672 Seiten • Euro 37,- • ISBN 978-3-9811053-4-6<br />

Band 3<br />

Bernd Högemann<br />

Due Diligence<br />

Prüfung und Unternehmensbewertung von Akutkrankenhäusern<br />

1. Auflage Juni 2006<br />

416 Seiten • Euro 37,- • ISBN 3-9808398-9-3<br />

Band 4<br />

Wilfried von Eiff/Kerstin Stachel<br />

Professionelles Personalmanagement<br />

Erkenntnisse und Best-Practice-Empfehlungen für Führungskräfte<br />

im Gesundheitswesen<br />

1. Auflage August 2006<br />

480 Seiten • Euro 35,- • ISBN 3-9811053-0-3<br />

Band 5<br />

Ansgar Klemann<br />

Management sektorübergreifender Kooperationen<br />

Implikationen und Gestaltungsempfehlungen für erfolgreiche Kooperationen an<br />

der Schnittstelle von Akutversorgung und medizinischer Rehabilitation<br />

1. Auflage 2007<br />

416 Seiten • Euro 37,- • ISBN 978-3-9811053-3-9<br />

4


Danksagung zur ersten Auflage<br />

Der vorliegende Sammelband steht thematisch in engem Zusammenhang mit<br />

der JuWiMed-Veranstaltung „Medizin, Ökonomie und Recht“, die als fakultätsübergreifende<br />

Vorlesungsreihe erstmals im SS 2005 von den Fakultäten Medizin,<br />

Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften der Westfälische Wilhelms-<br />

Universität organisiert wurde und jetzt aufgrund des nachhaltigen Interesses von<br />

Krankenhaus-Praktikern und Studierenden jährlich stattfindet. Meinen Kollegen<br />

Prof. Dr. med. Jürgens (Dekan des Fachbereichs Humanmedizin), Prof. Dr. med.<br />

Dr. Kox (Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Münster) und Prof. Dr. jur.<br />

Steinmeyer (Rechtswissenschaftliche Fakultät) danke ich für die Bereitschaft, als<br />

Schirmherren und Co-Organisatoren zu fungieren.<br />

Ich danke allen Autoren für ihr Engagement; die meisten von Ihnen waren auch als<br />

Referenten auf der JuWiMed-Veranstaltung der Universität Münster im Sommersemester<br />

2005 vertreten. Für die Koordination der Veranstaltung danke ich Herrn<br />

Dipl.-Kfm. Alexander Prangenberg und Dipl.-Kffr. Nora Meyer.<br />

Zu danken ist auch Frau Simone Klasvogt und Frau Britta Werning für die technische<br />

Hilfe bei der Erstellung von Manuskripten und Grafiken sowie für unermüdliche<br />

Korrekturen. Herrn Frank Zafra Garcia danke ich für die sorgfältige Durchführung<br />

der unangenehmen Formatierungsarbeiten.<br />

Meine wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Conrad Middendorf und Dipl.-Kfm.<br />

Ansgar Klemann haben mit großem Engagement die Koordination der Autoren<br />

sichergestellt, Teile der Redaktionsarbeit besorgt und die Abstimmungsprozesse mit<br />

Lektorat und Druckerei überwacht; dafür gebührt ihnen mein besonderer Dank.<br />

Münster, im März 2006 Wilfried von Eiff<br />

5


I INHALT<br />

I. Inhaltsverzeichnis<br />

Danksagung.......................................................................................5<br />

II. Vorwort<br />

Vorwort zur zweiten Auflage................................................13<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

6<br />

Vorwort zur ersten Auflage:<br />

Kein Vorwort des Herausgebers,<br />

das Problem spricht für sich:<br />

99 % Sicherheit reichen nicht aus .........................................18<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

1. Grundlagen des <strong>Risikomanagement</strong>s im<br />

Krankenhaus.....................................................................46<br />

1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern ...............47<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff, Dr. Conrad Middendorf<br />

1.2 Aufgaben, Inhalte und Ansatzpunkte des<br />

<strong>Risikomanagement</strong>s..............................................................60<br />

Dr. Conrad Middendorf<br />

1.3 Grundlagen der zivilrechtlichen Haftung des<br />

Arztes und des Krankenhausträgers .....................................84<br />

Prof. Dr. Karl Otto Bergmann<br />

1.4 Risk Management als ein Teil der Krankenhausorganisation<br />

........................................................................106<br />

Michaela von Heusinger, Prof. Dr. Christof Schenkel-Häger<br />

1.5 The UK Experience: the National Patient Safety<br />

Agency................................................................................129<br />

Dagmar Luettel, Dr. Sarah Scobie, Prof. Richard Thomson


2. Versicherungsnotwendigkeit und<br />

-fähigkeit von Krankenhäusern..................................144<br />

2.1 Versicherungsfähigkeit von Krankenhäusern –<br />

Möglichkeiten und Grenzen von<br />

Haftpflichtversicherungslösungen ......................................145<br />

Manfred Klocke<br />

2.2 Risikoanalyse im Krankenhausmarkt aus Sicht<br />

von Finanzinstituten: Möglichkeiten eines<br />

branchenspezifischen Ratings.............................................162<br />

Silke Kühnle, Dietmar Stephan<br />

3. Betriebswirtschaftliche,<br />

organisatorische und kulturelle<br />

Aspekte des <strong>Risikomanagement</strong>s.............................172<br />

3.1 Das verborgene Krankenhaus:<br />

Unterschätzte Risiken gefährden Patienten........................173<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

3.2 <strong>Risikomanagement</strong> und geplante<br />

Behandlungspfade...............................................................200<br />

Peter Gausmann<br />

3.3 Risikoidentifikation und Risikobewertung im<br />

Rahmen des klinischen <strong>Risikomanagement</strong>s .....................214<br />

Dr. Conrad Middendorf<br />

3.4 Risk Management, Fehlerkultur und<br />

Patientensicherheit..............................................................258<br />

Dr. Ralph Wiedensohler<br />

3.5 Fehlerkultur im Krankenhaus – Ein Status quo<br />

des Umgangs mit Fehlern und mögliche Einflussfaktoren<br />

auf die Fehlerkultur am Beispiel einer<br />

Klinikabteilung ...................................................................271<br />

Michael Brügge<br />

3.6 Der Einfluss der DRGs auf Haftungsfragen –<br />

Eine prospektive Analyse ...................................................308<br />

Dr. Martin Alberts<br />

INHALT I<br />

7


I INHALT<br />

3.7 Umsetzung des Risk Management im<br />

klinischen Alltag.................................................................316<br />

Michaela von Heusinger, Prof. Dr. Christof Schenkel-Häger<br />

4. Schadens- und Krisenmanagement .........................344<br />

4.1 Erfolgreiches Schadens-Management ................................345<br />

Dr. Hermann Fenger<br />

4.2 Irrtum in der Bildgebung – Womit wir leben<br />

müssen und was wir optimieren sollten .............................367<br />

Prof. Dr. Jörg W. Oestmann, Christian von Dewitz<br />

4.3 Krisenkommunikation im Krankenhaus.............................387<br />

Dirk Popp<br />

4.4 Learning from Disaster: The „Baby-Switch“-case<br />

in Virginia ...........................................................................411<br />

Prof. Thomas Massaro<br />

4.5 Umfassende Öffentlichkeitsarbeit zur Vorbeugung<br />

von Sensationsberichterstattung in Krisensituationen<br />

– Am Beispiel des Universitätsklinikums Dresden ..................413<br />

Holger Ostermeyer<br />

5. Schwerpunkt: Anwendung von<br />

Medizinprodukten ..........................................................416<br />

5.1 Beschaffungsmanagement: Vom Preisvergleich<br />

zum Risk Management.......................................................417<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

5.2 Sicherheit Sterilgutversorgung – Was die<br />

Behörden von den Krankenhäusern verlangen...................441<br />

Dr. Arno Terhechte<br />

5.3 Die Wiederverwendung von Einweg-Medizinprodukten<br />

in rechtlicher Sicht ............................................458<br />

Prof. Dr. Jürgen Helle<br />

5.4 Wie lange kann sich das Gesundheitswesen noch<br />

unzureichende Qualität leisten?..........................................469<br />

Prof. Dr. Hans-Peter Werner<br />

8


5.5 OP-Abdeckungen und OP-Bekleidungssysteme:<br />

Eindämmung klinischer Risiken im OP durch die<br />

EN 13795............................................................................474<br />

Wilfried von Eiff, Nora Meyer, Sven Schöppe<br />

5.6 Wiederverwendung von Medizinprodukten .......................499<br />

Kerstin Klosz mit einem Vorwort des Fachanwaltes für<br />

Medizinrecht Dr. Christian Jäkel<br />

6. Schwerpunkt: Arzneimittelschäden im<br />

Krankenhaus.................................................................. 532<br />

6.1 Krankenhaushaftung für Arzneimittelschäden ...................533<br />

Claus Burgardt<br />

6.2 Elektronische Versorgungsschränke:<br />

Sicherheit und Wirtschaftlichkeit in der<br />

Medikamentenversorgung...................................................555<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff<br />

7. Schwerpunkt: Patientenstürze ...................................570<br />

7.1 Der Sturz eines Patienten – <strong>Risikomanagement</strong><br />

gegen Patientenstürze .........................................................571<br />

Iris-Carolin Karthaus<br />

8. Konzepte und Managementansätze .........................596<br />

8.1 Radio Frequency Identification –<br />

Instrument des klinischen <strong>Risikomanagement</strong>s .................597<br />

Wilfried von Eiff, Andreas Hagen, Alexander Prangenberg<br />

8.2 Six Sigma und <strong>Risikomanagement</strong>:<br />

Patientenorientierte Prozessverbesserung und<br />

Kostensenkung....................................................................615<br />

Maximilian C. von Eiff<br />

8.3 Patientenschutz durch IT-basierte Wissens- und<br />

Kompetenzmanagementlösungen im Krankenhaus<br />

und der sektorübergreifenden Versorgung .................641<br />

Sascha Saßen, Michael Franz<br />

III. Autorenverzeichnis .......................................................656<br />

INHALT I<br />

9


Karriereperspektiven in der Gesundheitswirtschaft<br />

Internationaler MBA-Studiengang der Universität<br />

Münster qualifiziert für den „War for Talent“<br />

Der bewährte berufsbegleitende Studiengang unter wissenschaftlicher<br />

Leitung von Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff schließt nach 24<br />

Monaten (wahlweise 36 Monate) mit einem international anerkannten<br />

Universitätsabschluss (MBA) der Universität Münster ab und<br />

befähigt insbesondere Ärzte, Pflegekräfte, Juristen, Ingenieure und<br />

Ökonomen zur Übernahme von Führungsfunktionen in Krankenhäusern,<br />

bei Krankenkassen und in der Medizinindustrie. Besonderer<br />

Wert wird auf die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen gelegt:<br />

Kommunikation, interkulturelles Management und Sozialkompetenz.<br />

Herauszuheben sind auch das „Meet-the-CEO-Programm“<br />

sowie die Site-Visits internationaler Best-in-Class-Hospitäler (u.a. in<br />

den USA, Singapur, Japan, Großbritannien), die einen Einblick in<br />

internationale Best Practices vermitteln und einmalige Kontakte und<br />

Netzwerkmöglichkeiten ermöglichen. Darüber hinaus beinhaltet der<br />

Studiengang den Erwerb verschiedener Zusatzzertifikate, z. B. in den<br />

Bereichen Six Sigma und Qualitätsmanagement.<br />

Der Studiengang ist im Rahmen der „Zertifizierung der ärztlichen<br />

Fortbildung „der Ärztekammer Westfalen-Lippe mit insgesamt 612<br />

Punkten (Kategorie H) anrechenbar.<br />

Stipendien stehen im Einzelfall bis zu einer Höhe von 6.000,- Euro<br />

pro Person zur Verfügung. Die Förderungsmöglichkeiten werden<br />

jeweils anhand eines begründeten Antrags individuell geprüft.<br />

Weitere Informationen erhalten Sie bei:<br />

Westfälische Wilhelms-Universität Münster<br />

Centrum für Krankenhaus-Management (CKM)<br />

Röntgenstr. 9, 48149 Münster<br />

Tel.: +49 251/83-31440<br />

Fax: +49 251/83-31446<br />

Internet: www.krankenhaus-management.de<br />

e-mail: ckm@wiwi.uni-muenster.de<br />

11


II Vorwort<br />

„We have good people in bad systems, and good people in bad systems<br />

will fail.“<br />

Don Berwick


Vorwort zur zweiten Auflage<br />

Vorwort<br />

99 % Sicherheit sind nicht genug, insbesondere nicht in Branchen, in denen kleinste<br />

Fehler gewaltige Katastrophen auslösen können: z. B. in der Luft- und Raumfahrt,<br />

beim Betrieb von Kernkraftwerken sowie rund um die Leistungsprozess des Medizinbetriebs<br />

in Arztpraxen, Medizinischen Versorgungszentren, Krankenhäusern und<br />

Rehabilitationskliniken.<br />

Aktives <strong>Risikomanagement</strong> gewinnt im deutschen Gesundheitswesen an Bedeutung,<br />

was auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist:<br />

• Eingetretene Risiken, also Schadensereignisse mit Patientenbetroffenheit, erhöhen<br />

die Kosten (Liegezeitverlängerung, Reoperation, Medikamentenverbrauch),<br />

ziehen gegebenenfalls Klageverfahren nach sich und führen zu nachteiliger<br />

Berichterstattung in den Medien.<br />

• Eingetretene Risiken schädigen den Ruf dieses Krankenhauses und schrecken<br />

potentielle Patienten davon ab, im Bedarfsfall um Behandlung nachzusuchen.<br />

• Eingetretene Risiken sind zu 70 % auf instabile, nicht beherrschte Arbeits-, Informations-<br />

und Entscheidungsprozesse zurückzuführen ( Phänomen der Variation).<br />

Eine Reihe von Ursachen sind für instabile Prozesse verantwortlich:<br />

• Der zunehmende Kostendruck zwingt die Krankenhäuser zur Mobilisierung von<br />

Rationalisierungsreserven. Wenn in dieser Situation die Qualität des medizinischen<br />

Leistungsangebots von der Strategie der einseitigen Kostensenkung determiniert<br />

wird, kommt es zu Rationierung in der Medizin.<br />

• Die medizinischen Leistungsprozesse sind dysfunktional organisiert. Nicht der<br />

Patient mit seinen Erwartungen und Ängsten ist Orientierungspunkt (Voice of the<br />

Customer) der Prozessgestaltung, sondern der Patient muss sich dem Medizinbetrieb<br />

anpassen:<br />

Das Krankenhaus bietet „Unterbringung“, der Patient erwartet „Privatsphäre“.<br />

Das Krankenhaus bietet „Diagnose- und Therapieleistungen“, der Patient erwartet<br />

„Heilung, Linderung sowie angst- und schmerzfreie Prozeduren“.<br />

Die Sprache des Krankenhauses entspricht nicht der Sprache des Patienten, weil<br />

das Krankenhaus Produktbestandteile offeriert, während der Patient Produkteigenschaften<br />

nachfragt, die sein Outcome positiv beeinflussen: Voice-of-the-Customer<br />

and Voice-of-the-Process fallen auseinander.<br />

13<br />

II


II Vorwort<br />

• Die Unternehmenskultur, also die Art, in der mit Fehlern von Mitarbeitern, konfliktären<br />

Meinungen und Verbesserungsvorschlägen umgegangen wird, ist immer<br />

auch ein Gradmesser des Risikoniveaus eines Krankenhauses. Die Bereitschaft,<br />

Risiken zu Lasten des Patienten in Kauf zu nehmen, die Gleichgültigkeit, offensichtlich<br />

ineffiziente Arbeitsprozesse nicht zu ändern, ist auf die Einstellung der<br />

Mitarbeiter zum Risiko zurückzuführen.<br />

Diese Einstellung resultiert aus organisatorischen Rahmenbedingungen einerseits<br />

(= Strukturen prägen Kulturen); andererseits ist es die Führung, die einen Risikoüberoptimismus<br />

(= Wir beherrschen jedes Risiko!) vorlebt.<br />

Analysen industrieller Prozesse zeigen den Zusammenhang zwischen Arbeitsorganisation,<br />

Komplexität der Tätigkeit und Zeitdruck einerseits sowie der Fehlerquote<br />

andererseits:<br />

- Einfache, repetitive Tätigkeiten weisen eine durchschnittliche Fehlerquote von<br />

0,3 % auf;<br />

- Komplexe Tätigkeiten (Analysen, Konzeptentwicklung, Entscheidungen unter<br />

Unsicherheit) sind mit einer Fehlerquote von 10 % behaftet;<br />

- Stress durch unvorhergesehene Ereignisse und Zeitdruck steigern die Fehlerquote<br />

auf 25 %.<br />

14<br />

In Deutschland werden 17 Mio. Patienten jedes Jahr behandelt. Bei einer Fehlerquote<br />

von 2 % entspricht dies 340.000 vermeidbaren Fehlern jährlich.<br />

Überoptimismus in Kombination mit einer Ethik der Selbstverpflichtung zur<br />

jederzeitigen Hilfeleistung ist eine weitere typische Quelle für Fehler im Medizinbetrieb:<br />

- Auf die Anfrage: „Sind Sie trotz Übermüdung in der Lage, fehlerfrei und präzise<br />

zu arbeiten?“, antworteten mit „Ja“<br />

· 25 % der befragten Piloten und<br />

· 70 % der befragten Chirurgen.<br />

- Die Patient Safety Agency (London) bezeichnet die „Helping Hand Philosophy“<br />

der Ärzte als „Sicherheitsproblem in sich“. Die meisten Fehler (insbesondere<br />

schwerwiegender Art) werden gemacht, weil Menschen helfen wollen.<br />

Der Arzt, der bereits 30 Patienten behandelt hat, behandelt den 31. Patienten<br />

aus Übermüdung fehlerhaft.<br />

• Der Zwang zur Vermeidung von Risiken (bzw. zur Steigerung der medizinischen<br />

Qualität) und die Notwendigkeit zur Kostensenkung führen in eine Dilemma-<br />

Situation, aus der es keinen „optimalen Ausweg“ gibt (siehe Abb. 1).


Vorwort<br />

Abb. 1: Es gibt kein Entscheidungsoptimum, sondern nur ein Qualitätsniveau, das auf einem<br />

medizinisch-ökonomischen Konsens basiert.<br />

Spannungsfeld Medizinökonomie<br />

Ökonomische Entscheidungen stehen unter der Nebenbedingung einer angemessenen Medizin.<br />

Nutzen<br />

Qualität<br />

Prozesskosten<br />

Kostenderteminiertes<br />

Medizinangebot<br />

Medizinischökonomischer<br />

Konsens<br />

Zone der<br />

Rationierung<br />

unterlassene<br />

Hilfeleistung<br />

ethischer<br />

Grenzbereich<br />

medizinische<br />

Best Practices<br />

Zone<br />

iatrogener<br />

Risiken<br />

iatrogener<br />

verursachte<br />

Schäden<br />

Risiko<br />

Kosten<br />

Letztlich muss ein Krankenhaus-Manager bei jeder Entscheidung über die Beschaffenheit<br />

eines handhabungskritischen Medikalprodukts abwägen, ob das Risiko<br />

des Einsatzes eines „Zweitbesten“, aber billigen Produkts verantwortbar bzw.<br />

beherrschbar ist oder ob es im Sinne des Patienten angezeigt ist, das teuere und<br />

leistungsfähigere Produkt vorzuziehen.<br />

• Diese Dilemma-Situation besteht beispielhaft in der Frage, ob es ethisch vertretbar<br />

ist, Einweg-Medikalprodukte aus Gründen der Kostensenkung einer Wiederaufbereitung<br />

zu unterziehen. Unabhängig von der sachlich kontrovers, zum Teil<br />

emotional und durch wirtschaftliche Interessen geprägten Diskussion bildet sich<br />

derzeit folgende Faktenlage ab:<br />

- Die Wiederaufbereitung von Einwegprodukten ist in Deutschland nicht verboten.<br />

- Das Ergebnis einer CKM-Befragung von 116 Krankenhäusern zeigt, dass 51 %<br />

der Krankenhäuser ausgewählte Einmalprodukte nach einem validierten Ver-<br />

15<br />

II


II Vorwort<br />

16<br />

fahren wiederaufbereiten lassen.<br />

- In der gleichen CKM-Befragung bestätigten 65 % der Ärzte (n = 97), dass<br />

ausgewählte Einmalprodukte (z. B. Ablationskatheter, Ultraschallscheren, …)<br />

bedenkenlos wiederaufbereitbar sind und gleichzeitig zur Kostensenkung beitragen.<br />

- Andererseits weisen unabhängige Gutachter darauf hin, dass die Wiederaufbereitung<br />

von Einwegprodukten nur dann als unbedenklich im Hinblick auf<br />

Patientenrisiken einzustufen ist, wenn es sich um Produkte handelt, die als<br />

Minimumstandard<br />

· völlig autoklavierbar sowie<br />

· systematisch zerlegbar und<br />

· problemlos zusammenbaubar sind.<br />

Dies ist z. B. bei Klammernahtgeräten für offen-chirurgische Eingriffe der Fall.<br />

Bemängelt wird von diesen Experten, dass nicht alle Produkte, die wiederaufbereitet<br />

werden, diesen Mindestanforderungen gerecht werden. Bemängelt<br />

wird darüber hinaus, dass die verschiedenen Anbieter von Wiederaufbereitungsdienstleistungen<br />

nach unterschiedlichen Qualitätsstandards arbeiten, was<br />

die Entscheidungsprozesse für die Krankenhäuser erschwert.<br />

• Ein Ausweg aus diesem Kosten-Risiko-Qualitäts-Ethik-Dilemma ist offenbar nur<br />

dadurch zu erreichen, dass in Zukunft drei Arten von Medikalprodukten angeboten<br />

werden:<br />

- Einwegprodukte,<br />

- Mehrwegprodukte,<br />

- begrenzt wiederaufbereitbare Produkte, die gemeinsam von Medikalprodukteherstellern<br />

und Wiederaufbereitungsdienstleistern entwickelt und freigegeben<br />

werden.<br />

Die Einführung einer solchen dritten Gruppe wird aufgrund des Wettbewerbdrucks,<br />

der von chinesischen Herstellern ausgeht, unverzichtbar sein: Diese<br />

bieten Einmal-Trokare zum Preis von 6,- US-Dollar je Stück an; vergleichbare<br />

Produkte europäischer Hersteller bewegen sich in einer Preisbandbreite zwischen<br />

57,- und 77,- Euro je Stück.


Umfrage<br />

Ich kann mir vorstellen, in Zukunft auch Medikalprodukte chinesischer Hersteller einzukaufen:<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Antwort 1: Ich kenne<br />

derzeit kein Angebot<br />

eines chinesischen<br />

Herstellers<br />

Antwort 2: Ja, diese<br />

sind preiswert und gut.<br />

Antwort 3: Nein, deren<br />

Qualität ist umstritten<br />

Vorwort<br />

Wie eine CKM-Befragung unter 116 Geschäftsführern und Krankenhauseinkäufern<br />

zeigt, sind die Angebote chinesischer Hersteller bisher wenig bekannt (51 %)<br />

oder mit Vorurteilen belegt (33 %); immerhin 16 % beurteilen die asiatischen Konkurrenzprodukte<br />

als „preiswert und gut“.<br />

Das Thema „Risiko durch Wiederaufbereitung von Einwegprodukten“ ist zu ernst,<br />

um in der Boulevard-Presse zerredet zu werden.<br />

Risiko-Management hat die Aufgabe, Risiken auszuschalten bzw. Mechanismen<br />

zu etablieren, durch die Risiken frühzeitig erkannt und eingetretene Risiken zeitnah<br />

und wirksam geheilt werden.<br />

Risiko-Management ist dann effektiv und kostensenkungswirksam, wenn es auf<br />

den Konsens der Beteiligten vertrauen darf; Freund-Feind-Positionen, wie sie derzeit<br />

die Diskussion beherrschen, tragen nicht zu Problemlösung bei.<br />

Vielleicht kann dass vorliegende Buch, nunmehr in zweiter und erweiterter Auflage<br />

erschienen, dazu beitragen, die Dialogbereitschaft der Beteiligten zu fördern.<br />

Ich danke allen Autoren für Ihr Engagement, insbesondere meinen Mitarbeitern<br />

Nora Meyer, Britta Werning und Alexander Prangenberg für die Unterstützung bei<br />

der Fertigstellung der Manuskripte sowie der Koordination der Verlagsarbeit.<br />

Münster, im August 2007 Wilfried von Eiff<br />

17<br />

II


II Vorwort<br />

Vorwort zur ersten Auflage:<br />

Kein Vorwort des Herausgebers, das Problem<br />

spricht für sich:<br />

99 % Sicherheit reichen nicht aus<br />

18<br />

Wilfried von Eiff<br />

1 „To Err is Human“: IOM-Bericht<br />

2 IHBF-Forum-Report<br />

3 Medikamentenirrtümer durch Physician-Order-Entry-Systeme vermeiden<br />

4 Optimale Betriebsgröße<br />

5 Mindestfallzahlen<br />

6 Personalausstattung und Personalqualifikation<br />

7 Wundinfektionen<br />

8 Sterilgutversorgungsrisiken<br />

9 Klinische Textilien<br />

10 Nadelstichverletzungen<br />

11 Risikofaktor: Organisation<br />

12 Risikofaktor: Unternehmenskultur<br />

13 100K Lives Campaign<br />

14 Ökonomische Risiken<br />

14.1 Investitionsstau<br />

14.2 Insolvenzrisiken<br />

14.3 E-Procurement und Kosten des Bestellprozesses<br />

14.4 Korruption<br />

14.5 Einkaufsmanagement durch unsachgemäß informierte Beschaffungsmanager<br />

15 Fazit<br />

16 Literatur


Vorwort<br />

1 „To Err is Human“: IOM-Bericht<br />

Mit dem im Jahr 1999 publizierten Bericht des Institute of Medicine „To Err is<br />

Human: Building a Safer Health System“ drang das Thema <strong>Risikomanagement</strong><br />

in das Bewusstsein von Krankenhaus-Managern, Patienten-Vertretern, Medien-<br />

Öffentlichkeit und natürlich von Rechtsanwälten, die sich auf Kunstfehlerklagen<br />

mehr und mehr spezialisierten.<br />

Der IOM-Bericht wartete in bisher nicht gekannter Offenheit mit geradezu erschütternden<br />

Zahlen, Daten und Fakten auf; so z. B.:<br />

• Zwischen 44.000 und 98.000 in amerikanischen Krankenhäusern behandelte Bürger<br />

sterben jedes Jahr als Folge eines vermeidbaren medizinischen Irrtums. Zum<br />

Vergleich: 42.000 Todesfälle sind auf Verkehrsunfälle zurückzuführen und 5.000<br />

auf Unfälle am Arbeitsplatz.<br />

• Statistisch entspricht das dem Fall, dass die Federal Aviation Administration<br />

zulassen würde, dass 27 Jets jeden Monat abstürzten und dabei 300 Menschen zu<br />

Tode kämen.<br />

• 36 % der vollstationär behandelten Patienten litten unter einer iatrogen verursachten<br />

Krankheit.<br />

• 9 % der stationären Patienten waren Opfer einer iatrogen verursachten Krankheit,<br />

die lebensbedrohliche Ausmaße annahm bzw. erhebliche Behinderungen für eine<br />

Zeit über drei Monate produzierte.<br />

• Von 2 % der stationären Patienten wurde begründet vermutet, dass sie an den<br />

Folgen einer iatrogen verursachten Krankheit zu Tode kommen (jährlich).<br />

Abbildung 1-1: Fehlerstrategie als Ausdruck der Risikokultur<br />

Warum Null Fehler?<br />

99 % Sicherheit (= 1 % Fehleranteil) hätte auf das tägliche Leben gravierende Auswirkungen:<br />

Jeden Monat für eine Stunde verschmutztes Trinkwasser!<br />

Zwei unsichere Flugzeuglandungen jeden Tag auf dem Frankfurter Flughafen!<br />

1.600 Postsendungen, die jede Stunde durch die Post verloren gehen!<br />

20.000 falsche Rezepte für Medikamente jedes Jahr!<br />

500 falsch durchgeführte chirurgische Operationen jede Woche!<br />

22.000 Schecks, die jede Stunde von falschen Bankkonten abgebucht werden!<br />

Jede tausendste Bremsung eines Fahrzeuges würde völlig versagen!<br />

Ausfall der Stromversorgung für 1 Stunde jeden Monat<br />

19<br />

II


II Vorwort<br />

Noch dramatischer stellten sich die Zahlen von <strong>Risikomanagement</strong>-Studien auf<br />

Intensiv-Versorgungseinheiten in großen akademischen Lehrkrankenhäusern dar:<br />

• Etwa 45 % der Patienten hatten ein sog. „adverse event“ zu erleiden, also „Situations<br />

in that an inappropriate decision was made when, at the time, an appropriate<br />

alternative could have been chosen“.<br />

• Für 17,7 % war das adverse event schwerwiegend, d. h. es rief dauerhafte Behinderung<br />

oder sogar Tod hervor. Die Wahrscheinlichkeit, als Patient einer Intensivstation<br />

in einem akademischen Lehrkrankenhaus ein adverse event zu erleiden,<br />

beträgt ungefähr 6 % für jeden Tag des Krankenhausaufenthalts.<br />

2 IHBF-Forum-Report<br />

Diese Ergebnisse werden auch durch die Resultate der 6. Internationalen Expertentagung<br />

„International Benchmarking of Hospitals and Health Care Systems“ (seit<br />

1998 organisiert vom CKM, Universität Münster) bestätigt.<br />

• Durchschnittlich 6 % aller Krankenhauspatienten erleben während ihres Aufenthalts<br />

ein „Schadensereignis“, in 70 % dieser Fälle behält der Betroffene keine<br />

oder nur sehr geringe Schäden zurück.<br />

• Von einem nachhaltigen Schadensereignis sind etwa 0,26 % aller Patienten<br />

betroffen, davon 14 % mit tödlichem Ausgang (=0,0364 % = 3,6 Fälle auf 10.000<br />

Patienten).<br />

• Auf 3.846 Patienten kommt ein Medikamentenirrtum, der zu einem klagefähigen<br />

Ereignis führt.<br />

• 55 % der fehlerhaften Behandlungsergebnisse sind als vermeidbar einzustufen,<br />

weil sie organisatorisch vermeidbar sind.<br />

• Außerdem wird (z. B. in den USA) ein Drittel der medizinischen Leistungen<br />

als überflüssig angesehen; wobei klar ist, dass iatrogene Risiken den Patienten<br />

gefährden.<br />

• 60 % der jährlich etwa 15.000 juristisch anerkannten Behandlungsfehler in<br />

Deutschland betreffen die medizinische Versorgung in Krankenhäusern.<br />

• In Deutschland werden jährlich ca. 200.000 Mammographien fehlbeurteilt: etwa<br />

50 % „falsch positiv“ (mit ausschließender „überflüssiger“ Biopsie) und ca. 50 %<br />

„falsch negativ“ (mit katastrophalen Folgen für die Betroffenen).<br />

20


Vorwort<br />

Medikamentenirrtümer durch Physician-Order-Entry-Systeme vermeiden<br />

Arzneimittelkomplikationen (ADE = Adverse Drug Event) verursachen in den<br />

USA jährlich 7.000 Todesfälle. Medikationsirrtümer führen im Durchschnitt zu<br />

einer Liegezeitverlängerung von 1,7 Tagen. Die volkswirtschaftlichen Mehrkosten<br />

werden in den USA auf ca. 2 Mrd. Dollar geschätzt.<br />

Im Medikationsprozess von der Medikamenten-Festlegung durch den Arzt, über<br />

die Kontrolle durch den Apotheker bis zur Verabreichung an den Patienten ist ein<br />

arbeitsteiliger Arbeits- und Kommunikationsprozess mit zahlreichen Fehlerquellen.<br />

Das zeigen z. B. die Erfahrungen im Hackensack University Medical Center (N.J.).<br />

Hier wurde durch Entwicklung eines „medication reconciliation process management“<br />

unter Verwendung elektronischer Medikamenten-Versorgungsschränke die<br />

Rate von Adverse Drug Events von 3,5 pro 1.000 Verabreichungen auf 1,0 pro 1000<br />

innerhalb von 2½ Jahren reduziert (so die Aussage von Regina Berman, Director<br />

of Performance Improvement) anlässlich der Begutachtung des Krankenhauses im<br />

Rahmen des U.S. News Top 100-Vergleichs „America’s Best Hospitals“).<br />

Die Ursachen für Medikamentenirrtümer waren im Wesentlichen zurückzuführen<br />

auf:<br />

• falsche Medikamentenausgabe;<br />

• Zeitdruck für das Personal;<br />

• mangelnde Verfügbarkeit eines benötigten Medikaments im Lager (out-ofstock);<br />

• Kommunikationsmissverständnisse zwischen den Akteuren im Medikationsprozess;<br />

• keine Kontrolle der Einnahme durch den Patienten;<br />

• Patient ist zu geschwächt/krank für die Tabletteneinnahme;<br />

• Medikament ist nicht verwendbar (falsch; Nebenwirkungen; Unverträglichkeiten).<br />

Durch den Einsatz von elektronischen Versorgungsstationen in Verbindung mit<br />

einer Reorganisation des Medikamenten-Verabreichungsprozesses (Administering-<br />

Medication Organisation) und des Wiederauffüllungsprozesses (Replenishment)<br />

kann die Fehlerrate reduziert werden; ebenso lässt sich ein Rückgang der Zahl der<br />

Retouren begründen und die Schwundrate infolge Diebstahl und Überschreitung<br />

des Verfallsdatums reduziert sich auf Null (siehe die ausführliche Diskussion um<br />

POES in Kapitel 6.2).<br />

21<br />

II


II Vorwort<br />

4 Optimale Betriebsgröße<br />

Auch die optimale Betriebsgröße von Krankenhäusern ist in den Mittelpunkt der<br />

Diskussion gerückt: Untersuchungen zeigen, dass ein Krankenhaus, das weniger als<br />

30 Gallenblasen-Operationen im Jahr durchführte, eine um 89 % höhere Sterblichkeit<br />

als ein Krankenhaus mit über 120 Eingriffen aufweist. Im Vergleich zu Krankenhäusern<br />

mit mehr als 200 Herzkathetern pro Jahr haben Kliniken mit weniger<br />

als 75 Eingriffen eine höhere Sterblichkeit und eine deutlich höhere Rate an Notfall-<br />

Bypass-Operationen. Studien zum Brustkrebs haben gezeigt, dass die Sterblichkeit<br />

um 15 % geringer ist, wenn Ärzte mehr als 30 Neubildungen pro Jahr operieren. Die<br />

Bochumer Uni-Klinik stellt in einer Studie fest, dass 68 % der Patienten mit einer<br />

Krampfader-Operation einen Revisionseingriff benötigen, weil der Ersteingriff fehlerhaft<br />

war. In Neuseeland, wo diese Eingriffe ausschließlich in dafür spezialisierten<br />

Kliniken erfolgen, sind nur bei 6 % der Patienten mangelhafte Erstoperationen an<br />

der Neubildung von Krampfadern schuld.<br />

Die Benutzung derartiger Fallzahlenvergleiche sowie die Betriebsgröße als Ersatzindikator<br />

für medizinische Qualität und Patientenrisiko ist unter Ärzten umstritten:<br />

Richtig ist, dass die bloße Anzahl von Operationen noch nichts über die Ausführungsqualität<br />

aussagt.<br />

Das Konzept der optimalen Betriebsgröße in der Medizin basiert auf zwei empirischen<br />

Erkenntnissen:<br />

a) Der Erfahrungs-/Lernkurven-Effekt beschreibt das Phänomen, dass bei regelmäßiger<br />

Wiederholung eines Tätigkeitsspektrums (nicht einer einzelnen repetitiven<br />

Tätigkeit) der Grad der Ausführungssicherheit steigt.<br />

b) Der Aktionsniveau-Effekt zeigt, dass mit steigendem Aktionsniveau bzgl. Fallanzahl<br />

und Falldifferenzierung die Fähigkeit zunimmt, auch schwierigere Fallkonstellationen<br />

schnell und treffsicher zu diagnostizieren sowie zu therapieren.<br />

Das Konzept der optimalen Betriebsgröße in der Medizin ist nicht fallzahlorientiert.<br />

Die optimale Größe wird vielmehr determiniert durch die Dimensionen:<br />

• Strukturqualität (technische Ausstattung; Qualifikation der handelnden Akteure;<br />

reibungslose Organisationsabläufe; therapeutische Teamstrukturen; Verfügbarkeit<br />

von Experten mit komplementären Know-how in einem Wissensnetzwerk;<br />

Zugriff auf diagnose- und therapierelevante Patientendaten)<br />

• Prozessqualität (schonende Diagnose- und Therapieverfahren; aktivierende Pflege)<br />

• Sozialqualität (kommunikative Behandlung des Patienten durch Ärzte und Pflegekräfte;<br />

Fehlerkultur; Patient Education; Compliance-Strategien)<br />

22


Ergebnisqualität<br />

Zone des<br />

Erfahrungslernens<br />

Optimale<br />

Betriebsgröße<br />

X opt<br />

Zone iatrogener Risiken<br />

durch Überforderung der<br />

Organisation<br />

Vorwort<br />

Menge und<br />

Struktur von<br />

Eingriffen<br />

Abbildung 4-1: Optimale Betriebsgröße bei gegebener struktureller Ausstattung und gegebenem<br />

Qualifikationsstand<br />

Aus dieser differenzierten Betriebsgrößenbetrachtung wird deutlich, dass Größe kein<br />

Qualitätsfaktor ist. Vielmehr geht es um das Verständnis, dass jede Betriebsgröße<br />

nur eine optimale Anzahl zu versorgender Patienten zulässt. Wird eine Organisation<br />

überlastet, treten verstärkt Risiken auf. Eine sinkende Sozialqualität und Unwirtschaftlichkeiten<br />

sind die Folge. Das bedeutet, wenn eine Abteilung/ein Krankenhaus<br />

über die Grenzen der optimalen Betriebsgröße hinaus kapazitiv beansprucht wird,<br />

nimmt die Überforderung der Organisation ständig zu: 70 % der klagefähigen Ereignisse<br />

gehen dabei auf Organisationsfehler zurück (siehe Abbildung 4-1).<br />

Insofern ist es angezeigt, neben Eingriffszahl und Schwierigkeitsstruktur der<br />

Eingriffe auch die Relationen „Ärzte: Patienten“ und „Pflegekräfte: Patienten“ zu<br />

beachten (siehe Abbildung 6-2).<br />

5 Mindestfallzahlen<br />

Auch Studien aus den USA scheinen einen engen Zusammenhang zwischen Mortalitäts-<br />

und Komplikationsrate einerseits und Anzahl der von einem Arzt pro Jahr<br />

durchgeführten Eingriffe zu bestätigen 1 . So beträgt in Krankenhäusern, in denen<br />

der Chirurg nur eine bestimmte „High-risk“-Operation (z. B.: Esophagectomy)<br />

durchführt, die Mortalitätsrate innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff 19 %.<br />

1 Vgl. U.S. News and World Report, July 18, 2005.<br />

23<br />

II


II Vorwort<br />

Dagegen halbiert sich die Mortalitätsrate auf 9,5 %, führt ein Operateur mindestens<br />

6 Operationen dieser Art pro Jahr durch.<br />

Ähnlich verhält es sich mit Komplikationen nach einer radikalen (krebsbedingten)<br />

Prostataentfernung. In Krankenhäusern, in denen der Operateur mehr als 32 Opera-<br />

Abbildung 6-1: Einfluss von Personalqualifikation und auf die Mortalitätsrate<br />

Quelle: Good Hospital Guide, Jährlicher Leistungsvergleich aller NHS-Hospitäler der Sunday Times<br />

Ranked by mortality<br />

rate from low<br />

to high Average<br />

index for London<br />

region: 97<br />

Inner London: 84<br />

Outer London: 106<br />

1 University<br />

College London<br />

Hospitals<br />

24<br />

Mortality<br />

index<br />

London Hospitals<br />

How the NHS trusts compare<br />

Patient<br />

satisfaction<br />

Long<br />

outpatient<br />

waits<br />

Doctors/<br />

100<br />

Beds<br />

Nurses/<br />

100<br />

Beds<br />

Patient<br />

Safety<br />

Staff<br />

Satisfaction<br />

Treated<br />

with<br />

Dignity<br />

65 84% 15% 86 271 * *** 86%<br />

2 Barts and The<br />

London<br />

74 75% 32% 75 192 * *** 79%<br />

3 Royal Free<br />

Hampstead<br />

75 73% 27% 72 168 0 ** 76%<br />

4 Guy's and St.<br />

Thomas<br />

76 79% 22% 75 187 * *** 85%<br />

5 St. Mary's 78 73% 21% 92 186 * ***** 80%<br />

6 Hammersmith<br />

Hospitals<br />

83 76% 14% 74 171 ** **** 81%<br />

7 Chelsea and<br />

Westminster<br />

Healthcare<br />

84 77% 18% 78 204 0 **** 84%<br />

25 Barnet and<br />

Chase Farm<br />

Hospitals<br />

26 West Middlesex<br />

University<br />

Hospital<br />

27 Queen Mary's<br />

Sidcup<br />

120 64% 33% 44 116 * *** 79%<br />

120 58% 13% 50 102 * *** 76%<br />

120 65% 20% 51 125 * *** 87%


Vorwort<br />

tionen pro Jahr vornimmt, litten 26 % der Patienten unter Komplikationen. Dagegen<br />

hatten über 32 % der Patienten Komplikationen, wenn sie von Operateuren mit<br />

weniger als 11 Eingriffen operiert wurden.<br />

6 Personalausstattung und Personalqualifikation<br />

Risiken für den Patienten ergeben sich insbesondere auch aus der Verfügbarkeit von<br />

qualifiziertem Personal in ausreichender Menge. Der jährlich in der Sunday Times<br />

erscheinende Krankenhaus-Betriebsvergleich aller englischen Hospitäler des National<br />

Health Service (NHS) „Good Hospital Guide“ weist seit Jahren einen engen<br />

Zusammenhang zwischen der Anzahl an Fachärzten in einem Krankenhaus und der<br />

Mortalitätsrate nach (siehe Abbildung 6-1).<br />

Auch aus den USA sind ähnliche Zusammenhänge bekannt (siehe Abbildung 6-2).<br />

Je höher die Zahl der durch eine einzige Schwester zu versorgenden Patienten,<br />

desto höher ist der Anteil der Patienten, die innerhalb von 30 Tagen nach erfolgtem<br />

Eingriff sterben.<br />

Der Grund für dieses Phänomen: je mehr Betreuungszeit eine Schwester für den<br />

Patienten hat, desto intensiver kann sie sich um ihn kümmern; das betrifft auch die<br />

erzieherische und informatorische Vorbereitung des Patienten bzgl. des Umgangs<br />

mit der Krankheit nach Entlassung.<br />

Abbildung 6-2: Staffing Ills – Einfluss der Ausstattung mit qualifiziertem Pflegepersonal auf das<br />

Mortalitätsrisiko von Patienten<br />

Quelle: Hospital Nurse Staffing and Patient Mortality, Nurse Burnout and Job Dissatisfaction;<br />

2002 Report by University of Pennsylvania<br />

Patient-to-nurse-ratio<br />

8 - to - 1<br />

7 - to - 1<br />

6 - to - 1<br />

5 - to - 1<br />

4 - to - 1<br />

Patient Mortality-risk<br />

100<br />

107<br />

114<br />

123<br />

131<br />

25<br />

II


II Vorwort<br />

Basis 771 Schichten 771 Schichten 771 Schichten<br />

Fehler Fehler in 12 Schichten Fehler in 77 Schichten Fehler in 103 Schichten<br />

Beinahe-Irrtümer 1 Beinahe-Irrtum in 20 1 Beinahe-Irrtum in 95 mind. 1 Beinah-Irrtum<br />

Schichten<br />

Schichten<br />

im 94 Schichten<br />

Abbildung 6-3 : Zusammenhang zwischen Arbeitsschichtlänge und Patientenrisiken<br />

Quelle: Studie aus Health Affairs 2004<br />

Auch die Länge von Arbeitsschichten wirkt sich auf das Patientenrisiko aus (siehe<br />

Abbildung 6-3). So machen Schwestern, die regelmäßig in Schichten mit maximal<br />

8,5 Stunden arbeiten, deutlich weniger Fehler als Schwestern in Schichten mit 12,5<br />

Stunden und mehr.<br />

Der Staat California hat auf diese Erkenntnisse reagiert und legte per Gesetz die<br />

Bezugsquellen für Pflegekräfte fest:<br />

• Mindestausstattung: 1 ausgebildete Schwester (Registered Nurse) auf 6 erwachsene<br />

Patienten; ab 2006 soll die Rate auf 1:5 verbessert werden.<br />

• Für Kinderstationen gilt die Rate 1:4.<br />

• Für Intensiveinheiten ist die Relation 1:2 vorgeschrieben.<br />

Kaiser Permanente, eine bedeutende HMO (Health Maintenance Organisation)<br />

garantiert seinen Versicherten die Behandlung in Krankenhäusern mit einer Mindestausstattung<br />

von 1:4.<br />

7 Wundinfektionen<br />

In Deutschland rechnen Experten mit jährlich 128.000 postoperativen Wundinfektionen.<br />

Die betroffenen Patienten bleiben im Schnitt zwei Wochen länger im<br />

Krankenhaus, was zusätzlich Kosten in Form von Medikamenten, Bindung von<br />

medizinischem Personal, Verdienstausfall usw. verursacht. Besonders gefährdet<br />

sind Patienten mit geschwächten Immunsystem (Intensivpatienten) durch MRSA<br />

26<br />

8,5-Stdn. Schicht 8,5 - 12,5 Stdn. Schicht 12,5 Stdn. Schicht<br />

Weitere Erkenntnisse:<br />

In Schichten mit mehr als 12,5 Stdn. Dauer passierten insgesamt (771 Schichten)<br />

199 Irrtümer<br />

213 Beinahe-Irrtümer<br />

> 58% Medikationsirrtümer<br />

> 18% Arbeitsfehler (procedural errors)<br />

> 12% Doku-Fehler in Patientenakte (charting errors)<br />

> 7% Übertragungsfehler


Vorwort<br />

(Methicillin resistente Staphylokoken). In Deutschland sind derzeit 25 % von 100<br />

Staphylokoken-Erregern resistent gegen Antibiotika. In Holland beträgt diese Rate<br />

1:100, während man in Großbritannien den Kampf offenbar aufgegeben hat, denn<br />

die Rate beträgt hier 60:100.<br />

Nach Angaben der National Patient Safety Agency (NPSA) sind pro Jahr mindestens<br />

50.000 Patienten von MRSA verursachten Komplikationen betroffen; ca. 5.000<br />

Patienten versterben jährlich als „MRSA-Opfer“. Die Folgekosten von MRSA sind<br />

enorm: In einem 500-Betten-Haus werden durch MRSA-Patienten durchschnittlich<br />

pro Jahr 1.540 Belegungstage blockiert, die für andere Patienten nicht zur Verfügung<br />

stehen und zu Wartezeiten bei elektiven Eingriffen führen; 300 £ vermeidbare<br />

Kosten je Bettentag belasten das Gesundheitssystem. Die Kosten für eine Infektionsbehandlung<br />

liegen nach Schätzungen der NPSA bei 460.000,- £.<br />

Als eine sehr wahrscheinliche Treiberursache für die zunehmende MRSA-Problematik<br />

gilt ungezügeltes Outsourcing von Dienstleistungen wie Hol-/Bringdienste,<br />

Speisenversorgung, Labortransporte, etc.; oft werden diese Arbeiten von einfach<br />

ausgebildeten Mitarbeitern, ohne das notwendige Hygieneverständnis verrichtet.<br />

In den Zeiten, in denen das Pflegepersonal für diese Arbeiten verantwortlich war,<br />

kam es aufgrund ausgeprägten Hygienebewusstseins tendenziell selten zu MRSA-<br />

Komplikationen.<br />

Auch die großzügig gehandhabte Praxis der standardmäßigen Gabe von Antibiotika<br />

vor einem chirurgischen Eingriff, gilt als Mitursache für Keim-Resistenzen<br />

(insbesondere) gegen Breitbandantibiotika. Mittlerweile sind zahlreiche Kliniken<br />

dazu überzeugen, auf die Standardgabe von Antibiotika für alle OP-Patienten zu<br />

verzichten, dafür aber vor der Operation eine Sputumanalyse zur Feststellung des<br />

Keimstatus eines Patienten durchzuführen, um Risikopatienten zu identifizieren<br />

und nur diese gezielt zu medisieren.<br />

8 Sterilgutversorgungsrisiken<br />

Auch im Bereich der Sterilgutversorgung der Krankenhäuser besteht dringender<br />

Handlungsbedarf; das verdeutlichen auch die vorläufigen Untersuchungsergebnisse<br />

von Bezirksregierungen und Gewerbeaufsicht in NRW und Niedersachsen,<br />

die Steri-Anlagen in Krankenhäusern und die Reinigungsqualität in Endoskopie-<br />

Einheiten, z. B. bei niedergelassenen Ärzten, analysierten. Über 40 % der Krankenhäuser,<br />

die ihre OP-Instrumente hygienisch aufbereiten, erfüllen derzeit nicht<br />

die gesetzlichen Anforderungen. 75 % dieser Einrichtungen können lediglich durch<br />

27<br />

II


II Vorwort<br />

Abbildung 8-1: Erhöhung des Gebrauchsrisikos medizinischer Instrumente durch Beschädigung<br />

im Sterilisationsvorgang<br />

Neuanschaffung der Sterilisation den gesetzlich geforderten Stand der Technik<br />

erreichen (siehe Abbildung 8-1).<br />

Analysen in Krankenhäusern in Niedersachsen zeigen, dass in zunehmenden Maß<br />

als Folge eines „Sterilisationsprozesses unterhalb der RKI-Normen“ der Antibiotika-Einsatz<br />

steigt: mit fatalen Konsequenzen für die Bekämpfung von MRSA.<br />

Abbildung 8-2: Einfluss Organisationsfehler in der ZSVA auf Patientenrisiken<br />

Siebaufbereitung<br />

Bereitstellung<br />

28<br />

Suche nach<br />

Ersatzsieben<br />

Verschieben oder<br />

Absetzen von OP's<br />

Verschieben oder<br />

Absetzen von OP's<br />

Sieb nicht<br />

verfügbar<br />

Sieb fehlerhaft<br />

Suche nach<br />

Einsatzinstrumenten<br />

Öffnen anderer Siebe<br />

Sieb<br />

"überfrachtet"<br />

Sieb<br />

einsatzbereit<br />

Verlängerte<br />

Vorbereitung<br />

Aufwändige Kontrolle<br />

und Suche


Chir. Grundsieb Haus A<br />

95 Instrumente<br />

9,1 kg<br />

Zeitbedarf ca. 18 min.<br />

(entsorgen, maschinelle Aufbereitung,<br />

packen, transportieren)<br />

Bei nur 4 Grundsieben pro Tag<br />

= 380 Instrumente (96.900 Stck. p.a.)<br />

= 36,4 kg (9.100 kg p.a.)<br />

= 72 min. (18.000 min p.a.)<br />

Chir. Grundsieb Haus B<br />

156 Instrumente<br />

13,1 kg<br />

Zeitbedarf ca. 25 min.<br />

(entsorgen, maschinelle Aufbereitung,<br />

packen, transportieren)<br />

Abbildung 8-3: Optimierung der OP-Logistik zur Kosten- und Risikenvermeidung<br />

Vorwort<br />

Bei nur 4 Grundsieben pro Tag<br />

= 624 Instrumente (156.000 Stck. p.a.)<br />

= 52,4 kg (13.100 kg p.a.)<br />

= 100 min. (25.000 min p.a.)<br />

96.900 Instrumente 156.000<br />

9.100 kg 13.100<br />

18.000 min 25.000<br />

1.000 Operationen 1.000<br />

Auch die Risiken einer fehlerhaften Arbeit in einer ZSVA (Zentrale- Sterilgut-Versorgungs-Abteilung)<br />

werden in der Praxis ungenügend beachtet: Fehlerhafte Siebe<br />

und Nichtverfügbarkeit von Instrumenten erhöhen die Kosten um cirka 200.000,-<br />

Euro. So führen Organisations- und Verhaltensfehler zu verdeckten Kosten in der<br />

Sterilgutersorgung und rufen gleichzeitig unkalkulierbare Risiken für den Patienten<br />

hervor (siehe Abbildung 8-2).<br />

Aber auch die Überfrachtung von Sieben als Folge mangelhafter eingriffsbezogener<br />

Standardisierung führt zu vermeidbaren ökonomischen Risiken. So zeigt ein Kostenvergleich<br />

bei OP-Sieben, wie durch Standardisierung die Handhabung vereinfacht<br />

und die Umläufe reduziert werden können (siehe Abbildung 8-3).<br />

9 Klinische Textilien<br />

Ein im Hinblick auf Risikostruktur und Patientengefährdung unterschätztes Anwendungsfeld<br />

ist die Versorgung eines Krankenhauses mit klinischen Textilien (siehe<br />

Abbildung 9-1 und 9-2). Auffallend ist, dass die aktuelle Diskussion um zweckgerechte<br />

OP-Abdeckungen und OP-Bekleidung primär auf die Entscheidungsalternative<br />

Einwegprodukte contra Mehrwegprodukte zielt. Diese Diskussion ist dominiert<br />

durch eine preisorientierte Beschaffungspolitik, bei der Risikoüberlegungen kaum<br />

eine Rolle spielen.<br />

29<br />

II


II Vorwort<br />

Kreuzkontaminationen<br />

Abbildung 9-1: Risikobezogene Verbesserungspotentiale im Bereich klinischer Textilien<br />

Eine CKM-Studie zur Risiko-Kosten-Analyse von klinischen Textilien zeigte, dass<br />

• 2/3 der Abdeckfehler rechtzeitig erkannt und eliminiert werden (1/3 bleiben<br />

unentdeckt);<br />

• der Aufklebevorgang in 10 % der Fälle fehlerhaft ist;<br />

• eine besondere Gefährdung des Patienten durch Abdeckfehler bei Laparatomien,<br />

Hernien- und Schilddrüsenoperationen existiert.<br />

Obwohl Strapazierfähigkeit, Tragekomfort und Klebefunktionalität bei Mehrfachtextilien<br />

gegenüber Einmalprodukten deutlich qualifizierter beurteilt werden, ziehen<br />

viele Krankenhäuser die vermeintlich „billigeren“ Einwegtextilien vor; trotz eines<br />

höheren Risikos von Abdeckfehlern und einer reduzierten Keimbarrierewirkung.<br />

10 Nadelstichverletzungen<br />

In Deutschland werden jährlich ca. 45.000 Fälle von Nadelstichverletzungen offiziell<br />

gemeldet. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher, so dass jährlich mit 500.00 Verletzungen<br />

zu rechnen ist. Bei diesen Unfällen handelt es sich nicht nur um Nadelstichverletzungen,<br />

sondern um jegliche Stich-, Schnitt- und Kratzverletzungen der<br />

Haut durch Nadeln, Skalpelle etc. Die Folgekosten für Diagnose und Therapie von<br />

Infektionen nach Stichverletzungen werden auf mindestens 40 Mio. Euro veranschlagt;<br />

berücksichtigt man die Kosten für Arbeitsausfälle steigen die Folgekosten<br />

auf etwa 130 Mio. Euro an.<br />

30<br />

Geräte<br />

Abdeckungen<br />

Sterilisation<br />

MPU SPU<br />

OP-Feld<br />

Handschuhe<br />

Handschuhe<br />

OP-Mäntel<br />

Hauben<br />

Masken<br />

OP-Team


Abbildung 9-2: Klinische Textilien als die handhabungskritische Medikalprodukte<br />

Es gibt typische Ursachen für Nadelstichverletzungen:<br />

• Weitere Nadeln in einen bereits vollen Abfallbehälter drücken<br />

• Unachtsamkeit beim Trennen von spitzen Materialien<br />

• Hektische Situationen<br />

• Im Krankenbett „vergessene“ Nadeln oder Adapter<br />

• Recapping von Nadeln<br />

• Falsche Entsorgung in einen Plastiksack<br />

• Umfüllen voller nadelstichfester Behälter oder Container<br />

• Reinigen von Instrumenten vor der Sterilisation<br />

Abbildung 10-1: Schulung und innovative Produkte zur Senkung des Nadelstich-Risikos<br />

Vorwort<br />

Grund der<br />

Nadelstichverletzung<br />

Häufigkeit<br />

Verbesserungsmöglichkeiten durch<br />

Schulung innovative Produkte<br />

Kontaminierte Nadel, Bohrdraht, Hautnaht 39 % Ja Teilweise<br />

Entsorgung in den Abwurfbehälter 18 % Ja Ja<br />

Ablage offener kontaminierter Nadeln in<br />

Pappnierentasse<br />

14 % Ja Ja<br />

Entsorgung ohne nähere Angaben 12 % Ja Teilweise<br />

Recapping 9 % Ja Ja<br />

Unruhige Patienten 7 % Nein Nein<br />

Instrumentenwaschen 1 % Ja Nein<br />

31<br />

II


II Vorwort<br />

Abbildung 10-2: Einsatz von Sicherheitskanülen zum Schutz der Mitarbeiter<br />

Diese typischen Gründe für Nadelstichverletzungen geben Hinweise auf Maßnahmen<br />

zur Risikoreduktion (siehe Abbildung 10-1).<br />

Der größte Teil dieser Verletzungen (oft verbunden mit einer Hepatitis B-Infektion)<br />

ist vermeidbar durch Verwendung so genannter „Sicherer Systeme“ (Selbstentschärfung;<br />

aktive Schutzvorrichtung). Ein Beispiel ist die Verwendung von Sicherheitskanülen.<br />

Dabei wird die Nadelspitze nach der Benutzung entschärft, in dem ein<br />

stumpfer Metallstift über die Spitze hinausragt (siehe Abbildung 10-2).<br />

32<br />

Kosten einer Nadelstichverletzung:<br />

488 Euro pro Stich<br />

Abbildung 10-3: How hazardous is health care?<br />

Total lives lost per year<br />

100.000<br />

10.000<br />

1.000<br />

100<br />

10<br />

1<br />

Kosten für "sichere Systeme" 63 Euro<br />

pro Mitarbeiter<br />

DANGEROUS REGULATED ULTRA-SAFE<br />

Mountain<br />

Climbing<br />

Health<br />

Care Driving<br />

Bungee<br />

Jumping<br />

Chartered<br />

Flights<br />

Chemical<br />

Manufacturing<br />

1 10 100 1.000 10.000 100.000 1.000.000 10.000.000<br />

Number of encounters for each fatality<br />

Scheduled<br />

Airlines<br />

European<br />

Railroads<br />

Nuclear Power


1.000.000<br />

Defects<br />

per million<br />

100.000<br />

10.000<br />

1.000<br />

100<br />

10<br />

1<br />

Post MI<br />

-blockers<br />

Breast cancer screening (65-69)<br />

Detection &<br />

treatment of<br />

depression<br />

1<br />

(69 %)<br />

Overall Health Care in U.S. (Rand)<br />

2<br />

(31 %)<br />

Adverse<br />

drug events<br />

Airline baggage handling<br />

3<br />

(7 %)<br />

Outpatient ABX for colds<br />

Anesthesia-related fatality rate<br />

U.S. Industry Best-in-Class<br />

4<br />

(.6 %)<br />

Sigma level (% defects)<br />

Hospital acquired infections<br />

5<br />

(.002 %)<br />

Abbildung 10-4: Healthcare Quality Defect Rates Occur at Alarming Rates<br />

Hospitalized patients injured<br />

through negligence<br />

6<br />

(.0003 %)<br />

Vorwort<br />

Sigma<br />

Level<br />

Allerdings resultieren aus den sicheren Systemen in der Regel höhere Beschaffungskosten.<br />

Diese zusätzlichen Kosten (ca. 63 Euro pro Mitarbeiter) werden von<br />

den meisten Kliniken und Praxen gescheut, obwohl die Folgekosten für die Therapie<br />

von Infektionen ca. 488 Euro pro Stich betragen.<br />

Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber für einige Bereiche die Verwendung<br />

sicherer Produkte vorgeschrieben. Eine Änderung der Technischen Regeln für<br />

Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 250, die zunächst als Empfehlung galt, wird<br />

ab August 2007 verbindlich. So sind ab diesem Zeitpunkt generell im Bereich der<br />

Notaufnahme, des Rettungsdienstes sowie in Gefängniskrankenhäusern sichere<br />

Arbeitsgeräte vorgeschrieben. Des Weiteren sind diese „Sicheren Systeme“ verbindlich<br />

anzuwenden, wenn Patienten nachgewiesenermaßen mit gefährlichen<br />

Erregern infiziert sind.<br />

Im Wiener Krankenanstaltenverbund schätzt man den durchschnittlichen Arbeitszeitausfall<br />

direkt nach einer Nadelstichverletzung durch medizinische Versorgung,<br />

33<br />

II


II Vorwort<br />

Untersuchung und erste Maßnahmen auf 10 Stunden. Bei jährlich nachgewiesenen<br />

2.700 Fällen von Nadelstichverletzungen fallen damit 27.000 Stunden pro Jahr aus.<br />

Zusätzlich schlagen die Kosten einer post-expositionellen Prophylaxe pro Person<br />

mit 1.817, - Euro bis 2.180,- Euro zu Buche.<br />

Brent James (Intermountain Health Care) stellte bereits 2001 fest (siehe Abbildung<br />

10-3), dass der Health Care- Bereich zu den gefährlichen Lebensbereichen zählt.<br />

Gerade im Gesundheitswesen existieren vielfältige Gefahrenquellen; und nahezu<br />

alle diese Gefährdungsbereiche sind gemessen an der Anzahl von Defekten je<br />

1 Million Fehlermöglichkeiten weitaus weniger sicher als der Best-in-Class-Standard<br />

der Industrie (siehe Ergebnis der Analyse von C. Buck in der Abbildung 10-4).<br />

11 Risikofaktor: Organisation<br />

Vertieft man die Analyse rund um die Risikostrukturen innerhalb eines Krankenhauses,<br />

so fällt ein weiteres Ergebnis auf:<br />

Über 70 % der klagefähigen Ereignisse sind auf Mängel im organisatorischen Ablauf<br />

und mangelhafter Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln (sog. Strukturqualität)<br />

zurückzuführen. Dagegen sind nur 30 % dieser Ereignisse „handwerklichen“ Fehlern<br />

des Arztes zuzuschreiben.<br />

Medizinische Prozeduren sind offenbar umso sicherer für den Patienten je<br />

• erfahrener und qualifizierter der Operateur ist,<br />

• reibungsloser und genauer die eingesetzten Instrumente funktionieren und<br />

• niedriger der Zeitdruck für das OP-Team aufgrund von Ablaufverzögerungen,<br />

mangelnder Verfügbarkeit von Material, steigende Zahl von Notfall-Patienten<br />

usw. ist.<br />

12 Risikofaktor: Unternehmenskultur<br />

Qualität und Wirtschaftlichkeit in einem Krankenhausbetrieb als Folge eines<br />

hohen Sicherheitsniveaus setzt aber auch eine Risikovermeidungskultur voraus.<br />

Den Zusammenhang zwischen einer Unternehmenskultur und dem „Risikograd“<br />

eines Krankenhauses wird durch die Risikosystematik von „Heinrich’s Gesetz“<br />

treffend demonstriert: Danach bilden 300 kleine, stillschweigend akzeptierte Fehler,<br />

als unbedenklich und jederzeit beherrschbar eingestufte kleine Schlampereien,<br />

Unachtsamkeiten oder Verschwendungen von Zeit, Material oder Ideen die statistische<br />

Basis für 29 Beinaheunfälle, die im letzten Moment gerade noch verhindert<br />

werden. 29 solcher „near misses“ wiederum sind der Nährboden für einen einzigen<br />

34


Vorwort<br />

Abbildung 12-1: Demonstration der Bedeutung der Unternehmenskultur für die Patientensicherheit<br />

in einem Krankenhaus anhand Heinrichs Gesetz<br />

Katastrophenfall. Die Konsequenz aus dieser Risikosystematik aus organisations-<br />

und führungstechnischer Sicht ist eindeutig: Nicht die Fähigkeit eine Katastrophe<br />

zu managen zeichnet ein Krankenhaus unter Risikogesichtspunkten aus, sondern<br />

die arbeitstäglich gelebte Praxis, auch kleinste Risikoereignisse sofort zu erkennen<br />

und schnell abzustellen.<br />

So wie 70 % aller Fehler durch mangelhafte Organisation begründet sind, ließen<br />

sich 80 % der Fehler durch reibungslose Kommunikation und Zusammenarbeit, also<br />

durch den Faktor „Sozialqualität“ verhindern.<br />

Wie das dysfunktionale Zusammenspiel mangelhafter Organisation und konfuser<br />

Organisationskultur das Aufkommen einer Katastrophe ermöglicht und beschleunigt,<br />

demonstrieren die Horrorfahrt der Titanic (1911), das Katastrophenereignis<br />

von Tschnernobly (1986), das Desaster der Challenger-Mission (1987) und die<br />

Tragödie des Zugunglücks von Eschede (1999).<br />

Der Unterschied zwischen Qualität und Risiko in einem Krankenhaus ist offenbar<br />

auf Organisation und Verhalten, bzw. die Unternehmenskultur zurückzuführen:<br />

35<br />

II


II Vorwort<br />

• In welchem Maß ist eine Organisation bereit, bekannte Gefahren in ein kalkuliertes<br />

Risiko umzuwandeln?<br />

• Wie geht die Organisation/Führung mit Fehlern, anderen Meinungen und Verbesserungsvorschlägen<br />

um?<br />

• Welches Risiko sind Mitarbeiter in einem Krankenhaus bereit einzugehen oder<br />

besser gesagt: dem Patienten zuzumuten?<br />

Bemerkenswert ist, dass die <strong>Risikomanagement</strong>-Erfahrungen aus den USA, Australien<br />

und Großbritannien in Deutschland bisher keinen entsprechenden Niederschlag<br />

gefunden haben. Dies zeigte eine im März 2004 abgeschlossene Studie des CKM.<br />

Immerhin 59 Prozent der befragten Krankenhausmitarbeiter beurteilten die Organisation<br />

und Wirksamkeit des <strong>Risikomanagement</strong>s in ihrem Haus als verbesserungsbedürftig<br />

bzw. nicht vorhanden.<br />

13 100K Lives Campaign<br />

In den USA führte die seit 1999 sehr heftig und kontrovers geführte Diskussion um<br />

Patientensicherheit und medizinische Qualität im Jahr 2004 zu einer landesweiten<br />

Initiative, der sich mittlerweile über 1.200 Krankenhäusern angeschlossen haben:<br />

Abbildung 13-1: „The 100K Lives Campaign“<br />

36


Procedures, Conditions and Recommended Volumes<br />

1. Coronary artery bypass graft 450 / year<br />

2. Percutaneous coronary intervention 400 / year<br />

3. Abdominal aortic aneurysm repair 50 / year<br />

4. Pancreatic resection 11 / year<br />

5. Esophagectomy 13 / year<br />

High-risk delivery:<br />

6. Expected birth weight < 1500 grams,<br />

7. Gestational age < 32 weeks, or<br />

8. Pre-natal diagnosis of major congenital anomaly<br />

Vorwort<br />

Neonatal ICU with Average Daily Census 15<br />

Abbildung 13-2: Evidence-Based Hospital Referral: Procedures, Conditions and Recommended<br />

Volumes<br />

„100K Lives Campaign“, ein strategisches Maßnahmepaket zur Rettung von 100.000<br />

Menschenleben, die als Patienten vermeidbar sterben (siehe Abbildung 13-1).<br />

Ursache für diese Kampagne war die dramatische Erkenntnis, dass ein Patient, der<br />

sich einer Hochrisikooperation unterziehen muss, ein Sterberisiko von über 2 % hat,<br />

obwohl der Eingriff selbst medizinisch optimal verläuft.<br />

Die Ursachen sind:<br />

• postoperative Infektionen,<br />

• Medikamentenirrtümer,<br />

• Nicht-Anwendung von Good Medical Practice-Standards (z. B. Gabe von Aspirin<br />

innerhalb von 20 Minuten nach Eintreffen im Krankenhaus bei Verdacht auf<br />

Herzinfarkt) oder<br />

• zu langsame Reaktion auf sog. „Losing Ground-Symptome“ bei Patienten, die<br />

nicht sofort als Notfallpatienten eingestuft werden.<br />

Das Programm zur Rettung von 100.000 Patientenleben konzentriert sich auf zwei<br />

Schwerpunkte:<br />

a) Im Mittelpunkt der Verbesserungsmaßnahmen stehen einerseits Patienten von 5<br />

ausgewählten „High-risk“-Operationen (siehe Abbildung 13-2)<br />

Alleine bei diesen Eingriffen versterben in den USA jährlich 23.790 Patienten. Mit<br />

den neu eingeführten Leapfrog-Standards sollen 7.818 Leben gerettet werden.<br />

37<br />

II


II Vorwort<br />

b) Der zweite Schwerpunkt zielt auf konkrete Handlungsempfehlungen zur Erhöhung<br />

der Sicherheit in kritischen Behandlungsbereichen:<br />

• „Losing Ground-Patienten“ sollen durch sog. Rapid Response Teams akut<br />

betreut werden. Diese Teams sind geschult im Erkennen von nicht-typischen<br />

Symptomen wie z. B. bei einem stillen Infarkt ohne klassischen Brustschmerz.<br />

• Für Hospital-Infektionen (Hospital Acquired Infections) im Zusammenhang mit<br />

einem chirurgischen Eingriff besteht ein Risiko von 1:5 (American Journal of<br />

Surgery, June 2005). Für diese Patienten besteht ein 2 bis 3 Mal höheres Risiko<br />

zu versterben und die Verweildauer erhöht sich um 7 Tage.<br />

Als Standardmaßnahme zur Risikoreduktion empfiehlt die Leapfrog Group (u. a.)<br />

- zeitgenaue Antibiotikagabe vor der Operation (60 Minuten-Fenster),<br />

- hautschonende Rasur und<br />

- warm halten von Patienten.<br />

• Medikamentenirrtümer sollen durch Nutzung elektronischer Versorgungsschranksysteme<br />

in Kombination mit Computer-Physicians-Order-Entry-Systems<br />

(CPOE) reduziert werden.<br />

Abbildung 13-3: Senkung der Prozesskosten durch Berücksichtigung von Risikoaspekten<br />

Medizinisches<br />

Versorgungsniveau<br />

Qualität<br />

(=Risikominderung)<br />

38<br />

X 3<br />

X 2<br />

X 1<br />

Kosten des Prozesses<br />

MN 1<br />

MN x<br />

K 1 K 2 K 3<br />

MN 2<br />

Funktionskosten<br />

Zone iatrogener<br />

Risiken<br />

Risikoausmaß<br />

X 1 = Medizinisches Versorgungsniveau, das in 95 % der Fälle ausreicht, um das gewünschte Resultat<br />

zu erzielen (i. S. v. Ergebnisqualität)<br />

X 3 = Medizinisches Versorgungsniveau, das in 99,99 % (6-Sigma-Level) zum gewünschten Ergebnis<br />

führt (i. S. v. Sozialqualität, Prozessqualität und Ergebnisqualität).


Vorwort<br />

Die bisher diskutierten unterschiedlichen Risikobereiche eines Patientenversorgungsbetriebs<br />

sind vielfältig in Entscheidungen, Schweregrad und Auswirkungen:<br />

Klinische Risiken resultieren aus dem Gebrauch dysfunktionaler Medikalprodukte,<br />

aus Infektionsquellen im Sterilbereich oder bei der Wäscheversorgung.<br />

Klinische Risiken korrelieren mit wirtschaftlichen Risiken. Wirtschaftliche Risiken<br />

sind die Folge intransparenter Entscheidungsprozesse, Abrechungsprozeduren oder<br />

mangelnder Kontrolle (Corporate Governance).<br />

Fatal wird die Situation, wenn klinische Risiken in Kauf genommen werden, um<br />

wirtschaftliche Risiken zu minimieren oder sogar Gewinne auf Basis klinischer<br />

Risiken zu erwirtschaften.<br />

Letztlich gibt es keine „Königsweg-Empfehlung“ für einen optimalen Ausgleich<br />

zwischen Risiko und Kosten; aber es gibt die Möglichkeit, den Zusammenhang<br />

zwischen Risiko des Einsatzes eines Produkts und Kosten der Beschaffung diese<br />

Produkts transparent zu machen, um den eigenen Verantwortungsgrad zu erkennen.<br />

So kann man anhand eines Beispiels bei handhabungskritischen Produkten (Trokare,<br />

Stapler, Klinische Textilien, etc.) verdeutlichen, dass die Kosten des Leistungsprozesses<br />

bei Berücksichtigung von Risikoaspekten in der Beschaffung niedriger<br />

sind als eine ausschließlich am Einkaufspreis orientierte Beschaffung.<br />

Aus der Abbildung 13-3 wird deutlich, dass die Entscheidungsalternative nicht<br />

darin besteht, entweder preisorientiert (ausgabenminimal) einzukaufen oder risikobewusst<br />

(kostenminimal) zu beschaffen. Es geht vielmehr um die Entscheidungsfrage:<br />

„Welches Risiko geht man zusätzlich ein, wenn man von einem risikoarmen<br />

Versorgungsniveau X 3 auf ein mit Risiken behaftetes Niveau X 2 zurückgeht und<br />

durch welche Ausgabenreduktion (K 3 � K 2) wird dieses Risiko „erkauft“?<br />

14 Ökonomische Risiken<br />

Neben allen diesen aufgeführten klinischen Risiken existieren in Krankenhäusern vielfältige<br />

Risiken ökonomischer Art, die im kaufmännischen Bereich auftreten und oftmals<br />

im klinischen Bereich unbeabsichtigte (oder billigend in Kauf genommene) Risiken<br />

auslösen und daher zum Teil erhebliche rechtliche Bedrohungen zur Folge haben.<br />

14.1 Investitionsstau<br />

Unterlassene Investitionen bewirken, dass in Krankenhäusern die Arbeitsorganisation<br />

rund um die Patientenversorgungsprozesse dysfunktional ist: mit Konsequenzen<br />

für die klinische und kaufmännische Risikostruktur.<br />

39<br />

II


II Vorwort<br />

Dieser Investitionsstau beläuft sich über alle Krankenhäusern in Deutschland auf<br />

27 Mrd. Euro (NRW-Krankenhäuser sind mit 11,2 Mrd. Euro betroffen, was einem<br />

Kennwert von 83.000 Euro pro Bett entspricht).<br />

14.2 Insolvenzrisiken<br />

• Durchschnittlich 10 % der Krankenhäuser (d. h. cirka 220) sind deutlich Insolvenz<br />

gefährdet. Alleine in NRW werden bis zum Jahr 2010 von den derzeit 470 Krankenhäusern<br />

ca. 50 aus ökonomischen Gründen schließen müssen.<br />

• Während in anderen Branchen das Insolvenzrisiko bei etwa 1,1 % liegt, sind Krankenhäuser<br />

mit einer durchschnittlichen Insolvenzwahrscheinlichkeit von 1,8 % bedroht.<br />

• 21 % der Krankenhäuser sind gefährdet, auch wenn weiterhin öffentliche Fördermittel<br />

fließen; in NRW wurden diese Mittel bereits ausgesetzt.<br />

• Sollten öffentliche Fördergelder wegfallen, erreicht das Insolvenzrisiko 26 % der<br />

Krankenhäuser.<br />

• Der Insolvenz-Risiko-Status wirkt sich aufgrund der praktizierten Kreditvergabe<br />

nach BASEL II auf die Finanzierungskosten eines Krankenhauses deutlich aus:<br />

Ein Ba.3-Ranking entspricht einer Konkurswahrscheinlichkeit von 2,8. Damit<br />

verbunden ist bei der Kreditvergabe ein Risikoaufschlag seitens der Banken<br />

(BASEL II) in Höhe von 2,68 %. Dadurch entstehen bei einem 1 Mio. Euro-Kredit<br />

Risiko bedingte Zusatzkosten in Höhe von 26.800,- Euro je Jahr.<br />

14.3 E-Procurement und Kosten des Bestellprozesses<br />

Eine Bestellung dauert etwa 8 – 10 Minuten. Die Kosten eines Bestellprozesses<br />

belaufen sich auf 60 bis 65 Euro. Der Vollkostensatz für die Arbeitsstunde eine<br />

Einkäufers liegt bei 40,- Euro. Die Fehlerrate bei Bestellvorgängen liegt im Durchschnitt<br />

bei 10 – 14 %. Die damit verbundenen Folgekosten summieren sich nur bezogen<br />

auf die reinen Personalkosten in einem Krankenhaus der Maximalversorgung<br />

auf 20.000 bis 28.000,- Euro pro Jahr. Fehlmengenkosten und Handhabungskosten<br />

auf Station kommen dazu. Elektronische Bestell- und Replenishmentsysteme können<br />

helfen, diese Handhabungsrisiken zu minimieren.<br />

14.4 Korruption<br />

Die Gesundheitsbranche hat im offiziellen Korruptions-Branchen-Rating zwischenzeitlich<br />

Platz 8 erreicht (Baubranche Platz 1, Rüstungsindustrie Platz 2). Vorteilnahme,<br />

Bestechlichkeit, Untreue und Betrug liegen offenbar im Gesundheitswesen eng<br />

beisammen. Brisant ist, dass ohne Sponsoring i. S. v. Drittmitteln keine Forschung<br />

auf hohem Niveau möglich ist und an Universitäten die Einwerbung von Drittmitteln<br />

eine Dienstpflicht ist.<br />

40


Vorwort<br />

Wenn Qualität, Risikominimierung und Patientenoutcome die entscheidenden Kriterien sind und der<br />

Anschaffungspreis eines Medikalprodukts keine Rolle spielt, ziehe ich die Verwendung von Einmaltrokaren<br />

der von Mehrfach- (Stahl-) Trokaren vor.<br />

80<br />

45<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

> 120 Befragte<br />

(Chirurgen/<br />

Anästhesisten)<br />

Ich stimme zu Ich stimme<br />

nicht zu<br />

Je erfahrener der Chirurg ist, desto weniger<br />

wichtig ist die Frage: "Einmal- oder Mehrfachtrokar".<br />

Jeder 3. Entscheidungsträger ist nicht entscheidungssicher<br />

mit den sachlichen Anforderungen<br />

des Kerngeschäfts vertraut.<br />

Abbildung 14-1: Berücksichtigung von Kosten, Qualität und Risiko bei der Beschaffung von<br />

Medikalprodukten (Ergebnisse einer CKM-Trend-Studie)<br />

Es gibt nur eine Möglichkeit, strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, indem<br />

das Trennungsprinzip, also die Trennung von Umsatzgeschäft und Zuwendungsgeschäft<br />

(= erhaltene Zuwendung) strikt eingehalten wird. Weiterhin sollten die<br />

Prinzipien der Kontendistanz, der Fremdnützigkeit und der Bargeldlosigkeit ebenso<br />

beachtet werden wie das Dokumentationsprinzip und das Transparenzprinzip.<br />

Korruptionsfälle und Korruptionskonsequenzen zählen zu den nicht versicherbaren<br />

Risiken. Es tritt im Aufdeckungsfall immer die persönliche Haftung ein.<br />

14.5 Einkaufsmanagement durch unsachgemäß informierte<br />

Beschaffungsmanager<br />

Insbesondere bei der Beschaffung handhabungskritischer Produkte wie z. B. Trokare,<br />

Stapler, etc. fließen in der Einkaufspraxis in Krankenhäusern kaum Risikoaspekte<br />

ein.<br />

Die Ergebnisse einer CKM-Studie (Mai 2005, siehe Abbildung 14-1) zur Einschätzung<br />

von Risiken beim Einsatz von handhabungskritischen Medikalprodukten (am<br />

Beispiel Trokar) zeigen sehr deutlich, dass<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Ich stimme zu Ich stimme<br />

nicht zu<br />

> 71 Befragte (GF/stv. GF<br />

von Krankenhaus)<br />

Ich bin mit dem<br />

Thema sachlich<br />

nicht ausreichend<br />

vertraut<br />

41<br />

II


II Vorwort<br />

Abbildung 15-1: Risiko-Management-Systeme zur Beherrschung nicht versicherbarer Risiken<br />

• kaufmännischer Geschäftsführern in zahlreichen Fällen die Auswirkungen sog.<br />

handhabungskritischer Medikalprodukte in Bezug auf Risiko, Konsequenzen für<br />

den Arbeitsablauf und Komplexitäts- sowie Prozesskosten nicht transparent sind;<br />

• Ärzte bei handhabungskritischen Medikalprodukten das risikoärmere und von der<br />

Handhabung her komfortablere Produkt präferieren;<br />

• in der überwiegenden Zahl der Beschaffungsfälle kritischer Produkte die Finanzperspektive<br />

als Auswahlkriterium dominiert;<br />

• erfahrene Ärzte mit jeder Angebotsvariante eines handhabungskritischen Produkts<br />

„risikolos“ operieren können;<br />

• komplexitäts- und prozessorientierte Kalkulationsansätze in der Krankenhausrealität<br />

noch nicht erkennbar angekommen sind.<br />

15 Fazit<br />

Aufgrund der Komplexität von Risikostrukturen im Krankenhaus empfiehlt es sich aus<br />

Sicht der Krankenhausleitung ein Risiko-Management-System zu etablieren. Dabei ist<br />

insbesondere entscheidend, welches Restrisiko verbleibt, das nicht über Versicherungen<br />

oder Risikoüberwälzung abgedeckt werden kann (siehe Abbildung 15-1). 80% der<br />

Risiken im Krankenhaus erschließen sich keiner Versicherung, weil sie den Charakter<br />

unternehmerischer (Strategie) und organisatorischer (Abläufe) Risiken haben.<br />

Insofern kommt es darauf an, für ein Krankenhaus ein Risiko-Portfolio zu erstellen, in<br />

dem Eintrittswahrscheinlichkeit und Risikoausmaß transparent beurteilt werden; letztlich<br />

mit dem Ziel, einen Risiko-Prioritätenkatalog abzuleiten (siehe Abbildung 15-2).<br />

42<br />

Risikoanalyse<br />

Identifizieren<br />

Bewertung<br />

Gesamtrisiko<br />

vermeiden<br />

Planung und Steuerung<br />

vermindern<br />

Risikoportfolio<br />

überwälzen<br />

Risikomaßnahmen<br />

selbsttragen<br />

Restrisiko<br />

Risikocontrolling<br />

Information<br />

Überwachung<br />

Früherkennung


Risikoausmaß<br />

sehr hoch<br />

hoch<br />

mittel<br />

gering<br />

Ärztliche<br />

Behandlungsfehler<br />

Patienten-<br />

stürze<br />

Medikationsirrtümer<br />

Innendarstellung/<br />

öff. Arbeit<br />

Unzureichende<br />

Infrastruktur<br />

Suboptimale<br />

Leistungsmer<strong>kma</strong>le<br />

Suboptimale<br />

Anreizsysteme Mangelhafte<br />

Patienten-<br />

IT-Sicherheit<br />

sehr gering gering mittel hoch<br />

Abbildung 15-2: Vom Risiko-Portfolio zum priorisierten Vorgehen<br />

Compliance<br />

Vorwort<br />

Strategische<br />

Positionierung<br />

Ineffizienz<br />

Steuerungs-/<br />

Infosysteme<br />

Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

Risiken mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit führen im Kollektiv zu hoher Schadensfrequenz,<br />

so dass ein Ausgleich im Kollektiv über die Zeit nicht möglich ist;<br />

die Versicherungskosten wären höher als der Schadensaufwand.<br />

Die Kombination von geringem Risikoausmaß und geringer bis mittlerer Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

führt im Versicherungsfall zur Abwicklung verwaltungsaufwändiger<br />

Kleinschäden; der Administrationsaufwand ist größer als der Schadensaufwand.<br />

Eine Versicherung ist tendenziell wirtschaftlich, wenn das Risikoausmaß<br />

mittel bis hoch ist und gleichzeitig die Eintrittswahrscheinlichkeit sich als gering<br />

bis mittel darstellt.<br />

16 Literatur<br />

Comarow, A.: America’s Best Hospitals, in: U.S. News and World Report, July<br />

18, 2005.<br />

Hufschmid Thurnherr, E./Oertle, M./Lanker Klossner, B.: Potential benefits<br />

of an automated distribution system combined with computerized physician order<br />

entry, EJHP, 2-2004, S. 26.<br />

McCall, A./Coxon, J. (Ed.): Good Hospital Guide. Published with, in: The Sunday<br />

Times on May 16, 2004.<br />

Mülder, K.: Nadelstichverletzungen. Der bagatellisierte Massenunfall, in: Deutsches<br />

Ärzteblatt, Heft 9, 4. März 2005, Seite A558-A561<br />

43<br />

II


II Vorwort<br />

o. V.: Cutting nurses’ patient loads boosts care, costs. California hospitals struggle<br />

to meet new staff ratios, in: USA Today, July 26, 2004<br />

o.V.: Health Affairs, Ausgabe July/August, 2004<br />

Osterode, W./Thallhammer, F.: Nadelstichverletzungen. Risiko, Prophylaxe, Prävention<br />

Konsensus Meeting, 14. Februar 2002, Wien, in: CliniCum, Sonderausgabe<br />

Mai 2002, Wien.<br />

44


46<br />

1 Grundlagen des <strong>Risikomanagement</strong>s<br />

im Krankenhaus<br />

„Hospitals are dangerous places and Risk Management is the least<br />

expensive insurance.“<br />

John Wocher


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> –<br />

CKM Trendstudie zur Umsetzung in<br />

deutschen Krankenhäusern<br />

Wilfried von Eiff und Conrad Middendorf<br />

1 Die Risikofaktoren<br />

2 Die CKM-Risiko-Trendstudie<br />

2.1 Ziele der Trendstudie<br />

2.2 Analyse der Internetauftritte<br />

2.3 Analyse des Risikobewusstseins<br />

2.4 Internationale Best Practices<br />

3 Fazit<br />

4 Literatur<br />

47<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

Das Centrum für Krankenhaus-Management hat eine Überblickstudie unter deutschen<br />

Krankenhäusern zum Thema <strong>Risikomanagement</strong> und Risikobewusstsein<br />

durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass im deutschen Gesundheitswesen zu diesem<br />

Themenbereich Nachholbedarf besteht, insbesondere im Vergleich zu den Praktiken<br />

in den Gesundheitssystemen von USA, Australien, Singapur und England. 1<br />

1 Die Risikofaktoren<br />

Bereits im Jahr 2000 hat das Institute of Medicine (IOM) in seinem Bericht „To<br />

err is human“ aufgedeckt, dass in den USA zwischen 2,9 und 3,7 % aller in Krankenhäusern<br />

aufgenommen Patienten einen Adverse Event erleiden, d.h. eine Verletzung,<br />

die im Rahmen des Behandlungsprozesses aufgetreten und nicht das geplante<br />

Ergebnis der angestrebten Therapie ist. In 70 % dieser Fälle behält der Betroffene<br />

keine oder nur sehr geringe Schäden zurück, in 7 % der Fälle sind jedoch dauerhafte<br />

Schäden des Patienten die Folge und 14 % der „unerwünschten“ Schadensereignisse<br />

bewirken den Tod des Patienten. Die Studie ergab weiterhin, dass zwischen 50 und<br />

60 % dieser Adverse Events durch eine bessere Organisation, höhere Aufmerksamkeit<br />

oder wirkungsvollere Sicherheitsmaßnahmen vermeidbar gewesen wären. Man<br />

vermutet, dass in den USA jährlich zwischen 44.000 und 98.000 Patienten in den<br />

Krankenhäusern infolge eines Behandlungsfehlers sterben. Die Anzahl an Todesfällen<br />

aufgrund von vermeidbaren medizinischen Fehlern übertrifft damit sogar die<br />

Zahl der Opfer von Verkehrsunfällen, sowie von Sterbefällen durch Brustkrebs oder<br />

AIDS.<br />

Ebenfalls im Jahr 2000 veröffentlichte das Department of Human Services des<br />

Staates Victoria in Australien seinen Bericht „Improving patient safety in Victorian<br />

hospitals“ mit der Erkenntnis, dass ca. 16,6 % aller stationären Krankenhausaufnahmen<br />

zu einem Adverse Event führen. Ca. 50 % dieser Adverse Events wurden<br />

dabei als vermeidbar eingestuft. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch das britische<br />

Gesundheitsministerium in seinem Report „An organization with a memory“:<br />

ca. 10 % aller stationären Aufnahmen in Großbritannien sind von Adverse Events<br />

betroffen; bei einer Zahl von 8,5 Millionen stationären Fällen sind dies ca. 850.000<br />

Patienten. Auch in dieser Untersuchung hätte die Hälfte dieser Vorkommnisse vermieden<br />

werden können.<br />

Diese Erkenntnisse über das Ausmaß von Patientenrisiken haben in betroffenen<br />

Ländern wesentlich dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren das Risiko-<br />

1 Der Beitrag erschien bereits unter dem Titel „ Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – kein Bedarf für deutsche Krankenhäuser?“<br />

in: das Krankenhaus 7/2004, S. 537-542.<br />

48


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

bewusstsein im Gesundheitswesen allgemein und speziell in den Krankenhäusern<br />

geschärft wurde. Darüber hinaus wurden von offiziellen Stellen verschiedene Maßnahmen<br />

eingeleitet, um die Sicherheit der Patienten zu erhöhen.<br />

Als Antwort auf den IOM Bericht in den USA hat die Joint Commission on Accreditation<br />

of Healthcare Organisations (JCAHO), eine Akkreditierungsstelle bei der<br />

über 80 % aller amerikanischen Gesundheitsunternehmen (insgesamt über 19.000)<br />

akkreditiert sind, im Jahr 2001 zusätzliche Patient Safety and Medical/Health Care<br />

Error Reduction Standards entwickelt, die insbesondere auf Patientensicherheit und<br />

<strong>Risikomanagement</strong> abzielen. Diese fordern z.B. die Einführung eines integrierten<br />

unternehmensweiten Programms zur Verbesserung der Patientensicherheit, das von<br />

einzelnen qualifizierten Mitarbeitern oder einer interdisziplinären Gruppe geleitet<br />

wird, die speziell für diese Aufgaben von der Führung des Krankenhauses benannt<br />

werden. In Großbritannien schreibt der Risk Management Standard der Controls<br />

Assurance Standards des britischen Gesundheitsministeriums für alle britischen<br />

Krankenhäuser vor, dass „an idependently assured risk management system is in<br />

place … which meets NHS and other requirements in respect of managing risk,<br />

hazards, incidents, complains and claims.“ Auch in Australien sind die Krankenhäuser<br />

gemäß der Clinical Risk Management Strategy 2001 des Victorian Department<br />

of Human Services zur Einrichtung eines klinischen <strong>Risikomanagement</strong>s bzw. zum<br />

Ausbau des bereits vorhandenen Systems verpflichtet.<br />

Neben dieser Institutionalisierung des klinischen <strong>Risikomanagement</strong>s spielt auch<br />

der Aufbau eines Berichtssystems für klinische Zwischenfälle (Incident Reporting)<br />

eine bedeutende Rolle. Denn nur eine ausführliche Offenlegung von Zwischenfällen<br />

und Beinahevorkommnissen ermöglicht es, die wirklichen Ursachen der Probleme<br />

aufzudecken und so Empfehlungen zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />

ableiten zu können. In allen drei oben beschriebenen Systemen ist daher die Meldung<br />

von medizinischen Fehlbehandlungen obligatorisch. In Großbritannien wurde<br />

Anfang 2004 von der National Patient Safety Agency sogar das weltweit erste nationale<br />

Berichtssystem eingerichtet, in dem Zwischenfallberichte aus ganz England<br />

und Wales zusammengeführt werden.<br />

Auch für Deutschland zeigen vereinzelte Analysen, dass die Anzahl an medizinischen<br />

Behandlungsfehlern nicht unbeträchtlich ist. So kommt das Robert-Koch-<br />

Institut in seinem Bericht „Medizinische Behandlungsfehler“ zu dem Schluss, dass<br />

in Deutschland von einer Zahl von ca. 40.000 Behandlungsfehler-Vorwürfen pro<br />

Jahr auszugehen ist. Dabei betrifft ein Großteil der Vorwürfe (ca. 60 %) den Ver-<br />

49<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

sorgungsbereich der Krankenhäuser. Da diese Zahl allerdings lediglich die Fälle<br />

betrifft, in denen das Vorkommnis durch eine Klage bekannt geworden ist, ist die<br />

wirkliche Zahl an Adverse Events in deutschen Krankenhäusern wesentlich höher<br />

anzusetzen. Allerdings sind ähnlich bedeutende Maßnahmen zur Verbesserung der<br />

Patientensicherheit wie in den USA, Großbritannien oder Australien hier bisher<br />

ausgeblieben.<br />

2 Die CKM-Risiko-Trendstudie<br />

Um herauszufinden, ob in deutschen Krankenhäusern unabhängig von offiziellen<br />

Vorschriften bereits erste Schritte in Richtung eines systematischen <strong>Risikomanagement</strong>s<br />

unternommen wurden, hat das CKM im Rahmen einer Kurzstudie verschiedene<br />

Erhebungen durchgeführt:<br />

• Analyse der Organisationsstrukturen deutscher Krankenhäuser im Hinblick auf<br />

die Etablierung Risiko beeinflussender Instanzen;<br />

• Analyse von Informationen auf den Internetseiten bzgl. <strong>Risikomanagement</strong>ansätzen;<br />

• Kurzbefragung von Krankenhausmitarbeitern bzgl. ihrer Einschätzung im Hinblick<br />

auf das Risikopotenzial und das Risikobewusstsein in ihrem Haus.<br />

2.1 Ziele der Trendstudie<br />

Ziel der Analyse der Organisationsstrukturen war es, herauszufinden, welches<br />

Risikobewusstsein in medizinischen Einrichtungen unter den Mitarbeitern<br />

existiert und ob bereits offizielle Strukturen des <strong>Risikomanagement</strong>s in deutschen<br />

Krankenhäusern eingerichtet sind. Patientenrisiken nehmen eine große<br />

Bandbreite ein. Bereits die mangelnde Überwachung der Flüssigkeitseinnahme<br />

kann zu Problemen beim Patienten (z.B. Desorientierung; aufsteigende Harnwegsinfektionen)<br />

führen. Weitere Risiken sind z.B. Stürze älterer Patienten oder<br />

das Herausreißen von Kathetern bei verwirrten Patienten. Aber auch ärztliches<br />

oder pflegerisches Fehlverhalten wie z.B. das Übersehen deutlicher Krankheitsanzeichen<br />

im Rahmen der Diagnostik oder die fehlerhafte Durchführung von<br />

Behandlungsprozeduren können zur Schädigungen des Patienten führen. Bei<br />

der Medikamentenversorgung stellen sowohl die Gabe eines falschen Medikaments<br />

als auch eine falsche Dosierung oder der falsche Verabreichungszeitpunkt<br />

eine Gefährdung des Patienten dar. Viele dieser Risiken stellen lediglich kleine<br />

Gefahren für die Patienten dar und bewirken keine oder nur geringe Schäden<br />

bei den Betroffenen. Allerdings bilden diese kleinen Vorkommnisse nach Heinrichs<br />

Gesetz in der Regel nur die statistische Grundlage für spätere große Schadensereignisse.<br />

50


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

Abbildung 2-1: Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff (rechts) und Dr. Conrad Middendorf erläutern die<br />

Grundlagen von Heinrichs Gesetz.<br />

Gerade kleine Fehler oder gefährliche Situationen ohne negative Auswirkungen dürfen<br />

nicht einfach mit der Bemerkung „Noch mal gut gegangen“. Es ist zum Glück<br />

nichts passiert!“ abgetan werden. Denn gemäß Heinrichs Gesetz verläuft zwar der<br />

Großteil der Zwischenfälle (300) ohne Verletzung, allerdings bilden diese 300 Fälle<br />

die statistische Basis für 29 Zwischenfälle mit leichten Schädigungen der Betroffenen<br />

sowie für einen Fall mit katastrophalen Folgen. Beinahe-Vorkommnisse sind<br />

daher wichtige Frühwarnindikatoren, die eine besondere Beachtung verdienen, um<br />

ernsthafte Vorfälle zu vermeiden, so Wilfried von Eiff und Conrad Middendorf vom<br />

Centrum für Krankenhaus-Management der Universität Münster.<br />

Insbesondere die Maßnahmen und Erfahrungen aus den anderen Ländern zeigen,<br />

dass die Einrichtung einer Stelle/Abteilung „<strong>Risikomanagement</strong>“ in einem ersten<br />

Schritt einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit leisten<br />

kann. Klare Verantwortlichkeiten und eine entsprechende Zuteilung von Kompetenzen<br />

sowie von personellen und zeitlichen Ressourcen ermöglichen eine intensive<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema Patientensicherheit. Patientensicherheit wird<br />

51<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

somit zu einem zentralen Element im Zielsystem des Krankenhauses. Darüber hinaus<br />

ist es wichtig, die Verpflichtung jedes Mitarbeiters, zur Patientensicherheit aktiv<br />

beizutragen, im Wertesystem (Unternehmenskultur) zu verankern und im Anreizsystem<br />

(Belohnung, Entgelt, Fringe Benefits, ...) abzubilden.<br />

Eine stichprobenartige Analyse von 30 Organigrammen deutscher Krankenhäuser<br />

ergab, dass bisher in keinem Haus eine offizielle, d.h. auch in dieser Form ausgewiesene,<br />

Position des <strong>Risikomanagement</strong>s eingerichtet ist. Dagegen war in 53 %<br />

der betrachteten Häuser eine Stelle Qualitätsmanagement im Organigramm aufzufinden.<br />

Dies ist insofern bemerkenswert, als Qualitäts- und <strong>Risikomanagement</strong><br />

in der Praxis mit völlig anderen Werten belegt werden. Qualitätsmanagement ist<br />

positiv belegt und gilt als schrittweise Veränderung von Strukturen und Abläufen<br />

im Hinblick auf die Definition von Qualitätsstandards, Durchführung von Qualitätszirkeln,<br />

Weiterbildungsmaßnahmen etc.. Qualitätsmanagement will aktiv<br />

Zufriedenheit erzeugen. <strong>Risikomanagement</strong> dagegen ist negativ belegt und wird<br />

assoziiert mit „Schaden“, „Blamage“, „Kunstfehlerklage“ und „Abmahnung“.<br />

<strong>Risikomanagement</strong> führt auch nicht zu einer höheren Zufriedenheit, sondern hilft<br />

lediglich Unzufriedenheit zu vermeiden.<br />

Zurückzuführen ist dieser eher bescheidene Stellenwert des <strong>Risikomanagement</strong>s<br />

auf die in unserer Gesellschaft vorherrschende „Fehlerkultur vom Typ A“: Fehler<br />

werden Personen zugeordnet und diese Personen werden bestraft. Die Folgen für<br />

Organisation und Zusammenarbeit sind katastrophal: Fehler werden vertuscht,<br />

Fehler begünstigende Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen nicht abgestellt. Auf<br />

der anderen Seite lassen sich Mitarbeiter viel eher davon überzeugen, ihr Verhalten<br />

aufgrund von potenziellen Risiken zu verändern. Qualitätsanforderungen üben<br />

dagegen bei weitem nicht den psychologischen Druck aus, der notwendig ist, um<br />

jahrelang eingefahrenes Verhalten zu verändern.<br />

2.2 Analyse der Internetauftritte<br />

Zur weiteren Analyse wurden die Internetseiten von 60 Kliniken im Hinblick<br />

auf Inhalte oder Erläuterung zu Ansätzen des <strong>Risikomanagement</strong>s untersucht.<br />

Lediglich 5 % der Häuser gaben explizit an, dass <strong>Risikomanagement</strong> im Rahmen<br />

des Qualitätsmanagements stattfindet. In weiteren 3 % der Stichprobe ging aus<br />

den auf der Internetseite veröffentlichten Unterlagen und Informationen hervor,<br />

dass Elemente des <strong>Risikomanagement</strong>s (z.B. Erfassung von Zwischenfällen/<br />

Vorkommnissen oder der Einsatz von Instrumenten des Fehlermanagements) eingesetzt<br />

werden. Darüber hinaus verwiesen zwei Häuser darauf, die Absicherung<br />

52


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

gegen technische Störungen sowie die Meldung von Zwischenfällen nach den<br />

Anforderungen des § 29 MPG zu erfüllen. Ein Haus gab an, <strong>Risikomanagement</strong><br />

im Sinne des KonTraG zu betreiben, was natürlich nichts mit klinischem <strong>Risikomanagement</strong><br />

zu tun hat und vom „Kerngeschäft: Patientenversorgung“ weit entfernt<br />

ist. Insgesamt enthielten aber ca. 87 % der analysierten Krankenhaus-Homepages<br />

keinerlei Angaben zum Thema <strong>Risikomanagement</strong> und dem systematischen<br />

Umgang mit Patientenrisiken.<br />

2.3 Analyse des Risikobewusstseins<br />

Weiterhin wurden 92 Mitarbeiter aus 22 deutschen Krankenhäusern befragt, um<br />

eine erste Einschätzung der Risikosituation aus Sicht der Krankenhausbeschäftigten<br />

zu erhalten. Dabei kam heraus, dass über die Hälfte der Befragten (59 %) die<br />

Organisation und Wirksamkeit des <strong>Risikomanagement</strong>s in ihrem Haus als „verbesserungsbedürftig“<br />

bzw. „nicht vorhanden“ beurteilt. Lediglich 10 % der Befragten<br />

schätzten das <strong>Risikomanagement</strong> in ihrem Haus als „gut“ ein. Die übrigen Teilnehmer<br />

beurteilten die Risikoabsicherung in ihrem Haus als „zufrieden stellend“. Das<br />

wichtigste bzw. größte Risikofeld stellen dabei aus Sicht der Befragten medizinische<br />

und pflegerische Behandlungsfehler dar (42 %). Aber auch Bau, Technik und<br />

Brandschutz (16 %) sowie die Krankenhausorganisation (15 %) weisen aus ihrer<br />

Sicht Risikopotenziale auf.<br />

Über ein Zwischenfallberichtssystem für medizinische und pflegerische Zwischenfälle<br />

verfügt noch nicht einmal jedes zweite der beteiligten Krankenhäuser. Im<br />

medizinischen Bereich bejahten lediglich 36 % die Frage nach der Existenz eines<br />

solchen Systems, im pflegerischen Bereich immerhin bereits 45 %. Dabei sind<br />

die Erfahrungen der Kliniken, die bereits ein solches Zwischenfallberichtssystem<br />

eingerichtet haben, zum großen Teil positiv. In vielen dieser Häuser hat sich die<br />

Unternehmenskultur merklich verändert, so dass die Mitarbeiter dort bereit sind,<br />

offen über Risken zu sprechen und Fehler aktiv zu melden. Im Hinblick auf das<br />

Auftreten von Schadensfällen hat sich in daher auch in ca. 75 % der Krankenhäuser<br />

der Umgang mit Fehlern und die Art und die Schnelligkeit der Reaktion auf Fehler<br />

deutlich verändert: Rufschädigende gerichtliche Auseinandersetzungen konnten<br />

vermieden werden, Patienten wurden schnell und offensiv informiert, interne Fehleranzeigen<br />

erfolgten nach einem standardisierten Organisationsablauf und führten<br />

zur Vermeidung gleicher bzw. ähnlicher Fehler in Zukunft. Allerdings hat sich auch<br />

in ca. 25 % der Krankenhäuser keinerlei Veränderung des Risikoverhaltens ergeben.<br />

Offenbar wurde es in diesen Fällen versäumt, mit der Einführung des Incident<br />

Reportings auch die Anreizsysteme zu verändern.<br />

53<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

Im Hinblick auf die Auswirkungen der Risikoorganisation des Hauses hat die Einführung<br />

des Incident Reporting in vielen Häusern nur sehr wenig bewirkt. Die eher<br />

allgemein gültigen und sehr oberflächlichen Antworten zeigen, dass eine wirkliche<br />

Verbesserung der Risikoorganisation im Sinne eines systematischen Ansatzes selbst<br />

in diesen Häusern nicht erkennbar ist. Schulungen im Bereich des <strong>Risikomanagement</strong>s<br />

finden statt, aber sie sind in den meisten Fällen punktuell veranlasst, d.h.<br />

durch den Eintritt eines konkreten Schadensfalles. Darüber hinaus ist erkennbar,<br />

dass die Schulungsinhalte verschwommen sind, weil offenbar kein risikobezogenes<br />

Curriculum existiert. Außerdem ist anscheinend die Schulung von Mitarbeitern ein<br />

beliebtes Instrument, um einerseits nachzuweisen, dass man risikobewusst ist, aber<br />

gleichzeitig in den organisatorischen Abläufen zu keiner Veränderung bereit ist. Es<br />

wird geschult, um das Gewissen zu beruhigen und nicht um wirklich organisatorische<br />

Veränderungen voranzutreiben: der typische Aktionismus ohne wirkliche zielorientierte<br />

Änderung. Schulungen sind ein Mittel zur Beherrschung der Abläufe im<br />

bestehenden System und nicht ein Mittel der Organisationsentwicklung. Hier besteht<br />

ein großer Bedarf, Schulungsmaßnahmen anforderungsgerecht zu gestalten.<br />

Bemerkenswert ist auch, dass das Risikobewusstsein bzw. Risikoempfinden<br />

unterschiedlich ist, und zwar in Abhängigkeit von Berufsbild, Berufserfahrung<br />

und hierarchischer Stellung. Geschäftsführung und Verwaltungsleitung sehen die<br />

Priorität auf dem <strong>Risikomanagement</strong> im Bereich des KonTraG, also im Bereich<br />

der wirtschaftlichen Unternehmensführung fernab vom Kerngeschäft. Ärzte und<br />

Pflegekräfte dagegen beziehen die Risiken aus ihrer Sicht primär auf den Patienten<br />

im Sinne von klinischen Behandlungsfehlern. Allerdings sehen insbesondere Ärzte<br />

ihre Pflicht im Hinblick auf die Patientensicherheit oft bereits dann als erfüllt an,<br />

wenn sie an Maßnahmen der Qualitätssicherung, z.B. der Bundesgeschäftsstelle<br />

Qualitätssicherung, teilnehmen. Diese sind aber resultatsbezogen und stellen somit<br />

lediglich eine ex post Betrachtung dar, ein prospektives Vermeiden von Risiken<br />

wird nicht ermöglicht.<br />

Die obigen Ergebnisse geben natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des deutschen<br />

Krankenhauswesens wieder und können keinen Anspruch auf Repräsentativität<br />

erheben. Dennoch zeigen sie deutlich, dass in Deutschland anscheinend noch<br />

ein erhebliches Defizit im Hinblick auf das klinische <strong>Risikomanagement</strong> besteht.<br />

Sicherlich werden in vielen Kliniken Maßnahmen des <strong>Risikomanagement</strong>s im Rahmen<br />

des Qualitätsmanagements durchgeführt, denn schließlich besteht gem. § 137<br />

SGB V eine Verpflichtung zu Maßnahmen der Qualitätssicherung (z.B. im Bereich<br />

der Aortenklappenchirurgie, der Herztransplantation oder der Knie-Totalendopro-<br />

54


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

these). Von der Implementierung eines umfassenden <strong>Risikomanagement</strong>systems im<br />

Sinne eines systematischen <strong>Risikomanagement</strong>prozesses mit den Stufen Risikoidentifikation,<br />

-analyse, -bewertung, -bewältigung und -steuerung von Patientenrisiken<br />

auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Krankenhauses sind sie jedoch<br />

noch weit entfernt.<br />

Risikoinstrumente wie z.B. Risikobilanzen, Risiko-Dashboards, Fault Tree Analysis,<br />

FMEA, etc. werden von keinem der untersuchten Krankenhäuser angewendet,<br />

um vorausschauend Fehler und Fehlerkonsequenzen zu erkennen. Ebenso besteht<br />

bisher in deutschen Krankenhäusern ein Mangel an Transparenz darüber, welche<br />

Folgekosten aus Adverse Events für die Krankenhäuser resultieren können. So<br />

können z.B. im Fall eines Patientensturzes mit einer Knochenfraktur als Folge und<br />

evtl. sogar der Notwendigkeit einer Prothesenimplantation schnell einige tausend<br />

Euro zusammenkommen. Noch nicht, berücksichtig sind dabei die Auswirkungen<br />

der Rufschädigung sowie evtl. gerichtlicher Klagen.<br />

2.4 Internationale Best Practices<br />

Gezielte Projekte, die zu Best Practices im Sinne eines angewandten, vorausschauenden,<br />

auf die Vermeidung von Fehlerereignissen gerichteten <strong>Risikomanagement</strong>s<br />

führen, sind verstärkt im angelsächsischen Ausland, aber punktuell auch in<br />

Deutschland zu finden.<br />

In den USA, wo Klagen aufgrund von Behandlungsfehlern um exorbitante Summen<br />

ausgefochten werden und wo sich mehr und mehr Anwälte auf „Schadensereignisse<br />

während oder verursacht durch den Krankenhausaufenthalt“ spezialisieren, ist<br />

z.B. das Hospitalist-Konzept entstanden. Ein Arzt als Patientenkoordinator steuert<br />

den Patienten während seines gesamten Aufenthaltes und sorgt dafür, dass organisatorisch<br />

jede Maßnahme erfolgt, die erforderlich ist, um Adverse Events zu<br />

vermeiden.<br />

Im japanischen Kameda Hospital kommt ein Risk Dashboard zum Einsatz: Diese<br />

konzentrierte Kennzahlenübersicht zeigt dem medizinischen und kaufmännischen<br />

Management, welche risikorelevanten Veränderungen sich in verschiedenen Bereichen<br />

des Krankenhauses innerhalb von 24 Stunden ergeben haben. Die verwendeten<br />

Kennzahlen sind bewusst so ausgewählt, dass Veränderungen, die sich abends<br />

um 23 Uhr eingestellt haben, morgens um 7.30 Uhr in der täglichen (!) Frühbesprechung<br />

(unter regelmäßiger Beteiligung des kaufmännischen Direktors) analysiert<br />

werden; Gegenaktionen werden unverzüglich gestartet.<br />

55<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

In Großbritannien führen verschiedene Krankenhäuser bereits umfangreiche Schadensdatenbanken,<br />

anhand derer sich potenzielle Risiken finanziell bewerten lassen.<br />

Gespeist wird die Datenbank aus Behandlungsfehlerklageprozessen der Vergangenheit,<br />

bei denen ein bestimmter Fehler eine bestimmte Patientenschädigung<br />

verursacht hat, was zu einer Schadensersatzzahlung führte und eine Anhebung der<br />

Versicherungsprämie zur Folge hatte. Jede auf diese Weise erarbeitete Fehlerkategorie<br />

kann dann mit einem Erwartungswert, bestehend aus Fehlereintrittswahrscheinlichkeit<br />

und Fehlerkosten (also der Schadenssumme) versehen werden. Auf<br />

Basis dieser Informationen werden dann Prioritätslisten und Maßnahmenfelder für<br />

das <strong>Risikomanagement</strong> abgeleitet.<br />

Auch im Alexandra Hospital in Singapur wurde ebenso wie im britischen Chelsea<br />

& Westminster Hospital in London ein Vorschlagswesen für Patienten eingerichtet.<br />

Im Gegensatz zum eher retrospektiven Beschwerdemanagement werden die Patienten<br />

durch dieses Vorschlagswesen aktiv aufgefordert, ihre Ideen zur Verbesserung<br />

der Behandlungsabläufe einzubringen und somit zur Erhöhung der Patientensicherheit<br />

beizutragen.<br />

Im Franziskus Hospital Münster werden insbesondere bei betagten bzw. hochbetagten<br />

Patienten (insgesamt ca. 750 Personen pro Jahr; steigende Tendenz) bereits bei der<br />

Aufnahme erste Maßnahmen zur Prophylaxe des postoperativen Delirs eingeleitet.<br />

Die Prävalenz des Delirs liegt bei Routineoperationen wie z.B. einer hüftgelenksnahen<br />

Fraktur bei über 65-jährigen Patienten zwischen 44 und 61 %. Während dieser<br />

Phase der Desorientierung, Unsicherheit und Unruhe sind die Patienten besonders<br />

anfällig für Stürze oder Verletzungen durch das Herausziehen des Blasenkatheters<br />

oder der Venenzugänge. Zu diesem Zweck wurden in Rahmen eines von der Bundesregierung<br />

geförderten Projektes qualifizierte Altenpflegerinnen eingestellt, die diesen<br />

Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung buchstäblich „zur Seite stehen“. Ziel<br />

ist es, den Patienten durch diese intensive Betreuung die Unruhe vor und nach der<br />

Operation zu nehmen. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Prävalenzrate für das Delir<br />

im Franziskus Hospital bei lediglich 5,5 % liegt, während die Angaben in der Literatur<br />

stets bei über 10 % liegen. Darüber hinaus ist man sich sicher, dass durch diese<br />

Maßnahme eine Reihe von ernsthaften Patientenverletzungen aufgrund des Delirs<br />

innerhalb des Krankenhauses vermieden werden können, so dass man auch von einer<br />

finanziellen Vorteilhaftigkeit der prophylaktischen Betreuung ausgeht.<br />

Ein gutes Beispiel für ein vorbeugendes <strong>Risikomanagement</strong> gegen Patientenstürze,<br />

Schadensersatzhandlungen und Beschädigung des Markenimages zeigt auch das<br />

56


Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

St. Joseph´s Hospital in Phoenix, USA. Denn „das Presseklima ist ruppiger geworden<br />

und die Berichterstattung deutlich am Negativbeispiel orientiert“, stellte Anne<br />

Abke, Director Risk Services im St. Joseph´s Hospital in Phoenix, USA verärgert<br />

fest. „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute – zumindest für Presse und Fernsehen.“<br />

Stürze von Patienten schlagen in der Minderleistungsstatistik eines Krankenhauses<br />

besonders zu Buche, da sich eine Reihe von Rechtsanwälten auf derartige<br />

Verfahren spezialisiert hat. Ein gestürzter Patient verursacht direkte Kosten in<br />

Form von Liegezeitverlängerung, Schmerzensgeld oder Folgeoperationen zulasten<br />

des Krankenhauses. Viel schmerzlicher aber stellt sich für das Krankenhaus die<br />

Verschlechterung der Markenimages in der Region Phoenix dar, die als ähnlich<br />

wettbewerbsintensiv bekannt ist wie Kalifornien.<br />

Aus diesem Grund wurde das „Fall Busters Program“ ins Leben gerufen. Es ist als<br />

systematische Vorgehensweise des vorbeugenden <strong>Risikomanagement</strong>s anzusehen,<br />

das durch die konsequente Anwendung bewährter Verfahren des Qualitätsmanagements<br />

besticht. Ziel ist es die Ursachen für die Stürze zu analysieren, um so frühzeitig<br />

präventive Maßnahmen einleiten zu können. Wichtig dabei ist zwischen Fehlersymptomen,<br />

Ursachen „auf den ersten Blick“ und den wirklichen Ursachen (den<br />

Root Causes) zu unterscheiden. Eine Methode die hilft, strukturiert die wirklichen<br />

Ursachen eines Problems aufzudecken, ist die Fault Tree Analysis (Fehlerbaumanalyse).<br />

Ein Fault Tree ist eine grafische Darstellung der logischen Zusammenhänge<br />

zwischen Fehlern und den daraus entstehenden Ereignissen. Ausgehend von einem<br />

unerwünschten Ereignis, hier z.B. der Sturz eines Patienten aus dem Bett, findet<br />

das Fehlerbaummodell alle möglichen Einzelrisiken oder Risikokombinationen, die<br />

ursächlich für dieses Ereignis sein können oder zu diesem beitragen.<br />

Abbildung 2-2: Fehlerbaum zur Analyse möglicher Ursachen für einen Patientensturz aus dem Bett.<br />

Patient was not<br />

identified as fall risk<br />

Patient falls out of bed<br />

Side rails not up Call light not used<br />

Staff did not follow<br />

care plan<br />

OR<br />

OR AND<br />

Patient confused<br />

Urinary frequency<br />

and incontinence<br />

57<br />

1.1


1.1 Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

Abbildung 2-2 zeigt einen Ausschnitt aus dem Fehlerbaum zur Analyse potenzieller<br />

Ursachen von Patientenstürzen aus dem Bett. Eine der Ursachen für einen<br />

Patientensturz kann sein, dass keine Bettgitter angebracht und somit keine entsprechenden<br />

Sicherungen vorhanden war. Hierfür können wiederum zwei Gründe<br />

ursächlich sein. Entweder wurde der Patient nicht als sturzgefährdet eingestuft oder<br />

nicht entsprechend der internen Pflegepläne versorgt, die für Risikopatienten die<br />

Anbringung von Bettgittern vorsehen. Auf der anderen Seite kann es aber auch<br />

vorkommen, dass ein Patient dennoch aus dem Bett fällt, obwohl die Bettgitter<br />

angebracht wurden. Nämlich dann, wenn er selbstständig versucht, trotz der Gitter<br />

sein Bett zu verlassen, anstatt eine Pflegekraft zur Hilfe zu rufen. Diese Situation<br />

tritt insbesondere dann auf, wenn die Patienten aufgrund eines hohen Harndrangs<br />

häufig zur Toilette müssen und darüber hinaus noch geistig verwirrt sind.<br />

Im Universitätskrankenhaus University of Virginia Health System in Charlottesville,<br />

USA wird vor jeder einzelnen Operation unter Beteiligung aller OP-Mitarbeiter<br />

einen Konsensbesprechung im Hinblick auf die bevorstehende Prozedur durchgeführt,<br />

um Eingriffe an falschen Organen/Extremitäten zu vermeiden.<br />

3 Fazit<br />

<strong>Risikomanagement</strong> ohne Anpassung des Anreizsystems, ohne Bereitschaft zur<br />

Festlegung von Standards bei Medikalprodukten, Medikamenten und klinischen<br />

Behandlungspfaden, ohne Veränderung der Fehlerkultur, ohne ernsthaften Einsatz<br />

von Risiko-Tools (z.B. FMEA) und Risiko-Erhebungs-Ritualen (Incident Reporting),<br />

ohne Bereitschaft, über Near Misses zu reden, verfehlt sein Ziel und ist weitgehend<br />

wirkungslos. Nur durch den systematischen Einsatz dieser Elemente kann<br />

ein wirkungsvolles <strong>Risikomanagement</strong> zur Verbesserung der Patientensicherheit<br />

erreicht werden.<br />

Das größte Hindernis auf dem Weg zu einem angemessenen <strong>Risikomanagement</strong><br />

ist und bleibt die Unternehmenskultur: Solange Fehler bestraft werden, werden<br />

sie vertuscht; solange über Beinahe-Unfälle nicht berichtet wird, ergibt sich im<br />

Bewusstsein der Beteiligten keine Notwendigkeit, das System, die Abläufe und das<br />

Verhalten zu verändern. Und: solange die Anreizmechanismen das Risikoverhalten<br />

und Beiträge zur Risikovermeidung nicht explizit beinhalten, werden sich die Mitarbeiter<br />

nicht veranlasst fühlen, ihre Angst vor Fehlern abzulegen.<br />

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Klinisches <strong>Risikomanagement</strong> – CKM Trendstudie<br />

zur Umsetzung in deutschen Krankenhäusern<br />

4 Literatur<br />

Institute of Medicine (Hrsg.), To err is human: building a safer health system,<br />

Washington, USA, 2000.<br />

Institute of Medicine (Hrsg.), Crossing the Quality Chasm: A New Health System<br />

for the 21st Century, Washington, USA, 2001.<br />

Department of Health (Hrsg.), An organisation with a memory – Report of an<br />

expert group on learning from adverse events in the NHS, Norwich, UK, 2000.<br />

Department of Health (Hrsg.), Doing Less Harm – the safety and quality of care<br />

through reporting, analysing and learning from adverse incidents involving NHS<br />

patients—Key requirements for health care providers, London, UK, 2001.<br />

Victorian Government Department of Human Services (Hrsg.), Improving Patient<br />

Safety in Victorian Hospitals, Victoria, Australia, 2000.<br />

von Eiff, W. (Hrsg.), International Hospital Comparison – Best Practices in Hospital<br />

Management, Volume 6, Gütersloh 2002.<br />

59<br />

1.1

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