Siegelwelt-Chroniken - Der Anfang / von Beate Weirich
Der Anfang einer neuen Zeit https://tintenweberei.com
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und das Brüllen der Maschinen, die den Leib der Erde aufrissen, damit<br />
der Strom der Reichtümer niemals versiegen sollte. Als ich glaubte,<br />
nichts weiter ertragen zu können, führte mich die Erdmutter zu dem<br />
mächtigen Drachen, der seit alters her ihr Gefährte und Hüter gewesen<br />
war.<br />
Zauberkundige Männer hatten ihn in Ketten gelegt, als die vierte Welt<br />
der Trennung aus den Trümmern der dritten Welt des Wassers<br />
hervorgegangen war und er hatte so tief geschlafen, dass ihn selbst die<br />
Bewahrer des alten Wissens für tot gehalten hatten. Mit dem Beginn<br />
der neuen Zeit war er jedoch erwacht und er blickte mich aus großen<br />
regenbogenfarbenen Augen an.<br />
„Die Zeit des Wandels ist nah.“ Seine Stimme hallte in meinem Blut und<br />
meinen Knochen wider. „Ich kann sehen, was dein Volk tut, aber ich kann<br />
nicht mehr in euren Herzen lesen. Sag du mir, ob das<br />
Menschengeschlecht inzwischen erwachsen geworden ist und aus freiem<br />
Willen über die Schwelle zwischen den Zeiten tritt oder ob ich die Erde<br />
noch einmal reinigen muss.“<br />
Ich stand vor diesem herrlichen Wesen und zitterte wie Espenlaub. Ich<br />
war doch noch ein Kind und wusste nicht viel <strong>von</strong> dem Spiel, das die<br />
Erwachsenen Politik nannten. Was hätte ich ihm <strong>von</strong> den Kriegen<br />
erzählen sollen, in denen mehr Frauen, Kinder und Alte ums Leben kamen<br />
als Soldaten? Oder <strong>von</strong> den Regenwäldern, die unserer Gier zum Opfer<br />
gefallen waren? Oder <strong>von</strong> den Tieren und Pflanzen, die es nicht mehr<br />
gibt, weil wir ihre Lebensräume zerstört haben.<br />
„Habt ihr wirklich so wenig gelernt?“ fragte er und ich erschrak, weil er<br />
wusste, was ich gedacht hatte.<br />
„Lass uns noch ein bisschen Zeit“, bat ich. „Die Menschen werden ihre<br />
Fehler erkennen und alles wieder gutmachen, was sie angerichtet haben.“<br />
<strong>Der</strong> Drache sah mich lange an und nickte schließlich.<br />
„Es ist, wie es ist und es kommt, was kommen muss. Die Entscheidung<br />
liegt weder bei mir noch bei dir. Kehr zurück zu deinen Brüdern und<br />
Schwestern. Teile dein Leben mit ihnen und vergiss nicht, dass ich in<br />
deinem Herzen lesen kann, Moira. Wenn in dir die Hoffnung auf eine<br />
bessere Welt gestorben ist, weiß ich, dass die Zeit der Reinigung<br />
gekommen ist.“<br />
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