Siegelwelt-Chroniken - von Beate Weirich

„Da, schau mal!“, jubelte Bolle. Die niedrige Mauer am Eingang war zu
einem Staudamm geworden, über den das Wasser im breiten Schwall
hinabdonnerte. Ein feuriger Widerschein von draußen schien die Gischt
in glühende Lava zu verwandeln.
Bolle deutete zum Himmel. „Hast du jemals so einen schönen
Sonnenaufgang gesehen?“
„Verdammt! Ist es schon so ...“ spät, hatte Knut noch sagen wollen, als er
plötzlich auf etwas Kantiges trat, das unter seinem Fuß wegrutschte.
Sein Bündel klatschte ins Wasser, während er mit beiden Armen
ruderte, um den Stand nicht zu verlieren. Etwas prallte gegen seine
Kniekehlen, und bevor Knut mit einem entsetzen Schrei in den Wellen
versank, sah er noch, wie Bolles Motorradstiefel gefolgt von seiner
zusammengeknoteten Lederjacke über die Staumauer schossen. Er sah
sich schon auf dem gleichen Weg in den Abgrund stürzen, doch im
nächsten Moment fühlte er sich am Kragen gepackt und unsanft an die
Wasseroberfläche gezerrt.
„Das waren deine Stiefel“, prustete Knut, kaum dass er wieder Luft
geschnappt hatte. „Und meine Jacke und ...“
Doch Bolle schien ihm gar nicht zuzuhören. „Schau mal!“ Seine Stimme
klang andächtig.
„Ich weiß“, maulte Knut, „der Sonnenaufgang.“
„Nein, da!“ Bolle deutete auf einen gleißenden Splitter, der sich in einer
Felsnische direkt über dem Eingang verfangen hatte.
„Ist das ...?“ Behutsam angelte Knut ein fingernagelgroßes Plättchen aus
der Nische und gab es seinen Freund. „Der Scanner ist natürlich auch
fortgeschwommen. Ich wüsste zu gerne, ob das tatsächlich ...“
„Dafür brauchst du keinen Scanner.“ Im Licht der Sonne schimmerte das
schuppenförmige Plättchen wie Glut aus einem Lagerfeuer von Josses
Clan. „Das ist tatsächlich Gold. Ich kann es riechen.“
„Dann ist ja wenigstens deine Drachenschuppe wieder da“, stellte Knut
mit einem schiefen Grinsen fest.
„Die ist für dich.“ Feierlich überreichte ihm Bolle das Goldplättchen.
„Wer solche Freunde hat wie du, braucht vielleicht auch mal ein
Wunder.“
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