Der Suppensee

um dann wieder freundlich lächelnd mit dem Sack anzurücken. Nach einem Monat haben die
Kinder es endlich gerafft, zumal sich das Spielzeug sowieso auf wundersame Weise stark
dezimiert hat und es gibt kaum mehr Probleme beim täglichen Aufräumen. Sie gehen als Sieger aus
dieser Schlacht hervor und das ist ein gutes Gefühl. Es macht Ihnen Mut, das letzte
schwerwiegende Problem anzugehen. Dem Genörgel am Essen.
Dafür haben Sie sich eine ganz besonders Strategie überlegt. Sie zeigen ungeheure Phantasie und
machen ein Abenteuer aus jeder Mahlzeit, erfinden die erstaunlichsten Geschichten, die gerade von
diesem Essen handeln. Aus längst vergangener Zeit, mit glorreichen Helden, deren Leibgericht
gerade auf dem Tisch steht. Es geht dabei nicht nur ums Abenteuer. Sie erfinden für jedes Essen
einen neuen Namen. Die Kinder sind auf dem Spielplatz und es ist noch ungefähr eine halbe Stunde
bis zum Abendbrot. Sie machen kleine Schnittchen mit Wurst und Käse, drapieren sie kunstvoll zu
einem Berg auf dem größten Teller, der sich finden lässt und garnieren jedes Häppchen mit einem
Miniatur-Plastiksäbel. Dazwischen verstecken Sie Radischen, in Scheiben geschnittene Salatgurke
und Tomatenschnitze. Sie rufen die Kinder und nach dem Händewaschen präsentieren Sie Ihr
Piratenmahl. Es kommt prima an.
Der Sandwichmaker verhilft zu einer neuen Variante. Es gibt Toast amerikanisch. Alles, was
irgendwie amerikanisch ist, ist sowieso klasse, besonders dann, wenn es unter einem gewaltigen
Schwups Ketchup verschwindet.
Simple Tomatensoße gibt es schon lange nicht mehr. Sobald sich kleingeschnittene Dosen-Wiener
darin finden lassen, sind das Spaghetti à la Mama. Fischstäbchen mit Kartoffelbrei sind out.
Stattdessen gibt es Haifisch im Kartoffelberg. Putenschnitzel mit Pommes sind schlichtweg
langweilig. Dafür gibt es Stäbchenkartoffeln mit Dinosteaks. Milchreis darf unter keinen
Umständen als solcher angeboten werden. Schließlich handelt es sich hier um Mandarinen im
Packeis. Rippchen mit Kraut sind eklig, aber Ferkel unterm Heuhaufen spitze.
Genau so ist es mit Eintopf oder Suppe. Das ist alles widerlich. Bis man auf die Idee kommt,
Fische darin zu suchen. Karotten sind der orange Suppendümpler, Kartoffeln entpuppen sich als
gelblicher Würfelbarsch, Lauch ist der grüne Schnapphering, Erbsen sind der giftgrüne Kugelfisch,
Sellerie geht locker als weißer Hai durch, Blumenkohl ist der helle Korallenhüpfer, Brokkoli der
hellgrüne Palmenschrubber und Kohlrabi ist der weiße Schimmerling. Urplötzlich gibt es kaum
besseres, als Eintopf oder Suppe.
Das ist zweifelsohne die Geburtsstunde des Suppensees.
©Nicky P. Satl
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