02.08.2017 Aufrufe

Open Office – Ein Aufruf zur Freiheit

Ein Projekt über das Suchen und das Finden – in dem Bedürfnis nach Freiheit. In ihrem Abschlussprojekt „Open Office“ untersucht die Medienkünstlerin Marie-Christin Stephan die Wechselbeziehung von Inspiration und Räumlichkeit. Dabei geht es neben physischen Orten, auch um mentale Dimensionen von Denk- und Wahrnehmungsmustern in der Alltags- und Arbeitswelt. Ihre Recherche wirft Paarungen von Ambivalenzen auf, die nicht nur Inhalt, sondern auch Strukturgeber dieser Arbeit sind. Sie zeichnen den Spagat zwischen Arbeits- und Privatleben, Kreationsprozessen und verschobenen Räumlichkeiten, gesellschaftlicher Erwartungshaltung und dem Verlangen nach künstlerischer Freiheit.

Ein Projekt über das Suchen und das Finden – in dem Bedürfnis nach Freiheit.

In ihrem Abschlussprojekt „Open Office“ untersucht die Medienkünstlerin Marie-Christin Stephan die Wechselbeziehung von Inspiration und Räumlichkeit. Dabei geht es neben physischen Orten, auch um mentale Dimensionen von Denk- und Wahrnehmungsmustern in der Alltags- und Arbeitswelt.

Ihre Recherche wirft Paarungen von Ambivalenzen auf, die nicht nur Inhalt, sondern auch Strukturgeber dieser Arbeit sind. Sie zeichnen den Spagat zwischen Arbeits- und Privatleben, Kreationsprozessen und verschobenen Räumlichkeiten, gesellschaftlicher Erwartungshaltung und dem Verlangen nach künstlerischer Freiheit.

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Inspiration<br />

&<br />

Räumlichkeit<br />

<strong>Open</strong> <strong>Office</strong><br />

<strong>Ein</strong> <strong>Aufruf</strong> <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>


<strong>Ein</strong> <strong>Aufruf</strong> <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>


Inspiration<br />

Räumlichkeit


Inspiration<br />

<strong>Ein</strong> Vorwort<br />

Gegen Pol von Marie-Christin Stephan<br />

Räumlichkeit<br />

Zwei Pole<br />

zu <strong>Ein</strong>em<br />

Zwei Begrifflichkeiten, zueinander gesetzt gleich<br />

dem Nord- und dem Südpol. Stets in Bewegung, in<br />

Veränderung befindlich, sich voneinander unterscheidend<br />

und doch seit dem Ursprung durch einen<br />

heißen Schmelzkern miteinander verwoben. Bedingen<br />

sie sich gegenseitig, sind nicht voneinander zu<br />

trennen, ohne in Zerstörung das Nichts <strong>zur</strong>ückzulassen.<br />

<strong>Ein</strong> Aufheben von dem, was existiert, was<br />

uns die Welt begreiflich macht, Äußeres zu Innerem<br />

werden lässt, uns bestimmt und darauf wartet, bestimmt<br />

zu werden.<br />

Sich auf einem der Pole zu befinden, kann Weitblick<br />

oder Depression, Ausblick oder <strong>Ein</strong>blick bedeuten.<br />

Ambivalenz, die aufs Glatteis führt.<br />

Bedingungen, die in Abhängigkeit zueinander stehen.<br />

Inspiration und Räumlichkeit. Zwei Pole, die<br />

in einem Kern zusammentreffen und Absplitterungen<br />

von Paaren ergeben. Tiefe Spalten aufwerfen,<br />

deren Landarme Untiefen überbrücken, deren<br />

Stillstand Wechsel ermöglicht und deren Bewegung<br />

Entschleunigung fordert. Räume zu Räumlichkeit<br />

werden lässt. Deren natürliche Wahrheit<br />

Zeit, Raum, Objekt und Mensch in empfindbare<br />

Beziehungen zueinander setzt.<br />

Jene Beziehungen sind es, die diese Publikation zu<br />

ergründen versucht. Keine winkelgenaue Kartographie<br />

steiniger Landstriche voller Stolpersteine oder<br />

vereister Gedankenpole. Keine Vermessung von<br />

Sitzhöhe und Fensterbreite. Keine Zeitrechnung<br />

von Arbeitsweg, Überstunden und Fehlversuchen.<br />

Sondern vielmehr eine Sammlung magnetischer<br />

Gegensätze, deren tägliches Aufeinanderprallen<br />

den Alltag des Kreativen zeichnet.<br />

Nicht messbar. Erfahrbar und doch nur begreiflich,<br />

setzt man Weite ihre Grenzen. Grenzen,die ihre<br />

<strong>Freiheit</strong> in Grenzenlosigkeit wiederfinden. Vier<br />

Wände. <strong>Ein</strong>e Tür, viele Fenster, Schaltkreise, Schallwellen,<br />

IP-Adressen. Selbst unsichtbare digitale<br />

Ströme bedürfen einer Begrifflichkeit, sodass die<br />

Nichtexistenz ihrer Räumlichkeit klare Zugänge,<br />

<strong>Ein</strong>gänge, Ausgänge und Mauern erhält. Über die<br />

Suche und das Finden. Von Wildheit und <strong>Ein</strong>samkeit.<br />

Von Bewegung und Stillstand. Gleich der Inspiration,<br />

die mal omnipräsent, mal schwer aufzustöbern<br />

ist, die in ihrem Reichtum überwältigend oder in ihrer<br />

Ödnis deprimierend ist.<br />

Es handelt sich um einen Spagat, der sich von einer<br />

bipolaren Gliederung, über visuelle Illustrationen,<br />

hinzu Raummodellen dehnt. Aus dem einfachen<br />

Grunde, da dieser Spagat in dem Wirkungszusammenhang<br />

von Inspiration und Produktivität, von<br />

Räumen und Nichträumen, von Objekthaftem und<br />

Menschlichem, einer ständigen Grätsche unterzogen<br />

wird. Er ist nicht wegzudenken, nicht aus<strong>zur</strong>adieren<br />

<strong>–</strong> er ist: Verbindungsglied jener bipolaren<br />

Ambivalenzen, die zum Untersuchungsgegenstand<br />

der hier vorliegenden Publikation werden und ihre<br />

Mitte in einem menschlichen Bedürfnis entdecken.<br />

<strong>Ein</strong>e Projekt über das Suchen und das Finden <strong>–</strong> in<br />

dem Bedürfnis nach <strong>Freiheit</strong>.<br />

5


04<br />

Inhalt 110<br />

Zwei Pole zu <strong>Ein</strong>em<br />

04<br />

<strong>Ein</strong> Vorwort von Marie-Christin Stephan<br />

Suchen<br />

Finden<br />

von<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Glück sinnlicher Art<br />

Inspiration und Kreativität<br />

Der Speicher<br />

Der Heikonaut<br />

Bitte Berühren<br />

12<br />

13<br />

17<br />

18<br />

27<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Lin Yutang<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Fachhandel für Inspiration & andere Luxusgüter<br />

Im Gespräch mit Christian Lagé<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Rudolf Seitz<br />

Vielheit<br />

Isolation<br />

Werkzeug 1 <strong>–</strong> Raum für Kreativität<br />

Life is Sour<br />

Co-working Studio Blender&Co<br />

Zeitverschwendung<br />

31<br />

32<br />

36<br />

47<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Text und Illustrationen von Katharina Hüttler<br />

Im Gespräch mit Caroline Fayette<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Ian MCean<br />

Chaos<br />

Ordnung<br />

Kopfchaos & Mentale Ödnis<br />

Werkzeug 2 <strong>–</strong> Regeln und feste Strukturen<br />

als sichere mentale Räume<br />

Listenwirtschaft<br />

Über faule Menschen<br />

52<br />

56<br />

58<br />

59<br />

Texte und Collagen von Eleana Katanu<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Have to Do | Want to Do<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Harald Martenstein<br />

Kreativität<br />

Produktivität<br />

Werkzeug 3 <strong>–</strong> Steinige Wege der Produktivität<br />

leichtfüßig beschreiten<br />

Pause<br />

Wandersnippes<br />

Werkzeug 4 <strong>–</strong> Arbeitsplätze als<br />

produktive Räume begreifen<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Wilder junger Mann<br />

63<br />

65<br />

66<br />

70<br />

71<br />

86<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Rudolf Seitz<br />

Text und Fotografie von Rafael Jové<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

<strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und<br />

Marie-Christin Stephan<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Ian MCean<br />

Bewegung<br />

Stillstand<br />

Die Geschichte des Arbeitsraumes<br />

Taschenrutscher<br />

3,01 oder eine Ode an das Arbeiten<br />

an Tischen zwischen den Stühlen<br />

Freiraum<br />

Gartenfreunde<br />

90<br />

95<br />

96<br />

108<br />

110<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Illustrationen von Leonie Proske<br />

<strong>Ein</strong> Text von Natalia Figuigui<br />

Text und Fotografien von Konrad Angermüller<br />

und Elisa Kaufmann<br />

Pause<br />

Im Gespräch mit Katrin Steiger und Yan Ziegner<br />

7


120<br />

Inhalt 235<br />

Arbeit<br />

Leben<br />

Freunde von Freunden<br />

Der Montag liebt dich<br />

Nerds<br />

Arbeiten 2.15<br />

Weirdo<br />

Artographie-Werkstatt<br />

120<br />

130<br />

132<br />

134<br />

143<br />

144<br />

Im Gespräch mit Judith Guckler<br />

<strong>Ein</strong> Vortrag von Teresa Bücker<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Rebecca Casatti<br />

<strong>Ein</strong>e Frage der Haltung<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Illustrationen von Margret Aurin<br />

<strong>Ein</strong> Zitat von Rebecca Casatti<br />

Im Gespräch mit Christiane Werth<br />

Gegenständliches<br />

Menschliches<br />

<strong>Ein</strong> neues Verständnis der Ergonomie<br />

45Kilo<br />

Über eine moderne Symbiose<br />

152<br />

158<br />

168<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Illustrationen von Patrick Pichler<br />

Im Gespräch mit Daniel Klapsing und<br />

Philipp Schöpfer<br />

<strong>Ein</strong> Zitat<br />

Architektur<br />

Arbeitskultur<br />

Arbeitsraum als Lebensraum<br />

Scholz & Friends<br />

Arbeiten 2.15<br />

172<br />

182<br />

192<br />

Im Gespräch mit Elisabeth Pélegrin-Genel<br />

Im Gespräch mit Ralf Schröder und<br />

Jürgen Krugsperger<br />

<strong>Ein</strong>e Frage des Raumes<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Raum<br />

Kein Raum<br />

Raum | Suche<br />

Raum und Nicht-Raum<br />

Die Kunst und der Raum<br />

Das Atelier eines Malers<br />

Raum und Räumlichkeit<br />

Kein Raum <strong>–</strong> Über die <strong>Freiheit</strong><br />

198<br />

208<br />

210<br />

212<br />

224<br />

228<br />

<strong>Ein</strong>e fotografische Untersuchung<br />

von Marie-Christin Stephan<br />

Über Claudia Larcher<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Im Gespräch mit Jonas Burgert<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Zwei Pole zu <strong>Ein</strong>em<br />

Quellenverzeichnis<br />

Impressum<br />

230<br />

233<br />

235<br />

<strong>Ein</strong> Epilog von Marie-Christin Stephan<br />

Literatur, Internet, Interviews<br />

Danksagung<br />

Feierabend<br />

8


Suchen<br />

Finden


Suchen<br />

* Lin Yutang in ›Schöpferische Pausen‹ von Rudolf Seitz wahr nehmen <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Finden<br />

*Das<br />

menschliche<br />

Glück ist<br />

von sinnlicher<br />

Art.<br />

»So groß die kosmologische Grundeinheit<br />

Welt im Ganzen sein mag, mit<br />

wieviel Lichtjahren und Lichtgeschwindigkeiten<br />

hier herumgeworfen<br />

wird,<br />

und wie sie auch sein<br />

mögen, noch viel größer<br />

ist das menschliche<br />

Denken, weil<br />

es alles dieses umfassen<br />

kann. Das heißt, es gibt keine<br />

Galaxie, es gibt keine planetarische<br />

<strong>Ein</strong>heit, die nicht im menschlichen<br />

Denken umgriffen und umfaßt werden<br />

kann. Es gibt keine Tierkreiskonstellation,<br />

aus der nicht das menschliche<br />

Denken einmal so und einmal so sprechen<br />

kann, so daß es also wiederum<br />

vom menschlichen Denken umfaßt werden<br />

kann. Das menschliche Denken ist<br />

ein universelles Werkzeug <strong>zur</strong> Erneuerung<br />

der menschlichen Zukunft ist also<br />

noch größer als alles dieses. Auch ist in<br />

dem, was vielleicht dem ein oder anderen<br />

als die geistigen Kooperateure der<br />

Menschen bekannt ist, daß Menschen ja<br />

nicht als geistige Wesen alleine in der<br />

Welt sind, sondern daß sie ihre spirituellen<br />

Helfer und Führer finden in diesem<br />

Kosmos, in dieser Welt, was bekannt<br />

ist als Hierarchie, daß auch diese<br />

Hierarchien nichts anderes sind und<br />

darstellen in ihrem Wesen, als die höheren<br />

Formen des menschlichen Denkens.<br />

Also wiederum ist, wenn man die Dinge<br />

so sieht, die Spitze eines hierarchischen<br />

Kegels […] Daß eigentlich von diesem<br />

Gesichtspunkt des menschlichen Denkens<br />

aus der hierarchische Kegel auf<br />

den Menschen zielt, daß er allerdings<br />

nach oben eine Erweiterung erfährt,<br />

die genau der Notwendigkeit der Erweiterung<br />

des menschlichen Denkens auf<br />

all diese Dimensionen hin entspricht.« 1<br />

Inspiration<br />

und<br />

Kreativität<br />

So zitiert Wolfgang Zumdick einen öffentlichen<br />

Vortrag von Joseph Beuys in seinem<br />

Buch ݆ber das Denken. Bei Joseph<br />

Beuys und Rudolf Steiner.‹. Er beginnt<br />

seine Ausführungen auf der Grundlage<br />

jener Begrifflichkeit von Inspiration und Geisteskraft, die ihre Anfänge<br />

in der neuthestamentarischen Herkunft des Wortes als eine<br />

»göttlich-geistige <strong>Ein</strong>gebung« 2 findet. Wir verwenden dieses Wort<br />

heutzutage <strong>–</strong> und vor allem im Zusammenhang mit Kreativität <strong>–</strong> in<br />

einem eher ästhetischen Sinne.<br />

Inspiration bedeutet demnach für uns eine mehr oder weniger<br />

greifbare Quelle für Ideen, Kreationsgrundlage oder Innovationsanstoß.<br />

Diese können ihren Ursprung in persönlichen Beobachtungen,<br />

Objekten, im urbanen Umfeld, über soziale Kontakte oder<br />

nicht greifbare Momenteingebungen finden. Schlägt man im<br />

Duden »Inspiration« nach, so findet man sich schnell im Bedeutungszusammenhang<br />

ähnlicher Begrifflichkeit wieder. So wird<br />

Inspiration mit dem schöpferischen <strong>Ein</strong>fall, der Erleuchtung, der<br />

plötzlichen Erkenntnis, oder einer erhellenden Idee, gleichgesetzt. 3<br />

Als Kreativschaffender fällt es mir schwer, die eigene Arbeit auf<br />

solch unwillkürliche Grundlagen aufzubauen, noch läge es in meinem<br />

ganz subjektivem, persönlichen Interesse, auf eine göttliche<br />

<strong>Ein</strong>gebung zu setzen. Frank Berzbach weist in seinem Buch ›Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer‹ darauf hin, dass die<br />

Theorie des Geistesblitzes der alltäglichen Untersuchung nicht<br />

standhält, Momente des Heureka damit allerdings nicht ausgeschlossen<br />

seien. 4<br />

Wer in einem kreativen Berufsfeld tätig ist, kann leider nicht<br />

immer nur darauf vertrauen, jeden Morgen am Schreibtisch<br />

pünktlich von der Muße geküsst zu werden. Wer sein Glück nicht<br />

allein in Gottes Hände legen will, ist darauf angewiesen, alltägliche<br />

Musen aufzustöbern, sich immer wieder kreative Momente zu<br />

schaffen, Inspiration zu sammeln und Momentaufnahmen in sein<br />

Innerstes aufzusaugen. Der zeitgenössische Maler Jonas Burgert<br />

vergleicht diese Notwendigkeit mit dem Öffnen der eigenen Poren.<br />

»Für mich zählt der <strong>Ein</strong>druck, in dem Moment, da ich mein Fotoarchiv<br />

betrete und das ist für mich als Bildmensch ungemein wichtig.<br />

Dann öffnen sich die Poren im Gehirn <strong>–</strong> dann wird man sensibel.«<br />

5 . Wahrscheinlich ist es dieser Umstand, der mich vielmehr<br />

<strong>zur</strong> Verwendung der medizinischen Wortbedeutung verleitet, welche<br />

Inspiration als »das <strong>Ein</strong>atmen« 6 bezeichnet. So gesehen, ist<br />

Inspiration überall da, wo auch immer wir uns als Mensch befinden,<br />

einatmen, ausatmen <strong>–</strong> und das zu jeder Zeit. »Kreativität ist<br />

allgegenwärtig« 7 , schreibt Frank Berzbach in seinem Buch ›Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer‹ und unterstützt somit<br />

meine These. »Creative Menschen sind besonders gute Beobachter,<br />

und sie schätzen genaue Beobachtungen, mit derer Hilfe sie Wahrheit<br />

finden, […]. Sie sehen die Dinge so, wie die anderen sie sehen,<br />

aber manchmal auch so, wie die anderen sie nicht sehen.« 8 ,<br />

13


Suchen<br />

Inspiration und Kreativität<br />

Lange Weile <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Finden<br />

»Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die<br />

andere Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines<br />

seelischen Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich<br />

der Mensch eine zweite Welt zu derjenigen hinzu, die<br />

von außen auf ihn einwirkt. Und ein drittes kommt<br />

hinzu: der Wille.« 15<br />

»Die meiste Kreativität entsteht ja aus Langeweile.<br />

Wenn das Gehirn permanent beschäftigt ist mit irgendwelchen<br />

Sachen, kann es sich nicht viel einfallen<br />

lassen, da es die ganze Zeit re-agieren muss.« 22<br />

sitzt der Mensch auch noch eine subjektive Innenwelt, die Steiner<br />

als »seelische Wesenheit des Menschen« bezeichnet, die wiederum<br />

unterschiedlich ist zu seiner Leiblichkeit. »Wie den körperlichen<br />

Gebilden die räumliche Ausdehnung und räumliche Bewegung<br />

eigentümlich sind, so den seelischen Dingen und Wesenheiten die<br />

Reizbarkeit, das triebhafte Begehren.« 13 , schreibt Steiner. Sinnesempfindungen<br />

entspringen zwar organischer Wahrnehmung,<br />

doch sind sie immer auch gebunden an Empfindungen <strong>–</strong> an Gefallen<br />

oder Ablehnung. Sie werden somit Teil des Seelischen und sind<br />

nicht mehr nur als neurologische Gehirnvorgänge zu betrachten. 14<br />

»Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere<br />

Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen Lebens.<br />

In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite Welt<br />

zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und ein drittes<br />

kommt hinzu: der Wille.« 15<br />

Durch ihn, so Steiner, nimmt der Mensch wieder <strong>Ein</strong>fluss auf<br />

seine Außenwelt. Im ersten Stadium angeregt durch Umwelt und<br />

Sinneseinflüsse, bilde der Mensch mittels subjektiver Interpretation<br />

reaktiv eine eigene Welt aus. Dies deute auf die dritte Ebene, die<br />

geistige Wesenheit des Menschen hin. Sie beschreibe kein zielloses<br />

Durchwandern von Sinneseindrücken, sondern ein vernunftgeleitetes<br />

Nachdenken, welches über sinnliche Wahrnehmung zu Erkenntnissen<br />

über die Dinge und die äußere Umwelt führt. 16<br />

Doch erst, so Steiner, wenn der Mensch sich dieser äußeren<br />

<strong>Ein</strong>flussfaktoren, die <strong>Ein</strong>fluss auf sein Inneres nehmen, gewahr<br />

wird, so wird es ihm möglich sein, sich dieser bewusst zu entziehen<br />

und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. 17<br />

In Hinsicht auf Inspiration und vor allem auf die Kanalisierung<br />

zu Kreativität, bedeutet dies, dass der Mensch aus sich selbst heraus<br />

die Kraft finden muss, über äußere Anregungen hinweg, eigene<br />

Vorstellungen zu entwickeln. <strong>Ein</strong> <strong>Ein</strong>atmen, das gleichsam zum<br />

Ausatmen führt <strong>–</strong> eine Synthese, die nur in der Existenz beider<br />

Teile Bestand haben kann. Dies bedarf einer großen, inneren Tätigkeit<br />

<strong>–</strong> die nicht in jedem Falle, aber doch zumeist <strong>–</strong> einer bewussten<br />

geistigen Tätigkeit bedarf. Es bleibt dem Menschen also<br />

die Aufgabe, Mittel und Wege zu finden, Sinneseindrücke, Ideen<br />

und Gefühle sinnvoll zu kanalisieren, um Inspiration zu erlangen.<br />

18 Dieser Ansatz kommt meiner These entgegen, dass es sich<br />

bei Inspiration also nicht allein um plötzliche <strong>Ein</strong>gebungen handelt<br />

<strong>–</strong> umso schöner sollte dieser Moment des Heureka einmal unerwartet<br />

eintreten <strong>–</strong> sondern vielmehr um eine Verwertung und<br />

ein Weiterdenken von gesammelten <strong>Ein</strong>drücken und Erfahrungen.<br />

Christiane Werth beschreibt dies in Bezug auf ihre eigene Arbeit<br />

als einen dauerhaft währenden, unbewussten Prozess. »Egal<br />

was du gestaltest, man umgibt sich ja mit Dingen, die dir gefallen<br />

und viele Sachen adaptierst du daraufhin ungewollt.« 19 . Damit<br />

spricht sie einen wichtigen Punkt an. Nämlich, dass man sich <strong>–</strong> ob<br />

bewusst oder unbewusst <strong>–</strong> mit Dingen umgibt, die das eigene Verständnis<br />

von Ästhetik, Schönheit und Nutzen widerspiegeln.<br />

Wie von Steiner beschrieben, können wir uns auch von einem<br />

bloßen Rezipieren unserer Umwelt lösen und selbstbestimmt <strong>Ein</strong>fluss<br />

darauf nehmen. Als Anhänger des Okkulten kritisiert, ist<br />

diese Aussage Steiners wohlmöglich in andere Richtungen intendiert,<br />

doch führt sie mich trotzdem zu der Schlussfolgerung, dass<br />

wir statt auf göttliche Erscheinungen und höhere Mächte zu warten,<br />

eigene, ganz natürliche Musen in unserem Umfeld erschaffen<br />

können. Diese Argumentation nimmt eine essentielle Bedeutung<br />

innerhalb der Fragestellung dieser Arbeit ein, betrachtet man nämlich<br />

nicht nur den <strong>Ein</strong>fluss von Raum und Umwelt auf den<br />

Kreativen, sondern bezieht seine seelische und subjektive Sichtweise<br />

und wiederum seine <strong>Ein</strong>flussnahme auf die ihn umgebenden<br />

Räumlichkeit, in die Diskussion mit ein. Doch betrachten wir zunächst<br />

die Begrifflichkeit der Kreativität selbst, um ihre Natur verstehen<br />

zu lernen, bevor wir sie in eine Auseinandersetzung mit<br />

dem Raum stellen.<br />

Allgemein wird Kreativität von Wissenschaftlern und Psychologen<br />

als eine menschliche Aktivität <strong>zur</strong> Schöpfung von neuartigen<br />

Ideen und innovativen Lösungsansätzen formuliert. Diese Definition<br />

beschränkt sich demnach nicht allein auf die Frage, ob ein<br />

Mensch kreativ sei oder nicht, sondern geht zunächst davon aus,<br />

dass Kreativität selbst in jedem Menschen steckt, frei entfaltet werden<br />

kann, sich in der Realität jedoch bei verschiedenen Individuen<br />

mehr oder weniger stark ausgeprägt entwickelt. 20 Frank Berzbach<br />

macht darauf aufmerksam, dass auch Arbeitsmethoden und gegebene<br />

Rahmenbedingungen an sich, kreativ sein können. Außerdem<br />

weist er darauf hin, dass die Vorkenntnis des Individuums<br />

wichtige Voraussetzungen für kreative Prozesse darstellen kann.<br />

»Es ist das Material, aus dem geschöpft wird, wenn wir gestalterisch<br />

tätig werden.« 21 , betont Berzbach.<br />

Auch Jonas Burgert bebilderte in unserem Interview seine Gedanken<br />

hierzu in nachvollziehbarer Weise: »Die meiste Kreativität<br />

entsteht ja aus Langeweile. Wenn das Gehirn permanent beschäftigt<br />

ist mit irgendwelchen Sachen, kann es sich nicht viel einfallen<br />

lassen, da es die ganze Zeit re-agieren muss. Natürlich ist es auch<br />

so, dass das Gehirn bei hohem Input viele Informationen bekommt<br />

und später in den ruhigen Momenten, mehr Möglichkeiten hat,<br />

kreativ zu werden. Also wenn ich jetzt nur in einem verschlossenem<br />

Raum sitzen würde, dann wäre das wieder destruktiv. Trotzdem<br />

<strong>–</strong> setzt man beispielsweise ein Kind in einen Raum in dem<br />

nichts ist, dann fängt das Kind irgendwann von alleine an sich zu<br />

beschäftigen. Dann ist die Kapazität gegeben und das Bedürfnis<br />

etwas zu tun. Viele Eltern denken ja, sie würden ganz kreative Kinder<br />

kriegen, wenn sie fünfmal die Woche zum Geigen-Unterricht<br />

geschickt werden und dahin und dorthin. Aber das ist alles absolut<br />

passiv. Die Kinder lernen dann zwar ganz viele Sachen, aber sie<br />

lernen nicht von sich aus Dinge zu entwickeln. Deswegen wird sich<br />

diese Generation von Eltern noch ärgern, weil sie ja alle unbedingt<br />

ausgezeichnet kreative Kinder haben möchten, doch das Gegenteil<br />

wird der Fall sein. Die Eltern, die sagen ›Ach lass das Kind doch<br />

beschreibt Frank Barron in seinem Text ›The Psychology of Imagination‹<br />

eben jene offenporige Beobachtungsgabe und Wahrnehmungsfähigkeit.<br />

Unsere Sinnesorgane nehmen die Reize unserer Umgebung in<br />

sich auf, interpretieren sie, speichern diese in uns ab. Mit meinen<br />

Augen sauge ich Bilder und visuelle <strong>Ein</strong>drücke in mich auf. Mit<br />

Hilfe meiner Ohren fange ich Geräusche, Melodien, Erzählungen<br />

und Klänge ein. Meine Nase erinnert sich besser als mein Gehirn<br />

an längst vergessene Erinnerungen, so groß ist ihr Archiv an gesammelten<br />

Gerüchen von Orten, Personen und Objekten. Mein<br />

Geschmackssinn inhaliert Provokantes und Kostbares und mein<br />

Tastsinn lässt meine Umgebung greifbar werden, verleiht ihr Gestalt<br />

und Zuordnung. Selbst wenn einem Menschen eines oder<br />

mehrere dieser Sinnesorgane fehlen, besitzt er ein fein gestimmtes<br />

Instrumentarium zum Erleben und Begreifen seiner Umwelt. Diese<br />

Werkzeuge sind es, die uns auf der Suche nach Inspiration weiterhelfen<br />

<strong>–</strong> die die Klänge unserer Umgebung einfangen <strong>–</strong> wiedergeben,<br />

aber auch abstrahieren können. Sie zu einer neuen Melodie<br />

und somit auch zu einer neuen Begrifflichkeit transponieren. Der<br />

Kreativität. Die Eigenschaft eines Menschen, schöpferisch tätig zu<br />

werden und aus den <strong>Ein</strong>flüsse seiner Umwelt ein neues Werk zu<br />

komponieren. 9<br />

Ermöglicht wird dies durch das menschliche Denken. Laut<br />

Beuys »gibt [es] keine planetarische <strong>Ein</strong>heit, die nicht im menschlichen<br />

Denken umgriffen und umfaßt werden kann. […] Das<br />

menschliche Denken ist ein universelles Werkzeug <strong>zur</strong> Erneuerung<br />

der menschlichen Zukunft, ist also noch größer als alles dieses.« 10<br />

In dem hier angestellten Zusammenhang interpretiere ich diese<br />

Aussage so, dass der Mensch die Gabe hat seine Umwelt nicht nur<br />

wahrzunehmen und darauf zu reagieren, sondern die Fähigkeit besitzt,<br />

Abstraktionen herzuleiten <strong>–</strong> also auf Vorhandenem aufzubauen<br />

um Neues zu erschaffen. Und liegt darin nicht der Ursprung<br />

innovativer Ideen? Ist dies nicht der Wegbegleiter des Menschen in<br />

seine Zukunft? Durch diesen Prozess kann die Inspiration <strong>–</strong> das<br />

<strong>Ein</strong>atmen unserer Umwelteinflüsse in jedem Moment unseres Seins<br />

<strong>–</strong> und von daher also gerne auch plötzlich und unerwartet, zum<br />

Ausatmen von Kreativität führen. Wie glücklich ist also der Umstand,<br />

dass selbst der ethymologische Ursprung des lateinischen<br />

»inspiratio«, einem Abstraktum zu »inspirare«, übersetzt einflößen,<br />

hineinblasen und »spirare«: blasen, wehen, hauchen, entspringt. 11<br />

Zumdick führt an dieser Stelle die Geistphilosophie von<br />

Rudolf Steiner auf, der in seinem Band ›Theosophie‹ aus dem Jahre<br />

1904, von der Inspiration als eine höhere Form des Denkens spricht.<br />

»[D]ie Inspiration, heißt es, tauche ein in den reinen seelischen<br />

Strom des Fühlens, in die terra inco gnita der reinen Welt der Seele.«<br />

12 , so Zumdick nach Steiner. Nimmt man sich die Schrift Steiners<br />

<strong>zur</strong> Hand, so wird man geleitet durch eine Philosophie des<br />

Dreiklangs des Menschen. Neben dem physischen Dasein, seiner<br />

Fähigkeit zum Wahrnehmen und Empfinden seiner Umwelt, bemal<br />

da ein paar Stunden im Raum sitzen mit irgendwelchen Zetteln<br />

und Stiften spielen‹, die erziehen ein kreatives Kind. In solchen<br />

Momenten muss das Kind auf einmal von sich aus etwas entwickeln,<br />

weil da nichts ist, weil da niemand kommt und sagt, was es<br />

zu tun hat. Und das sind dann die kreativen Kinder. Vielleicht können<br />

sie nicht Klavier spielen, aber die bringen es sich dann selber bei,<br />

wenn sie Klavier spielen wollen. Das ist ein riesen Unterschied.« 22<br />

An dieser Stelle möchte ich eine provokative These einwerfen,<br />

die von Frank Berzbach aufgegriffen wurde und die Behauptung<br />

aufstellt, dass »[i]ntelligente Menschen tun, was sie sollen <strong>–</strong> sie<br />

lösen Probleme innerhalb eines vorgegebenen Rahmens. Kreative<br />

tun, was sie wollen. Sie ändern die Fragestellung, wenn sie unpassend<br />

erscheint.« 23 <strong>Ein</strong>e rabiate Kategorisierung, der man sich nicht<br />

so ohne weiteres anschließen möchte. Doch betrachtet man die<br />

Kernaussage dieser These, so beschreibt sie den Assoziationsreichtum<br />

von Kreativität, der aus einem inneren Bedürfnis <strong>–</strong> also aus<br />

eigenem Antrieb heraus <strong>–</strong> entspring. Dies zeugt von einer Flexibilität<br />

und Fähigkeit <strong>zur</strong> Umgestaltung bekannter Gegebenheiten in<br />

neue, abstrahierte Zusammenhänge.<br />

In dieser Betrachtung bewegen wir uns also in einem Feld,<br />

dessen brache Fläche nicht allein von Sinneswahrnehmungen<br />

befruchtet wird, sondern auch von einem Bedürfnis des Menschen,<br />

eigenständig tätig zu werden und die daraus herangereiften Früchte<br />

zu ernten. Welche Kriterien aber lassen solche Spielwiesen gedeihen?<br />

»Die Ergebnisse der Arbeitspsychologie sind eindeutig: <strong>Ein</strong> größerer<br />

Tätigkeitsspielraum ist förderlich für die Kreativität und steigert<br />

die Motivation.« 24<br />

Welches sind nun aber die Werkzeuge, die dem Kreativen bei<br />

dieser Herausforderung an die Hand gegeben werden können? Wie<br />

können kreative Leistungen nicht nur entstehen, sondern auch<br />

produktiv umgesetzt werden?<br />

1 Joseph Beuys: Jeder Mensch ist<br />

ein Künstler. Auf dem Weg <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>sgestalt<br />

des Sozialen Organismus. Öffentlicher<br />

Vortrag vom 23. März 1978 im<br />

Internationalen Kulturzentrum Achberg,<br />

veröffentlicht als Audiokassette im F.I.U.<br />

- Verlag Wangen, 1991, Kassette 1, Seite<br />

1, ca. 612-639 min. Zitiert nach: Wolfgang<br />

Zumdick: Über das Denken. Bei Joseph<br />

Beuß und Rudolf Steiner. Wiese Verlag,<br />

Basel, 1995, S. 43.<br />

2 Wolfgang Zumdick: Über das<br />

Denken. Bei Joseph Beuß und Rudolf<br />

Steiner. Wiese Verlag, Basel, 1995, S. 51.<br />

3 Vgl. Inspiration. http://www.<br />

duden.de/rechtschreibung/Inspiration.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

4 Vgl. Frank Berzbach: Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 18.<br />

5 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

6 Vgl. Inspiration. http://www.<br />

duden.de/rechtschreibung/Inspiration.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

7 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 16.<br />

8 Frank Barron: The Psychology of<br />

Imagination. Scientific American, 1958.<br />

Zitiert nach: David Ogilvy: Geständnisse<br />

eines Werbemannes. Ullstein Buchverlage,<br />

Berlin, 2005, S. 26f.<br />

14<br />

15


Suchen<br />

Inspiration und Kreativität<br />

Dach<br />

boden<br />

Der Speicher <strong>–</strong> Fachhandel für Inspiration und andere Luxusgüter<br />

Finden<br />

Ausstellung Summaery 2013<br />

9 Vgl. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie:<br />

Kreativität. https://de.wikipedia.<br />

org/wiki/Kreativität. Stand 07.11.2015.<br />

10 Joseph Beuys: Jeder Mensch ist<br />

ein Künstler. Auf dem Weg <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>sgestalt<br />

des Sozialen Organismus. Öffentlicher<br />

Vortrag vom 23. März 1978 im<br />

Internationalen Kulturzentrum Achberg,<br />

veröffentlicht als Audiokassette im F.I.U.<br />

- Verlag Wangen, 1991, Kassette 1, Seite<br />

1, ca. 612-639 min. Zitiert nach: Wolfgang<br />

Zumdick: Über das Denken. Bei Joseph<br />

Beuß und Rudolf Steiner. Wiese Verlag,<br />

Basel, 1995, S. 43.<br />

11 Vgl. Friedrich Kluge: Inspiration.<br />

Etymologisches Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitet von<br />

Elmar Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage, Berlin /<br />

New York, 2002, S. 443.<br />

12 Rudolf Steiner: Theosophie. <strong>Ein</strong>führung<br />

in Übersinnliche Welterkenntnis<br />

und Menschenbestimmung. 1904. Zitiert<br />

nach Wolfgang Zumdick, 1995, S. 52.<br />

13 Rudolf Steiner: Theosophie. <strong>Ein</strong>führung<br />

in Übersinnliche Welterkenntnis<br />

und Menschenbestimmung. 1904, S. 65.<br />

http://anthroposophie.byu.edu/schriften/009.pdf.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

14 Vgl. Rudolf Steiner: Theosophie.<br />

<strong>Ein</strong>führung in Übersinnliche Welterkenntnis<br />

und Menschenbestimmung. 1904,<br />

S. 12f. http://anthroposophie.byu.edu/<br />

schriften/009.pdf. Stand: 07.11.2015.<br />

15 Rudolf Steiner: Theosophie. <strong>Ein</strong>führung<br />

in Übersinnliche Welterkenntnis<br />

und Menschenbestimmung. 1904, S. 13.<br />

http://anthroposophie.byu.edu/schriften/009.pdf,<br />

Stand. 07.11.2015.<br />

16 Vgl. Rudolf Steiner: Theosophie.<br />

<strong>Ein</strong>führung in Übersinnliche Welterkenntnis<br />

und Menschenbestimmung. 1904, S.1<br />

3. http://anthroposophie.byu.edu/schriften/009.pdf.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

17 Vgl. Rudolf Steiner: Wie erlangt<br />

man Erkenntnisse der höheren Welten.<br />

Rudolf Steiner Online Archiv. 4.Auflage,<br />

2010, S. 116. http://anthroposophie.byu.<br />

edu/schriften/010.pdf. Stand 07.11.2015.<br />

18 gl. Forum für Anthroposophie:<br />

Die Inspiration. http://anthroposophie.<br />

net/steiner/ga/bib_steiner_ga_012_02.<br />

htm. Stand: 07.11.2015.<br />

19 Christiane Werth: Aus einem<br />

Interview am 26.06.2015.<br />

20 Vgl. Frank Berzbach: Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 16.<br />

21 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S.1 7.<br />

22 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

23 Vgl. Frank Berzbach: Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 16.<br />

24 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 17.<br />

Der Speicher<br />

/ Fachhandel<br />

für Inspiration<br />

und andere<br />

Luxusgüter<br />

Der Speicher - Fachhandel<br />

für Inspiration und andere<br />

Luxusgüter ist Fund- und Begegnungsort<br />

aller Inspirationssuchenden<br />

und Freunden<br />

der Leihkultur. <strong>Ein</strong>gefasst in<br />

die hölzernen Schrägen eines<br />

Dachbodens, verbindet Der<br />

Speicher den Second-Hand-Charakter eines<br />

Trödelladens mit der Organisationsstruktur<br />

einer Bibliothek. Gleichzeitig ersetzt er die Immaterialität<br />

eines Design Blogs und macht somit<br />

Idee und Werkzeug greifbar.<br />

An diesem Ort treffen Inspiration und Künstler<br />

im realen Raum aufeinander, können neue Beziehungen<br />

eingehen, sich austauschen und<br />

neue Geschichten schreiben.<br />

Studenten, Künstler und Bastler sind<br />

dazu aufgefordert, ein Objekt in die<br />

Sammlung des Speichers einzubringen,<br />

welches sie derzeitig oder während eines<br />

<strong>zur</strong>ückliegenden Projektes in ihrer Arbeit<br />

inspirierte. Dieses »spirituelle Luxusgut«<br />

durch sein Verleihen der Allgemeinheit<br />

zugänglich zu machen, wird Teil eines<br />

neuen Werteverständnisses. Innerhalb<br />

dieses Prozesses kommt dem Objekt als<br />

kultureller Geschichtenerzähler im<br />

Kreislauf sozialer Tausch und Leihvorgänge<br />

eine besondere Bedeutung zu.<br />

Dieses Projekt entstand an der Professur<br />

für Moden und öffentliche Erscheinungsbilder<br />

unter der Betreuung von Professorin<br />

Christine Hill. Als Preisträger des<br />

Bauhaus-Essential-Preises ist diese Installation<br />

in den Räumlichkeiten der studentischen<br />

Galerie ›Marke.6‹ im ›Neuen Museum Weimar‹<br />

(28.11.13 - 05.02.14) und im ›kiosk.6‹ (Juli 2014) ausgestellt<br />

worden. Außerdem gastierte Der Speicher im Rahmen einer<br />

Gruppenausstellung in den Räumen der ›Jarmuschek +<br />

Partner Galerie‹ in Berlin (28.02.13 - 27.04.14).<br />

Kommentar der Künstlerin und der Herausgeberin, Autorin,<br />

und Gestalerin dieser, hier vorliegenden Publikation:<br />

Dieses Projekt stellt den Beginn meiner kontinuierlichen<br />

Untersuchung von Inspirations- und Kreationsprozessen im<br />

urbanen Raum sowie im persönlichen Kontext als festen<br />

Bestandteil meiner künstlerischen Praxis dar. Ich habe mich<br />

dieser Thematik über einen langen Zeitraum hinweg aus<br />

unterschiedlichen Perspektiven angenähert. Die thematische<br />

Auseinandersetzung meiner Abschlussarbeit »<strong>Open</strong><br />

<strong>Office</strong> - <strong>Ein</strong> <strong>Aufruf</strong> <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>« ist also kein Zufall. Vielmehr<br />

sehe ich diese Publikation als logische Konsequenz<br />

und Weiterentwicklung meiner künstlerischen Forschungsarbeit<br />

der letzten drei Jahre.<br />

16<br />

17


Suchen Im Gespräch mit Christian Lagé Un<br />

ort<br />

Zu Besuch im Heikonaut<br />

Finden<br />

CL<br />

MC<br />

Christian Lagé<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Kennengelernt habe ich Christian Lagé an einem Unort. Der<br />

Mitbegründer der Agentur anschläge.de und des „Heikonaut“<br />

<strong>–</strong> einem Künstlerhaus am Rande Berlins <strong>–</strong> besuchte meine<br />

Installation „Der Speicher - Fachhandel für Inspiration und Luxusgüter“<br />

in den hölzernen Schrägen des Dachstuhles meiner<br />

damaligen Wohnung in Weimar. Als Jurymitglied des Bauhaus-Essential<br />

Preises überließ er dem Speicher ein goldenes<br />

Tombola Ticket.<br />

Selbst Eroberer und Liebhaber von Unorten und Brachflächen,<br />

verhalf er diesem Projekt zum Preis und mir zu einem ersten<br />

Kontakt mit der Kreativszene Berlins. Es brauchte mehrere <strong>Ein</strong>ladungen<br />

zu Agenturfeiern von anschlaege.de, Gartenfeste und<br />

Tischtennisrunden, bis wir bei Feierabendbier und Eis auf der<br />

Terrasse des Heikonaut die Ruhe für ein Gespräch über kreative<br />

Räume und Inspiration finden.<br />

Christian Lagé hat Kommunikationsdesign an der Kunsthochschule<br />

in Berlin Weißensee studiert und bereits zu dieser Zeit<br />

seine heutigen Geschäftspartner Axel Watzke und Steffen<br />

Schuhmann kennengelernt. Gemeinsam gründeten sie die<br />

Agentur anschlaege.de. Namensgeber war ein Plakatwettbewerb<br />

zum Thema „Anschläge gegen Rechts“ <strong>–</strong> ihr erstes<br />

gemeinsames Projekt zu Studienzeiten. Gemeinsam realisierten<br />

sie viele weitere Projekte, die sich nicht auf ein einfaches<br />

Grafikdesign reduzieren lassen, sondern vielmehr ortsbezogene,<br />

temporäre Interventionen im Raum darstellten. An der Universität<br />

galt das Dreiergespann als Paradiesvögel. Schon damals<br />

realisierten sie unter der schützenden Hand ihres Mentors,<br />

dem Hochschullehrer, Grafiker und Fotografen Alex Jordan, formatsprengende<br />

Projekte und luden internationale Kreative in<br />

ihr selbst inszeniertes Kreativ-Sommercamp in eine Platte nach<br />

Hellersdorf ein. Und auch heute noch produzieren sie lautes,<br />

überraschend anderes Design, gehen unkonventionelle Wege<br />

und verfolgen stets einen künstlerischen Anspruch in ihrer Arbeit.<br />

Ihre Kunden kommen aus eben diesem Grunde in die Kieselbetonmauern<br />

des Heikonaut und überlassen dem Kreationsteam<br />

Spielräume und <strong>Freiheit</strong>en, die es braucht um Ideen zu<br />

entwickeln, die Formate und Medium auf den Kopf stellen.<br />

Im Schatten dicht belaubter Bäume, deren Arme sich über der<br />

Terrasse ausbreiten, erzählt er mir über die Gründung von Agentur<br />

und Künstlerhaus. Er verweist auf die Herausforderungen,<br />

denen sich solch eine kreative Gemeinschaft stellen muss und<br />

beschreibt dabei seinen ganz eigenen Zugang zu Inspiration,<br />

kreativen Räumen und Produktivität.<br />

Suchen & Finden<br />

MC Wir sitzen hier auf dieser wunderschönen<br />

Terrasse mit Blick in den Garten.<br />

Hinter uns steht der alte Beton-Kieselstein-Bau<br />

des heutigen Heikonaut.<br />

Um hierher zu gelangen, musste ich<br />

mit dem Fahrrad einmal quer durch<br />

die Stadt streifen. Wie hat es euch an<br />

diesen entlegenen und gerade deshalb<br />

wahrscheinlich so besonderen<br />

Ort verschlagen?<br />

CL Wir haben uns schon immer auf die Suche<br />

nach Orten begeben, die sonst niemand<br />

haben will. Sich irgendwo einzumieten und<br />

dann ein Übergabeprotokoll mit dem Vermieter<br />

zu machen, das war für uns unvorstellbar.<br />

Damals hatten in Berlin aber bereits der Verdrängungskampf<br />

und die Gentrifizierung eingesetzt.<br />

Um dieser Entwicklung zu entgehen,<br />

haben wir uns einen Stadtplan vorgenommen<br />

und uns all jene Gebiete angestrichen, die<br />

wohl selbst in den nächsten zwanzig Jahren<br />

ganz bestimmt nicht hip und angesagt sein<br />

würden. Und für uns stand fest: Lichtenberg<br />

wird ganz sicher nicht cool. Außerdem hatten<br />

wir zu dem Zeitpunkt einen guten Draht <strong>zur</strong><br />

Baustadträtin von Lichtenberg. Sie faxte uns<br />

eine Auflistung des kommunalen Leerstandes<br />

zu. Alle ehemaligen Schulen, Kindergärten, Altersheime<br />

und so weiter. Dann sind wir die Adressen<br />

mit dem Auto abgefahren. Dieser ehemalige<br />

Kindergarten ist uns auf dieser Strecke<br />

sofort ins Auge gestochen. Die Größe war perfekt,<br />

der Raumzuschnitt war perfekt und<br />

selbst die Lage ist noch relativ gut zu erreichen.<br />

Nur knapp hinter dem S-Bahn-Ring.<br />

Letztendlich also gar nicht so weit weg.<br />

MC Ich habt euch also einen Ort gesucht,<br />

der nicht angesagt war und wo Leerstand<br />

herrschte. Bezeichnet dieser<br />

Leerstand für dich einen Ort, an dem<br />

du genügend Platz und Freiraum für<br />

Kreativität vorfinden kannst?<br />

CL Mit der zunehmend baulichen Perfektionierung<br />

innerhalb Berlins wurden viele Orte<br />

plötzlich langweilig. Inzwischen ist alles abwaschbar.<br />

Alles ist durchgebrandet und jede<br />

Zielgruppe hat ihre eigene Nische, wo sie sich<br />

frei fühlen kann. Aber eigentlich besteht da<br />

kein Raum mehr. Ich empfinde den Erhalt eines<br />

Status, indem man stets Sachen verändern,<br />

weiterspinnen kann oder auch wieder kaputt<br />

machen kann, viel erstrebenswerter. Und deswegen<br />

finde ich Leerstand oder Unorte so interessant.<br />

Sie bieten Fläche zum Experimen-<br />

18<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

19


Suchen Christian Lagé Un<br />

ort<br />

Heikonaut<br />

Finden<br />

tieren und Raum für Fehler. Das Problem bei<br />

Unorten ist: Sie sind in der Regel immer so weit<br />

ab vom Schuss, dass es sich dort kaum lohnt<br />

etwas aufzubauen, weil man sich an diesem<br />

Ort vollkommen alleine wiederfindet. Im Heikonaut<br />

ist das zum Glück anders. Da hat solch<br />

eine Umtransformierung eines Leerstandes in<br />

eine belebte <strong>Ein</strong>heit funktioniert.<br />

Der <strong>Ein</strong>zug<br />

MC Habt ihr den Altbau des Heikonaut<br />

dann also zu dritt erobert?<br />

CL Zum <strong>Ein</strong>zug im Jahre 2006 waren wir<br />

bereits knapp zehn Leute. Es gab noch unglaublich<br />

viele Renovierungsarbeiten zu leisten.<br />

Wir hatten dabei komplett freie Hand und<br />

einen Vertrag auf zehn Jahre, der uns die nötige<br />

Sicherheit gab, auch tatsächlich investieren<br />

zu wollen. Damals haben wir also knapp die<br />

Hälfte der Zeit auf unsere Designjobs verwendet<br />

und die andere Hälfte der Zeit in die Renovierung<br />

des Gebäudes gesteckt. Wir haben<br />

Wände eingerissen, neu gezogen, Fenster ausgetauscht,<br />

Leitungen renoviert und das jahrelang<br />

<strong>–</strong> eigentlich bis heute. Vor etwa drei Jahren<br />

hatten wir nach vielen Jahren des<br />

Engagements endlich die Möglichkeit, das<br />

Gebäude, in das bereits so viel Herzblut und<br />

Energie gesteckt wurde, zu kaufen.<br />

Sicherheit<br />

MC Hat dieses Gefühl der lokalen Sicherheit<br />

die Stimmung im Haus verändert?<br />

CL Auf jeden Fall. Im Positiven, würde ich<br />

sagen. Zum einen, weil es endlich diese<br />

Sicherheit gibt, dass niemand mehr kommen<br />

kann, um uns rauszuschmeißen. Das ist für<br />

viele hier ein enorm wichtiges Kriterium. Und<br />

zum anderen, weil alles viel transparenter geworden<br />

ist. Früher haben wir die Mieten über<br />

den Daumen geschätzt, heute zahlen alle die<br />

gleiche Miete pro m². Früher war das alles viel<br />

chaotischer, aber nicht im Sinne von langweiliger,<br />

sondern gerechter. Es ist gut, wenn es<br />

Regeln gibt in einem Haus, wo so viele Menschen<br />

ihrer kreativen Arbeit nachgehen.<br />

So bleibt es übersichtlich und die Gedanken<br />

bei der Kunst.<br />

Austausch<br />

MC Realisiert ihr im Haus auch öfters gemeinsame<br />

Projekte und könnt euch<br />

gegenseitig helfen? Wie findet eure<br />

Kommunikation untereinander statt?<br />

CL Auf jeden Fall. Man muss schon sagen:<br />

Wir haben hier einen enormen Standortnachteil.<br />

Also wir sind hier schon ziemlich im Off.<br />

Der Heikonaut besitzt einen Inselstatus. Der<br />

Vorteil, den man dadurch hat, ist, dass die<br />

meisten Leute die hier sind, ihre Arbeiten auf<br />

einem sehr hohen Niveau machen. Es gibt eine<br />

große Konzentration und ein großes Vertrauensverhältnis<br />

untereinander. Diese beiden<br />

Faktoren sind Nährboden für einen guten Austausch.<br />

Es ist jetzt nicht so, dass immer alle<br />

mit allen zusammenarbeiten, aber gerade für<br />

uns von anschleage.de gibt es hier eine Reihe<br />

von Spezialisten im Haus, für Fotografie, Animation,<br />

Motion Graphics, Konzeption und so<br />

weiter, mit denen wir sehr viel zusammenarbeiten.<br />

Das schöne dabei ist, dass sich diese<br />

Arbeitsbeziehungen immer auch auf einer<br />

freundschaftlichen Vertrauensbasis gründen.<br />

Co-working<br />

MC Du sprichst von einem Inselstatus. <strong>Ein</strong>e<br />

Aussage, die den Gedanken der Isolation<br />

in sich trägt. In Berlin sprießen ja<br />

seit einigen Jahren die Co-working Spaces<br />

an allen Ecken. Daraus erwächst<br />

eine Szene. Häufig aus der Bedingung<br />

heraus, dass sich die kreativen keine<br />

eigenen Studios leisten können. Entspricht<br />

eure Insel auch einer Art<br />

Co-working oder würdest du dich von<br />

dieser Annahme eher distanzieren?<br />

CL Ich kenne nicht so viele Co-working<br />

Spaces, als dass ich einen guten Vergleich ziehen<br />

könnte. Aber die Co-working Spaces, die<br />

ich kenne, sind aus meiner Sicht unverbindliche<br />

Laptopablageplätze. Bei uns hingegen ist<br />

alles sehr verbindlich. Allein schon der weite<br />

Weg, den man jeden Tag auf sich nimmt, könn-<br />

te eine Metapher dafür sein. Man entscheidet<br />

sich quasi schon auf seinem Weg <strong>zur</strong> Arbeit<br />

bewusst für die entgegengesetzte Richtung.<br />

Der Heikonaut ist ein vertrauter, familiärer Ort<br />

und kein Co-working Space.<br />

MC Man übernimmt hier also eine andere<br />

soziale Verantwortung?<br />

CL Genau. Wir tragen soziale Verantwortung,<br />

es besteht eine andere Verbindlichkeit.<br />

Die Leute, die hier arbeiten investieren mehr.<br />

Ich glaube, das ist auch, was die Leute an diesem<br />

Ort so schätzen. Wir sind keine Zweckgemeinschaft<br />

mit schnellem Wifi und einer coolen<br />

Kaffeemaschine.<br />

MC<br />

CL<br />

Gemeinschaft<br />

Wie sind Zusammenarbeit und Zusammenleben<br />

im Heikonaut organisiert?<br />

Wir machen zum Beispiel viermal im<br />

Jahr einen „Subbotnik". Der Begriff leitet sich<br />

von russischen Wort für Samstag <strong>–</strong> „Subbota"<br />

<strong>–</strong> ab und bedeutet: Man trifft sich an einem<br />

Samstag, um gemeinsam zu arbeiten. Das hat<br />

man früher gemacht im Osten. Sozusagen ein<br />

Arbeitseinsatz, wo man nicht fehlen durfte.<br />

An solch einem Tag nehmen wir uns zum Beispiel<br />

vor das Treppenhaus neu zu streichen.<br />

Dabei handelt es sich also um eine freiwillige<br />

Gemeinschaftsleistung, bei der man nicht fehlen<br />

darf. So ist das hier.<br />

MC <strong>Ein</strong> gemeinsamer Event mit gesellschaftlicher<br />

Verantwortung?<br />

CL Wir machen das vor allem, weil wir so<br />

einen großen Garten haben. Egal wie sehr man<br />

darauf steht, dass das alles wild vor sich hinwächst,<br />

man muss viermal im Jahr etwas machen,<br />

weil sonst alles verrottet.<br />

Wir sind insgesamt 33 Leute im Heikonaut und<br />

es gibt die Regel, dass man dreimal im Jahr am<br />

Arbeisteinsatz teilnehmen muss. <strong>Ein</strong>mal darf<br />

man fehlen. Oder man kauft sich frei und<br />

schmeißt 35€ in den Topf. Es hat sich herausgestellt,<br />

dass dies die beste Vereinbarung für<br />

alle ist. Die Rechnung ist: Wir arbeiten ungefähr<br />

5 Stunden. 7€ wäre ein adäquater Stundensatz<br />

dafür und so kommt man auf 35€.<br />

MC Dann ist ja alles genau durchgetaktet.<br />

CL Schon, aber eigentlich möchte ich<br />

eher darauf hinauskommen, dass dieser Tag<br />

auch sehr viel Spaß machen kann. Normalerweise<br />

arbeiten hier alle so vor sich hin und<br />

manchmal arbeitet man an einem Projekt zusammen,<br />

aber der Subbotnik ist ein Tag, an<br />

dem wir alle zusammenkommen und somit ist<br />

es auch ein guter Tag.<br />

Wir verlegen eine Wasserleitung im Garten und<br />

dann wird den ganzen Tag lang gebuddelt.<br />

Währenddessen kocht irgendwer für alle und<br />

dann wird noch ein Bier getrunken, der Grill<br />

wird angeschmissen und ein Lagerfeuer angezündet.<br />

Das ist schon etwas, dass allen sehr<br />

viel Spaß macht. Vor allem weil es ein sichtbares<br />

Ergebnis gibt. Physische Arbeit ist mehr<br />

als ein stumpfes Klicker Klicker am Computer.<br />

An so einem Tag bekommt man gemeinsam<br />

Muskelkater. Das schafft natürlich auch ein<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl.<br />

MC<br />

Natur<br />

Und das Ergebnis lässt sich sehen. Ihr<br />

habt einen wunderschönen Garten.<br />

Man bekommt ja beinahe ein Gefühl<br />

des Landidylls. Glaubst du, dass die<br />

20<br />

21


23


Suchen Christian Lagé Un<br />

ort<br />

Heikonaut<br />

Finden<br />

Nähe <strong>zur</strong> Natur auch hier eine inspirierende<br />

Wirkung hat?<br />

CL Total. Für mich ist das auch wichtig.<br />

Ich denke zwar es ist etwas anderes, ob man<br />

wirklich in der Natur ist oder in einem Garten,<br />

aber insgesamt ist der Garten hier allen sehr<br />

wichtig. Im Grunde hat jeder eine Ecke, wo er<br />

seine Tomaten anpflanzen kann oder Kräuter.<br />

Es bedeutet den Menschen viel, die eigenen<br />

Tomaten oder Radieschen zu ernten.<br />

Jörg zum Beispiel ist Schriftsteller. Er schreibt<br />

eigentlich immer im Garten auf einem kleinen<br />

Tisch. Ich glaube, er kann dort einfach am besten<br />

schreiben. An diesem kleinen Tisch auf der<br />

Wiese. Wahrscheinlich könnte er unter Umständen<br />

nicht so gut schreiben, wenn er zu<br />

Hause in seiner Wohnung sitzen würde.<br />

Aber allein schon auf der Wiese zu liegen, Fußball<br />

zu spielen oder überhaupt barfuß herumlaufen<br />

zu können <strong>–</strong> das ist schon ein wahrer<br />

Luxus. Man kann in der Stadt nicht so viel barfuß<br />

laufen.<br />

Etikette<br />

MC Ich habe hier heute schon einige Leute<br />

barfuß laufen sehen.<br />

CL Es gibt keine Etikette. Man kann auch<br />

Grasflecken auf der Hose haben. Wahrscheinlich<br />

würden die Leute das gar nicht mal so formulieren,<br />

aber ich denke schon, dass das eine<br />

große Rolle spielt, dass man sich hier diese<br />

<strong>Freiheit</strong>en und eine natürliche Ungezwungenheit<br />

erlauben darf. Sicherlich spielt es auch<br />

eine Rolle, dass bei uns nicht so viele Kunden<br />

vorbeikommen. <strong>Ein</strong>fach weil wir weiter draußen<br />

sind. Insofern haben wir keine repräsentative<br />

Situation. Die Leute, die den Weg in den<br />

Heikonaut finden wiederum, gefällt die entspannte<br />

Atmosphäre sehr. Wir haben keinen<br />

schicken Empfang, niemand muss sich hier<br />

schick anziehen. Es ist, wie es ist.<br />

Trennung Beruf und Privat<br />

MC Die meisten können diese Ungezwungenheit<br />

im Arbeitsalltag nur im eigenen<br />

Home-<strong>Office</strong> genießen. Wie geht<br />

es dir damit? Arbeitest du manchmal<br />

auch von zu Hause aus?<br />

CL Ich hatte nie ein Home-<strong>Office</strong> und ich<br />

kann das auch nicht. Für mich ist zu Hause zu<br />

Hause und da passiert nichts mehr.<br />

Es gibt natürlich auch Projekte und Fragestellungen,<br />

über die man über einen längeren Zeitraum<br />

nachdenkt. Da nimmt man manchmal die<br />

Arbeit in Gedanken mit nach Hause. Aber das<br />

empfinde ich nicht als Belastung. Das raubt<br />

mir nicht den Schlaf. Andere Leute denken halt<br />

darüber nach, ob ihr Hund Flöhe hat, das finde<br />

ich viel trauriger.<br />

Ich achte aber auch darauf, dass die Arbeit<br />

nicht zu viel Platz in meinem Privatleben einnimmt.<br />

Und wenn ich zum Beispiel übers<br />

Wochenende wegfahre und irgendwo an einem<br />

See angeln bin, dann ist alle Arbeit aus meinem<br />

Kopf verschwunden. Ich denke die räumliche<br />

Veränderung dabei sehr. Aber auch schon<br />

während des eigenen Arbeitsprozesses können<br />

solche Raumwanderungen die Produktivität<br />

steigern.<br />

Ablenkung<br />

CL Für mich ist es beispielsweise sehr<br />

wichtig, dass ich meinen Arbeitsplatz verlassen<br />

kann. Wenn mal nichts einfällt, mähe ich<br />

doch lieber eine Stunde lang den Rasen, als auf<br />

meinen Bildschirm zu starren. Oder ich setze<br />

mich mit einem Bier in die Sonne. Das hilft mir<br />

und meiner Arbeit viel mehr, als sinnlos vor<br />

meinem Computer herumzuprokrastinieren.<br />

MC Also wenn du in deiner Arbeit stag-<br />

Andere Leute denken<br />

halt darüber nach, ob<br />

ihr Hund Flöhe hat, das<br />

finde ich viel trauriger.<br />

nierst, dann verlässt du deinen Arbeitsplatz?<br />

CL Ich würde meinen Arbeitsplatz am<br />

liebsten den ganzen Tag verlassen. Nicht weil<br />

ich keine Lust auf meine Arbeit hätte, sondern<br />

weil ich merke, dass ich viel besser arbeiten<br />

kann, wenn ich räumlich unterwegs bin. Hier<br />

eine Stunde, da eine Stunde. Wenn ich den<br />

ganzen Tag an meinem Schreibtisch sitze, werde<br />

ich eigentlich nur müde.<br />

Inspiration<br />

MC Dich inspirieren also die Dinge, die<br />

dich umgeben, während du in Bewegung<br />

bleibst? Wie sehen solche Quellen<br />

der Inspiration für dich aus?<br />

CL Inspirationsquellen sind unglaublich<br />

vielfältig. Ich könnte das gar nicht so festlegen.<br />

Ich glaube es ist vor allem der Austausch mit<br />

anderen Menschen. Zu erfahren womit sich andere<br />

gerade beschäftigen, dass löst dann Feedbackschleifen<br />

auf meine eigene Arbeit aus.<br />

MC Ist dir denn auch Feedback von anderen<br />

Leuten wichtig?<br />

CL Nicht wirklich. Mit Feedback meine ich<br />

aber auch viel mehr Feedback in meinem eigenen<br />

Kopf. Feedback von anderen interessiert<br />

mich eigentlich nicht so sehr.<br />

Gesetz des Falls, die Kreativität entsteht im<br />

Kopf. Dann funktioniert das Gehirn ja auch wie<br />

ein Muskel, der sich verkrampfen kann. Diesen<br />

Muskel kann man dann also ganz gut lockern,<br />

indem man sich mit anderen Leuten über ganz<br />

andere Dinge austauscht oder ganz andere Tätigkeiten<br />

macht. Und ich kann diesen Muskel<br />

eben ganz gut ausschütteln. Ich empfinde körperliche<br />

Arbeit als Gegenpol sehr wichtig. Ich<br />

mache dann auch oft andere Dinge. Ich repariere<br />

eine Lampe oder ich bastel eine Hängematte.<br />

Solche Aktivitäten helfen mir wiederum<br />

den Kopf auszuschütteln.<br />

Produktivität<br />

MC Weil es trotzdem eine produktive Tätigkeit<br />

ist, aber in einem anderen Kontext?<br />

CL Genau. Viele Sachen, die meine tägliche<br />

Arbeit bei anschlaege.de betreffen, würde<br />

ich schon als sehr komplexe Prozesse bezeichnen.<br />

Man arbeitet lange an einer Sache, häufig<br />

gibt es viele Für- und Widerargumente, Meinungen<br />

und Bedürfnisse, Zeitpläne und Budgets,<br />

die man im Kopf haben muss. Dem steht dann<br />

der einfache Gedanke gegenüber: Ich schraube<br />

jetzt eine Lampe an. <strong>Ein</strong>e sehr überschaubare<br />

Aufgabe mit einem sehr konkreten Ergebnis.<br />

Kompromisse<br />

MC Es klingt, als stecke sehr viel Arbeit in<br />

den Mauern des Heikonaut. Sicherlich<br />

gab es immer wieder auch Kompromisse,<br />

die ihr betreffend die Raumgestaltung<br />

eingehen musstet?<br />

CL Der größte Kompromiss ist, dass es<br />

ganz schön voll geworden ist bei uns. Es sind ja<br />

nicht immer alle da, aber wenn mal alle da wären,<br />

dann gäbe es fast keinen Winkel im Haus,<br />

wo man einen Moment alleine sein könnte.<br />

Platz<br />

MC Dir fehlt es also an genügend Raum im<br />

Heikonaut?<br />

CL Ich fände es schon toll, wenn ein Flügel<br />

des Gebäudes komplett leer stehen würde. Und<br />

man die Möglichkeit hätte, jederzeit dorthin zu<br />

gehen und etwas Neues zu bauen, zu erschaffen<br />

und zu kreieren. <strong>Ein</strong>fach mal die Wand grün<br />

anzustreichen, weil einem danach ist, nur um<br />

diesen Raum dann ein ganzes Jahr nicht mehr<br />

zu betreten. Da wäre eine große <strong>Freiheit</strong>.<br />

Der perfekte Arbeitsraum<br />

MC Wie würde denn der perfekte Arbeitsraum<br />

nach deiner Vorstellung aussehen?<br />

Wie viel Platz bräuchtest du für<br />

dieses Bedürfnis nach <strong>Freiheit</strong>?<br />

CL Wenn ich es mir aussuchen könnte,<br />

dann wären das große Hallen, große Räume, so<br />

um die 200-300m², mit acht Meter hohen Decken.<br />

Darin wäre nicht viel mehr als ein<br />

Klappstuhl. Das fände ich ideal. Das finde ich<br />

ganz toll. Aber das geht hier halt nicht.<br />

Es ist schon alles wesentlich kompakter. Aber<br />

das empfinde ich nicht als störend und das<br />

macht mich auch nicht unglücklich.<br />

Ich glaube, so ein Kompromiss hat natürlich<br />

auch immer etwas mit dem Budget zu tun. Natürlich<br />

nicht zwangsläufig, aber leider sehr oft.<br />

Im Falle des Heikonaut ist es so, dass wir zu<br />

keinem Zeitpunkt das Geld hatten, um einen<br />

großen Wurf zu machen. Wir konnten immer<br />

nur die unmittelbar wichtigsten Sachen umsetzen.<br />

Den <strong>Ein</strong>bau einer neuen Heizzentrale,<br />

damit das Haus überhaupt beheizbar ist. Oder<br />

das Verlegen neuer Elektrik. So arbeitet man<br />

24<br />

25


Suchen<br />

Christian Lagé <strong>–</strong> Heikonaut<br />

Bitte<br />

berühren<br />

Aus ›Schöpferische Pausen‹ von Rudolf Seitz<br />

Finden<br />

sich Schritt für Schritt durch eine Komplettsanierung<br />

und merkt dabei natürlich auch, dass<br />

es wahrscheinlich viel besser gewesen wäre,<br />

wenn man es von Anfang an einmal richtiggemacht<br />

hätte. Das ist ein bisschen schade, andererseits<br />

ist es auch ganz charmant. Wir vereinen<br />

in diesem Gebäude so viele unterschiedlichem<br />

Meinungen und Sichtweisen auf<br />

die Welt. Selbst wenn wir also je in die Situation<br />

kommen würden, eine große Renovierung<br />

anstreben zu können, dann würden wir Jahre<br />

darüber diskutieren ohne eine Lösung zu finden.<br />

Insofern ist es eine Erleichterung, dass<br />

sich diese Frage überhaupt nicht stellt. Und<br />

wenn man sich schön an pragmatische Sachen<br />

hält, dann läuft das eigentlich immer ganz gut.<br />

Funktionalität<br />

MC Also stehen bei dir Funktionalität und<br />

Pragmatismus vor der Ästhetik? Habt<br />

ihr euch beim <strong>Ein</strong>zug vorher Gedanken<br />

über die <strong>Ein</strong>richtung gemacht?<br />

CL Keine Sekunde lang. Wir haben einfach<br />

das genommen, was da war. Das ist sicherlich<br />

etwas, was ich bei uns ein bisschen<br />

schade finde. Ich würde natürlich gerne einen<br />

schicken Besprechungstisch haben, aus einem<br />

besonderen Material. Aber bei uns ist die<br />

<strong>Ein</strong>richtung von einem umfassenden Pragmatismus<br />

geprägt. Bevor wir Geld für einen schicken<br />

Schreibtisch ausgeben, würden wir dieses<br />

Geld immer in einen besseren Drucker<br />

investieren. Wir müssen gute Arbeit abliefern,<br />

ob die Tische an denen wir sitzen besonders<br />

toll sind oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang<br />

keine Rolle.<br />

Arbeitsbereiche<br />

MC Stört dich eine mangelhafte <strong>Ein</strong>richtung<br />

tatsächlich nicht in deiner Arbeitsweise?<br />

CL Für mich ist das tatsächlich nicht so<br />

wichtig. Ich verlagere meine Wirkungsräume ja<br />

mehrmals am Tag. An meinem eventuell nicht<br />

so wunderschönen Tisch bin ich tatsächlich<br />

nur, wenn ich Sachen konzentriert abzuarbeiten<br />

habe. Wenn ich mit den Händen arbeiten<br />

will, dann gehe ich runter in die Werkstatt.<br />

Wenn ich laut Musik hören möchte, gehe ich in<br />

die Bar und wenn ich meinen Gedanken freien<br />

Lauf lassen will, dann setze ich mich in den<br />

Garten. Man muss nicht alles unmittelbar um<br />

mich sich herum haben.<br />

MC Also schaffst du dir verschiedene Arbeitsbereiche?<br />

CF Man muss sich angewöhnen, längere<br />

Wege zu laufen. Das machen nicht so viele Leute,<br />

aber das zahlt sich total aus. Man sollte<br />

seinen eigenen Radius, in dem man sich täglich<br />

bewegt, deutlich weiter fassen. Das verändert<br />

die Sichtweise. Solche Perspektivwechsel<br />

sind mir viel wichtiger und inspirieren<br />

mich stärker, als schicke <strong>Ein</strong>richtungsgegenstände.<br />

<strong>Ein</strong>stellung<br />

MC Dabei kommt es sicherlich vor allem<br />

auf die eigene, innere <strong>Ein</strong>stellung an.<br />

Du und deine Geschäftspartner habt<br />

in der Vergangenheit viele Lehraufträge<br />

wahrgenommen und Workshops<br />

durchgeführt. Gibst du einen Teil deiner<br />

inneren <strong>Ein</strong>stellung an dieser Stelle<br />

auch an andere, junge Kreative weiter?<br />

CL Wenn, dann eher unbewusst.<br />

MC Und wenn du danach gefragt würdest?<br />

Welchen Tipp würdest du ganz bewusst<br />

an die jüngere Generation weitergeben?<br />

CL Bauchgefühl und Gelassenheit. Ich<br />

denke eine der größten Herausforderungen für<br />

junge Kreative ist Vertrauen in sein eigenes<br />

Bachgefühl zu haben und dabei gelassen zu<br />

bleiben. Ich meine wir machen Design und keine<br />

Operation am offenen Herzen <strong>–</strong> es stirbt<br />

doch keiner wenn mal etwas schiefgeht.<br />

MC Hast du das Gefühl, dass sich der<br />

Nachwuchs einem enormen Druck<br />

aussetzt?<br />

CL Viele Studenten, mit denen wir in<br />

Workshops zu tun haben, denken: „Oh man ey,<br />

das ist die letzte Idee meines Lebens. Ich muss<br />

die jetzt echt noch tausendfach überdenken,<br />

damit sie perfekt wird.“ Ich denke mir dann jedes<br />

mal: „Man <strong>–</strong> hau raus das Ding und morgen<br />

hast du eine neue Idee. Und übermorgen wieder<br />

eine. Das geht ja immer so weiter <strong>–</strong> ein Leben<br />

lang. Das ist einfach so.“<br />

Und wenn eine Idee gut umgesetzt wird, dann<br />

ist das toll. Aber wenn sie nicht so gut umgesetzt<br />

wird, dann ist das auch nicht so schlimm.<br />

Dann wird die nächste wieder besser.<br />

Das zu akzeptieren fällt vielen schwer. Aber<br />

man kann nicht jede Sache gut machen. Das ist<br />

nicht möglich. Dabei würde man ja durchdrehen.<br />

Das schafft man gar nicht.<br />

Zum Glück ist mein Geschäftspartner Steffen<br />

inzwischen Professor und damit sind all unsere<br />

pädagogischen Verpflichtungen gegenüber dem<br />

Rest der Gesellschaft einfach auch erledigt.<br />

MC<br />

Da bin ich aber beruhigt.<br />

»Komisch war das schon mit der Wahrnehmung,<br />

fand Rul. Es gab Tage, da nahm er gar nichts wahr.<br />

Höchstens, daß etwas auf dem Boden stand,<br />

über daß er nicht stolpern sollte, daß die Ampel<br />

auf Grün stand (sah er es wirklich?), daß da auch<br />

eine Treppe war usw. Überlebensfakten.<br />

Er sah nicht den Himmel, er wusste nicht, wie<br />

die Leute aussahen, die ihm entgegenkamen,<br />

nichts hatte er wirklich wahrgenommen. An solchen<br />

Tagen aß er und wusste nicht was, nicht,<br />

wie es wirklich schmeckte. Gerüche gelangten<br />

über seine Nase nur dann ins Gehirn, wenn sie<br />

penetrant waren. Seine Ohren nahmen nur einen<br />

allgemeinen Geräuschpegel auf. Und sein Tastsinn?<br />

Den hatte er schon lange an die Augen abgegeben.<br />

Er begriff nichts mehr. Auf Grund seiner<br />

Erfahrung glaubte er zu wissen, wie sich<br />

etwas anfühlte. Wie geradezu entsetzt war er,<br />

als in einem Museum an einem Objekt der Text<br />

stand »Bitte berühren«. Was war an solchen<br />

Tagen nur los? Die Sinne waren nach innen gestülpt,<br />

umgedreht, nicht aktionsbereit.<br />

[…]<br />

Rul erinnerte sich an unzählige Erlebnisse voller<br />

Staunen, offen bis in jede Pore. Aha-Erlebnisse<br />

waren das. Als wenn er in einem stickigen Raum<br />

das Fenster geöffnet hatte und er mit tiefen Zügen<br />

die frische Luft einsog.«<br />

26<br />

27


Vielheit<br />

Isolation<br />

28<br />

29


Vielheit<br />

Raum für Kreativität <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Isolation<br />

Der Raum kann ein Werkzeug sein, welches<br />

den Kreativen in seiner Kreativleistung<br />

unterstützt. Nämlich jener Raum,<br />

der Platz birgt für Zurückgezogenheit<br />

und Stille innerhalb eines reizüberfluteten<br />

Umfeldes. Vor allem in Zeiten der Digitalisierung scheitern<br />

Kreative häufig an eben diesem Raummangel. Widmen wir unsere<br />

Aufmerksamkeit also dem Kreativen von heute, der mit einem<br />

Überfluss von alltäglichen Reizen umzugehen lernen muss. Denn<br />

die alleinige Wahrnehmung dieser <strong>Ein</strong>drücke führt nicht zwangsläufig<br />

zu einer Übersetzung in Kreativität oder Produktivität. Sie<br />

kann vielmehr zu einer Gelähmtheit oder einer Überforderung des<br />

menschlichen Geistes führen.<br />

Die Welt bietet dem Kreativen unendlich viele Möglichkeiten.<br />

Kaum eine Frage bleibt dank Smart-Phones ungeklärt, zu viele<br />

Türen stehen gleichzeitig offen. Nur eine Pforte scheint fest verschlossen.<br />

Der Zugang zu Ruhe, Konzentration und Entschleunigung.<br />

Dem Zustand des »Allein-Seins«, den ein kreativer Geist<br />

seit jeher braucht, um Ideen nicht nur einzufangen, sondern auch<br />

weiterspinnen zu können. »Im Bombardement der Sinne benötigen<br />

wir Zonen der Unterbrechung, merkliche Pausen, Stille.« 1 ,<br />

fordert der Philosoph Wolfgang Welch und wird von Berzbach<br />

zitiert, der Ungestörtheit und Stille als eine Bedingung kreativen<br />

Arbeitens formuliert. 2<br />

Diesem Bedürfnis müssen Räume geschaffen werden. Dabei geht<br />

es nicht nur um physische Orte, sondern auch um strukturelle Ansätze<br />

zum Umgang mit der eigenen Zeit, äußeren Ablenkungen, Zugängen<br />

zu Kreativität und Durchhaltevermögen, während der oft<br />

größten Herausforderung <strong>–</strong> der Umsetzung. Doch gerade Produktivität<br />

ist es, die dem Kreativen in hohem Maße abverlangt wird.<br />

Hierfür sind Konzentration und Alleinsein, als grundlegende<br />

Voraussetzungen produktiven Arbeitens zu nennen. »Kreativität<br />

ist ein einsames Phänomen« 3 , so Berzbach in seinem Buch ›Die<br />

Kunst ein kreatives Leben zu führen‹. Als Untermauerung dieser<br />

These zitiert er den Psychoanalytiker Rolf Haubl, der die Lebenskunst<br />

beschreibt als einen Weg »[…] das eigene Leben so zu führen,<br />

dass man bei sich bleibt, sich nicht verliert, zumindest nicht dauerhaft,<br />

sondern immer wieder zu sich findet: das man Alleinsein<br />

sucht und <strong>Ein</strong>samkeit meidet.« 4<br />

Diese Aussage beinhaltet für mich zum einen den Aspekt des<br />

konzentrierten Arbeitens, der das Alleinsein einfordert. Die Bedeutung<br />

von <strong>Ein</strong>samkeit beinhaltet in sich einen Anspruch auf<br />

Isolation, also einen Ausschluss sozialer Kontakte. Haubl jedoch<br />

fordert keine Abgrenzung im vollständigen Sinne. Nein <strong>–</strong> er spricht<br />

vielmehr von einer Vermeidung der <strong>Ein</strong>samkeit. Somit entsteht ein<br />

Widerspruch zu der von Berzbach geforderten <strong>Ein</strong>samkeit. Auf den<br />

Alltag des Kreativen übertragen, fördert Haubls Aufforderung den<br />

Diskurs mit anderen Menschen aus dem sozialen Netzwerk. Jonas<br />

Burgert beschreibt diesen Umstand aus seiner persönlichen Erfahrung<br />

heraus so: »Das Problem ist ja immer die <strong>Ein</strong>samkeit dabei.<br />

Als bildender Künstler möchte man eigentlich seine Ruhe haben.<br />

Also ins Atelier gehen, die Tür schließen und alleine sein, um sich<br />

konzentrieren und arbeiten zu können. Aber nach fünf Stunden ist<br />

man einsam und dann möchte man gerne mal zu jemand anderem<br />

gehen und einen Kaffee trinken.« 5<br />

WERKZEUG 1<br />

Raum für<br />

Kreativität<br />

Es bedeutet also, dass das Alleinsein lediglich<br />

auf den Moment der konzentrierten<br />

Ideenentwicklung begrenzt sein<br />

kann, nachfolgend allerdings mag es<br />

umso bereichernder sein, diese Idee mit<br />

anderen Menschen weiterzuverfolgen. Offenheit gegenüber Meinungen<br />

und Kritik von außen werden dem Kreativen sogar zum<br />

hilfreichen Werkzeug innerhalb des eigenen kreativen Prozesses.<br />

<strong>Ein</strong>e andere Auslegung der These Haubls wiederum, kann ihren<br />

Fokus verstärkt auf die Fähigkeit »bei sich zu bleiben« legen. Hiernach<br />

geht es um die Fähigkeit, sich ständigen Ablenkungen von<br />

außen zu entziehen. Dies nicht dauerhaft zu tun, bedeutet zudem,<br />

sich äußeren <strong>Ein</strong>flüssen nicht gänzlich zu verschließen. Die Aussage<br />

Haubls beschreibt also nicht nur eine Vorstellung kreativer<br />

Räumlichkeit.<br />

Letzterer Ansatz findet sich auch in der Lehre Rudolf Steiners<br />

wieder. In seinem Werk ›Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren<br />

Welten‹ beschreibt er unter anderem den Zugang <strong>zur</strong> inneren<br />

Ruhe. Hierfür stellt er Regeln auf, an die sich das Individuum halten<br />

kann <strong>–</strong> die ihm als Werkzeug dienen sollen, sich nicht von der<br />

täglichen Jagd nach Zerstreuung leiten zu lassen. 6<br />

Steiner betont die Notwendigkeit, dass sich der Mensch immer<br />

wieder Augenblicke im Alltagsleben schaffen muss, in denen er in<br />

Ruhe und Abgeschiedenheit mit sich selbst sein müsse. In diesen<br />

Momenten ginge es nicht primär um eine Beschäftigung mit den<br />

eigenen persönlichen Belangen, sondern vielmehr um ein Nachklingenlassen<br />

von Erlebnissen, Erfahrungen und Umwelteinflüssen<br />

der äußeren Welt. Macht sich der Mensch diese Angewohnheit<br />

zu eigen, dann wird »[j]ede Blume, jedes Tier, jede Handlung […]<br />

in ihm in solchen stillen Augenblicken ungeahnte Geheimnisse<br />

enthüllen. Und er wird vorbereitet dadurch, neue <strong>Ein</strong>drücke der<br />

Außenwelt mit ganz anderen Augen zu sehen als vorher.« 7<br />

1 Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 88.<br />

2 Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 78.<br />

3 Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 72.<br />

4 Rolf Haubl: Allein bei sich, außer<br />

sich: einsam. In: Karsten Mönch u.a.: Die<br />

Fähigkeit allein zu sein. Psychosozial<br />

Verlag, Gießen, 2009. Zitiert nach Frank<br />

Berzbach: Die Kunst ein kreatives Leben<br />

zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit.<br />

Verlag Hermann Schmidt, Mainz, 2013, 6.<br />

Auflage 2014, S. 81.<br />

5 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

6 Vgl. Rudolf Steiner: Wie erlangt<br />

man Erkenntnisse der höheren Welten.<br />

Rudolf Steiner Online Archiv. 4.Auflage,<br />

2010, S. 9f. http://anthroposophie.byu.<br />

edu/schriften/010.pdf. Stand 07.11.2015.<br />

7 Rudolf Steiner: Wie erlangt man<br />

Erkenntnisse der höheren Welten. Rudolf<br />

Steiner Online Archiv. 4.Auflage, 2010, S. 10.<br />

http://anthroposophie.byu.edu/schriften/010.pdf.<br />

Stand 07.11.2015.<br />

31


Vielheit<br />

Life is Sour<br />

Artist Residency Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Life is Sour<br />

Im Winter dieses Jahres<br />

erreicht mich eine<br />

<strong>Ein</strong>ladung aus der Schweiz, genauer aus Luzern.<br />

<strong>Ein</strong> Illustratorenpärchen <strong>–</strong> Isabel Peterhans und<br />

Patrick Bonato <strong>–</strong> bietet mir eine sogenannte<br />

Artist Residency an. Die beiden würden sich<br />

freuen, mich für einen Monat in der Teiggi als<br />

guest-artist aufzunehmen. Die Teiggi <strong>–</strong> das sei<br />

eine ehemalige Pastafabrik in der an Luzern<br />

angrenzenden Gemeinde Kriens. Bis zu ihrem<br />

bevorstehenden Abriss im Juli 2016 böte sie<br />

Künstlern zwischennutzend Unterkunft. Neben<br />

günstigem Wohnraum gäbe es dort vor allem<br />

auch Werkstätten und Ateliers. <strong>Ein</strong> Solches<br />

würden mir die beiden gerne, neben einem<br />

eigenen Zimmer in der gemeinsamen Wohnung<br />

sowie einem schweizerdeutschen »Velo«, für die<br />

Umsetzung eines persönlichen, freien Projekts<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stellen. Am Ende der Artist Residency<br />

best<strong>–</strong> eigentlich wie ein Lotto-Jackpot!<br />

Paradiesische Zustände: Raum und Zeit, Arbeit<br />

und Urlaub, ein kreatives Umfeld und gleichgesinnte<br />

Kontakte <strong>–</strong> und das alles serviert auf<br />

einem Silbertablett! Beim gemeinsamen Skype-<br />

Rendezvous sind mir Isa und Patrick auf Anhieb<br />

sympathisch und ich sage frei von Zweifeln<br />

sofort zu! Für den ganzen August würde ich also<br />

das Angebot der beiden wahrnehmen!<br />

Diese Aussicht ist es, die mich am Ende meiner<br />

Bachelor-Arbeit als Belohnung erwarten sollte.<br />

Meine Energien fließen zunächst komplett in<br />

mein Studium. Ich vertraue darauf, dass bis<br />

August eine <strong>Ein</strong>gebung folgen würde, woraus<br />

das »freie, künstleriche Projekt« bestehen<br />

könnte. Selbstverständlich weiß ich eine solche<br />

Möglichkeit zu schätzen und will die bereitgestellten<br />

Ressourcen würdigend nutzen. So<br />

denke ich mir immer wieder, dass mir bis dahin<br />

schon etwas einfallen würde.<br />

Als ich im August in Luzern ankomme, treffe<br />

ich die beiden <strong>–</strong> wie schon erwartet <strong>–</strong> unglaublich<br />

netten, offenen Illustratoren in ihrer<br />

wunderschönen Wohnung in der alten Nudelfabrik<br />

an. Die Bücherregale sind prallgefüllt mit<br />

Graphic Novels, Comics und Wälzern über<br />

Kunst und Illustration. An den Wänden hängen<br />

Drucke und Nachrichten befreundeter IllustratorInnen.<br />

Bei dem Blick aus meinem niedlichen<br />

Zimmer lese ich einen handgemalten Schriftzug:<br />

»Der fremde ist nur in der Fremde fremd«<br />

am gegenüberliegenden Turm einer Fabrik. Der<br />

Schnaps zum Anstoßen steht schon am Küchentisch<br />

bereit. Ich fühle mich hier ganz<br />

richtig und herzlich aufgenommen.<br />

Isabel zeigt mir am Morgen des ersten Tages<br />

den gemeinschaftlichen Garten mit dem<br />

kleinen Acker, auf dem ich im Verlauf des<br />

Augusts noch oft Brombeeren und Kräuter<br />

pflücken würde. Sie führt mich auch in mein<br />

»Atelier« <strong>–</strong> einem eher heruntergekommenen<br />

<strong>–</strong> düsteren Raum mit blauem Spannteppich. An<br />

einer Metallverstrebung an der Decke baumelt<br />

ein weißer Schaufensterpuppenarm. Mein<br />

Vorgänger habe diesen Raum scherzend »das<br />

Moloch« genannt. Egal! Die Wände sind (mehr<br />

oder weniger) weiß, der Platz ist ausreichend. Es<br />

gibt zwei Tische, ein großes Fenster. Isa überlässt<br />

mir ihr Drucker-Scanner-Kombinationsgerät.<br />

Ich bin bestens ausgestattet, kann mich<br />

ausbreiten und auch herumferkeln. Wenn ich in<br />

meinerArbeit versinke, vergesse ich alles um<br />

mich herum. Es ist dann nicht wichtig, wo ich<br />

bin und ob es leise ist oder laut. Es ist egal, ob<br />

die Möbel um mich stilvoll sind, ob Ordnung<br />

oder Chaos herrscht. Man muss mich nur in<br />

Ruhe lassen, darf mich nicht ansprechen. Das<br />

ist alles, das ich für Konzentration brauche.<br />

Und hier ist all das vorhanden. Und kein Wlan.<br />

Kein Wlan. Keine Ablenkung. Kein Problem!<br />

Isa und Patrick stehen jeden Morgen zeitig auf<br />

und fahren mit ihren Velos in ihre Ateliers, die<br />

in anderen zwischengenutzten Fabriken in<br />

Luzern untergebracht sind. Meist kommen sie<br />

Abends <strong>zur</strong>ück und wir kochen, essen und<br />

trinken gemeinsam. Wenn einer der beiden<br />

von zu Hause aus arbeitet, lässt er/sie mich am<br />

Arbeitsprozess teilnehmen <strong>–</strong> fragt mich,<br />

»Was meinst du?« oder »Wie findest du das?«<br />

oder »Schau, ich muss dir das zeigen!«.<br />

Meist sitzen wir bis spät in die Nacht zusammen<br />

und reden, tauschen Gedanken und Inspirationen<br />

aus. Manchmal nimmt mich einer der beiden<br />

in ihr/sein Atelier mit. Hin und wieder kommen<br />

auch befreundete Illustratoren zu Besuch.<br />

Luzern kann man getrost auch eine Hochburg<br />

für Illustratoren nennen. Die Kunsthochschule<br />

Luzern bietet eine reine Ausbildung für werdende<br />

ZeichnerInnen. Auch das Comic Festival<br />

Fumetto zieht jedes Jahr viele Begeisterte aus<br />

dem Gebiet an. Und so bleibt die Anzahl der<br />

Mensch, die ich in Luzern kennenlerne, die nicht<br />

als Illustratoren ihren Lebensunterhalt bestreiten,<br />

an einer Hand abzählbar. Dieser Umstand<br />

ist für mich eine komplett ungewohnte Situation<br />

<strong>–</strong> in meinem alltäglichen Umfeld sind Zeichner-<br />

Innen eher die Ausnahme. Somit ist für mich vor<br />

allem die Ankommenszeit eine verführerische<br />

Gelegenheit für gegenseitigen Austausch. Und<br />

das birgt ein Problem: zu viel Ablenkung!<br />

In den ersten beiden Wochen sitze ich also<br />

tagsüber in meinem Atelier und zeichne. Ich<br />

zeichne irgendetwas. Mit viel Hingabe aber<br />

ohne jeglichem Ziel. Meine Arbeit scheint<br />

auf nichts hinauszulaufen. Im Kopf habe ich<br />

das Datum der Ausstellung. Auch der Ort ist<br />

schon fixiert. Und das Mantra »Du willst<br />

diese Gelegenheit ausnutzen! Du MUSST<br />

diese Gelegenheit ausnutzen!«.<br />

Mit jedem Tag der verstreicht werde ich frustrierter.<br />

Der Bachelor ist frisch abgeschlossen.<br />

Ich habe schon eine Idee für ein Master-Projekt.<br />

Aber jetzt und hier habe ich gerade nicht das<br />

Gefühl, etwas ausdrücken zu wollen. Da ist<br />

nichts, das mir auf der Seele brennt und nichts,<br />

das ich aussagen möchte. Und draußen, da sind<br />

die Berge, die wollen entdeckt werden! Da sind<br />

Parties, auf denen getanzt werden will! Da sind<br />

Cocktails, die getrunken werden sollen! Da sind<br />

Menschen, die ich so viel fragen möchte! Und<br />

ich sitze hier in diesem Zimmer, allein mit dem<br />

Gefühl einer Blockade in mir. Da ist diese<br />

Hemmung <strong>–</strong> die dann eintritt <strong>–</strong> wenn man sehr<br />

hohe Erwartungen an sich selbst stellt.<br />

32<br />

33


Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

34<br />

35


Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

34<br />

35


Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

34<br />

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Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

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Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

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Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

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Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

34<br />

35


Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

34<br />

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Vielheit Life is Sour Artist<br />

Residency<br />

Text und Illustration von Katharina Hüttler<br />

Isolation<br />

Zur Halbzeit meiner Artist Residency vermittelt<br />

mir meine Agentur mehrere Aufträge. Diese<br />

arbeite ich zügig ab, im Wissen, dass meine Zeit<br />

in Luzern begrenzt sei und dem Bedürfnis,<br />

diese auch meinem noch immer nicht existenten<br />

Projekt zu widmen. Die Erledigung meiner<br />

Jobs ist von einem gewissen Erfolgsgefühl<br />

gekrönt. Das <strong>–</strong> und die rapide näherrückende<br />

Deadline, drängen mich <strong>zur</strong> Wahl einer<br />

Thematik und ich schaffe es endlich, mich zu<br />

fokussieren und Entscheidungen zu treffen. Ich<br />

denke, ich bin ein recht pragmatischer Mensch.<br />

Schon kreativ, aber gerne mit einem Ziel vor<br />

Augen. Und dieses sollte <strong>–</strong> wenn möglich,<br />

irgendwie Sinn machen. Persönliche Verwirklichung<br />

allein ist für mich selten Grund genug,<br />

etwas ernsthaft und mit Hingabe zu tun. Die<br />

Nachricht, dass ich einen Risographen für die<br />

Umsetzung des finalen Printprodukts nutzen<br />

könne, bringt endlich Inspiration! Denn ich<br />

liebe die Optik, die man mit diesem Siebdruckverfahren<br />

erzeugen kann und ich brenne für<br />

den D.I.Y. Geist des Self-Publishings! Am Ende<br />

versuche ich, Illustrationen zu erarbeiten, die<br />

das Gefühl des Leistungsdrucks ein bisschen<br />

mit den schönen <strong>Ein</strong>drücken, die ich in meiner<br />

Freizeit in Luzern gesammelt habe, verknüpfen<br />

würden. Wenn mein Blick aus dem Fenster in<br />

die Ferne schweift, fällt mir immer wieder das<br />

Lied „Lemon tree“ ein, das ich aus meiner<br />

Kindheit kenne. Darin geht es um Sinnlosigkeit<br />

und um Zitronenbäume. Und ich fühle mich<br />

nun schon seit Wochen wie eine Zitrone, die<br />

man angestrengt auszupressen versucht, aus der<br />

aber einfach kein Saft zu quetschen ist.<br />

So fülle ich ein Heft mit Zitronen und mit dem<br />

Wunsch, die Perspektive ändern zu können und<br />

all den Möglichkeiten, die da sind und nach<br />

denen wir bloß unsere Hände auszustrecken<br />

bräuchten um zuzugreifen.<br />

Das Resultat ist ein Stapel gelber Zines und<br />

einige Originale, die das Neubad <strong>–</strong>einem als<br />

Veranstaltungsraum zwischengenutzen<br />

Schwimmbad im Luzerner Stadtzentrum<strong>–</strong> bei<br />

einer Vernissage präsentiert und für unbestimmte<br />

Dauer auffrischen wird.<br />

Sitting in the boring room<br />

wasting my time<br />

I feel so lonely<br />

I‘d like to change<br />

my point of view<br />

I wonder HOW<br />

I wonder WHY<br />

DA DA DA DA DI<br />

DATDA<br />

DADADADI<br />

DA DA DA DI<br />

DI DI DA<br />

All that I can see<br />

ISOLATION<br />

is not good for me<br />

Baby anyhow<br />

everything will happen<br />

and YOU wonder<br />

Ich habe mich einen ganzen Monat mit Illustration<br />

beschäftigt. Ich habe unendlich viele<br />

Bücher zu dem Thema gelesen und während des<br />

Zeichnens Podcasts darüber gehört. Ich habe<br />

viele, viele Menschen kennengelernt und mir<br />

über ihre Erfahrungen erzählen lassen. Ich habe<br />

ein Projekt umgesetzt und ich habe eine<br />

Ausstellung veranstaltet. Nebenbei hatte ich<br />

einen wunderschönen Sommer mit ganz tollen<br />

Erlebnissen in den Schweizer Bergen. Ich habe<br />

von meiner Artist Residency also mehr bekommen,<br />

als ich mir hätte erträumen lassen.<br />

Und doch <strong>–</strong> das Gefühl einer richtigen Befriedigung<br />

bleibt irgendwie aus.<br />

<strong>Ein</strong>e Artist Residency ist eine Gelegenheit,<br />

fernab vom Alltag etwas <strong>Ein</strong>maliges zu<br />

erarbeiten. Ich wünschte, ich hätte in dem<br />

Moment das Bedürfnis verspürt, etwas<br />

Großes zu schaffen. Das Große, von dem ich<br />

weiß, dass es viel zu viel an Erwartung ist.<br />

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Vielheit Im Gespräch mit Caroline Fayette Co<br />

working<br />

Zu Besuch bei Blender& CO<br />

Isolation<br />

CF<br />

MC<br />

Caroline Fayette<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Es ist ein schöner Abend. Mit vielen Unbekannten feiere ich das<br />

Release des neuen SOVA Magazins. Ich habe vorher noch nie<br />

etwas davon gehört, aber die große Gruppe von Menschen vor<br />

dem Blender&Co Studio ließ mich in meiner Fahrt innehalten<br />

und die bewegten Lichter hinter der großen Glasfront ziehen<br />

mich ins Innere. Hinter der Bar sitzt die Besitzerin des Fotostudios,<br />

Caroline Fayette. Ich kann nicht anders, als ihr Komplimente<br />

auszusprechen für diesen so wunderschön gestalteten<br />

Ort. Rohe Wände heben sich mit fransigem Orange von<br />

weißüberstrichenen Decken ab, Pflanzen zieren von warmen<br />

Leuchten bestrahlte Zimmerecken und ein kleiner Jack Russell<br />

tanzt bunt getupft zwischen den Menschen hindurch. Caroline<br />

erzählt mir bei einem Becher Weißwein von dem neu eröffneten<br />

Co-working Space, der sich an das Fotostudio anschließt, und<br />

wirkt interessiert, als ich ihr von meinem Projekt über Inspiration<br />

und Räumlichkeit, moderne Arbeitskultur und alternative<br />

Arbeitsräume erzähle. Schnell wird klar, dass wir ein gemeinsames<br />

Thema gefunden haben. So fahre ich gerne an einem Sommertag<br />

erneut in das Studio Blender&Co in der Boddinstraße 32<br />

und führe bei einem Becher Brause und knackigen Weintrauben<br />

jenes Gespräch fort, welches unter dem Lärm und der Aufregung<br />

eines schönen Abends begonnen hatte.<br />

An diesem Sommertag lerne ich eine junge Frau kennen, die mit<br />

nur 25 Jahren, in Kooperation mit ihrem Geschäftspartner Nick<br />

Grossmann, einen eigenen Co-working Space eröffnet hat. Aber<br />

nicht allein aus dem romantischen Gedanken, kreativen Austausch<br />

und gemeinschaftliches Arbeiten zu zelebrieren, sondern<br />

vielmehr aus der Not heraus geboren, mit den <strong>Ein</strong>nahmen<br />

des Co-workings ihren Traum von einem eigenen Fotostudio<br />

finanzieren zu können. Caroline weiß darum, dass ein kleines<br />

Budget und ein enger Zeitplan die eigene Kreativität zwar limitieren<br />

können, aber nicht hemmen müssen. Tatsächlich sind es<br />

diese <strong>Ein</strong>schränkungen, die ihr immer wieder zu neuen Ideen<br />

und Lösungen verhelfen. So lacht sie über die selbst gebauten<br />

Tische, die in der falschen Höhe angebracht worden sind und<br />

findet ehrliche Worte für die Ambivalenz des Co-workings als<br />

Gemeinschaftsort und als notwendiges Übel. So fordert sie in<br />

unserem Gespräch selbstbewusst die <strong>Freiheit</strong> ein, dieses Modell<br />

für sich neu zu interpretieren.<br />

36<br />

Aus dem Französischen übersetzt von Marie-Christin Stephan<br />

Fotografien von Caroline Fayette<br />

37


Vielheit Caroline Fayette Co<br />

working<br />

Blender& CO<br />

Isolation<br />

Trennung Arbeit & Privat<br />

MC In der Küche, in der wir gerade sitzen,<br />

hast du noch vor ein paar Monaten<br />

sonntags dein Abendessen gekocht.<br />

Nach deinem Abschluss in Fotografie<br />

an der Universität Gobelins in Paris<br />

bist du gemeinsam mit deiner Studienfreundin<br />

Chloé nach Berlin gekommen,<br />

um als Kreativduo das „Studio<br />

Twins“ zu eröffnen. Nach langer Suche<br />

habt ihr hier in der Boddinstraße nicht<br />

nur Arbeitsraum sondern zugleich<br />

auch Wohnraum für euch entdeckt<br />

und fortan beide Lebensbereiche in<br />

diesem Studio miteinander verbunden.<br />

Inzwischen seid ihr beide wieder<br />

ausgezogen und das Studio Twins hat<br />

sich zum Co-working Studio Blender&Co<br />

gewandelt. Wie war es für dich<br />

an deinem Arbeitsplatz zu wohnen?<br />

CF Zum Problem wird diese Kombination<br />

eigentlich erst, wenn das eigene Studio Teil<br />

des öffentlichen Raums wird. Und das ist hier<br />

der Fall gewesen, da wir das Studio schon immer<br />

auch aus finanziellen Gründen an andere<br />

Fotografen vermietet haben. Dann kann es unter<br />

Umständen sehr unangenehm werden am<br />

eigenen Arbeitsplatz auch zu wohnen. Vor allem<br />

in Berlin. <strong>Ein</strong>er Stadt, wo die eigenen Kunden<br />

gerne auch so etwas wie Freunde sein wollen<br />

<strong>–</strong> da verschwimmen die Grenzen zwischen<br />

Arbeit und Freizeit noch viel schneller. Unter<br />

diesen Umständen findet es ein Kunde auch<br />

ganz normal, an der Hintertür des Studios zu<br />

klingeln <strong>–</strong> meiner Privattür <strong>–</strong> und die Studiogebühr<br />

freundschaftlich herunterzuhandeln.<br />

Und das am besten an einem Sonntag. Am<br />

liebsten würde ich ihm dann entgegen schleudern:<br />

„Schreib doch einfach eine E-Mail.“, so<br />

wie an alle anderen Geschäftspartner auch.<br />

MC Es stellte also eine Belastung für dich<br />

dar, keine räumliche Trennung zwischen<br />

Arbeit und Freizeit vornehmen<br />

zu können?<br />

CF Für mich lässt sich mein Privatleben<br />

nie ganz von meiner Arbeit trennen. Denn mein<br />

Arbeitsfeld ist die Fotografie und die Fotografie<br />

spielt auch eine große Rolle in meiner Freizeit<br />

und beschäftigt meine Gedanken unentwegt.<br />

Bei mir zu Hause zu Arbeiten <strong>–</strong> wenn<br />

meine Räume groß genug wären und man auch<br />

einfach mal die Tür zum Arbeitsraum schließen<br />

könnte <strong>–</strong> damit hätte ich kein Problem.<br />

MC <strong>Ein</strong>e klare Trennung zwischen deiner<br />

Freizeit und deiner Kunst gibt es für<br />

dich also nicht. Trotzdem sprichst du<br />

davon eine Tür schließen können zu<br />

wollen. Wie wichtig ist dir das?<br />

CF Die Trennung ist mir schon sehr wichtig.<br />

Ich könnte mein Bett nicht im Arbeitszimmer<br />

stehen haben. Ich möchte nicht mit dem<br />

Blick auf meinen Schreibtisch einschlafen<br />

oder aufwachen. Das ist unmöglich für mich.<br />

Ich schaffe es ja noch nicht einmal in meinem<br />

Kopf die Tür <strong>zur</strong> Arbeit zu verschließen, dann<br />

wird es im realen Raum umso notwendiger.<br />

MC Jetzt, da dein Studio auch von deiner<br />

Privatwohnung getrennt ist, fällt es dir<br />

inzwischen leichter die Türen nach der<br />

Arbeit hinter dir zu schließen?<br />

CF Die Gründung des Studios Blender&Co<br />

ist für mich gleichzeitig auch die Möglichkeit<br />

einige Dinge in meinem Privatleben zu verändern.<br />

Ich wollte nicht länger im Studio wohnen.<br />

Wenn man im eigenen Büro wohnt, so hat man<br />

das Gefühl, die Arbeit höre niemals auf. Ich<br />

wollte nicht länger, dass es keine Trennung<br />

mehr gäbe zwischen Beruflichem und Privatem.<br />

Und um diese Vorstellung finanzieren zu können,<br />

haben wir die Nebenräume des Studios in<br />

Co-working Spaces umgebaut.<br />

Fantasie<br />

MC Euer Studio ist wunderschön renoviert<br />

und stilvoll eingerichtet. <strong>Ein</strong><br />

moderner Co-working Space. Sah das<br />

immer so aus?<br />

CF Ganz und gar nicht. Die Räume gehörten<br />

früher zu einer türkischen Taxischule. Der<br />

gesamte Boden war mit schrecklichen, braunen<br />

Fliesen ausgelegt. Die Wände waren in den<br />

knalligsten Farben gestrichen. Jeder Raum in<br />

einer anderen Farbe. <strong>Ein</strong>ige Wände, die du heute<br />

hier sehen kannst, gab es vorher gar nicht.<br />

Im Gegensatz dazu war das Studio zu Beginn<br />

kein großer offener Raum, sondern ein Labyrinth<br />

aus kleinen Fluren. Dort haben wir ganze<br />

Wände einreißen lassen.<br />

MC Hattest du trotzdem sofort eine Idee<br />

oder eine Vision für die Räumlichkeiten,<br />

als du sie zum ersten Mal betreten<br />

hast?<br />

CF Ich habe sofort gesehen, dass man einiges<br />

aus den Räumen rausholen kann. Aber<br />

wir hatten damals auch gar keine große Wahl.<br />

Es ist nicht mehr einfach in Berlin etwas Bezahlbares<br />

zu finden.<br />

38<br />

39


Vielheit Caroline Fayette Co<br />

working<br />

Blender& CO<br />

Isolation<br />

MC Wie lange haben die Renovierungsarbeiten<br />

gedauert?<br />

CF Der Umbau hat sechs Monate in Anspruch<br />

genommen. Es war eine riesige Baustelle.<br />

Wir haben auch in vielen Räumen die<br />

abgehangene Decke geöffnet und somit die<br />

Raumhöhe vergrößert.<br />

Inspiration<br />

MC Sind hohe Decken ein wichtiges Raumkriterium<br />

für dich?<br />

CF Wenn man weiß, dass man hohe Decken<br />

haben kann, dann will man sie auch. Ich<br />

denke es gibt Menschen, die brauchen solche<br />

Räume. Räume ganz in Weiß, mit hohen Decken<br />

und viel Platz. Dieses Bedürfnis lässt<br />

sich auch aus der Architektur von Arbeitsräumen<br />

auf kreative Arbeitstechniken selbst<br />

übertragen.<br />

MC Inwiefern?<br />

CF <strong>Ein</strong>e grundlegende Entscheidung zum<br />

Beispiel könnte sein: Nimmt man lieber eine<br />

alte, schon beschriebene Seite aus dem Notizbuch<br />

<strong>zur</strong> Arbeitsgrundlage oder wählt man ein<br />

jungfräuliches Papier, komplett in weiß?<br />

MC Und? Wofür entscheidest du dich?<br />

CF Ich verwende lieber ein altes Stück Papier<br />

und beschreibe die letzten freien Ecken<br />

mit einem alten Stift. So kann ich mit bereits<br />

Bestehendem arbeiten und diese Dinge weiterentwickeln.<br />

Ich mag keine leeren, weißen<br />

Seiten. Raum für alles Mögliche zu haben <strong>–</strong> das<br />

inspiriert mich überhaupt nicht. Sicher bevorzugen<br />

andere Kreative das unbeschriebene<br />

Blatt und einen kargen, neutralen Raum, weil<br />

sie von dessen Freiraum inspiriert werden und<br />

aus dem Nichts etwas Neues schaffen wollen.<br />

Mich inspirieren vielmehr Dinge, die schon gegeben<br />

sind und darauf warten, verwandelt zu<br />

werden. So zum Beispiel die türkische Taxischule,<br />

die heute unser Studio ist.<br />

<strong>Ein</strong>richtung<br />

MC Und inspiriert dich dieser Ort nach seiner<br />

Verwandlung noch immer so stark<br />

oder ist er bereits <strong>zur</strong> täglichen Gewohnheit<br />

verkommen?<br />

CF Das Studio inspiriert mich jeden Tag<br />

aufs Neue. Schließlich hört die Verwandlung<br />

nie auf. Es gibt noch so viele Dinge zu tun. Noch<br />

so viele Ideen im Raum umzusetzen.<br />

MC Was ist wichtiger in deinen Augen? Die<br />

Ästhetik oder die Funktionalität der<br />

Ausstattung eines Co-working Spaces?<br />

CF Auf jeden Fall die Funktionalität. Ich<br />

bin ein sehr praktisch denkender Mensch. Wir<br />

sind hier an einem Arbeitsplatz. Die oberste<br />

Priorität sollte also auf der Arbeit selbst liegen<br />

und dass man die richtigen Gegebenheiten<br />

vorfindet, um dieser Arbeit ungestört nachgehen<br />

zu können.<br />

MC Welche Rolle spielt dabei für dich die<br />

<strong>Ein</strong>richtung der einzelnen Räume?<br />

CF Die Inneneinrichtung ist mir bei der<br />

Gestaltung der Räume sehr wichtig gewesen.<br />

Die Tischplatten sind beispielsweise auch alle<br />

extra angefertigt worden. Leider haben wir dabei<br />

einen Fehler gemacht. Es war mein Geschäftspartner<br />

Nick, der sich auf einen Stuhl<br />

setzte, um die optimale Höhe der Tische abzuschätzen.<br />

Als dann mein Freund <strong>–</strong> der wesentlich<br />

kleiner ist als Nick <strong>–</strong> wenig später vorbeikam<br />

und sich an einen der Tische setzte, wurde<br />

uns plötzlich klar, dass all unsere Tische zu<br />

hoch angebracht worden sind. Da blieb uns nur<br />

noch eine Lösung <strong>–</strong> die Stühle daran anzupassen.<br />

Wir wollten eigentlich verschiedene, alte<br />

Vintage-Stühle organisieren, aber die wären<br />

alle viel zu niedrig gewesen.<br />

Kompromisse<br />

MC An welche Bedingungen sind eure Entscheidungen<br />

bezüglich der <strong>Ein</strong>richtung<br />

und Ausstattung geknüpft gewesen?<br />

CF Natürlich gibt es immer Dinge, die man<br />

gerne hätte <strong>–</strong> tolle Möbel, individuell angefertigte<br />

<strong>Ein</strong>bauschränke oder eine schöne Dekoration.<br />

Doch oftmals kann man sich diese Vorstellungen<br />

gar nicht leisten oder im vorgegebenen<br />

Zeitrahmen umsetzen. Ich denke also,<br />

was die Entscheidungen am meisten beeinflusst,<br />

ist nicht der Mangel an Ideen, sondern<br />

die äußeren Bedingungen. Wenn man ein eigenes<br />

Business hat, kann man so viele Ideen haben<br />

wie man möchte, aber zum Schluss gibt es<br />

immer ein Mittel der Restriktion <strong>–</strong> das Budget.<br />

Und direkt damit verbunden <strong>–</strong> die Zeit. Gefordert<br />

ist dann ein großes Maß an Kreativität, die<br />

sich von solchen <strong>Ein</strong>schränkungen nicht eindämmen,<br />

sondern vielmehr zu neuen Lösungen<br />

inspirieren lässt.<br />

Struktur<br />

MC Wie ist euer Coworking Space strukturiert?<br />

CF Es gibt inzwischen eine große Konkurrenz<br />

zwischen den vielen unterschiedlichen<br />

Co-working Spaces. Also mussten wir uns am<br />

Marktpreis orientieren. Nach dieser Kalkulation<br />

wussten wir zum Beispiel, dass wir eine<br />

bestimmte Anzahl an Arbeitsplätzen benötigen,<br />

um mit Hilfe dieser <strong>Ein</strong>nahmen die Räumlichkeiten<br />

selbst finanzieren zu können. Um<br />

genau zu sein, sind es 5 Arbeitsplätze. Wir vergeben<br />

sie an Leute, die auf der Suche nach einem<br />

festen Platz sind <strong>–</strong> auch auf längere Sicht.<br />

Wir möchten keine Co-worker, die nur für eine<br />

Woche hier hereinschneien, alles aufwirbeln<br />

und wieder verschwinden. Das würde auch<br />

mich in meiner eigenen Arbeit hier sehr stören,<br />

schließlich sehe ich mich nicht als Raumverwalterin,<br />

sondern als Fotografin. Deswegen<br />

wünsche ich mir Co-worker, die mindestens für<br />

ein paar Monate bleiben möchten, wenn nicht<br />

sogar für mehrere Jahre.<br />

MC Geht es dir hierbei lediglich um den organisatorischen<br />

Aufwand oder auch um die<br />

persönliche Beziehung zu den Menschen, mit<br />

denen du deinen Arbeitsraum teilst?<br />

CF Genau darum geht es. Ich wünsche mir<br />

Kollegen. Menschen, mit denen man auch zusammenarbeiten<br />

kann. <strong>Ein</strong> Co-working-Team.<br />

MC Sucht ihr vor allem nach Leuten aus<br />

dem Bereich der Fotografie oder achtest<br />

du bei deiner Auswahl gezielt darauf,<br />

dass die Leute verschiedenen<br />

Professionen nachgehen?<br />

CF Nicht jeder Co-worker muss auch Fotograf<br />

sein. Viel wichtiger ist mir, dass sie die<br />

Räumlichkeiten respektieren, Verantwortung<br />

für den Ort übernehmen und die Miete pünktlich<br />

zahlen. Die meisten Leute, die nur für wenige<br />

Tage einen Co-working-Platz beanspruchen,<br />

fühlen sich nicht verantwortlich für die<br />

Gemeinschaft und die Räume. Sie fühlen sich<br />

eher wie in einem Hotel. Leider benehmen sie<br />

sich dann auch häufig so. Nach mir die Sintflut.<br />

MC Wie schätzt du dann also die Situation<br />

im Betahaus ein, die ein ganz anderes<br />

Prinzip verfolgen? <strong>Ein</strong> Ort, wo man<br />

sich auch für nur wenige Tage einmieten<br />

kann.<br />

40<br />

41


Vielheit Caroline Fayette Co<br />

working<br />

Blender& CO<br />

Isolation<br />

CF Das Konzept des Betahauses ist natürlich<br />

ein ganz anderes. Ich möchte einfach<br />

sicher sein, dass ich mich mit professionellen<br />

Leuten umgebe. Wenn man jetzt aber für einen<br />

Tagessatz von vielleicht 20€ Arbeitsplätze vermietet,<br />

dann riskiert man auch für einen Betrag<br />

von 20€ die Atmosphäre des Raumes und<br />

somit ihre Arbeiter zu stören.<br />

MC Wie kommunizierst du deinen Co-working<br />

Space in der Öffentlichkeit?<br />

CF Die meisten Kontakte ergeben sich tatsächlich<br />

über Facebook. Außerdem platzieren<br />

wir Anzeigen auf allen namenhaften Blogs der<br />

Stadt und außerdem haben wir ja auch Kontakte<br />

im Fotobereich. Mein Geschäftspartner Nick<br />

ist in Berlin geboren und hat auch Fotografie in<br />

Berlin studiert. Von diesen Kontakten können<br />

wir natürlich profitieren.<br />

Galerie<br />

MC So fand also auch die Release-Feier des<br />

SOVA-Magazins hier im Studio statt.<br />

Funktionieren eure Räumlichkeiten neben<br />

Fotostudio und Co-working auch als<br />

Galerie und Veranstaltungsort?<br />

CF Ja, auf jeden Fall. Wir nehmen auch<br />

jedes Jahr am Galeriewochenende 48-Stunden-Neukölln<br />

teil. Dann kommen immer sehr<br />

viele Leute in unser Studio. Ich mag diesen<br />

Austausch sehr. Man lernt Menschen kennen,<br />

die man sonst nie getroffen hätte oder zu denen<br />

man keinen Zugang gefunden hätte. An<br />

diesem Wochenende sind eben auch namhafte<br />

Fotografen unterwegs. Kontakte zu anderen<br />

Fotografen aufzubauen ist in diesem Business<br />

nicht immer einfach. Selbst wenn Fotografen,<br />

Designer, Modelle oder Künstler direkt nebenan<br />

wohnen. Sie an so einem Wochenende als<br />

Nachbar und Studiobesitzer empfangen zu<br />

können, ist ein gutes Gefühl. Das Festival<br />

transportiert also wie von selbst Leute durch<br />

meine Tür, die interessiert sind an Kunst, Fotografie<br />

oder an einem Co-working-Platz. Ich<br />

weiß bis dahin ja gar nicht, dass sie existieren.<br />

Alles was ich machen kann, ist die Information<br />

zu verbreiten, dass ich existiere <strong>–</strong> und das Studio.<br />

So ein Wochenende bringt zwar kein Geld,<br />

aber es bringt viele Besucher.<br />

MC<br />

Pflanzen & Natur<br />

Bereits <strong>zur</strong> Release-Party ist mir aufgefallen,<br />

dass ihr viele Pflanzen im<br />

Studio habt. Denkst du das ist wichtig<br />

für eine gute Raumatmosphäre?<br />

CF Ich liebe unsere Pflanzen und finde sie<br />

wunderschön. Aber ich mag sie vor allem, weil<br />

Rolf sie mir geschenkt hat. Rolf ist ein Obdachloser,<br />

dem ich ein paar Mal Hilfe angeboten<br />

habe. Um sich zu bedanken, hat er mir Pflanzen<br />

vor die Studiotür gestellt, die er vorher irgendwo<br />

geklaut hat. Als es immer mehr wurden<br />

und ich schon keinen Platz mehr für<br />

weitere Pflanzen hatte, konnte ich ihn letztlich<br />

davon überzeugen, dass er keine Blumen mehr<br />

für mich stehlen sollte.<br />

MC Wahrscheinlich wusste Rolf, dass du<br />

ein Kind vom Lande bist und wollte dir<br />

ein wenig Natur <strong>zur</strong>ück schenken.<br />

Fehlt sie dir eigentlich hier in der Stadt<br />

<strong>–</strong> die Natur?<br />

CF In Berlin nicht wirklich, da es sehr einfach<br />

ist die Stadt zu verlassen und in die Natur<br />

zu gehen. Aber in Paris hat mir die Natur sehr<br />

gefehlt. Für mich sind Pflanzen und Vegetation<br />

eine enorm große Quelle der Inspiration. Ich<br />

liebe es, Blumen zu fotografieren. Ich denke es<br />

gibt sehr viele Inhalte in der Kunst, die ihre Referenzen<br />

in der Natur wiederfinden.<br />

Dynamik der Stadt<br />

MC Das Studio befindet sich in der Boddinstraße,<br />

direkt an der Hermannstraße<br />

gelegen. Ganz schön was los. Wie<br />

empfindest du diesen urbanen Raum?<br />

CF Ich bin eine Person, die gerne im Stillen<br />

bleibt. Aber die Dynamik der Stadt stört<br />

mich nicht. Wir befinden uns ja hier in einer<br />

Seitenstraße und nur wenig Lärm zieht wirklich<br />

in unser Studio herein. Und ich mag diese<br />

Stille. Wenn es etwas gibt, dass meine Inspiration<br />

stört, dann ist es Lärm. Ich kann auch keine<br />

Musik hören während der Arbeit.<br />

MC Stören dich dann nicht auch die anderen<br />

Co-worker hier im Studio?<br />

CF Manchmal schon, aber dafür habe ich<br />

ja eine Tür, die ich hinter mir schließen kann.<br />

Alleinsein<br />

MC Über den kreativen Prozess wird oft behauptet,<br />

dass es Stille, Alleinsein und<br />

Zurückgezogenheit braucht, um sich<br />

konzentrieren zu können und eine Idee<br />

zu entwickeln. Erst danach würde man<br />

sich Meinungen von Außen einholen.<br />

Dann trifft das also auch auf dich zu?<br />

CF Im kreativen Prozess ist die Entwicklung<br />

einer Idee häufig ein intimer Moment. Ich<br />

habe die meisten Ideen im Bett oder wenn ich<br />

schlafe. Vor allem in den Momenten, da man<br />

wirklich alleine ist und die Gedanken den Freiraum<br />

finden, in andere Richtungen abschweifen<br />

zu können.<br />

MC Denkst du, dass auch Spaziergänge,<br />

ob im ländlichen oder urbanen Raum,<br />

sehr inspirierend sein können?<br />

CF Ich denke diese Dinge inspirieren mich<br />

nicht direkt. In solchen Momenten habe ich<br />

nicht plötzlich einen <strong>Ein</strong>fall. Aber meine Augen<br />

nehmen diese <strong>Ein</strong>drücke auf, mein Verstand<br />

interpretiert diese und archiviert sie an irgendeiner<br />

Stelle meines Gehirns in einer kleinen<br />

Box. Später, wenn ich wieder in Abgeschiedenheit<br />

und in Ruhe mit mir ganz alleine bin,<br />

dann kann ich durch die Regalreihen meines<br />

Gedächtnisses wandeln und mir wahrgenommene<br />

Kostbarkeiten bewusst auswählen.<br />

Austausch<br />

MC Aber wenn du erst einmal eine Idee für<br />

dich entwickelt hast, wie wichtig ist es<br />

dir diese Idee nach außen zu kommunizieren<br />

und nach Kritik zu fragen?<br />

CF Ich starte meistens allein. Es dauert<br />

sehr lange bis ich das erste Mal über eine Idee<br />

spreche. Ich habe Schwierigkeiten damit, meine<br />

Ideen zu erklären bevor ich sie nicht visuell<br />

umgesetzt habe. Vielleicht liegt das an meinem<br />

Alter. Mit 25 Jahren bin ich noch extrem<br />

jung in der Fotografie. Ich glaube mein Ego<br />

nimmt noch immer sehr viel Platz ein in solchen<br />

Momenten. In mir steckt auch immer<br />

noch die Idee, die alleinige Schöpferin meiner<br />

Idee sein zu wollen. So hole ich mir erst Feedback<br />

ein, wenn ich längst mit der Produktion<br />

begonnen habe.<br />

MC Wessen Kritik ist dir dann an diesem<br />

Punkt am wichtigsten?<br />

CF Es gibt eine kleine Gruppe von Freunden,<br />

mit denen ich studiert habe. Chloé gehört<br />

natürlich auch dazu. Es sind vor allem Leute,<br />

die nicht nur einen freundschaftlichen sondern<br />

auch einen professionellen Blick auf meine<br />

Arbeit werfen. Wir sprechen dann über<br />

Formgebung, Material, Komposition und Licht.<br />

Darüber, ob eine Idee interessant ist oder<br />

funktioniert, und wenn nicht, warum. An welcher<br />

Stelle man noch konkreter werden muss,<br />

welcher Aspekt überflüssig erscheint und<br />

weshalb. Erst wenn man seine Meinung mit<br />

Gründen anreichern kann, empfinde ich Kritik<br />

als konstruktiv.<br />

42<br />

43


Vielheit Caroline Fayette Co<br />

working<br />

Blender& CO<br />

Isolation<br />

Analog & Digital<br />

MC Arbeitest du lieber analog oder digital?<br />

CF Meine Arbeit ist hauptsächlich digital.<br />

Aber ich schreibe auch unglaublich gern und<br />

viel. Das mache ich wiederum fast nie mit dem<br />

Computer. Auf meinem Schreibtisch fliegen<br />

überall Blätter herum.<br />

MC Besitzt du dann auch ein Notizbuch,<br />

um deine Gedanken festzuhalten?<br />

CF Nein, dass schaffe ich irgendwie nicht.<br />

Ich muss die Möglichkeit haben meine Aufzeichnungen<br />

immer wieder neu zu sortieren<br />

und anders miteinander zu verknüpfen.<br />

MC Welche Werkzeuge benötigst du für<br />

deine eigene Arbeit als Fotografin?<br />

CF Ich brauche viele Dinge zum Arbeiten.<br />

Ich brauche meinen Laptop, ich benötige einen<br />

zweiten Bildschirm für die Fotoretusche. Ich<br />

brauche einen Drucker, einen Scanner, eine<br />

Kamera, ein Studio und vor allem Licht.<br />

Licht<br />

MC Findest du die Lichtmenge hier im Studio<br />

ausreichend?<br />

CF Nein, auf keinen Fall. Ich fühle mich<br />

manchmal eher wie in einem Keller.<br />

MC Versetzt dich dieser Umstand manchmal<br />

in schlechte Stimmung oder<br />

hemmt deine Kreativität? Denn wenn<br />

man andere Künstler zu den essentiellen<br />

Kriterien kreativer Räume befragt,<br />

dann nennen sie alle genügend<br />

Licht als ersten Punkt.<br />

CF Ich denke in meinem Fall ist das etwas<br />

anders. Natürlich liebe ich helle Räume. Aber<br />

meine Arbeit mit dem Rechner und vor allem<br />

die Fotoretusche verlangt eher abgedunkelte<br />

Räume. Für die Retusche würde man sogar ideeller<br />

Weise im Dunkeln arbeiten. Für mich ist<br />

dieser Ort also perfekt. Andere entscheiden<br />

sich aber beispielsweise genau aus diesem<br />

Grunde gegen ein Co-working bei uns, weil ihnen<br />

die Räumlichkeiten zu dunkel sind.<br />

Der perfekte Arbeitsraum<br />

MC Wenn du dir dein perfektes Studio gestalten<br />

könntest, wie würde dieser<br />

Raum aussehen?<br />

CF Das wäre dann also ein großer, lichtdurchfluteter<br />

Raum als Fotostudio und dahinter,<br />

da wäre dann ein Zugang zu meinem dunklen<br />

Kellerloch samt kalibriertem Bildschirm.<br />

Ich denke, das ist ein gutes Raumbeispiel für<br />

das Paradox der Fotografie: Die Fotografie<br />

wird gezeichnet von der Sonne. Keine Fotografie<br />

kann ohne Licht entstehen. Aber ab dem<br />

Moment, da eine Fotografie gemacht wurde,<br />

müssen wir dieses Objekt, diese fotografische<br />

Materie, vor dem Licht schützen. Ob im Analogen<br />

oder im Digitalen. Das ist dann wohl die<br />

dunkle Seite der Fotografie.<br />

<strong>Ein</strong>e Bewegung?<br />

MC Welch schönes Schlusswort. Doch bevor<br />

wir an dieser Stelle enden, hätte ich<br />

eine letzte Frage. Während meiner Recherchen<br />

habe ich viele Co-working<br />

Spaces besucht und das Gefühl bekommen,<br />

dass es inzwischen eine wahre<br />

Co-working-Bewegung in Berlin zu<br />

geben scheint. Siehst du dich als Teil<br />

solch einer Bewegung?<br />

CF Wahrscheinlich bin ich Teil dieser Entwicklung,<br />

aber ich denke es gibt immer mehr<br />

Co-working Spaces in Berlin, weil sich hier viele<br />

Kreative zusammenfinden in einer Stadt,<br />

die nicht besonders gut für Kreation bezahlt.<br />

So teilen sich die Kreativen ihre Arbeitsräume,<br />

weil sie sich ein eigenes Studio allein nicht<br />

leisten könnten. Aber fühle ich mich deshalb<br />

als Teil einer Bewegung? Ich denke nicht. Denn<br />

das würde bedeuten, dass wir alle gemeinsam<br />

etwas kreieren würden. In der Realität passiert<br />

das aber nicht. Auch die überfülltesten<br />

Co-working Spaces können Zellen der <strong>Ein</strong>samkeit<br />

sein. Es sind viele kleine Mikrokosmen, in<br />

denen der Kreative alleine ist, umgeben von<br />

Vielen. Ich habe Kontakt zu einigen anderen<br />

Co-working Spaces, aber man kennt sich nicht<br />

wirklich, man erschafft nichts gemeinsam <strong>–</strong><br />

wir stehen vielmehr in Konkurrenz zueinander.<br />

MC Und ich lebte den Traum des Co-working<br />

Spaces als kommunikativen Ort<br />

des Austausches, des Lernens und der<br />

Produktivität.<br />

CF Das ist er sicherlich auch, aber hinter<br />

jedem Co-working steht auch ein Business und<br />

einzelne Co-worker, die trotz guter Zusammenarbeit<br />

auch untereinander stets in Konkurrenz<br />

stehen können. Ich denke die erste<br />

Motivation dieser Räumlichkeiten ist eine Frage<br />

des Geldes. Es geht dabei gar nicht unbedingt<br />

darum, Geld zu verdienen, aber weniger<br />

auszugeben. Das Leben kostet immer mehr<br />

und meiner Meinung nach ist das der Grund für<br />

die vielen neuen Co-working Spaces und die<br />

gemeinsame Kreation. Aber ich denke das finanzielle<br />

<strong>Ein</strong>schränkungen auch immer eine<br />

gute <strong>Ein</strong>schränkung für Kreativität sein kann.<br />

Wenn man sich immer alles kaufen könnte,<br />

würde man vermutlich nur konsumieren, statt<br />

zu kreieren und zu produzieren. Viele Lösungsideen<br />

entstehen doch daraus, dass man sich<br />

bestehende Lösungen nicht leisten kann und<br />

daraufhin beginnt, mit gegebenen Materialen<br />

eigene Lösungen zu schaffen. Dabei können<br />

unglaublich schöne Projekte entstehen. So<br />

sehe ich diese <strong>Ein</strong>schränkungen auch immer<br />

als Chance einen eigenen Zugang zu den Dingen<br />

zu finden. Und dies sind auch gleichzeitig<br />

Zugänge zu einer <strong>Freiheit</strong>, die uns ermöglicht,<br />

eigene Entscheidungen zu treffen und einen<br />

neuen Weg einzuschlagen.<br />

Fotos von Caroline Fayette<br />

S.36-44 Studio Blender&Co, Berlin, 2015.<br />

S.46 Portrait von Caroline Fayette,<br />

von Nick Grossmann, Berlin, 2015.<br />

44<br />

45


Vielheit * Ian MCean in ›ZEITmagazin‹. * Ian MCean in <strong>Ein</strong> ›Zeitmagazin‹ britischer Schriftsteller<br />

Isolation<br />

*Man braucht<br />

fürs Schreiben<br />

jede Menge<br />

Zeit zum<br />

Verschwenden.


Chaos<br />

Ordnung


Chaos Texte und Collagen von Eleana Katanu<br />

Pan<br />

dora<br />

Kopfchaos<br />

Ordnung<br />

Kopfchaos als Collage - die Liebesgeschichte<br />

von Alkyone und Keyx. Nach Ovid bestimmt nicht,<br />

doch nach meiner Empfindung, ist dies eine passende<br />

Darstellung <strong>–</strong> zumindest für den Moment.<br />

50 51


Chaos<br />

Kopfchaos <strong>–</strong> Mentale Ödnis<br />

Kopf Seele Texte und Collagen von Eleana Katanu<br />

Ordnung<br />

Kopfchaos.<br />

Ich fragmentiere, eventuell<br />

kommuniziere ich dadurch.<br />

Zwei Teile.<br />

Kopf und Chaos.<br />

Das Chaos ist der Ursprung.<br />

In der griechischen Mythologie<br />

entsprang aus dem Chaos,<br />

die Erde, die Unterwelt, die<br />

Nacht, die Finsternis und<br />

die Liebe.<br />

Das Chaos ist der Zustand,<br />

der Moment in dem der<br />

freie Fall herrscht.<br />

Unendliche, wunderschöne,<br />

zerbrechliche Illusionen -<br />

da die Zeit sie ständig als<br />

Erinnerung memoriert.<br />

Das Chaos<br />

gibt Raum für Instinkte<br />

und Gefühle. Der Kopf ist die<br />

Dose der Pandora.<br />

Mentale Ödnis.<br />

Wenn du suchst und nicht findest.<br />

Wenn du ruhst und nicht<br />

inne hältst.<br />

Es gibt diesen Ort,<br />

meistens wird er bewacht<br />

von den schläfrigen Soldaten des<br />

Selbstbewusstseins und ist<br />

vorerst für das bloße Auge<br />

nicht sichtbar.<br />

In diesem Zustand befindet sich,<br />

wie in der Unendlichen<br />

Geschichte, bloß das <strong>Ein</strong>e,<br />

bloß das Nichts.<br />

Da hilft es, sich unter eine<br />

Glückskastanie zu setzen und<br />

auf den Frühling zu warten,<br />

wenn man von dem vergifteten<br />

Granatapfel gegessen hat.<br />

Geboren bin ich an einem Vollmond. Aufgewachsen<br />

im Wald. Meine ersten großen Schritte waren<br />

oft in Ländern mit viel Sand, salziger Luft und<br />

dem frischen Geruch von Zypressen.Schritte waren<br />

allerdings meist Nebensache, da ich schwamm.<br />

Geprägt haben mich meist Reisen, aber auch Quadrate,<br />

Dreiecke und Kreise. Meine Eltern, Großeltern<br />

und einige wenige Dozenten haben mir<br />

das Selektieren, Fachsimpeln, Lieben, Ruhen und<br />

Leben erleichtert, indem Sie ambitioniert an<br />

mich geglaubt haben und mit mir ihr Wissen geteilt<br />

haben. Gelebt und konzentriert habe ich vor<br />

allem in schon vergangenen Momenten, weswegen<br />

ich auch lakonisch melancholisch bin. Der<br />

subjektive Fokus liegt daher im archivieren, entstauben,<br />

fragmentieren und dann wieder zusammensetzen.<br />

Das erfreut und erfüllt mich. All meine<br />

freien Arbeiten entstanden aus dem Drang der<br />

Kommunikation heraus, was ich nicht sagen will,<br />

sagen meine Arbeiten. So handhabe ich das.<br />

<strong>–</strong> Eleana Katanu<br />

52<br />

53


Chaos Mentale Ödnis Unter<br />

welt Texte und Collagen von Eleana Katanu<br />

Ordnung<br />

Mentale Ödnis als Collage - die verzweifelte<br />

Suche der Mutter Demeter nach ihrer „Kore“ die<br />

sie über die ganze Erde gesucht hat und aus Zorn<br />

und Verzweiflung die Jahreszeiten geschaffen hat.<br />

Persephone durfte jeden Frühling, so geht die Sage,<br />

aus ihrem Thron in der Unterwelt hoch auf den<br />

Olymp. Dies wiederum machte ihre Mutter Demeter<br />

so glücklich, dass sie die Sonne wieder auf das<br />

Land schienen lies. Das ist Erklärung der Jahreszeiten.<br />

So können Wale fliegen.<br />

54<br />

55


Chaos<br />

Werkzeug 2 <strong>–</strong> Regeln und feste Strukturen als sichere mentale Räume<br />

Kreatives Chaos <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Ordnung<br />

»Man kann nicht jede Sache gut machen.<br />

Das ist nicht möglich. Dabei dreht man durch.<br />

Das schafft man gar nicht.« 8<br />

Wie bereits von Steiner angedeutet,<br />

können Regeln und<br />

Strukturen im Alltag zu einem<br />

weiteren Werkzeug des Kreativen<br />

werden. Sie können helfen,<br />

dass allgemein bekannte »kreative<br />

Chaos« in den Griff zu bekommen<br />

und in geordnete Gedanken zu strukturieren. Der Erziehungswissenschaftler<br />

und Publizist Hartmut von Hentig bringt es<br />

laut Berzbach auf den Punkt: »Vollends misstraue ich denen, die<br />

Ordnung, Disziplin, Tradition zu Feinden der Kreativität erklären.<br />

Sie sind vielmehr oft deren Voraussetzung.« 1<br />

Die Aussage Hentigs mag sich auf die kulturelle Tradierung der<br />

Begrifflichkeit von Kreativität beziehen, die als ordnende Kraft ein<br />

Chaos zum Ursprung braucht. Schon zu Zeiten der Antike gründete<br />

sich die Vorstellung von Kreativität als eine schöpferische Tätigkeit.<br />

Die Schöpfung wird in der griechischen Mythologie im<br />

Kontext der Entstehung des Kosmos, als eine Ordnung des Chaos<br />

betrachtet. Damalige Götterbilder sind von bipolaren Eigenschaften<br />

gezeichnet, vereinen in sich Schöpfertum und Zerstörung. 2 Sie<br />

sind frühe Abbilder einer bis heute reichenden, kulturellen Vorstellung<br />

von Kreativität als eine Ambivalenz aus Chaos und Ordnung.<br />

Wir finden in ihnen erneut zwei Pole, deren Schmelzkern Inhalt<br />

der hier vorliegenden Publikation darstellt.<br />

Diese Dialektik findet auch in der Psychologie bei Betrachtungen<br />

über diszipliniertes Arbeiten oder freies Assoziieren ihre Anwendung.<br />

Selbst in der Wissenschaft der Neurobiologie unterscheidet<br />

man »zwischen ordnender Formgebung und entordnender<br />

Labilisierung des Bekannten im Kreativprozess.« 3<br />

Labilisierung. Labil. <strong>Ein</strong> geeignetes Wort <strong>zur</strong> Umschreibung<br />

gesellschaftlicher Klischees, die dem griechischen Altertum noch<br />

nicht entronnen zu sein scheinen und häufig noch immer in den<br />

selben Bahnen kreisen. Sie zeichnen Bilder des manisch-depressiven<br />

Künstlers oder des melancholisch-überemotionalen Schreiberlings.<br />

Man belächelt ihr kreatives Chaos und lässt sie gewähren, in<br />

Erwartung schöpferischer Ausnahmeleistungen. Scheinbar geboren<br />

aus dem Nichts, final präsentiert <strong>–</strong> umwerfend genial. <strong>Ein</strong> stigmatisiertes<br />

Bild des Kreativen, welches gesellschaftlichem Schubladendenken<br />

entspringt und sich auf einem mangelnden<br />

Verständnis gegenüber kreativer Arbeitsprozesse gründet. Es ist<br />

nicht so, als könne man die Herkunft dieses Klischees gänzlich<br />

negieren. Tatsächlich negiert aber die Gesellschaft einen tiefergehenden<br />

<strong>Ein</strong>blick in die unterschiedlichen Phasen künstlerischer<br />

Kreation, die Ursache für Schaffenskrisen und Leidensdruck sein<br />

können. Der Maler Jonas Burgert beschreibt diesen Umstand wie<br />

folgt: »Das Problem ist, dass wir als Menschen Gewohnheitstiere<br />

sind. Wir sind immer auf der Suche nach Sicherheit. Wir wollen<br />

immer alles im Griff haben, aber in der Kunst musst du dich ja<br />

eigentlich auf das Gegenteil einlassen können <strong>–</strong> dich immer wieder<br />

WERKZEUG 2<br />

Regeln und feste<br />

Strukturen als sichere<br />

mentale Räume<br />

freiwillig in Unsicherheiten begeben,<br />

um innovativ zu bleiben.«<br />

4 Entsprechen also die eingefahrenen<br />

Vorurteile nicht<br />

eher der besonderen Leistungsfähigkeit<br />

des Kreativen? Wenn<br />

es einem kreativen Kopf jeden<br />

Tag <strong>zur</strong> Aufgabe gemacht wird <strong>–</strong> aus eigenem Bedürfnis und<br />

Denkleistungen heraus <strong>–</strong> Produkte hervorzubringen, die im Wesentlichen<br />

neu sind und von der Gesellschaft als sinnvoll, angemessen<br />

und nützlich bewertet werden müssen, so wird die alltägliche<br />

Last auf den Schultern des Kreativen deutlich.<br />

Müsste man die Bezeichnung manisch-depressiv nicht in eine<br />

Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Scheitern umformulieren?<br />

Und melancholische Überemotionalität nicht eher als besondere<br />

Gabe ausgeprägter Aufmerksamkeit und großer Empathie angesehen<br />

werden? Ist Kreation, die aus Empfindung und Gefühl heraus<br />

entsteht, weniger Wert als wirtschaftlich kalt berechnete Produktionsverfahren?<br />

Erinnern wir uns an Steiners Auffassung von Kreativität als höhere<br />

Form des Denkens, die eintaucht in einen seelischen Strom des<br />

Fühlens. Und auch Burgert spricht im Interview davon, Inspiration<br />

zu empfinden und stellt fest: »Empfindung ist ein tolles Wort <strong>–</strong> es<br />

beschriebt Fühlen ohne Kitsch.« 5 Sich in seine Arbeit hinein zu fühlen<br />

ist also kein Kitsch, sondern eine grundlegende Notwendigkeit innerhalb<br />

des schöpferischen Prozesses. Die Gesellschaft könnte diese<br />

Wissenslücke schließen, sich gleichsam auf Unsicherheiten einlassen<br />

und ihre Geister öffnen gegenüber gelebter Kreativität. Nicht jeder<br />

Mensch ist gleichsam kreativ, doch auch ein scheinbar unkreativer<br />

Mensch kann kreativ werden. Bieten wir diesen Interessenten also<br />

eine kurze <strong>Ein</strong>führung in das Phasenmodell der Kreativität.<br />

Dieses behandelt die einzelnen Schritte lösungsorientierter<br />

Kreativarbeit und wurde 1926 von Graham Wallas, einem englischen<br />

Sozialpsychologen entwickelt. Er unterteilt den Kreativprozess<br />

in vier Phasen. Die erste Phase dient der Vorbereitung. In dieser<br />

Phase wird eine Problemstellung erkannt und eine Fragestellung<br />

formuliert, die in divergente Richtungen untersucht wird. Hierbei<br />

geht es vor allem um eine Denkweise, die später besonders bedacht<br />

wurde von Joy Paul Guilford, einem amerikanischen Psychologen<br />

und Intelligenzforscher. Heute gilt er als Begründer der modernen<br />

Kreativforschung. Divergentes Denken beschreibt er als ein<br />

schweifen lassen der Gedanken in unterschiedliche Richtungen,<br />

anstatt von Logik getrieben, zielgerichtet auf eine alleinige Lösung<br />

hinzusteuern. 6 In der zweiten Phase sollen die erdachten Ideen im<br />

Unterbewusstsein verinnerlicht werden. Dieses Ausbrüten führe<br />

dann im dritten Schritt <strong>zur</strong> Illumination. <strong>Ein</strong> Moment, der dem<br />

Geistesblitz nahekommt, jedoch intendiert wurde durch die vorangehenden<br />

Phasen. Das nun vorliegende Lösungskonzept soll in<br />

der vierten Phase verifiziert und umgesetzt werden. 7<br />

Dieses Phasenmodell kann nicht nur einem besseren Verständnis<br />

des kreativen Prozesses dienen, sondern auch zu einer besseren<br />

Vorbereitung und klaren <strong>Ein</strong>teilung mentaler Räumlichkeit.<br />

Wer akzeptieren lernt, dass Frustration und auch Scheitern Teil des<br />

kreativen Prozesses sind, dass es einer Vorbereitung und einer<br />

ungestörten Wahrnehmung <strong>–</strong> einer Konzentration auf sich selbst<br />

<strong>–</strong> bedarf, um erfolgreiche Konzepte entstehen zu lassen und umzusetzen,<br />

wird es im Alltag leichter haben. Selbst das oftmals verfluchte<br />

künstlerische Chaos zählt seit jeher zum schöpferischen<br />

Prozess. Wozu also darüber aufregen? Derjenige, der lernt es anzunehmen,<br />

vermag es in geordnete Strukturen zu lenken. Auch<br />

sollte die Angst vor einem Ausbleiben von Ideen, den eigentlichen<br />

Prozess nicht behindern, sondern als ein Vorkommnis angesehen<br />

werden, welches durch die nächste sinnliche Erfahrung bereits wieder<br />

in Inspiration verwandelt werden kann. Es ist somit auch eine<br />

Frage der <strong>Ein</strong>stellung, die sich ein Kreativschaffender anzueignen<br />

suchen sollte, um sich selbst sichere, mentale Räume zu schaffen,<br />

die Platz bieten für Kreativität. Designer und Gründer der Agentur<br />

›anschaege.de‹, Christian Lagé, riet einfach zu mehr Gelassenheit<br />

im künstlerischen Prozess, als ich ihn dazu befragte, welchen Tipp<br />

er jungen Kreativen mit auf den Weg geben würde.<br />

»<strong>Ein</strong>fach Gelassenheit. Es stirbt niemand. Das Beste ist: man<br />

hat immer wieder neue Ideen. Das denken immer alle: ›Oh man ey,<br />

das ist die letzte Idee meines Lebens. Ich muss die jetzt echt noch<br />

so krass überlegen und nochmal überlegen. Und oh nein, das geht<br />

nicht und das geht nicht.‹ Und ich denke dann nur: Hau es raus<br />

und morgen hast du die nächste Idee. Und übermorgen wieder eine<br />

und überübermorgen. Das geht immer so weiter, dein Leben lang.<br />

Das ist einfach so. Andere Leute können gut rechnen und du<br />

kannst gut Ideen haben. Und wenn die eine Schrott ist, dann wird<br />

die nächste besser. Und wenn eine gut umgesetzt wird, dann ist das<br />

toll. Aber wenn sie nicht so gut umgesetzt wird, dann ist das auch<br />

nicht so schlimm. Dann wird die nächste wieder besser. Also der<br />

Gedanke, dass man scheinbar eine Angst davor hat, dass es die<br />

letzte Idee sein könnte oder dass ihre Umsetzung nicht perfekt ist<br />

<strong>–</strong> da muss man einfach lernen, dass man auch nur jede zweite Sache<br />

gut machen muss. Da muss man gelassener werden. Man kann<br />

nicht jede Sache gut machen. Das ist nicht möglich. Dabei dreht<br />

man durch. Das schafft man gar nicht.« 8<br />

Diese Gelassenheit kann den Kreativen in seinem Schaffen erleichtern<br />

und ihm letztlich offenere Augen für zukünftige Ideen<br />

bescheren. Diese auch umzusetzen vermag eventuell gar die größere<br />

Herausforderung zu sein und deshalb sollte man seine Kräfte<br />

und Nerven hierfür aufsparen.<br />

1 Hartmut von Hentig: Kreativität.<br />

Weinheim, 2000. Zitiert nach Frank Berzbach:<br />

Kreativität aushalten / Psychologie<br />

für Designer. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2010, S. 17.<br />

2 Vgl. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie:<br />

Kreativität. https://de.wikipedia.<br />

org/wiki/Kreativität. Stand 07.11.2015.<br />

3 Wikipedia. Die freie Enzyklopädie:<br />

Kreativität. https://de.wikipedia.org/<br />

wiki/Kreativität. Stand 07.11.2015.<br />

4 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

5 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

6 Vgl. Innovator’s Guide Switzerland:<br />

Kreativität und Messung von<br />

Kreativität <strong>–</strong> die Ursprünge der modernen<br />

Kreativitätsforschung. http://innovators-guide.ch/2012/12/joy-paul-guilford/.<br />

Stand 08.11.2015.<br />

7 Vgl. Innovator’s Guide Switzerland:<br />

Kreativität und Messung von<br />

Kreativität <strong>–</strong> die Ursprünge der modernen<br />

Kreativitätsforschung. http://innovators-guide.ch/2012/12/joy-paul-guilford/.<br />

Stand 08.11.2015.<br />

8 Christian Lagé: Aus einem<br />

Interview am 03.07.2015.<br />

56<br />

57


Chaos<br />

Listenwirtschaft <strong>–</strong> von Marie-Christin Stephan<br />

TO DO * Harald Martenstein in ›ZEITmagazin‹<br />

Ordnung<br />

HAVE TO DOliste<br />

Fokussieren | Entscheiden<br />

WANT TO DOliste<br />

Die kleinen Freuden des Alltags<br />

*Ich kenne viele<br />

faule Menschen,<br />

die in ihren<br />

Pause | Schritt für Schritt<br />

Genuss | Träumereien für zwischendurch<br />

wenigen aktiven<br />

Pause | Kontrolle<br />

Nichts tun<br />

Momenten echt<br />

gute Sachen<br />

machen.<br />

Korrektur | Prüfen<br />

Belohnung<br />

58


Kreativität<br />

Produktivität


Kreativität<br />

Werkzeug 3 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

WERKZEUG 3<br />

Steinige Wege <strong>zur</strong><br />

Produktivität<br />

leichtfüßig beschreiten<br />

Bisher wurde der Offenheit für Inspiration und dem Zugang zu<br />

Kreativität gesonderte Beachtung geschenkt. Nun gliedert sich ein<br />

weiterer wesentlicher Punkt in die Betrachtung ein: Die Produktivität.<br />

Das Umsetzen von Ideen wird für den Menschen häufig gar<br />

<strong>zur</strong> größeren Herausforderung als das freie Entwickeln von Ideen.<br />

Unabhängig von der Befürchtung des Kreativen, unter einem Mangel<br />

von Inspiration und Ideenlosigkeit zu leiden, verlangt die Tätigkeit<br />

des Produzierens großes Durchhaltevermögen, Geduld,<br />

Mut und Kraft zum Scheitern. Nicht selten werden Sinnkrisen,<br />

Verzweiflung und durchwachte Nächte zu wiederkehrenden Zwischenstationen<br />

in diesem Prozess.<br />

Das Wort »produzieren« leitet sich von dem lateinischen Begriff<br />

producere ab und beutetet übersetzt vorwärtsführen 1 . Wörtlich genommen<br />

visualisiert dies also eine menschliche Leistung, die von<br />

Fortschritt und Führung zeugt. Etwas oder Jemanden zu führen,<br />

beinhaltet bewusstes Anleiten und Handeln auf Grund vorher formulierter<br />

Ansprüche und Lösungsansätze. Diese Tätigkeiten sind<br />

Inhalt jeder kreativen Umsetzung und entsprechen somit einer essentiellen<br />

Aufgabenstellung im künstlerischen Prozess.<br />

Sinngemäß verwenden wir diesen Begriff eher in der Verbindung<br />

mit den Worten herstellen oder hervorbringen. Diese Bedeutung<br />

ähnelt dem Verständnis der Kreativität, als eine schöpferische<br />

Tätigkeit und verdeutlicht ihren nahen Sinnzusammenhang. Produktion<br />

allerdings beinhaltet einen fassbareren Bezug <strong>zur</strong> Gegenständlichkeit,<br />

da die Herstellung einer Sache zumeist auch auf ein<br />

inhaltliches Ding oder ein räumlich greifbares Objekt abzielt. In<br />

meinen Augen bedeutet dies für den Kreationsprozess, dass im<br />

Moment der Produktion ein erfahrbares Produkt entsteht, welches<br />

aus seiner Identität als nicht empirisch wahrnehmbare Idee ausbricht,<br />

ohne jedoch sich ihrer vollständig zu entledigen. Denn erst<br />

die Objekthaftigkeit einer Idee wird <strong>zur</strong> Visualisierung und erfahrbaren<br />

<strong>Ein</strong>heit ihrer Inspiration. Sie lässt die wahrgenommene Umwelt<br />

dank geistiger Tätigkeit des Kreativen zu einem neuen, erfahrbaren<br />

Teil eben dieser erfahrenen Umwelt selbst werden.<br />

Während Kreativität als Größe schwer messbar ist, unterliegt<br />

der Mensch dem zielgerichteten Bedürfnis, Produktivität als nachvollziehbare<br />

Größe anzunehmen. Zieht man die volkswirtschaftliche<br />

Definition von Arbeitsproduktivität zu Rate, so ergibt sich<br />

folgende Annahme <strong>zur</strong> Errechnung der »Durchschnittliche[n]<br />

Arbeitsproduktivität (Durchschnittsproduktivität des Faktors Arbeit):<br />

[als] die pro eingesetzter <strong>Ein</strong>heit des Faktors Arbeit erzielte<br />

Produktionsmenge.« 2 Somit wird das kreative Produkt als Ergebnis<br />

eines kreativen Prozesses <strong>zur</strong> validen Bemessungsgrundlage<br />

von Kreativität und Produktivität.<br />

Häufig ist es ein aus der Wirtschaft übersetzter Erwartungsdruck<br />

und ein aus dem künstlerischen Anspruch entnommener<br />

Wunsch nach Perfektion in der eigenen Arbeit, der hemmend auf<br />

die Produktivität einwirkt. Ebenso unterbricht negative Bewertung<br />

in einem zu frühen Stadium einer Idee die weitere, produktive<br />

Ausarbeitung. 3<br />

Zur realistischen <strong>Ein</strong>schätzung der eigenen Möglichkeiten und<br />

um ein gesünderes Verständnis gegenüber der eigenen kreativen<br />

Arbeit zu entwickeln, können beispielsweise Kreativtechniken angewendet<br />

werden. <strong>Ein</strong> besser strukturiertes Zeitmanagement kann<br />

entlasten, eine bewusste Vorbereitung kreativen Arbeitens kann<br />

den Zugang zu Inspiration und Produktivität erleichtern. Was genau<br />

von den immer zahlreicher werdenden Kreativtechniken zu<br />

erwarten sei, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Als Hauptbegründerin<br />

gilt allerdings Siegrid Preiser, die mit ihren vier Prinzipien<br />

<strong>zur</strong> Kreativität den Grundstein vieler Modelle legte.<br />

Das erste Prinzip umfasst das freie Assoziieren. Gemeint ist das<br />

Sammeln von <strong>Ein</strong>fällen und spontanen Ideen, ohne diese direkt<br />

einer Bewertung zu unterziehen. Sie dienen als Ausgangsmaterial<br />

für ihre spätere Verwertung. Zufälle gelten dabei vielmehr als unterbewusste<br />

Assoziationen und können zu Lösungsansätzen heranreifen.<br />

4 <strong>Ein</strong>e zweite Methode ist das Visualisieren von Ideen. Das<br />

bildhafte Denken ist dem rationalen Denken und der Sprache vorgelagert.<br />

5 »La main accompagne le cerveau.« 6 , bedeutet übersetzt<br />

›Die Hand begleitet das Gehirn‹. Mit dieser Aussage betont Elisabeth<br />

Pélegrin-Genel in unserem Interview die Bedeutung der analogen<br />

Visualisierung von Ideen. Trotz hochspezialisierter Computerprogramme<br />

greift die Architektin im ersten Schritt der<br />

Konzeptentwicklung zu Stift und Papier, um ihre Vorstellungen<br />

und Bilder zu skizzieren. Jonas Burgert wiederum, als Maler in der<br />

eigenen Arbeit auf eben dieses analoge Vorgehen angewiesen,<br />

spricht von einer überflüssigen Unterteilung zwischen digitalem<br />

und analogem Konzipieren. »Wenn jemand eine gute Idee hat,<br />

dann kann er entweder einen Bleistift nehmen oder einen Computer<br />

oder eine Geige […].« 7 Mit dieser <strong>Ein</strong>stellung hebt er hervor,<br />

dass wie in jedem Prozess, der persönliche Zugang sehr verschieden<br />

sein kann. Und so beschränkt sich auch Preisers Phasenmodell<br />

nicht nur auf Bildhaftigkeit, sondern bedient sich auch anderer<br />

Formen der Visualisierung. So beschreibt das dritte Prinzip das<br />

Verwenden von Analogien, ob durch sprachliches Tradieren oder<br />

Musizieren. Es geht dabei um das Wechseln der Perspektive. Und<br />

dieser Perspektivwechsel führt uns zum vierten Prinzip für die<br />

Ausübung von Kreativität: der Verfremdung und Abstraktion.8<br />

Soll aus Bestehendem Neues erschaffen werden, so gilt es ein Ganzes<br />

in einzelne Bausteine zu zerlegen und in eine andersartige Anordnungen<br />

zu bringen.<br />

63


Kreativität Werkzeug 3 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan Wander<br />

pause Aus ›Schöpferische Pausen‹ von Rudolf Seitz<br />

Produktivität<br />

Dafür bedarf es aber nicht nur ein Ganzes als Grundlage, sondern<br />

viele <strong>Ein</strong>zelheiten, die miteinander assoziiert, kombiniert,<br />

vermischt und variiert werden. So wird im schöpferischen Prozess<br />

aus einer breiten Masse erneut eine konzentrierte Synthese.<br />

Und genau an diesem Punkt treffen wir wieder auf unser kreatives<br />

Chaos. <strong>Ein</strong>e große Leistung kreativer Arbeit besteht darin,<br />

eine Vielheit zu einer <strong>Ein</strong>heit zusammenzuführen. Aber wie sagt<br />

man doch so schön? Dieser Weg ist steinig. Es ist der Moment, da<br />

der Kreative auf seinem Weg ins Straucheln geraten kann. Er stolpert<br />

Schotterpfade entlang, balanciert auf Steinen unterschiedlichster<br />

Größe und Formgebung. Hier schaut eine kantige Spitze<br />

hervor, dort rollt ein kleiner Kiesel in das Dickicht. Aus diesem<br />

Wirrwarr eben jene Steine zu picken, die in ihrer Kombination eine<br />

sichere Straße formen, bedarf viel Ausdauer und ein Auge fürs<br />

Detail. Es könnte ja sein, dass es eben jenes, im Gesträuch versteckten<br />

Kieselsteines, bedarf, um den letzten Spalt in der Gesamtheit<br />

eines neuen Weges zu schließen.<br />

Kreativtechniken können dem Kreativen dabei nur als Wegweiser<br />

dienen. Die Richtung muss er trotzdem selbst wählen und<br />

diesen Pfad allein beschreiten. Und auch hier gilt wieder <strong>–</strong> neben<br />

Disziplin und Ausdauer gehört in das Gepäck eines echten Wandersmannes:<br />

ein gut leserlicher Routenplan, ein Kompass <strong>zur</strong> Orientierung,<br />

ausreichend Proviant für den Genuss verdienter Pausen,<br />

Entdeckerlust und Mut zum Verlassen ausgetrampelter Pfade, sowie<br />

Gelassenheit, sollte man sich einmal verirrt haben oder gar<br />

im Kreis gelaufen sein. Und <strong>zur</strong> Not kann man ja immer noch<br />

nach Hilfe fragen.<br />

1 Vgl. Friedrich Kluge: Inspiration.<br />

Etymologisches Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitet von<br />

Elmar Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage, Berlin /<br />

New York, 2002, S. 721.<br />

2 Gabler Wirtschaftslexikon:<br />

Arbeitsproduktivität. http://wirtschafts-<br />

lexikon.gabler.de/Definition/arbeitspro-<br />

duktivitaet.html. Stand 08.11.2015.<br />

3 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 18.<br />

4 Vgl. Sigrid Preiser / Nicola Buchholz:<br />

Kreativität. Asanger, Heidelberg,<br />

u.a. 2004. Zitiert nach Frank Berzbach:<br />

Kreativität aushalten / Psychologie<br />

für Designer. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2010, S. 23.<br />

5 Vgl. Sigrid Preiser / Nicola Buchholz:<br />

Kreativität. Asanger, Heidelberg<br />

u.a., 2004. Zitiert nach Frank Berzbach:<br />

Kreativität aushalten / Psychologie<br />

für Designer. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2010, S. 24.<br />

6 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

7 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

8 Vgl. Sigrid Preiser / Nicola Buchholz:<br />

Kreativität. Asanger, Heidelberg<br />

u.a., 2004. Zitiert nach Frank Berzbach:<br />

Kreativität aushalten / Psychologie<br />

für Designer. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2010, S. 24.<br />

»Rul war gründlich. Er wollte wissen, was eine<br />

Pause war. Das heißt, er wusste natürlich was<br />

eine Pause war. Er wollte wissen, was das Wort<br />

bedeutete. Er schlug in verschiedenen Lexika<br />

nach und erfuhr, daß das Wort aus dem Lateinischen<br />

und ursprünglich aus dem Griechischen<br />

kam, im Mittelalter sogar <strong>zur</strong> Pose und Posse<br />

werden konnte, sich aber in der ursprünglichen<br />

Wortbedeutung hielt:<br />

Unterbrechen. Entspannen. Erholen<br />

Rul las die drei Worte mehrfach. Sie zergingen<br />

auf der Zunge. Das war es, was er wollte. Er wollte<br />

einfach mal unterbrechen, aufhören, Schluß<br />

machen mit dem geliebten Wahnsinn, wollte<br />

endlich dem Streß, der Hektik, dem Übertempo<br />

entkommen, das heißt, er wollte sich entspannen<br />

und schließlich erholen. Sein Wunschtraum<br />

war, dabei Dinge zu tun, die er gern tat, die er<br />

gerne einmal gemacht hätte, vielleicht auch Ungewöhnliches,<br />

Ungewohntes. Er wollte auch<br />

seine Phantasie bemühen. Das war dann wohl<br />

die »schöpferische Pause«. Rul war gezwungen,<br />

das zu vermuten. Über diesen Begriff schwiegen<br />

sich nämlich alle Lexika aus. Rul fand das<br />

verdächtig. Jedenfalls hatte er ein Programm:<br />

Unterbrechen. Entspannen. Erholen.<br />

Phantasie einschalten.«<br />

64


Kreativität<br />

Landesgeförderte Wandersnippets<br />

Spazier<br />

gang<br />

Text und Fotografien von Rafael José<br />

Produktivität<br />

Der Beginn<br />

eines großen<br />

Abenteuers<br />

Angefangen hatte es<br />

damit, dass jeden<br />

Freitag dieser Metzgereiwagen<br />

auf dem<br />

Marktplatz gestanden<br />

hatte und jedes Mal<br />

eine lange Menschenschlange davor. Immer<br />

hatte ich mir gedacht, dort müsse es wohl etwas<br />

ganz besonders Gutes geben, wenn ich dort<br />

mein Fahrrad vorbeischob. Und doch hatte ich<br />

nie dort angehalten, war meinen Gewohnheiten<br />

folgend immer nur <strong>zur</strong> Erfurter Gemüsefrau<br />

und der Bamberger Hörnchenfrau und dem<br />

Kartoffelmann gegangen und zum Metzger, den<br />

man beim Heimwärtsbollern übers Kopfsteinpflaster<br />

des Frauenplans passiert. Neun Jahre<br />

Weimar <strong>–</strong> da kann es einem schon passieren,<br />

dass man trotz allem Selbstverständnis als<br />

Weltbürger oder meinetwegen »Digital Native«<br />

seit Jahren keine Experimente im Feld der<br />

täglichen Bedarfsdeckung mehr zulässt. Offen<br />

für die Läufe der Welt bei gleichzeitiger Verschlossenheit<br />

gegenüber den Veränderungen im<br />

lokalen <strong>Ein</strong>zelhandel.<br />

Trotzdem war es dann eines Tages passiert, dass<br />

ich diesem mobilen Metzgerstand mit dem<br />

klangvollen Namen »Axthelms Hofladen«<br />

gegenüber gestanden und keine Schlange mir<br />

die Sicht auf angeschnittene Würste und<br />

Schweinefleischstücke in eckigen Edelstahlwannen<br />

versperrt hatte. Ich war an die Auslage<br />

herangetreten mit der Absicht nur zu schauen,<br />

brauchte den Blick aber nicht einmal mehr<br />

schweifen zu lassen, weil aus all der schweinernen<br />

Vielfalt ein Produkt heraus leuchtete, als<br />

habe der Metzgermeister eigens hierfür einen<br />

Spotscheinwerfer an die Decke des Verkaufswagens<br />

geschraubt. In große Blöcke geschnitten,<br />

dicht an dicht mit Kopffleischstücken besetzt<br />

und von einer knusprig brauen Kruste überzogen,<br />

thronte dort eine majestätische Schüsselsülze.<br />

Kein zäher Gallertquader, der einem<br />

ohne sehr scharfes Messer vom Teller springt,<br />

sondern eine würdige Form der Totalverwertung.<br />

Nachhaltigkeit in Aspik.<br />

Sülze ist Vertrauenssache <strong>–</strong> bei kaum einem<br />

Metzgereiprodukt ist das Qualitätsgefälle so<br />

steil angelegt und Axthelms Schüsselsülze hatte<br />

vertrauenserweckend ausgesehen. Mein<br />

offensichtliches Interesse war sofort mit einem<br />

Probierstück belohnt worden, das mir ein<br />

freundlicher Metzger in weißer Schürze über<br />

die Theke reichte. Die sei nach dem Rezept<br />

seines Großvaters hergestellt, im Ofen <strong>–</strong> deshalb<br />

die braune Kruste. Außerhalb seiner Familie sei<br />

ihm diese Technik gänzlich unbekannt. Die<br />

Sülze hatte hervorragend geschmeckt und Herr<br />

Axthelm hatte weiter erzählt davon, dass er<br />

ausschließlich die eigenen Tiere in der Metzgerei<br />

verwerte. Er hatte von behutsamer Mast<br />

gesprochen, die ein hochwertiges Fleisch<br />

hervorbringe, eines, das nicht in der Pfanne<br />

schrumpfe und natürlich etwas mehr kosten<br />

müsse. Er hatte erzählt, dass er in einem Monat<br />

mal wieder ein Rind schlachten würde und in<br />

sechs Wochen gebe es Lamm, da lohne es sich<br />

vorzubestellen. Alles Musik in den Ohren<br />

potentieller Landlust-Leser und Slow Food-Vereinsmitglieder<br />

wie mir. Bevor ich mit einem<br />

Sülzepäckchen im Korb davongeradelt war,<br />

hatte ich noch gefragt, wo sie denn stünden,<br />

seine Schweine und Galloway-Rinder und<br />

dieser dazugehörige Hofladen. »Ostramondra«<br />

hatte er gesagt und noch einige Namen größerer,<br />

vielleicht bekannterer Orte in der Nähe<br />

nachgeschoben, aber die hatten mir alle nichts<br />

gesagt. Viel weniger jedenfalls als dieses »Ostramondra«.<br />

Das klang nach magischer Beschwörungsformel<br />

aus arabesken Märchen: »Mutabor!«<br />

<strong>–</strong> »Ostramondra!« <strong>–</strong> »Sesam öffne Dich!«.<br />

Es klang nach Süden. Italien, Spanien, Rumänien<br />

vielleicht, nach Grillenzirpen, reifen Feigen,<br />

flimmernder Hitze auf gewundenen Landstraßen.<br />

In keinem Fall schien es in die Nachbarschaft<br />

von Kölleda, Sömmerda und Buttstedt zu<br />

gehören.<br />

Ob es dort schön sei, hatte ich Herrn Axthelm<br />

gefragt und er hatte mir von Schrecke und<br />

Schmücke erzählt, von Wald und Wanderwegen<br />

und nahgelegenen Sehenswürdigkeiten, aber das<br />

war an dieser Stelle schon gar nicht mehr wichtig<br />

gewesen. Ostramondra hätte auch die Arbeitersiedlung<br />

eines stillgelegten Chemie-Kombinats<br />

am Ufer des großen Schwefelsees sein können,<br />

für mich war trotzdem festgestanden, dass<br />

meine erste Wandertour genau hierhin führen<br />

würde. Weimar <strong>–</strong> Ostramondra, der würdevollste<br />

vorstellbare Auftakt für die Wandersaison<br />

2015, zumindest phonetisch.<br />

Bushaltestelle im Thüringer Umland<br />

66


Kreativität<br />

Text und Fotografien von Rafael José<br />

Produktivität<br />

Stützerbach, Thüringer Wald<br />

Ohne<br />

Titel.<br />

Trotz des bewölkten Himmels<br />

hängt die Luft schwül und schwer<br />

über dem Dorf. <strong>Ein</strong> paar Ziegen<br />

und Hühner kann man sehen und<br />

wenige Menschen, die in hübschen Gärten<br />

sinnvolle Dinge tun. Es riecht nach betäubenden<br />

Blüten und Nutzvieh. Irgendwo auf Höhe<br />

der Kirche sollte ein kleiner Wanderpfad<br />

südöstlich die Feldkuppe hinauf führen und<br />

meinen Weg ein gutes Stück abkürzen, aber<br />

egal wo ich auf der Suche nach ihm in Straßen<br />

und Feldwege abbiege, treffe ich auf neu<br />

gezogene Zäune und versperrte Gatter mit<br />

Verbotsschildern. Jaja, Privateigentum, unverbrüchliches<br />

Recht und so. Alles andere ist<br />

Kommunismus oder Anarchie. Vielleicht bin<br />

ich nur zu doof, um die Karte richtig zu lesen<br />

oder mein Weg existiert tatsächlich nicht mehr;<br />

so oder so bleibt mir nur, auf dem Radweg die<br />

Landstraße entlang nach Osten zu laufen und<br />

dann auf einer kleinen Nebenstrecke südwestlich<br />

nach Kaltenborn. Wenn man sich das<br />

Ganze als gleichschenkliges Dreieck vorstellt,<br />

muss ich jetzt, anstatt über einen Schenkel<br />

direkt <strong>zur</strong> Spitze zu gelangen, die komplette<br />

Basis und den entlegeneren anderen Schenkel<br />

entlangwandern <strong>–</strong> ein Umweg. Mich ärgert das<br />

(obwohl ich dadurch auch nicht mehr als eine<br />

Viertelstunde verliere), weil es konzeptionell<br />

hässlich ist und schon wieder viel zu gut zum<br />

alten Gefühl passt, <strong>zur</strong> falschen Zeit am<br />

falschen Ort unterwegs zu sein. Die Uhr, das<br />

Wetter und die Topographie, alle unter einer<br />

Decke, um mich fertig zu machen. Kraftsdorf<br />

verabschiedet sich mit einer monumentalen<br />

Turn- und Mehrzweckhalle am Ortsausgang,<br />

danach laufe ich unter Alleebäumen durch die<br />

Felder. Das Korn steht blassgelb da, rührt sich<br />

nicht bei der Windstille und wartet auf den<br />

Mähdrescher. Die Grillen sägen überdreht zu<br />

Hunderten in den Böschungen. Es klingt nach<br />

einem Abendessen in der Sommernacht aber<br />

nicht auf der lauschigen Terrasse, sondern unter<br />

dichtstehenden Hochspannungsmasten kurz<br />

vorm Umspannwerk. Die Sonne ist ein heller,<br />

ausgefranster Fleck zwischen grauen Fladen,<br />

aber sie wärmt und lässt die Landschaft, wie aus<br />

eigener Leuchtkraft matt aufglühen.<br />

Die abzweigende Nebenstraße zieht sich sehr<br />

sanft die grünen Hügel hinauf und als ich<br />

schließlich oben stehe mit etwas bescheidener<br />

Fernsicht und unter mir, harmonisch in eine<br />

Talmulde ausgestreut, die Häuser von Kaltenborn<br />

auftauchen, sind Unlust und Ärger<br />

vergessen. <strong>Ein</strong>mal abbiegen und schon ist die<br />

Ferne wieder da. Es braucht bloß eine von<br />

diesen schmalen, ganz und gar nachrangigen<br />

Landstraßen ohne aufgemalte Mittelstreifen,<br />

die nur dazu da sind, vergessene Fünfzig-Seelen-Flecken<br />

mit der Außenwelt zu verbinden.<br />

Straßen, die in Autoatlanten dünn und weiß<br />

sind und ganz unten in der Hierarchie der<br />

Fahrbahnen. Mich haben diese Straßen schon<br />

immer angezogen. Wenn ich mit dem Auto<br />

Entfernungen abzuarbeiten habe in Richtgeschwindigkeit<br />

auf Bundesstraßen, versuchen<br />

mich all die gelben Pfeile mit den verheißungsvollen,<br />

nie gehörten Ortsnamen, in die Verästelungen<br />

des Streckennetzes zu locken. Ich fahre<br />

sehnsüchtig an jedem von ihnen vorbei. Darum<br />

ist mein auf Projektgröße hochskaliertes<br />

Wandern auch so ein Geschenk, weil ich mic,<br />

mitten aus der Provinz in die noch provinziellere<br />

Ultraprovinz fallen lassen und es Arbeit<br />

nennen darf. Weil ich von Harpersdorf, nach<br />

Kaltenborn übern Käseberg nach Kleinsaara<br />

und Kleinbernsdorf laufen darf und mir Weida<br />

mit seinen achteinhalb tausend <strong>Ein</strong>wohnern<br />

heute Abend richtig groß vorkommen wird.<br />

Ich war wieder<br />

unterwegs in der<br />

grünen Lunge<br />

Deutschlands.<br />

Seit einigen<br />

Tagen nun<br />

deutet sich ein<br />

wenig brüchige<br />

Stabilität am<br />

hochsommerlichen<br />

Himmel an.<br />

Gestern Abend bin ich noch mit dem schwammigen<br />

Vorhaben, heute an »meinen diversen<br />

Sachen« weiter zu arbeiten ins Bett gegangen.<br />

An diesem Morgen steht da völlig überraschend<br />

ein fertiger Entschluss, bevor ich überhaupt<br />

richtig die Augen geöffnet habe. Heute muss es<br />

losgehen, wer weiß, wie lange es diesmal<br />

möglich ist. Noch im Halbschlaf wanke ich<br />

hinüber zum Bücherregal, bediene mich relativ<br />

wahllos aus dem Kartenstapel, den ich für<br />

meine Wanderoffensive angelegt habe und lasse<br />

mich mit der Ausgabe »Gera, Zwickau, Thüringer<br />

Vogtland« <strong>zur</strong>ück ins Bett fallen. <strong>Ein</strong>fach<br />

mal drüber schauen. Vor ein paar Jahren bin ich<br />

einmal mit dem Auto an Greiz vorübergefahren<br />

und hatte damals eine reizvolle Spannung<br />

zwischen landschaftlich-architektonischer<br />

Schönheit und Nachwendemorbidität wahrzunehmen<br />

geglaubt, ohne Zeit zu haben, diesen<br />

<strong>Ein</strong>druck einer genaueren Prüfung zu unterziehen.<br />

Der vage Plan, »da irgendwann nochmal<br />

hinzufahren« war damals formuliert worden<br />

und dieser Plan wird in dem Moment, wo ich<br />

Greiz im unteren Drittel meiner Wanderkarte<br />

lokalisiere, wieder lebendig. Das beiliegende<br />

Informationsheftchen mit Hinweisen zu<br />

lohnenden Ausflugszielen und regionalen<br />

Spezialitäten, weist Greiz dann auch prompt als<br />

»Perle des Vogtlandes« aus und die ganz in der<br />

Nähe befindliche Göltzschtalbrücke als größte<br />

Backsteinbrücke der Welt. Na also, darunter<br />

sollte man gar nicht erst anfangen. Wenn schon<br />

Vogtland, dann aber mindestens die Perle; wenn<br />

schon Brücke, dann wenigstens Weltspitze. Auf<br />

der Suche nach einer Route, die einer Drei-Tages-Tour<br />

würdig wäre, stoße ich noch auf das,<br />

durch die gleichnamige Autobahnausfahrt<br />

berühmt gewordene Dorf Lederhose. <strong>Ein</strong>er der<br />

ganz großen Autobahnausfahrtenkalauer neben<br />

anderen Klassikern wie Hodenhagen, Vegesack,<br />

Titting und Hassloch. Als Aufhänger ist das<br />

zwar noch dürftiger, als die Sülze vom letzten<br />

Mal, aber jetzt gilt es einfach, schnelle Entscheidungen<br />

zu treffen und so schnell wie möglich<br />

los zu kommen. Folglich lautet das Wanderziel:<br />

Greiz über Lederhose. Das würde sich so auch<br />

gut auf dem Zielanzeiger eines Busses im<br />

öffentlichen Personennahverkehr machen.<br />

Und ab<br />

in die<br />

Botanik!<br />

Jetzt aber wirklich los, vorerst<br />

durch vertrautes Gelände<br />

über die Dorfstrasse von<br />

Alt-Schöndorf. Während ich<br />

dort auf der Kante des<br />

auslaufenden Ettersbergs weithin über Weimar<br />

und das Ilmtal blicken kann, findet die Sonne<br />

zum ersten und einzigen Mal heute ein winziges<br />

Loch in der Wolkendecke und taucht den<br />

ganzen Südhang in warmes Nachmittagslicht.<br />

Alles irgendwie verdreht. <strong>Ein</strong>e Tour, die mit<br />

Fernblick und Sonnenwärme beginnt, um mich<br />

dann nur wenige hundert Meter weiter in die<br />

landschaftliche Ödnis des Thüringer Beckens<br />

zu entlassen. Die Dorfstraße knickt links ab<br />

Richtung Wohlsborn. Jetzt muss ich erstmal<br />

einige Kilometer auf wenig befahrenen Landstraßen<br />

<strong>zur</strong>ücklegen. Links und rechts der<br />

Straße hellgrüne Getreideähren und Rapsfelder<br />

aus denen nur noch vereinzelte gelbe Blüten<br />

heraus leuchten. In irgendeiner Richtung kann<br />

man immer eine Zusammenrottung von<br />

Windrädern am Horizont sehen, die träge vor<br />

sich hinrotieren. Klatschmohn am Wegesrand,<br />

Flieder und Holunder, überall blüht und duftet<br />

es aber die ganze Pracht wirkt wie verschwendet<br />

unter diesem grauen Himmel in diesem<br />

schmutzigen Licht. <strong>Ein</strong>e Hochzeitsfeier, die<br />

plötzlich von einem Todesfall überschattet wird.<br />

Mit düsteren Gedanken laufe ich schneller<br />

als es sich gut für mich anfühlt, durch die<br />

reizlose Ebene. Selbstgewähltes Elend, die<br />

Strecke habe ich mir freiwillig ausgesucht<br />

und es war entschiedener Teil des Konzepts,<br />

nicht nur zertifizierte Erholungslandschaften<br />

zu durchlaufen. Ich wollte einen Thüringer<br />

Querschnitt, also auch Gegenden, in denen<br />

niemand auf einen wandernden Gast vorbereitet<br />

ist. Genau in so einer Gegend bin ich<br />

jetzt und beschwere mich und ja, was soll ich<br />

auch sonst tun? So sind eben Konzepte: Mit<br />

maximaler Außenperspektive und minimaler<br />

Detailkenntnis hingeworfen in wenigen<br />

Stunden, um einen dann für Monate, wenn<br />

nicht Jahre zu versklaven.<br />

Die Menschen sind für die Konzepte da,<br />

nicht die Konzepte für die Menschen..<br />

68<br />

69


Kreativität<br />

Werkzeug 4 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Arbeits platz <strong>Ein</strong> Text von Yulia Wagner<br />

Produktivität<br />

Doch wohin führt der Weg des<br />

kreativen Wandersmannes? Wo<br />

endet die mentale Reise und führt<br />

an einen physischen Ort? Wo kann<br />

man Kreativtechniken auch räumlich<br />

umsetzen? <strong>Ein</strong>e mögliche Lösung <strong>–</strong> und somit ein weiteres<br />

Werkzeug im Repertoire des Kreativen <strong>–</strong> sind der Arbeitsraum, das<br />

Atelier, das Studio, die Werkstatt. Hier geschieht die Übersetzung<br />

von Kreativität in ein Produkt innerhalb räumlicher Grenzen.<br />

Die Raumpsychologie geht davon aus, dass der Mensch durch<br />

visuelle und intuitive Faktoren von seiner Räumlichkeit beeinflusst<br />

wird. Sie beschäftigt sich damit »[w]ie Räume auf die Menschen,<br />

die sich in ihnen befinden, wirken; welchen Charakter sie entwickeln<br />

und wie sie das menschliche Verhalten beeinflussen und manipulieren.«<br />

1 Das solch eine unterbewusste Manipulation keine<br />

Angst machen muss und auf natürliche, menschliche Reaktionen<br />

trifft, beschreibt Jonas Burgert mit einer Beobachtung, die er bezüglich<br />

der Größe von Räumen gemacht hat. »Der Mensch stellt<br />

sich ja immer auf die Verhältnisse ein, in denen er sich befindet.<br />

Wenn wir in einem kleinen Raum sind, dann wirkt der etwas höhere<br />

Raum riesig, wenn wir dann aber in einem sehr großen Raum<br />

sind, dann kippt alles wieder und wir sind in einer neuen Proportion.«<br />

2 Er spricht das Raumgefühl an, welches ein Mensch wahrnimmt<br />

und verwendet, um Räume für sich in subjektiv, begreifliche<br />

Größen abzumessen. Man misst also nicht die Größe des<br />

Raumes, sondern man fühlt sie.<br />

Die Architektin Pélegrin-Genel benennt neben der menschlichen<br />

Empathie gegenüber Proportionen zusätzlich die Atmosphäre<br />

eines Raumes. So fühle man bereits im Moment des Betretens, ob<br />

man sich in einem Raum wohlfühlt oder nicht. Für ein kreatives<br />

Denken und produktives Arbeiten sei es demnach unerlässlich, einen<br />

Ort aufzusuchen, an dem man sich wohlfühlt. 3 Produktdesigner<br />

und Mitgründer des Designstudios ›45Kilo‹, Daniel Klapsing,<br />

geht in unserem Interview sogar noch weiter und rät mir: »Wenn<br />

ich du wäre, würde ich den Begriff Inspiration und Kreativität komplett<br />

streichen und überhaupt nicht verwenden, sondern eher auf<br />

Begriffe wie Wohlfühlen oder »richtig anfühlen« <strong>zur</strong>ückgreifen. 4<br />

Und tatsächlich <strong>–</strong> in jedem meiner Gespräche mit meinen Interviewpartnern<br />

findet der Begriff des »Wohlfühlens« seinen Platz.<br />

Als Begriff des eher täglichen Sprachgebrauches wurde er in der<br />

Kreativitätstheorie wahrscheinlich einfach übersehen. In dieser<br />

Publikation soll er wieder in den Diskurs mit aufgenommen werden.<br />

Als Begriff wird er besonders bedeutsam in seiner Rolle, die<br />

von Mensch zu Mensch divergenten, subjektiven Bedürfnisse in<br />

sich zusammenzufassen. »Sich Wohlfühlen« ist produktiver Ausgangspunkt<br />

einer durch sinnliche <strong>Ein</strong>drücke und Empathie angeleiteten<br />

Kreativität. Um meiner Recherche jedoch auch anwendbare<br />

Grundlagen <strong>zur</strong> Seite zu stellen, dient die Raumpsychologie als<br />

Untersuchungsgrundlage meiner Arbeit. Welche Rolle sie als Gegenstand<br />

und Werkzeug einnehmen kann, wird zu einem späteren<br />

Zeitpunkt dieser Publikation wieder aufgegriffen. Der interessierte<br />

Leser wandere also gern weiter zum Text Raum <strong>–</strong> Kein Raum.<br />

WERKZEUG 4:<br />

Arbeitsplätze als<br />

produktive<br />

Räume begreifen<br />

Hat man erst einmal einen Raum<br />

zum Wohlfühlen gefunden so<br />

kann dieser Raum zu einem schöpferischen<br />

Rückzugsort werden. Der<br />

Arbeitsraum in seiner örtlichen<br />

Erscheinung ist in Zeiten der Mobilität für viele eine nötige Basis,<br />

an der Arbeitsplatz, Inspiration und kreative Werkzeuge einen festen<br />

Standpunkt haben. Verortet in einen Raum, in den man sich<br />

jederzeit <strong>zur</strong>ückziehen oder an dem man neue Ideen festhalten,<br />

sammeln, verwirklichen und reflektieren kann. Oder wo man die<br />

eigene Arbeit auch mal hinter sich lässt und die Tür absperrt, um<br />

Abstand zu gewinnen.<br />

Solch ein fester Raum kann in seiner Beständigkeit also auch<br />

genutzt werden, um den Alltag zu strukturieren. Dem Kreativen<br />

kann ein externer Arbeitsraum helfen, zwischen Arbeitszeit und<br />

Pause, Beruflichem und Privatem zu unterscheiden. Außerdem<br />

kann in seiner Gegenständlichkeit kreatives Chaos zu greifbaren<br />

Systemen werden. Hier können Stolpersteine in die Hand genommen,<br />

gedreht, gewendet, aussortiert und in immer wieder neuen<br />

Kombinationen zusammengefügt werden. Hier treffen Inspiration<br />

und Idee, Inhalt und Objekt, Kreativität und Produktion aufeinander,<br />

werden griffig und erfahrbar.<br />

Wie solch ein Raum gestaltet ist, unterliegt individuellen Vorlieben.<br />

Jedoch gibt es auch hier unterschiedliche Ansätze, die auf<br />

eine bewusste Gestaltung des Raumes abzielen, um in ihm eine<br />

kreative Basisstation zu errichten. Die Lehre des Feng-Shui ist eine<br />

Antwort auf die Lehre der Psychologie des Raumes und beschäftigt<br />

sich mit der Steuerung eben jener Raumfaktoren, die beispielsweise<br />

zu einer Optimierung des Arbeitsplatzes dienen können. Farbe,<br />

Formgebung, Proportion, Material, Akustik und Licht können<br />

steuerbare Gestaltungsmittel im Raum werden. Mit ihnen hält der<br />

Kreative ein breitgefächertes Instrumentarium <strong>zur</strong> Gestaltung seiner<br />

Umgebung in den Händen. So erhält der Raum neben Funktionalität<br />

und Ästhetik auch eine eigene Persönlichkeit. Wie unterschiedlich<br />

mit diesem Gestaltungswerkzeugen umgegangen<br />

werden kann, spiegelt sich an der bunten Vielzahl von Studios und<br />

Arbeitsplätzen Kreativer weltweit. Manche benötigen eine mit<br />

schweren Gerätschaften angefüllte Werkstatt, anderen reicht der<br />

transportable Laptop als Produktionsstätte. Ihre räumliche <strong>Ein</strong>flussnahme<br />

zeigt neben mentaler Vorbereitung, die Bedeutung<br />

physisch greifbarer Ankerpunkte im Kreationsprozess. Es geht<br />

also nicht allein primär um eine Bereinigung des inneren Raumes,<br />

sondern auch um ein strukturelles System im realen Raum <strong>–</strong> sei es<br />

auch nur ein aufgeräumter Schreibtisch.<br />

1 Vgl. Jan Putensen: Raumpsychologie.<br />

http://jan-putensen.de/art03/<br />

hausarbeit_puritz/raumpsychologie.html.<br />

Stand 07.11.2015.<br />

2 Jonas Burgert: Aus einem Interview<br />

am 25.09.2015.<br />

3 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

4 Daniel Klapsing: Aus einem<br />

Interview am 06.08.2015.<br />

In den letzten 40 Jahren<br />

wurde mit der Erfindung des Personalcomputers die Nutzung unseres reale<br />

Schreibtischs mehr und mehr durch eine virtuelle ersetzt. Die Schreibtischmetapher,<br />

die in den 70er Jahren von Alan Kay entwickelt und erstmals<br />

unter Macintosh öffentlich bekannt wurde, verwandelt ehemals<br />

greifbare Objekte unseres dreidimensionalen Raumes wie: Textdokumente,<br />

Ordner, Briefe, Bücher und den Papierkorb, in eine nicht physische zweidimensionale<br />

Arbeitsumgebung in Form von Piktogrammen. Welche Rolle<br />

spielt der Schreibtisch also noch?<br />

70<br />

71


Kreativität Schreibtisch 2.15 Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

1a<br />

1a<br />

72<br />

73


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

2a<br />

2 b<br />

74<br />

75


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

3a<br />

3 b<br />

76<br />

77


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

4a<br />

4 b<br />

78<br />

79


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

5a<br />

5 b<br />

80<br />

81


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

6a<br />

6 b<br />

82<br />

83


Kreativität<br />

Schreibtisch 2.15<br />

Desk top <strong>Ein</strong>e Sammlung von Yulia Wagner und Marie-Christin Stephan<br />

Produktivität<br />

7a<br />

7 b 10 a<br />

10 b<br />

8a<br />

8 b 11a<br />

11 b<br />

9a<br />

9 b 12 a<br />

12 b<br />

84<br />

85


Kreativität * Ian MCean in ›ZEITmagazin‹ Desk policy <strong>Ein</strong> britischer Schriftsteller<br />

Produktivität<br />

*Ich war ein<br />

wilder junger<br />

Mann, der eine<br />

Menge Drogen<br />

nahm und viel<br />

Spaß hatte<br />

und trotzdem<br />

kein Wort<br />

schreiben<br />

konnte, bevor<br />

das Bett nicht<br />

gemacht war.


Bewegung<br />

Stillstand


Bewegung Vom Ägyptischen Schreiberling zum Home <strong>Office</strong> <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan Mobile <strong>Office</strong> Mit Illustrationen von Leonie Proske<br />

Stillstand<br />

VOM ÄGYPTISCHEN<br />

SCHREIBERLING ZUM<br />

HOME OFFICE<br />

Die Geschichte<br />

des Arbeitsraumes<br />

<strong>–</strong><br />

DAS ERSTE MOBILE OFFICE<br />

Spätestens seit der Digitalisierung, der Entwicklung transportabler<br />

Endgeräte und weitestgehend flächendeckender WLan-Netze<br />

feiern wir die Mobilität heutiger Arbeitnehmer. Ipads liegen auf<br />

Grund ihrer leichten Bauweise, schmalen Formgebung und unkomplizierten<br />

Anwendung absolut im Trend. Beinahe erschien es<br />

dem Nutzer wie ein Wunder, mitzuerleben wie es möglich wurde,<br />

getreu den Vorbildern aus Science Fiction Filmen, mit mehr oder<br />

weniger plumpen Fettfingern über ein schimmernd glattes Display<br />

zu wischen und dank dieser kleinen Bewegung Großes erreichen<br />

zu können. Somit schrumpft der rechenstarke Tower aus den 90er<br />

Jahren auf Handtaschengröße und kann an jedem beliebigen Ort<br />

als Arbeitsgerät dienen.<br />

Doch so fortgeschritten sich der heutige Tablet-PC-Besitzer<br />

auch fühlen mag. Menschen mit tafelförmigen Arbeits- und Speichergeräten<br />

ausstaffiert zu sehen, ist nicht neu. Bereits die Mütter<br />

unserer retrokreativen Generation Y mussten in dem Moment, da<br />

sie ihre Kinder mit übergroßen Nickelbrillen, Elvistollen und Karottenhosen<br />

umherstolzieren sehen, mit Schrecken feststellen, dass<br />

alles einmal wiederkehrt. Diese Weisheit greift auch in der Mode<br />

kulturhistorisch geprägter Arbeitsgeräte. So gründet sich dieser<br />

Trend wahrscheinlich auf die mit Wachs modellierte Schreibtafel<br />

der stilbewussten Römer, im 5. Jahrhundert vor Christus. 1 Die klassische<br />

Wachstafel, wie sie in der Antike von Römern, Griechen und<br />

Etruskern genutzt wurde und bis ins Mittelalter hinein Verwendung<br />

fand, bestand aus einem Holzgrund mit erhabenen Kanten.<br />

In der Mitte war eine Wachsschicht eingelassen, in welche man mit<br />

Hilfe eines Griffels aus Knochen, Elfenbein oder Metall, Buchstaben<br />

einritzen konnte. 2<br />

Diese leicht zu transportierende Oberfläche diente als analoges<br />

Speichermedium und zum schnellen Aufzeichnen alltäglicher Notizen,<br />

Listen und Kurznachrichten. Mit dem abgeflachten Ende des<br />

Griffels, konnten die Nachrichten jederzeit wieder aus dem Wachs<br />

gestrichen werden. <strong>Ein</strong>e eher billige Flatrate für antike Textmessages<br />

im SMS-Format, im Vergleich <strong>zur</strong> Verwendung des seltenen und<br />

teuren Papyrus, welches bereits von den Schreibern des alten Ägypten<br />

vor 5000 Jahren, zu der Zeit 3000 vor Christus, verwendet wurde.<br />

Die Autorin Élisabeth Pélegrin-Genel bezeichnet den ägyptischen<br />

Schreiberling sogar als den Begründer des mobilen <strong>Office</strong>s<br />

des 21. Jahrhunderts. 3 Hoch angesehen und mit leichtem Gepäck,<br />

hastete er von Ort zu Ort, um Daten aufzunehmen, zu analysieren<br />

und zu klassifizieren. Die gelehrten Männer des alten Ägyptens<br />

trafen sich im sogenannten »Scriptorium«, vergleichbar mit dem<br />

heutigen Meetingroom. Sie benötigten Raum zum Austausch und<br />

<strong>zur</strong> Fortbildung, da sie eine umfassende Verantwortung im Staat<br />

des Pharaos übernahmen. <strong>Ein</strong> hoher ägyptischer Beamter riet seinem<br />

Sohn in einem Brief, „Buchstaben wie deine Mutter zu lieben,<br />

denn durch ihre Kenntnis kannst Du Dich vor harter Arbeit schützen<br />

und ein Beamter hohen Rufes werden.« 4<br />

Schon damals wurde unterschieden zwischen harter, körperlicher<br />

Arbeit und angesehenen, intellektuellen Positionen, wie der<br />

des Beamten, des Schreibers. Neben dem Zeichnen von Plänen war<br />

er im Finanzwesen, im Handel und im Wirtschaftszweig tätig. Er<br />

zeichnete geschichtliche Ereignisse ebenso auf wie Baupläne, notierte<br />

Steuerabgaben, betreute, dokumentierte und archivierte administrative<br />

sowie religiöse Inhalte von Bedeutung. 5<br />

Hierfür brauchte der frühe Telearbeiter Ägyptens nur Wachstafel,<br />

Rohrpinsel, Tinte und Papyrus mitzunehmen und hatte somit<br />

alles vor Ort, was er für seine Arbeit benötigte. Insofern unterschied<br />

er sich wohl kaum von den heutigen Autoren, die sich bei<br />

Kaffee und Kuchen mit ihrem Laptop auf mit grünem Samt bezogenen<br />

Ohrensesseln am elektronisch betriebenem Feuer ausbreiten,<br />

um zu schreiben.<br />

Eben jene Vertreter geben ein gutes Beispiel für die Flucht aus<br />

dem präzise durchstrukturierten und überbürokratisierten <strong>Office</strong>,<br />

wie wir es in den meisten Betrieben auffinden können. Solche Räume<br />

und angebundenen Institutionen mögen noch heute dem kreativen<br />

Schreiberling Inspiration und Muße eindämmen, doch sind<br />

sie unausweichliche Konsequenz einer zum Archivieren angehaltenen,<br />

allzu menschlichen Arbeitsphilosophie, die auf Dokumentation,<br />

Konservierung und Überlieferung abzielt.<br />

Bereits die ägyptischen Beamten erschufen in Folge ihrer umfangreichen<br />

Aufzeichnungen eine Masse an Papierkram, der eine<br />

bürokratische Aufbereitung und Klassifizierung unerlässlich<br />

machte und somit für viele Kreative von heute den Grundstein<br />

allen Übels heutiger Büroadministration legte.<br />

90


Bewegung<br />

Vom Ägyptischen Schreiberling zum Home <strong>Office</strong> <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Home <strong>Office</strong> Mit Illustrationen von Leonie Proske<br />

Stillstand<br />

KIRCHENGELÄUT<br />

UND VIBRATIONSALARM<br />

- OFFICE HOURS<br />

Auch die Mönche in ihren Klosterzellen, von Gott berufen die<br />

humanistische Geschichte festzuhalten, gehören zu den Vorvätern<br />

heutiger Bürokultur. Das Führen von Annalen, Kopieren von Büchern<br />

und Festhalten der religiösen und weltlichen Ordnung ward<br />

längst <strong>zur</strong> auszeichnenden Qualität jener geduld- und tugendgeprüften<br />

Mönche geworden, die im sogenannten Scriptorium, besonnen<br />

und akkurat, die Schreibfeder führten. Die von unzähligen<br />

Büchern staubig gewordenen, aber »Gott sei Dank«, beheizten<br />

Schreibstuben im Herzen mittelalterlicher Klöster, sind die keusche<br />

Geburtsstätte der heutigen Bürokultur.<br />

Strikte Arbeitszeiten befolgend standen die Mönche an<br />

Schreibpulten über eng beschriebene, aufwendig verzierte Bücher<br />

gebeugt, deren Gewicht und Format eine Katalogisierung in Bibliotheken<br />

notwendig machten. Doch anders als in modernen Büros<br />

wurden die arbeitenden Mönche nicht von klingelnden Telefonen<br />

oder vibrierenden Smartphones von ihrer Arbeit abgelenkt, sondern<br />

einzig und allein vom Glockengeläut <strong>zur</strong> Arbeit, Messe oder<br />

Mahlzeit, von ihren ruhigen, zum Schweigen aufgerufenen Arbeitsplätzen,<br />

wegberufen. Noch heute herrscht diese Kultur von<br />

Stille und Konzentration in unseren Bibliotheken, lässt uns zaghaft<br />

und beinahe schuldbewusst in die Sprechmuschel unserer Mobiltelefone<br />

flüstern und zeugt von einer räumlichen Abgrenzung gegenüber<br />

äußeren Störfaktoren.<br />

Auch führten die kirchlichen Väter den Begriff des Büros in<br />

unseren Sprachgebrauch ein. Das deutsche Wort »Büro« leitet sich<br />

aus dem französischen »bureau« ab, welches wiederum seinen Ursprung<br />

im Altfranzösischen findet. »Bure« oder »Burel« bezeichnete<br />

einen groben Wollstoff, der von den Mönchen als schützende<br />

Unterlage über Schreibtische und Pulte gespannt worden war. Das<br />

lateinische Wort »Burda« steht also für ein zottiges Gewand und<br />

beschreibt den etymologischen Bedeutungszusammenhang zwischen<br />

Tuch, zu mit Tuch bedeckter Tisch, über Schreibtisch, hin<br />

zum Raum mit Schreibtisch. Daher leitet sich auch die französische<br />

Nutzung des Wortes „bureau“ für den Raum selbst, als auch für<br />

den Schreibtisch als Möbelstück, ab. 6<br />

WER HAT, DER KANN<br />

- HOME OFFICE<br />

OLDFASHIONED<br />

Während die Mönche historische Überlieferungen und vor allem<br />

religiöse Texte in minuziöser Handarbeit kopierten, revolutionierte<br />

Johann Gutenberg um 1450 mit der Erfindung des Buchdrucks<br />

nicht nur die Büroarbeit von gestern, sondern läutete eine<br />

neue, historische Ära ein.<br />

Die geschichtlichen Entwicklung des Büros ist immer auch an<br />

bedeutende Erfindungen und historische Tendenzen geknüpft, die<br />

einen soziokulturellen <strong>Ein</strong>schnitt auslösten, <strong>zur</strong> Umstrukturierung,<br />

Neuformung und Wandlung gesellschaftlicher Strukturen und somit<br />

<strong>zur</strong> Anpassung ihrer Arbeitskultur führten. Die Neuformulierung<br />

von Bedürfnissen hat folglich auch wirksamen <strong>Ein</strong>fluss auf<br />

das Verständnis von Arbeit und Arbeitsraum an sich genommen.<br />

Gleichsam der Erfindung des Computers und der nachfolgenden<br />

Digitalisierung, veränderte der mittelalterliche Buchdruck<br />

grundlegend die Möglichkeiten zu Informationsverarbeitung, Reproduktion<br />

und Vervielfältigung. Fortan war es möglich Informationen,<br />

Erfahrungen und Gedankengut in für handschriftliche<br />

Verhältnisse rasanter Geschwindigkeit und in hoher Stückzahl<br />

verbreiten zu können. Waren Bücher oder Abschriften im rauen<br />

Mittelalter auf Grund ihres hohen Wertes nur einer privilegierten<br />

Gesellschaftsschicht zugänglich, so ermöglichte die neue Form der<br />

Reproduktion mit beweglichen Lettern eine wesentlich günstigere<br />

Vervielfältigung niedergeschriebener Inhalte.<br />

Ab diesem Moment wurde das Buch ein zugänglich gemachtes<br />

Objekt und mit ihm wurde ein Zugang zu Bildung geschaffen, wie<br />

er nie zuvor existiert hatte. Gutenberg lief mit seiner ›Biblia Latina‹ 7<br />

also nicht nur den Mönchen ihren Rang als göttliche Kopisten ab,<br />

sondern beeinflusste die wirtschaftliche, politische und kulturelle<br />

Entwicklung seiner Zeit. Er ebnete den Weg für ein gebildetes Bürgertum,<br />

welches von nun an wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft<br />

einnehmen würde.<br />

An dieser Stelle tritt der Beamte bzw. der Notar als neuer Zeichner<br />

seiner Zeit in unser Blickfeld. Als Begründer des Home <strong>Office</strong><br />

verdient auch er eine verdienstreiche Stellung in der Betrachtung<br />

der Geschichte des Arbeitsraumes. Gleicher Meinung war auch<br />

Sonnenkönig Louis IX, der bereits im 13. Jahrhundert das Potential<br />

seiner sechzig Notare zu schätzen wusste. 8 Im Licht und Schatten<br />

der folgenden Jahrhunderte begleitete der Notar in seinem Amt<br />

als Richter, Steuereintreiber, Anwalt, Business Man oder Banker<br />

die wirtschaftlichen und politischen Geschehnisse. Er zeichnete<br />

diese auf, notierte und schrieb sie nieder, wie einst die beflissenen<br />

Schreiber des Pharaos. Ähnlich wie seine südlichen Vorfahren besaß<br />

der Notar eine transportable Büroausrüstung und produzierte<br />

ebenso viele Abschriften wie seine frommen Brüder in ihren Klosterstuben.<br />

Stets bedacht auf das Voranbringen der eigenen Geschäfte,<br />

richtete sich der Notar im Gegensatz zu Schreiber und<br />

93


Bewegung<br />

Vom Ägyptischen Schreiberling zum Home <strong>Office</strong> <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Comp agnion Taschenrutscher <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Natalia Figuigui<br />

Stillstand<br />

„The desk had become a partner in work, an extension<br />

of the body. It had become a silent companion,<br />

functioning as a center of communication, between<br />

oneself and the world at large.“ 12<br />

Mönch einen Arbeitsraum im eigenen Haus ein. Das war neu. Und<br />

weil man sich zu Hause gerne wohl fühlt, wurden nicht nur praktische<br />

sondern auch schicke Möbel entworfen, um die Massen an<br />

gefertigtem Material zu verstauen.<br />

Der Schreibtisch wurde nun verstärkt den Bedürfnissen des<br />

vielbeschäftigten Bürokraten und seiner schweren Registerbücher<br />

angepasst und gewann zunehmend an Größe. 9 Während sich der<br />

bescheidene Mönch mit einem schmalen Stehpult begnügte, ließ<br />

sich der moderne Telearbeiter mobiliare Bequemlichkeiten einrichten,<br />

um sein Arbeitsumfeld an die Inhalte seiner Aufgabenfelder<br />

nutzungsorientiert anzupassen.<br />

Pélegrin-Genel hebt die Vorreiterrolle unserer fleißigen Vorfahren<br />

hervor und verweist auf ihre maßgebliche Bedeutung für<br />

die Entwicklung noch heute bekannter Büroformen. »The office as<br />

we know it is the heir of all these figures. From the scribe to the<br />

notary, one finds the same concern with recording events, bearing<br />

witness, and communicating information. Appropriate furniture<br />

was invented to cater for these functions.« 10<br />

Heute tragen die massiv schlichten Tischplatten vor allem das<br />

Gewicht von großformatigen Standrechnern und selbst der allgemeine<br />

Laptopträger schmückt sich gern mit einem avantgardistisch-großen<br />

Schreibtischgestell. In westlichen Kulturen wandelt<br />

sich der »Am-Schreibtisch-sitzende-Mensch« zu einem Bildnis von<br />

Arbeit selbst. Auch wenn wir heute nahezu vollständig auf mobiles<br />

Arbeiten ausgerichtet sind, behält der Schreibtisch als zentrales<br />

Möbelstück die Herrschaft in den meisten Arbeitszimmern. Selbst<br />

dort, wo der Küchentisch zum Arbeitsplatz umfunktioniert wird,<br />

das Home <strong>Office</strong> in schmalen Nischen der <strong>Ein</strong>zimmerwohnung<br />

platziert ist, orientieren wir uns lieber an den Platzvorstellungen<br />

eines Notars als an der Größenordnung eines klerikalen Stehpultes.<br />

Dieser Anspruch wirkt in Zeiten fliegenleichter und kleinkalibriger<br />

Laptops befremdlich fehlplatziert zu sein.<br />

Es eröffnet sich folglich die Frage, ob der Mensch ein generelles<br />

Bedürfnis nach Stetigkeit und Freiraum an seinem Arbeitsplatz verspürt.<br />

Sich ausbreiten zu können scheint ihm ein Bedürfnis, sich niederzulassen<br />

eine Wohltat zu sein. <strong>Ein</strong> fest installierter Schreibtisch<br />

wird vor allem im Home <strong>Office</strong> <strong>zur</strong> festen Konstante innerhalb räumlicher<br />

Unterscheidungsgrößen von Arbeitsbereich und Privatraum.<br />

Das Bedürfnis einer Unterteilung beider Bereiche verspüren<br />

nicht nur die Telearbeiter von heute, sondern bereits ihre Vorfahren<br />

aus dem 18 .Jahrhundert. Zu dieser Zeit wurden die Forderungen<br />

nach einer Separierung von Arbeits- und Privatleben zunehmend<br />

lauter. Das Verständnis von Familienleben wurde vermehrt<br />

differenziert zum Arbeitsleben betrachtet. Fanden die verschiedenen<br />

Tagesgeschäfte und Lebensbereiche bisher gesammelt in einem<br />

Raum statt, wurden nun Arbeitszimmer getrennt von Wohnzimmern<br />

eingerichtet. Diese Lebensbereiche räumlich voneinander zu<br />

trennen war eine neue Entwicklung und blieb um 1755 allein besser<br />

gestellten Gesellschaftsschichten vorbehalten. 11<br />

Doch auch heute noch beeinflusst des Verhältnis vom Mietpreis<br />

zum Gehalt stark die räumliche Abtrennung von Arbeit und Wohnen.<br />

Nicht immer ist es dem Telearbeiter wirtschaftlich möglich,<br />

solch eine räumliche Trennung umzusetzen. Neben der räumlichen<br />

ist aber auch die mentale <strong>Ein</strong>ordnung von Arbeitszeit und Freizeit<br />

Gegenstand bewusster Reflektionen innerhalb unserer Gesellschaft<br />

und gründet sich auf ihre frühen Anfänge im 18. Jahrhundert.<br />

Die Wiederauferstehung traditioneller Arbeitsraumkulturen,<br />

wie dem mobilen <strong>Office</strong> oder dem Home <strong>Office</strong>, werden heutzutage<br />

also nicht erstmalig, sondern zum wiederholten Male in Frage<br />

gestellt und zeugen von einer Rückbesinnung auf bereits definierte<br />

Strukturen, die sich ihrer Kinderkrankheiten nach 300 Jahren<br />

noch nicht entledigt zu haben scheinen. Das Sprichwort »aus Erfahrung<br />

lernen« zeichnet vielmehr sarkastische Schmunzelfalten,<br />

betrachtet man die noch immer bestehende Raumfrage unserer<br />

heutigen Arbeitsgesellschaft und ihrer anhaltenden Unfähigkeit<br />

zum Finden klarer Abgrenzungen von Arbeits- und Privatleben.<br />

Kein Wunder <strong>–</strong> bei dauerhaft vibrierenden Kommunikationszellen<br />

in Hosentaschengröße, die, ständig in Benutzung, unsere<br />

Zeit, Methodik und Räumlichkeit von Arbeitsplatz und Ruhepol,<br />

in ein ortsungebundenes Cyber-Fenster verwandeln. Der Weg von<br />

der einfachen Wachstafel hin zum Smartphone erscheint groß,<br />

doch gründen sich beide Arbeitsflächen auf die selben grundlegenden<br />

Anforderungen und stellen als Objekt, ein Abbild der humanistischen<br />

Entwicklung von Arbeitsplatz, -gerät und -kultur dar.<br />

Denn wie wir in diesem kurzen Abriss erkennen konnten - mobile<br />

Arbeitsplätze, feste Bürozeiten oder Heimarbeit sind keine neuen<br />

Phänomene. Doch der Desktop, das Touch-Screen, kurzum - unser<br />

Pixel-Schreibtisch, vereint Freifläche, Informationsort, Lagerstätte<br />

und Kommunikationskanal mit nur einem Wisch oder Klick. Von<br />

zu Hause, im Büro oder im Café nebenan, über handliche Endgeräte<br />

an globale Kommunikationskanäle angeschlossen zu sein, ermöglicht<br />

uns nicht nur neue Arbeitstechniken, sondern stellt uns<br />

vor die Herausforderung, neue Strukturen der Nutzung und Regulierung<br />

und Verortung im Raum zu entwickeln. <strong>Ein</strong>e grundsätzliche<br />

Reformulierung zukünftiger Gestaltungskonzepte von Arbeitsflächen<br />

wird somit unumgänglich, da die traditionellen<br />

Modelle der Vergangenheit - ob aus dem altehrwürdigen Ägypten<br />

oder dem wettererprobtem Mittelalter - die neuen Bedürfnisse einer<br />

digitale Arbeitskultur nicht verlässlich zu erfüllen scheinen.<br />

1 Vgl. Wachstafel. https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstafel.<br />

Stand:<br />

19.07.2015.<br />

2 Vgl. Hartmut Günther, Otto<br />

Ludwig: Schrift und Schriftlichkeit. <strong>Ein</strong><br />

interdisziplinäres Handbuch internationaler<br />

Forschung. Band 2. De Gruyter, Berlin,<br />

1996, S. 1278.<br />

3 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 10.<br />

4 Hartmut Günther, Otto Ludwig:<br />

Schrift und Schriftlichkeit. <strong>Ein</strong> interdisziplinäres<br />

Handbuch internationaler Forschung.<br />

Band 2. De Gruyter, Berlin, 1996,<br />

S. 1278.<br />

5 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 10.<br />

6 Vgl. Friedrich Kluge: Büro. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge. Bearbeitet von Elmar<br />

Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage, Berlin / New York,<br />

2002, S. 162.<br />

7 Vgl. The Gutenberg Bible. In: Library<br />

of Congress Bible Collection. http://<br />

www.loc.gov/exhibits/bibles/the-gutenberg-bible.html.<br />

Stand: 18.10.2015.<br />

8 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 14.<br />

9 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 14.<br />

10 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 16.<br />

11 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 19.<br />

12 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 20.<br />

Taschenrutscher<br />

Längst sind technische Geräte zu ganz<br />

alltäglichen Gebrauchsgegenständen<br />

geworden. Unser Desktop ist Abbild<br />

davon, wie wir unser Leben organisieren.<br />

Er gibt Aufschluss darüber, was<br />

wir zu Papier bringen. Kleine Notizzettel<br />

hängen nicht länger am Kühlschrank,<br />

sondern liegen auf dem<br />

digitalen Schreibtisch. Das ipad ist<br />

nicht mehr als eine Schreibunterlage<br />

mit unnötigen Zusatzfunktionen. Das<br />

Mac Book hingegen gleich ein ganzer<br />

Tisch ohne Kante. <strong>Ein</strong> mobiler Schreibtisch,<br />

den man überall mit hinnehmen<br />

kann. Gott sei Dank - so lässt sich unsere<br />

Welt auf die Größe eines Taschenrutschers<br />

herunterdigitalisieren.<br />

Und als ich mir heute morgen meinen<br />

Laptop in den Rucksack packte, um<br />

mich am späten Nachmittag über das<br />

Gewicht beschweren zu wollen, dachte<br />

ich mir: „Natürlich, warum schleppst<br />

du auch deinen ganzen Schreibtisch<br />

mit dir herum? Lass doch die Arbeit<br />

einfach mal auf der Platte liegen.“<br />

Dann doch lieber den ipod am Rockzipfel<br />

<strong>–</strong> ein dudelnder Notizblock fällt<br />

schließlich nicht so schwer ins Gewicht.<br />

94<br />

95


Bewegung <strong>Ein</strong> Text von Konrad Angermüller everywhere<br />

anywhere<br />

Fotografien von Elisa Kaufmann und Konrad Angermüller<br />

Stillstand<br />

3,01m<br />

oder<br />

<strong>Ein</strong>e Ode an<br />

das Arbeiten<br />

an Tischen<br />

zwischen<br />

den Stühlen<br />

Ich soll<br />

etwas<br />

zu den<br />

Orten<br />

meiner<br />

Arbeit<br />

sagen.<br />

ORT 1<br />

Als ich vor drei Jahren nach Berlin zog, war die<br />

Wohnung ein einziger hoher, heller, leerer<br />

Raum. Ihn durch ein zentrales Möbel eine<br />

<strong>Ein</strong>teilung, eine Struktur zu geben, schien<br />

sinnvoll. Vier Dielenbretter <strong>–</strong> auf einer Baustelle<br />

übriggeblieben, zusammengespaxt, gebeizt,<br />

geölt mit drei Böcken drunter <strong>–</strong> bilden seitdem<br />

das Zentrum der Wohnung. An diesem drei<br />

Meter langen, mittlerweile drei Jahre altem<br />

Provisorium findet jede Mahlzeit, jeder Abend<br />

mit Freunden, jeder Streit, jede E-Mail innerhalb<br />

der eigenen fünf Wände statt.<br />

ORT 2<strong>–</strong>99<br />

Wenn ich räumlich auf mein zweidimensionales<br />

Tun in zwei Jahren Selbständigkeit <strong>zur</strong>ückblicke,<br />

fällt mir auf, wie unterschiedlich die<br />

Situationen waren, in denen ich tätig war und<br />

bin. Meine Arbeit als freier Grafiker beginnt in<br />

einem mitteldeutschen Kloster und in einer<br />

serbischen Dachwohnung mit Blick auf die<br />

Donau. Es sind die Schauplätze der ersten<br />

Projekte nach der Uni. <strong>Ein</strong> Workshop, eine<br />

Buchrecherche, grafische Exkursionen. Seitdem<br />

arbeite ich für nahezu jedes Projekt an einem<br />

anderen Ort. Mal sind es selbstgewählte<br />

Ortswechsel, mal verlangt ein Kunde oder ein<br />

Büro meine Anwesenheit. Meine Arbeit ist<br />

maßgeblich durch ein Nomadisieren geprägt.<br />

Das ideale Zimmer zum Arbeiten gibt es für<br />

mich nicht, kann es nicht als bestehende<br />

Raumstruktur geben. In jedem Raum, in dem<br />

ich arbeite, habe ich einen ganz grundlegenden<br />

Konflikt mit mir selber auszufechten. <strong>Ein</strong>en<br />

»Arbeitsraum« zu definieren finde ich absurd.<br />

Keiner würde auf die Idee kommen, einen<br />

»Freizeitraum« architektonisch definieren zu<br />

wollen. Außer man wollte eine Wohnung oder<br />

in der Makroebene eine Stadt als besagten<br />

Freizeitraum verstehen. Aber niemand würde<br />

daraus einen Absolutheitsanspruch formulieren.<br />

Dem menschlichen Bewegungsdrang, auch dem<br />

geistigen, würden die gebauten Wände nicht<br />

standhalten. Die Alternative: Hospitalismus.<br />

Ich habe im Hinterzimmer einer Kneipe<br />

genauso produktiv an einem Projekt gearbeitet<br />

wie in der Staatsbibliothek. Gutes Arbeiten ist<br />

für mich keine Frage des architektonischen<br />

Raumes. Mehr eine Frage von Freiwilligkeit und<br />

der Fähigkeit, sich auf ein gestalterisches<br />

Problem einzulassen.<br />

Jedoch die Örtlichkeit der Arbeit für beliebig zu<br />

erklären, halte ich für verfehlt. Ich halte nichts<br />

von der Ansicht, dass alles was man zum<br />

Arbeiten braucht ein Computer wäre. Es ist wahr,<br />

dass man um sein Handwerk auszuüben ein<br />

Werkzeug braucht. In der Kreativbranche ist das<br />

auffallend häufig ein Mac. Es braucht aber für<br />

jeden Handwerker neben dem Werkzeug auch<br />

die Werkstatt. Diesen Fakt zu ignorieren wäre<br />

falsch. Egal ob ich das eigene Schlafzimmer, die<br />

Kaffeehauskette oder das Co-Working Büro zu<br />

meiner Werkstatt erkläre, ich agiere in und<br />

interagiere mit einem solchen Raum.<br />

Aber was macht dann diesen Raum für mich<br />

aus? Und sind die Ansprüche, die ich an ihn<br />

formuliere überhaupt stabil?<br />

In meinem Fall kann ich klar sagen Nein.<br />

Je nach Phase der Arbeit, je nach Fertigstellungsgrad<br />

habe ich andere Bedürfnisse an<br />

meine Umgebung. Sitze ich in der feintypografischen<br />

Fleißarbeit am Ende eines Layoutjobs,<br />

geht mir nichts über Ruhe, die allerhöchstens<br />

von Musik gestört werden darf. Meine Umgebung<br />

muss sauber sein und ich muss gewisse<br />

Bücher in meiner Nähe wissen. Mein Computer-Desktop<br />

muss aufgeräumt sein, die Ordner<br />

klar sortiert.<br />

Geht es allerdings um den Start von Projekten,<br />

darum zu recherchieren, darum ein Konzept so<br />

kompromisslos wie möglich in die Welt zu<br />

bringen, dann bin ich gern an Orten, die nicht<br />

zwangsläufig etwas mit meinem eigenen Leben<br />

zu tun haben müssen. Diese Orte müssen nicht<br />

gebaut sein, es können soziale Orte sein, einmalige<br />

Orte, die nur einen Abend lang existieren.<br />

Das Projekt prägt immer meine aktuelle<br />

Sichtweise. So kann jeder Ort ein Detail zu<br />

meiner Sichtweise hinzufügen. Das ist ein<br />

Riesenprivileg und das ist mir sehr bewusst.<br />

Während manche Menschen täglich am<br />

gleichen Ort arbeiten, kann ich nicht selten ein<br />

Verständnis des Arbeitsgegenstandes am<br />

»lebenden Objekt« entwickeln. Gestalte ich ein<br />

Jahrbuch für die Uni, fahre ich hin und schaue<br />

mir an, welche Charakteristika diese Uni<br />

auszeichnet. Und das mache ich nicht an einem<br />

Tag, weil ich dann wieder <strong>zur</strong>ück ins Büro muss,<br />

sondern ich bleibe vorerst an dieser Uni. <strong>Ein</strong><br />

Vorteil davon ist, dass ich nicht auf Berichte<br />

anderer Personen angewiesen bin, sondern mir<br />

ein eigenes Bild machen kann und aus dieser<br />

Perspektive meist sehr gut mit den Auftraggwbern<br />

kommunizieren kann. Anderen bleibt da<br />

oft nur der Computer, um sich ein Bild zu machen<br />

dessen Fokus meist schon vorgegeben ist.<br />

Der Rechner spielt ohnehin immer eine Vermittlerrolle<br />

zwischen gegensätzlichen Situationen;<br />

ist man isoliert und für sich stellt er eine Recherchegrundlage<br />

über das Internet her, gibt er ein<br />

Abbild, ein Zitat von jenen Realitäten an denen<br />

ich mich für meine Arbeit orientieren will. Er<br />

bietet also eine Inspiration, falls diese gerade<br />

nicht direkt zugänglich ist. In anderen Momenten<br />

schafft er bedingt eine Arbeitsatmosphäre,<br />

wo nicht an Arbeit zu denken wäre. All die Programme,<br />

die das Gestalten ermöglichen, Kopfhörer<br />

rein und schon hat man eine Isolation in<br />

der man arbeiten kann. Der Rechner kann also<br />

die Tatsache abmildern, dass man andere<br />

Bedürfnisse an einen Ort formuliert, als die<br />

tatsächlich vorgefundenen.<br />

Es gibt aber etwas, das einen Ort auszeichnet,<br />

dass kein Rechner vermag und das würde ich<br />

aus Mangel an Worten als Serendipität bezeichnen.<br />

Es ist genau jenes zufällige, überraschende<br />

und bisweilen irritierende Moment im Alltag,<br />

dass den eigenen Blick auf Dinge verändert und<br />

darüber Inspiration sein kann; Die diffuse Hoffnung<br />

auf solche Momente lässt mich allmorgendlich<br />

meine Kamera einpacken. Schlüssel,<br />

Handy, Portemonnaie, Kamera. Check!<br />

96<br />

97


99


100<br />

101


Bewegung 3,01 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Konrad Angermüller everywhere<br />

anywhere<br />

Fotografien von Elisa Kaufmann und Konrad Angermüller<br />

Stillstand<br />

102<br />

103


Bewegung<br />

3,01 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Konrad Angermüller<br />

everywhere anywhere Fotografien von Elisa Kaufmann und Konrad Angermüller<br />

Stillstand<br />

Schnappschüsse. Warum tragen türkische<br />

Jungen Anzug auf dem Spielplatz? Wer hat<br />

diese Katzenhäuser in die Straßen gebaut und<br />

stellt täglich mehrere Kilo Futter hin? Ist das<br />

die Traumschiffmusik, die ich hier auf der<br />

Bosporusterrasse höre? Warum sind diese<br />

Backsteinhäuser da drüben lackiert und<br />

warum riecht eigentlich das ganze ländliche<br />

Dänemark nach Schwein? Wer ist diese Frau,<br />

die jeden zweiten Gast auf ihr Bild hinter<br />

der Theke hinweist? Warum ist das Café auf<br />

dem Campus so voll, obwohl Semesterferien<br />

sind? Wer dreht in dieser Straße vor dem<br />

Café eigentlich immer den Hydranten auf?<br />

Was einen <strong>Ein</strong>fluss auf meine Arbeit hat, ist also<br />

eben nicht die architektonische oder faktische<br />

Qualität der Orte, an denen ich arbeite, sondern<br />

diese Qualität ist anderer Natur. Sie schärft<br />

meine Aufnahmefähigkeit für Sichtweisen, die<br />

ich in meiner Lebensrealität nicht einnehmen<br />

muss, die aber zum Bearbeiten eines Themas<br />

wichtig werden können, eine Empathie gewissermaßen.<br />

Ich habe festgestellt, dass ich diese<br />

oft in ungewohnten Situationen entwickle.<br />

In Situationen der Unvertrautheit, der Fremde.<br />

In diesen Situationen kommt man beispielsweise<br />

nicht auf die Idee, einer Frage auszuweichen<br />

und stattdessen den Hausputz vorzuziehen.<br />

Wenn ein Raum so vertraut, so gemütlich ist,<br />

dass ich mich in ihm einfach wohlfühle, nimmt<br />

meine Produktivität ab.<br />

Um es eingehender zu erklären, muss ich<br />

wahrscheinlich den Gedanken »Heimat«<br />

verfolgen. Ich kann zwar keine Antwort auf<br />

die Frage geben was Heimat ist, aber ich kann<br />

einer Freundin sehr gut in ihrer Geschichte<br />

folgen, die in ihrer Kindheit aufgrund des<br />

Professorenstatus des Vaters oft in Europa<br />

umgezogen ist und die mir erklärte, sie habe<br />

keinen Ort, den sie als Heimat definiere, zumal<br />

der Ort ihrer Kindheit, L’Aquila, von einem<br />

Erdbeben nahezu vollständig zerstört wurde.<br />

Ihr falle es leicht, sich auf einen fremden Ort<br />

einzulassen und in ihm gewissermaßen eine<br />

Zelle zu bilden, diesen Ort von Beginn an<br />

bewusst zu einem Teil ihrer Biografie zu<br />

machen, diese Zelle zu erweitern, die Schnittmenge<br />

über soziale Situationen zu vergrößern.<br />

Das klingt wie eine ganz normale Erfahrung<br />

aber statt sich auf einen Stamm zu berufen,<br />

findet sich hier das Zuhause, die Heimlichkeit<br />

potentiell in jedem Ort; ohne diesen Satelliten<br />

einen Ausgangspunkt, einen Heimkehrort<br />

überzuordnen. Ich merke, dass genau diese<br />

Ambivalenz aus Fremde und Sympathie an<br />

einem Ort mich inspiriert, das Vorhandensein<br />

von Irritationen. Damit meine ich keine<br />

Ablenkung im klassischen Sinne wie Kindergeschrei<br />

oder grässliche Radiomusik, sondern<br />

situative Details, Konversationen, Stimmlagen,<br />

eine Frisur, ein Schuh. Diese »unsichere«<br />

Umgebung sorgt zwangsläufig für ein Gefühl<br />

von Disziplinierung, von »Sich erklären müssen«,<br />

Dinge erfragen. Meine Arbeit ist durchlässig<br />

für den Alltag, für Reize von außen.<br />

Nach meinem Verständnis ist Gestaltung eine<br />

Übersetzungsleistung. So wie jeder Mensch<br />

einen Text aus einer Sprache in die andere<br />

übersetzt und dabei seine eigenen Worte verwendet,<br />

bezieht er implizit sein Bild des Sachverhaltes<br />

ein. In dem ich mich im Aufbau<br />

meiner grafischen Übersetzung in einen Raum<br />

begebe, muss ich mir klarmachen, dass dieser<br />

Raum in die Übersetzung mit reinspielt.<br />

Gute Gestaltung orientiert sich für mich darüber<br />

hinaus nah am inhaltlichen Kern und ist<br />

im besten Falle innovativ, das heißt sie ist keine<br />

reine Reproduktion von da gewesenem. Dem<br />

Arbeiten in der Fremde und der Gestaltung<br />

kommen also zwei Punkte überein. Die Vergegenwärtigung<br />

des ungewohnten, derjenigen<br />

Strukturen, die für andere selbstverständlich,<br />

für sich selbst hingegen gänzlich unvertraut<br />

sind, ist die Methode. Diese Distanz bietet die<br />

einzigartige Möglichkeit, das Treiben in der<br />

Welt, vorrangig das menschliche, zu hinterfragen.<br />

Aus diesem Gedanken heraus, begebe ich<br />

mich immer wieder auf die Suche nach neuen<br />

Räumen, anders eingefärbten <strong>Ein</strong>flüssen und<br />

neuen Motiven <strong>–</strong> um dieses innovative Moment<br />

in meiner Arbeit zu aktivieren.<br />

Es fällt leicht, sich in einer solchen Situation<br />

zu verlieren, meist in eben dem Moment, wo<br />

sie gemütlich wird, als Teil der eigenen Zelle<br />

angenommen wird. Ich bin ein leicht abzulenkender<br />

Mensch.<br />

Deshalb brauche ich als Gegengewicht zu<br />

diesen Orten eine Konstante, um diese Experimente<br />

aufzuarbeiten. Der Input dieser Situationen<br />

muss eingeordnet und auf Relevanz für das<br />

Projekt hin eingeschätzt werden. Das Ziel ist,<br />

dass es die eigene Motivation schafft, in den beschriebenen<br />

»Innovationsräumen« zu Produktivität<br />

und letztlich zu einem Produkt zu führen,<br />

doch bis zu dieser Ausgeglichenheit werde ich<br />

noch häufig auf den 3,01m langen, heimischen<br />

Schreibtisch <strong>zur</strong>ückkommen müssen, an dem<br />

bislang tatsächlich die meisten meiner Projekte<br />

fertiggestellt wurden. Bis zum nächsten Projekt,<br />

einem neuen Raum.<br />

Gerade jetzt sitze ich beim Schreiben dieser<br />

Zeilen zum ersten Mal in einem Arbeitsraum.<br />

Im Osten Berlins.<br />

Es ist wieder eine Zwischenlösung.<br />

104<br />

105


Bewegung<br />

3,01 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Konrad Angermüller<br />

Home <strong>Office</strong> Fotografien von Elisa Kaufmann und Konrad Angermüller<br />

Stillstand<br />

Fotos von Elisa Kaufmann und<br />

Konrad Angermüller<br />

S.97 New York, Juli 2015.<br />

S.98 New York, Mai 2015.<br />

S.99 New York, Juni 2015.<br />

S.100 Mauer Blume<br />

New York (MoMA PS 1), Juli 2015.<br />

S.101 links: Beacon, August 2015.<br />

oben: New York, Mai 2015.<br />

S.102 New York, Mai 2015.<br />

S.103 Kopenhagen, April 2015.<br />

S.104 New York, Juni 2015.<br />

S.105 New York, Mai 2015.<br />

S.106 New York, Mai 2015.<br />

S.107 links: New York, Juni 2015.<br />

rechts: Weimar, Dezember 2014.<br />

106


Freiraum<br />

Pause


Bewegung<br />

Im Gespräch mit Katrin Steiger & Yan Ziegner<br />

Gaumen<br />

freuden<br />

Zu Besuch bei den Gartenfreunden<br />

Stillstand<br />

KS<br />

YZ<br />

MC<br />

Katrin Steiger<br />

Yan Ziegner<br />

Marie-Christin Stephan<br />

In Weimar sind sie ein bekanntes Paar. Katrin Steiger, Künstlerin<br />

und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für öffentliche Erscheinungsbilder<br />

von Christine Hill an der Bauhaus-Universität von Weimar<br />

und ihr Freund Yan Ziegner, freiberuflicher Grafikdesigner.<br />

Gemeinsam mit Freunden bewirtschaften sie einen großen Garten<br />

am Rande der Stadt. Was als Diplomarbeit der Visuellen<br />

Kommunikation von Yan Ziegner über utopische Gesellschaftsideale<br />

entstand, ist inszwischen über die Artenvielfalt eines<br />

konventionellen Gemeinschaftsgartens hinausgewachsen. Die<br />

Gartenfreunde laden die Bewohner Weimars regelmäßig zu<br />

musikalischen Veranstaltungen, selbst geernteten und zubereiteten<br />

gustatorischen Geschmacksexplosionen und künstlerischen<br />

Interventionen ein. So verwandeln sie an lauen Sommerabenden<br />

dieses liebevoll gestalteten Stück Landschaft in einen<br />

kreativen Ort der Kunst, des Austausches und der Gemeinschaft.<br />

Für sie selbst bedeutet dieser eingezäunte Flecken Erde<br />

aber auch Erholungsraum, Erinnerungsmoment und <strong>Freiheit</strong>.<br />

Ich treffe sie in einem kleinen Berliner Café, wo sie mit müden<br />

Augen von der gestrigen Hochzeitsfeier eines Freundes, an ihrem<br />

morgendlichen Menü knabbern und genüsslich Kaffee schlürfen.<br />

Ich bin zu spät. Mit einem kurzen Wink verscheuche ich eine der<br />

vielen Wespen, die sich zu unseren Sitznachbarn gesetzt haben<br />

und bestelle mir <strong>–</strong> und wohl auch meinen gestreiften Spießgesellen<br />

<strong>–</strong> eine hausgemachte Saftschorle sowie ein Croissant zum<br />

Frühstück. Ich lehne mich entspannt <strong>zur</strong>ück und wir verfallen für<br />

einen kurzen Moment in gemeinsames Schweigen, in Erwartung<br />

eines schönen, gemeinsamen Morgens.<br />

Arbeit & Freizeit<br />

MC Habt ihr das Gefühl, dass ihr nach einer<br />

langen Arbeitswoche in den Garten<br />

geht und die körperliche Arbeit,<br />

die euch dann dort erwartet, vielmehr<br />

Ausgleich als Anstrengung ist? Ist es<br />

ein Ort, an dem ihr Arbeit und Freizeit<br />

voneinander trennen könnt?<br />

YZ Ja, das ist auf jeden Fall so.<br />

KS Also für mich gilt, und ich glaube auch<br />

für Yan, das für uns diese Trennung von Privatem<br />

und Arbeit ein fließender Übergang ist.<br />

Das hat damit angefangen, mein Masterprojekt,<br />

den Salon in der eigenen Privatwohnung<br />

zu veranstalten und auch den Garten als Ort zu<br />

etablieren. Als einen Ort, wo wir uns selbst<br />

wohlfühlen, den wir aber auch gerne teilen. <strong>Ein</strong><br />

schöner, geteilter Ort. Für mich spielt es eine<br />

wichtige Rolle, dass ich ganz besonders glücklich<br />

bin, wenn viele Menschen mit uns gemeinsam<br />

den Garten genießen können. Das entspricht<br />

auch meiner Vorstellung vom Gastgebertum.<br />

Das Gastgebertum bedeutet für<br />

mich, dass ich das Ganze was mir ein Ort geben<br />

kann, mit anderen teilen möchte.<br />

Natürlich ist das ein organisatorischer Aufwand<br />

und es benötigt viel Zeit das Essen vorzubereiten,<br />

das wir jedes Mal anbieten, denn<br />

in diesem Garten geht es ja auch ganz klar um<br />

das Gustatorische und auch um das Schaffen<br />

eines anderen Bewusstseins. Es geht darum,<br />

in der Natur zu sein, draußen zu essen, seine<br />

Umwelt bewusster wahrzunehmen. Zu entdecken,<br />

wie viele Tiere dort herumfleuchen und<br />

kreuchen, neue Bekanntschaften zu machen,<br />

Leute wiederzutreffen, Leute kennenzulernen.<br />

All diese Dinge spielen an diesem Ort eine Rolle<br />

für mich. Er ist also viel mehr für mich, als<br />

eine stringente Barriere zwischen Arbeits- und<br />

Freizeitraum.<br />

110<br />

111


Bewegung<br />

Katrin Steiger & Yan Ziegner<br />

Gaumen<br />

freuden<br />

Gartenfreunde<br />

Stillstand<br />

Umnutzung<br />

MC Sprecht ihr diesem Raum also ganz bewusst<br />

neue Bedeutungsebenen und<br />

Nutzungseigenschaften zu?<br />

KS Ich glaube auch, dass unsere Veranstaltungsreihe<br />

zeigt, dass man solch einen Ort<br />

auch einer Umnutzung unterziehen kann. Ihn<br />

eben nicht nur als Garten zu verstehen, sondern<br />

auch einen kulturellen Ort entstehen lassen<br />

zu können. Die kleine Bühne als zentraler<br />

Punkt im Garten ist fast schon zum Selbstläufer<br />

geworden. Aus einer Schnapsidee heraus<br />

veranstaltet man dort ein kleines Konzert.<br />

Dann ist man davon ganz beglückt und dann<br />

sind alle beglückt, die das miterlebt haben.<br />

Dann wird davon berichtet und am Ende kommen<br />

sogar Anfragen, wie man sich dafür bewerben<br />

könne, dort ein Konzert zu spielen. An<br />

diesem Punkt sind wir gerade.<br />

Do it yourself<br />

MC Aber ihr gebt ja nicht nur Konzerte. Ihr<br />

veranstaltet gustatorische Höhepunkte<br />

und bietet das eigens angebaute<br />

Gemüse zum Verzehr an. Am Wochenende<br />

kocht ihr Marmelade ein und<br />

presst Johannisbeersaft. Versteht ihr<br />

euch inzwischen auch als Selbstversorger<br />

und somit vielleicht als Teil einer<br />

modernen DIY-Kultur?<br />

KS Für mich ist es ganz klar eine andere<br />

Situation. Für mich ist der Garten eher wie ein<br />

neues Wiederentdecken, aber auch in alten<br />

Erinnerungen zu schwelgen und das Ganze nun<br />

selbst auszuprobieren. Ich bin mit Gärten aufgewachsen<br />

und es gibt spezifische Geschmäcker<br />

meiner Kindheit, die ich jetzt wieder hervorrufen<br />

kann. Zum Beispiel selbstgemachte<br />

Johannisbeersaftschorle zu trinken.<br />

Ich denke der Garten war gar keine bewusste<br />

Entscheidung von uns, sondern das ist irgendwie<br />

einfach so entstanden, weil es bereits in<br />

uns drin gesteckt hat. Es ging uns nicht darum,<br />

nach einem Ort der Entspannung oder der Auszeit<br />

zu suchen.<br />

YZ Um auf die Frage zum Trend des DIY<br />

<strong>zur</strong>ückzukommen. Gartenprojekte gibt es natürlich<br />

schon sehr viel länger. Das haben wir<br />

Mich befriedet es<br />

einfach in diesem<br />

Garten zu sein<br />

und dort auch zu<br />

arbeiten.<br />

aber gar nicht so mitbekommen, weil wir uns<br />

einfach gar nicht damit beschäftigt haben.<br />

Ich selbst bin mit einem Garten aufgewachsen.<br />

Meine Großeltern waren so etwas ähnliches<br />

wie Selbstversorger. Sie hatten das zu Zeiten<br />

des Krieges angefangen und sind dann dabei<br />

geblieben. Sie hatten dafür natürlich kein Label<br />

und wären auch nie auf die Idee gekommen,<br />

dieser Tätigkeit eine Marke zu verpassen. Sie<br />

haben das ganz einfach selbstverständlich gemacht.<br />

Und heute ist es tatsächlich so, dass<br />

eben jene Geschmäcker unserer Kindheit für<br />

Kathrin und mich die größte Rolle spielen.<br />

Wenn ich heute Gemüse ernte und esse, denke<br />

ich oftmals an meine Kindheit und an meine<br />

Großeltern <strong>zur</strong>ück. Deswegen bewirtschaften<br />

wir den Garten als Gemüsegarten, unabhängig<br />

davon warum wir den Garten machen oder wie<br />

es dazu gekommen ist, weil wir somit den Geschmack<br />

unserer Kindheit wieder heraufbeschwören<br />

können.<br />

Glück<br />

KS Es birgt auch so viel Freude. Ich bin mit<br />

Vorratskammern aufgewachsen. Das Bild einer<br />

vollen Vorratskammer beglückt mich einfach.<br />

<strong>Ein</strong> Garten bedeutet unglaublich viel Aufwand.<br />

Aber man verarbeitet einfach so gute, natürliche<br />

Produkte <strong>–</strong> das ist die Mühe wert.<br />

MC Wie empfindest du dabei den Prozess<br />

der Gartenarbeit?<br />

KS Gartenarbeit verleiht ein Gefühl von<br />

Produktivität. Man hat etwas gesät und dann<br />

erntet man es und verarbeitet es. Und dann<br />

versucht man an einem Tag im August, die<br />

Früchte eines ganzen Sommers in ein kleines<br />

Glas zu verpacken. Und wenn man dann im<br />

Winter davon isst, erinnert man sich <strong>zur</strong>ück.<br />

Entschleunigung<br />

MC Sind solche Momente des Erinnerns<br />

auch Momente der Entschleunigung<br />

für euch?<br />

KS Auf jeden Fall. Man merkt extrem, wie<br />

einen der Garten und die Arbeit dort entschleunigen.<br />

Mich befriedet es einfach in diesem<br />

Garten zu sein und dort auch zu arbeiten.<br />

<strong>Ein</strong> Garten ist sehr dankbar, weil man Fortschritte<br />

ziemlich schnell sieht. <strong>Ein</strong> Beet, dass<br />

voller Unkraut ist und welches man dann entkrautet<br />

hat, sieht sofort ordentlich und schön<br />

aus. Gerade bei Yan ist es ja so, dass er es gerne<br />

sehr ordentlich im Garten hat.<br />

YZ Was soll ich denn machen, ich bin halt<br />

Grafikdesigner.<br />

KS Da hat alles also seinen Winkel und seine<br />

geraden Linien. Ach, es ist einfach schön,<br />

wenn man so viele kleine Erfolgserlebnisse hat.<br />

YZ Man geht mit den selbstgeernteten<br />

Produkten auch ganz anders um. Man vermanscht<br />

das Gemüse nicht mehr so wahllos miteinander,<br />

nach dem Motto: Hauptsache viel<br />

hilft viel. Sondern man nimmt sich bewusst<br />

Zeit dafür, das Gemüse bewusst zu schmecken.<br />

MC In der heutigen Digitalgesellschaft<br />

herrscht eher der Anspruch ständiger<br />

Erreichbarkeit, erzeugt in vielen Menschen<br />

eine große Sehnsucht nach<br />

Entschleunigung. Deswegen finde ich<br />

es spannend, dass der Garten in all<br />

seinen kleinen Details und Momenten<br />

zu einem Ort der Entschleunigung und<br />

des bewussten Erlebens für euch wird.<br />

YZ Wenn man im Garten ist, dann ist man<br />

quasi ganz weit weg, obwohl man eigentlich<br />

um die Ecke ist. Deswegen finde ich es auch<br />

gut, dass der Garten nicht direkt am Haus ist,<br />

sondern dass man sich erst dorthin begeben<br />

muss. So ist jeder Gang in den eigenen Garten<br />

wie ein Trip in Richtung Kur<strong>zur</strong>laub für mich.<br />

Kreativität<br />

MC Geben gerade diese Kur<strong>zur</strong>laube euch<br />

den Freiraum, die restliche Arbeitswoche<br />

gestärkt und besonders kreativ<br />

starten zu können?<br />

KS Das ist eine schwierige Frage.<br />

YZ Nö, eigentlich nicht. Eher Entspannung.<br />

KS Also ich denke schon, dass es die eigene<br />

Kreativität ankurbelt. Die ist dann aber immer<br />

mit dem Ort verbunden. Dadurch sind ja<br />

auch unsere Veranstaltungsreihen entstanden.<br />

Man hat schon viele Ideen, aber die sind<br />

dann eher alle auf diesen Ort bezogen. Ganz<br />

bewusst in den Garten zu gehen um dort für<br />

etwas anderes Kraft zu schöpfen, für andere<br />

112<br />

113


Bewegung<br />

Katrin Steiger & Yan Ziegner<br />

Gaumen<br />

freuden<br />

Gartenfreunde<br />

Stillstand<br />

Inspiration<br />

YZ Aber auch diese Dinge inspirieren uns<br />

eher indirekt. Es ist nicht so, dass wir uns sagen,<br />

jetzt ist da wieder der Kutscher vorbeigefahren<br />

und wir entwickeln aus dieser Gewohnheit<br />

ein Konzept. Es ist vielmehr der offene<br />

Blick auf die kleinen Momente des Alltags, der<br />

einen in vielerlei Hinsicht bereichert und eben<br />

auch indirekt inspiriert.<br />

MC Inspiration ist für euch also weniger an<br />

einen ganz bestimmten Ort gebunden,<br />

sondern viel mehr ein Prozess des<br />

Wachseins, der offenen Wahrnehmung<br />

und des feinen Geschmacks?<br />

KS Es bedeutet vor allem die Augen für ungewöhnliche<br />

Details offen zu halten. Oder<br />

selbst Ungewohntes zu tun. Ich denke vor allem<br />

in einer kleinen Stadt wie Weimar muss man<br />

selbst aktiv werden, um sich neuen <strong>Ein</strong>drücken<br />

auszusetzen, sonst passiert einfach nichts.<br />

YZ <strong>Ein</strong>fach mal in den Bus zu steigen und<br />

<strong>zur</strong> Endhaltestelle fahren, um dann <strong>zur</strong>ückzulaufen.<br />

Das Weimarer Umland hat auf diesen<br />

Wegen so viel Skurriles zu bieten. Aber man<br />

muss sich in Bewegung setzen um sie zu<br />

entdecken.<br />

Projekte, dass kommt eigentlich nicht vor. Wir<br />

nutzen das eher als Raum für kurze Auszeiten.<br />

Der Garten ist unter allen Umständen auf jeden<br />

Fall ein Ort, an dem wir abschalten können.<br />

Austausch<br />

KS Oder wir führen unerwartete Gespräche<br />

über unseren Zaun hinweg. Es gibt viele<br />

kleine, schräge Momente in diesem Garten.<br />

Der Garten ist ja ein Ort oder eine Art kleines<br />

Land und der Zaun ist die Grenze. Außerhalb<br />

des Gartens fahren immer ganz viele Menschen<br />

vorbei, vor allem Kleingärtner. Höchst<br />

konservative Menschen muss man sagen. Das<br />

sind Menschen, mit denen man normalerweise<br />

niemals in Kontakt kommen würde <strong>–</strong> jetzt aber<br />

schon. So fährt immer ein Kutscher vorbei, mit<br />

dem man sich grüßt. Oder zwei ältere Herren,<br />

die häufig vorbeijoggen und mit ganz hoher,<br />

krächzender Stimme Hallo rufen. Und diese<br />

kleinen Momente beflügeln mich dann schon<br />

sehr, weil das sind verrückte Momente, die<br />

dort stattfinden und eine gute Abwechslung<br />

zum Arbeitsalltag bieten.<br />

114<br />

115


Bewegung Katrin Steiger & Yan Ziegner Stillstand<br />

Gartenfreunde<br />

KS Dabei geht es vor allem darum, den Zufall<br />

walten zu lassen und zu entdecken. Die Dinge<br />

einfach mal auf sich zukommen zu lassen,<br />

statt ständig alles unter Kontrolle zu haben.<br />

Erst solche Unsicherheiten verschaffen uns<br />

neue <strong>Ein</strong>drücke und lassen uns an ihnen wachsen.<br />

Es beinhaltet eine Änderung der Sichtweise<br />

und bedeutet nicht immer nur dem gewohnten<br />

Blick zu folgen, sondern rauszugehen, sich<br />

auf Unerwartetes einzulassen, sich Zeit zu<br />

nehmen und neugierig zu bleiben.<br />

Veränderung<br />

MC Man muss sich also in Bewegung setzen,<br />

um den eigenen Horizont zu erweitern.<br />

Das erscheint logisch, das<br />

weiß ja jeder Wandersmann.<br />

KS Absolut. Man muss sich bewegen, um<br />

die eigene Sichtweise verändern zu können.<br />

MC Auch ihr möchtet euch demnächst<br />

wieder in Bewegung setzen, einen<br />

Ortswechsel vornehmen. Mir scheint,<br />

als hätten wir in Zukunft wieder öfter<br />

die Gelegenheit für ein gemeinsames<br />

Frühstück. Ich habe gehört, dass ihr<br />

die Stadt Weimar und somit wohl auch<br />

euren Garten hinter euch lassen wollt<br />

um nach Berlin zu ziehen. Fällt es euch<br />

nicht unglaublich schwer, diesen so<br />

besonderen Ort und all die investierte<br />

Arbeit <strong>zur</strong>ückzulassen?<br />

YZ Es fällt uns schon schwer. Aber wir haben<br />

auch Lust auf einen neuen Schritt und neue<br />

Aufgaben. Wir haben den Salon gemacht und<br />

Leute für diese Abendveranstaltungen in unsere<br />

Privatwohnung eingeladen. Dann haben wir<br />

den Garten als einen besonderen Ort in Weimar<br />

etabliert. Und in Berlin machen wir jetzt vielleicht<br />

einfach etwas ganz Neues. Wir möchten<br />

in Bewegung bleiben.<br />

KS Um ehrlich zu sein können wir, glaube<br />

ich, nicht anders. Ich glaube es wird immer ein<br />

Projekt geben, wo wir versuchen werden Leute<br />

an einem Ort zusammenbringen. Ob das dann<br />

wieder einen Veranstaltungscharakter hat<br />

oder nicht, dass wird sich zeigen.<br />

Aber einen guten Ort zu etablieren und diesen<br />

mit anderen Menschen zu teilen, das werden<br />

wir niemals ablegen.<br />

Fotos aus dem Archiv des Gartenfreund<br />

S.111 Portrait von Katrin Steiger und Yan<br />

Ziegner, Foto von Ina Niehoff, 2014.<br />

S.112 Zwiebeln, Foto von Katrin Steiger<br />

S.113 Postkarte »l'ami de jardin«,<br />

Design von Yan Ziegner, Foto von Ina Niehoff.<br />

S.114-5 Fotos von Christian Rothe, 2014.<br />

S.116 Katrin Steiger und Gartenfreund<br />

Jeremias Urban, Fotos von Nina Röder,<br />

März, 2015.<br />

S.117 Gartenfreund Jeremias Urban<br />

beim Schaufeln, Foto von Yan Ziegner, 2013.<br />

116


Arbeit<br />

Leben<br />

118<br />

119


Arbeit Im Gespräch mit Judith Guckler Net<br />

working<br />

Zu Besuch bei Freunde von Freunden<br />

Leben<br />

JG<br />

MC<br />

FvF<br />

Judith Guckler<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Freunde von Freunden<br />

Ich bin etwas aufgeregt als ich mich an einem<br />

sonnigen Mittwoch zu Fuß auf den Weg in die<br />

Mulackstraße mache. Dort würde ich Judith<br />

Guckler treffen, die für das Marketing und Public<br />

Relations der Produktionsagentur „Freunde<br />

von Freunden“ verantwortlich ist. Selbst<br />

auf Entdeckungsreise durch die verschiedensten<br />

Kreativwelten Berliner Büros und<br />

Kunsträume, interessiert mich das Konzept,<br />

welches hinter der Erfolgsstory von FvF steckt,<br />

deren Publikationen Lebens- und Arbeitsräume<br />

Kreativer auf der ganzen Welt portraitieren.<br />

Die Haustür öffnet sich mit einem kratzigen<br />

Surren. Im obersten Stockwerk angekommen,<br />

begrüßt mich ein Labrador schwanzwedelnd an<br />

der Tür. Hunde im Büro <strong>–</strong> eine schöne Seite Berlins.<br />

Neben diesem tapsigen Vierbeiner steht<br />

Judith, eine modisch gekleidete junge Frau mit<br />

großen Augen und kinnlangem Haar. Sie lächelt<br />

mir freundlich entgegen. Ich entspanne mich<br />

ein wenig. Hinter ihr prangt ein Poster zwischen<br />

bunten Ausdrucken an einer vollbehangenden<br />

Wand und lässt mich schmunzeln. „Use<br />

your fucking brain“ ist darauf zu lesen. An den<br />

vollbesetzten Schreibtischen direkt daneben<br />

kommt man dieser Aufforderung beflissen<br />

nach. Die Mitarbeiter der Agentur „NoMoreSleep“<br />

heben bei meinem <strong>Ein</strong>treten nur kurz interessiert<br />

die Köpfe und wenden sich gleich<br />

darauf wieder ihrer Arbeit zu.<br />

Die Agentur NoMoreSleep gibt es seit 2007. Im Jahr 2009 ist das<br />

Projekt FvF entstanden, welches in erster Linie dazu dienen<br />

sollte aufzuzeigen, was die Agentur an Services leisten und anbieten<br />

kann. Design, Layout, Konzept sowie Content-Produktion<br />

im Foto-, Video- und Textbereich. Was im Kleinen begann<br />

und sich auf einen lokalen Kreis von Freunden, Künstlern, Projekten<br />

und Räumen in Berlin konzentrierte, ist mittlerweile zu<br />

einem internationalen Netzwerk gewachsen, welches Freunde<br />

von Freunden in über 85 Städten der Welt portraitiert.<br />

Es herrscht eine angenehme Stimmung in den hohen Räumen<br />

der Maisonette Wohnung im Herzen Berlins, die der Agentur als<br />

Arbeitsort dient. Über eine Treppe gelangt man auf eine Empore,<br />

die Zugang zu weiteren Arbeitsräumen und <strong>zur</strong> Dachterrasse<br />

gewährt. <strong>Ein</strong>er der Geschäftsführer, Frederik Frede, sitzt<br />

dort im Schatten eines großen Sonnenschirms, den Laptop auf<br />

seinen Knien. <strong>Ein</strong> FlipFlop baumelt lose an seinem Zeh. Wir wollen<br />

nicht stören.<br />

Auf der Treppe stehend schaue ich hinunter auf die Köpfe der<br />

fleißigen Freunde und am Fuße angekommen streift erneut der<br />

Labrador wie aus Versehen an meinen Beinen vorbei in Richtung<br />

Küche, als wüsste er bereits, dass Judith mir gleich eine Erfrischung<br />

anbieten würde. <strong>Ein</strong> Wasserglas in der Hand, schlägt sie<br />

vor in das Apartment von FvF zu gehen, welches sich zwei<br />

Stockwerke tiefer befände und wo man sich in Ruhe zusammensetzen<br />

und unterhalten könnte.<br />

Als mich Judith, immer noch das Wasserglas in der Hand haltend,<br />

durch das Apartment führt, fühle ich mich wie ein Mannequin<br />

in der gedruckten Auflage eines Interior Design Magazins.<br />

In dem früheren Büro der Agentur befindet sich heute eine stilvoll<br />

eingerichtete Wohnung, die stark an die Bilder ihrer eigenen<br />

Publikationen erinnert. Wir nehmen an einem großen Holztisch<br />

Platz. Meine Finger streichen über seine samtene, glatte Oberfläche.<br />

Von der Räumlichkeit fasziniert, schweifen meine Gedanken<br />

in aller Stille kurzzeitig in andere Richtungen ab und<br />

werden erst aus ihren Tagträumen gerissen, als Judith das Wasserglas<br />

vor mir auf den Tisch stellt.<br />

120<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

121


Arbeit Judith Guckler Net<br />

working<br />

Freunde von Freunden<br />

Leben<br />

Apartment<br />

MC Für welche Zwecke verwendet ihr dieses<br />

Apartment?<br />

JG Man könnte diesen Ort als Showroom<br />

bezeichnen, da er gemeinsam mit unserem Kooperationspartner,<br />

dem Möbelhersteller Vitra,<br />

gestaltet und umgebaut wurde. Abgesehen<br />

davon ist es aber vor allem ein Raum der genutzt<br />

und belebt wird. Hier wohnen nicht nur<br />

zeitweise Leute, sondern hier geben wir auch<br />

viele Veranstaltungen. Gleichzeitig wird dieser<br />

Ort durch seine Stilprägung und Detailverliebtheit<br />

zu einer Art physikalischen Umsetzung<br />

des Hefts.<br />

<strong>Ein</strong>richtung<br />

MC Die <strong>Ein</strong>richtung und Ausstattung des<br />

Apartments ist also auch direkt inspiriert<br />

durch Inhalte, die ihr in euren<br />

Heften und auf euren Blogs zeigt?<br />

JG Auf jeden Fall. Hier finden sich alle<br />

Marken und Hersteller wieder, mit denen wir<br />

zusammenarbeiten. Auch einige <strong>Ein</strong>richtungsideen<br />

und Möbel von Leuten, die wir portraitiert<br />

haben, haben in diesen Räumen ihren<br />

Platz gefunden. Die kleine Pflanzeninstallation<br />

im Bad zum Beispiel ist eine Anlehnung an<br />

das Portrait des Architekten, Designers und<br />

Künstlers Huy Bui, der genau solche Installationen<br />

macht. Somit bleibt dieser Ort in steter<br />

Veränderung und unterliegt neuen Ideen und<br />

originellen Entwürfen.<br />

MC Es gab also verschiedene Vorbilder für<br />

das gestalterische Konzept dieser<br />

Räumlichkeiten??<br />

JG Wir haben uns vor der Umsetzung ein<br />

Konzept gemacht, welches unsere eigenen Visionen<br />

und Ideen, sowie die Marke Vitra als<br />

Hauptpartner, beinhaltete. All die vielen, kleinen,<br />

liebevollen Details <strong>–</strong> die einem jeden<br />

Raum und so auch hier <strong>–</strong> eine besondere Atmosphäre<br />

verleihen, sind mit der Zeit hinzugekommen.<br />

Inzwischen haben wir sogar Bienen<br />

auf dem Dach.<br />

Mainstream<br />

MC Imkern in der Großstadt <strong>–</strong> fast schon<br />

ein wenig Mainstream. <strong>Ein</strong>e Flucht <strong>zur</strong>ück<br />

ins Analoge, <strong>zur</strong> Handarbeit <strong>–</strong> <strong>zur</strong>ück<br />

<strong>zur</strong> Natur. Stellt ihr diese Entwicklung<br />

auch bei euren<br />

Interviewpartnern fest?<br />

JG Ich glaube, dass diese Bewegung generell<br />

Teil unseres heutigen Zeitgeistes ist.<br />

Das zeichnet sich inzwischen in allen Bereichen<br />

ab. In der Möbelproduktion, wie in der<br />

Lebensmittelherstellung- und verwertung. Die<br />

Tendenz geht <strong>zur</strong>ück zu natürlicher Herstellung<br />

und <strong>zur</strong> Handarbeit.<br />

Analog & Digital<br />

MC Zu Beginn hat FvF auch nur einen Internet-Blog<br />

betrieben und erst später<br />

begonnen Bücher herauszubringen.<br />

Ist diese Entscheidung auch als Adaption,<br />

als Schritt <strong>zur</strong>ück ins Analoge zu<br />

verstehen?<br />

JG Die Rückbesinnung auf Papier war auf<br />

jeden Fall ein spannendes Projekt für uns, weil<br />

wir das vorher so noch nicht gemacht hatten.<br />

Somit standen wir vor ganz neuen Herausforderungen.<br />

Das gesamte Team konnte an der<br />

Aufgabe wachsen, die Inhalte, die wir online<br />

aufgebaut hatten, erfolgreich in ein neues Medium<br />

zu übersetzen.<br />

MC Die Menschen vertrauen in der Zeit<br />

von Facebook und Instagram darauf,<br />

von Freunden zu guten Inhalten geleitet<br />

zu werden. Inwiefern gibt FvF<br />

durch Interviews und zwischenmenschliche<br />

Kontakte, welche in die<br />

Realität übersetzt werden, eine Antwort<br />

auf die Erwartungshaltung der<br />

digitalen Netzwerke?<br />

JG Sicherlich leben wir diesen Netzwerkgedanken<br />

und profitieren davon, was natürlich<br />

dank Social Media Plattformen stark vereinfacht<br />

wurde. Indem wir dann aber die Leute<br />

persönlich treffen und vor Ort besuchen,<br />

schafft FvF als kommunikative Mitte eine Verbindung<br />

zwischen den einzelnen Menschen<br />

weltweit. So funktioniert das Netzwerk von<br />

FvF als Ganzes. Wir versuchen also auch immer<br />

einer Verbindung zwischen Offline und Online<br />

zu schaffen. Deswegen auch das Apartment,<br />

welches dazu dient, mit Hilfe von Veranstaltungen<br />

wahrscheinlich bereits digital miteinander<br />

vernetzte Leute tatsächlich gemeinsam<br />

an einen reellen Ort zu bringen.<br />

Es dient somit als Zentrale für das gesamte<br />

Netzwerk. Wir haben Menschen auf der ganzen<br />

Welt getroffen und sie können alle zu uns an<br />

diesen einen Ort kommen um sich zu treffen.<br />

Somit schaffen wir eine andere Ebene, die über<br />

das digitale Medium hinausgeht.<br />

MC<br />

Raumkriterien<br />

Das Apartment vereint also viele<br />

Funktionen an einem Ort. Unter der<br />

Berücksichtigung des Apartments als<br />

122<br />

123


Arbeit Judith Guckler Net<br />

working<br />

Freunde von Freunden<br />

Leben<br />

124<br />

125


Arbeit Judith Guckler Net<br />

working<br />

Freunde von Freunden<br />

Leben<br />

Wohnstudio, Eventraum und Treffpunkt:<br />

Welche gestalterischen Mittel<br />

habt ihr angewandt um solch einen<br />

breiten Nutzungsspielraum zu füllen?<br />

JG Es ist natürlich ästhetisch schön, aber<br />

es muss auch funktionieren als der Ort, als den<br />

wir ihn nutzen wollen. Wir sind tatsächlich gerade<br />

dabei ein neues Konzept zu erarbeiten.<br />

Und einer der Hauptpunkte dafür ist das Kriterium,<br />

dass der Hauptraum für alle verschiedenen<br />

Setups genutzt werden kann und dementsprechend<br />

die auch Möbel funktionieren<br />

müssen. Man kann hier kein massives Sofa<br />

reinstellen. Der Raum muss flexibel bleiben.<br />

Das Bett beispielsweise ist modular und kann<br />

jederzeit abgebaut werden. Tische und Stühle<br />

können weggestellt werden, um den Raum zu<br />

vergrößern. Eigentlich ist alles darauf ausgerichtet,<br />

einen Ort des Treffens und der Kommunikation<br />

zu gestalten. Dieser Anspruch erklärt<br />

auch das Design der Kücheninsel, die<br />

dank ihrer Form nicht nur modern aussieht,<br />

sondern zugleich Raum für Gespräche und<br />

Austausch bietet.<br />

MC Hat an dieser Stelle auch die Erschaffung<br />

von Arbeitsbereichen eine Rolle<br />

gespielt?<br />

JG Natürlich. An dem großen Tisch, an<br />

dem wir sitzen, kann man ja nicht nur essen,<br />

sondern auch wohnen, leben, lesen, arbeiten,<br />

sich treffen oder Präsentationen halten. All<br />

diese Bereiche können hier in einem Raum, an<br />

einem großen Tisch, stattfinden. Aber das<br />

kennt man ja auch aus dem eigenen Leben,<br />

dass Arbeit und Privates miteinander verschwimmen.<br />

Arbeits- und Lebensraum<br />

MC Zu Beginn von FvF wurden vor allem<br />

Wohnräume gezeigt. Erst später wurde<br />

die Rubrik Arbeitsräume in die Portraitserie<br />

mit aufgenommen. War dies<br />

eine Folgeerscheinung auf Grund ähnlicher<br />

Erfahrungen wie du sie gerade<br />

beschrieben hast? Sind Wohn- und<br />

Arbeitsbereich in der heutigen Realität<br />

nicht mehr eindeutig voneinander<br />

zu trennen?<br />

JG Ich bin mir nicht sicher wann das erste<br />

Workportrait gemacht wurde. Aber es gibt einfach<br />

so viele spannende Arbeitsorte. Seien es<br />

außergewöhnlich gestaltete Büros oder Werkstätten.<br />

Dies sind ebenso Lebensräume wie<br />

der private Wohnraum. Schließich verbringt<br />

man sehr viel Zeit an seinem Arbeitsplatz. Und<br />

Frederik Frede <strong>–</strong> Gründer, Creative Director<br />

so gibt es selbstverständlich auch Leute, die<br />

sich über diese Räume ebenso viele Gedanken<br />

machen wie um die eigene Privatwohnung und<br />

dabei können spannende Entwürfe entstehen,<br />

die häufig auch sehr gut umgesetzt werden.<br />

Dass diese Räume somit auch zum wichtigen<br />

Teil der Lebensrealität werden, ist Grund für<br />

unsere Entscheidung, diese Orte auch abbilden<br />

und zeigen zu möchten.<br />

Home<strong>Office</strong><br />

MC Häufig zeigt ihr dabei Menschen, die<br />

Wohn- und Arbeitsraum miteinander<br />

verbinden. Wie verbreitet ist das Home-<strong>Office</strong><br />

eurer Erfahrung nach?<br />

Glaubst du, dass das Home-<strong>Office</strong> ein<br />

erfolgreiches Arbeitsraumkonzept<br />

darstellt?<br />

JG In Berlin ist es so, dass hier wahnsinnig<br />

viele Leute als Freelancer arbeiten. Manche<br />

haben ein Studio, viele arbeiten von zu<br />

Hause aus. In den Büros selbst ist es häufig so<br />

und bei uns wird es ähnlich geregelt, dass die<br />

sogenannte Telearbeit ziemlich locker gehandhabt<br />

wird. Man kann also auch von zu<br />

Hause aus arbeiten. Man muss nicht jeden Tag<br />

vor der Stechuhr erscheinen.<br />

Natürlich hat das immer auch etwas mit<br />

Selbstmotivation zu tun, weil man zu Hause<br />

natürlich schneller abgelenkt wird, den Abwasch<br />

noch schnell wegräumt oder den <strong>Ein</strong>kauf<br />

erledigt.<br />

Ich bin aber davon überzeugt, dass wenn man<br />

Passion für die eigene Arbeit verspürt und Lust<br />

hat, ein Projekt voranzubringen, dann funktioniert<br />

das genauso gut vom heimischen<br />

Schreibtisch aus.<br />

MC Bei FvF besitzen die Mitarbeiter also<br />

auch die <strong>Freiheit</strong>, an einigen Tagen von<br />

zu Hause aus zu arbeiten. Wie verändert<br />

es diese <strong>Freiheit</strong> die eigene Arbeitsweise?<br />

JG Es verändert schon viel. Bei uns im<br />

Büro ist schon sehr viel Betrieb. Wir sind ungefähr<br />

zwanzig Leute. Da ist ständig was los. Das<br />

Telefon klingelt, es kommen Gäste, der Kurier<br />

steht an der Tür. Vor allem wenn man längere<br />

Texte schreiben muss, fällt es dann oft schwer<br />

sich zu konzentrieren. Dort ist man auch nicht<br />

ständig verfügbar.<br />

Wenn man von zu Hause aus arbeitet, verschafft<br />

man dieser ständigen Erreichbarkeit<br />

eine kleine Barriere. Im Büro kommuniziert<br />

man unaufhörlich, ob digital, übers Telefon<br />

oder persönlich. So ist es auch mal ganz schön,<br />

die Tür schließen und in Abgeschiedenheit und<br />

Ruhe zu Hause arbeiten zu können.<br />

Feste Arbeitsplätze<br />

MC Gibt es unter solchen Umständen<br />

überhaupt noch so etwas wie einen<br />

festen Arbeitsplatz? Könnte man sich<br />

nicht seinen Laptop schnappen und<br />

sich in das Café um die Ecke setzen?<br />

JG Das machen wir auch. Oder wir gehen<br />

ins Apartment. Oder aufs Dach. Oder nebenan.<br />

Das ist an unserer Büro- und Wohnlösung gerade<br />

so schön und spannend. Das es eben so<br />

viele verschiedene Ebenen gibt und verschiedene<br />

Räume, die unterschiedlich funktionieren.<br />

Trotzdem hat man hier im Gebäude immer<br />

eine andere Verfügbarkeit, selbst wenn man<br />

alleine im Apartment sitzt. Es kann trotzdem<br />

jederzeit jemand dazukommen und in der Arbeit<br />

stören.<br />

MC Ist es nicht vor allem auch das kleine,<br />

unscheinbare Smartphone, dass immer<br />

wieder zum Störfaktor werden<br />

kann?<br />

JG Die Erreichbarkeit ist natürlich trotzdem<br />

noch gegeben durch das Smartphone. Im<br />

Büro sind wir auch gerade auf der Suche nach<br />

einer Lösung, wie wir all diese Kanäle bündeln<br />

können. Man empfängt Emails, nutzt verschiedene<br />

Nachrichtendienste und Services,<br />

wo Inhalte ungefiltert auf einen einprasseln<br />

und das lenkt tatsächlich auch von der eigentlichen<br />

Arbeit ab. Folglich stellt sich die Frage,<br />

inwiefern solch eine permanente Kommunikation<br />

die Produktivität vielmehr hemmt, als<br />

dass sie sie in irgendeiner Form steigert. Dieses<br />

Phänomen kennt man ja auch aus dem eigenen<br />

Privatleben. Somit ist es zunehmend<br />

auch ein gesellschaftliches Problem, dem wir<br />

uns gerade stellen müssen.<br />

MC<br />

Moderne Arbeitskultur<br />

Glaubst du das hat etwas mit unserer<br />

heutigen, in Veränderung befindlichen<br />

Auffassung von Arbeit an sich zu tun?<br />

Ich möchte an dieser Stelle Begriffe<br />

wie Digital Bohème oder Generation Y<br />

ins Gespräch einwerfen. Sie bezeichnen<br />

ein modernes Gesellschaftsmodell,<br />

in dem die zunehmende Digitalisierung<br />

neue Bedürfnisse schafft und<br />

die Forderung nach neuen, individuellen<br />

Lebens- und Arbeitsmodellen<br />

stellt. Der zunehmende Wunsch nach<br />

Selbsterfüllung und Sinnfindung in<br />

126<br />

127


Arbeit Judith Guckler Net<br />

working<br />

Freunde von Freunden<br />

Leben<br />

der eigenen Arbeit spielen hier eine<br />

Rolle. Ganz ähnlich wie die Protagonisten<br />

eurer Interviews. Menschen mit<br />

einer Vision, die mit Passion an eigenen<br />

Projekten arbeiten. Kurz um: all<br />

jene Persönlichkeiten, die ihr als<br />

spannend deklariert. Seht ihr eure Arbeit<br />

dabei eher als dokumentarische,<br />

AStil-abbildenende Visualisierung<br />

oder nicht sogar, mittels Kuration,<br />

Selektion und Zusammenstellung von<br />

spezifischem Inhalten, sowie der Präsentation<br />

bestimmter Raum- und Lebensästhetiken,<br />

als stilbildend?<br />

JG Ich denke beides. Auf der einen Seite<br />

beschäftigen sich die Leute, die wir portraitieren,<br />

natürlich auch viel mit Design, Interieur<br />

oder Ästhetik in verschiedensten Formen und<br />

sind in diesen Bereichen dementsprechend<br />

weit vorn. Die Leser sind sicherlich eine Mischung<br />

aus Leuten, die auch zu dieser Gruppe<br />

gehören, sich als Teil davon sehen oder sich<br />

einfach gern davon inspirieren lassen möchten.<br />

Ich denke das ist sowohl als auch der Fall.<br />

In unserem Apartment haben wir natürlich<br />

Wert darauf gelegt, einen gewissen Standard<br />

und Modernität zu erreichen, aber das ist nicht<br />

alleinig ausgeschriebenes Ziel des Apartments.<br />

Das Apartment ist eher als Ort des kreativen<br />

Austausches und als Plattform zu begreifen.<br />

Das Magazin allerdings wird von vielen<br />

Leuten als Inspirationsgrundlage verwendet.<br />

Diese Fähigkeit unserer Portraits, andere<br />

Menschen zu inspirieren, wird allerdings über<br />

die portraitierten Persönlichkeiten selbst<br />

transportiert.<br />

MC<br />

JG<br />

Motivation<br />

Seid ihr nach so vielen geführten Interviews<br />

selbst überhaupt noch motiviert<br />

und inspiriert von diesem Konzept?<br />

Ja schon, auf jeden Fall, da jede neue<br />

Person Wissen, Themen und Inhalte mit einbringt,<br />

von denen man noch nichts gehört hat,<br />

die man nicht kennt. Die Leute haben Ideen.<br />

Das ist ja das Tolle daran, neue Menschen zu<br />

treffen und kennenzulernen. Der zwischenmenschliche<br />

Austausch stellt für einen selbst<br />

jedes Mal eine große Bereicherung dar.<br />

MC Auf der Internetseite von FvF wird angegeben,<br />

dass ihr nicht primär nach<br />

Räumen sucht, sondern vielmehr nach<br />

Personen. Welche Räume sich dabei<br />

eröffnen, stelle häufig eine Überraschung<br />

für euch da. Ihr sucht also<br />

nach Protagonisten, die kreative Berufe<br />

ausüben, hinter denen sich häufig<br />

auch spannende Persönlichkeiten<br />

verstecken. Was ist denn in euren Augen<br />

ein spannender, kreativer Beruf?<br />

JG Spannend sind für uns Menschen, die<br />

eine Vision haben. Die etwas bewegen und am<br />

Puls der Zeit sind. An dieser Stelle öffnen sich<br />

viele Türen, denn Kreativität kann in vielen <strong>–</strong><br />

wenn nicht allen <strong>–</strong> Lebensbereichen stecken.<br />

Ob im Bereich Food, Design, Musik, Kunst, Literatur.<br />

Wir beleuchten das gesamte Umfeld,<br />

in dem man sich kreativ betätigen kann. Unsere<br />

Bandbreite ist da sehr weit gefächert.<br />

Zudem ist es natürlich spannend, einen Blick<br />

in die Wohnung anderer Leute werfen zu können.<br />

Man kann allein über diese Räume enorm<br />

viel über die Persönlichkeit des Gastgebers<br />

erfahren und diese Form der detektivischen<br />

Entdeckungsreise machen wir ja sozusagen<br />

tagtäglich innerhalb des Projektes FvF.<br />

<strong>Ein</strong>fluss & Raum<br />

MC Und welche Beobachtungen könnt ihr<br />

auf dieser Entdeckungsreise machen?<br />

Ist es der Gestalter, der Kreative, der<br />

mehr <strong>Ein</strong>fluss auf den Raum nimmt,<br />

oder nimmt der Raum wiederum mehr<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf den Kreativen?<br />

JG Diese Frage kann ich dir natürlich nur<br />

aus meiner persönlichen Sichtweise heraus<br />

beantworten. Ich glaube auf jeden Fall, dass<br />

sich diese beiden Faktoren gegenseitig beeinflussen,<br />

aber dass das Umfeld ganz maßgeblich<br />

für das Wohlbefinden ist und damit auch<br />

für den Output und die tagtägliche Produktivität<br />

und letztlich somit auch für das individuelle<br />

Glücksempfinden. Insofern ist der Raum auf<br />

jeden Fall Impulsgeber, womit dann aber die<br />

Person, die in diesem Raum agiert, unterschiedlich<br />

umgehen kann und individuelle Ansätze<br />

findet. Ganz im Sinne davon, wie sie den<br />

Raum empfindet, individuell gestaltet und<br />

nutzt. Ich glaube nicht, dass man automatisch<br />

aus jedem Raum das Richtige machen kann,<br />

aber es müssen auf jeden Fall bestimmte Bedingungen<br />

gegeben sein. Sie stellen die Basis<br />

dar, auf der man später aufbauen kann, um einen<br />

funktionierenden Raum zu kreieren.<br />

Bedingungen<br />

MC Wie können diese Bedingungen genau<br />

aussehen?<br />

JG Wahrscheinlich ist auch das wieder<br />

von Person zu Person unterschiedlich. Für<br />

mich spielen Licht und Platz die wohl entscheidende<br />

Rolle. Dabei geht es nicht einmal nur um<br />

reelle Größen, sondern eher um das Gefühl ob<br />

man in einem Raum atmen kann. Wird der Blick<br />

an einen angenehmen Ort gelenkt, gibt es eine<br />

schöne Aussicht oder stimmige Proportionen?<br />

Man betritt viele verschiedene Räume und bekommt<br />

sofort ein Gefühl für den Raum. Entweder<br />

hat man direkt eine Vision, was man aus<br />

diesem Ort machen könnte oder eben nicht.<br />

Urbaner Raum<br />

MC Denkst du, dass Berlin als urbaner<br />

Raum Künstlern und Kreativen ausreichend<br />

Platz für solche Visionen bietet?<br />

JG Berlin ist fantastisch für junge Kreative,<br />

weil trotz der längst eingesetzten Gentrifizierung<br />

und dem großen Zulauf an Leuten immer<br />

noch genügend Platz vorhanden ist, um<br />

Ideen zu verwirklichen oder Studios ein<strong>zur</strong>ichten,<br />

wo man mit Metall und Holz arbeiten kann.<br />

Ich habe selbst gar nicht so viel am Hut mit<br />

handwerklichen Dingen. Ich bin selbst eher der<br />

Computer-Telefon-Arbeiter. Aber es ist toll,<br />

welche Möglichkeiten sich in einer Stadt wie<br />

Berlin für Kreative bieten. Denn trotz des Anstiegs<br />

der Mietpreise sind sie im Vergleich<br />

noch immer verhältnismäßig gering und deswegen<br />

können solche Werkstattprojekte innerhalb<br />

der Stadt überhaupt erst entstehen<br />

und werden nicht gänzlich abgelöst von kommerzialisierten<br />

<strong>Ein</strong>richtungen. So finden sich<br />

auch für FvF immer wieder wahnsinnig tolle<br />

junge Künstler, Studios, Werkstätten und kreative<br />

Orte, die darauf warten, von uns portraitiert<br />

zu werden.<br />

128<br />

129


Arbeit Der Montag liebt dich Liebe Arbeit <strong>Ein</strong> Vortrag von Teresa Bücker auf der re:publica 2013<br />

Leben<br />

EIN VORTRAG VON<br />

TERESA BÜCKER AUF DER<br />

RE:PUBLICA 2013 1<br />

TERESA BÜCKER<br />

Zur besseren Lesbarkeit wurde das gesprochene<br />

Wort sprachlich leicht angepasst, in seiner Bedeutung<br />

jedoch nicht verändert.<br />

Der Montag liebt dich<br />

[...]<br />

Den Montag zu lieben, sage ich,<br />

ist eine Frage der Haltung.<br />

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten mit<br />

relativ vielen Leuten gesprochen: Warum hassen<br />

wir den Montag eigentlich so sehr und sehnen<br />

uns das Wochenende herbei? Ich glaube nicht,<br />

dass es an der Art der Arbeit liegt, die wir machen,<br />

denn die meisten haben ihren Job sehr bewusst<br />

gewählt und mögen was sie tun, sondern es<br />

geht viel mehr darum, wie wir miteinander arbeiten<br />

und wie Menschen miteinander umgehen.<br />

Wer also montags keine Lust auf die Arbeit hat,<br />

sollte sich fragen warum das so ist und was man<br />

daran ändern will. Die Frage ist: Warum arbeitet<br />

ihr in diesen Jobs? Was treibt euch an?<br />

Es geht um Haltung. Mein Vater <strong>–</strong> er hatte seine<br />

Karriere vor Jahren bei der Deutschen Post als<br />

Ingenieur begonnen <strong>–</strong> sagte zu mir: »Wenn du es<br />

wirklich gut begründet hast, konntest du bei der<br />

Post einen Dienstelefanten bekommen.« Ich würde<br />

euch daher bitten, begründet das, was ihr<br />

macht und warum ihr arbeitet, begründet aber<br />

auch was ihr braucht und was ihr braucht um<br />

eure Arbeit besser machen zu können. Ich habe<br />

mich im letzten Jahr relativ viel mit dem Thema<br />

»Die Zukunft der Arbeit« beschäftigt und möchte<br />

diesen Begriff heute ganz gerne zu den Akten<br />

legen und ihn nicht mehr verwenden. Denn ich<br />

glaube solange wir immer weiter von der Zukunft<br />

reden, bewegen wir uns nicht wirklich, weil dieser<br />

Begriff dazu führt, dass wir abwarten. Wir<br />

gucken dann, was in den nächsten 20 Jahren passiert<br />

und fangen nicht an zu handeln. Denn mit<br />

der Zukunft über die wir sprechen<br />

<strong>–</strong> auch bei der Zukunft der Arbeit <strong>–</strong><br />

meinen wir die Gegenwart. Und<br />

das bedeutet, wir müssen jetzt anfangen.<br />

Vom Aufbruch ins digitale<br />

Zeitalter hatten wir uns neue <strong>Freiheit</strong>en<br />

versprochen, Spielräume für<br />

kreatives Arbeiten, neue Formen<br />

der Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung,<br />

Flexibilität. Diese<br />

anfänglichen Entwicklungen hatten<br />

die Hoffnung geweckt, dass<br />

endlich wieder die Menschen im<br />

Mittelpunkt der Unternehmen stehen.<br />

Aber heute klagen eher viele<br />

Menschen darüber, dass die Informatisierung<br />

die Welt kälter gemacht<br />

hätte. Dass es vor allem<br />

neue Formen der Kontrolle gibt.<br />

Dass Menschen erleben, dass sie<br />

ausgetauscht werden können und<br />

dass Arbeit auf der Welt überall gemacht<br />

werden kann. Dass es für<br />

Hochqualifizierte nur noch prekäre<br />

Sicherheiten gibt. Arbeitszeit, Arbeitsort<br />

und Beschäftigtenstatus<br />

können heute flexibel gestaltet werden. Viele beklagen<br />

dabei, dass die Präsenzkultur immer noch<br />

gefordert wird, obwohl sie eigentlich nicht mehr<br />

notwendig ist. Was die mobile, neue Erreichbarkeit<br />

aber auch macht, ist, neue Verfügbarkeitserwartungen<br />

zu wecken und damit die einhergehende<br />

Arbeitsbelastung zu erhöhen.<br />

[...]<br />

Es sind so Sachen wie: Wir glauben, wir müssten<br />

vierzig Stunden arbeiten und es ginge gar nicht<br />

anders. Linda M. G. Zerilli erklärt, dass uns die<br />

<strong>Ein</strong>bildungskraft fehlt, wirklich mal anders zu<br />

denken, größere Interventionen zu suchen und<br />

Bilder aufzuzeigen, die eine neue <strong>Freiheit</strong> auch<br />

erklären können. Und sie sagt, erst wenn Menschen<br />

anfangen zu zweifeln <strong>–</strong> und zwar radikal <strong>–</strong><br />

an dem, was notwendig ist, und dem, was wir als<br />

Teresa Bücker ist eine junge deutsche Autorin, die über<br />

Themen der digitalen Gesellschaft, der Zukunft der Arbeit,<br />

der Kommunikation und Beziehungen schreibt. Als<br />

Gründungsmitglied des Netzpolitischen ›Thinktanks D64‹<br />

spricht sie regelmäßig auf Konferenzen über Netzpolitik,<br />

Partizipation und Feminismus. Seit Juni 2014 leitet sie die<br />

Redaktion einer Onlineplattform, die sich vor allem<br />

Wirtschaftsthemen widmet. Als politisch stark engagierte<br />

Person arbeitete sie zuvor als Referentin für digitale<br />

Strategie und soziale Medien bei der SPD-Bundestagsfraktion.<br />

Seit 2010 schreibt sie regelmäßig für den FAZ-<br />

Blog ›Deos ex Maschine‹ und versteht sich als Aktivistin<br />

der Arbeit, des Feminismus, und der Liebe. Und um die<br />

Liebe, nämlich die Liebe zum Montag, geht es auch in<br />

ihrem Vortrag auf der re:publica 2013. Sie zeichnet das<br />

Bild einer Gesellschaft, die ihre Haltung <strong>zur</strong> Arbeit unter<br />

den Umständen der Digitalisierung neu überdenken sollte<br />

und bereits heute tätig werden muss, damit sich morgen<br />

etwas verändert. Gemeinsam möchte sie Wirtschaft und<br />

die Politik dazu auffordern, ihre Unternehmenskultur<br />

beziehungsorientierter zu gestalten. Doch um jedem<br />

Montag ein sonntägliches Wohlgefühl einhauchen zu<br />

können, dazu bräuchte sie die Unterstützung von uns allen<br />

<strong>–</strong> einer ganzen Generation.<br />

Wahrheit begreifen, können wir Bilder für eine<br />

andere Wirklichkeit schaffen. In dem Kontext<br />

könntet Ihr euch zum Beispiel fragen: Wann<br />

habe ich das letzte Mal wirklich frei entschieden,<br />

ohne dass es äußere Zwänge gab, ohne dass ich<br />

irgendwelchen Erwartungshaltungen nachgekommen<br />

bin?<br />

[...]<br />

Wir haben das Wissen, wir haben die Technologie<br />

und den Wohlstand, um für alle mehr <strong>Freiheit</strong><br />

zu ermöglichen. Ich glaube, wir können die<br />

Arbeitswelt so gestalten, dass jeder Tag so ist wie<br />

der perfekte Sonntag. Das liegt insbesondere an<br />

den Menschen, die jetzt in die Arbeitswelt gehen,<br />

sie zu verändern und so zu gestalten. Innovationen<br />

betreffen nämlich nicht nur Produkte und<br />

Prozesse, sondern auch das Arbeitsumfeld und<br />

das Zusammenleben. Und wer heute gründet, kann<br />

schon morgen eine neue Arbeitskultur schaffen.<br />

[...]<br />

Was sich an Arbeit für immer mehr Menschen verändert,<br />

ist, dass sie keine separate Welt mehr darstellt<br />

und sich Lebenswelt und Privates nicht von<br />

der Arbeit trennen lassen. Es sind also nicht nur<br />

analoge und digitale Welt zu einer verschmolzen,<br />

sondern auch Erwerbsarbeit und freie Zeit. Man<br />

fasst das unter dem Begriff der Entgrenzung.<br />

[...]<br />

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Arbeit<br />

in das Leben hinein entwickelt, sondern das Leben<br />

auch in die Arbeit, denn wir haben nur ein<br />

Leben und wir müssen es als ein gemeinsames<br />

Leben betrachten.<br />

[...]<br />

Wenn ich von <strong>Freiheit</strong> spreche, meine ich nicht<br />

das Konzept, dass ich komplett unabhängig bin,<br />

von all dem was ich tue, im Zweifel auch von Erwerbsarbeit<br />

und Geldsorgen. Die Politikwissenschaftlerin<br />

Antje Schrupp 2 schreibt: »Nur wer<br />

sich diese prinzipielle Bedürftigkeit, die eigene<br />

Abhängigkeit, eingesteht, kann die Fülle der<br />

wahren <strong>Freiheit</strong> entdecken, die das ›Bezugsgewebe<br />

der menschlichen Angelegenheiten‹ bereithält.<br />

Und kann sich dann von dem krampfhaften Streben<br />

nach Autonomie und Eigenverantwortung<br />

verabschieden, das prinzipiell unerreichbar ist,<br />

weil es sich lediglich um eine patriarchale Illusion<br />

handelt.« Sie schreibt weiter: »…frei sind Menschen,<br />

wenn ihr Handeln mit ihrem Denken<br />

übereinstimmt, wenn sie also das, was sie für<br />

richtig erachten, auch in ihrem Handeln zum<br />

Ausdruck bringen können. Nicht das Angewiesensein<br />

auf andere als solches macht Menschen<br />

demnach unfrei, sondern Konformismus und<br />

Anpassungsdruck sowie ein gesellschaftliches<br />

Klima, das Menschen als statistische Masse und<br />

nicht in ihrer Individualität wahrnimmt.«<br />

[...]<br />

Ich bin daher der festen Überzeugung, dass mehr<br />

Zeit für Freunde und Familie zu höherer Konzentrationsfähigkeit<br />

führt<strong>–</strong> gute Beziehungen und<br />

Wohlbefinden tragen dazu bei, dass wir besser<br />

arbeiten können. [...] Ich glaube wir müssen da<br />

ganz stark in neuen Bildern denken. Können wir<br />

uns eine schwangere Chefin vorstellen? Können<br />

wir uns eine stillende Chefin im Büro vorstellen?<br />

Was ist vielleicht mit Kindern im Büro? Wie wäre<br />

es denn vielleicht mal mit einer 4-Tage-Woche<br />

anstatt mit einer 7-Tage-Woche zu experimentieren?<br />

Was ist mit Teilzeit für alle? Und was ist mit<br />

Unternehmen, die ihre Männer wirklich ermutigt<br />

in Elternzeit zu gehen und das länger als diese<br />

billigen drei Monate. Ich glaube einander zu<br />

akzeptieren und auf Bedürfnisse einzugehen,<br />

gewährt allen mehr <strong>Freiheit</strong>. Wir sollten uns daher,<br />

wenn wir miteinander arbeiten wollen, nicht<br />

möglichst ähnlich sein, sondern möglichst verschieden.<br />

Denn Differenz bedeutet ja keine Wertung,<br />

sie beschreibt lediglich die Welt in sehr<br />

konkreten Bildern und erzeugt Spannung. Unterschiede<br />

erschaffen Freiraum, denn sobald ich<br />

sie annehme, muss ich mich keinen Vorgaben<br />

mehr fügen. Und ohne Differenzen stünde diese<br />

Welt still. Differenzen helfen uns vor allem zu<br />

lernen und uns weiterzuentwickeln.<br />

[...]<br />

Ich möchte zum Abschluss noch ein Konzept von<br />

Jodi Dean aus ihrem Buch »Solidarity of strangers«<br />

3 vorstellen. Sie ist eine feministische Autorin<br />

und schreibt: »I define reflective solidarity as<br />

the mutual expectation of a responsible orientation<br />

to relationship. In contemporary multicultural<br />

societies, closure is no longer an option. It<br />

leads to rigidification, violence, and exclusion. It<br />

prevents us from acknowledging our accountability<br />

for others. Thus, I present reflective solidarity<br />

as that openness to difference which lets our disagreements<br />

provide the basis for connection.«<br />

Sie definiert »reflective solidarity« als die gegenseitige<br />

Erwartung einer verantwortungsvollen<br />

Orientierung gegenüber von Beziehungen und<br />

sagt: »In modernen multikulturellen Gesellschaften<br />

ist der Verschluss nicht länger mehr ein<br />

Option, weil es zu Verhärtung, Gewalt und Exklusion<br />

führt. Sie hält uns davon ab, anzuerkennen,<br />

dass wir für andere verantwortlich sind. Sie<br />

sagt also »reflective solidarity« ist die Offenheit<br />

für Unterschiede, weil basierend auf diesen Unterschieden<br />

neue Beziehungen entstehen können.<br />

[...]<br />

Der Montag liebt dich, bedeutet also, dass die Unternehmen,<br />

für die ihr arbeitet und die Menschen<br />

dort, füreinander Sorge tragen. Für eure Gesundheit,<br />

genügend Zeit, für Ruhe, Beziehungen und<br />

Freundschaften. Der Montag liebt dich, dass bedeutet,<br />

dass im Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten<br />

die Verantwortung für Andere<br />

anzuerkennen, ganz wichtig ist. Und vor allem<br />

für die, die vielleicht keine Arbeit haben oder zu<br />

wenig Geld verdienen, die krank sind und nicht<br />

arbeiten können. Der Montag liebt dich oder deine<br />

Arbeit, eure Arbeit liebt euch, bedeutet, dass<br />

wir einander akzeptieren, gerade weil wir unterschiedlich<br />

sind und auf dieser Basis zueinander<br />

finden. Und die Praxis überlasse ich euch.<br />

1 Teresa Bücker: Aus einem<br />

Vortrag auf der re:publica 2013. https://<br />

www.youtube.com/watch?v=MpiatFs-<br />

LE9w. Stand: 27.09.2015.<br />

2 Antje Schrupp: Im Bezugsgewebe<br />

menschlicher Angelegenheiten.<br />

Oder <strong>Freiheit</strong> von der Bedürftigkeit her<br />

denken. http://www.antjeschrupp.de/<br />

im-bezugsgewebe-menschlicher-angelegenheiten.<br />

Stand: 20.11.2015.<br />

3 Jodi Dean: Solidarity of Strangers:<br />

Feminism After Identity Politics.<br />

130<br />

131


Arbeit<br />

* Rebecca Casati in ›ZEITmagazin‹ Nerd Weirdo <strong>Ein</strong> deutsche Journalistin und Schriftstellerin<br />

Leben<br />

...<br />

* So blockiert die<br />

Gesellschaft erschien,<br />

so rasend überschlug sich<br />

ihre technologische<br />

Entwicklung.<br />

Es war, als sauge die<br />

Technologie alle<br />

Energien, allen Sex und<br />

alle kreativen Lebensentwürfe<br />

ab, damit die<br />

Menschen noch schneller<br />

und effektiver und<br />

gewinnbringender<br />

agieren können.<br />

...<br />

Anfang der<br />

Neunziger war<br />

man noch ein<br />

Nerd,<br />

wenn man<br />

jeden Tag am<br />

Computer saß.<br />

132


Arbeit<br />

Arbeiten 2.15 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong>e Haltungsfrage<br />

Liebe Arbeit <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan mit Illustrationen von Margret Aurin<br />

Leben<br />

»We see the office as a necessary evil.« 2<br />

Arbeiten 2.15<br />

<strong>–</strong><br />

EINE FRAGE DER<br />

EINSTELLUNG<br />

Ich bin im Jahre 1990 geboren. Ich gehöre <strong>zur</strong> ›Generation Y‹ . Ich<br />

passe genau ins Raster. Ich habe eine gute Ausbildung genossen, ich<br />

bin mit dem Internet aufgewachsen und möchte statt einem eigenen<br />

Auto lieber Spaß und Erfüllung in meiner Arbeit finden. Trotzdem<br />

fordere ich auch meinen Feierabend und die <strong>Freiheit</strong> ein, mein Leben<br />

und meine Träume selbstbestimmt zu gestalten. Deshalb habe<br />

ich mich auch optimistisch <strong>–</strong> wie es augenscheinlich in mein Generationsprofil<br />

passt, auf die verrückte Idee eingelassen »Was mit Medien«<br />

zu studieren. Das treibt das Ganze dann also auf die Spitze.<br />

Ich bin eine Kreativschaffende der Generation Y.<br />

»Wer sich als Kreativer definiert, der trägt dieses schillernde<br />

Kostüm natürlich nicht nur im Büro« 1 , schreibt Frank Berzbach in<br />

seinem Buch ›Kreativität aushalten / Psychologie für Designer‹ und<br />

beschreibt damit den Umstand, dass in kreativen Arbeitsfeldern<br />

eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit <strong>zur</strong> Herausforderung<br />

wird. Längst hat die Generation Y den Beruf <strong>zur</strong> Berufung<br />

stilisiert. Der Leidensdruck wird erhöht. Es fehlt an Unterscheidung<br />

zwischen Produktivität und verdienter Auszeit. Zusätzlich<br />

führt finanzielle Unsicherheit vor allem bei freien Kreativen zu<br />

großen mentalen Hindernissen auf der alltäglichen Suche nach<br />

Inspiration. Wer gestern noch Geld verdienen wollte, möchte sich<br />

heute in seiner Arbeit selbst verwirklichen. Somit passt der Spruch<br />

»Arm aber sexy.« nicht nur auf die Stadt Berlin selbst, sondern auch<br />

auf eine ganze Subkultur, die diese Stadt bevölkert. Der steigende<br />

Individualisierungsanspruch formuliert zunehmend ein neues<br />

Verständnis von der Definition Arbeit an sich und muss zukünftig<br />

die hohen Erwartungen <strong>zur</strong> Realisierung persönlicher Leidenschaften<br />

einer ganzen Generation erfüllen.<br />

Es stellt sich folglich die Frage, wie Arbeit und Freizeit heute<br />

gar definiert werden? Und welche Ansprüche an das moderne Arbeits-<br />

und Lebensumfeld sich daraus schlussfolgern lassen? Wie<br />

notwendig ist überhaupt die Trennung von Beruflichem und Privatem?<br />

Und welche Räume können diese Bedürfnisse erfüllen?<br />

EINE FRAGE DER<br />

DEFINITION<br />

Häufig wird die Arbeit als ein Übel angesehen. Betrachtet man<br />

die wortgeschichtliche Herkunft des Begriffes im Althochdeutschen,<br />

nämlich »arabeit«, so steht er in Verwandtschaft zu Mühsal<br />

und Not. Arbeit bedeutet also die Ausübung mühevoller Tätigkeiten.<br />

3 In anderen Sprachen, wie im Falle des slawischen »rabota«,<br />

wird der Begriff der Arbeit mit Sklaverei, Knechtschaft, und Dienertum<br />

verglichen. 4 So weckt unsere sprachliche Vorstellung von<br />

Arbeit also negative Assoziationen. Frank Berzbach geht sogar so<br />

weit, dass Arbeitszeit sogar als Leidenszeit, gar als Entfremdung<br />

angesehen werden kann. 5<br />

Es überrascht also nicht, dass die Begrifflichkeit von Arbeit<br />

häufig im Gegensatz zum Verständnis der <strong>Freiheit</strong>, Freizeit<br />

und Auszeit verwendet wird. Der Heidelberger Philosoph und Professor<br />

für Philosophie an der Universität St.Gallen, Dieter Thomä,<br />

legt diese Semantik in seinem Text ›Der Wert der Arbeit und das<br />

Spiel der Generationen‹ dar. Er verwendet das, aus der Religionslehre<br />

entspringende Sprichwort »Am siebten Tage sollst du ruhen.«,<br />

als eine seit Jahrtausenden eingeprägte, gesellschaftliche Tradition<br />

<strong>zur</strong> Unterscheidung von Phasen der aktiven Tätigkeit und des passiven<br />

Ruhens. 6 Vielleicht fiele uns diese Trennung aber auch gar<br />

nicht so schwer, wenn ihre Sinndeutung innerhalb der sprachlichen<br />

Verwendung nicht bereits so negativ konnotiert wäre. Denn<br />

»Wer hart arbeitet, darf auch Feste feiern.«, impliziert nicht nur die<br />

Motivation einer verdienten Belohnung nach harter Arbeit oder<br />

eine Rechtfertigung von Feiertagen innerhalb des regulären Arbeitsjahres<br />

<strong>–</strong> diese Redewendung trennt das Verhältnis von Arbeit<br />

und Muße in zwei divergente, sich gegenseitig ausschließende Lebensbereiche.Schon<br />

höre ich die jungen Vertreter der Generation<br />

Y aufbegehren und nach Spaß und Freude an der eigenen Arbeit<br />

schreien. Doch der Gegensatz zwischen Arbeit und Spiel ist noch<br />

immer tief verwurzelt in der Gesellschaft.<br />

»Dramatisiert wird der Gegensatz zwischen dem Reich der<br />

Notwendigkeit und dem Reich der <strong>Freiheit</strong>. Wer arbeitet, ist verstrickt<br />

in Not und Notdurft; wer spielt, hat demnach Spielraum,<br />

Freiraum.« 7 , schreibt Thomä und schlussfolgert daraus, dass Arbeitszeit<br />

als Un-Freizeit, also als Unfreiheit angesehen wird. Diese<br />

gesellschaftliche Konditionierung könnte also eine Grundlage der<br />

Befreiungsbewegung junger Kreativer sein, die sich auch in ihrer<br />

eigenen Arbeitszeit <strong>Freiheit</strong> schaffen möchten, dem Gefühl der Unfreiheit<br />

zu entfliehen versuchen und selbstbestimmt unternehmerisch<br />

tätig werden wollen. Und auch hier, gibt uns Thomä einen<br />

sprachlichen Wortwitz an die Hand: »Der Unternehmer heißt Unternehmer,<br />

weil er etwas unternimmt, der Arbeiter heißt Arbeiter,<br />

weil er arbeitet.« 8 In meinen Augen vollzieht dieser politische<br />

Spruch eine weitere Pirouette im Kreislauf festgefahrener Gegensätzlichkeit<br />

von Arbeit als unfreier Abhängigkeit und Unternehmertum<br />

<strong>–</strong> ähnlich wie Spiel und Freizeit, als Zustände selbstgewählter<br />

<strong>Freiheit</strong>. Thomä treibt diesen Gedanken in seinem Text noch ein<br />

Stück weiter und formuliert die Forderung »Arbeit so umzugestalten,<br />

dass sie immer kreativer und unternehmerischer wird.« 9 .<br />

Autorin und Politikberaterin Teresa Bücker drückt ihre Gedanken<br />

dazu in ihrem Vortrag ›Der Montag liebt dich‹ auf der<br />

re:publica 2013 wie folgt aus: »Ich glaube, wir können die Arbeitswelt<br />

so gestalten, dass jeder Tag so ist wie der perfekte Sonntag. Das<br />

liegt insbesondere an den Menschen, die jetzt in die Arbeitswelt<br />

134<br />

135


Arbeit Arbeiten 2.15 Viele Fragen <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan mit Illustrationen von Margret Aurin<br />

Leben<br />

»Die Probleme, die uns heute die Zeit macht, sind historisch<br />

gesehen relativ neu. Hinter den Konflikten<br />

verbirgt sich das gesellschaftliche Phänomen der zunehmenden<br />

Beschleunigung. Dieser sind wir als <strong>Ein</strong>zelne<br />

erst einmal hilflos ausgeliefert.« 18<br />

gehen, sie zu verändern und so zu gestalten. Innovationen betreffen<br />

nämlich nicht nur Produkte und Prozesse, sondern auch das Arbeitsumfeld<br />

und das Zusammenleben. Und wer heute gründet,<br />

kann schon morgen eine neue Arbeitskultur schaffen.« 10 Die friedvollen<br />

Umstände eines westlichen Europas des 21. Jahrhunderts<br />

mögen den jungen Kreativen erstmalig mit dem Glück segnen, dieser<br />

Forderung freimütig nachgehen zu können.<br />

Holm Friebe und Sascha Logo sprechen in ihrem Buch ›Wir<br />

nennen es Arbeiten‹ von einem neuen gesellschaftlichen Phänomen,<br />

dem ›Digital Bohème‹. Darunter verstehen sie Menschen, die<br />

auf Grundlage der globalen Digitalisierung neue Märkte und Verdienstmöglichkeiten<br />

entdeckt haben, die es ihnen erlauben, »[…]<br />

so zu arbeiten wie sie leben möchten.« 11 Doch was bedeutet das?<br />

Immer mehr junge Kreative entscheiden sich für die <strong>Freiheit</strong>, einen<br />

Arbeitsstil zu wählen, der den eigenen Motiven folgt. Somit ist aus<br />

dem Beruf längst eine Berufung geworden.<br />

»[…] erst wenn man sich mit der Arbeit identifiziert und selbst<br />

zum Gegenstand dieser wird, kann man Besonderes erschaffen.«,<br />

schreibt Matthew B. Crawford. Er verweist auf das hohe Potenzial<br />

an Motivation und Leidenschaft, die dadurch im künstlerischen<br />

Prozess freigesetzt werden und jene Ideen generieren, die sich von<br />

der breiten Masse abheben.<br />

Damit bewegen wir uns aber von einer Unfreiheit <strong>zur</strong> Nächsten.<br />

Hatte sich die Generation Y gerade von einer »unfreien Arbeit«<br />

lossagen wollen, so liefern sie sich nun der selbstauferlegten Unfreiheit<br />

ihrer eigenen Erwartungshaltung aus. Wer an jedem Arbeitstag<br />

nach persönlicher Illumination und ideeller Erfüllung<br />

strebt, der wird an den Enttäuschungen solch eines Leistungsdrucks<br />

untergehen. Wenn der Sinn der Arbeit nicht mehr allein der<br />

monetären Selbsterhaltung dient, so müssen wir nach neuen Wegen<br />

der kreativen Selbsterhaltung suchen. Diese Krise liegt nicht<br />

darin begründet, dass kreatives Arbeiten nach eigenen Prinzipien<br />

unglücklich mache <strong>–</strong> nein, das Gegenteil ist der Fall. In ihr steckt<br />

ein reicher Nährboden für privates Glück und professionelle Zufriedenheit.<br />

Doch es ist die allzu Ich-zentrierte Haltung einer auf<br />

Individualität getrimmten, neuen Generation, die gute Forderungen<br />

stellt, dabei aber zumeist nur vor der eigenen Haustür kehrt.<br />

Thomä bezeichnet diese Haltung als eine »[…] moderne Vorstellung,<br />

dass man als fertiges, über sich selbst verfügendes Individuum<br />

eine Soll-Distanz <strong>zur</strong> Welt einhalten und sich erst nach eingehender<br />

Prüfung auf sie einlassen will.« 12 Dies entspräche, seiner<br />

Auffassung nach, keiner verantwortungsvollen Integration in die<br />

Gesellschaft. Dieser Kritik begegnet die Generation Y im Generationskonflikt<br />

mit ihren Vorvätern häufiger. Es fällt mir jedoch<br />

schwer, diese dem zum Individualismus erzogenen Individuum<br />

einschränkungslos vorzuwerfen.<br />

Schauen wir sie uns doch einmal genauer an: die Generation,<br />

deren Arbeitskultur in ihrem sozialen Fundament <strong>–</strong> als Grundsteinleger<br />

veränderter, kreativer Prozessleistungen, neue Ansprüche<br />

an Arbeit, Kreativität und Räumlichkeit stellt.<br />

EINE FRAGE DER<br />

GENERATION<br />

Als <strong>zur</strong> Generation Y zugehörig gelten die Menschen, die nach<br />

1980 und vor der Jahrtausendwende geboren wurden, heute also<br />

zwischen 18 und 35 Jahren alt sind. Anders als ihre kriegsgeprüften<br />

Großeltern, ist es eine Generation, die am Beispiel Deutschlands,<br />

keine überlebensentscheidenden Nöte oder Ängste erleiden musste.<br />

Ihre Eltern <strong>–</strong> zu harter Arbeit erzogen und von der gemeinschaftsorientierten<br />

Hoffnung einer Gesellschaft erfüllt, die es<br />

schaffte ein vom Krieg erschüttertes Land wieder aufzubauen <strong>–</strong><br />

flößten nun ihren Kindern (Generation Y) einen unerschütterlichen<br />

Glauben an die eigene Zukunft ein.<br />

Und hierfür scheinen die Ypsiloner auch bestens vorbereitet<br />

zu sein. Man rechnet ihnen ein besonders hohes Bildungsniveau<br />

zu, doch kritisiert aus Sicht vorangehender Generationen zugleich<br />

ihren Hang zu Luxusproblemen. Die Generation Y, englisch<br />

ausgesprochen ›Why‹ stellt rigoros alle Bereiche des Lebens<br />

und auch des Arbeitens in Frage. Man könnte Ihnen vorwerfen,<br />

dies aus Mangel an essentiellen Problemen zu tun, doch handelt<br />

es sich hierbei keineswegs um reinen Müßiggang. Es ist ein zeitweilig<br />

gar zermürbender Prozess.<br />

Denn obwohl nicht direkt im eigenen Land damit konfrontiert,<br />

erlebten auch die damaligen Teenager der Jahrtausendwende Erschütterungen.<br />

13 Sie haben den Terroranschlag in New York live<br />

am Bildschirm miterlebt, weltweite Krisen in den Nachrichten verfolgt,<br />

die Globalisierung in der Finanz- und Eurokrise stolpern<br />

sehen, den europäischen Osten in den letzten Jahren verdächtig<br />

nahe brennen hören, von der verheerenden Jugendarbeitslosigkeit<br />

über Facebook erfahren und sehen sich heute als Berufseinsteiger<br />

mit einer Ohnmacht von Staat und Politik gegenüber der Flüchtlingskrise<br />

konfrontiert.<br />

Und so fällt die Definition dieser Generation zu schmallippig<br />

aus, reduziert man sie auf das bekannte Vorurteil verwöhnter Freizeitliebhaber.<br />

Das ist auch gar nicht nötig, denn die ständigen<br />

»Why«-Frager erlegen sich bereits eigenständig einen selbstkritischen<br />

Leistungsdruck auf. Gerade durch inzwischen zugängliche,<br />

globale Kommunikationsmittel, sowie einen hohen Bildungsstandard,<br />

haben sie ein großes Vermögen <strong>zur</strong> Selbstkritik erlangt.<br />

Noch bewerten sie sich nach den Maßstäben ihrer Elterngeneration,<br />

statt nach neuen Bemessungsgrundlagen zu suchen. <strong>Ein</strong> Artikel<br />

<strong>–</strong> erschienen in der Zeitung ›Die Welt‹ <strong>–</strong> greift dieses Thema auf<br />

Grundlage einer amerikanischen Studie auf und konstatiert: »Die<br />

Generation Y hat offenbar ein Problem. Sie hält nicht besonders<br />

viel von sich selbst, die meisten wollen am liebsten gar nicht Teil<br />

ihrer Altersgruppe sein. Während sich die Eltern großartig finden,<br />

vor Selbstbewusstsein strotzen, sind ihre Kinder von Zweifeln und<br />

Missgunst geprägt.« 14 Übertragen wir diese Schlussfolgerung auf<br />

die deutsche Gesellschaft, so erkennen wir ähnliche Muster. <strong>Ein</strong>e<br />

Elterngeneration, die die erfolgreiche Wiedervereinigung eines<br />

Landes miterleben durfte, hat ihre Kinder im »grenzenlosen<br />

Sinne« aufgezogen. Ihnen wurde die Tür <strong>zur</strong> weiten Welt geöffnet.<br />

Ihnen wurde das Vertrauen geschenkt, etwas Großes werden können<br />

und sich sogar aussuchen zu dürfen, was.<br />

Doch wie auswählen aus einer Welt voll Möglichkeiten. <strong>Ein</strong>em<br />

Internet voll von Lebensmodellen? Die globale Kommunikation<br />

breitet einen Horizont aus, der nicht zu überschauen ist. »Wurden<br />

die […] [Eltern] in eine weniger komplexe Nachkriegszeit geboren,<br />

in der es leichter fiel, seinen Weg <strong>zur</strong> Festanstellung auf Lebenszeit<br />

zu finden, so wuchsen die Millennials in einer globalisierten Arbeitswelt<br />

voller Möglichkeiten auf.« 15 , so Florian Schmidt in ›Die<br />

Welt‹. Aber vor allem wurde ihnen vermittelt, dass sie hierfür<br />

schneller sein müssten als die anderen und das <strong>–</strong> aus eigener Kraft.<br />

Das dies auch eine schöpferische Herausforderung an die innere<br />

Seele des Menschen darstellen kann und somit als Drahtseilakt<br />

zwischen Chaos und Ordnung, Überforderung und Disziplin<br />

schwankt, haben wir bereits im Text <strong>zur</strong> Kreativität erfahren können.<br />

Dem gibt der Artikel von Tina Groll auf ›Zeit Online‹ einen<br />

passenden Titel: »Ich hoffe nur, nicht abstürzen« 16 , über die Realität<br />

von heutigen Berufseinsteigern und den realen Gegensatz zum<br />

Mythos einer selbstbewussten Generation Y. Hierfür wurden Erfahrungsberichte<br />

junger Ypsiloner gesammelt, die das Bild ihrer<br />

Generation in Frage stellen und zu dekonstruieren suchen. Die<br />

Umfrage hat ergeben: Während Arbeitgeber einen Mangel an Motivation-<br />

und <strong>Ein</strong>satzbereitschaft beklagen, sehen sich junge Arbeitnehmer<br />

von einer Arbeitswelt konfrontiert »die ihnen ein Maximum<br />

an Flexibilität abfordert, aber nicht einmal ein Minimum<br />

an Sicherheit bietet.« 17 Neben all den schick kommunizierten Erfolgsgeschichten<br />

hipper Jungunternehmer aus Berlin Mitte, hangelt<br />

sich der normale Ypsiloner von unbefristetem Arbeitsvertrag<br />

zu unbefristetem Arbeitsvertrag.<br />

Ich komme also eher zu dem Schluss, die Leidensfähigkeit und<br />

den anhaltenden Optimismus der Generation Y als schöpferische<br />

Kreativleistung zu betrachten. Ihre Forderung nach neuen Lebensund<br />

Arbeitsmodellen als reflektierte <strong>–</strong> keineswegs gierige Antwort<br />

<strong>–</strong> auf die Digitalisierung zu sehen. Vielleicht sind es eben diese Faktoren,<br />

die im Herzen einer Generation das Bedürfnis nach Veränderung<br />

wecken und die Forderung nach neuen Prioritäten innerhalb<br />

moderner Arbeitskultur zu einer Notwendigkeit erklären. Denn »die<br />

Früchte der eigenen Arbeit [zu] ernten«, sollte in seiner Bedeutung<br />

nicht dazu verkommen, in den »sauren Apfel zu beißen«.<br />

EINE FRAGE DER<br />

GESCHWINDIGKEIT<br />

Es ist nicht immer einfach ein ›Ypsiloner‹ zu sein. Die Digitalisierung<br />

steckt eigentlich noch in ihren Kinderschuhen und hat<br />

trotz laufender Rotznase und ständigem Fieber viel zu schnell laufen<br />

gelernt. Die Unfähigkeit zum Stillstand steckt wie eine chronische<br />

Kinderkrankheit in unserer heutigen Generation fest. »Die<br />

Probleme, die uns heute die Zeit macht, sind historisch gesehen<br />

relativ neu. Hinter den Konflikten verbirgt sich das gesellschaftliche<br />

Phänomen der zunehmenden Beschleunigung. Dieser sind wir<br />

als <strong>Ein</strong>zelne erst einmal hilflos ausgeliefert.« 18<br />

Andre Wilkens warnt in seinem kürzlich erschienenen Buch<br />

›Analog ist das neue Bio‹ vor Risiken und Nebenwirkungen der<br />

Digitalisierung. Er fordere einen Beipackzettel seitens der Politik,<br />

um die digitale Welt zukünftig menschlicher, demokratisch und<br />

sozial gerechter zu gestalten. 19 »Digital ist ein Wundermittel, Arbeitsmittel,<br />

Heilmittel, Rauschmittel, Aufputschmittel, Entspannungsmittel,<br />

Zerstreuungsmittel, eine Droge. Alles in einem und<br />

je nach Betrachtungsweise. Man gibt es irgendwo dazu und fast<br />

sofort wird alles schneller, besser, effizienter, flacher und meist kleiner.<br />

Und irgendwie wird auch alles immer mehr.« 20<br />

Die Beschleunigung von Kreations- und Innovationsprozessen,<br />

die ständige Erreichbarkeit über Smartphones, Social Media<br />

Plattformen und E-Mailverkehr hat eine neue Art der Kommunikation<br />

und des Arbeitens erzwungen. Dabei werden die schnelllebigen<br />

Erwartungen der heutigen Digitalisierungskultur nicht immer<br />

der Prozessgeschwindigkeit gestalterischer Arbeit angepasst.<br />

»Vom Aufbruch ins digitale Zeitalter hatten wir uns neue <strong>Freiheit</strong>en<br />

versprochen, Spielräume für kreatives Arbeiten, neue Formen<br />

der Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung, Flexibilität.<br />

Diese anfänglichen Entwicklungen hatten die Hoffnung geweckt,<br />

dass endlich wieder die Menschen im Mittelpunkt der Unternehmen<br />

stehen. Aber heute klagen eher viele Menschen darüber,<br />

dass die Informatisierung die Welt kälter gemacht hätte. Dass es vor<br />

allem neue Formen der Kontrolle gibt. 21 , stellt Teresa Bücker fest.<br />

Frank Berzbach beschreibt die gesellschaftlichen Leistungskategorien<br />

als krankhaft: »Wer sich überarbeitet, der erfährt oft noch<br />

Lob. Erst unübersehbare Erschöpfung scheint zu belegen, dass wir<br />

ehrgeizig sind und uns anstrengen.« 22 Gleichzeitig führt er auf,<br />

dass Arbeit uns so viel abverlange, »[…] dass wir ein Stück zu ihr<br />

werden müssen, wenn eine bestimmte Qualität erreicht werden<br />

soll. Zum Fachwissen kommt die Arbeits- und Lebenserfahrung<br />

hinzu, beides hat <strong>Ein</strong>fluss auf die für ein kreatives Leben unverzichtbare<br />

Intuition.« 23 Auch hier können wir erneut eine Ambivalenz<br />

entdecken. <strong>Ein</strong> Spagat, der die Kluft zwischen Passion und<br />

Depression mit breitbeiniger Grätsche zu überbrücken sucht.<br />

Doch auch wer Arbeit und Leben nicht eindeutig trennt, sollte<br />

trotzdem eine Distanz zu dem aufrecht erhalten, was er gerade tut.<br />

Wer seine eigene Arbeitsweise nicht reflektiert, kann sich nicht nur<br />

136<br />

137


Arbeit<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan mit Illustrationen von Margret Aurin<br />

Leben Arbeit Leben<br />

in Proportionen verlieren, wie der Maler Jonas Burgert im Text zu<br />

Inspiration und Kreativität bereits andeutete, sondern auch in der<br />

eigenen Arbeit. Sich in der Arbeit zu verlieren, bedeutet in diesem<br />

Kontext nicht, in der eigenen Arbeit aufzugehen. Vielmehr verbergen<br />

sich darin undurchsichtige Unsicherheiten, die es dem Kreativen<br />

erschweren, zu jener kreativen Gelassenheit zu finden, die wir ihm<br />

in einem früheren Text so ausgiebig anempfohlen haben. <strong>Ein</strong> sich<br />

Verlieren in der eigenen Arbeit kann also ein enormes Frustpotenzial<br />

in sich bergen. So können vor allem leistungsorientierte Menschen<br />

heute kaum noch ohne schlechtes Gewissen faulenzen und<br />

selbst am Wochenende <strong>–</strong> Tage der vermeintlichen Freizeit <strong>–</strong> fällt es<br />

ihnen schwer, aus dem Heimgarten kein weiteres, ernstes Projekt zu<br />

etablieren. Doch an eben solchen Orten finden wir sie <strong>–</strong> die Gegenbewegung<br />

zu Bürostress, Kreativdruck und Burn-out <strong>–</strong> in der Natur.<br />

EINE FRAGE DER<br />

ENTSCHLEUNIGUNG<br />

Die Natur, als der wohl ergiebigste Ort des Ausgleichs und der<br />

Rückkehr zu Stille und Entspannung. Doch nicht nur dort können<br />

wir auf Momente der Entschleunigung treffen. Die Entschleunigung<br />

beginnt bereits im Kopf. Wer sich nicht bewusst dazu entscheidet,<br />

der rasanten Geschwindigkeit einen Bremsklotz in den<br />

Weg zu werfen, der wird auch im abgelegensten Wald keine Ruhe<br />

finden. Entschleunigung wird also zu einer Haltung, einer inneren<br />

<strong>Ein</strong>stellung <strong>–</strong> zu einer Frage des eigenen Willens.<br />

Hierfür sollte man aber nicht allein nach einer perfekt ausgeglichenen<br />

›Work-Life-Balance‹ suchen, deren Waagschalen Arbeit<br />

und Freizeit voneinander trennt und somit die Gelegenheit verpasst<br />

»der Arbeit selbst ihren eigenen Reiz und ihre eigenen Erfüllungsmöglichkeiten«<br />

24 zuzuschreiben. Denn neben dem »sich in<br />

der Arbeit zu verlieren« gibt es auch ein »in der Arbeit aufgehen«.<br />

Dies ist ein höchst willkommener, positiver Zustand des sogenannten<br />

›Flows‹ im kreativen Arbeitsprozess. Gerade in kreativen<br />

Berufen, in denen der persönliche Anspruch an die Sinnhaftigkeit<br />

der eigenen Tätigkeit immer lauter formuliert wird, muss ein neues<br />

Konzept geschaffen werden. <strong>Ein</strong> Lebensmodell, das <strong>–</strong> im<br />

Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem<br />

<strong>–</strong> nicht mehr nur die Eigenschaften einer kleinen kreativen<br />

Gruppe symbolisiert, sondern zum Getriebe einer ganzen<br />

Generation herangewachsen ist.<br />

Folgt man der Auffassung von Joseph Beuys, so ist jeder Mensch<br />

von Natur aus ein schöpferisches Wesen. Und folglich kann auch<br />

jede menschliche Tätigkeit schöpferisch sein. Egal ob es sich um<br />

das kreative Ausleben im eigenen Garten handelt oder um das <strong>Ein</strong>richten<br />

der Privatwohnung. Somit wäre also jeder Mensch ein<br />

Künstler. Beuys geht sogar noch weiter und behauptet, dass das<br />

ganze Leben der Vorbereitung schöpferischer Prozesse diene. 25<br />

Die Vermengung von Arbeit und Freizeit wird von Beuys nicht<br />

kritisiert. Vielmehr fordert er sie als Notwendigkeit für die Kreativität<br />

selbst als Lebensform. 26 Er beschreibt damit das innere Bedürfnis<br />

eines Künstlers, welches ihn erst zum Künstler werden<br />

lässt. Nämlich dem eigenen Willen nach Kunst aus der eigenen<br />

Lebensmitte heraus zu produzieren. Viele Künstler empfinden<br />

ähnlich und entscheiden sich bewusst gegen eine Trennung zwischen<br />

Privatem und eigener Kunst <strong>–</strong> für sie lässt sich solch ein Unterschied<br />

nicht mit dem eigenen Lebens-, Schaffens- und Arbeitsmodell<br />

verbinden.<br />

Zu Beginn meiner Recherchen war ich davon überzeugt, dass<br />

der Mensch, um kreativ wirken zu können, einer besseren Trennung<br />

von Arbeitszeit und Freizeit bedarf. Mit dieser Ansicht hinke<br />

ich der Zukunft ein weites Stück hinterher. Es ist also vielmehr an<br />

der Zeit, dass die Arbeitswelt selbst lebenswerter gestaltet wird und<br />

nicht das Leben arbeitsreicher. Der finanzielle Druck ist ein zusätzlicher<br />

Faktor, der vor allem Selbständige immer mehr dazu drängt,<br />

den Job vor das eigenen Privatleben stellen zu müssen. Selbst und<br />

ständig. Vielmehr geht es aber um die Neugestaltung einer Arbeitskultur,<br />

die eine bessere Vereinbarkeit von Arbeitszeit und freier<br />

Zeit anstrebt. Teresa Bücker setzt diesen Gedanken auf der re:publica<br />

2013 auf die Tagesordnung und plädiert für eine neue Unternehmenskultur.<br />

»Was sich an Arbeit für immer mehr Menschen<br />

verändert, ist, dass sie keine separate Welt mehr darstellt und Lebenswelt<br />

und Privates sich nicht von der Arbeit trennen lassen. Es<br />

sind also nicht nur die analoge und digitale Welt zu einer verschmolzen,<br />

sondern auch Erwerbsarbeit und freie Zeit. Man fasst<br />

das unter dem Begriff der Entgrenzung. Ich würde nicht dafür<br />

plädieren, dass rückgängig machen zu wollen, weil ich glaube, dass<br />

geht nicht, sondern dass Beste daraus zu machen. Das heißt für<br />

mich, dass Unternehmen ihre Verantwortung als gesellschaftlich<br />

agierende anerkennen müssen und ein anderes Menschenbild in<br />

den Unternehmen etablieren müssen.« 27<br />

Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Arbeit in das Leben<br />

hinein entwickelt, sondern das Leben auch in die Arbeit, denn wir<br />

haben nur ein Leben und wir müssen es als ein gemeinsames Leben<br />

betrachten. Gute Arbeit und gutes Leben sind folglich miteinander<br />

verwoben. So sind es die jungen Kreativen von heute, die neue Forderungen<br />

und Ansprüche an das System »Arbeit« stellen werden,<br />

um ihr eigenes <strong>–</strong> ein neues <strong>–</strong> Verständnis der Identifikation mit der<br />

eigenen Profession,in die Arbeitsrealität zu übertragen.<br />

138<br />

139


Arbeit<br />

Arbeiten 2.15 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong>e Frage der <strong>Ein</strong>stellung<br />

Leben<br />

Arbeit<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan mit Illustrationen von Margret Aurin<br />

Leben<br />

1 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 31.<br />

2 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 7.<br />

3 Angelika Krebs: Arbeit und Freizeit.<br />

In: Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung<br />

im Deutschen Hygiene-Museum<br />

Dresden. Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009,<br />

S. 97.<br />

4 Vgl. Friedrich Kluge: Arbeit. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitet von Elmar<br />

Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage, Berlin / New York,<br />

2002, S. 443.<br />

5 Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 57.<br />

6 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 67.<br />

7 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 67.<br />

8 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 67.<br />

9 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 68.<br />

10 Teresa Bücker: Der Montag liebt<br />

dich. Aus einem Vortrag auf der re:publica<br />

2013, veröffentlicht am 07.05.2013.<br />

https://www.youtube.com/watch?v=MpiatFsLE9w.<br />

Stand: 27.09.2015.<br />

11 Vgl. Holm Friebe, Sascha Lobo:<br />

Wir nennen es Arbeit. Heyne, München,<br />

2006. S. 15.<br />

12 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 75.<br />

13 Vgl. Generation Y. https://de.wikipedia.org/wiki/Generation_Y.<br />

Stand:<br />

10.11.2015.<br />

14 Florian Schmidt: Warum die<br />

Generation Y sich selbst so hasst. In:<br />

DIE WELT, erschienen am 09.09.2015.<br />

http://www.welt.de/vermischtes/article146198709/Warum-die-Generation-Y-sich-selbst-so-hasst.html.<br />

Stand:<br />

10.11.2015.<br />

15 Florian Schmidt: Warum die<br />

Generation Y sich selbst so hasst. In:<br />

DIE WELT, erschienen am 09.09.2015.<br />

http://www.welt.de/vermischtes/article146198709/Warum-die-Generation-Y-sich-selbst-so-hasst.html.<br />

Stand:<br />

10.11.2015.<br />

16 Tina Groll: Ich hoffe nur, nicht<br />

abstürzen. In: Zeit Online,erschienen am<br />

26.05.2015.http://www.zeit.de/karriere/2015-05/generation-y-mythos-leiharbeit-befristetung-unbezahlt-praktika.<br />

Stand 10.11.2015.<br />

17 Tina Groll: Ich hoffe nur, nicht<br />

abstürzen. In: Zeit Online,erschienen am<br />

26.05.2015.http://www.zeit.de/karriere/2015-05/generation-y-mythos-leiharbeit-befristetung-unbezahlt-praktika.<br />

Stand 10.11.2015.<br />

18 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 49.<br />

140<br />

141


Arbeit Arbeiten 2.15<br />

Nerd<br />

Weirdo<br />

* Rebecca Casati in ›ZEITmagazin‹<br />

Leben<br />

...<br />

Ende der<br />

19 Vgl. Andre Wilkens: Analog ist<br />

das neue Bio. Metropolit, Berlin. Mitschriften<br />

seiner Buchpräsentation in der<br />

Agentur Scholz&Friends, März 2015.<br />

20 Andre Wilkens: Analog ist das<br />

neue Bio. Metrolit, Berlin, 2015, S.16.<br />

21 Teresa Bücker: Der Montag liebt<br />

dich. Aus einem Vortrag auf der re:publica<br />

2013, veröffentlicht am 07.05.2013.<br />

https://www.youtube.com/watch?v=MpiatFsLE9w.<br />

Stand: 27.09.2015.<br />

22 Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 46.<br />

23 Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 68.<br />

24 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum,Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 69.<br />

25 Vgl. Frank Berzbach: Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 27f.<br />

26 Vgl. Frank Berzbach: Kreativität<br />

aushalten / Psychologie für Designer. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2010, S. 27f.<br />

27 Teresa Bücker: Der Montag liebt<br />

dich. Aus einem Vortrag auf der re:publica<br />

2013, veröffentlicht am 07.05.2013.<br />

https://www.youtube.com/watch?v=MpiatFsLE9w.<br />

Stand: 27.09.2015.<br />

Neunziger war<br />

man bereits ein<br />

Weirdo,<br />

wenn man es<br />

nicht tat.<br />

142


Arbeit Im Gespräch mit Christiane Werth Arto<br />

graphie<br />

Zu Besuch in der Artographie-Werkstatt<br />

Leben<br />

MC<br />

CW<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Christiane Werth<br />

Betritt man die Artographie-Werkstatt in der Karlstraße 6 im<br />

Herzen Weimars, so wird man innerlich ganz leise. Empfindsam<br />

und lauschend, wie auch der Raum selbst von Liebe zum Detail<br />

und von stiller Aufmerksamkeit spricht. Mich ergreift dann jedes<br />

Mal eine innere Ehrfurcht vor den Dingen, ihrer Ästhetik,<br />

ihren Formen und dem goldenen Glanz von Metall an anthrazitfarbenen<br />

Bleistiftmienen. Ich gebe es unumwunden zu <strong>–</strong> ich bin<br />

ein Fan der Artographie-Werkstatt und schaffe es selten an<br />

dem aufwendig inszenierten Schaufenster vorbei, ohne einen<br />

Blick hineinzuwerfen. Die Tür öffnend werde ich freudig von der<br />

Inhaberin Christiane Werth begrüßt <strong>–</strong> eine ehemalige Kommilitonin<br />

des Studiengangs Medienkunst/ Mediengestaltung an der<br />

Bauhaus-Universität Weimar. Gemeinsam mit Tina Engelmann<br />

hat sie im Dezember 2013 die Artographie-Werkstatt im Rahmen<br />

ihrer Masterarbeit eröffnet und führt seitdem erfolgreich<br />

das Geschäft, dem ein besonderes Konzept zugrunde liegt.<br />

Denn hier, so sagt Werth, soll die Werkstatt als multifunktionaler<br />

Ort <strong>–</strong> ob Ideenschmiede, Produktionsstätte oder Schaufenster<br />

<strong>–</strong> zu einem Raum vereint werden, der die Arbeit des<br />

Designers und des Künstlers transparent werden lässt und neu<br />

interpretiert. An einem Ort, wo sich die Theke <strong>zur</strong> Werkbank<br />

wandelt, der Produzent dem Konsumenten ganz nahekommt,<br />

wird der Entstehungsprozess kreativer Arbeit für den Kunden<br />

nachvollziehbar.<br />

Hier spürt man diesen Hauch von Leidenschaft in jedem Objekt.<br />

Man erkennt die Perfektion im Detail, in der Anordnung von Produkten<br />

und in ihrer stilvollen Inszenierung. Strukturiert aufgereihte<br />

und fein aufbereitete Notizblöcke in schlichtem grau, dienen<br />

der täglichen Organisation der eigenen Büroarbeit. Sie sind<br />

beinahe zu schön, um darauf zu schreiben, geschweige denn<br />

unbedacht auf ihnen zu kritzeln. Auf Zehenspitzen stehend regt<br />

sich in mir der Gedanke, wie viel Struktur braucht Kreativität um<br />

in Produktivität zu münden und ab wann steht die Perfektion als<br />

Hemmnis dem eigenen Arbeitsprozess gegenüber?<br />

Werkstatt<br />

MC Die Artographie-Werkstatt zeichnet<br />

sich dadurch aus, dass hier nicht nur<br />

verkauft, sondern auch gestaltet und<br />

produziert wird. Im Internet läuft die<br />

Werkstatt unter den drei Titeln: Papeterie,<br />

Manufaktur und Designbüro. Inwiefern<br />

werden diese drei unterschiedlichen<br />

Bereiche innerhalb der<br />

Artographie-Werkstatt miteinander<br />

verbunden?<br />

CW Ich finde nicht, dass man das kategorisieren<br />

muss. Es ist ein bisschen wie Richard<br />

Sennett in seinem Buch "Handwerk" beschreibt.<br />

Wir verbinden einfach wieder Tätigkeitsfelder<br />

miteinander, die irgendwann in der<br />

Vergangenheit aus strukturellen Gründen voneinander<br />

getrennt worden sind. Ich als Designer,<br />

kann hier genauso entwerfen, wie meine<br />

Arbeiten direkt an den Mann bringen, beziehungsweise<br />

Produkte verkaufen, die ich gut<br />

finde. Ich kann das alles an einem Ort tun. Ich<br />

muss mich dafür nicht zwei-teilen oder<br />

drei-teilen. All diese Dinge kann ich in dieser<br />

Werkstatt vereinen. Die Werkstatt ist zudem<br />

ein sehr historischer Begriff und ich möchte<br />

jetzt nicht die Parole schwingen "Back to the<br />

roots", aber dieser Begriff als auch das Konzept,<br />

überdenkt unsere heutige, arbeitsteilige<br />

Gesellschaft. Dafür steht dieser Werkstattbegriff<br />

für mich.<br />

Kunst & Gestaltung<br />

MC Und der Begriff der Artographie? Steht<br />

er in deinen Augen für die Symbiose<br />

aus Kunst und Design?<br />

CW Prinzipiell <strong>–</strong> Kunst und Gestaltung.<br />

Das ist natürlich auch eine reibungsreiche<br />

Kombination.<br />

MC Weil die Ansprüche letztlich Unterschiedliche<br />

sind?<br />

CW Genau. Wir haben immer Wert auf den<br />

Gebrauchswert der Dinge gelegt, die wir produziert<br />

haben. Also Dinge die nicht nur ein<br />

künstlerisches Konzept beinhalteten, sondern<br />

zugleich auch nützlich oder praktisch sind.<br />

Gleichzeitig haben wir immer sehr viel Inspiration<br />

aus der Kunst schöpfen können. Das finde<br />

ich total wichtig. Eigene Standpunkte zu haben,<br />

nicht einfach nur Dinge zu produzieren,<br />

weil jemand das von mir möchte. Der Designer<br />

übersetzt ja eigentlich nur. Im besten Fall hast<br />

du einen Kunden und der sagt dir was er<br />

144<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

145


Arbeit<br />

Christiane Werth<br />

Arto<br />

graphie<br />

Artographie-Werkstatt<br />

Leben<br />

geschaut. Wenn man ein Interesse an Läden<br />

hat, dann schaut man sich viele verschiedene<br />

Ladenkonzepte an und findest manche Sachen<br />

einfach total toll. So findet man ganz schnell<br />

heraus, was einem gefällt und was man selbst<br />

umsetzen möchte. Das ist dann irgendwie abgespeichert<br />

und wenn du so etwas dann selbst<br />

mal entwerfen musst, erinnerst du dich an die<br />

gesehenen Beispiele und denkst: "Warum nehmen<br />

wir eigentlich ein normales Kabel. Eigentlich<br />

könnte man doch auch ein anderes Kabel<br />

nehmen. <strong>Ein</strong>s aus Stoff und in Farbe."<br />

Man beginnt also die Dinge in Frage zu stellen<br />

und konzipiert sie anschließend neu.<br />

gestaltet sich für dich der Spagat<br />

zwischen digitalem- und analogem<br />

Arbeiten?<br />

CW Ich bin kein Gegner oder Befürworter<br />

von irgendwas. Ich glaube alles hat seine Berechtigung<br />

in den verschiedenen Phasen unterschiedlicher<br />

Arbeitsprozesse. Mein Herz<br />

schlägt eher für eine Ästhetik als für eine bestimmte<br />

Produktionsform. Ich sehe das weniger<br />

als Spagat. Ich sehe das als Harmonie. Als<br />

eine Verbindung aus den positiven und besten<br />

Merkmalen beider Arbeitsmethoden. Was digital<br />

gut funktioniert, mache ich gern digital<br />

und gleichzeitig arbeite ich viel analog.<br />

Mein Herz schlägt<br />

eher für eine<br />

Ästhetik als für<br />

eine bestimme<br />

Produktionsform.<br />

braucht. Dann analysierst du das Problem, findest<br />

eine Lösung und machst es dann noch<br />

schön. Für mich bleibt aber noch viel wichtiger,<br />

selbst auf Ideen zu kommen oder einen eigenen<br />

Standpunkt einnehmen zu können, ohne<br />

dass mir das jemand vorher sagt. Und das begreife<br />

ich als das 'künstlerische' in meiner eigenen<br />

Arbeit. Die Eigenständigkeit.<br />

Motivation<br />

MC Es ist also auch diese Eigenverantwortung<br />

die dich in deiner Arbeit motiviert?<br />

Ich sehe gerade, dass ihr verschiedene<br />

Motivationssprüche im<br />

Schaufenster hängen habt. Verwendest<br />

du diese Ratschläge auch <strong>zur</strong> eigenen<br />

Motivation für deine Arbeit hier<br />

in der Artographie-Werkstatt?<br />

CW Prinzipiell nicht nur für mich, sondern<br />

einfach aus dem Beweggrund heraus, dass<br />

viele unserer Produkte mit Arbeitsorganisation<br />

zu tun haben. Es ist natürlich auch eine Art<br />

Passion, Dinge im Büro zu haben, die ähnlich<br />

wohnlich sind, wie alles andere und da gehört<br />

auch Motivation dazu. Aus diesem Grund haben<br />

wir diese Sprüche recherchiert und in das<br />

Schaufenster gehangen. Das gehört zum Konzept<br />

des Ladens.<br />

Inspiration<br />

MC Nicht allein an der aufwendigen<br />

Schaufensterdekoration zeichnet<br />

sich das moderne Erscheinungsbild<br />

der Artographie-Werkstatt ab, sondern<br />

auch in der Innenraumgestaltung,<br />

der Farbgebung und dem<br />

einheitlichen Design eurer selbstgestalteten<br />

Verkaufsartikel. Wurdest<br />

du hierfür von ganz bestimmten Vorlagen<br />

inspiriert?<br />

CW Ich glaube das passiert zum Teil unterbewusst.<br />

Aber das ist im Design immer so.<br />

Egal was du gestaltest, man umgibt sich ja mit<br />

Dingen, die dir gefallen und viele Sachen adaptierst<br />

du daraufhin ungewollt. Abgesehen davon,<br />

habe ich mich einfach gerne überall um-<br />

Sammlung & Archiv<br />

MC Hast du ein eigenes Inspirationsarchiv<br />

wo du solche <strong>Ein</strong>drücke sammelst und<br />

zugänglich aufbewahren kannst?<br />

CW Ja natürlich. Ich sammle häufig Bilder<br />

von irgendwo, da ist es eigentlich egal von wo.<br />

Ich bin selbst überhaupt nicht auf Blogs unterwegs.<br />

Aber ich benutze beispielsweise Pinterest,<br />

da es international vernetzt ist. Denn<br />

wenn man nur in Deutschland guckt, dann wird<br />

man ganz schnell gelangweilt. Von daher versuche<br />

ich einfach auch international zu recherchieren,<br />

was es derzeit für interessante Entwicklungen<br />

auf dem Designmarkt gibt.<br />

Organisation<br />

MC Ihr bietet ebenfalls selbstproduzierte<br />

To-Do-Listen, Notizblöcke und andere<br />

Werkzeuge an. Wie wichtig werden<br />

solche Werkzeuge in deiner eigenen<br />

Arbeit? Nehmen sie einen großen Stellenwert<br />

ein?<br />

CW An sich muss man versuchen das voneinander<br />

zu trennen. Die Produkte wurden natürlich<br />

für Anwender entwickelt, die prinzipiell<br />

auch in Büros arbeiten. Der Aufgabenbereich<br />

hier ist sehr vielfältig. man macht hier ja nicht<br />

nur den Bürojob, sondern auch den Verkauf,<br />

die Kommunikation und das Design. Klar muss<br />

man sich organisieren, ich selbst allerdings<br />

mache das oftmals digital, da ich mich abstimmen<br />

muss mit anderen. Für schnelle Notizen<br />

oder zum Visualisieren von Gedanken benutze<br />

ich Papier.<br />

MC<br />

Analog & Digital<br />

Die Werkstatt ist ja ein sehr analog<br />

ausgerichteter Produktionsort. Wie<br />

Arbeitsplatz<br />

MC Hast du dafür exta getrennte Arbeitsbereiche?<br />

CW Nein, eigentlich nicht. Das ist auch der<br />

Räumlichkeit geschuldet, da man nicht für jede<br />

Arbeit einen extra Platz hat. Es wäre natürlich<br />

schön, wenn der Raum noch größer wäre, aber<br />

so sind nun einmal nicht die Gegebenheiten.<br />

Deshalb benutze ich unsere Werkbankinsel als<br />

modulare Raum- und Platzlösung.<br />

Die Werkbankinsel ist so konzipiert, dass man<br />

die Struktur immer wieder neu nutzen und bespielen<br />

kann. Im Moment bspw. dient der vordere<br />

Bereich als Verkaufsfläche und der hintere<br />

Bereich wird für das Entwerfen und die<br />

146<br />

147


Arbeit<br />

Christiane Werth<br />

Artographie-Werkstatt<br />

Arto graphie Leben<br />

tägliche Büroarbeit genutzt. Wenn wir aber<br />

gerade einen Workshop haben wird die komplette<br />

Werkbankinsel freigeräumt. Somit werden<br />

6 Arbeitsplätze geschaffen. Dann gibt es<br />

keine Unterteilungen mehr zwischen vorne<br />

und hinten, Verkaufsfläche oder Arbeitsbereich.<br />

Auch die Höhen der verschiedenen Flächen<br />

sind unterschiedlich gebaut, da manche<br />

Arbeiten im Sitzen und andere besser im Stehen<br />

gemacht werden können. So kann man<br />

sich ständig aussuchen, wo und auf welche<br />

Weise man gerne arbeiten möchte.<br />

Platz als Raumkriterium<br />

MC Denkst du das räumlicher Platz ein essentielles<br />

Kriterium für einen Arbeitsraum<br />

darstellt und die Kreationsprozess<br />

beeinflusst?<br />

CW Ja auf jeden Fall. Ich fände es noch inspirierender,<br />

wenn wir noch mehr Platz hätten.<br />

Meine Arbeitsfläche ist nie leer. Selbst wenn<br />

ich einen ganzen Raum mit Arbeitsflächen hätte,<br />

wären die wahrscheinlich auch nie leer.<br />

Aber ich glaube es braucht immer einen kleinen<br />

Freiraum wo man etwas Neues anfangen<br />

kann. Wo man nicht erst alles frei räumen<br />

muss, sondern im Moment der Idee direkt tätig<br />

werden kann. Vielleicht wäre es eine gute Idee,<br />

dass man es sich jeden Tag zum Ritual macht,<br />

eine bestimmte Fläche stets frei und sauber zu<br />

halten. Das könnte auch eine Lösung sein,<br />

wenn man dem Platzproblem nicht entkommen<br />

kann.<br />

Arbeitsmaterial<br />

MC Mir fällt auf, dass dein Sortiment an<br />

Schreibwaren und Arbeitsutensilien<br />

von ausgewählter Qualität ist. Spielt<br />

ihre Ästhetik und Materialität eine<br />

größere Rolle für dich, als ihre eigentliche<br />

Funktionalität?<br />

CW Ich glaube nicht, dass es hierfür eine<br />

Schwarz-Weiß Antwort gibt. Ich glaube solange<br />

die Dinge praktisch sind, ihre Funktion erfüllen<br />

und nicht ausgerechnet rosa gepunktet<br />

daherkommen, dann habe ich nichts dagegen.<br />

Ich muss mich nicht in einer Umgebung aufhalten,<br />

die komplett durchdesigned ist. Es ist<br />

schön, wenn das punktuell funktioniert, aber<br />

ich glaube dann hätte ich das Gefühl Teil eines<br />

Schauspiels zu sein. Ich denke so ein bisschen<br />

Realität ist ja auch nicht schlecht.<br />

Perfektion<br />

MC Schön und gut, aber die Artographie-Werksatt<br />

wirkt schon sehr<br />

durchgestaltet <strong>–</strong> bis ins letzte Detail.<br />

CW Das ist aber auch eine Verkaufsfläche.<br />

Natürlich ist das eine Inszenierung. Das bedeutet<br />

aber nicht, dass ich den Kleber zum<br />

Buchbinden aus seiner Plastikverpackung in<br />

ein gläsernes <strong>Ein</strong>wegglas umfülle, nur weil es<br />

danach schöner aussieht. Da bin ich dann<br />

pragmatisch. Das ist ein Arbeitsmittel und<br />

nicht mehr und nicht weniger. Die Werkstatt ist<br />

ja auch nie ein komplett aufgeräumter Ort. Da<br />

darf auch mal etwas herumliegen und Dinge<br />

dürfen sich verändern. Das war mir wichtig für<br />

unser eigenes Raumkonzept in der Artographie-Werkstatt.<br />

MC Kurz vor der Aufzeichnung unseres Gespräches<br />

meintest du, dass Perfektionismus<br />

Kreativität tötet. Wenn beispielsweise<br />

das fertige Produkt<br />

bereits vor seiner Herstellung in seiner<br />

gesamten Perfektion kennen<br />

möchte.<br />

CW Meiner Meinung nach, gibt es da einen<br />

Unterschied. Ich glaube es ist falsch, sich einen<br />

perfekten Arbeitsplatz einrichten zu wollen.<br />

Aber wenn man ein perfektes Produkt kreieren<br />

möchte, ist das ein anderer Ansatz.<br />

MC Warum ist es deiner Meinung nach<br />

falsch sich einen perfekten Arbeitsplatz<br />

einrichten zu wollen? Existiert<br />

der perfekte Arbeitsplatz deiner Meinung<br />

nach nicht?<br />

CW Es geht doch vielmehr darum, Raum<br />

für Möglichkeiten zu öffnen anstatt ein perfektes,<br />

starres Setting zu schaffen. Perfekt<br />

hieße an dieser Stelle, sich ein Umfeld zu<br />

schaffen, welches alle Möglichkeiten und Ausstattungsmerkmale<br />

bietet die du brauchst,<br />

dich aber gleichzeitig nicht eindämmen oder<br />

hemmen in der eigenen Arbeit. Es bedeutet vor<br />

allem sich selbst die <strong>Freiheit</strong> und Möglichkeiten<br />

für Veränderungen zu schaffen. Natürlich<br />

kommt es an dieser Stelle immer darauf an,<br />

wie man Perfektion definiert.<br />

MC<br />

test du dein Umfeld ganz bewusst mit<br />

Hilfe solch ästhetischer Mittel?<br />

CW Für mich sind viele Sachen alltäglich<br />

geworden. Die Wahrnehmung ist eine ganz andere,<br />

wenn eine Person zum ersten Mal den<br />

Laden betritt und beeindruckt von der Auswahl<br />

ist, als wenn man wie ich, jeden Tag hier<br />

für mindestens 8 Stunden arbeitet. Ich gewöhne<br />

mich schnell an so etwas und setze das<br />

dann als Standard. Das wertet die Objekte<br />

keineswegs ab, denn ich bin mir ihrer Qualität<br />

bewusst, aber sie haben sich in mein alltägliches<br />

Repertoire an Dingen <strong>–</strong> die mich wie<br />

selbstverständlich umgeben, eingefügt. Somit<br />

lässt ihre Wirkung auch etwas nach. Trotzdem<br />

und vor allem: umso mehr gute Produkte oder<br />

Projekte man kennt und rezipiert, umso besser<br />

wird auch die eigene Arbeit.<br />

MC Weil man sich damit immer wieder einen<br />

neuen Standard setzen kann?<br />

CW Ganz genau. Und mit diesem stetig<br />

steigenden Standard kann man wachsen.<br />

Der perfekte Arbeitsraum<br />

MC Nun aber unabhängig von der Frage wie<br />

perfekt ein Arbeitsraum inszeniert<br />

oder genutzt sein sollte, allein von den<br />

räumlichen Gegebenheiten - wie sähe<br />

dein idealer Arbeitsraum aus und welche<br />

Kriterien müsste er erfüllen?<br />

CW Das kann ich dir relativ genau umreißen,<br />

weil ich natürlich immer nach solch einem<br />

Raum Ausschau halte. Ganz klar: Mehr Platz.<br />

Wir haben zwar hier ein Lager, aber dass ist bereits<br />

randvoll. Es macht einfach mehr Spaß mit<br />

mehr Platz. Zum anderen hätte ich gern Fläche<br />

für die Workshops. Ich brauche nicht unbedingt<br />

den Blick ins Grüne und witziger Weise,<br />

war das Areal gegenüber der Artographie, früher<br />

eine Druckerei. Das finde ich schonmal<br />

passender als ein Ausblick auf MediaMarkt.<br />

Vor einer ganztägige Beschallung durch Media<br />

und Konsum scheue ich auf jeden Fall <strong>zur</strong>ück.<br />

Ansonsten brauche ich viel Fläche zum Präsentieren<br />

und möglichst gutes Licht. Perfekt<br />

wären natürlich Oberlichter. Tageslicht ist<br />

durch nichts zu ersetzen.<br />

Zusammenarbeit<br />

CW Aber vor allem inspiriert es mich total,<br />

wenn ich mir einen Arbeitsraum mit anderen<br />

teilen kann. Bei der Arbeit an einem Projekt<br />

gibt es sicherlich Phasen, in denen man alleine<br />

sein muss. Um Ideen zu entwickeln oder wenn<br />

Ganz klar:<br />

Mehr Platz.<br />

Wohlgefühl<br />

Also sollte man eher versuchen bei der<br />

Gestaltung eines Raumes eine Ästhetik<br />

zu erzeugen, die dem eigenen Geschmack<br />

entspricht und dadurch ein<br />

Wohlgefühl erzeugt statt ein allgemein<br />

perfektes Umfeld zu schaffen. Gestalman<br />

sich so hoch konzentrieren muss. Doch<br />

wenn man alleine arbeitet, ist es oft so, dass<br />

man sich der Prokrastination hingibt und sich<br />

viel schneller selbst ablenkt. Das Witzige ist<br />

aber, wenn man nicht alleine arbeitet, sorgt<br />

der andere ja bereits dafür, dass man immer<br />

mal abgelenkt wird. So besteht gar nicht mehr<br />

die Notwendigkeit, sich selbst ablenken zu<br />

müssen. Dabei ist die Ablenkung meist noch<br />

produktiv, da man häufig über sein aktuelles<br />

Projekt spricht. Das funktioniert in der Artographie-Werkstatt<br />

besonders gut, weil wir neben<br />

der Arbeit an Aufträgen für Kunden, auch Kundschaft<br />

im Laden empfangen, die uns immer wieder<br />

ablenkt. So hänge ich nie an einer Arbeit<br />

fest. Und wenn ich ein Kundengespräch habe,<br />

ist es ja auch etwas Gutes und Produktives für<br />

mich. Schließlich bin ich die Ladenbesitzerin.<br />

Ablenkung & Produktivität<br />

MC Und wenn du doch einmal unproduktiv<br />

bist und das Gefühl hast, dass du<br />

nicht weiterkommst? Lässt du dich<br />

dann schneller ablenken?<br />

CW Ich lese schon auch mal eine Nachricht<br />

auf dem Smartphone, aber ich lasse mich davon<br />

nicht ablenken. Das habe ich mir nicht antrainieren<br />

müssen, das ist für mich einfach<br />

eine <strong>Ein</strong>stellungsfrage und da habe ich scheinbar<br />

schon immer feste Prinzipien. Deswegen<br />

stört es mich auch nicht, wenn ich wirklich mal<br />

aus einem Notfall heraus meine Arbeit unterbrechen<br />

muss. Trotzdem <strong>–</strong> man fühlt sich<br />

schlecht, wenn man unproduktiv ist und sich<br />

zu oft ablenken lässt. Ich glaube, wenn man in<br />

der Situation ist, dass man oft unproduktiv<br />

sein kann, ist das gar nicht so schlimm. Steht<br />

man aber unter Druck, dann können diese Momente<br />

sehr belastend sein.<br />

<strong>Ein</strong>e Frage der <strong>Ein</strong>stellung<br />

MC Glaubst du das der Weg <strong>zur</strong> Arbeit ein<br />

wichtiger Bestandteil von produktivem<br />

Arbeiten darstellt?<br />

CW Ich glaube, dass für Leute die von zu<br />

Hause arbeiten, nicht der fehlende Arbeitsweg<br />

das Problem darstellt. Das ist vielleicht ein<br />

Symptom, aber nicht das Problem. Das Problem<br />

liegt bei der Person selbst und ihrer Fähigkeit<br />

sich die eigene Zeit sinnvoll einzuteilen<br />

ohne sich dabei ablenken zu lassen. Denn dieses<br />

Problem bleibt das Gleiche, ob ich nur vom<br />

Bett zum Schreibtisch gegangen oder einmal<br />

mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren bin.<br />

Ich glaube man schafft sich Systeme, die einen<br />

an die eigenen Vorhaben und Strukturen<br />

erinnern, aber das nützt alles nichts, wenn<br />

man nicht dahinter steht diese Dinge auch umzusetzen.<br />

Es ist ein bisschen so wie Vegetarier<br />

zu sein - man muss es wollen.<br />

MC Manche Menschen haben diese Struktur<br />

vielleicht bereits verinnerlicht während<br />

andere sich diese Struktur mit<br />

Hilfe äußerer Mittel schaffen müssen.<br />

CW Die Frage ist doch viel eher: Muss man<br />

sich selbst in Klischees einpassen, um arbeiten<br />

zu können? Oder hat man einfach einen<br />

abweichenden Arbeitsstil und arbeitet zum<br />

Beispiel lieber nachts? Vielleicht kann man<br />

das auch einfach akzeptieren, auch wenn die<br />

eigene Arbeitsweise auf den ersten Blick nicht<br />

gesellschaftsfähig zu sein scheint?<br />

Viel wichtiger ist es, dass die Person sich<br />

selbst wohl fühlt in der Situation, die sie sich<br />

zum Arbeiten schafft.<br />

Es ist ein bisschen so<br />

wie Vegetarier zu sein<br />

-<br />

man muss es wollen.<br />

148<br />

149


Gegenständliches<br />

Menschliches


Gegenständliches Illustrationen von Patrick Pichler Standard Lampe <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Menschliches<br />

Nachdem wir nun<br />

schon häufiger festgestellt<br />

haben, dass<br />

eine räumliche Komponente des »Wohlfühlens«<br />

die Leistung eines Kreativen<br />

positiv beeinflussen kann, widmen wir<br />

uns nun seiner ganz real-räumlichen<br />

Arbeitsumgebung. Es bedarf gegenständlicher<br />

Ansatzpunkte, um den Arbeitsplatz<br />

eines Kreativen zu gestalten.<br />

Mit diesem Artikel sei ihm hierfür ein<br />

weiteres Werkzeug an die Hand gegeben.<br />

Die Funktionsgegenstände Tisch, Stuhl<br />

und Beleuchtung erscheinen mir auf<br />

den ersten Blick als die drei essentiellen<br />

Faktoren. Die Wissenschaft der Ergonomie<br />

geht allerdings noch viel weiter.<br />

Das vornehmliche Ziel der Wissenschaft der<br />

Ergonomie ist es, den Arbeitsplatz an seinen Nutzer<br />

so anzupassen, dass Störungen vermieden<br />

werden. 1 Dabei kann es sich um eine falsche<br />

Tischhöhe, einen unbequemen Stuhl oder blendende<br />

Lichtreflexe auf dem Computerbildschirm<br />

handeln. Als praxisorientierte Wissenschaft versucht<br />

sie »[…] das Zusammenwirken von Mensch<br />

und Technik im Sinne des Menschen zu verbessern.«<br />

2 Es geht dabei also um eine menschengerechte<br />

Arbeitsraumgestaltung und um eine Humanisierung<br />

des von der Digitalisierung heute<br />

stark veränderten Arbeitslebens.<br />

Ihren Ursprung findet die Wissenschaft der<br />

Ergonomie in der geschichtlichen Entstehung<br />

von Bürogebäuden als neuen Aktionsraum des<br />

Menschen Ende des 19. Jahrhunderts. 3 Diese forderte<br />

auch die Gestaltung bedürfnisgerechter<br />

Möblierung und Beleuchtung ein. Büros fanden<br />

ihren Platz damals häufig im Erdgeschoss von<br />

Wohnhäusern oder gar in den Privaträumen der<br />

Unternehmer. 4 Erst um 1900 kam es zum Bau der<br />

ersten Bürogebäude, die ausschließlich für geschäftliche<br />

Abläufe genutzt wurden. 5 Ihre Architektur<br />

brachte auch eine neue Figur der Arbeitswelt<br />

hervor <strong>–</strong> den Bürogänger. Dessen Arbeitszeit<br />

<strong>Ein</strong> neues Verständnis<br />

der Ergonomie<br />

wurde durch eine neue<br />

Form der tägliche Routine<br />

gekennzeichnet. Sein Alltag<br />

bestand nun erstmals<br />

daraus, sieben bis acht Stunden am Tag im Büro an seinem Schreibtisch<br />

zu sitzen und somit, den Beruf räumlich vom Privaten zu<br />

trennen. 6 <strong>Ein</strong>e heute normale aber damals unbekannte Situation,<br />

die Élisabeth Pélegrin-Genel in ihrem Buch ›The <strong>Office</strong>‹ mit folgender<br />

Reaktion seitens der Arbeiter beschreibt: »Since they had to<br />

spend all day in these places, office workers ended up behaving<br />

rather as if they were at home. They cooked there, changed their<br />

clothes, had their hair done, shaved and pennet farces or love letters.«<br />

7 Daraus geht hervor, dass das Verständnis von der neuen<br />

Büroarbeit ihrer modernen Architektur ein gutes Stück hinterherhinkte.<br />

Man hatte sich noch keine Nutzungsregeln für die neue<br />

Arbeitsrealität erdacht und so galt es zunächst adäquate Ansprüche<br />

zu formulieren. Das könnte aber auch an den ziemlich uninspirierten<br />

Inneneinrichtungen damaliger Büros liegen. In ihrer einfachen<br />

<strong>–</strong> an ein Klassenzimmer erinnernden Aneinanderreihung von Tischen<br />

<strong>–</strong> schufen sie den Arbeitern kein besonders kreatives Umfeld.<br />

So war es der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright, der mit<br />

seinem ›Larking Building‹ in Buffalo, Ohio im Jahre 1903 ein Bürogebäude<br />

entwarf, welches in seiner Gestaltung und <strong>Ein</strong>richtung<br />

dem Arbeiter eine ergonomische Ausstattung bot. <strong>Ein</strong> Großraumbüro,<br />

welches Kommunikationsfläche schaffte und durch ein Deckenlicht<br />

natürliche Beleuchtung erhielt. Tische, die zum Arbeiten<br />

im Sitzen und im Stehen konzipiert wurden. Und Stühle aus Leder<br />

und Metall, die eine bessere Körperhaltung garantierten sollten. 8<br />

Die Unternehmen hatten also begriffen, dass körperliches Unbehagen<br />

zu seelischer Belastung und mangelnder Arbeitsleistung<br />

führen kann. Dem neuen Büromenschen mussten also auch neue<br />

Büromöbel entworfen werden. Diese Forderung findet inzwischen<br />

ihre politische Durchsetzung in tariflichen Vereinbarungen und<br />

ihre rechtliche Untermauerung in der Gesetzesgebung. 9 Hierbei<br />

beeinflusst die Wissenschaft der Ergonomie nicht nur <strong>Ein</strong>richtung<br />

sondern auch Architektur moderner Bürogebäude und findet ihre<br />

messbaren Größen in allgemein standardisierten Regelwerken. Sie<br />

setzen Richtlinien <strong>zur</strong> Konzipierung von Arbeitsabläufen und der<br />

Gestaltung von Arbeitsplatz- und Arbeitsraum. Als ein Standardwerk<br />

hierzu ist wohl die Bauentwurfslehre von Prof. Ernst Neufert<br />

aus dem Jahr 1936 zu nennen. Neufert schrieb sie als Hilfsmittel<br />

für Studenten und Architekten, als Leitfaden für Bauherren und<br />

Planer. Seine Abhandlung gilt als Standardwerk jedes Architekten.<br />

Im Jahre 2015 befinden wir uns allerdings in einer vollkommen<br />

anderen Arbeits- und Lebensrealität als Neufert im Jahre 1936.<br />

Man könnte also behaupten, dass die Überarbeitung seines Werkes<br />

im Jahre 2013 in der nunmehr 40. Auflage, längst überfällig war.<br />

<strong>Ein</strong>gearbeitet wurden wichtige Forderungen der modernen Arbeitswelt,<br />

hin zu mehr Flexibilität und Sensibilität bei der Planung<br />

152<br />

153


Gegenständliches<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan mit Illustrationen von Patrick Pichler<br />

Menschliches<br />

»Man kommt viel weiter damit, wenn man von konkreten<br />

Ansprüchen spricht und diese wahrnimmt.<br />

[…] [D]enn die Gestaltung ist letztendlich immer für<br />

Menschen.« 12<br />

von Lebensräumen und weg von dem Durchschnittsmaß eines<br />

Menschen. 10 , so jedenfalls rühmt das Deutsche Architektenblatt<br />

die neue Ausgabe. Neuferts Bauentwurfslehre hat zum Ziel, Systeme<br />

der Ordnung zu schaffen. Dies hört der Kreative vermutlich<br />

gern. Wer hat schon etwas gegen ein Regelwerk, dass dabei hilft,<br />

ein wenig Ordnung zu schaffen im Chaos kreativer Schöpfungspraxis?<br />

Als ordnungsbildende Richtwerte gibt Neufert dem Kreativen<br />

die ›Baumaße‹ an die Hand, welche, ähnlich dem ›Modulor‹<br />

von Le Corbusier, den Menschen als Maß heranzieht. Die metrische<br />

Messbarkeit eines Raumes wird also durch die Übersetzung<br />

menschlicher Proportionen auf den Raum abstrahiert. 11<br />

Doch wie immer gilt auch hier: Regelwerke, Phasenmodelle<br />

oder Behelfstechniken können alle nur als Wegweiser angesehen<br />

werden und es obliegt dem Kreativen sie als Unterstützung anzunehmen<br />

oder einen anderen Weg einzuschlagen. Diese <strong>Freiheit</strong><br />

nimmt sich auch Daniel Klapsing, Produktdesigner und Gründer<br />

des Designstudios 45Kilo, und bricht in seiner Auffassung von Design<br />

mit standardisierten Regularien. »Wenn man jetzt also sagt,<br />

das Problem bei Tischen sei, dass sie immer 75 cm hoch sein müssten,<br />

da es sonst nicht ergonomisch sei, so empfinde ich solche Aussagen<br />

als totalen Quatsch. Leute wie Neufert oder auch Le Corbusier<br />

haben mit der Normung begonnen, indem sie die ganze Welt<br />

vermessen und standardisiert haben. Solche Nachschlagewerk<br />

können als Orientierung sehr hilfreich sein. Doch dadurch entsteht<br />

natürlich eine standardisierte Welt. Solch eine standardisierte Welt<br />

ist meiner Meinung nach nicht immer Ausdruck und Umsetzung<br />

des bestmöglichen Designs für die jeweilige Situation. Man kommt<br />

viel weiter damit, wenn man von konkreten Ansprüchen spricht<br />

und diese wahrnimmt. […] [D]enn die Gestaltung ist letztendlich<br />

immer für Menschen.« 12<br />

Es handelt sich hierbei um eine gestalterische Grundeinstellung.<br />

Denn auch in der Verbesserung von Ergonomie und Büroausstattung<br />

ist festzuhalten, dass eine Maxime der Entscheidungsfreiheit<br />

angestrebt werden sollte. Dass ein Mensch die <strong>Freiheit</strong> besitzt über<br />

einen individuellen Zuschnitt seiner Arbeitsumgebung zu entscheiden,<br />

die seinen eigenen Bedürfnissen entspricht.<br />

In dieser Entwicklung findet Design also seinen Ursprung in dem<br />

Erkennen einer Problemstellung auf Grund eines vorher formulierten<br />

Anspruches. Klapsing äußerte sich zu der Notwendigkeit von<br />

Design wie folgt: » Es gibt in der Designtheorie seit den 60er Jahren<br />

einen Diskurs über Probleme. Das Problem als der Ausgangsort für<br />

Gestaltung. Du musst das Problem definieren und dann erst kannst<br />

du eine Lösung entwickeln und diese ergibt dann das Design.« 13 .<br />

Hundert Jahre nach dem Bau der ersten Bürogebäude, hat sich<br />

die Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung erneut mit komplexen<br />

Problemstellungen konfrontiert gesehen. Diese erforderten eine<br />

Umformulierung der Ansprüche an die Arbeitsplatzgestaltung.<br />

Die spiegelnde Oberfläche von Computerbildschirmen benötigt<br />

nicht nur eine andere Beleuchtung, sondern auch Tische, die groß<br />

genug sind, damit Bildschirm, Tastatur, Maus und Arbeitsmaterial<br />

darauf Platz fänden. Auch die Distanz des menschlichen Auges,<br />

der Blickwinkel auf den Bildschirm und die Position der Tastatur<br />

wurden in ihrer Wichtigkeit erkannt.<br />

Wie können solche Forderungen aber von der Ergonomie beantwortet<br />

werden? Sie bedient sich, wie bereits angesprochen, standardisierter<br />

DIN-Normen, die ihre Mitte beispielsweise aus der<br />

Körpergröße der kleinsten Frau und der Körperhöhe des größten<br />

Mannes ermitteln. 14 Daraus lassen sich dann gestalterische Richtlinien<br />

ableiten. »In der Ergonomie werden die Arbeitsplätze so<br />

ausgelegt, daß 90 % der Benutzergruppe optimale Bedingungen<br />

haben. Für die restlichen 10 % müssen gegebenenfalls Sondermaßnahmen<br />

durchgeführt werden.« 15 <strong>Ein</strong>e optimale Gestaltung fordert<br />

also auch eine individuelle Gestaltung. Wer allerdings trägt dafür<br />

Sorge, dass solche individuellen Sondermaßnahmen auch tatsächlich<br />

unternommen werden? Ich nehme an, ein Drängen darauf<br />

liegt in der Verantwortung des Betroffenen und erinnert mich an<br />

eine Aussage der Architektin Élisabeth Pélegrin-Genel. Auf meine<br />

Frage hin, ob es ihrer Meinung nach die Motivation in der eigenen<br />

Arbeit steigere, wenn man die Möglichkeit hätte sein Büro individuell<br />

gestalten zu können, antwortete sie: »Ich denke es wird wichtig,<br />

wenn es zum Beispiel um die Position des Schreibtisches geht.<br />

Bevorzugt man es aus dem Fenster zu schauen, oder hat man das<br />

Licht lieber von der Seite? Sitzt man ungern mit dem Rücken <strong>zur</strong><br />

Tür? Oder möchte man nicht direkt gegenüber einer anderen Person<br />

sitzen? Dies sind wichtige Fragen, die ein jeder gern selbstbestimmt<br />

beantworten würde, doch meistens wird man hierzu nicht<br />

befragt, sondern auf einen leeren Stuhl gesetzt, samt vorgefertigter<br />

Aussicht und Tischnachbarn.« 16<br />

An dieser Stelle spricht sie einen weiteren, entscheidenden<br />

Punkt innerhalb der Gestaltung von Arbeitsräumen an, der auch<br />

Gegenstand von der Lehre der Ergonomie sind. Nämlich das subjektive<br />

Empfinden von Proportionen, Verteilung, Distanzen und<br />

Nähe im Raum. Besonders im Bezug auf Räumlichkeiten, die wir<br />

mit anderen Menschen teilen. Wir stehen also vor der Herausforderung,<br />

dass der Zwang ständiger Erreichbarkeit und transparenter<br />

Kommunikation aus der digitalen Arbeitswelt heraus, auch in<br />

die Architektur und die Gestaltung ergonomischer <strong>Ein</strong>richtungen<br />

transportieren wird. <strong>Ein</strong> offenes Großraumbüro kann darauf keine<br />

Antwort mehr bieten. Die Architektin Élisabeth Pélegrin-Genel<br />

hebt in ihren Artikeln die Störfaktoren von solchen Großraumbüros<br />

hervor. Sie böten zwar eine ständige Transparenz und Platz für<br />

Kommunikation, doch eben diese Kommunikation könne schnell<br />

zum akustischen Störfaktor werden. Lärmende Telefongespräche<br />

oder Gruppenbesprechungen brauchen einen eigenen Raum, um<br />

die anderen Arbeiter nicht in ihrer Konzentration zu stören. Wir<br />

benötigen also Räume zum Zurückziehen aber vor allem auch Gemeinschafts-<br />

und Besprechungsräume <strong>–</strong> kurz um: Räume der<br />

Kommunikation. Sie werden an immer größerer Bedeutung gewinnen<br />

und diese Verantwortlichkeit gilt es <strong>–</strong> in all ihren Facetten<br />

<strong>–</strong> ergonomisch zu gestalten.<br />

154


Gegenständliches Illustrationen von Patrick Pichler Standard<br />

Lampe<br />

<strong>Ein</strong> neues Verständnis der Ergonomie <strong>–</strong> <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan Menschliches<br />

1 Peter Kern, Franziska Ruf: Ergonomie<br />

im Büro - Zahlenkataloge einer<br />

Geheimwissenschaft oder aktive Gesundheitsvorsorge.<br />

In: Lebensraum Büro.<br />

Ideen für eine neue Bürowelt. Unter der<br />

Projektleitung von Arno Votteler, Institut<br />

für Innenarchitektur und Möbeldesign,<br />

Stuttgart / Oktogon Verlag, München /<br />

Stuttgart, 1992, S. 54.<br />

2 Claus Benz, Robert Grob, Peter<br />

Haubner: Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen.<br />

Arbeitsplatz, Umgebung, Organisation<br />

und Systemeinführung. Verlag<br />

TÜV Rheinland, Köln, 1981, Geleitwort S. 1.<br />

3 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 32.<br />

4 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 26.<br />

5 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 28.<br />

6 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 32.<br />

7 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 32.<br />

8 Vgl. Élisabeth Pélegrin-Genel:<br />

The <strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 40.<br />

9 Vgl. Claus Benz, Robert Grob,<br />

Peter Haubner: Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen.<br />

Arbeitsplatz,<br />

Umgebung, Organisation und Systemeinführung.<br />

Verlag TÜV Rheinland, Köln, 1981,<br />

Geleitwort S. 1.<br />

10 Deutsches Architektenblatt:<br />

Neufert in Neuauflage. Erschienen<br />

am 11.04.2013. http://dabonline.<br />

de/2013/04/11/40-auflage-der-»neufert-bauentwurfslehre-grundlegend-aktualisiert/.<br />

Stand: 11.11.2015.<br />

11 Anka Ghise-Beer: Das Werk des<br />

Architekten Peter Neufert. Dissertationspapier.<br />

S.18. http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-296/d050001a.pdf.<br />

Stand 11.11.2015.<br />

12 Daniel Klapsing: Aus einem<br />

Interview am 06.08.2015.<br />

13 Daniel Klapsing: Aus einem<br />

Interview am 06.08.2015.<br />

14 Peter Kern, Franziska Ruf: Ergonomie<br />

im Büro - Zahlenkataloge einer<br />

Geheimwissenschaft oder aktive Gesundheitsvorsorge.<br />

In: Lebensraum Büro.<br />

Ideen für eine neue Bürowelt. Unter der<br />

Projektleitung von Arno Votteler, Institut<br />

für Innenarchitektur und Möbeldesign,<br />

Stuttgart / Oktogon Verlag, München /<br />

Stuttgart, 1992, S. 54.<br />

15 Peter Kern, Franziska Ruf: Ergonomie<br />

im Büro - Zahlenkataloge einer<br />

Geheimwissenschaft oder aktive Gesundheitsvorsorge.<br />

In: Lebensraum Büro.<br />

Ideen für eine neue Bürowelt. Unter der<br />

Projektleitung von Arno Votteler, Institut<br />

für Innenarchitektur und Möbeldesign,<br />

Stuttgart / Oktogon Verlag, München /<br />

Stuttgart, 1992, S. 29.<br />

16 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

17 Ralf Schröder: Aus einem Interview<br />

am 05.11.2015.<br />

156<br />

157


Gegenständliches Im Gespräch mit Daniel Klapsing & Philipp Schöpfer Produkt<br />

Design<br />

Zu Besuch bei 45Kilo<br />

Menschliches<br />

DK<br />

PS<br />

MC<br />

Daniel Klapsing<br />

Philipp Schöpfer<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Es ist bereits kurz nach halb eins als ich mich<br />

viel zu spät auf mein Fahrrad schwinge um in<br />

die Leipziger Straße 65 zu fahren. Dort bin ich<br />

zum Mittagessen verabredet, mit Philipp<br />

Schöpfer und Daniel Klapsing, den Gründern<br />

des Produktdesignstudios 45Kilo. Als Studenten<br />

der Bauhaus-Universität lernen sie sich<br />

2006 in Weimar kennen und merken nach der<br />

Umsetzung erster, gemeinsamer Entwürfe<br />

schnell, dass sie ein gutes Gespann abgeben.<br />

So gründen sie bereits im Jahr 2007, noch während<br />

des Studiums, ihr Designbüro.<br />

„Als Studenten konnten wir die Vorteile der<br />

vorhandenen Ressourcen an der Universität<br />

und in den Werkstätten nutzen. Das war wirklich<br />

super für uns, vor allem in der Gründungsphase.<br />

In dieser Zeit sind ganz viele Entwürfe<br />

entstanden, die wir bis heute immer weiterentwickelt<br />

haben.“<br />

Die Entwürfe des Duos kommen gut an, sie haben<br />

Spaß an der gemeinsamen Arbeit und hegen<br />

den Traum, ihre Produkte im Rahmen der<br />

Mailänder Möbelmesse der Öffentlichkeit zu<br />

präsentieren. <strong>Ein</strong> hochfliegendes Ziel, welches<br />

sie zusammen mit anderen Designstudenten<br />

der Bauhaus-Universität unter dem<br />

Label „My Bauhaus is better than yours“ 2009<br />

auch erreichen können. Die Messe wird <strong>zur</strong> Erfolgssgeschichte.<br />

Es folgen <strong>Ein</strong>ladungen zu<br />

weiteren Messen, Anfragen und wichtige Kontakte.<br />

Die hohe Nachfrage gibt den zwei jungen<br />

Kreativen Recht. Inzwischen selbst nicht mehr<br />

nur Gestalter, sondern auch Produzenten ihrer<br />

eigenen Entwürfe, sind die ambitionierten Italienfans<br />

jedes Jahr unter ihrem eigenen Namen<br />

<strong>–</strong> 45 Kilo <strong>–</strong> auf der Mailänder Möbelmesse<br />

anzutreffen.<br />

Wenn sie nicht gerade in Italien oder auf anderen<br />

namenhaften Messen ihre Produkte präsentieren,<br />

werkeln sie in ihrem Berliner Studio,<br />

Lager und Showroom an neuen Ideen. Dort angekommen<br />

schließe ich mein Rad vor einem<br />

großen Schaufenster an, in welchem 3 silber-gold-kupferne<br />

Lampen vor weitem Glas<br />

hängen und ihr Licht auf mintgrüne Brotboxen<br />

mit eingelassenen Holzdeckeln werfen. Dahinter<br />

zeichnet sich ein Gewusel von jungen Leuten,<br />

an großen Arbeitstischen sitzend. Auch<br />

eine schwere Bohrmaschine zieht auf der anderen<br />

Seite des Fensters an meinem neugierigen<br />

Blick vorbei. Es wird gebaut. <strong>Ein</strong>e zweite<br />

Etage als Erweiterung des Büros, wie ich später<br />

erfahren werde. Ich drücke auf den Klingelknopf<br />

und werde von zwei jungen Männern<br />

in Sandalen, kurzen Shorts und lässigen<br />

T-Shirts empfangen. Sie sind mir auf Anhieb<br />

sympathisch. Man sieht sofort, dass hier nicht<br />

nur mit dem Computer, sondern auch noch mit<br />

den Händen gearbeitet wird. Hund Lotta, eine<br />

wunderschöne Weimaranerhündin, begrüßt<br />

mich etwas argwöhnisch und stellt das Bellen<br />

erst nach wiederholten Aufforderungen ein.<br />

Mit noch etwas skeptischem Blick lässt sie<br />

sich ihr weiches Fell kraulen und begnügt sich<br />

schließlich damit, wieder unter ihrem Baldachin<br />

aus langen, schwarzen Kordelschnüren<br />

Platz zu nehmen. Philipp, selbst nicht Hundebesitzer<br />

aber junger Vater, lacht. <strong>Ein</strong> toller<br />

Platz für Hunde und Kinder, so schmunzelt er<br />

<strong>–</strong> ein schönes Versteck <strong>–</strong> denke ich mir. An der<br />

Stirnseite des großen Raumes türmen sich gefüllte<br />

Bücherregale bis hoch unter die Decke.<br />

Davor befindet sich eine großflächige Arbeitsinsel.<br />

Meine Gastgeber leiten mich an den betriebsam<br />

wirkenden Arbeitsplätzen vorbei in<br />

die Küche <strong>–</strong> selbstverständlich „made by 45<br />

Kilo“. Wir nehmen Platz an einem langen Tisch<br />

mit weißer Platte und schwarzen Sprenkeln.<br />

Vor uns liegen bereits die Zutaten für das Mittagessen.<br />

Daniel ist an diesem Tag der Küchenchef<br />

und verkündet euphorisch: „Heute<br />

gibt es Quiche!“<br />

links: Daniel Klapsing<br />

rechts: Philipp Schöpfer<br />

158<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

159


Gegenständliches Daniel Klapsing & Philipp Schöpfer Produkt<br />

Design<br />

45Kilo<br />

Menschliches<br />

MC So. Soll ich gleich mal anfangen was zu<br />

schnippeln?<br />

DK Schinkenwürfel anbraten. Porree bürsten,<br />

abwaschen und in Ringe schneiden. Ok.<br />

MC Ich habe auch ein paar Weintrauben<br />

zum Nachtisch mitgebracht.<br />

PS Super! Ich nehme schon mal eine.<br />

<strong>Ein</strong> Küchentisch aus Stracciatella<br />

MC Der Tisch sieht ja zum Anbeißen aus.<br />

PS Das ist unser Stracciatella-Tisch. Er<br />

ist das Resultat von dem Eiermanngestell, an<br />

dem wir als Studenten gesessen und uns ständig<br />

die Schienbeine gestoßen haben. Das Design<br />

ist total toll, aber die Beinfreiheit ist es<br />

nicht. So sind die meisten unserer Produkte<br />

aus dem Eigenbedarf heraus entstanden. Wir<br />

saßen in den Uni-Arbeitsräumen und haben<br />

uns die Schienbeine gestoßen, bis wir uns dazu<br />

entschieden haben eine Lösung für dieses Problem<br />

zu suchen.<br />

Ästhetik & Funktionalität<br />

MC Die Tischplatte lässt bereits vermuten,<br />

dass bei diesen Lösungsansätzen<br />

nicht allein die Funktionalität, sondern<br />

auch die Ästhetik eine große Rolle<br />

spielen?<br />

PS Die Funktionalität steht bei uns gleich<br />

am Anfang eines jeden Entwurfes. Ich würde<br />

sie auch gar nicht so sehr von der Ästhetik<br />

trennen. Sie ergeben eher eine Symbiose.<br />

DK Ich denke diese Frage müsste man auf<br />

jedes einzelne Produkt bezogen beantworten.<br />

Natürlich könnte man Objekte auf ihre bloße<br />

Funktion reduzieren. <strong>Ein</strong> Empfangstresen beispielsweise<br />

ist Statussymbol jeder Agentur,<br />

jedes Büros. Wenn man sagt, die Funktion ist<br />

wirklich nur auf die Nutzung reduziert, so mag<br />

auch ein einfacher, weißer Tresen ausreichen.<br />

Aber die Funktion von Objekten hört an dieser<br />

Stelle ja längst noch nicht auf. Die Funktionalität<br />

eines Empfangstresens ist eben auch, das<br />

Unternehmen zu repräsentieren <strong>–</strong> einen Status<br />

zu symbolisieren. Das ist eine ganz klare<br />

Funktion, die in ihrer ästhetischen Gestaltung<br />

von Form, Material und räumlicher Platzierung<br />

visualisiert wird.<br />

PS Viele unserer Objekte scheinen auch<br />

so konzipiert zu sein, als würde es nur um die<br />

Funktion gehen. Schließlich sind die meisten<br />

unserer Entwürfe sehr reduziert und weisen<br />

keine Schnörkel oder irgendwelchen Schnickschnack<br />

auf. Aber wir wollen auch keine Style-Objekte<br />

herstellen, sondern Alltagsgegenstände.<br />

Ihr Aussehen ist von ihrer Funktion<br />

geleitet, aber eben auch von unserem eigenen<br />

Verständnis von Ästhetik, die in jedem Schritt<br />

des Entwurfes eine ebenso große Rolle spielt.<br />

DK Diese Trennung zwischen Funktion und<br />

Ästhetik ist ja aber auch künstlich. Sie wurde<br />

erst durch deine Frage in die Diskussion eingeführt.<br />

Wir trennen diese zwei Bereiche gar<br />

nicht, sondern sehen sie als Zusammenspiel <strong>–</strong><br />

als Symbiose <strong>–</strong> wie Philipp bereits sagte.<br />

Küchenmodul<br />

MC Ähnlich wie bei euren Entwürfen für<br />

innovative Küchenzeilen mit Industriekisten<br />

als Lager- und Regalsystem?<br />

PS Genau. Bei diesem Entwurf findet<br />

sich solch ein Zusammenspiel. Die Funktion<br />

ist ganz klar. Wir haben uns die gesamte<br />

Hardware gespart, weil die Küche günstig<br />

werden sollte. Also haben wir alle Auszüge<br />

und Schrankfronten weggelassen. Wir haben<br />

sie durch fertige Industrieprodukte, die man<br />

günstig einkaufen kann, ersetzt. Im Grunde<br />

erfüllen sie die gleiche Funktion wie die<br />

Schranksysteme klassischer Küchenzeilen.<br />

Natürlich spielen wir gleichzeitig mit einer<br />

anderen Ästhetik, einer speziellen Optik <strong>–</strong> mit<br />

dem Design der Kiste. Mit der Herkunft dieses<br />

vorproduzierten Gegenstandes als eine Art<br />

des „Objet trouvé“.<br />

MC „Objet trouvé“ <strong>–</strong> die Verwendung vorhandener<br />

Objekte innerhalb eurer eigenen<br />

Entwürfe. Modulare Küchen mit<br />

einfachem Aufbau. Irgendwie erinnert<br />

mich das an die DIY-Kultur und darauf<br />

bezogene Publikationen wie: „Hartz-<br />

IV Möbel“ zum Selberbauen.<br />

PS Bei uns kann man die Küche in Modulbauweise<br />

einkaufen, zusammen mit den Kisten.<br />

Aber klar sieht das Ganze so aus, als könnte<br />

man es ganz einfach selbst nachbauen. Das<br />

ist auch ein Bild, welches man vielleicht aus<br />

irgendwelchen Studentenküchen kennt.<br />

DK Aber bei unserem Entwurfsprozess<br />

hören wir eben nicht bei der Studentenküche<br />

auf, sondern wir verfolgen Themen über lange<br />

Zeiträume weiter. Das ist bei fast all unseren<br />

Produkten so. Das ist bei unseren Lampen so.<br />

Das ist bei unserem Tisch so. Und das ist auch<br />

bei der Küche so. Alle Leute, die in unser Studio<br />

kommen, finden unsere Küche mit den Plastikkästen<br />

cool, aber bisher hat sich noch niemand<br />

getraut diese Küche zu kaufen. Also mussten<br />

wir das Konzept zu einer neuen Lösung weiterentwickeln<br />

und nun ist daraus ein rollbares<br />

Modul entstanden. Fast jedes Büro braucht<br />

eine Küche. Die meisten kaufen IKEA, weil es<br />

billiger ist, aber diese sind alle fest eingebaut.<br />

Da bietet unsere Küche eine super Alternative.<br />

Kommunikative Räume<br />

MC Im Hinblick auf euren modularen Küchenentwurf<br />

finde ich es besonders<br />

interessant, dass man über dieses<br />

zentrale Element hinweg, kommunikative<br />

Räume schaffen kann.<br />

Welche Bedeutung nimmt solch eine<br />

Küche im Büroalltag ein? Glaubt ihr<br />

dass es eine wichtige Rolle spielt,<br />

Kommunikationsflächen und Räume<br />

für die Gemeinschaft innerhalb eines<br />

Büros zu schaffen?<br />

PS Die Küche gewinnt mehr und mehr an<br />

Bedeutung. Die Küche war ja schon immer ein<br />

wichtiger, sozialer Raum. Im Büro geht es vor<br />

allem darum, einen Aufenthaltsbereich zu<br />

schaffen, wo die Leute zusammenkommen,<br />

gemeinsam essen und sich unterhalten können.<br />

Es ist also eine Symbiose aus der Zubereitung<br />

des Essens, dem gemeinsamen Speisen,<br />

sich treffen und Besprechungen halten. Somit<br />

wird die Küche von einem Funktionsraum zu<br />

einem sozialen Treffpunkt gewandelt.<br />

DK Uns ist dieser Aspekt sehr wichtig.<br />

Täglich gemeinsam Essen zuzubereiten generiert<br />

augenblicklich eine entspannte Atmosphäre<br />

im Büro. Häufig kommen Leute in unser<br />

Studio um sich beraten zu lassen und werden<br />

von uns zum Essen in der Studioküche eingeladen<br />

und dabei entsteht sofort eine ganz andere<br />

Bindung. Gemeinsames Kochen und Essen<br />

stiftet Identität.<br />

MC À propos, ich schneide schon mal die<br />

Zwiebeln klein.<br />

DK Perfekt. Aber warte mal, ich muss<br />

mich ganz kurz auf das Rezept konzentrieren.<br />

Es ist doch noch ganz schön viel zu machen.<br />

Passion<br />

DK Also was ich aber eigentlich sagen<br />

wollte: Letztlich führen wir nicht nur Küchen<br />

vor, sondern auch gemeinschaftliche Werte<br />

und Leidenschaft zum Kochen selbst. Mit dieser<br />

Leidenschaft können wir vielleicht sogar<br />

unsere Küchen besser planen, da wir selber<br />

gerne kochen und dadurch erst alle nötigen<br />

Funktionen und Gebrauchsweisen einer Küche<br />

entdecken können.<br />

160<br />

161


Gegenständliches Daniel Klapsing & Philipp Schöpfer Produkt<br />

Design<br />

45Kilo<br />

Menschliches<br />

MC Also glaubt ihr, dass die persönliche<br />

Leidenschaft zu einer Sache, die Kreativität<br />

und vielleicht sogar die Qualität<br />

eines Projektes steigern kann?<br />

PS Auf jeden Fall. Dabei geht es vor allem<br />

um das Know-how. Genau zu wissen, wo die<br />

Problemstellen liegen und zu überlegen, wie<br />

man es besser machen könnte, wenn man die<br />

Möglichkeit hat, es selbst zu planen. Ob zu<br />

Hause, am Arbeitsplatz oder in der Küche <strong>–</strong> es<br />

ist überall so, dass wir im täglichen Gebrauch<br />

Schwachstellen und Probleme erkennen, für<br />

die wir Lösungen gestalten.<br />

Experiment<br />

DK Zum Beispiel haben wir mal einen quadratischen<br />

Tisch mit Steckdosen an jeder<br />

Stirnseite gestaltet. Insgesamt 128 funktionierende<br />

Steckdosen an einem Tisch. Diese<br />

Idee entwickelte sich dann weiter zu einer<br />

Stehleuchte, die neben dem Tisch steht, und<br />

letztlich sind wir bei unserer Hängeleuchte angekommen,<br />

die eine Reihe von Steckdosen ist,<br />

wo man verschiedene Leuchten anstecken<br />

kann. Wahrscheinlich wird sich auch dieser<br />

Entwurf in der Zukunft weiter verändern.<br />

MC Ist das ein Spiel mit unserer heutigen<br />

Vorstellung von digitaler Arbeit in Büros<br />

und somit Grund für euer provokatives<br />

Design, 128 Steckdosen in einem<br />

Tisch zu integrieren?<br />

DK Nein. Wir waren damals noch Studenten<br />

und wir wollten einen Arbeitstisch für 4<br />

Personen konzipieren, der zentral im Raum<br />

steht. Daher die quadratische Form und eine<br />

Gestellkonstruktion, die allen 4 Arbeitern<br />

Beinfreiheit ermöglicht. Erst dann stellten wir<br />

uns die Frage, wie wir die vielen technischen<br />

Arbeitsgeräte integrieren könnten.<br />

PS In vielen Büros tut man ja ganz oft so,<br />

als wären Kabel etwas Hässliches. Diese zu<br />

verstecken, dafür gibt es viele Entwürfe, die<br />

gebraucht und verkauft werden, die etabliert<br />

sind, aber was wollen wir aus solch fertigen<br />

Lösungen noch lernen? In unserem Entwurf<br />

wird im Gegensatz dazu das Kabel zum dekorativen<br />

Element. Das Konzept vom chaotischen<br />

Inszenieren des Kabelsalates anstatt<br />

alles in Kabelkanälen organisiert zu verstecken,<br />

ist hierbei unser Ansatz gewesen. Und<br />

das mit Witz <strong>–</strong> somit wird der Tisch als Objekt<br />

zum Statement.<br />

Inspiration<br />

MC Woher bezieht ihr eure Inspiration?<br />

PS Ich denke, da hat jeder einen ganz eigenen<br />

Ansatz. Manche Designer halten sich<br />

täglich auf irgendwelchen Blogs auf und blättern<br />

Magazine durch, um zu schauen, was die<br />

Designwelt so macht und wird dadurch natürlich<br />

auch extrem beeinflusst. Ich kenne Designer<br />

die sich wirklich viel damit beschäftigen<br />

und deren Stil ganz automatisch ein ähnlicher<br />

ist, zu dem, was sie in Magazinen und auf Blogs<br />

rezipieren. Ganz bewusst oder völlig unbewusst<br />

tendiert man dadurch auch zu einer gewissen<br />

Ästhetik. Unsere Ideen allerdings entstehen<br />

vielmehr aus unserem Alltagsgeschehen<br />

heraus und werden durch unser direktes<br />

Umfeld beeinflusst.<br />

Arbeits- und Lebensraum<br />

DK Bevor wir unser Studio an der Leipziger<br />

Straße bezogen haben, hatten wir unser Büro<br />

in einem 16m² Raum in meiner Privatwohnung,<br />

in der Platte, im 14. Stock, und haben dort zu<br />

fünft gearbeitet. Ich hatte eine etwas zu große<br />

Wohnung mit tollem Ausblick und so haben wir<br />

unser Büro dort eingerichtet. Außerdem war<br />

meine Wohnung natürlich auch ausgestattet<br />

mit all unseren Entwürfen und somit konnten<br />

wir dort auch Kunden empfangen und meine<br />

Wohnung als eine Art Showroom nutzen, vorausgesetzt<br />

die Küche wurde noch schnell aufgeräumt.<br />

In der Zeit habe ich einen ungesunden<br />

Putzfimmel entwickelt. Irgendwie habe ich 24h<br />

am Tag in einem Showroom gelebt. Das hat aber<br />

trotzdem gut funktioniert, denn es war nicht zu<br />

ordentlich, man hat also gesehen da lebt jemand<br />

und konnte sich die Produkte somit sehr<br />

gut im eigenen Wohnumfeld vorstellen.<br />

PS Das war super. Es war kein solch cleanes<br />

Galerie-Feeling. Sondern es wurde klar, dass es<br />

sich um benutzbare Gegenstände handelt, die<br />

auch tatsächlich im Alltag funktionieren.<br />

MC Aber wenn man im eigenen Showroom<br />

lebt, wie kann man dann sein Privatleben<br />

von der Arbeit trennen?<br />

PS Ach, das hat gut funktioniert.<br />

DK Also für mich war das total schwierig.<br />

Klar hat es funktioniert, aber es war auch klar,<br />

dass es sich dabei nur um eine Zwischenlösung<br />

handeln kann.<br />

Ich war in der gesamten Zeit nicht einmal<br />

krank, da es für mich nicht vorstellbar war.<br />

Dann hätte ich in meinem Schlafzimmer liegen<br />

müssen, während die anderen direkt nebenan<br />

gearbeitet hätten. Ich bin einfach nicht<br />

krank geworden.<br />

PS Wir haben immer versucht möglichst<br />

viel Rücksicht auf sein Privatleben zu nehmen<br />

und das Ganze so einigermaßen hinzukriegen.<br />

Was als Provisorium begann, hatte eh schon<br />

viel länger angedauert als geplant.<br />

DK Wir haben die ganze Zeit parallel nach<br />

einem neuen Studio gesucht und nichts Vernünftiges<br />

gefunden. Bis wir dann dieses Studio<br />

hier angeboten bekommen haben und sofort<br />

wussten, das ist genau der richtige Ort.<br />

Raumkriterien<br />

MC Wenn ihr euch einen perfekten Arbeitsraum<br />

vorstellen würdet, welche<br />

Kriterien spielen dabei für euch die<br />

wichtigste Rolle?<br />

DK Die wichtigsten Kriterien waren dabei<br />

für uns: Top Lage, Erdgeschoss, Sichtbarkeit<br />

und Ladengeschäft statt 14.Stock eines<br />

Wohnhauses. Und natürlich der Preis.<br />

PS Wenn der Arbeitsplatz ungünstig gelegen<br />

ist und die Anbindungen schlecht sind,<br />

dann verliert man einfach zu viel Zeit. Arbeitszeit<br />

oder Freizeit. Und ich mit Kind, da tickt die<br />

Uhr halt gleich doppelt. Zur Kita bringen, auf<br />

Arbeit, von der Kita abholen. Dann kann man<br />

sich lange Arbeitswege kaum leisten.<br />

DK Außerdem befände sich das Studio zufälligerweise<br />

auch in einem, sich entwickelnden<br />

Stadtteil. In unserem Fall liegen wir ganz<br />

nah an der Friedrichstraße und sind somit an<br />

der Grenze zu einer schicken Gegend, unser<br />

Standort selbst aber ist noch ziemlich abgefuckt<br />

und billig.<br />

PS Aber natürlich sind wir uns darüber<br />

bewusst, dass wir mit der Standortwahl für<br />

unser Designstudio somit auch selbst <strong>zur</strong> Gentrifizierung<br />

beitragen. Wir haben ja auch noch<br />

andere Parteien mitgebracht und pushen quasi<br />

unsere Miete selbst in die Höhe.<br />

Was die Kriterien am Raum und an der Architektur<br />

betrifft, ist es nicht so einfach große, schöne,<br />

tolle Klinkerbauten für günstige Mieten in<br />

Berlin zu finden. Diese Zeiten sind vorbei. Das<br />

heißt, man muss eh nehmen was man kriegt.<br />

DK Ich will ja überhaupt keinen Klinker.<br />

Beton ist doch viel geiler.<br />

162<br />

163


Gegenständliches Daniel Klapsing & Philipp Schöpfer Produkt<br />

Design<br />

45Kilo<br />

Menschliches<br />

Studio<br />

PS Jedenfalls war dieses Studio hier ein<br />

ziemlicher Glücksgriff. Ich glaube ein wesentlicher<br />

Faktor, der uns von unserem jetzigen<br />

Studio überzeugt hat, bereits in dem Moment,<br />

da wir es zum ersten Mal betreten haben, dass<br />

wir an diesem Ort genügend Platz zum Wachsen<br />

gesehen haben. Wir haben ein Lager im Keller,<br />

eine Werkstatt im Keller, eine eigene Küche,<br />

riesengroße Fensterflächen <strong>–</strong> es ist einfach<br />

traumhaft und könnte nicht besser sein.<br />

DK Dazu die hohen Decken mit Industrielook,<br />

innerhalb einer Platte mit DDR-Charme.<br />

Es hat Geschichte, es ist im Erdgeschoss mit<br />

Ladenlokal und Schaufenster. Wir haben hier<br />

auch noch mal ordentlich renoviert, alle Räume<br />

entkernt und locker zwei Meter an Deckenhöhe<br />

dazu gewonnen. Die Räumlichkeiten sahen zu<br />

Beginn nicht so aus, wie du es jetzt siehst.<br />

MC Aber ihr hattet trotzdem sofort eine<br />

Vision für den Raum und ein gutes<br />

Bauchgefühl?<br />

DK Ja, absolut. Im hinteren Teil konnte<br />

man ja auch schon erahnen wie hoch die Decken<br />

eigentlich wirklich reichen und so haben<br />

wir von Anfang an gedacht, dass wir bei Platzmangel<br />

jeder Zeit ein zweites Stockwerk einziehen<br />

könnten. So wie wir es ja letztlich auch<br />

gerade tun.<br />

Kreativität<br />

MC Wofür benötigt ihr so viel Platz? Um<br />

euch kreativ ausleben zu können? Wie<br />

wichtig ist für euch dabei die Arbeit<br />

mit den Händen?<br />

DK Also wenn ich den ganzen Tag vor dem<br />

Rechner sitze, dann war es ein schlechter Tag.<br />

MC Du meinst also, das hemmt deine<br />

Kreativität?<br />

DK Das ist einfach verdammt schlecht für<br />

meinen Rücken.<br />

PS Für den Ausgleich während der Arbeit<br />

haben wir eine Tischtennisplatte. Wir spielen<br />

alle ziemlich gut, was wohl ein Zeichen dafür<br />

ist, dass wir viel Zeit an dieser Platte verbringen.<br />

Aber wie Daniel bereits meinte: Es ist ein<br />

schlechter Tag, wenn man ihn durchgängig sitzend<br />

am Tisch vor dem Rechner verbringt. Leider<br />

passiert das ziemlich oft, weil so viele Telefonate<br />

und E-mails zu beantworten sind. Da<br />

spürt man vorzeitig das Alter im Rücken und in<br />

den Augen. Aber gerade dann ist eine Tischtennisplatte<br />

eine willkommene Ablenkung. Für<br />

zehn Minuten raus an die Luft, ein bisschen<br />

bewegen, den Fokus verschieben.<br />

DK Wenn ich du wäre, würde ich die Begriffe<br />

Inspiration und Kreativität komplett<br />

streichen und überhaupt nicht verwenden,<br />

sondern eher auf Begriffe wie Wohlfühlen oder<br />

„richtig anfühlen“ <strong>zur</strong>ückgreifen.<br />

Wir sind hier nicht den ganzen Tag kreativ. Ich<br />

finde es auch völlig ok, irgendwelche Pakete zu<br />

verpacken. Und diese Arbeit auch ordentlich<br />

zu machen, da sie genauso zu unserem Tagesgeschäft<br />

gehört, wie die Produkte zu entwerfen<br />

und zu produzieren. Wenn du so willst, ist<br />

Pakete verpacken eine Art Serienproduktion.<br />

Und die ist eben auch kreativ.<br />

Wohlfühlen<br />

MC Wenn du von Wohlbefinden sprichst,<br />

geht es dir dabei um eine Art von Zufriedenheit?<br />

DK Genau. Ich habe zum Beispiel gerne<br />

einen großen Schreibtisch. Dafür braucht man<br />

Platz. Wenn sich die Arbeit visuell sichtbar vor<br />

meinem Schreibtisch stapelt, in Form von Europaletten,<br />

dann muss sie getan werden. Ich<br />

meine, wir sind hier auch kein 3D-Visual-Artist-Studio.<br />

Wir kämpfen hier eher mit älteren<br />

Problemen. Mit Lagerflächen, Ordnungssystemen,<br />

Logistik, Produktion, Versand und eben<br />

sich stapelnden Europaletten.<br />

DK Oh der Teig der muss jetzt in den Ofen<br />

und vorbacken. Total verquatscht. Marie hat<br />

mich total abgelenkt vom Kochen.<br />

PS Jetzt hau doch das Ding endlich mal in<br />

den Ofen. Das dauert ja ewig.<br />

DK Wo ist denn überhaupt der Schnittlauch?<br />

Den haben wir ganz vergessen.<br />

MC Komm, ich schnippel den schnell.<br />

Zusammenarbeit<br />

MC Ihr zwei scheint euch ja sehr gut zu<br />

verstehen. Mit einem Freund ein Business<br />

zu gründen, klappt ja leider nicht<br />

in jedem Versuch.<br />

DK Wir haben unsere Probleme, aber wir<br />

kennen uns jetzt fast ein ganzes Jahrzehnt und<br />

wir wissen, dass wir, wenn wir miteinander<br />

reden, immer wieder zusammenfinden. So haben<br />

wir schon viele Differenzen gemeinsam<br />

überwunden.<br />

PS Wir sind ein altes Ehepaar.<br />

MC Inzwischen sind es ja häufig nur noch<br />

Teams, die gemeinsam an Projekten<br />

arbeiten, ohne dass die Leute sich einander<br />

wirklich gut kennen oder ein echtes<br />

Vertrauen zwischen ihnen besteht.<br />

DK Philipp und ich vertrauen heute viel<br />

mehr auf unseren Bauch. Die Fehler der Vergangenheit<br />

würden wir nicht wiederholen.<br />

Trotz schlechten Gefühls Dinge zu machen. Genauso<br />

halten wir es mit unseren Praktikanten.<br />

Wenn wir ein gutes Gefühl beim Gespräch haben,<br />

dann händigen wir ihnen noch am selben<br />

Tag einen Schlüssel zum Büro aus und begrüßen<br />

sie in unserem Team. Wir sehen den Menschen<br />

und entweder ist das Vertrauen da oder<br />

eben nicht. Im Idealfall hatten wir uns vorgenommen,<br />

nicht mehr als 5 Leute zu werden.<br />

Inzwischen sind es mehr geworden, aber es<br />

fühlt sich immer noch richtig an.<br />

Bedürfnis & Anspruch<br />

MC Ihr sprecht von Empfindungen, Wohlbefinden,<br />

Bauchgefühl und Erfahrungen,<br />

die das Bedürfnis in euch wecken,<br />

Lösungen für Problemstellungen zu<br />

entwickeln. Geht es in euren Entwürfen<br />

dabei also um das Erfüllen von<br />

menschlichen Bedürfnissen?<br />

DK Ich habe tatsächlich meine PHD-Arbeit<br />

in Weimar über dieses Thema geschrieben.<br />

Darin spreche ich über Ansprüche. Es gibt in<br />

der Designtheorie seit den 60er Jahren einen<br />

Diskurs über Probleme. Das Problem als der<br />

Ausgangsort für Gestaltung. Du musst das<br />

Problem definieren und dann erst kannst du<br />

eine Lösung entwickeln und diese ergibt dann<br />

das Design.<br />

Aus dem Sprachgebrauch betrachtet, gibt es<br />

Probleme <strong>–</strong> die existieren, faktisch und allgemein.<br />

Aber wenn man von Ansprüchen spricht,<br />

so ist diese Formulierung im Grunde viel, viel<br />

präziser. <strong>Ein</strong> Anspruch existiert erst, wenn er<br />

von einer Person formuliert wird. Der Anspruch<br />

existiert also nicht ohne das Subjekt.<br />

MC Könntest du mir das bitte an einem<br />

Beispiel erklären?<br />

DK Wenn man jetzt also sagt, das Problem<br />

bei Tischen sei, dass sie immer 75 cm hoch<br />

sein müssten, da es sonst nicht ergonomisch<br />

sei, so empfinde ich solche Aussagen als totalen<br />

Quatsch. Leute wie Neufert oder auch Le<br />

Corbusier haben mit der Normung begonnen,<br />

indem sie die ganze Welt vermessen und standardisiert<br />

haben. Solche Nachschlagewerke<br />

können als Orientierung sehr hilfreich sein.<br />

Doch dadurch entsteht natürlich eine standardisierte<br />

Welt. Solch eine standardisierte Welt<br />

ist meiner Meinung nach nicht immer Ausdruck<br />

und Umsetzung des bestmöglichen Designs<br />

für die jeweilige Situation. Man kommt<br />

viel weiter damit, wenn man von konkreten<br />

Ansprüchen spricht und diese wahrnimmt.<br />

Im Grunde haben wir unsere Ansprüche an Dinge,<br />

die für uns, also vor allem für Philipp und<br />

mich, maßgeblich für die Gestaltung unserer<br />

Produktentwürfe sind. Wir fertigen diese Produkte<br />

nach unseren eigenen Ansprüchen. Und<br />

wir haben das Glück, dass es relativ viele Menschen<br />

gibt, die ähnliche Ansprüchen haben wie<br />

wir und nur deshalb können wir unsere Produkte<br />

in Serie verkaufen. Wir entsprechen also<br />

irgendeinem Milieu.<br />

164<br />

165


Gegenständliches Daniel Klapsing & Philipp Schöpfer Produkt<br />

Design<br />

45Kilo<br />

Menschliches<br />

MC Oder wir sprechen an dieser Stelle von<br />

sehr menschlichen Ansprüchen, die<br />

ihr konkret wahrnehmt und in lösungsorientierte<br />

Produkte übersetzt?<br />

DK Die Formulierung von Ansprüchen<br />

bringt uns viel weiter, denn die Gestaltung ist<br />

letztendlich immer für Menschen. Und die Frage<br />

ist, ob deine Arbeit als Designer deinen<br />

Kunden glücklich macht und zufrieden stellt.<br />

Dabei entsteht wiederum die Frage, wie gut<br />

man solch einen Anspruch tatsächlich einlösen<br />

kann. Es kann ja auch der Anspruch bestehen,<br />

dass ein Möbelstück möglichst günstig<br />

sein sollte. Wir könnten unseren Tisch sicher<br />

auch noch billiger produzieren. Aber an dieser<br />

Stelle greift hingegen unser eigener Anspruch,<br />

dass die Funktion ohne die Ästhetik und eine<br />

hochwertige Materialität nicht ausreicht. Am<br />

Ende möchten wir eigentlich nur, dass der<br />

Mensch mit unseren Entwürfen zufrieden ist<br />

und dass seine Ansprüche befriedigt werden.<br />

Customized Design sozusagen. Mit diesem Anspruch<br />

an die eigene Arbeit erlangt man eine<br />

ganz andere Perspektive auf Design. Dann geht<br />

es nicht mehr nur um den Künstler, der seine<br />

Visionen verwirklichen will und automatisch<br />

alles was er macht irgendwie geil ist und schick.<br />

Nein, dann geht es doch viel eher um eine<br />

Dienstleistung, das Handwerk, Mitdenken,<br />

Menschenverstand, Freundlichkeit, Respekt<br />

für den Geschmack und die Bedürfnisse des anderen.<br />

Und was dann nicht ganz so schön wird,<br />

kommt halt einfach nicht auf die Homepage.<br />

Die Formulierung von<br />

Ansprüchen bringt uns<br />

viel weiter, denn die Gestaltung<br />

ist letztendlich<br />

immer für Menschen.<br />

PS<br />

MC<br />

DK<br />

PS<br />

Sag mal, isst du eigentlich Fleisch?<br />

Als Thüringerin bleibt mir ja kaum etwas<br />

anderes übrig. Ich müsste wahrscheinlich<br />

frische Bratwürste bei meinem<br />

nächsten Besuch mitbringen.<br />

Oh man, dass wäre super.<br />

Wie in alten Zeiten.<br />

Wir sind uns einig.<br />

166<br />

167


Gegenständliches * ›ZEITmagazin‹ Smart phone Über eine moderne Symbiose<br />

Menschliches<br />

*Mensch und<br />

Smartphone<br />

passen einfach<br />

gut zusammen.<br />

[...]<br />

Kein Wunder<br />

dass wir es<br />

kaum noch aus<br />

der Hand<br />

legen.


Architektur<br />

Arbeitskultur


Architektur<br />

Im Gespräch mit Elisabeth Pélegrin-Genel<br />

<strong>Open</strong><br />

Space<br />

Arbeitsraum als Lebensraum<br />

Arbeitskultur<br />

MC<br />

EP<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Elisabeth Pélegrin-Genel<br />

Ich streife an einer langen Reihe sauber geordneter Bücher entlang<br />

und lasse mich leiten von den Titeln auf dem Buchrücken.<br />

Kleine Bände wechseln sich mit dicken Büchern, bunte Zierde<br />

mit klassischer Neutralität ab. Mein schweifender Blick bleibt<br />

haften an einem leicht ausgefransten Buchrücken, dessen Betitelung<br />

in schwarzen Serifenlettern auf grauem Grund meine<br />

Aufmerksamkeit erregt. „The <strong>Office</strong>“ steht da geschrieben.<br />

Passt zum Thema denke ich mir und greife danach. Ich kehre<br />

<strong>zur</strong>ück an meinen Arbeitsplatz im dritten Stock der Bibliothek<br />

der Bauhaus-Universität Weimar und beginne in dem Buch aus<br />

dem Jahre 1996 zu lesen. Schnell wird mir klar, dass ich einen<br />

reichen Schatz an Informationen aus diesem Buch für meine<br />

eigene Recherche verwenden können werde. Da ist es, dieses<br />

kribbelnde Glücksgefühl in der Magengegend im Moment des<br />

Findens nach einer langen Suche nach Inspiration. Und in diesem<br />

Buch fand ich sie bereits auf der ersten Seite.<br />

Ich versuche den Namen der Autorin Elisabeth Pélegrin-Génel<br />

im Internet aufzustöbern und finde weitere Texte mit spannendem<br />

Titel. Sie sind alle in französischer Sprache. Umso schöner<br />

denke ich mir und beginne francophon-verliebt darin zu stöbern.<br />

Aus einer kurzen Beschreibung erfahre ich, dass Pélegrin-Genel<br />

derzeitig eine Publikation zu dem Thema „<strong>Open</strong> Space“<br />

verfasst, welche noch im Herbst, spätestens aber bis zum<br />

Ende des Jahres 2015 veröffentlicht werden sollte. Ich fühle<br />

mich, als säßen wir gleichzeitig am selben Manuskript und werde<br />

neugierig auf die aktuellen Recherchen meiner vermeintlich<br />

Verbündeten. Warum sollten wir also nicht zusammenarbeiten?<br />

Ohne lange darüber nachzudenken kontaktiere ich Elisabeth<br />

Pélegrin-Genel und bitte sie um einen gegenseitigen Austausch.<br />

Im Anhang würde sie ein Bild von mir finden <strong>–</strong> wie ich mit einem<br />

breiten Grinsen vor einer langen Regalreihe stehend <strong>–</strong> ihr Buch<br />

„The <strong>Office</strong>“ in der Hand haltend, liebe Grüße von Weimar nach<br />

Paris sende. Von Schreibtisch zu Schreibtisch.<br />

Wenig später würde ich an einem anderen Schreibtisch sitzen.<br />

In einer Agentur in Berlin und meine Mittagspause darauf verwenden,<br />

mit einer attraktiven Französin mit grauem Haar bis<br />

zum Kinn <strong>–</strong> eben so, wie man sie aus den Filmen kennt <strong>–</strong> auf<br />

Skype über die Qualität von Arbeitsräumen, die Tendenzen unserer<br />

modernen Arbeitskultur und die Bedeutung von<br />

Raum-Mensch-Beziehungen zu fachsimplen.<br />

In ihr finde ich eine inspirierende Gesprächspartnerin. Als Architektin<br />

und Teilhaberin eines Architekturbüros in Paris, setzt sie<br />

sich seit vielen Jahren mit der Wirkung von Räumen auf den Menschen<br />

auseinander und wirbt für einen bewussteren Umgang und<br />

eine klarere Umsetzung menschlicher Bedürfnisse in der Architektur.<br />

Aus diesem Interesse heraus machte sie eine Ausbildung<br />

<strong>zur</strong> Psychologin und spezialisierte sich mit einem Master in Arbeitspsychologie.<br />

Heute vereint sie beiden Passionen in ihrer<br />

Forschung über den Arbeitsraum als Lebensraum, der Kunst des<br />

Lebens im Büro und im urbanen Raum.<br />

Architektur <strong>–</strong> Mensch<br />

MC Wie kam es zu Ihrem ausgeprägten Interesse<br />

an der Beziehung zwischen<br />

Mensch und Architektur?<br />

EP Es ist wichtig, die Zusammenhänge<br />

zwischen den menschlichen Bedürfnissen und<br />

der Notwendigkeit ihrer Beantwortung mit Hilfe<br />

der Architektur zu verstehen. Das eigene<br />

Ego des Architekten sollte dabei in den Hintergrund<br />

treten, denn es ist nicht der Architekt<br />

selbst, der später in seinem Entwurf leben<br />

oder arbeiten wird. Es ist also die Aufgabe des<br />

Architekten, die Bedürfnisse einer sogenannten<br />

Zielgruppe zu hinterfragen und zu interpretieren,<br />

um daraus eine Architektur abzuleiten,<br />

welche diese Bedürfnisse erfüllt.<br />

Arbeitsplatz<br />

MC Welche Kriterien oder welche Bedürfnisse<br />

beeinflussen Ihrer Meinung<br />

nach die Gestaltung von kreativen<br />

Arbeitsräumen?<br />

EP Ich denke im Allgemeinen lässt sich<br />

sagen, dass kaum über Kreation oder Kreativität<br />

nachgedacht wird, wenn es um die Auswahl<br />

der Büroeinrichtung geht. In klassischen Büroräumen<br />

wird dem Arbeitsplatz als Platz der<br />

Kreativität und Produktion nicht viel Beachtung<br />

geschenkt.<br />

Trotzdem erwarten Unternehmen ein extrem<br />

hohes Engagement von ihren Mitarbeitern. Sie<br />

fordern ihre Kompetenz, Intelligenz und Konzentration.<br />

Doch zum Ausgleich wird den einfachsten<br />

Dingen häufig keine Beachtung geschenkt.<br />

Mitarbeiter haben das Bedürfnis<br />

nach Veränderung und möchten <strong>Ein</strong>fluss auf<br />

ihren Arbeitsraum nehmen. Das sind Forderungen,<br />

die sich leicht erfüllen ließen, aber<br />

noch immer nicht im normalen Arbeitsalltag<br />

der Unternehmen angekommen sind.<br />

Dekoration & Motivation<br />

MC Glauben Sie also, dass die Unternehmen<br />

ihren Mitarbeitern mehr Freiräume<br />

zugestehen sollten, um ihren Bedürfnissen<br />

gerecht zu werden?<br />

EP Natürlich gibt es auch große Unternehmen,<br />

die dieses Thema sehr ernst nehmen<br />

und Recherchen betreiben, um ihren Mitarbeitern<br />

ein möglichst gutes, komfortables Arbeitsklima<br />

zu ermöglichen. Google zum Beispiel.<br />

Aber wenn es tatsächlich die Diskokugel<br />

ist, die dem Angestellten ein gutes Gefühl ver-<br />

172<br />

Aus dem Französischem übersetzt von Marie-Christin Stephan<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

173


Architektur<br />

Elisabeth Pélegrin-Genel <strong>Open</strong> Space<br />

Arbeitsraum als Lebensraum<br />

Arbeitskultur<br />

mitteln soll, dann ist auch dies zu hinterfragen.<br />

Solche Konzepte sollen Lust machen, auf Arbeit<br />

zu gehen, möglichst viel Zeit im Unternehmen<br />

zu verbringen und so viel wie möglich zu<br />

arbeiten. Quasi am besten gar nicht mehr den<br />

Arbeitsplatz zu verlassen.<br />

Man muss sich in Acht nehmen, vor all den Dingen,<br />

die einen glauben lassen wollen, dass die<br />

Arbeitssituation und das Umfeld großartig seien.<br />

Ich denke all diese Versprechungen sind<br />

falsch. Man darf die Dekoration nicht mit der<br />

<strong>Ein</strong>richtung verwechseln. Die eigene <strong>Freiheit</strong><br />

in der Arbeit selbst ist sehr viel wichtiger als<br />

jedes Dekor.<br />

MC Ich nehme an, es ist diese Entwicklung<br />

innerhalb der modernen Bürogestaltung,<br />

die Sie in ihrem Text ,Fun ou pas<br />

fun? Efficacité et aménagement(s)’ <strong>–</strong><br />

Spaß oder kein Spaß. Effizienz und<br />

<strong>Ein</strong>richtung(en) <strong>–</strong> mit dem Ausspruch:<br />

„un décor qu’il évoque Disneyland“ <strong>–</strong><br />

<strong>Ein</strong>e Dekoration, die an Disneyland erinnert<br />

<strong>–</strong> kritisieren wollten?<br />

EP Ja, denn wenn Sie so möchten: ich<br />

denke nicht, dass wir ins Büro gehen um Kicker<br />

oder Tischtennis zu spielen. Mit solchen Angeboten<br />

versuchen die Unternehmen ihre Räumlichkeiten<br />

freundlicher zu gestalten und ihre<br />

Mitarbeiter zu motivieren. Aber ich denke<br />

nicht, dass wir unsere Arbeitsplätze in einen<br />

Spaßpark verwandeln sollten. Sie beantworten<br />

nicht die Problemstellungen der Raumfrage.<br />

Vielmehr sollte man den Angestellten die<br />

Möglichkeit und das Vertrauen einräumen,<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf ihren Arbeitsraum nehmen zu dürfen<br />

und aktiv selbst mitzugestalten.<br />

Tätigkeitsspielraum<br />

MC Glauben Sie, dass es die Motivation in<br />

größerem Maße steigert, wenn man<br />

auch in klassischen Büros die Möglichkeit<br />

bekäme, seinen Arbeitsplatz<br />

selbst gestalten zu dürfen?<br />

EP Ich denke es wird vor allem wichtig,<br />

wenn es zum Beispiel um die Position des<br />

Schreibtisches geht. Bevorzugt man es aus<br />

dem Fenster zu schauen, oder hat man das<br />

Licht lieber von der Seite? Sitzt man ungern<br />

mit dem Rücken <strong>zur</strong> Tür? Möchte man nicht direkt<br />

gegenüber einer anderen Person sitzen?<br />

Dies sind wichtige Fragen, die ein jeder gern<br />

selbstbestimmt beantworten würde, doch<br />

meistens wird man hierzu nicht befragt, sondern<br />

auf einen leeren Stuhl gesetzt, samt vorgefertigter<br />

Aussicht und Tischnachbarn.<br />

MC Es geht Ihnen also um erweiterte Tätigkeitsspielräume<br />

für den Angestellten?<br />

EP Die Räumlichkeit allein hat keinen <strong>Ein</strong>fluss.<br />

Es ist der Raum in Verbindung <strong>zur</strong> Arbeit.<br />

Und die Arbeit betrifft die Arbeitsweise und<br />

die Verteilung von Verantwortlichkeiten. Besitze<br />

ich eine gewisse <strong>Freiheit</strong> in meiner Tätigkeit?<br />

Darf ich Entscheidungen selbstständig<br />

treffen?<br />

Architektur und Proportion<br />

MC An dieser Stelle möchte ich gern Bezug<br />

auf einen Artikel von Ihnen zum Thema<br />

'Räumlichkeit und Atmosphäre’ nehmen.<br />

Sie messen darin der Architektur<br />

eine größere Bedeutung zu als der Inneneinrichtung.<br />

EP Das ist genau das, wovon ich vorher<br />

gesprochen habe. Ich denke ein Raum <strong>–</strong> egal<br />

für welche Art von Örtlichkeit: ob Büro, Öffentliches<br />

Gebäude oder Privathaus- sollte schön,<br />

hell und großzügig sein. Er sollte <strong>zur</strong> Bereicherung<br />

seiner Bewohner beitragen. Er sollte einladend<br />

sein.<br />

Außerdem sollte der Raum eine Atmosphäre<br />

haben, die voranträgt. <strong>Ein</strong>e Atmosphäre, die<br />

weder durch Traurigkeit erdrückend wirkt oder<br />

durch ihre Transparenz verunsichert. Ich spreche<br />

von einer Atmosphäre, die selbst nach<br />

mehreren Stunden der Arbeit das Gefühl hinterlässt,<br />

es sei kaum Zeit vergangen. Wir sprechen<br />

also von einer Wohlfühlatmosphäre.<br />

Wohlfühlen<br />

MC Welche Rolle spielt die Atmosphäre<br />

eines Raumes?<br />

EP Jeder Raum löst eine Empfindung, ein<br />

Wohlbefinden oder aber ein Unbehagen in uns<br />

aus - bereits im ersten Moment, wenn wir ihn<br />

betreten. Das ist überall der Fall. Das ist nicht<br />

auf ein Büro beschränkt. Wenn man an einen<br />

Ort kommt, an dem man sich gut fühlt, der gemütlich,<br />

einladend und freundlich erscheint,<br />

so lässt sich dieses Gefühl nicht immer an bestimmten<br />

Details festmachen. Es ist also<br />

wichtig, dass wir Räume aufsuchen, in denen<br />

wir uns wohlfühlen, um kreativ tätig sein zu<br />

können. Aber Räumlichkeit kann vieles sein.<br />

Der Raum selbst macht viel aus, aber er kann<br />

auch täuschen. Ich denke er möchte auch einen<br />

Diskurs aufrechterhalten. Ich meine <strong>–</strong> na-<br />

türlich kann ein Raum nicht sprechen- aber auf<br />

eine gewisse Art und Weise sagt er etwas aus<br />

und evoziert eine Emotion in uns. Auch seine<br />

Größe und seine Proportionen sind aktive Teilnehmer<br />

an diesem Gespräch.<br />

Raumkriterien<br />

MC Im Laufe meiner Recherchen habe ich<br />

Kreative in ihren Studios besucht und<br />

mir für die Befragung eine Liste von<br />

Raumkriterien erarbeitet. Wie schätzen<br />

Sie also folgende Aufstellung meiner<br />

Raumkriterien ein? Licht, Deckenhöhe,<br />

Bodenbelag, Technische<br />

Ausstattung, <strong>Ein</strong>richtung, Akustik, Dekoration,<br />

Pflanzen und zum Schluss <strong>–</strong><br />

die Aussicht. Welche Raumkriterien<br />

empfinden Sie als essentiell wichtig<br />

für die Raumgestaltung eines einladenden<br />

Arbeitsplatzes?<br />

EP Das ist schwer zu sagen, denn es ist<br />

wie in jedem Fall: Es hängt davon ab, was man<br />

macht. Ist es ein Ort, an dem man täglich viele<br />

Stunden verbringt um zu arbeiten oder ist es<br />

ein Raum, den man nur für ein bis zwei Stunden<br />

in unregelmäßigem Abstand betritt? Ist es ein<br />

Ort, an dem man sich allein aufhält oder ist es<br />

ein Ort, den man mit anderen teilt?<br />

Diese Fragen können ihre Liste komplett auf<br />

den Kopf stellen. Deshalb würde ich wahrscheinlich<br />

zusätzlich den Faktor der „Distanz“<br />

hinzufügen. Sitzen die Leute eng nebeneinander,<br />

sind sie weit voneinander entfernt? Sind<br />

sie zu nah? Sind sie zu weit voneinander entfernt?<br />

Wenn sich mehrere Leute einen Raum<br />

teilen, ist es sehr schwierig die Distanzen auszumachen<br />

und gut umzusetzen.<br />

Wenn sie zusammenarbeiten sollen, sollten<br />

sie nicht zu weit voneinander entfernt sitzen.<br />

Doch wenn man zu dicht platziert ist, kann es<br />

sehr einengend und störend wirken. Die andere<br />

Person ist dann zu präsent im eigenen Intimitätsbereich.<br />

Das ist also auf jeden Fall ein<br />

wichtiger Punkt, den Sie der Liste noch hinzufügen<br />

könnten.<br />

Denn die erste und wichtigste Qualität eines<br />

Arbeitsraumes ist es, uns nicht bei der Arbeit<br />

zu stören oder uns gar von der Arbeit abzuhalten.<br />

Deshalb sollte der Raum selbst nicht noch<br />

weitere Störfaktoren hinzufügen. Die Arbeit<br />

selbst sorgt häufig schon für ausreichend Herausforderungen,<br />

Mühen, Ärger oder Stress.<br />

Ansprüche<br />

MC Welche alltäglichen Ansprüche müssen<br />

von einem Arbeitsraum erfüllt<br />

werden?<br />

EP Es gibt alle möglichen Formen der Arbeit<br />

und unterschiedliche Aufgabengebiete.<br />

Es können viele unterschiedliche Dinge in einem<br />

Raum passieren. Es gibt Momente der<br />

stillen Konzentration, der Gruppenarbeit oder<br />

der lauten Produktion. Doch stets bleibt die<br />

Frage bestehen, ob der Arbeitsraum auf diese<br />

unterschiedlichen Tätigkeiten und ihre Bedürfnisse<br />

die passende Antwort findet.<br />

Zur Frage der Akustik beispielsweise: Hört<br />

man alles und hört mich jeder? Höre ich was<br />

die anderen besprechen? Es muss ja nicht immer<br />

störend sein, sondern kann einem einen<br />

guten Überblick darüber verschaffen, was gerade<br />

so im Büro geschieht. Das ist auch wichtig,<br />

vor allem im Fall von Praktikanten. Sitzt<br />

ein Praktikant allein und isoliert in einem<br />

Raum, so wird er wesentlich länger brauchen<br />

um zu verstehen, zu lernen und zu entschlüsseln,<br />

wie die Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen<br />

innerhalb eines Unternehmens funktionieren.<br />

Ich denke also, wichtig ist die<br />

Kenntnis darüber, dass man sich nicht allein in<br />

einem Raum befindet.<br />

Diese Distanz regeln zu können ist jedoch sehr<br />

wichtig. Vor allem da nicht jeder Tag wie der<br />

andere ist. An einem Tag zieht man sich eher<br />

hinter seine Arbeit <strong>zur</strong>ück und möchte am<br />

liebsten nicht angesprochen werden, an einem<br />

anderen Tag fühlt man sich in Bestform und<br />

hat Lust mit den Kollegen zu quatschen und<br />

sich auszutauschen.<br />

Kommunikation<br />

MC Glauben Sie, dass die Digitalisierung<br />

dazu führt, dass die Arbeit zwischen<br />

zwei Personen noch unpersönlicher<br />

geworden ist?<br />

EP Das gemeinsame Arbeiten ist nicht nur<br />

unpersönlicher geworden, sondern hat auch<br />

ein neues Gesicht bekommen. Die Menschen<br />

machen 36 Dinge auf einmal. Sie schauen auf<br />

ihr Telefon, sie versenden Textnachrichten und<br />

viele andere Dinge <strong>zur</strong> selben Zeit und somit<br />

ist es sehr schwer geworden, die Aufmerksamkeit<br />

von den Leuten einzufangen und konzentriert<br />

mit ihnen zusammenarbeiten zu können.<br />

Natürlich ist das Senden von Nachrichten auch<br />

immer eine Form des gemeinsamen Arbeitens,<br />

aber letztlich verbleibt diese Kommunikation<br />

auf digitaler Ebene und man arbeitet nicht<br />

wirklich zusammen. Was mich an dieser Stelle<br />

sehr verwundert, ist das selbst in den Großraumbüros<br />

von heute <strong>–</strong> die auf Kommunikation<br />

ausgerichtet sind- zum Schluss jeder allein vor<br />

seinem Bildschirm sitzt. Die Leute werden von<br />

ihren Bildschirmen absorbiert.<br />

Es fehlt uns an Räumen, die eine Zusammenarbeit<br />

fördern. Und so sehen wir viele kleine,<br />

individuelle Blasen, Seite an Seite sitzen, anstatt<br />

eine Gemeinschaft, die gemeinsam etwas<br />

erschafft. Also müssen wir uns die Frage<br />

stellen: Wie können wir Räumlichkeiten erschaffen,<br />

die es uns erlauben in einer Gruppe<br />

von mehreren Leuten zu arbeiten und gleichzeitig<br />

die Bedürfnisse der Gruppenmitglieder<br />

erfüllt? Denn bisher verbleibt noch immer jeder<br />

in seiner eigenen Blase.<br />

MC Wie könnte solch ein Raum aussehen?<br />

EP Die Antwort könnte sein, auf die Suche<br />

zu gehen nach Orten, wie bspw. dem Coworking<br />

und zu untersuchen, wie diese Orte funktionieren.<br />

Trotz allem, an diesen Orten existiert<br />

nicht derselbe Druck oder dieselben<br />

Hierarchien wie in einem gewöhnlichen Unternehmen.<br />

Coworking: <strong>Freiheit</strong><br />

EP Was interessant ist am Konzept des<br />

Coworking, ist die große <strong>Freiheit</strong>, die jedem<br />

<strong>Ein</strong>zelnen <strong>zur</strong> Verfügung steht. Man hat die<br />

Möglichkeit sich an unterschiedliche Orte zu<br />

begeben. Man beginnt den Arbeitstag wann<br />

man möchte und ist unabhängig. Doch eben<br />

diese Unabhängigkeit ist gleichzeitig der Leidensgrund,<br />

aus welchem heraus sich die Leute<br />

für ein Coworking entscheiden. Sie sind dort<br />

nicht mehr nur auf sich allein gestellt, sondern<br />

können soziale Kontakte knüpfen.<br />

Coworking: Übertragbarkeit<br />

MC Wie können Unternehmen ihren Mitarbeitern<br />

die gleichen <strong>Freiheit</strong>en einräumen?<br />

EP Man kann das Konzept des Coworking<br />

nicht so ohne weiteres übertragen, aber Unternehmen<br />

können sich inspirieren lassen von der<br />

Idee des Coworking. Man könnte einer Gruppe<br />

von Angestellten ein gewisses Budget <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stellen, mit dem sie ihre Arbeitsräume<br />

selbstbestimmt gestalten dürften <strong>–</strong> das würde<br />

wirklich etwas verändern.<br />

174<br />

175


Architektur<br />

Elisabeth Pélegrin-Genel <strong>Open</strong> Space<br />

Arbeitsraum als Lebensraum<br />

Arbeitskultur<br />

Leider kommt aber die Unsicherheit für den<br />

Unternehmer hinzu, die Fluktuation ständig<br />

wechselnder Coworker nicht kontrollieren zu<br />

können. Um in ein Unternehmen aufgenommen<br />

zu werden, muss man normalerweise ein <strong>Ein</strong>stellungsgespräch<br />

führen, den Empfang passieren,<br />

eventuell sogar eine Sicherheitskontrolle.<br />

<strong>Ein</strong> Unternehmen ist immer noch ein in<br />

sich geschlossener Raum.<br />

MC In Berlin gibt es ein sehr interessantes<br />

Projekt, wo auch Unternehmen immer<br />

wieder zeitlich beschränkte Satelliten-Arbeitsplätze<br />

einrichten. Ziel ist<br />

es, die Arbeitnehmer in einem kreativen<br />

Umfeld neuen <strong>Ein</strong>flüssen auszusetzen<br />

um innovative Lösungsansätze<br />

zu entwickeln. Im Betahaus treffen<br />

auf diese Weise freie Kreative und Angestellte<br />

aus der Wirtschaft aufeinander<br />

und können voneinander lernen<br />

und häufig auch von neuen Kontakten<br />

profitieren. Ist dieses räumliche Outsourcen<br />

eventuell ein Modell, dessen<br />

sich Unternehmen bedienen können,<br />

um das Konzept des offenen Arbeitens<br />

eines Coworkings, in ihre Arbeitskultur<br />

zu integrieren?<br />

EP Ich denke es entwickelt sich zunehmend<br />

der Trend, dass Unternehmen vermehrt<br />

Arbeitsräume innerhalb von freien Coworking<br />

<strong>Ein</strong>heiten oder alternativen Arbeitsorten mieten,<br />

weil sie verstanden haben, dass am Arbeitsplatz<br />

unglaublich viele, soziale Momente<br />

stattfinden. Es wird nicht nur allein gearbeitetsondern<br />

auch in kleineren Teams oder größeren<br />

Gruppen <strong>–</strong> auch außerhalb des klassischen<br />

Meetings. Man begegnet seinen Kollegen im<br />

Flur, in der Kantine oder an der Kaffeemaschine.<br />

Aber den Unternehmen ist es nicht entgangen,<br />

dass vor allem in den Feldern von Innovation<br />

und Kreation, die Kreativität schneller<br />

gesteigert werden kann, wenn man die Leute<br />

sozusagen ins kalte Wasser wirft. Man lässt<br />

sie eintauchen, sich einfühlen in neue Räumlichkeiten<br />

und gestaltet veränderte Teamstrukturen.<br />

Allerdings lässt sich das innerhalb<br />

der festen Strukturen eines Unternehmens<br />

nicht immer realisieren.<br />

MC<br />

Coworking: Freie Arbeitszeiteinteilung<br />

Glauben sie, dass es vor allem das<br />

Recht auf eine selbstbestimmte Arbeitszeiteinteilung<br />

ist, die klassische<br />

Arbeitsmodelle vom Modell des Coworking<br />

unterscheiden?<br />

EP Das Wichtigste erscheint mir die Tatsache<br />

zu sein, dass heute eigentlich nicht mehr<br />

die Notwendigkeit besteht, sich immer am selben<br />

Ort zu befinden. Sich immer am selben Ort<br />

zu befinden, füttert die Langeweile und die Müdigkeit<br />

gegenüber der eigenen Arbeit. Allerdings<br />

macht es einen Unterschied, ob man sich<br />

über den Tag hinweg innerhalb eines Gebäudes<br />

bewegt oder ob man das Gebäude gar nicht betritt,<br />

um von einem externen Ort aus zu arbeiten.<br />

In den Niederlanden zum Beispiel, gibt es<br />

bereits viele Unternehmen, die ihren Mitarbeiten<br />

eine viel größere Aktionsfreiheit einräumen.<br />

Um nicht jeden Tag <strong>–</strong> den ganzen Tag an<br />

einen Ort gefesselt zu sein und in eine trostlose<br />

Routine zu verfallen.<br />

Routine<br />

MC Routine hat für Sie also negative Auswirkung<br />

auf kreatives Arbeiten?<br />

EP Routine kann etwas sehr Positives<br />

sein. Sie hilft, zunächst unbekannte Aufgaben<br />

später leichter und schneller zu erledigen und<br />

somit länger konzentriert bleiben zu können.<br />

Doch die Routine hat auch negative Seiten. Sie<br />

verhindert das Aufkommen von Kreativität auf<br />

Grund eines Mangels an neuen <strong>Ein</strong>drücken und<br />

Herausforderungen. Unterbricht man diese<br />

Routine bewusst von Zeit zu Zeit, kann man<br />

neue Energien freisetzen und kreative Arbeit<br />

unterstützen.<br />

MC Wie können wir (also) räumliche Lösungen<br />

finden, um dieser Routine beizukommen?<br />

EP Es ist tatsächlich verwunderlich, dass<br />

wir heutzutage in einer Gesellschaft leben, in<br />

der viel Leichtigkeit, Flexibilität und Bewegung<br />

vorherrschen. Doch an unserem Arbeitsplatz<br />

finden wir selten ein großes Maß an Mobilität<br />

vor. Im Büro bewegen wir uns nicht so<br />

viel. <strong>Ein</strong>en Tisch kann man zum Beispiel meistens<br />

nicht bewegen, weil er zu schwer ist. Warum<br />

haben wir also keine Tische, die mit Rollen<br />

ausgestattet sind, sodass wir <strong>–</strong> wenn nötig,<br />

ihre Position verändern können? So könnten<br />

wir unseren Arbeitsplatz von Zeit zu Zeit umfunktionieren,<br />

um eine Veränderung im Raum<br />

zu erzeugen. <strong>Ein</strong>fach weil es guttut, sich nicht<br />

immer am selben Ort festzusitzen. Häufig sind<br />

aber bereits solche kleinen Veränderungen<br />

nicht möglich.<br />

Gläserne Kreativgesellschaft<br />

MC Da Sie gerade die ausgeprägte Mobilität<br />

in unserer Gesellschaft ansprachen,<br />

möchte ich gern auf ein anderes<br />

Phänomen der modernen Arbeitskultur<br />

verweisen. Die moderne Architektur<br />

heutiger Büroräume ist gezeichnet<br />

von der Verwendung großer Glasflächen.<br />

Sie ersetzen geschlossene Wände<br />

und scheinen in ihrer Transparenz<br />

die objekthafte Übersetzung des heutigen<br />

Anspruches ständiger Erreichbarkeit<br />

zu sein. In einer digitalen Gesellschaft<br />

bedeutet dies, ständig per<br />

Mail oder Textnachricht, Telefon oder<br />

Social Media erreichbar zu sein. Jeder<br />

Zeit können Nachrichten und <strong>Ein</strong>flüsse<br />

von außen an den eigenen Schreibtisch<br />

dringen und uns in unserer<br />

eigentlichen Arbeit unterbrechen.<br />

Glauben Sie das solch eine Architektur<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf die Arbeitsprozesse heutiger<br />

Kreativer nimmt?<br />

EP Ich denke es gibt vor allem immer weniger<br />

intime Bereiche in den Räumlichkeiten<br />

heutiger Büros. Denn so oder so, es gibt immer<br />

mehr Kameras und Bildschirme, die überall<br />

verteilt scheinen. Man kann sich nicht mehr<br />

verstecken. Die gläserne Architektur und die<br />

Großraumbüros kommunizieren in meinen Augen<br />

vor allem eine Botschaft: Nichts wird mehr<br />

versteckt bleiben. Und alles was sie tun, ist<br />

sichtbar, kann bemessen und ausgezählt werden.<br />

Dies ist eine Entwicklung die heute vermehrt<br />

in unser Bewusstsein dringt.<br />

Digitalisierung des Privaten<br />

MC Überrascht es dann also überhaupt<br />

noch, dass viele Kreativen ihren Arbeitsplatz<br />

inzwischen in den eigenen<br />

Privatwänden einrichten?<br />

EP Was heutzutage passiert, ist, dass<br />

man das Büro ständig bei sich trägt. Es sind<br />

zwei Faktoren, die sich verändert haben. Zum<br />

Ersten: mit dem Smartphone hat man sein<br />

Büro immer bei sich, man vergisst es nie. Es ist<br />

aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken.<br />

Als wäre das Handy ein Babyschnuller, den<br />

man nicht mehr <strong>zur</strong> Seite legen könnte. Wir haben<br />

alle unseren Schnuller, das Smartphone,<br />

ohne dass wir nicht mehr einschlafen können.<br />

Und der zweite Faktor, der vieles verändert<br />

hat, sind unsere neuen Arbeitswerkzeuge. Sie<br />

177


Architektur<br />

Elisabeth Pélegrin-Genel <strong>Open</strong> Space<br />

Arbeitsraum als Lebensraum<br />

Arbeitskultur<br />

sind genauso hilfreich und anwendbar für die<br />

Arbeit wie für das Private. Ich denke dies ist<br />

eine technische Veränderung, die zu einem gesellschaftlichen<br />

Wandel innerhalb unserer Arbeitskultur<br />

geführt hat. Waren es vorher zwei<br />

Lebensbereiche, werden Arbeit und Privatleben<br />

heute oft nicht mehr in dieser Abgrenzung<br />

wahrgenommen. Diese Porösität zwischen Arbeit<br />

und Freizeit ist ein Attribut der aktuellen<br />

Entwicklung.<br />

MC Woran liegt das?<br />

EP Ich denke die Überschneidungen dieser<br />

beiden Lebensbereiche ist eine Frage der Zeit.<br />

Das will sagen, dass wir uns daran gewöhnt haben,<br />

sofort zu antworten und immer erreichbar<br />

zu sein. Auf zwar für alles und für jeden. Ob auf<br />

private Nachrichten oder geschäftliche Emails.<br />

Wir haben uns daran gewöhnt, sofort darauf zu<br />

reagieren und zu antworten.<br />

Erreichbarkeit<br />

MC Es sind also vor allem unsere Werkzeuge,<br />

die uns dem Zwang ständiger<br />

Erreichbarkeit aussetzen und somit<br />

die von ihnen bereits angesprochenen,<br />

intimen Bereiche immer kleiner werden<br />

lassen?<br />

EP Smartphones, Ipads, Computer schaffen<br />

eine durchlässige Transparenz zwischen<br />

den Arbeit - und Privatem. So wird es immer<br />

schwieriger, auf eine Sache konzentriert zu<br />

bleiben. Es findet ein ununterbrochenes Zapping<br />

statt <strong>–</strong> zwischen allen Lebensbereichen.<br />

Vieles findet gleichzeitig statt und wird nicht<br />

mehr klar voneinander getrennt. Ich denke,<br />

das verändert viel.<br />

MC Wie kann Räumlichkeit eine Antwort<br />

darauf geben?<br />

EP <strong>Ein</strong>e Reaktion darauf könnte es sein,<br />

Räume zu schaffen, die uns dabei unterstützen<br />

weniger abhängig von unseren technischen<br />

Geräten und der ständigen Kommunikation<br />

und Erreichbarkeit zu sein. Ich habe<br />

bereits von Luxushotels gehört, die Zimmer<br />

ohne WLan-Empfang anbieten. Man muss also<br />

mehr Geld bezahlen, um ein Zimmer ohne<br />

WLan-Verbindung zu mieten, als mit Internetzugang.<br />

Es könnte also ein neuer gesellschaftlicher<br />

Snobismus entstehen, der damit einhergeht,<br />

dass man es sich „leisten können muss“<br />

für zwei bis drei Tage unterzutauchen. Zu verschwinden.<br />

Ich bin nicht mehr da. Ich bin nicht<br />

zu erreichen.<br />

Digital <strong>–</strong> Analog<br />

MC Sie sprechen die Reduzierung technischer<br />

Kommunikation an. Wie bewerten<br />

Sie die zunehmende Technisierung<br />

gestalterischer Arbeit an sich?<br />

EP Natürlich helfen die modernen, technischen<br />

Werkzeuge unsere Kommunikation zu<br />

verbessern und zu beschleunigen. Wir können<br />

heute sehr schnell mit Hilfe aller Programme<br />

und Techniken die uns <strong>zur</strong> Verfügung stehen,<br />

zu neuen Ergebnissen und Entwürfen gelangen.<br />

Doch die wirkliche Arbeit der Konzeption,<br />

die dieser Umsetzung vorangestellt ist, ist<br />

trotzdem noch immer an uns selbst gebunden.<br />

Das hat sich auch in Zeiten der Digitalisierung<br />

nicht verändert. Unabhängig von Computer<br />

oder Grafikprogramm müssen wir unseren<br />

Geist anstrengen und Überlegungen zu einer<br />

Fragestellung anstellen. Es braucht eigenständiges<br />

Nachdenken in Ruhe und Abgeschiedenheit<br />

oder in einer Gruppe. Dabei geht<br />

es sogar häufig darum, in viele Richtungen zu<br />

denken, ohne sofort zu einem finalen Ergebnis<br />

zu gelangen. Vielleicht ist es das, was uns heute<br />

am meisten fehlt <strong>–</strong> die Anstrengung.<br />

MC Wie handhaben Sie selbst diese Anstrengung?<br />

EP Ich schreibe seit Jahren Artikel und<br />

Bücher. Und zu Beginn <strong>–</strong> vor vielen Jahren <strong>–</strong> da<br />

hatte ich zwar schon einen Computer, aber das<br />

war wesentlich weniger gefragt. Alles was die<br />

Konzeption betraf, die Planung und meine Gedanken,<br />

das Festhalten von Ideen, das habe<br />

ich mit Stift und Zettel festgehalten. Inzwischen<br />

schreibe ich all meine Artikel direkt auf<br />

dem Computer. Doch dies verändert nicht nur<br />

die eigene Arbeitsweise, sondern selbst die<br />

Art und Weise des Denkens, sowie den Prozess<br />

der Annäherung an ein neues Thema, an eine<br />

Kreation.<br />

MC Wie wirken sich diese Veränderungen<br />

auf Ihre Arbeit als Architektin aus?<br />

EP <strong>Ein</strong> Ansatz, der sich für mich nie geändert<br />

haben, ist das Anfertigen erster Skizzen<br />

mit Bleistift und Zeichenpapier. Ich arbeite<br />

viel mit den Händen, denn dann steht die Technologie<br />

nicht sofort zwischen mir und meiner<br />

Idee. Ich finde das spielt eine große Rolle in der<br />

Art und Weise der Kreation. Es gibt Programme<br />

und Werkzeuge um Architekten in ihrer Arbeit<br />

zu unterstützen. Doch für erste Anfertigung<br />

von Skizzen <strong>–</strong> dazu benötigt man Stift und Papier.<br />

Die Hand begleitet das Gehirn. Und erst<br />

danach überträgt man diese handgefertigten<br />

Skizzen mit Hilfe des Computers. An diesem<br />

Moment entsteht dann etwas sehr Sauberes,<br />

Perfektes. <strong>Ein</strong>e Computerskizze wirkt direkt<br />

wie ein fertig gezeichneter Plan. Doch es fehlen<br />

unter Umständen noch viele Schritte der<br />

Bearbeitung und weiterer Reflexion. Wir lassen<br />

uns von den technischen Werkzeugen all<br />

zu leicht überzeugen. Deshalb beginnt man ein<br />

Projekt nicht direkt mit dem Computer. Man<br />

beginnt immer mit den Händen. Es braucht<br />

Zeit zum Nachdenken. Fast alle Arbeitsbereiche<br />

kreativer Arbeit bleiben eng gebunden an<br />

die Reflexion und das Experimentieren. Überspringt<br />

man diese Phasen, weil man zu schnell<br />

versucht das Problem mit Hilfe des Computers<br />

zu lösen, dann hat man beinahe aufgehört zu<br />

denken.<br />

Mentale Räume<br />

MC Wie können Unternehmen in ihrer<br />

Raumgestaltung darauf reagieren?<br />

EP Es gibt eine starke Bewegung und zunehmende<br />

Forderung nach gut durchdachten<br />

Büroräumen, die nicht so trist und unpersönlich<br />

sind, wie es häufig der Fall ist. Die Tendenz<br />

geht zu einer Raumgestaltung, die beinahe an<br />

ein Café oder das eigene Heim erinnert. Doch<br />

es gibt auch viele Leute, die sagen, dass es<br />

eben jene letzten Distanzen sind, die uns helfen<br />

eine schützende Mauer aufrecht zu erhalten.<br />

Symbolische Mauern - zwischen dem Büro<br />

und dem Privatem. Mentale Mauern zwischen<br />

Privatleben und meinem Leben im Büro.<br />

Es hilft die Idee zu konservieren, dass ich im<br />

Büro bin. Das hält die Vorstellung aufrecht,<br />

dass ich, wenn ich das Büro verlasse, im selben<br />

Moment auch die Arbeit hinter mir <strong>zur</strong>ücklasse.<br />

Externe Räume<br />

MC Auch mir hilft es, meinen persönlichen<br />

Alltag dank eines externen Arbeitsraumes<br />

von meinem Berufsalltag zu<br />

trennen. Was glauben Sie: Steigert ein<br />

externer Arbeitsraum die Kreativität<br />

und fördert die Produktivität?<br />

EP Was amüsant ist, ist der Erfolg des Zuges.<br />

Der Zug ist ein Ort des Arbeitens geworden<br />

<strong>–</strong> ein rollendes Büro. Züge werden immer, immer<br />

stiller. Die Leute reden weniger und weniger.<br />

Denn inzwischen gibt es so viele Leute, die ihre<br />

Nase in ihren Bildschirm stecken. Was ich an<br />

dieser Idee so interessant finde ist, dass der<br />

Zug ein absolut neutraler Ort ist. Es ist ein Ort,<br />

wo sie theoretisch niemand stören wird. Die<br />

meisten schalten sogar ihr Telefon aus, um die<br />

anderen reisenden Arbeiter nicht zu stören.<br />

Als wären die Passagiere freiwillige Gefangene<br />

an einem Ort, wo man alleine ist und arbeiten<br />

kann. Viele Leute behaupten, dass sie im Zug<br />

am besten arbeiten können.<br />

MC Mir geht es da ganz genauso. Man ist<br />

niemals gebremst in seinen Ideen, da<br />

man stets in Bewegung bleibt und es<br />

keinen Moment des Stillstandes zu<br />

geben scheint <strong>–</strong> und somit auch nicht<br />

in der eigenen Arbeit.<br />

EP Ganz genau. Ihre Frage lautete ja: Was<br />

führt dazu, dass ein Raum die Inspiration und<br />

die Kreativität fördert? Ich habe die Tendenz<br />

dazu, ihre Frage so zu beantworten: Es handelt<br />

sich nicht ausschließlich um einen Raum. Die<br />

Besonderheit des Zuges ist die Ungestörtheit.<br />

<strong>Ein</strong>e Anonymität unter vielen Mitreisenden,<br />

die es einem erlaubt, in der eigenen Blase zu<br />

versinken und kreativ zu werden. Das ist der<br />

Moment, in dem wir andere, neue Arten des<br />

geistigen Denkens entwickeln, weil es keine<br />

Ablenkung von außen gibt. Es ist ein Ort, wo<br />

die Räumlichkeit einer Idee letztlich ebenso<br />

durch zeitliche Beschränkungen gemessen<br />

wird?<br />

Deshalb denke ich, dass eine weitere wichtige<br />

Frage ihrer Arbeit sein sollte: Wie teilt man<br />

sich seine Zeit ein? Wie muss ein Raum gestaltet<br />

sein, um besser die Zeit kontrollieren zu<br />

können? Das spielt eine enorm große Rolle in<br />

jedem kreativen oder nicht kreativen Arbeitsprozess.<br />

Ohne Empfang<br />

MC Wie kann man Kreative räumlich unterstützen,<br />

diese Zeiteinteilung besser<br />

strukturieren zu können?<br />

EP Ich bin davon überzeugt, dass abgeschottete<br />

Räumlichkeiten an Bedeutung zunehmen<br />

werden. Damit meine ich Räume, die<br />

von allen Kommunikationskanälen abgetrennt<br />

sind. Es gibt bereits große Unternehmen, die<br />

diesen Weg beschreiten und somit einen Trend<br />

vorzeichnen könnten. Manche Unternehmen<br />

bitten ihre Mitarbeiter das Handy am Empfang<br />

abzugeben oder sie richten einen Freitag ohne<br />

E-Mailverkehr ein. Die Leute sind dann wieder<br />

viel konzentriert in ihrer Arbeit, machen Dinge<br />

gemeinsam und der persönliche Austausch<br />

wird dadurch wieder mehr gefördert. Vielleicht<br />

ist dies eine der Neuheiten, die wir an unseren<br />

zukünftigen Arbeitsplätzen auffinden werden.<br />

Kein magischer Raum<br />

MC Die Frage würde also nicht länger heißen:<br />

Was macht einen Raum zum perfekten<br />

Arbeitsraum? Sondern…<br />

EP Ich denke wir sind uns darüber einig,<br />

dass es keinen "magischen Ort" gibt. Die Arbeitsfelder<br />

sind zu unterschiedlich, die Arbeitsweisen<br />

jedes <strong>Ein</strong>zelnen sind zu verschieden,<br />

um alle Bedürfnisse auf einen fixen Raum<br />

herunterbrechen zu können.<br />

Viel entscheidender ist die Frage: Habe ich die<br />

Möglichkeit zwischen sehr unterschiedlichen<br />

Räumen zu wählen? Und habe ich die Kontrolle<br />

darüber? Das bedeutet: Habe ich Kontrolle<br />

über meine Zeiteinteilung und über die räumliche<br />

Distanz zu anderen Menschen im Raum?<br />

Mobile <strong>Office</strong><br />

MC Die wohl umfangreichste Kontrolle<br />

über das eigene Arbeitsumfeld bietet<br />

wohl noch immer das Mobile <strong>Office</strong>.<br />

Wie schätzen Sie die Bedeutung dieses<br />

Raummodells in der heutigen Arbeitswelt<br />

ein?<br />

EP Wir können inzwischen überall arbeiten,<br />

doch manchmal ist das komplizierter als<br />

im Büro tätig zu sein. Für viele Leute ist das<br />

Büro oder ein fester Arbeitsplatz vergleichbar<br />

mit einer Blase. Sie ermöglicht es ihnen, ihr Leben<br />

innerhalb dieser Strukturen leichter zu<br />

ordnen. Außerdem stellt sich die Frage: Warum<br />

gehen wir jeden Tag ins Büro? In den meisten<br />

Fällen erscheinen wir täglich auf Arbeit, weil<br />

es so von uns erwartet wird. Weil es Vorgesetzte<br />

gibt, die darauf bestehen. Für sie ist es auf<br />

diese Weise also praktischer. Doch stellen sie<br />

sich häufig nicht die Frage, ob dieser Zustand<br />

auch für jeden Mitarbeiter praktisch oder produktiv<br />

ist. Aber die Frage ist nicht ausschließlich<br />

mit der zu verrichtenden Arbeit allein zu<br />

beantworten. Wenn es allein darum ginge,<br />

dass wir auf Arbeit gehen um zu arbeiten, dann<br />

könnten wir auch im Café um die Ecke arbeiten<br />

oder im Wohnzimmer auf dem Sofa. während<br />

man die Kinder hütet. Doch letztlich gehen wir<br />

ins Büro, um täglich aktuelle Informationen zu<br />

erhalten, auf dem Laufenden zu bleiben und zu<br />

wissen was im Büro passiert. Wir gehen ins<br />

Büro um uns zu zeigen, zu zeigen, dass wir<br />

existieren.<br />

Austausch<br />

MC Um zu zeigen, dass wir existieren und<br />

um im direkten Gespräch mit den Kollegen<br />

einen besseren Austausch untereinander<br />

zu praktizieren.<br />

EP Genau und das passiert auf ganz natürliche<br />

Weise. Man begegnet einem Kollegen<br />

im Gang und spricht ihn unvermittelt auf ein<br />

Projekt an. Zu Beginn war es in Büros nicht<br />

gern gesehen, wenn sich Mitarbeiter länger als<br />

nötig in den Gemeinschaftsräumen unterhalten<br />

haben. Es hat eine ganze Weile gedauert,<br />

bis die Unternehmen begriffen haben, dass die<br />

Menschen viele Dinge außerhalb ihres abgeschlossenen<br />

Bürotüren regeln und kommunizieren.<br />

Vor allem in den Fluren, in der Kaffeeküche<br />

oder in der Kantine werden auf<br />

unbefangene Weise Probleme angesprochen<br />

und geklärt.<br />

MC An dieser Stelle übernimmt das Unternehmen<br />

oder das Büro also seine Verantwortung<br />

in der Rolle als kommunikativer<br />

Ort und verbleibt somit<br />

weiterhin produktiver Treffpunkt?<br />

EP Es handelt sich um mehr als nur die<br />

soziale Facette. Denn es beinhaltet auch, dass<br />

Sie Ihre Kollegen besser kennenlernen. Das<br />

stärkt das Vertrauen, den Zusammenhalt und<br />

somit auch die Qualität eines ganzen Teams.<br />

Wir gehen ins Büro<br />

um uns zu zeigen,<br />

zu zeigen, dass wir<br />

existieren.<br />

178<br />

179


Architektur<br />

Philipp Oswald, Bettina Vismann mit Fotografie von Marie-Christin Stephan<br />

Arbeitskultur<br />

<strong>Ein</strong>e Architektonische (Dis)Position<br />

*Die Suche nach Gebäuden, die für eine Vielzahl<br />

von Nutzern gleichermaßen brauchbar sind,<br />

führt Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Auflösung<br />

innenräumlicher Struktur und <strong>zur</strong> Reduktion<br />

des Gebäudes auf Geschoßflächen,<br />

Infrastruktur und Hülle. Es erwies sich als unmöglich,<br />

eine Räumlichkeit zu definieren, die für<br />

verschiedenste Nutzer und über Jahrzehnte gleichermaßen<br />

gültig ist. Von nun an war es, im Bürobau<br />

nicht mehr die Aufgabe des Architekten,<br />

Räume zu schaffen, sondern auf möglichst effiziente<br />

Weise neutrale und mit Infrastruktur erschlossene<br />

Territorien zu erstellen.<br />

[…]<br />

Als architektonisches Dispositiv wird der umschlossene<br />

Raum von der Fläche abgelöst, wie<br />

auch die Terminologie des Bürobaus belegt. Man<br />

spricht heute von Flächenbedarf, von Nutz -,<br />

Funktions- und Verkehrsfläche.<br />

[…]<br />

Die DIN 4543 -1 von 1994 für Büroarbeitsplätze<br />

versucht mit der Aufteilung in Arbeits-,Stell- und<br />

Wirkfläche die Benutzung und Aufstellung von<br />

Büromobiliar zu normieren. Ausgehend von der<br />

Mindestfläche eines Tisches (1,28 m 2 ) und der<br />

Benutzerfläche, die sich wiederum nicht mit<br />

Stell-, Funktions- oder Verkehrsfläche überschneiden<br />

sollte, wird sie zu einer Abstandsflächenregelung<br />

des Mobiliars. Die Planer erstellen<br />

'Layouts', Flächennutzungspläne für das Büro,<br />

die Terrains für die verschiedenen Aufgaben<br />

erschließen." 1<br />

1 Philipp Oswald, Bettina Vismann:<br />

Das Büro ohne Eigenschaften. In : Ernst<br />

Neufert: Normierte Baukultur im 20. Jahrhundert.<br />

Stiftung Bauhaus Dessau, Walter<br />

Prigge [Hrsg.]. Frankfurt, 1999. http://<br />

www.oswalt.de/de/text/txt/office_p.html.<br />

Stand: 12.11.2015.<br />

Das Büro ohne Eigenschaften oder: Wie ein Bürogebäude entsteht<br />

Dieser Text wurde in einem Absatz wortwörtlich von den Autoren<br />

übernommen, weil ihre Wortwahl mich dazu inspirierte und mir keine<br />

andere Wahl ließ. Welch schnöde Kopie. Welch herrlicher Frevel.<br />

180<br />

181


Architektur<br />

Im Gespräch mit Ralf Schröder & Jürgen Krugsperger<br />

Werbe<br />

agentur<br />

Zu Besuch bei Scholz & Friends<br />

Arbeitskultur<br />

RS<br />

JK<br />

MC<br />

Ralf Schröder<br />

Jürgen Krugsperger<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Betritt man das Geschäftsgebäude von Scholz<br />

& Friends Berlin am Hackeschen Markt, so<br />

wird man von vielen jungen Gesichtern in zusammengewürfelten,<br />

goldenen Rahmen begrüßt.<br />

Kinderbilder aller Mitarbeiter der Agentur<br />

zieren den Treppeneingang und führen<br />

hinauf in das Foyer. Die anfänglich heimelig<br />

erscheinende Atmosphäre wird abgelöst von<br />

einem luftigen Atrium. Dort findet man sich auf<br />

weiter Flur im Schein eines acht Etagen hohen,<br />

gläsernen Deckenlichtes wieder. Ihm strebt<br />

ein schwarzverkleideter Treppenaufgang im<br />

Zickzack entgegen und formt in futuristischer<br />

Linienführung eine beeindruckende Bühne, die<br />

Zukunftsmusik zu spielen scheint.<br />

Im Hier und Jetzt laden Chesterfield Sofas,<br />

Stehleuchten und Perserteppiche vor schweren,<br />

samtroten Stoffbahnen zum Verweilen und<br />

Staunen ein. So staune auch ich, als ich zum<br />

ersten Mal auf den breitschultrigen Ledersofas<br />

Platz nehme, bevor ich eine Anstellung in dieser<br />

Agentur bekommen und das inszenierte Wohnzimmer<br />

zu einem Ort mittäglicher Gewohnheit<br />

werden sollte.<br />

Nach einem Jahr bei Scholz & Friends haben sich noch weitere<br />

Gewohnheiten eingeschlichen. So gehe ich an einem Donnerstagabend<br />

normalerweise mit meinen Kollegen Ralf Schröder<br />

und Jürgen Krugsperger Volleyball spielen. Heute jedoch habe<br />

ich sie mit der Aussicht auf eine Runde Tischfußball in die Bar<br />

im obersten Stock des Gebäudes gelockt. Ralf ist pünktlich, nur<br />

Jürgen lässt noch etwas auf sich warten. Beide arbeiten als<br />

3D-Designer für Scholz & Friends in der Abteilung von ,Identify’.<br />

Ich selbst bin als Grafikdesignerin bei Scholz & Friends Agenda<br />

im Bereich Corporate Design / Corporate Publishing angestellt<br />

und schaue gern im Büro der zwei Herren im fünften Stock vorbei.<br />

Sei es für ein kurzes Späßchen oder zum gemeinsamen<br />

Mittagessen. Bei Spaghetti Bolognese, denn montags ist bekanntlich<br />

der YOLO-BOLO-Tag in der Kantine <strong>–</strong> eine weitere Gewohnheit<br />

meines Arbeitsalltages bei Scholz & Friends <strong>–</strong> konnte<br />

ich aufschnappen, dass die beiden 3D-Designer an der Gestaltung<br />

der Inneneinrichtung des neuen Bürogebäudes am Litfaßplatz<br />

maßgeblich involviert gewesen sind.<br />

In einer Werbeagentur, in der Ideen als höchstes Gut gehandelt<br />

werden, sollte sich diese <strong>Ein</strong>stellung auch im Konzept der Raumgestaltung<br />

widerspiegeln. Ob Empfangstresen, Küchenzeile,<br />

Kantineneinrichtung, oder Dachterrasse <strong>–</strong> „Vorschläge gab es<br />

viele.“, so Ralf und Jürgen. Doch welche Kriterien waren bei der<br />

Wahl der Gestaltungsmittel ausschlaggebend? Wie lassen sich<br />

die Ansprüche an Ausstattung, Inneneinrichtung, Infrastruktur<br />

und Komfort innovativ beantworten? Und mit welchen Erwartungshaltungen<br />

sieht sich eine Kreativagentur seitens einer neuen<br />

Generation von jungen Arbeitnehmern konfrontiert?<br />

Fragen, die von meinen kickerwütigen Kollegen in ein funktionierendes<br />

Raumkonzept übersetzt werden mussten. Wie sie diese<br />

Herausforderung gemeistert und welche Antworten sie entwickelt<br />

haben, erzählen sie mir bei einem gepflegten Bier mit Blick<br />

auf den Berliner Dom, die Ellenbogen auf einen massiven<br />

Holztresen gestützt. <strong>Ein</strong>e minimalistische Barzeile vor schwarzem<br />

Grund, beleuchtet von drei großen Industrieleuchten. <strong>Ein</strong><br />

Raum der Kommunikation, der Feierabendgespräche, der Frühstücksdebatten<br />

und der Pausen <strong>–</strong> made by Ralf und Jürgen.<br />

182<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

183


Architektur<br />

Ralf Schröder & Jürgen Krugsperger<br />

Werbe<br />

agentur<br />

Scholz & Friends<br />

Arbeitskultur<br />

Das Orchester als Idee<br />

MC Ihr habt hier bei der Neubaugestaltung<br />

mitgeholfen, was waren eure<br />

verantwortlichen Felder, was habt ihr<br />

gestaltet?<br />

RS Als wir hier eingezogen sind, gab es<br />

zum einen die Gestaltung des Hauses an sich.<br />

Aber mit der Architektur hatten wir gar nicht<br />

so viel zu tun. Man sagt ja, die schwarzen Bänder<br />

an den Etagen sollen Theaterränge darstellen,<br />

also Scholz & Friends als das Theater<br />

der Ideen.<br />

MC Also ist das Gebäude auch richtig für<br />

Scholz gebaut worden.<br />

RS Genau, wir sind zwar nur Mieter, aber<br />

Scholz hatte wohl ziemlich viel Mitspracherecht<br />

bei der Gestaltung. Als wir hier eingezogen<br />

sind, hatten wir die Aufgabe, Ideenvorschläge<br />

für die Innenraumgestaltung zu<br />

entwickeln. Dieses Haus, das ja durch seine<br />

Architektur ziemlich stylisch aussieht, aber<br />

irgendwie ein bisschen kühl daherkommt, sollte<br />

zu einem Ort werden, wo sich die Leute wohl<br />

fühlen. <strong>Ein</strong> Ort, der das Gefühl einer angesagten<br />

Werbeagentur in sich trägt.<br />

MC Wie stark spielt dabei das Werbekonzept<br />

der Agentur, sich als Orchester<br />

für Ideen zu begreifen, eine Rolle?<br />

Scholz & Friends schreibt über sich<br />

selbst, Kommunikation über viele Kanäle<br />

hinweg zu einem perfekten Zusammenspiel<br />

zu führen. Die Komposition<br />

starker Leitideen, ausgestattet<br />

mit den passenden Instrumenten,<br />

zum Erfolg geleitet durch einen Dirigenten.<br />

Wie sahen eure Instrumente<br />

aus und durftet ihr euer Spiel frei improvisieren<br />

oder spielte eher der Dirigent<br />

die erste Geige?<br />

RS Unser ehemaliger Chef war beispielsweise<br />

total angetan vom <strong>Ein</strong>richtungsstil des<br />

Soho-House in Berlin. Das entspricht einer Anmutung<br />

aus rohem Betonbau mit Lounge-Atmosphäre,<br />

gewürfelt mit Ledermöbeln und<br />

hochwertigen Materialien. Das war die Richtung,<br />

in die wir dirigiert wurden. Mir persönlich<br />

hat das nie so richtig gefallen, aber wir haben<br />

immer nur Vorschläge machen können und gerade<br />

was die Gestaltung des Atriums angeht<br />

gab es ganz viele Ideen. Ob man auf das Orchester<br />

der Ideen anspielt und Musikinstrumente<br />

hinstellt oder einen Flügel, sodass da<br />

immer jemand Klavier spielt. Es gab die absurdesten<br />

Ideen, bis hin zu einer Rutsche, die<br />

durchs Haus führt. Letzten Endes wurden solche<br />

Ideen immer wieder gebremst, weil die<br />

Schwierigkeit bei Scholz & Friends darin liegt,<br />

dass wir eine Kreativagentur sind, aber nicht<br />

alle Kreative sind, es ist eher halb-halb. Die<br />

Hälfte der Mitarbeiter sind Berater und Strategen,<br />

und die sind nicht so hip, sind nicht die<br />

Szene-Menschen. Deshalb musste man einen<br />

Kompromiss finden: es musste den Kreativen<br />

gefallen, aber auch denen, die hier in der Buchhaltung<br />

arbeiten.<br />

JK Ja, und vor allem dem Kunden. Es<br />

muss ja hochwertig genug aussehen.<br />

RS Genau, und Scholz ist ja eher als Agentur<br />

der alten Schuler verschrien und so kam es<br />

dann dazu, dass die Sofas und Teppiche für<br />

unten bestellt wurden, und dieser rote Vorhang<br />

im Atrium, der die Idee eines Theatervorhangs<br />

oder eines Orchestervorhangs aufgreifen<br />

soll. Bei Scholz ist immer alles sehr<br />

ideengesteuert, das heißt, es musste immer<br />

auf den Orchestergedanken eingegangen werden.<br />

So kam es zum Beispiel auch zu den Lampen<br />

mit den Füßen wie Instrumentenständer.<br />

Das gehört alles <strong>zur</strong> Leitidee des Orchesters.<br />

Materialien<br />

MC Also auch bei der Materialauswahl und<br />

so. Für welche Materialien habt ihr<br />

euch dann entschieden?<br />

JK Also man kann sagen, dass wir schon<br />

in der Rohbauphase involviert waren. Wir haben<br />

Vorschläge <strong>zur</strong> Gestaltung und Materialauswahl<br />

für Böden und Decken unterbreitet.<br />

Also verschiedene Musterszenarien für Parkettböden,<br />

Deckenverkleidungen, Farben,<br />

Lampen und Inventar zusammengestellt und<br />

präsentiert. Die wurden dann mit den Architekten,<br />

Eigentümern und Geschäftsführern<br />

von Scholz abgesprochen und ausgewählt. So<br />

ist es zum Beispiel auch dazu gekommen, dass<br />

man die Decken in ihrem Rohbaucharme belassen<br />

hat. Es war schon spannend daran mitzuwirken<br />

all diese Baumaterialien vorzuschlagen<br />

und somit tatsächlich den eigenen<br />

Arbeitsplatz mitzugestalten.<br />

Transparente Architektur<br />

JK Irgendwann ist dann das Grundkonzept<br />

des Hauses entstanden, alle Räume des<br />

Gebäudes mit den deutschen Begriffen wie<br />

Esszimmer statt Kantine oder Wohnzimmer<br />

statt Atrium zu benennen.<br />

RS Man sollte sich in diesem Glaspalast<br />

irgendwie heimelig fühlen. Das haben wir<br />

letztlich versucht durch die Wahl der Materia-<br />

184<br />

185


Architektur<br />

Ralf Schröder & Jürgen Krugsperger<br />

Werbe<br />

agentur<br />

Scholz & Friends<br />

Arbeitskultur<br />

lien und Möbel innerhalb einer ganzheitlichen<br />

Gestaltung umzusetzen.<br />

MC Viele Mitarbeiter verstecken sich in ihren<br />

gläsernen Büros hinter Ausdrucken,<br />

Plakatwänden und Milchglasfolien.<br />

Wie empfindet ihr die Übersetzung<br />

ständiger Erreichbarkeit in eine transparente<br />

Architektur? Wie wohl kann<br />

man sich in einem Glaswürfel fühlen?<br />

RS Also ich finde das ehrlich gesagt total<br />

gut. Wenn es einen stört, kann man ja eine Folie<br />

beantragen. Aber ich finde gerade, dass<br />

dieser Gedanke, dass wir alle Friends sind und<br />

dass man zum Austausch nicht gezwungen,<br />

aber animiert wird, indem man sieht was die<br />

anderen machen, sehr motivierend. Und wir<br />

haben ja keine riesigen Freiflächen, wie andere<br />

Agenturen. Keine Großraumbüros wo 20 bis<br />

30 Berater an einem langen Tisch sitzen und<br />

man als Gestalter jedes Telefonat mithören<br />

muss. Ich finde das nervtötend, gerade wenn<br />

alle telefonieren. Deswegen finde ich die kleineren<br />

Büroeinheiten hier im Gebäude optimal<br />

zum arbeiten.<br />

Kommunikative Architektur<br />

JK Vor dem Umzug saßen wir ja in einem<br />

größeren Atelier zusammen. Gestalter und Berater<br />

an einem Tisch. Man kann sich dann oft<br />

sehr schwer konzentrieren, weil man die Telefongespräche<br />

der anderen immer automatisch<br />

im Kopf mitführt. Und das passiert jetzt hier<br />

natürlich nicht mehr. Hier haben wir einzelne<br />

Abteilungen, sind stärker strukturiert nach<br />

Beratern und Gestaltern, die unterschiedliche<br />

Anforderungen an ihr Arbeitsumfeld haben.<br />

Trotzdem blieb der Grundgedanke der Kommunikation<br />

immer bestehen. Das Atrium kostet<br />

an sich ja unglaublich viel Bürofläche, aber es<br />

trägt auch stark <strong>zur</strong> Kommunikation bei, weil<br />

man eben die anderen Kollegen ständig sieht.<br />

Die verschiedenen Gewerke wurden aus allen<br />

Teilen Berlins zusammengezogen, um unter einem<br />

Haus zu funktionieren, aber eben auch um<br />

bessere Beziehungen untereinander aufbauen<br />

zu können. Früher kannte man die eigenen Scholz-Kollegen<br />

überhaupt nicht, weil man nicht<br />

immer räumlich zusammengearbeitet hat.<br />

Heute siehst man sich automatisch, selbst<br />

wenn es gerade keine gemeinsamen Projekte<br />

gibt. Und das ist natürlich ein wesentlicher<br />

kommunikativer Teil, der schon allein durch<br />

die Architektur getragen wird.<br />

MC Doch was, wenn man sich einmal <strong>zur</strong>ückziehen<br />

möchte? Der ständigen<br />

Kommunikation entfliehen muss, um<br />

sich auf eine anspruchsvolle Arbeit<br />

konzentrieren zu können oder Ideen<br />

zu spinnen?<br />

RS Wir haben ja auch Rückzugsorte hier<br />

oben. Es gibt spezielle Räume, die dafür konzipiert<br />

sind, dass man sich <strong>zur</strong>ückziehen kann,<br />

wenn man mal ausdenken will oder seine Ruhe<br />

braucht oder ein Telefonat führen will. Und unten<br />

sind ja auch noch die Konferenzräume.<br />

Deshalb ist es für mich eher erfrischend, tagsüber<br />

so vielen Leuten begegnen zu können,<br />

denn wenn ich alleine sein will, dann suche ich<br />

mir dafür einen Raum.<br />

Weißt du warum es den Mittwochsteller gibt?<br />

MC Nein, aber auf jeden Fall bin ich jeden<br />

Mittwoch wieder begeistert auf der<br />

Suche nach einem versteckten Teller<br />

voll Süßigkeiten.<br />

RS Dabei ist der Mittwochsteller auch<br />

nicht mehr als eine Kommunikationsmaßnahme.<br />

Es geht nicht darum, dass Scholz uns jeden<br />

Mittwoch belohnt mit Süßigkeiten, sondern<br />

es gibt den Teller bewusst immer an<br />

einem anderen Ort, weil man möchte, dass<br />

sich die Leute treffen und miteinander kommunizieren.<br />

Und dazu lockt man sie mit Süßigkeiten.<br />

Die Kantine funktioniert ähnlich. Dort<br />

trifft man viele Kollegen.<br />

Neutrale Architektur<br />

MC Die Kommunikation und Treffen finden<br />

ja auch häufig auf den Gängen und in<br />

der Etagenküche statt. Auch die Küchenzeile<br />

habt ihr gestaltet. Was waren<br />

eure Kriterien?<br />

RS Die Küche selbst ist schon schwarz gewesen,<br />

wir haben sie nur etwas aufgeräumt.<br />

Aber als wir im sechsten Stock saßen, wollten<br />

wir eigentlich ein bisschen mehr Persönlichkeit<br />

reinbringen. Die Küche ist so wie bei einer<br />

WG-Party, da trifft man sich, weil da der Kühlschrank<br />

und die Kaffeemaschine stehen. Ich<br />

finde es ziemlich cool, dass wir diese schwarze<br />

Wand haben. Das ist ja gerade sehr modern, so<br />

ein bisschen oldschool Café, mit Kreide rangeschrieben.<br />

Ich finde das hat einen Designaspekt<br />

und es ist nicht so glatt und identitätslos, aber<br />

auf der anderen Seite trotzdem aufgeräumt.<br />

JK Aber ich glaube auch, dass uns durch<br />

die relative Nüchternheit der Raumgestaltung<br />

erst die Möglichkeit geboten wird, Individualität<br />

einzubringen. Es gab ja das berühmte<br />

Waldzimmer, dann gab es so einen Jackson-Pollock-Raum.<br />

Wir haben uns auf jeder<br />

Etage immer ein Special ausgedacht. Ob eine<br />

kleine Galerie oder Schaukeln im Gang. Wir haben<br />

es immer geschafft ein wenig Individualität<br />

in diese neutralen Räume reinzubringen.<br />

RS Aber schon etwas <strong>zur</strong>ückhaltender.<br />

Eher mit einem ästhetischen Auge als mit einer<br />

Idee. Zum Beispiel dieser Jackson-Pollock-<br />

Raum, in dem Jürgen jetzt sitzt, der neu überstrichen<br />

wurde, da haben zwei Kollegen von<br />

uns transparente Anzüge angezogen, alles mit<br />

Planen ausgelegt und zwei Farbbeutel genommen<br />

und wie die Blöden Farbe verspritzt. Das<br />

sah richtig scheiße aus. Ganz lustig, aber<br />

trotzdem ugly.<br />

Ästhetik & Funktionalität<br />

MC Ästhetik oder Funktion? Was hat eine<br />

größere Rolle gespielt bei der Ausstattung?<br />

JK Es gibt ja tatsächlich auch Vorschriften,<br />

wie so eine Arbeitsplatzbeleuchtung sein<br />

muss. Regeln der Ergonomie. Es kommt auch<br />

jedes Jahr ein Gutachter, der eine ergonomische<br />

Untersuchung macht und prüft, ob die<br />

Leute gesund sitzen, die Lichtstärke im Zimmer<br />

ausreicht und so weiter. Deshalb wurden<br />

Lampen ausgesucht, die genügend Licht spenden.<br />

Daraufhin haben sie einfach die Deckenlichter<br />

weggelassen, was auch nicht ganz den<br />

Vorschriften entspricht, aber zumindest wurden<br />

dann diese Stehleuchten ausgewählt, die<br />

spezielle Arbeitsleuchten sind. Man kann im<br />

Büro nicht einfach eine Glühbirne aufhängen <strong>–</strong><br />

so einfach ist das nicht.<br />

MC Aber so einen Eiermann-Tisch hinzustellen<br />

ist ja schon auch eine moderne,<br />

ästhetische Entscheidung.<br />

JK Das ist aber auch daher entstanden,<br />

dass es die vorher schon gab. Es wurde viel altes<br />

Inventar wiederverwendet.<br />

RS Also die Vitra-Stühle und die ganzen<br />

Eiermann-Gestelle und die Tischleuchten sind<br />

schon im alten Bestand gewesen.<br />

JK Dazugekommen sind nur die neuen Arbeitsleuchten<br />

in den einzelnen Räumen.<br />

RS Die Rollcontainer haben wir außerdem<br />

auch ausgesucht.<br />

JK Das war von der Idee getragen, mobile<br />

Arbeitsplätze ein<strong>zur</strong>ichten, mit denen man<br />

schneller umziehen kann, wenn man mal den<br />

Bereich wechselt, um projektbezogen in Gruppen<br />

zu arbeiten. Das funktioniert in der Realität<br />

aber nicht so wirklich. Und wenn man um<br />

186<br />

187


Architektur<br />

Ralf Schröder & Jürgen Krugsperger<br />

Werbe<br />

agentur<br />

Scholz & Friends<br />

Arbeitskultur<br />

zieht, dann schreit die IT, weil sie dann die ganzen<br />

Anschlüsse und Verbindungen umlegen<br />

muss. Der Ursprungsgedanke war aber, dass<br />

man Rollcontainer hat, um schnell projektbezogen<br />

zusammenarbeiten zu können.<br />

Platzproblem<br />

MC Und wenn wir bei Zusammenarbeit<br />

sind. Sollte es neben den normalen<br />

Konferenzräumen nicht auch noch<br />

mehr Besprechungsräume geben, wo<br />

man sich trifft um gemeinsam zu<br />

brainstormen?<br />

JK Die gab es, aber die wurden aufgrund<br />

des Platzmangels zu Büros umfunktioniert.<br />

Früher hatten wir ein Platzüberangebot, heute<br />

haben wir einen Mangel.<br />

RS Ich finde das fehlt jetzt total, aber das<br />

wurde weggekürzt, weil der Platz fehlte.<br />

MC Empfindet ihr das als problematisch?<br />

Wie wichtig ist eigentlich so ein Besprechungsraum<br />

in euren Augen im<br />

Agenturalltag?<br />

RS Also ich finde es extrem wichtig, nicht<br />

nur als Besprechungsraum für Beratungsthemen<br />

oder um Projekte zu besprechen. Ich fände<br />

es gut, wenn es Kreativräume gäbe. Wir haben<br />

das jetzt in unseren Büros. Wir haben<br />

Kreativwände und können Ideen aufhängen<br />

und so, aber es fehlt, dass man einen Raum hat,<br />

in dem man sich ausbreiten kann. Die Sachen<br />

werden ja teilweise sogar auf dem Flur besprochen.<br />

Da steht man in der Küche und bespricht<br />

eine Kreation und es kommen und gehen Leute.<br />

Da hat man keine wirkliche Ruhe.<br />

JK Und im eigenen Büro kann man solche<br />

Dinge nicht besprechen, weil es dann deine<br />

Kollegen in ihrer Arbeit stört.<br />

RS Also sowas fehlt definitv.<br />

links: Jürgen Krugsperger<br />

rechts: Ralf Schröder<br />

Raum für Sich<br />

MC Und in eurem Büro, habt ihr das Gefühl,<br />

dass ihr genug Platz habt und genügend<br />

Distanz?<br />

RS Ja, das reicht. Ich hatte früher tatsächlich<br />

mal ein Büro, in dem ich ganz alleine<br />

saß. Im sechsten Stock, zum Atrium hin. Das<br />

war eigentlich ein Zweier- oder Dreierbüro. Da<br />

war immer nur mal jemand drin, wenn ein Freelancer<br />

da war, und das war gigantisch. Aber<br />

da hat es mich wiederum gestört, dass ich<br />

ganz alleine war. Aber dort konnte ich 20m 2<br />

Wand einfach komplett behängen. Es ist schon<br />

auch nicht schlecht, wenn man sich etwas einschränken<br />

muss. Da kommt man auch mit einem<br />

kleineren Bereich <strong>zur</strong>echt. Und so lange<br />

ich hinter mir und seitlich von mir so eine Fläche<br />

hab von 1,20m mal 2m Höhe, wo ich auch<br />

mal was aufhängen kann, reicht mir das.<br />

MC Du teilst dir also eigentlich ganz gern<br />

den Raum mit deinen Kollegen?<br />

RS Ja, ich verlasse den Raum eigentlich<br />

auch nur dann, wenn ich ausdenken muss oder<br />

wenn ich mich wirklich konzentrieren muss.<br />

MC Also ist das schon so, dass man in dem<br />

Moment, in dem man nachdenken muss<br />

oder kreativ werden muss, Ruhe und<br />

Isolation sucht und erst später dann die<br />

Kommunikation und das Feedback?<br />

RS Ja, deswegen nehme ich mir viele Sachen<br />

mit nach Hause. Da kann ich gemütlich<br />

auf dem Sofa sitzen und mir ein Briefing durchlesen<br />

und kann ganz frei nachdenken. Oder ich<br />

fahre Zug.<br />

JK Beim Zugfahren kann ich immer noch<br />

am besten nachdenken.<br />

MC Ich auch. Man kann eh nichts anderes<br />

machen und um sich herum ist immer<br />

eine Dynamik, weil sich alles bewegt.<br />

Man stagniert nicht so.<br />

JK Ich finde auch, dass wenn man in einer<br />

einsamen Ecke sitzt, wo nichts passiert, dann<br />

kann man auch nicht richtig nachdenken. Da<br />

ist Zugfahren schon inspirierend.<br />

Raum für Inspiration<br />

MC Wie würde denn euer perfekter Arbeitsplatz<br />

oder euer Traumstudio aussehen?<br />

Wärt ihr zum Beispiel selbstständig<br />

und hättet euren Space.<br />

JK Ich wünschte mir ein Experimentierlabor,<br />

wo ich Prototypen bauen und handwerklich<br />

mehr probieren könnte. Es gäbe auf jeden<br />

Fall auch eine Bar, weil das der beste kommunikative<br />

Ort ist, der auch am häufigsten genutzt<br />

wird. Die Bar ist Gold wert. Ich würde mir<br />

wahrscheinlich einen Thinktank-Raum freihalten,<br />

in dem man brainstormen kann. Aber ansonsten<br />

ist es schon ganz mukkelig hier und<br />

bedient schon alle Geschmäcker.<br />

RS Ich glaube, ich sage das Gleiche. Am<br />

liebsten würde ich meine drei Kollegen aus<br />

dem Büro schmeißen, das wäre dann so ungefähr<br />

der Platz, den ich gern hätte, knapp 16m 2 .<br />

Damit komme ich aus, aber mir fehlt eine große<br />

Wand, an der man Ideen anpinnen und reifen<br />

lassen kann, die man zum Beispiel auf dem<br />

Weg <strong>zur</strong> Arbeit hat. Wie an einem Baum würde<br />

dann mal eine schlechte Idee abfallen. Und andere<br />

Leute könnten draufschauen und dabei<br />

etwas Neues entstehen lassen. Ich hätte gern<br />

meinen eigenen Bereich oder zumindest einen,<br />

den ich mir mit vertrauenswürdigen Kollegen<br />

teile, wo ich auch mal was schneiden, cutten<br />

und kleben kann, weil das nervt hier in der<br />

Agentur total <strong>–</strong> ständig sind die Cutter weg,<br />

oder die Aufziehmaschine ist kaputt, die Lineale<br />

sehen aus wie Sau. Das nervt. Das ist<br />

aber einfach der Nachteil an einer so großen<br />

Agentur, je mehr Leute es sind, desto weniger<br />

fühlt sich jeder einzelne verantwortlich. Die<br />

Leute lassen Dinge einfach liegen.<br />

MC Du sitzt in einem Innenbüro mit Blick<br />

ins Atrium - wie wäre es mit einem<br />

Fenster, mit Tageslicht?<br />

RS Doch, ich habe Tageslicht. Die Sonne<br />

knallt durch quasi drei Scheiben, eigentlich direkt<br />

in mein Gesicht. Ja, ich würde gern mal ein<br />

Fenster aufmachen und hätte auch gern mal ein<br />

Vogelgezwitscher und nicht nur den Sound aus<br />

dem Atrium, das wäre cool.<br />

188<br />

189


Architektur<br />

Ralf Schröder & Jürgen Krugsperger<br />

Werbe<br />

agentur<br />

Scholz & Friends<br />

Arbeitskultur<br />

Zufriedenheit<br />

MC Und habt ihr Feedback von Kollegen<br />

bekommen? Sind die Leute zufrieden<br />

mit der Innenausstattung?<br />

RS Ja, wie gesagt, mir selbst ist das alles<br />

ein bisschen zu spießig, und für mich war das<br />

immer zu sehr Handbremse angezogen, in der<br />

Kantine sieht man es ja auch. Das Wildeste ist,<br />

dass die Stühle alle verschieden sind, aber<br />

trotzdem alle in der gleichen Farbe lackiert<br />

wurden. Wir haben es, finde ich, zum Teil schon<br />

geschafft, ein bisschen Individualität reinzubringen,<br />

aber alles ist nun mal sehr glattgeleckt.<br />

Die Stühle hätten von mir aus auch alle<br />

eine andere Farbe haben können, aber so ist es<br />

natürlich designiger und ein bisschen gefälliger<br />

für das Auge. Und auch diese schwarzen<br />

Wände in der Kantine galten bereits als sehr<br />

gewagt. Das meiste Feedback aber gab es <strong>zur</strong><br />

Bar und dem Dachgarten. Viele meinten, die<br />

schwarze Wand sei so düster und trist. Ich finde<br />

gerade dieses Kneipenambiente besonders<br />

gemütlich. Aber da siehst du eben, wie die Geschmäcker<br />

auseinandergehen. Es ist unglaublich<br />

schwierig, es in einem Haus von mehreren<br />

hundert Angestellten, jedem recht machen zu<br />

wollen. Das geht gar nicht.<br />

Dachterrasse<br />

MC Ihr habt also auch die Gestaltung der<br />

Dachterrasse betreut?<br />

RS: Das war eben auch wieder so eine<br />

Grätsche. <strong>Ein</strong> Kompromiss zwischen Hütten<br />

und großen Bäumen und einem Pool. Weil das<br />

aber alles nicht ging, verlangte Scholz nach<br />

einer großen Idee: der höchsten Kleingartenanlage<br />

der Welt. Die Kleingartenanlage gab es<br />

dann doch nicht. Fakt war einfach, wir brauchten<br />

etwas, das bezahlbar ist, wegen des begrenzten<br />

Budgets, und es sollte den Leuten<br />

gefallen, die es finanzieren <strong>–</strong> den Politikern<br />

Sebastian Turner und Thomas Heilmann, die<br />

eben keine jungen Berliner Hipster sind. Es<br />

musste aber natürlich auch den Kreativen gefallen,<br />

also für jeden einen Anreiz geben. Es<br />

sollte für jeden ein Geschenk von Scholz sein,<br />

sich dort aufhalten zu können. Deswegen ist es<br />

eine Mischung geworden aus Begrünung, die<br />

es friedlich macht, mit rauen Europaletten als<br />

Kontrast, die außerdem die hässlichen Betonsteine<br />

verdecken. Und es gibt ja die Sitzkissen,<br />

die wiederrum extrem hochwertig sind und<br />

sehr teuer und nur in einer limitierten Stückzahl<br />

erhältlich waren. So ist es mit den Blumenkisten<br />

eine gesunde Mischung geworden,<br />

ohne das es besonders stark in die eine oder<br />

andere Richtung geht, eine Lösung, die alle zufriedenstellt,<br />

aber die auch schwammig ist.<br />

Das kennt man ja.<br />

Motivation<br />

MC Ich habe ein Zitat gefunden: „Firmen<br />

werden in Zukunft auch an der Attraktivität<br />

ihrer Büros gemessen.“, ist das<br />

in euren Augen ein Bewerbungs- oder<br />

ein Kündigungsgrund?<br />

JK Ich glaube nicht, dass das der entscheidende<br />

Grund ist, aber es kann ein sehr angenehmes<br />

Beiwerk sein. Wir haben uns daran<br />

gewöhnt, aber wenn man jetzt natürlich auf das<br />

andere Gebäude gegenüber blickt: da möchte<br />

man nicht arbeiten, da hat man nicht die Möglichkeit,<br />

seinen Arbeitsplatz zu individualisieren,<br />

die Wände zu streichen oder seinen Plunder<br />

aufzustellen. Da darfst du ein Blümchen und<br />

einen Bilderrahmen auf den Tisch stellen und<br />

das war’s. Aber hier kann man sich wohlfühlen<br />

und verglichen mit vielen anderen Büros, ist es<br />

ein Vorteil und hat Mehrwert.<br />

RS Man möchte sich an seinem Arbeitsplatz<br />

wohlfühlen. Zum einen hat man hier die<br />

Friends <strong>–</strong> viele sagen eben, sie haben Freunde<br />

als Kollegen <strong>–</strong> und auch, was ich immer zu den<br />

Junioren sage: Das ist der geilste Job, den du<br />

haben kannst. Ich kann im Mauskostüm auf<br />

dem Roller durch den Flur fahren, wenn ich<br />

Bock drauf habe. Und es interessiert niemanden,<br />

ich werde deswegen nicht gefeuert. Oder<br />

ich kann in meiner Freizeit einen Roboter bauen<br />

und den in unsere Küche stellen, also, wo<br />

kann man sowas machen? Ich finde betreffend<br />

der Arbeitszeiteinteilung und so weiter ist es<br />

ziemlich einfach: solange du deine Arbeit<br />

machst und gut bist in dem was du machst,<br />

hast du hier ziemlich viele <strong>Freiheit</strong>en. Viele<br />

wissen das gar nicht zu schätzen, ich habe es<br />

früher auch nicht so richtig zu schätzen gewusst.<br />

Heute weiß ich es besser.<br />

190<br />

191


Architektur<br />

Gegenständliches<br />

Arbeiten 2.15 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong>e Frage des Raumes<br />

Raum<br />

frage<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Arbeitskultur<br />

Von »normalen Menschen« beneidet, arbeiten<br />

die Kreativen von heute in stylischen<br />

Agenturblasen, beschäftigen sich<br />

unter flüchtigen Small-Talk Freunden<br />

mit ausschließlich interessanten<br />

Projekten,<br />

blättern in angesagten<br />

Independent Publishing<br />

Magazinen und sind<br />

dabei wie ausversehen<br />

stets nach neuster Mode<br />

gekleidet. So das Klischee.<br />

Letztlich sitzen<br />

heute alle vor ihren Bildschirmen, sind<br />

über Glasfaserkabel miteinander verbunden<br />

und versuchen mehr oder weniger<br />

erfolgreich, ganztägig Ideen am Fließband<br />

zu produzieren.<br />

Immer mehr Menschen schöpfen ihre Selbstwertschätzung<br />

aus ihren beruflichen Erfolgen,<br />

statt im Freundeskreis oder der eigenen Familie<br />

danach zu suchen. Es entsteht eine Ambivalenz<br />

zwischen Arbeits- und Privatleben, Kreativprozessen<br />

und verschobenen Räumlichkeiten. »Früher<br />

war Büro Büro und zu Hause war zu Hause.<br />

Die Digitalisierung hat dieses Modell ins Wanken<br />

gebracht: Es gibt heute keinen Ort, an dem<br />

man nicht arbeiten, und keinen, an dem man sich<br />

nicht um Privates kümmern kann. Die Suche<br />

nach dem perfekten Büro läuft auf Hochtouren.« 1 ,<br />

schreibt Katharina Altemeier im Sonderheft<br />

›Wohnen und Arbeiten‹ des ›Schöner Wohnen<br />

Magazins‹. Es werden <strong>Ein</strong>richtungsideen vorgestellt,<br />

nach dem Motto »Wir machen uns die Arbeit<br />

schöner!«. Es wirkt profan die Teasertexte<br />

einer ›Schöner Wohnen‹ Ausgabe zu zitieren,<br />

doch sind es genau diese Artikel und Hefte, die<br />

einen lauter werdenden Trend innerhalb unserer<br />

Gesellschaft beschreiben.<br />

Die »Arbeit schöner« machen wollen. Diese<br />

Idee wird scheinbar damit verwechselt, sich<br />

auch auf Arbeit wie zu Hause fühlen zu wollen.<br />

Und immer häufiger bedeutet dies auch, zu<br />

Hause zu arbeiten. Das Home <strong>Office</strong> ist die moderne<br />

Werkstatt vieler Kreativschaffender, die<br />

vor allem auf die Nutzung des Internets angewiesen<br />

sind und weniger auf festgelegte Büroplätze.<br />

In dieser gesellschaftlichen Entwicklung<br />

bekommt auch Räumlichkeit eine neue Bedeutung<br />

zugeschrieben und ist längst nicht mehr<br />

als festgelegter Ort zu begreifen.<br />

Arbeiten 2.15<br />

<strong>–</strong><br />

EINE FRAGE DES<br />

RAUMES<br />

Elisabeth Pélegrin-Genel glaubt trotzdem<br />

nicht an ein Verschwinden des klassischen<br />

Bürogebäudes. »Wir können inzwischen<br />

von überall aus arbeiten, doch<br />

manchmal ist das komplizierter als im<br />

Büro zu arbeiten. […] Für viele Leute ist<br />

das Büro oder ein fester Arbeitsplatz vergleichbar<br />

mit einer Blase. Sie ermöglicht es<br />

ihnen, ihr Leben innerhalb dieser Strukturen leichter zu ordnen.« 2<br />

So kann das Büro also auch ein Ort der strukturellen Ordnung<br />

darstellen, der dem kreativen Chaos am heimischen Arbeitsplatz<br />

gegenübergestellt werden kann. Als Chaos des Home <strong>Office</strong> können<br />

vor allem auch die vielen, kleinen Ablenkungen des Alltags<br />

gezählt werden. Ihnen zu widerstehen bedarf einer großen Eigendisziplin<br />

seitens des Kreativen. <strong>Ein</strong>e Herausforderung, die <strong>zur</strong><br />

mentalen Belastung werden kann. Schließlich ist es ein Unterschied,<br />

ob man es sich aussuchen kann von Zeit zu Zeit von zu<br />

Hause aus zu arbeiten, oder ob man <strong>–</strong> ob aus finanziellen oder privaten<br />

Gründen <strong>–</strong> keine Wahl hat. So würde mancher Heimarbeiter<br />

von Zeit zu Zeit gerne in einen externen Arbeitsraum entfliehen.<br />

Für viele handelt es sich dabei um das Café nebenan, die Bibliothek<br />

oder einen Co-working Space. Denn ein Ort voller Menschen stellt<br />

gleichzeitig auch eine Restriktion unserer eigenen Arbeitsweise dar.<br />

Solange wir in unserem freien Denken dadurch nicht eingeschränkt<br />

werden, kann eben diese zwischenmenschliche Regulation<br />

zu produktiverem Arbeiten führen. Christiane Werth beschreibt<br />

das gemeinsame Arbeiten in einem Raum sogar als<br />

Inspirationsmoment des gemeinsamen Austauschens. »Bei der<br />

Arbeit an einem Projekt gibt es sicherlich Phasen, in denen man<br />

alleine sein muss. Um Ideen zu entwickeln oder wenn man sich so<br />

hoch konzentrieren muss. Doch wenn man alleine arbeitet, ist es<br />

oft so, dass man sich der Prokrastination hingibt und sich viel<br />

schneller selbst ablenkt. Das Witzige ist aber, wenn man nicht alleine<br />

arbeitet, sorgt der andere ja bereits dafür, dass man immer mal<br />

abgelenkt wird. So besteht gar nicht mehr die Notwendigkeit, sich<br />

selbst ablenken zu müssen. Dabei ist die Ablenkung meist noch<br />

produktiv, da man häufig über sein aktuelles Projekt spricht.« 3<br />

»For many people the idea of staying at home and maintaining<br />

only telephone and modem contact with the office seems synonymous<br />

with loneliness and the loss of social identity.« 4<br />

Auch Dennis Braun, Creative Director bei Scholz & Friends<br />

Agenda Berlin, betonte in einem gemeinsamen Gespräch in der<br />

Agenturküche, dass er es vorziehe, auf der Grundlage kurzer Kommunikationswege<br />

und kontinuierlicher Zusammenarbeit an Projektideen<br />

und Aufträgen zu arbeiten. Erst dann könne man sich<br />

wirklich produktiv austauschen. Spontanität sei in diesem Fall ein<br />

großer Faktor. Die Möglichkeit, jederzeit gemeinsam über den papiernen<br />

Ausdruck eines Entwurfes diskutieren zu können, sei<br />

durch kein Skype-Gespräch dieser Welt zu ersetzen. Er lehne die<br />

digitalen Seiten der modernen Arbeitswelt sicherlich nicht ab. So<br />

»Wir gehen ins Büro, um täglich aktuelle Informationen<br />

zu erhalten, auf dem Laufenden zu bleiben, zu<br />

wissen was im Büro passiert. Wir gehen ins Büro um<br />

uns zu zeigen, dass wir existieren.« 5<br />

führt er <strong>Ein</strong>stellungsgespräche über Skype durch, verlässt sich dabei<br />

auf seine zwischenmenschliche Erfahrung <strong>–</strong> selbst über digitale<br />

Kanäle hinweg. Auch nutzt er aktiv synchronisierte Google-Kalender<br />

mit seinem Team. Doch seiner Meinung nach ist die<br />

gemeinsame Arbeit an einem Ort der beste Weg um Missverständnissen<br />

und Kommunikationsproblemen vorzubeugen und letztlich<br />

effektive und gute Arbeit leisten zu können. In der direkten Auseinandersetzung<br />

würden mehr Fragen aufgeworfen, die wiederum<br />

schneller beantwortet werden könnten.<br />

Pélegrin-Genel hebt also hervor, dass der vorhergesagte Untergang<br />

des Büros als feste Größe in der Arbeitswelt auf Grund von<br />

damalig angepriesenen Zukunftsmodellen <strong>–</strong> wie dem Home <strong>Office</strong><br />

<strong>–</strong> ausgeblieben ist. Die Arbeit im Büro liefere viele soziale Interaktionsmöglichkeiten,<br />

welche bei der Telearbeit ausblieben. »Wir gehen<br />

ins Büro, um täglich aktuelle Informationen zu erhalten, auf<br />

dem Laufenden zu bleiben, zu wissen was im Büro passiert. Wir<br />

gehen ins Büro um uns zu zeigen, dass wir existieren.« 5<br />

Und trotzdem gibt Christoph Bartmann, Historiker, Journalist<br />

und Leiter des Goethe-Instituts in New York, zu bedenken, dass<br />

die sozialen Kontakte innerhalb eines Büros eher Zweckgemeinschaften<br />

entsprächen, als guten Freundschaften. »Kreativität ist,<br />

egal wie sehr wir den Teamgeist feiern, ein ganz einsames Phänomen.<br />

Diese <strong>Ein</strong>samkeit braucht den Rahmen einer Gemeinschaft,<br />

sonst endet sie in der Isolation. Aber echte Gemeinschaft ist selten,<br />

heute steht an ihrer Stelle leider meist nur ein Team.« 6 Und da die<br />

moderne Büroarchitektur in ihrer gläsernen Architektur den zeitweiligen<br />

Rückzug in ein abgeschiedenes Arbeiten verhindere, sieht<br />

Bartmann <strong>–</strong> im Gegensatz zu Pélegrin-Genel <strong>–</strong> konzentriertes Arbeiten<br />

in das Home <strong>Office</strong> verdrängt. 7<br />

»But the office is also a space for human life and interaction.<br />

You make friends there, you enjoy the satisfaction of a job well done<br />

and experience the joys of social advancement, recognition, responsibility,<br />

and other forms of self-development.«8 Pélegrin-Genel<br />

spricht also nicht nur von sozialem Halt, sondern ebenfalls der<br />

Möglichkeit von Anerkennung der eigenen Arbeit und der persönlichen<br />

Entwicklungschancen innerhalb eines Arbeitsumfeldes, das<br />

weiter reicht als die eigene Haustür.<br />

So werden uns die Bürogänger doch noch länger erhalten bleiben<br />

<strong>–</strong> ebenso in der Kreativbranche. Dabei sind es aber vor allem<br />

die neuen Erwartungshaltungen der Arbeitnehmer an die Unternehmen,<br />

welche das Büro des 21. Jahrhunderts kennzeichnen werden.<br />

Der Anspruch junger Kreativer, sich mit ihrer eigenen Arbeit<br />

identifizieren zu wollen, wird nicht mehr nur auf die Berufswahl<br />

übersetzt, sondern auch auf die Auswahl des Arbeitsplatzes. Sabine<br />

Prengel, Geschäftsführerin der bekannten Büroausstattungsfirma<br />

»USM Möbelbaustysteme«, merkt an, dass Firmen »[…] in Zukunft<br />

auch an der Attraktivität ihrer Büros gemessen [werden].« 9 Der<br />

Arbeitnehmer möchte die <strong>Freiheit</strong> haben, ihren Arbeitsplatz individuell<br />

mitgestalten zu können. »Arbeitnehmer werden sogar Dinge<br />

von zu Hause mit ins Büro nehmen, um ihren Arbeitsplatz in-<br />

dividuell zu gestalten.« 10 , sagt Prengel. Darauf müssen die<br />

Arbeitgeber in ihrer Unternehmensführung zukünftig immer stärker<br />

eingehen, wollen sie junge, kreative Geister an sich binden. Die<br />

moderne Haltung <strong>zur</strong> Arbeit erfordert demnach neue Räume. Welche<br />

Raummodelle also können eine Antwort auf die Herausforderungen<br />

der heutigen Arbeitskultur geben?<br />

»Das Wichtigste erscheint mir die Tatsache zu sein, dass heute<br />

eigentlich nicht mehr die Notwendigkeit besteht, sich immer am<br />

selben Ort zu befinden. Sich immer am selben Ort zu befinden<br />

füttert die Langeweile und die Müdigkeit gegenüber der eigenen<br />

Arbeit.« 11 Laut Designprofessor Jeremy Myerson und Philip Ross,<br />

Professor der Soziologie von Arbeitsumfeld und Büro der Zukunft,<br />

wird zukünftig »[z]wischen Technik und räumlich-baulicher Umgebung<br />

[…] nicht mehr klar zu unterscheiden sein und dadurch der<br />

Trend <strong>zur</strong> flexiblen Arbeit beschleunigt werden.« 12 Für sie ist mobiles<br />

Arbeiten »eine Reihe von Reisen mit zufälligen Begegnungen<br />

und informellen Besprechungen, die besonders produktiv sind, da<br />

sie spontan und ungeplant erfolgen.« 13 An dieser Stelle rufen sie<br />

also nicht nur zu einer Flexibilität im Arbeiten, sondern auch zu<br />

einer divergenten Wahrnehmung auf, die bekanntlich großes Inspirationspotenzial<br />

in sich trägt.<br />

Der freischaffende Grafikdesigner Konrad Angermüller teilt in<br />

dieser Publikation seine Erfahrungen zum Konzept des mobilen<br />

Arbeitens mit uns. Seine ständig wechselnde Arbeitsumgebung<br />

schafft ihm immer wieder neue Bedingungen für Inspiration und<br />

Kreativität. Seine gestalterische Arbeit davon profitieren lassen zu<br />

können, erscheint ihm als eine große Bereicherung im schöpferischen<br />

Prozess. Angermüllers Sammlung von Fotografien macht<br />

sichtbar, dass sich eine Arbeitsumgebung nicht auf bloße Räume<br />

beschränken lässt. Sondern Bildhaftigkeit, Emotion und Narration<br />

zu visuellen Inspirationsgrundlagen werden.<br />

In mir reift folglich der Gedanke, dass es vermutlich gar keiner<br />

neuen Raumlösung bedarf. Fest steht: durch die allgegenwärtige Informatisierung<br />

benötigen wir keine festgeschriebenen Räume mehr.<br />

»Das Büro ist, selbst unter der Bedingung der Raumkrise, eine<br />

mentale Zelle.« 14 schreibt Bartmann und macht damit deutlich,<br />

dass auch das Büro der Zukunft oder des Jetzt, essentiell von der<br />

Wahrnehmung des menschlichen Subjektes abhängig ist. Und wie<br />

man in einem Text zum »Raum« in einem späteren Kapitel wird<br />

nachlesen können, existiert eine Räumlichkeit auch immer in Verbindung<br />

<strong>zur</strong> subjektiv wahrgenommenen Zeitlichkeit. In unserem<br />

Fall bedeutet dies, dass ein neues Verständnis <strong>zur</strong> <strong>Ein</strong>teilung von<br />

Zeit <strong>–</strong> ob Erwerbszeit oder freie Zeit <strong>–</strong> auch und vor allem, eine<br />

räumliche Komponente <strong>zur</strong> Lösung der Raumfrage darstellen<br />

kann. Es bedarf demnach vielmehr einer neuen, individuell gelebten<br />

<strong>Freiheit</strong>. Die <strong>Freiheit</strong>, sich Arbeitszeit- und Arbeitsort eigenständig<br />

auszusuchen.<br />

Neue Raumkonzepte, wie beispielsweise das Co-working, reagieren<br />

auf dieses Bedürfnis. Seit mehreren Jahren sprießen sie wie<br />

bunte Pilze aus dem Boden der Metropolen und schaffen jungen<br />

192<br />

193


Architektur<br />

Arbeiten 2.15 <strong>–</strong> <strong>Ein</strong>e Frage des Raumes<br />

Arbeitskultur<br />

»Wie immer unpersönlich mein Raum ist, ich werde<br />

ihn erschließen, erobern, möblieren. Gib mir einen<br />

Raum, oder gib mir auch keinen Raum: Ich werde ihn<br />

verlässlich zustellen.« 15<br />

Kreativen im undurchsichtigen Dschungel der Arbeitswelt einen<br />

frei zugänglichen Arbeitsplatz. Viele Co-working Spaces bestechen<br />

durch eine selbstbestimmte Arbeitsraumgestaltung, freie Arbeitszeiteinteilung<br />

und bezahlbare Mietpreise. Oftmals befindet sich im<br />

selben Gebäude auch noch eine Werkstatt <strong>zur</strong> Mitbenutzung <strong>–</strong> natürlich<br />

mit Aufpreis. Gefördert werden soll der Austausch und die<br />

Zusammenarbeit Kreativer unterschiedlichster Professionen. Als<br />

ein besonders renommiertes Projekt in Berlin ist das »Betahaus«<br />

in Kreuzberg zu nennen. Nach der Teilnahme an einer Hausführung<br />

und am »Betahaus Brunch«, wo junge Startups ihre Arbeiten<br />

vorstellen können und man neben dünnem Kaffee ein paar Melonenscheiben<br />

abgreifen kann, war ich extrem begeistert vom Prinzip<br />

des Co-workings. Die spontanen Gespräche mit Kreativen vor<br />

Ort, die entspannte Atmosphäre, das hippe Design der Räumlichkeiten<br />

<strong>–</strong> all dies ließ in mir den Glauben aufkeimen, dass Co-working<br />

Spaces wahre Kreativfabriken sein müssten. <strong>Ein</strong> Ort, wo jeder<br />

voneinander und miteinander lernt, kreiert und profitiert. Jedenfalls<br />

war dies meine naive Vorstellung. Tatsächlich aber sind es<br />

häufig überfüllte Laptopabstellplätze, die von armen aber sexy<br />

Kreativen geteilt werden müssen, da ein eigenes Studio nicht den<br />

Erwerbspreisen kreativer Arbeit entspricht. <strong>Ein</strong> Interview mit<br />

Caroline Lafontaine, freischaffender Fotografin aus Paris und<br />

selbst Gründerin des Coworking-Spaces Blender&Co, hat der Romantik<br />

von Zusammenarbeit und Austausch des Co-working bereits<br />

in einem früheren Kapitel dieser Publikation ein wenig die<br />

Flügel gestutzt.<br />

Doch ob Schnellstart, Höhenflug oder Bruchlandung <strong>–</strong> das Arbeitszimmer<br />

der Zukunft steht bereits heute vor der Herausforderung,<br />

neue Räumlichkeiten, Zeitmodelle und Werkzeuge bereitzustellen,<br />

um eine nicht greifbare, digitale Welt voller Optionen und<br />

einen überanstrengten <strong>–</strong> letztlich äußerst menschlichen <strong>–</strong> Geist an<br />

einen Tisch zu bringen. Doch lassen wir uns nicht abschrecken<br />

davon, sondern von Christoph Bartmanns Worten inspirieren:<br />

»Wie immer unpersönlich mein Raum ist, ich werde ihn erschließen,<br />

erobern, möblieren. Gib mir einen Raum, oder gib mir auch<br />

keinen Raum: Ich werde ihn verlässlich zustellen.« 15<br />

1 Katharina Altemeier: Das Büro<br />

zwischen Utopie und Realität. In: Schöner<br />

Wohnen. Ausgabe: Verlagssonderpromotion<br />

in Zusammenarbeit mit USM Möbelbausysteme.<br />

2015, S. 33.<br />

2 Élisabeth Pelegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

3 Christiane Werth: Aus einem<br />

Interview am 26.06.2015.<br />

4 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 7.<br />

5 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

6 Christoph Bartmann: Leben im<br />

Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten.<br />

Hanser, München, 2012. Zitiert nach:<br />

Frank Berzbach: Die Kunst ein kreatives<br />

Leben zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit.<br />

Verlag Hermann Schmidt, Mainz,<br />

2013, 6. Auflage 2014, S. 72.<br />

7 Vgl. Christoph Bartmann: Leben<br />

im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten.<br />

Hanser, München, 2012. Zitiert<br />

nach: Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen<br />

zu Achtsamkeit. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2013, 6. Auflage 2014, S. 71.<br />

8 Élisabeth Pélegrin-Genel: The<br />

<strong>Office</strong>. Flammarion, Paris / New York,<br />

1996, S. 7.<br />

9 Sabine Prengel im Interview mit<br />

Dorothea Sundergeld: Die Befreiung des<br />

Arbeitstags. In: Schöner Wohnen. Ausgabe:<br />

Verlagssonderpromotion in Zusammenarbeit<br />

mit USM Möbelbausysteme.<br />

2015, S. 39.<br />

10 Sabine Prengel im Interview mit<br />

Dorothea Sundergeld: Die Befreiung des<br />

Arbeitstags. In: Schöner Wohnen. Ausgabe:<br />

Verlagssonderpromotion in Zusammenarbeit<br />

mit USM Möbelbausysteme.<br />

2015, S. 39.<br />

11 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

12 Jeremy Myerson / Philip Ross:<br />

Das kreative Büro. Aus dem Englischen<br />

übersetzt von Joanna Zajac-Wernicke.<br />

Deutsche Verlagsanstalt GmbH, Stuttgart,<br />

1999, S. 10.<br />

13 Jeremy Myerson / Philip Ross:<br />

Das kreative Büro. Aus dem Englischen<br />

übersetzt von Joanna Zajac-Wernicke.<br />

Deutsche Verlagsanstalt GmbH, Stuttgart,<br />

1999, S. 183.<br />

14 Christoph Bartmann: Leben im<br />

Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten.<br />

Hanser, München, 2012. Zitiert nach:<br />

Frank Berzbach: Die Kunst ein kreatives<br />

Leben zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit.<br />

Verlag Hermann Schmidt, Mainz,<br />

2013, 6. Auflage 2014, S. 73.<br />

15 Christoph Bartmann: Leben im<br />

Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten.<br />

Hanser, München, 2012. Zitiert nach:<br />

Frank Berzbach: Die Kunst ein kreatives<br />

Leben zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit.<br />

Verlag Hermann Schmidt, Mainz,<br />

2013, 6. Auflage 2014, S. 73.<br />

194


Raum<br />

Kein Raum


Raum<br />

Suche<br />

198


<strong>Ein</strong>e fotografische Serie.<br />

<strong>Ein</strong>e Raumuntersuchung.<br />

<strong>Ein</strong> Sonntag.<br />

Fotografien von<br />

Marie-Christin Stephan,<br />

Berlin, 2015.


Raum<br />

Raum und Nicht-Raum<br />

Kein Raum<br />

Raum<br />

Über Claudia Larcher von Anne Sopie Christensen<br />

Kein Raum<br />

Räume sind keine festgefügten <strong>Ein</strong>heiten,<br />

die von Beginn an ihre letztgültige<br />

Form erhalten. Sie sind wie<br />

Lebewesen, die heranwachsen und<br />

sich über die Jahre entwickeln.<br />

Räume verändern sich mit und durch<br />

ihre „Bewohner“. Sie setzen sich zusammen<br />

aus zahlreichen unscheinbaren<br />

und oftmals unbeachteten<br />

Oberflächen, die über die unter ihnen<br />

verborgenen Strukturen Auskunft<br />

geben und ihren Charakter und ihre<br />

Persönlichkeit bestimmen. Erst durch<br />

längeres Betrachten und genaue<br />

Observation werden Tiefe und Vielseitigkeit<br />

der Prinzipien, die einen Raum<br />

determinieren, erkennbar.<br />

1 Anne Sophie Christensen:<br />

Raum und Nicht-Raum. <strong>Ein</strong><br />

Kommentar zu den Arbeiten von<br />

Claudia Larcher. http://www.<br />

claudialarcher.com/clarEN/<br />

txt_christensen_dt.html#_ftn1.<br />

Stand: 14.11.2015.<br />

Raum und Nicht-Raum<br />

<strong>Ein</strong> Kommentar zu den Arbeiten<br />

von Claudia Larcher<br />

Claudia Larcher beschäftigt sich in den Arbeiten,<br />

die sie in ihrer Ausstellung HEIM zeigt, mit<br />

Räumen, die für sie mit Heimatgefühl, Vertrautheit<br />

und Erinnerung verbunden sind. »Heimat«<br />

steht als Begriff für Identität, Bindung und Geschichte,<br />

im Sinne von gelebter Vergangenheit.<br />

Die Räume, mit denen sich die Künstlerin<br />

auseinandersetzt, sind somit einerseits topographische<br />

Gegebenheiten, andererseits Erinnerungs-<br />

und Vorstellungsräume <strong>–</strong> wobei die<br />

unterschiedlichen Wesenheiten nicht trennscharf<br />

voneinander abgegrenzt werden. Realistische<br />

Abbildung mischt sich mit surrealer<br />

Zuspitzung, Gegenstände werden zu Indikatoren<br />

innerer Gefühlskonvulsionen.<br />

Claudia Larchers Räume bilden ein Geflecht<br />

von beweglichen Elementen, deren Vernetzung<br />

durch die jeweiligen Benutzer definiert wird <strong>–</strong><br />

die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. 1<br />

Diese Erklärung wurde in einem Absatz wortwörtlich<br />

von der Autorin übernommen, weil ihre Wortwahl<br />

mich dazu inspirierte und mir keine andere<br />

Wahl ließ. Welch schöne Muße. Welch schöner<br />

Müßiggang.<br />

209


Raum<br />

* Daniel Buren, 2006<br />

Fallen Studio <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Kein Raum<br />

1 Daniel Buren: The Function<br />

of the Studio. Revisited: Daniel Buren<br />

in Conversation. Dublin, 2006. Zitiert<br />

nach: Wouter Davidts: „My Studio is<br />

the Place where I am (Working)“. Daniel<br />

Buren. In: Wouter Davidts / Kim<br />

*[…] the day when I cannot move<br />

or travel anymore,<br />

as I have done over the past<br />

forty years, I will be different. The<br />

only thing that I can imagine<br />

helping to keep it going<br />

in its present form might be<br />

my long experience of moving<br />

and looking at different places.<br />

Perhaps with documentation<br />

I could still work, but I would miss<br />

those little details<br />

that you can only see<br />

when you are there,<br />

when you meet people.<br />

My work would be completely<br />

different and certainly,<br />

as far as I [can] tell<br />

from my viewpoint today,<br />

would revert to more<br />

traditional aspects.<br />

I prefer not to think about it! 1<br />

Paice: The Fall of the Studio. Artists<br />

at Work. antennae Valiz, Amsterdam,<br />

2009, S. 64.<br />

2 Daniel Buren: The Function<br />

of the Studio. Übersetzt aus dem<br />

Französischen von Thomas Repensek,<br />

1979, S.51-59. Zitiert nach: Wouter<br />

Davidts: „My Studio is the Place where<br />

I am (Working)“. Daniel Buren. In:<br />

Wouter Davidts / Kim Paice: The Fall<br />

of the Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009, S. 64.<br />

3 Vgl. Wouter Davidts: „My<br />

Studio is the Place where I am<br />

(Working)“. Daniel Buren. In: Wouter<br />

Davidts / Kim Paice: The Fall of the<br />

Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009, S. 7.<br />

»The art of yesterday and today is not only marked by<br />

the studio as an essential, often unique, place of production,<br />

it proceeds from it. All my work proceeds<br />

from its extinction.« 2<br />

Der französischen Maler und<br />

Bildhauer Daniel Buren gilt neben<br />

dem amerikanischen Maler Robert<br />

Smithson,als Pionier der »Post-Studio«<br />

Kunstbewegung. Der Begriff<br />

wurde von dem amerikanischen<br />

Konzept- und Medienkünstler<br />

John Baldessari <strong>zur</strong> Beschreibung<br />

eines Seminars eingeführt, welches er am »California Institute of<br />

the Arts« im Jahre 1970 in Valencia gab. Aus welcher Quelle er sich<br />

für diese Bezeichnung bediente, ist jedoch unklar. 3 Bis heute aber<br />

beschreibt sie eine kritische Kunsttheorie, die sich mit der Beziehung<br />

zwischen einem Kunstwerk und seiner Umgebung, dem Ort<br />

seiner Entstehung und der Abhängigkeit zu seinem Schöpfer, auseinander<br />

setzt. Infolge dessen wird eine notwendige Existenz des<br />

Künstlerstudios als feste Räumlichkeit in Frage gestellt. Baldessari<br />

selbst äußerte sich zu seiner Vorstellung eines perfekten Studios<br />

nicht etwa mit einer Abkehr von dieser Begrifflichkeit, sondern<br />

spricht von seiner Idee eines Ortes, welcher mehr als nur die Eigenschaften<br />

eines singulären Raumes in sich vereint. »I don’t need one<br />

studio, but I do need a lot of studios.«, damit meint er also: »[…]<br />

one place made of many different places, […] made of different<br />

qualities and useful in different time frames.« 4<br />

Indem Smithson mit seinem bekannten Werk ‚Spiral Jetty’ <strong>–</strong><br />

einer 500 Meter lange nSpirale aus Steinen, Erde, Salz und roten<br />

Algen im Großen Salzsee von Utah <strong>–</strong> seine künstlerische Praxis auf<br />

die Landschaft übertrug und diese als Medium begriff, löste er sich<br />

ebenfalls von der Vorstellung, dass Künstlerstudio sei der einzige<br />

Ort künstlerischer Produktion. Er beschreibt seine Abkehr von<br />

einer veralteten Vorstellung des Künsterstudios wie folgt: »Deliverance<br />

from the confines of the studio frees the artist to a degree<br />

from geh snares of craft and the bondage of creativity.« 5<br />

Daniel Buren verfolge einen anderen Ansatz. Bereits als 17-jähriger<br />

Zeichenschüler setzte er sich Mitte der 50er Jahre, mit den<br />

Arbeiten der französischen Maler Paul Cézanne und Pablo Picasso<br />

auseinander. Dabei lag sein vornehmliches Interesse auf dem <strong>Ein</strong>fluss<br />

geografischer Lokalität auf Inhalt und Kontext eines Werkes.<br />

Spätere Studiobesuche anderer Künstler ebneten seinen Pfad auf<br />

der Suche nach der inneren »Wahrheit« beziehungsweise »Realität«<br />

eines Werkes. Er kommt enttäuscht zu dem Schluss, dass im Transfer<br />

einer Arbeit vom Ort ihrer Produktion, hin zum Ort ihrer Präsentation<br />

<strong>–</strong> sei es eine Galerie, ein Museum oder die Privatwohnung<br />

eines Sammlers <strong>–</strong> ein Verlust der werkeigenen Identität<br />

geschieht. 6 »What I later came to realize was that it was the reality<br />

of the work, its truth, its relationship to its creator and its place of<br />

creation, that was irretrievably lost in this transfer.« 7 Die Betrachtungen<br />

Burens beschäftigen sich weniger mit der Bedeutung des<br />

Produktionsprozesses selbst, sondern vielmehr mit der Bedeutung<br />

des Entstehungsumfeldes eines Werkes <strong>–</strong> dem Ort oder Nicht-Ort<br />

des Künstlerstudios.<br />

Die Kunst<br />

und der Raum<br />

-<br />

THE FALL<br />

OF THE STUDIO<br />

In seiner eigenen Kunstpraxis bedeutete dies, dass Buren den Identitätsverlust<br />

seiner Werke auszuschließen versucht, indem er seine<br />

Werke an eben jenem Ort erschafft, wo sie später auch zu betrachten<br />

sein würden. Somit bleibt es stets mit seinem Ursprungsort<br />

verbunden, während der klassische Produktionsort <strong>–</strong>das Studio <strong>–</strong><br />

in seiner traditionellen Gegenständlichkeit verschwindet.<br />

In seinen Werken greift er die charakteristischen<br />

Eigenschaften des<br />

Ortes auf, indem er sie reflektiert,<br />

visualisiert und so transparent<br />

macht. Als Beispiele seiner Arbeiten<br />

sind der Fußboden im Hauptbahnhof<br />

Wolfsburg oder das begehbare<br />

Kunstwerk ›Les Deux<br />

Plateaux‹ aus dem Jahre 1985/86 im<br />

Palais Royal in Paris zu nennen. 8<br />

Buren arbeitet also in situ, vor Ort,<br />

und hat somit zwar die physischen<br />

vier Wände seines Studios verlassen, findet sich nun jedoch im Öffentlichen<br />

Raum als hier annehmbare Räumlichkeit wieder.<br />

Somit stellt sich die Frage des »post-studio«, nach dem Untergang<br />

oder der anhaltenden Existenz des Künstlerstudios als Lebensraum<br />

und Ort der Kunstproduktion. Burens Antwort auf<br />

diese Frage löst das Studio als festen Raum auf und weitet ihn aus<br />

auf eine kreative Räumlichkeit, die überall zu finden ist. Er selbst<br />

behauptet, er trage sein Studio in seinem Inneren. 9 Somit wird das<br />

Studio und mit ihm die schöpferische Tätigkeit von einem Ort, zu<br />

einem Nichts, hin zu einem allgegenwärtigen Überall. Eben ganz<br />

so, wie die Kreativität selbst.<br />

»My studio is, in fact, where I find myself.« 10<br />

4 Kate van den Boogert: Studio<br />

Visit: ‚Alien‘ Philippe Parreno, In: TATE,<br />

Januar / Februar, 2003, S. 48-53. Zitiert<br />

nach: Wouter Davidts / Kim Paice: The Fall<br />

of the Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009, S. 6.<br />

5 Robert Smithson: A Sedimentation<br />

of the Mind: Earth Projects (1968), In:<br />

Robert Smithson: The Collected Writings,<br />

Berkeley: University of California Press,<br />

1996, S. 107. Zitiert nach: Daniel Buren:<br />

The Function of the Studio. Übersetzt aus<br />

dem Französischen von Thomas Repensek,<br />

1979, S. 51-59. Zitiert nach: Wouter<br />

Davidts: „My Studio is the Place where I<br />

am (Working)“. Daniel Buren. In: Wouter<br />

Davidts / Kim Paice: The Fall of the Studio.<br />

Artists at Work. antennae Valiz, Amsterdam,<br />

2009, S. 64.<br />

6 Vgl. Wouter Davidts: „My Studio<br />

is the Place where I am (Working)“. Daniel<br />

Buren. In: Wouter Davidts / Kim Paice: The<br />

Fall of the Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009, S. 72.<br />

7 Daniel Buren. Zitiert nach: Wouter<br />

Davidts: „My Studio is the Place where<br />

I am (Working)“. Daniel Buren. In: Wouter<br />

Davidts / Kim Paice: The Fall of the Studio.<br />

Artists at Work. antennae Valiz, Amsterdam,<br />

2009, S. 72.<br />

8 Vgl. Daniel Burren. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Buren.<br />

Stand: 14.11.2015.<br />

9 Vgl. Wouter Davidts: „My Studio<br />

is the Place where I am (Working)“. Daniel<br />

Buren. In: Wouter Davidts / Kim Paice: The<br />

Fall of the Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009, S. 80.<br />

10 Daniel Buren: Entretien aver<br />

Physllis Rosenzweig. In: LE III, 1988, S.<br />

358. Übersetzt von und zitiert nach: Wouter<br />

Davidts: „My Studio is the Place where<br />

I am (Working)“. Daniel Buren. In: Wouter<br />

Davidts / Kim Paice: The Fall of the Studio.<br />

Artists at Work. antennae Valiz, Amsterdam,<br />

2009, S. 80.<br />

211


Raum Im Gespräch mit Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Zu Besuch im Atelier eines Malers<br />

Kein Raum<br />

JB<br />

MC<br />

Jonas Burgert<br />

Marie-Christin Stephan<br />

Die Sonne scheint warm und hell, als ich an einem Maiwochenende<br />

zum ersten Mal den Studiokomplex in der Lehderstraße in<br />

Berlin Weißensee betrete. Der Innenhof wird von einer großen<br />

Schar Menschen bevölkert. Schlichte Betonwege durchtrennen<br />

saftiges Grün und finden ihren Weg in offene Türen großer Fabrikhallen.<br />

Fast jeder Zentimeter Gras wird <strong>zur</strong> Sitzfläche irgendeines<br />

Besuchers der Ngorongoro-Ausstellung zum Gallery<br />

Weekend Berlin 2015. Lautes Kindergeschrei lenkt meinen Blick<br />

auf türkisblaues Wasser, ebenfalls gerahmt von grauem Beton.<br />

<strong>Ein</strong> hoher Schornstein wird zum stillen Beobachter dieses bunten<br />

Spektakels. Ich bin irritiert. Solch ein Ort <strong>–</strong> hier? Die weiß<br />

gekalkten Räume hängen voll farbkräftiger Bilder, es braucht<br />

viele Schritte um ihre gesamte Länge zu durchschreiten. Mein<br />

Blick gleitet vorbei an aufgerollten Farbtuben und bleibt an ihrer<br />

Vielzahl haften. Von durchsichtigen Planen überdeckt, erkenne<br />

ich sie als zerbeulte Zeugen von Produktivität und Kreativität<br />

innerhalb weiter Hallen. Fünf Monate später sollte ich<br />

bei trübem Wetter auf nunmehr dunkelgrau gefärbten Betonwegen<br />

den selbigen Innenhof erneut betreten, um seinen Besitzer<br />

Jonas Burgert zu treffen und mehr über diesen <strong>–</strong> so besonderen<br />

Schaffensort <strong>–</strong> zu erfahren.<br />

Jonas Burgert wurde 1969 in Westberlin geboren und begann<br />

1991 sein Studium an der Universität der Künste Berlin, welches<br />

er 1996 beendete um im Anschluss für ein Jahr als Meisterschüler<br />

bei Dieter Hacker in die Lehre zu gehen. Nach zehn Jahren<br />

der Malerei, ohne größere öffentliche Beachtung, wurde sein<br />

Talent 2005 von Christoph Heinrich, dem Leiter der Hamburger<br />

Galerie der Gegenwart, auf einer kleinen Berliner Kunstmesse<br />

entdeckt. Inzwischen ist Burgert zu einem der bekanntesten<br />

zeitgenössischen Maler Deutschlands avanciert. Vertreten von<br />

der Produzentengalerie in Hamburg sowie der Galerie Blain-<br />

Southern in London / Berlin bleibt er seiner Geburtsstadt treu.<br />

Burgert lebt und arbeitet in Berlin und kaufte im Jahr 2010 das<br />

6000 Quadratmeter große Gelände einer ehemaligen Halbleiterfabrik<br />

in Weißensee. Gemeinsam mit fünf Künstlerfreunden<br />

verwandelte er, die einst als verseucht geltenden Industriebaracken,<br />

in einen Ort der ungestörten Kunstproduktion. In unserem<br />

Gespräch bezeichnet Burgert dies als die Erfüllung eines<br />

lang gehegten Traumes.<br />

Früh am Morgen öffnet er mir an diesem Herbsttag die silberne<br />

Tür zu seinem Studio und wir nehmen Platz auf breitschultrigen<br />

Sesseln. Unsere Blicke kreisen wie von selbst über jene bunt<br />

aufgereihten Farbtuben hinweg, verweilen kurz auf konfusen<br />

Bildarchiven dieses Malers und wenden sich schließlich ganz<br />

dem Ort seines künstlerischen Schaffens zu.<br />

212<br />

Fotografien von Marie-Christin Stephan<br />

213


Raum Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Atelier<br />

Kein Raum<br />

Atelier<br />

MC Wie bist du auf dieses Gelände aufmerksam<br />

geworden?<br />

JB Ich hatte mein Atelier gegenüber auf<br />

der anderen Straßenseite. Dieses Gelände<br />

stand über zwanzig Jahre leer. Irgendwann bin<br />

ich einfach über den Zaun geklettert und habe<br />

mir alles angeguckt. Ich fand die Proportionen<br />

auf Anhieb super. Die Anordnung der Gebäude<br />

um den Hof herum, die großen Hallen, der<br />

Schornstein. Auf dem Nebengrundstück standen<br />

noch riesige Fabrikhallen, die aber alle als<br />

verseucht galten. Aber der Hof hier war nur die<br />

Administrative der Firma gewesen und nicht<br />

verseucht, was geprüfte Gutachten belegt haben.<br />

Später bin ich mit einem Statiker durch<br />

die Hallen gegangen, der versicherte, dass die<br />

Hallen alle in Ordnung wären. Es sah einfach<br />

nur fürchterlich aus. Hier sind, ich weiß nicht,<br />

sagen wir mal zehn Pubertäten durchgelaufen.<br />

Du kannst dir kaum vorstellen wie es hier aussah.<br />

Alles voller Müll <strong>–</strong> wahnsinnige Massen.<br />

Alle Scheiben eingeschlagen, alle Türen raus.<br />

<strong>Ein</strong> einziges Desaster.<br />

Traumstudio<br />

JB Das Tolle bei dem Aufbau dieses Studios<br />

hier, war der Gedanke, dass man genau<br />

diese Kommunikation herstellen kann. Dadurch,<br />

dass wir alle unsere Ateliers rund um<br />

den Hof haben, essen wir fast jeden Tag zusammen<br />

Mittag und danach geht man wieder<br />

in sein eigenes Haus und arbeitet weiter. Das<br />

war eigentlich immer meine Traumvorstellung<br />

von einem Arbeitsplatz. Dass man einerseits<br />

Ruhe haben kann, sein eigenes Gebäude hat,<br />

seinen ganz eigenen Ort, und dass man sich<br />

gleichzeitig mit interessanten Leuten austauschen<br />

kann.<br />

MC Wenn ich andere nach ihrem Traumstudio<br />

befrage, dann sprechen sie von hohen<br />

Decken, viel Licht, viel Platz, Lagerfläche,<br />

und so weiter. Betrachtet<br />

man deinen Studiokomplex, dann<br />

scheinen diese Vorstellungen beantwortet<br />

zu sein. Hat sich also mit diesem<br />

Studio hier ein Traum für dich erfüllt?<br />

JB Absolut, ich habe wahnsinniges Glück,<br />

dass ich mir diesen Traum erfüllen konnte.<br />

Wohlfühlen<br />

MC Trotzdem hattest du sofort ein gutes<br />

Gefühl und eine Vision was daraus<br />

werden könnte?<br />

JB Das irre an Räumen ist, dass man eigentlich<br />

sofort empfindet, ob man sie mag<br />

oder nicht. Als hätten wir Antennen für Räumlichkeit.<br />

Und hier war es so. Alles war hässlich,<br />

dreckig und kaputt, aber ich habe mich sofort<br />

total wohl gefühlt. Ich buche das unter Verhältnismäßigkeiten,<br />

unter Proportionen, die<br />

einem angenehm oder unangenehm sind, ab.<br />

Und dann hatte ich zum ersten Mal überhaupt<br />

die Möglichkeit so etwas zu kaufen. Ich hatte<br />

Geld verdient mit den Bildern und dieses Geld<br />

wollte ich in etwas Sinnvolles investieren.<br />

<strong>Ein</strong>samkeit<br />

MC In Platz für neue Bilder?<br />

JB In Raum für neue Bilder und in einen<br />

Ort, an dem man in Ruhe gelassen wird.<br />

Bildende Kunst ist eine Sache, die man mit sich<br />

selbst macht. Das Problem dabei ist aber immer<br />

die <strong>Ein</strong>samkeit. Als bildender Künstler<br />

möchte man eigentlich seine Ruhe haben. Also<br />

ins Atelier gehen, die Tür schließen und alleine<br />

sein, um sich konzentrieren und arbeiten zu<br />

können. Aber nach fünf Stunden ist man einsam<br />

und dann möchte man gerne mal zu jemand<br />

anderem gehen und einen Kaffee trinken.<br />

Raumkriterien<br />

MC Welche Kriterien machen einen solchen<br />

Ort für dich aus?<br />

JB Gut ist, wenn man Luft nach Oben hat.<br />

Für den Geist ist es gut, wenn nach oben Platz<br />

ist. Licht und Größe spielen natürlich auch eine<br />

große Rolle. Es ist wichtig, dass man wegtreten<br />

kann von den Sachen, um sie aus der Entfernung<br />

anzuschauen. Diese Halle war mir am Anfang<br />

auch irgendwie zu groß. Doch mittlerweile<br />

habe ich sie im „Griff“. Man arrangiert sich ja in<br />

den Orten, in denen man ist.<br />

Proportion<br />

MC Man richtet sie für sich ein?<br />

JB Ja, und man wird extrem flexibel in der<br />

Proportion. Es ist auch prima, der Mensch<br />

stellt sich immer auf die Verhältnisse ein, in<br />

denen er sich befindet. Wenn wir in einem kleinen<br />

Raum sind, dann wirkt der etwas höhere<br />

Raum riesig, wenn wir dann aber in einem sehr<br />

großen Raum sind, dann kippt alles wieder und<br />

wir sind in einer neuen Proportion. Es ist toll,<br />

dass wir dazu in der Lage sind und andererseits<br />

auch schwierig, weil man sozusagen die<br />

eigene Objektivität nicht verlieren darf in der<br />

Sache. Beim Malen zum Beispiel passiert das<br />

auch. Man malt stundenlang und merkt gar<br />

nicht, dass alles viel zu blass geworden ist.<br />

Dann muss man alles korrigieren, weil die eige-<br />

Diese Halle<br />

war mir am<br />

Anfang auch<br />

irgendwie zu<br />

groß. Doch<br />

mittlerweile<br />

habe ich sie<br />

im „Griff“.<br />

214<br />

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Raum Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Atelier<br />

Kein Raum<br />

216<br />

217


Raum Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Atelier<br />

Kein Raum<br />

ne Proportion nicht mehr objektiv war, sondern<br />

viel zu subjektiv geworden ist. Aber gerade<br />

das ist ein sehr interessanter Aspekt. Denn<br />

es bedeutet, dass man sich in Proportionen<br />

verlieren kann.<br />

Perspektivwechsel<br />

MC Deshalb ist es für dich auch so wichtig<br />

genügend Platz zu haben, um <strong>zur</strong>ücktreten<br />

zu können und mit größerem<br />

Abstand und neuer Objektivität die<br />

eigene Arbeit betrachten zu können?<br />

JB Ja genau und damit ist ebenso gemeint,<br />

eine Runde um den Block laufen, Gewohnheiten<br />

zu verlassen, Perspektivwechsel<br />

zu erlauben, sich mit anderen Menschen auszutauschen<br />

und in Bewegung zu bleiben. Sonst<br />

verliert man das Verhältnis zu den Dingen, zu<br />

sich selbst und <strong>zur</strong> eigenen Arbeit.<br />

Austausch<br />

MC Wie wichtig ist dir der Austausch beziehungsweise<br />

der kritische Diskurs<br />

mit anderen Künstlern?<br />

JB Ich finde diesen Austausch sehr wichtig.<br />

In der Kunstproduktion vollführt man einen<br />

komischen Spagat. Man muss sich öffnen<br />

und seine Empfindungen freilegen. Man ist<br />

privat und persönlich und ehrlich, andererseits<br />

will man aber kommunizieren. Das heißt,<br />

man muss in der eigenen Arbeit Brücke schlagen<br />

und symbolisch werden um eine Lesbarkeit<br />

herzustellen. Dafür ist es gut Reaktionen<br />

zu bekommen, um zu prüfen, ob das Kommunikationsmedium<br />

welches man da herstellt,<br />

auch kommuniziert.<br />

Kritik<br />

MC An welchem Punkt in deinem Arbeitsprozess<br />

holst du dir Meinungen von<br />

außen ein?<br />

JB Ach eigentlich passiert das eher zufällig.<br />

Es kommt immer irgendwer in mein Studio<br />

und fragt nach irgendwas und guckt dann das<br />

Bild an und sagt 'Was ist das denn jetzt?‘. Auf<br />

diese Weise hat man stets ein Regulativ. Es geht<br />

ja auch nicht immer nur ums Negative. Manchmal<br />

sagt dann jemand 'Das sieht ja toll aus, da.'<br />

und man denkt 'Na das ausgerechnet findest du<br />

toll?‘. Dieser Umkehrschluss lehrt mich das<br />

Umdenken. Grundsätzlich ist es immer gut, die<br />

Reibung aufrechtzuerhalten.<br />

Ablenkung<br />

MC Immer wieder neue <strong>Ein</strong>flüsse vorzufinden,<br />

in Bewegung bleiben. Gleichzeitig<br />

sprichst du von Ungestörtheit und<br />

Ruhe zum Arbeiten. Wie schätzt du<br />

diese Ambivalenz ein?<br />

JB Es ist ambivalent. Neben der Dynamik,<br />

dem Austausch mit anderen, möchte ich<br />

manchmal auch meine Ruhe haben. Man muss<br />

dafür ein paar Tricks einhalten. Bisher haben<br />

wir zum Beispiel immer in meiner Küche gekocht<br />

<strong>–</strong> ganz schlechte Idee. Jeden Tag, acht<br />

Leute, ein wahnsinniger Alarm. Deswegen bauen<br />

wir jetzt eine Gemeinschaftsküche, die ein<br />

neutraler Ort ist. Das sind so kleine Sachen, die<br />

man falsch macht, weil man vorher nie darüber<br />

nachgedacht hat. Man muss dafür sorgen, dass<br />

man so ein paar Regeln aufstellt. Inzwischen<br />

gilt: Wenn die Tür zu ist, ist sie zu und wenn sie<br />

auf ist kann man reinkommen. Das ist eine ganz<br />

einfache Regel <strong>–</strong> und das funktioniert.<br />

Erreichbarkeit<br />

MC Vor einiger Zeit Ich habe mit deiner Assistentin<br />

telefoniert und sie meinte,<br />

dass du an deinen Bildern arbeitest<br />

und nicht zu sprechen seist. Schließt<br />

du dich dann in dein Studio ein und<br />

bist für niemanden zu erreichen?<br />

JB Das Problem an Berlin ist dieser Sog.<br />

Das ist manchmal ein bisschen viel. Wenn man<br />

immer mit so vielen Leuten zu tun hat, dann ist<br />

man irgendwie gar nicht mehr bei sich. Hinzukommend<br />

gibt es viele Anfragen von außen <strong>–</strong><br />

das ist toll, aber es kann auch zum Problem<br />

werden. Wenn ich die immer alle beantworten<br />

würde, dann käme ich gar nicht mehr dazu Bilder<br />

zu malen. Die Leute meinen das nicht böse,<br />

aber sie verstehen oft natürlich nicht, was das<br />

für ein Prozess ist, so ein Bild zu malen. Sie<br />

denken man malt irgendwie so nebenbei. Aber<br />

das ist nicht so und deswegen muss man einen<br />

Selbstschutz einbauen.<br />

MC Also setzt du dich bewusst nicht dem<br />

Zwang ständiger Erreichbarkeit aus?<br />

JB Der Zwang ist da, das stimmt schon.<br />

Ich setze mich an einem Tag der Woche an den<br />

Tisch und lese mir alle E-Mails der gesamten<br />

Woche durch. Früher war das auch so, man<br />

konnte nicht immer alles sofort machen, geht<br />

ja auch gar nicht.<br />

Analog & Digital<br />

MC Wenn du digitaler Kommunikation bewusst<br />

Grenzen schaffst, welche Rolle<br />

spielt dann die analoge Produktion für<br />

Dich? Wie wichtig ist dir die Arbeit mit<br />

deinen Händen?<br />

JB Also mal ganz ehrlich, das <strong>Ein</strong>zige was<br />

mich nervt ist, dass alle über diese Technik reden.<br />

Mir ist die Technik eigentlich völlig egal.<br />

Wenn jemand eine gute Idee hat, dann kann er<br />

entweder einen Bleistift nehmen oder einen<br />

Computer oder eine Geige <strong>–</strong> ist mir völlig egal.<br />

Merkwürdig finde ich an diesem Ganzen, die<br />

Leute, die sich so in die digitale Welt reinsteigern<br />

und denken, dass sich die Inhalte ändern,<br />

was nicht wahr ist. Es ist nur ein anderes Werkzeug,<br />

aber die Dinge an sich, die sind doch<br />

gleichgeblieben. Man muss im Gehirn eine Idee<br />

entwickeln und die kann man entweder mit einem<br />

Bleistift visualisieren oder mit Hilfe eines<br />

High-Tech-Computers.<br />

Für mich persönlich hat die Technik neben all<br />

ihren Vorteilen auch Nachteile. Ich habe zum<br />

Beispiel ein großes Fotoarchiv. Im Computer<br />

kannst du das alles speichern, aber wann<br />

guckst du dir das an?<br />

Sammlung von Inspiration<br />

MC Du sammelst Fotos <strong>zur</strong> Inspiration?<br />

JB Ja ich sammle schon immer Fotos von<br />

allem Möglichen was mich interessiert. Haltungen,<br />

die Menschen machen und Bewegungsabläufe,<br />

Strukturen und Farben. Das ist<br />

ein riesiges Archiv. Wenn ich hier in den abgetrennten<br />

Raum gehe, hängen da grob geschätzt<br />

tausend Fotos, die ich mir alle gleichzeitig<br />

angucken kann <strong>–</strong> auf dem Computer<br />

unmöglich. Für mich zählt der <strong>Ein</strong>druck, in dem<br />

Moment, den ich mein Fotoarchiv betrete und<br />

das ist für mich als Bildmensch ungemein<br />

wichtig. Dann öffnen sich die Poren im Gehirn.<br />

Das Problem ist, dass wir als Menschen Gewohnheitstiere<br />

sind. Wir sind immer auf der<br />

Suche nach Sicherheit. Wir wollen immer alles<br />

im Griff haben, aber in der Kunst musst du dich<br />

ja eigentlich auf das Gegenteil einlassen können<br />

<strong>–</strong> dich immer wieder freiwillig in Unsicherheiten<br />

begeben, um innovativ zu bleiben.<br />

218<br />

219


Raum Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Atelier<br />

Kein Raum<br />

MC Out of comfort zone?<br />

JB Genau, immer wieder Risiko eingehen,<br />

Poren aufmachen, sensibel werden <strong>–</strong> so ist das<br />

Prinzip. Und das widerspricht uns ein bisschen.<br />

In diesem Moment befinden wir uns in diesem<br />

Spagat, bewegen uns im Rahmen von Ambivalenzen.<br />

Unsicherheiten, Kontroversen, Gegenteilen<br />

<strong>–</strong> doch sonst würde man tendenziell<br />

dauernd das Gleiche malen.<br />

MC Und der Raum, dein Fotoarchiv, gibt dir<br />

den Raum dafür? Zum Poren öffnen<br />

und zum unsicher werden?<br />

JB Ja und an dieser Stelle spielt auch die<br />

Größe des Raumes eine Rolle, denn auf einmal<br />

kann man so etwas machen. Auf einmal kann<br />

man einfach mal dreitausend Fotos an die<br />

Wand hängen, herantreten und betrachten <strong>–</strong><br />

davon wegtreten und die Masse wirken lassen.<br />

Raum zum Scheitern<br />

MC Du schaffst dir also eine Fläche <strong>zur</strong> Erfüllung<br />

von genau diesem Bedürfnis.<br />

Welche anderen Bedürfnisse haben<br />

denn bei der Gestaltung deines Studios<br />

eine Rolle gespielt?<br />

JB Der Raum ist eigentlich sehr pragmatisch.<br />

Als ehemaliges Industriegebäude gibt es<br />

Wände und ein Dach und fertig. Der Raum hier<br />

ist nicht geistig aufgeladen. <strong>Ein</strong>e normale<br />

Wohnung ist beispielsweise mit dem romantischen<br />

Gedanken gebaut, dass man sich wohlfühlen<br />

soll. Oder eine Kirche ist gebaut für eine<br />

Religion. So haben alle Räume ihre ganz eigenen<br />

Zuordnungen. Im Falle von Industriebauten<br />

sind solche Gedanken überflüssig. Da geht<br />

es nur darum, dass es funktioniert. Und das<br />

verleiht dem Raum eine hohe Neutralität, die<br />

viel Platz für die eigene Entwicklung lässt.<br />

Man muss ja vor allem auch die <strong>Freiheit</strong> haben,<br />

mal Blödsinn machen zu können und was gegen<br />

die Wand zu fahren. Das muss möglich sein.<br />

Und das ist bei so pragmatischen Räumen gut,<br />

da gibt es auch Platz zum Scheitern.<br />

MC Und genau diesen Platz findest du hier?<br />

JB Absolut. Und überhaupt <strong>–</strong> das Studio<br />

ist genau so aufgeteilt, wie ich es brauche. Das<br />

heißt, die Hauptfläche ist für die Bilder und die<br />

Malerei. Dann habe ich einen Bereich mit Sofas<br />

und Sitzmöbeln und ich habe den Raum des<br />

Archivs. Ich habe noch ein Lager und im zweiten<br />

Stock eine kleine Wohnung, sodass ich<br />

auch hier schlafen kann, wenn es mal später<br />

wird.<br />

Und das ist bei so<br />

pragmatischen<br />

Räumen eigentlich<br />

gut, da gibt es auch<br />

Platz zum Scheitern.<br />

Trennung Arbeit & Privat<br />

MC Wie ist das als Künstler Privates und<br />

die eigene Arbeit voneinander zu trennen?<br />

Will man das überhaupt?<br />

JB Tja, ich weiß gar nicht, wie man das sagen<br />

soll. Erstmal ist es so, dass Kunst zu produzieren<br />

extrem viel mit der eigenen Persönlichkeit<br />

zu tun hat. Man wird ja nicht einfach<br />

Künstler weil man denkt ‚Das ist aber ein toller<br />

Beruf!‘, sondern man macht das aus einem inneren<br />

Bedürfnis heraus. Es ist nicht so wie mit<br />

anderen Berufen, wo man hingeht und um 16<br />

Uhr wieder nach Hause fährt. Das Künstlersein<br />

hört um 16 Uhr nicht auf <strong>–</strong> das macht eigentlich<br />

nie Pause. Ich denke immer darüber nach,<br />

was ich da gerade mache.<br />

MC Man trägt seine Arbeit also immer mit<br />

sich herum?<br />

JB Ja! Aber auch immer die Herausforderung.<br />

Das kann sehr spannend sein. Nur für die<br />

Menschen um einen herum ist das sicher<br />

manchmal sehr anstrengend, - auch für einen<br />

selbst. Ich habe früher mal in einer Garage gearbeitet<br />

und gelebt. Dort stand mein Bett direkt<br />

neben den Bildern, es roch nach Terpentin<br />

und morgens wachst du auf und siehst als erstes<br />

die Bilder vom Vorabend und das noch vor<br />

dem ersten Kaffee <strong>–</strong> das geht gar nicht. Mit<br />

den Jahren lernt man dazu. Deswegen, ich mag<br />

das ganz gern irgendwie, <strong>zur</strong> Arbeit zu fahren<br />

und wieder <strong>zur</strong>ück.<br />

MC Jetzt sagst du es ja doch, „<strong>zur</strong> Arbeit<br />

fahren und wieder <strong>zur</strong>ück“.<br />

JB Ist doch auch so. Der Arbeitsprozess,<br />

der hier stattfindet, der folgt schon einem normalen<br />

Rhythmus. Nur dass ich das Rad nach<br />

Feierabend nicht einfach so abschalten kann.<br />

Ich denke auch vorher und hinterher drüber<br />

nach, was ich da mache. Das ist vielleicht der<br />

Unterschied.<br />

Produktivität<br />

MC Gibt es eine bestimmte Zeit, zu der du<br />

am produktivsten bist?<br />

JB Früher habe ich lange nachts gearbeitet,<br />

aber dann hat man irgendwann keine<br />

Freunde mehr, das ist nicht so gut. Komischerweise<br />

stelle ich fest, dass meine beste Zeit<br />

zwischen fünf und acht Uhr abends liegt.<br />

MC Warum? Was glaubst du?<br />

JB Ich glaube der Abend ist nicht so<br />

schlecht, weil alles ein bisschen ruhiger wird.<br />

Irgendwie braucht man eben auch lange um in<br />

diesen Zustand reinzukommen. Also Kunst-<br />

Machen ist ja auch ein großer Prozess. Sich in<br />

den Zustand zu versetzen und das normale Leben<br />

<strong>zur</strong> Nebensache werden zu lassen.<br />

Inspiration empfinden<br />

MC Was ist das dann für ein Gefühl?<br />

JB Das ist schwer zu beschreiben. Ich<br />

würde sagen die Empfindung ist dann am<br />

stärksten. Man braucht lange um diese Sache<br />

zu empfinden. Und Empfindung ist ein tolles<br />

Wort <strong>–</strong> es beschriebt Fühlen ohne Kitsch.<br />

Das ist der entscheidende Punkt <strong>–</strong> man muss<br />

das Bild, während man es malt, im Inneren<br />

empfinden. Manchmal sitzt man stundenlang<br />

im Sessel, guckt an die Decke, denkt ein bisschen<br />

nach, bis man dem Gefühl auf die Schliche<br />

kommt und dann geht das. Aber ich glaube,<br />

das ist auch bei jedem anders,es gibt sehr persönliche<br />

Wege zum Ziel.<br />

220<br />

221


Raum Jonas Burgert Artist<br />

Studio<br />

Atelier<br />

Kein Raum<br />

Resignation<br />

MC Was machst du mal, wenn irgendwie<br />

gar nichts läuft? Gehst du dann eine<br />

Runde im Pool schwimmen?<br />

JB Ja, das ist super, das Schwimmen ist<br />

genial. Manchmal ist es aber auch gut einfach<br />

ruhig zu bleiben, ganz ruhig. Und dann kommt<br />

sie auch wieder. Die meiste Kreativität entsteht<br />

aus Langeweile. Wenn das Hirn permanent<br />

beschäftigt ist, kann es sich nicht viel<br />

einfallen lassen, da es die ganze Zeit re-agieren<br />

muss. Das Gehirn hat nur ein eine gewisse<br />

Kapazität <strong>zur</strong> Verfügung. Die meiste Zeit müssen<br />

wir irgendwas tun und reagieren und so ist<br />

doch klar, dass man währenddessen nicht gerade<br />

ein Gedicht erfindet. Nichtsdestotrotz ist<br />

es natürlich auch so, dass das Gehirn bei hohem<br />

Input viele Informationen bekommt und<br />

später in den ruhigen Momenten mehr Möglichkeiten<br />

hat, kreativ zu werden. Also wenn<br />

ich jetzt nur in einem verschlossenem Raum<br />

sitzen würde, dann wäre das wieder destruktiv.<br />

So sind wir wieder bei unserem Spagat <strong>–</strong> stets<br />

zwei gegensätzliche Dinge zu tun.Immer in Bewegung<br />

bleiben, richtig Action machen, viel<br />

Input holen und sich dann wieder ruhig in den<br />

Sessel setzen und an die Decke starren <strong>–</strong> das<br />

ist das Prinzip.<br />

222<br />

223


Raum<br />

Raum und Räumlichkeit<br />

Innen Außen <strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Kein Raum<br />

»Raum ist kein Gegenüber für den Menschen.<br />

Er ist weder ein äußerer Gegenstand noch ein<br />

inneres Erlebnis. Es gibt nicht die Menschen<br />

Raum und<br />

Räumlichkeit<br />

Wenn Inspiration durch Sinneseindrücke<br />

und Wahrnehmungen<br />

aus dem räumlichen Umfeld generiert<br />

wird, die menschliche Kreativität<br />

mentale <strong>Freiheit</strong> braucht um<br />

fließen zu können und Produktion<br />

durch räumliche Gegebenheiten<br />

beeinflusst werden kann, so wird die Betrachtung der Begrifflichkeit<br />

vom Raum an sich zu einer Notwendigkeit, um das Spannungsfeld<br />

zwischen Inspiration und Räumlichkeit zeichnen zu können.<br />

Der Begriff des Raumes leitet sich ab von dem germanischen<br />

Wort »ruma« und bedeutet Raum, Platz oder Lagerstätte. Noch<br />

interessanter in Verbindung zu unserer Vorstellung von Kreativität,<br />

ist die Herleitung des Begriffes auf Grundlage des avestischen Wortes<br />

»rauuah«, als freier Raum oder <strong>Freiheit</strong>. 1 Der Raum findet in<br />

seiner sprachlichen Herleitung also nicht nur seine Bedeutungsebene<br />

in architektonischen Ausdehnungen von Höhe, Länge und<br />

Breite <strong>–</strong> sondern auch in der mentalen Wahrnehmung des Subjektes.<br />

Die Raumphilosophie geht demnach nicht allein von einem<br />

mathematisch messbaren Raum aus, sondern auch von der Erfahrbarkeit<br />

von Räumlichkeit.<br />

Hierbei unterscheidet man zwischen verschiedenen Raummodellen.<br />

Besonders interessant für unsere Betrachtung wird die Idee<br />

des »absoluten Raumes«. Diese Lehre versteht den Raum als ein<br />

leeres Gefäß, welches durch darin befindliche Objekte in seiner<br />

räumlichen Ausdehnung gefüllt werden kann. Somit wird der<br />

Raum selbst lediglich als Rahmenbedingung darin vorhandener<br />

Wirkungsbeziehungen von Raum und Körper verstanden. 2<br />

Immanuel Kant, der wohl bedeutendste deutsche Philosoph der<br />

Aufklärung, beschreibt in seiner ›Kritik der reinen Vernunft‹, den<br />

Raum als die Grundlage sinnlicher Wahrnehmung. <strong>Ein</strong>e weitere<br />

Raumdimension könne die Sinnlichkeit von Zeit darstellen. 3 Beide<br />

Gegenstände werden in seiner Theorie der ,transzendalen Ästhetik’<br />

zu den Hauptfaktoren der sinnlichen Erkenntnis vereint. 4<br />

Heute wird Ästhetik sprachlich öfter in ihrer Bedeutung als »geschmackvoll«<br />

oder »die Lehre von der Schönheit« 5 verwendet. Kant<br />

wiederum stützt sich auf die ursprüngliche, griechische Bedeutung<br />

von Ästhetik als »das Wahrnehmbare betreffend«, abgeleitet von<br />

dem Wort »aisthetikós«. 6 Auch er geht davon aus, dass der Mensch<br />

über Rezeption seine äußere Umwelt wahrnimmt. Ihr im Inneren<br />

des Subjektes Raum- und Zeitempfinden zuzuschreiben, formt das<br />

menschliche Verständnis von Realität an sich. Somit gibt es für ihn<br />

kein logisches Denken, dass sich nicht in erster Instanz auf sinnliche<br />

Wahrnehmungen bezieht und ist somit immer subjektiv. 7<br />

Das Räumlich-Sein der wahrgenommenen Gegenstände ist<br />

damit zugleich auch immer Bedingung ihrer Existenz. Solche aus<br />

einzelnen Elementen zusammengesetzten, empirischen Anschauungen<br />

nennt Kant: Empfindungen. 8<br />

Im Abschnitt des Textes »Inspiration und Kreativität«<br />

wurde das menschliche Empfinden<br />

eines Raumes bereits angesprochen und spielt<br />

eine wichtige Rolle im Verständnis, Arbeitsplätze<br />

als produktive Räume zu begreifen.<br />

Sinnliche Wahrnehmung kann in einem Raum,<br />

der positiv empfunden wird <strong>–</strong> in dem man sich<br />

also »wohlfühlt« <strong>–</strong> in produktive Kreativität übersetzt werden.<br />

Da diese Publikation aber nicht nur auf den <strong>Ein</strong>fluss des Raumes<br />

auf die menschliche Kreativität blickt, sondern auch darzulegen<br />

versucht, wie der Mensch mit Hilfe dieses Wissens bewusst<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf den Raum selbst nehmen kann, unternehmen wir an<br />

dieser Stelle einen Umkehrschluss. Wenn Äußeres zu Innerem<br />

werden kann, so soll Inneres zu einem »Da Draußen« werden können.<br />

Unterstützen wird es den Kreativen, schafft er es, dem kreativen<br />

Chaos im Inneren ein geordnetes Außen zuzuschreiben. Dies<br />

kann gelingen, in dem man dem Chaos eine Leere gegenüberstellt.<br />

»Weil Descartes wohl alles Zufällige, Chaotische und Ungeregelte,<br />

wie es in den gewachsenen Städten und Wäldern sich einstellt, ein<br />

Greuel war, sah er in der Wüste und der leeren Ebene die idealen<br />

Vorraussetzungen für die Vorstellungen des Ingenieurs.« 9 , schreibt<br />

Franz Xaver Baier in seinem Buch »Der Raum« und spricht damit<br />

den notwendigen Rückzug des Kreativen aus einer komplexen Umgebung<br />

hin zu einer reduzierten Kreativfläche an.<br />

Descartes geht in seiner Aussage außerdem auf ein chaotisches<br />

Äußeres ein. <strong>Ein</strong> ebenso wichtiger Punkt dieser Betrachtung. So<br />

beeinflussen urbane Umfelder, mediale Präsenz und ständige Erreichbarkeit<br />

im heutigen Lebensumfeld des Kreativen doch ständig<br />

auch seine kreative Arbeit.<br />

Interessant wird an dieser Stelle die von Baier unternommene<br />

Unterteilung zwischen erlebbarem Raum und gelebten Raum. Baier<br />

führt auf, dass der Raum in seiner Geometrie als solche, homogen<br />

und überall gleichwertig sei. »Im Geometrischen Raum werden<br />

Gebilde als getrennte Körper durch Beziehungen eines<br />

übergeordneten Koordinatensystems verbunden.« 10 Dieser mathematische<br />

Raum ist in seiner Länge, Breite und Höhe vom Menschen<br />

messbar und erfahrbar. Zwischen diesem technischen Raum<br />

und dem empfundenen Raum liegt die subjektive Wahrnehmung<br />

und die menschliche Fähigkeit <strong>zur</strong> Interpretation. Diese Sichtweise<br />

fügt dem Ausgangspunkt der Wahrnehmung nach Kant, die<br />

Möglichkeit zu einer reaktiven Handlung des Menschen im wahrgenommenen<br />

Raum hinzu. Im »Gelebten Raum« kann der Mensch<br />

selbst also tätig werden und <strong>Ein</strong>fluss nehmen.<br />

»Die Geometrie des gelebten Raumes ist eine bewegte Geometrie.<br />

Sie befindet sich in permanenter Umbildung […]. Zum gelebten<br />

Raum gehört [also] eine »Chaos«-Geometrie, die Transformationen,<br />

Übergänge, Verbindungen und Formprozesse sichtbar<br />

macht. 11 , stellt Baier fest.<br />

Unsere <strong>Ein</strong>flussnahme auf den Raum ist also keine konstante,<br />

sondern eine dynamische Interaktion mit den darin befindlichen<br />

Wahrnehmungen. Somit »sind Mensch und Raum unauflösbar<br />

miteinander verknüpft. Raum ist kein Gegenüber für den Menschen.<br />

Er ist weder ein äußerer Gegenstand noch ein inneres Erlebnis.<br />

Es gibt nicht die Menschen und außerdem Raum.« 12<br />

Es wird also deutlich wie stark die sinnlich bedingte, schöpferische<br />

Leistungsfähigkeit eines Menschen von seinem räumlichen<br />

Umfeld durchzogen ist und wie fest unsere subjektive Interpretation<br />

das Wesen des Raumes selbst durchdringt. Der Mensch ist also<br />

selbst räumlich und zeitlich und somit auch seine Kreativität.<br />

Deshalb sind Raum, Zeit und Sein nur aus der persönlichen<br />

Lebensweise eines Menschen heraus begreifbar. Daraus schlussfolgere<br />

ich, dass ein Raum viele Wirklichkeiten haben kann <strong>–</strong> und<br />

zwar immer jene Wirklichkeit, die ihm ein Subjekt in seiner Wahrnehmung<br />

zuschreibt.<br />

Folglich eröffnet Räumlichkeit Platz für schöpferisches Handeln.<br />

Denn der Mensch setzt jeden Raum in seinen einzelnen Elementen<br />

zu einer eigenen, neuen Räumlichkeit zusammen. Deshalb<br />

erfahren Räume auch unterschiedliche Nutzungsweisen, rufen<br />

divergente Empfindungen hervor und mögen für den einen Menschen<br />

Ausgangspunkt für Kreativität und für einen anderen Menschen<br />

Ausgangspunkt für Chaos sein.<br />

Das würde bedeuten, dass die Suche nach einer Raumlösung,<br />

welche universell anwendbar ist und für jeden Menschen funktioniert,<br />

an dieser Stelle endet. Da sie nie identisch sein kann, weil auch<br />

die menschliche Wahrnehmung nie identisch oder universell ist.<br />

Allein schon »[weil] jede Wahrnehmung infolge Kultur, Erziehung<br />

und Persönlichkeit anders ist, wird der objektive Architekturraum<br />

auf der Subjektseite je anders aufgenommen.« 13 , konstatiert Baier.<br />

Vielmehr gilt es also nach Räumen zu suchen, die Platz und <strong>Freiheit</strong><br />

für divergente Interpretation, Nutzung und Bespielung bieten,<br />

will man einen kreativen Raum bereitstellen. In die Praxis übersetzt,<br />

spricht Elisabeth Pélegrin-Genel in unserem Interview von der <strong>Freiheit</strong><br />

zu eigenen Entscheidungsspielräumen am Arbeitsplatz. »Die<br />

Räumlichkeit allein hat keinen <strong>Ein</strong>fluss. Es ist der Raum in Verbindung<br />

<strong>zur</strong> Arbeit. Und die Arbeit betrifft die Arbeitsweise und die<br />

Verteilung von Verantwortlichkeiten. Besitze ich eine gewisse <strong>Freiheit</strong><br />

in meiner Tätigkeit? Darf ich Entscheidungen selbstständig treffen?«<br />

14 , gibt sie uns als entscheidende Fragen mit auf den Weg.<br />

und außerdem Raum.« 12 1 Vgl. Friedrich Kluge: Raum. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitung von Elmar<br />

Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage. Berlin / New York,<br />

2002, S. 747.<br />

2 Vgl. Wikipedia: Raum (Philosophie).<br />

https://de.wikipedia.org/wiki/<br />

Raum_(Philosophie). Stand: 11.11.2015.<br />

3 Vgl. Wikipedia: Raum (Philosophie).<br />

https://de.wikipedia.org/wiki/<br />

Raum_(Philosophie). Stand: 11.11.2015.<br />

4 Vgl. Wikipedia: Transzendale<br />

Ästhetik. https://de.wikipedia.org/wiki/<br />

Raum_(Philosophie). Stand: 11.11.2015.<br />

5 Friedrich Kluge: Raum. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitung von Elmar<br />

Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage. Berlin / New York,<br />

2002, S. 66.<br />

6 Friedrich Kluge: Raum. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache. Kluge, Bearbeitung von Elmar<br />

Seebold, De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage. Berlin / New York,<br />

2002, S. 66.<br />

7 Vgl. Wikipedia: Transzendale<br />

Ästhetik. https://de.wikipedia.org/wiki/<br />

Raum_(Philosophie). Stand: 11.11.2015.<br />

8 Vgl. Wikipedia: Immanuel Kant.<br />

https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie).<br />

Stand: 11.11.2015.<br />

9 Franz Xaver Baier: Der Raum.<br />

Prolegomena zu einer Architektur des<br />

gelebten Raumes. Band 2. Christian<br />

Posthofen [Hrsg.], Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek. Verlag der Buchhandlung<br />

Walther König, Köln, 2000, S. 14.<br />

10 Franz Xaver Baier: Der Raum.<br />

Prolegomena zu einer Architektur des<br />

gelebten Raumes. Band 2. Christian<br />

Posthofen [Hrsg.], Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek. Verlag der Buchhandlung<br />

Walther König, Köln, 2000, S. 13.<br />

11 John Briggs, David F. Peat: Die<br />

Entdeckung des Chaos. Zitiert nach: F<br />

Franz Xaver Baier: Der Raum. Prolegomena<br />

zu einer Architektur des gelebten<br />

Raumes. Band 2. Christian Posthofen<br />

[Hrsg.], Kunstwissenschaftliche Bibliothek.<br />

Verlag der Buchhandlung Walther<br />

König, Köln, 2000, S.13.<br />

12 Franz Xaver Baier: Der Raum.<br />

Prolegomena zu einer Architektur des<br />

gelebten Raumes. Band 2. Christian<br />

Posthofen [Hrsg.], Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek. Verlag der Buchhandlung<br />

Walther König, Köln, 2000, S. 18.<br />

13 Franz Xaver Baier: Der Raum.<br />

Prolegomena zu einer Architektur des<br />

gelebten Raumes. Band 2. Christian<br />

Posthofen [Hrsg.], Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek. Verlag der Buchhandlung<br />

Walther König, Köln, 2000, S. 90.<br />

14 Elisabeth Pélegrin-Genel: Aus<br />

einem Interview am 27.07.2015.<br />

224<br />

225


<strong>Ein</strong> <strong>Aufruf</strong> <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>


Raum<br />

Kein Raum <strong>–</strong> Über die <strong>Freiheit</strong><br />

Un<br />

abhängigkeit<br />

<strong>Ein</strong> Text von Marie-Christin Stephan<br />

Kein Raum<br />

»Meinungen, Sitten und Gewohnheiten<br />

überleben die stärksten Erschütterungen,<br />

erregen Unbehagen, bilden Fesseln<br />

und verwirren das<br />

Spiel nach Herzenslust.<br />

Man achtet zu<br />

wenig auf derlei<br />

Sorgen; eine einfache<br />

Ausschaltung zu<br />

-<br />

Beginn des Unbehagens<br />

würde die Fesseln<br />

lösen und den freien Kräften der<br />

Phantasie Spielraum geben. Die Sitten<br />

sind ehrbare und allmächtige Gewohnheiten<br />

geworden, und inmitten so vieler<br />

ermüdender Widersprüche denkt niemand<br />

daran, daß ein klarer Entschluß<br />

das Hindernis beseitigen und dem Leben<br />

freien Durchbruch schaffen könnte.<br />

Ganz einfach dem Leben.« 1<br />

Kein Raum<br />

ÜBER DIE FREIHEIT<br />

So äußert sich Le Corbusier und gibt uns eine<br />

vielgestaltige Anleitung zum Erlangen der kreativen<br />

<strong>Freiheit</strong>. So greift er doch die kulturelle <strong>Ein</strong>bindung<br />

des Menschen in Sitten und schwer auszubrechenden<br />

Gewohnheiten auf. Sich jener<br />

»Fesseln« <strong>–</strong> also von der gesellschaftlichen Vorprägung<br />

<strong>–</strong> zu befreien, ist trotz gefühlter Unfreiheit<br />

schwer. Es würde bedeuten, sich aus Sicherheiten<br />

in Unsicherheiten zu begeben. Dass dies eine<br />

nicht allzu menschliche Eigenschaft sei, betonte<br />

bereits Jonas Burgert. Doch eben dieses Schrittes<br />

bedarf es in der Kunst, um wirklich schöpferisch<br />

tätig sein zu können. Im Zustand der Sicherheit<br />

würden unsere Kreativleistungen auf Wiederholungen<br />

abstumpfen und innovative Ideen ausbleiben.<br />

Sie würden also das »Spiel« eindämmen.<br />

Das Spiel birgt ein großes Kreativpotenzial in<br />

sich, impliziert es doch zugleich ein leichtherziges<br />

Experimentieren. Wer experimentiert, verändert<br />

ständig seinen Blickwinkel, nimmt neue<br />

Perspektiven ein und übt divergentes Denken aus.<br />

Die wohl wichtigste Form kreativer Prozessleistung.<br />

Wer experimentiert, der kennt noch kein<br />

Ergebnis. Wer experimentiert begibt sich also in<br />

eine Unsicherheit und räumt Platz für Fehler ein.<br />

Wer experimentiert ist also auch bereit zu Scheitern.<br />

Wer sich auf das Experimentieren einlässt,<br />

lässt sich demnach auch auf die <strong>Freiheit</strong> ein. So<br />

kann man den Ausspruch von Le Corbusier so<br />

interpretieren, dass derjenige, der sich bewusst<br />

dazu entscheidet, sich von den angelegten<br />

Fesseln zu befreien, auch einen Zugang<br />

<strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong> finden wird. Und somit einen<br />

Zugang zu seinem eigenen Ich, seinem Leben.<br />

Möglicherweise war diese Interpretation von<br />

Le Corbusier so gar nicht intendiert. Erschuf<br />

er doch mit seiner Vermessung des Menschen und seiner durchschnittlichen<br />

Proportionen eine stark regulierte, numerische Lehre<br />

menschlicher Bedürfnisse. Sie zeichnet eine standardisierte,<br />

homogene Welt, statt einer heterogenen, sich in ständiger Veränderung<br />

befindlichen Räumlichkeit. Vielleicht ruft uns Le Corbusier<br />

also mittels eines »klaren Entschlusses« vielmehr <strong>zur</strong> Unfreiheit<br />

auf. Doch ebenso wie die durchschnittliche Körpergröße des Menschen<br />

oder die persönliche <strong>Ein</strong>stellung <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>–</strong> es ist immer<br />

eine Frage der Auslegung. Und eine Frage dessen, was sich ein Individuum<br />

unter der Vorstellung von <strong>Freiheit</strong> zu erträumen vermag.<br />

»Die Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft. Wo immer<br />

die Hieroglyphe irgendeines Raumbildes entziffert ist, dort bietet<br />

sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar.« 2, schreibt Siegfried<br />

Kracauer. Um Raumbilder also neu zeichnen zu können, müssen<br />

wir zunächst an ihrem Ursprung feilen. Den Bleistift spitzen, neue<br />

Skizzen erstellen und Farbpaletten bereitlegen. Dass ein jedes Individuum<br />

der Gesellschaft seine eigenen Farben nach Belieben<br />

mischen kann, muss im Sinne der <strong>Freiheit</strong> als selbstverständlich<br />

angesehen werden.<br />

»Die einzige Unabhängigkeit, die diesen Namen verdient, ist die<br />

Möglichkeit, unser eigenes Wohl auf unsere Weise zu erreichen<br />

[…].« 3 , unterstreicht auch John Stuart Mill, ein englischer Philosoph<br />

und Ökonom des 19. Jahrhunderts. Mit seiner Forderung, dass das<br />

Prinzip der <strong>Freiheit</strong> einem Lebensplan entsprechen müsse, »der unseren<br />

eigenen Charakteranlagen entspricht, zu entwerfen und zu tun,<br />

was uns beliebt […].« 4 legt er dem Individuum nicht nur Mischpalette<br />

sondern zugleich Pinsel in die Hand. In seinem Werk ›On Liberty‹<br />

aus dem Jahre 1859 setzt er sich mit dem Wesen und den<br />

Grenzen sozialer <strong>Freiheit</strong> eines Individuums innerhalb seiner bürgerlichen<br />

Gesellschaft auseinander. 5 Historisch gesehen wurde der<br />

Begriff der <strong>Freiheit</strong> als ein »Schutz vor der Tyrannei der politischen<br />

Herrscher« 6 angesehen. Als Kind der Industriellen Revolution allerdings,<br />

sieht sich Mill als Teil einer zivilisierteren Gesellschaft, deren<br />

Stadium des Fortschritts, eine neue Definitionsgrundlage für den<br />

Begriff von <strong>Freiheit</strong> bietet. 7 Seiner Vorstellung von <strong>Freiheit</strong> soll an<br />

dieser Stelle Raum geschenkt werden.<br />

»But there is a sphere of action in which society, as distinguished<br />

from the individual, has, if any, only an indirect interest; comprehending<br />

all that proportion of a person’s life and conduct which<br />

affects only himself, or if it also affects others, only with their free,<br />

voluntary, and undeceived consent and participation. When I say<br />

only himself, I mean directly, and in the first instance: for whatever<br />

affects himself, may affect others through himself; and the objection<br />

which may be grounded on this contingency, will receive consideration<br />

in the sequel. This, then, is the appropriate region of<br />

human liberty. It compromises, first, the inward domain of consciousness;<br />

demanding liberty of conscience, in the most comprehensive<br />

sense; liberty of thought and feeling; absolute freedom of<br />

opinion and sentiment on all subjects, practical or speculative,<br />

scientific, moral, or theological.« 8<br />

Fühlt sich Mill zu Zeiten der Industriellen Revolution mit umwälzenden<br />

Veränderungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft,<br />

Technik und Sozialreform zum Überdenken des <strong>Freiheit</strong>sbegriffes<br />

aufgerufen, so sollten auch wir die veränderten Bedingungen einer<br />

digitalisierten Gesellschaft zum Anlass nehmen, unser Verständnis<br />

von <strong>Freiheit</strong> neu zu formulieren. Als im Grundgesetz verankertes<br />

Recht eines jeden Menschen, ist es an der Zeit, dieses Recht<br />

auch in der alltäglichen Arbeit einzufordern. Denn solange die<br />

Gesellschaft nur von <strong>Freiheit</strong> träumt, solange werden ihre Räumlichkeiten<br />

unfrei bleiben. Die Politberaterin Teresa Bücker richtet<br />

eben solch eine Forderung an ihr Publikum auf der re:publica 2013:<br />

»Ich habe mich im letzten Jahr relativ viel mit dem Thema »Die<br />

Zukunft der Arbeit« beschäftigt und möchte diesen Begriff heute<br />

ganz gerne zu den Akten legen und ihn nicht mehr verwenden.<br />

Denn ich glaube solange wir immer weiter von der Zukunft reden,<br />

bewegen wir uns nicht wirklich, weil dieser Begriff dazu führt,<br />

dass wir abwarten. […] Denn mit der Zukunft, über die wir sprechen,<br />

auch bei der Zukunft der Arbeit, meinen wir die Gegenwart.<br />

Das bedeutet <strong>–</strong> wir müssen jetzt anfangen.« 9 . Und wer sich bereits<br />

schonmal im Kleinen versuchen möchte, der widme sich dem »Manifest<br />

- <strong>Aufruf</strong> <strong>zur</strong> kreativen <strong>Freiheit</strong>«. Und was im Kleinen funktioniert<br />

wird vielleicht bald gesellschaftliche Realität.<br />

»Dramatisiert wird der Gegensatz zwischen dem Reich<br />

der Notwendigkeit und dem Reich der <strong>Freiheit</strong>. Wer<br />

arbeitet, ist verstrickt in Not und Notdurft; wer spielt,<br />

hat demnach Spielraum, Freiraum.« 10<br />

1 Zitiert nach Johannes P. Osterhoff:<br />

Der Modulor, Le Corbusier. 2005, S. 15.<br />

2 Kracauer, Siegfried; Über<br />

Arbeitsnachweise - Konstruktion eines<br />

Raumes. In: Siegfried Kracauer, Inka<br />

Mülder-Bach [Hrsg.]: Schriften, Band 5,2.<br />

Aufsätze 1927-1931, Frankfurt am Main,<br />

1990, S. 185-192, S. 186.<br />

3 John Stuart Mill: Über die <strong>Freiheit</strong>.<br />

Bernd Gräfrath [Hrsg.], Philipp Reclam jun.<br />

GmbH & Co., Stuttgart, 2009, S. 43.<br />

4 John Stuart Mill: Über die <strong>Freiheit</strong>.<br />

Bernd Gräfrath [Hrsg.], Philipp Reclam jun.<br />

GmbH & Co., Stuttgart, 2009, S. 41.<br />

5 Vgl. John Stuart Mill: Über die<br />

<strong>Freiheit</strong>. Bernd Gräfrath [Hrsg.], Philipp<br />

Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart,<br />

2009, S. 11.<br />

6 John Stuart Mill: Über die<br />

<strong>Freiheit</strong>. Bernd Gräfrath [Hrsg.], Philipp<br />

Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart,<br />

2009, S. 11.<br />

7 John Stuart Mill: On Liberty.<br />

Bernd Gräfrath [Hrsg.], Philipp Reclam<br />

jun. GmbH & Co., Stuttgart, 2009, S. 40.<br />

8 Teresa Bücker: Der Montag liebt<br />

dich. Aus einem Vortrag auf der re:publica<br />

2013, veröffentlicht am 07.05.2013.<br />

https://www.youtube.com/watch?v=MpiatFsLE9w.<br />

Stand: 27.09.2015.<br />

9 Teresa Bücker: Der Montag liebt<br />

dich. Aus einem Vortrag auf der re:publica<br />

2013, veröffentlicht am 07.05.2013.<br />

https://www.youtube.com/watch?v=MpiatFsLE9w.<br />

Stand: 27.09.2015.<br />

10 Dieter Thomä: Der Wert der<br />

Arbeit und das Spiel der Generationen. In:<br />

Arbeit. Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog<br />

<strong>zur</strong> gleichnamigen Ausstellung im<br />

Deutschen Hygiene-Museum Dresden.<br />

Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009, S. 67.<br />

228<br />

229


Inspiration<br />

<strong>Ein</strong> Epilog<br />

Mittel Punkt von Marie-Christin Stephan<br />

Räumlichkeit<br />

Zwei Pole<br />

zu <strong>Ein</strong>em<br />

Im Begriff der <strong>Freiheit</strong> scheinen die Themenkomplexe<br />

dieser Publikation ihre umgreifende Mitte<br />

zu finden. Im freien Geist, alltäglicher Inspiration<br />

mit offenen Sinnen zu begegnen. In den Momenten<br />

von Kreativität, die ihrer Freiräume bedarf, um<br />

in deren Stille wachsen zu können. In Umsetzung<br />

und Produktivität, die auf einen freien Rücken<br />

ohne Leistungsdruck setzt. In der eigenen Motivation,<br />

die kreative Arbeit als Lebensform und<br />

nicht als Unfreiheit zu empfindeen. Sowie in der<br />

freien <strong>Ein</strong>teilung von Zeit und Raum entsprechend<br />

der eigenen Bedürfnisse.<br />

Diesen Ansprüchen, ob persönlicher oder gesellschaftlicher<br />

Natur, müssen Stimme, Raum und und<br />

vor allem freie Entfaltung zugespriochen werden.<br />

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ich meine<br />

Ausführungen mit einem politischen <strong>Aufruf</strong> beenden<br />

würde? Ich ganz sicherlich nicht. Aber <strong>–</strong> um<br />

ganz ehrlich zu sein: Ich hätte auch nicht erwartet,<br />

dass es ausgerechnet die <strong>Freiheit</strong> sei, in der wir<br />

den heißen Schmelzkern entdecken würden, auf<br />

dessen Suche wir uns in diesem Projekt begeben<br />

haben. Dass es <strong>Freiheit</strong> ist, die uns Antwort auf so<br />

viele Fragen bietet.<br />

Wahrscheinlich, weil ich selbst zu Beginn dieser<br />

Arbeit nicht frei genug im Denken war. So lieferten<br />

mir die hier untersuchten Texte die richtige Inspiration<br />

und eine neue Wissensgrundlage, um die<br />

<strong>Freiheit</strong> als schöpferischen Ursprungspunkt im<br />

Kern zu erkennen.<br />

230


Quellen<br />

verzeichnis<br />

LITERATUR<br />

Organisatorisches<br />

Andre Wilkens: Analog ist das neue Bio.<br />

Metrolit, Berlin, 2015.<br />

Angelika Krebs: Arbeit und Freizeit. In: Arbeit.<br />

Sinn und Sorge. Ausstellungskatalog <strong>zur</strong> gleichnamigen<br />

Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum<br />

Dresden. Diaphanes, Zürich / Berlin, 2009.<br />

Christoph Bartmann: Leben im Büro. Die schöne<br />

neue Welt der Angestellten. Hanser, München,<br />

2012. Zitiert nach: Frank Berzbach: Die Kunst ein<br />

kreatives Leben zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit.<br />

Verlag Hermann Schmidt, Mainz, 2013, 6.<br />

Auflage 2014.<br />

Claus Benz / Robert Grob / Peter Haubner: Gestaltung<br />

von Bildschirmarbeitsplätzen. Arbeitsplatz,<br />

Umgebung, Organisation und Systemeinführung.<br />

Prof.Dr.-Ing. Lange, Prof. Dr. Dr. Hagenkötter, Dr.-Ing.<br />

Doerken [Hrsg.]. Verlag TÜV Rheinland, Köln, 1981.<br />

Daniel Buren: Entretien aver Physllis Rosenzweig.<br />

In: LE III, 1988. Übersetzt von und zitiert<br />

nach: Wouter Davidts: „My Studio is the Place<br />

where I am (Working)“, Daniel Buren. In: Wouter<br />

Davidts, Kim Paice: The Fall of the Studio. Artists<br />

at Work. antennae Valiz, Amsterdam, 2009.<br />

Daniel Buren: The Function of the Studio.<br />

Revisited: Daniel Buren in Conversation. Dublin,<br />

2006. Zitiert nach: Wouter Davidts: „My Studio is<br />

the Place where I am (Working)“, Daniel Buren. In:<br />

Wouter Davidts, Kim Paice: The Fall of the Studio.<br />

Artists at Work. antennae Valiz, Amsterdam, 2009.<br />

David Ogilvy: Geständnisse eines Werbemannes.<br />

Ullstein Buchverlage, Berlin, 2005.<br />

Dieter Thomä: Der Wert der Arbeit und das<br />

Spiel der Generationen. In: Arbeit. Sinn und Sorge.<br />

Ausstellungskatalog zu gleichnamigen Ausstellung<br />

im Deutschen Hygiene-Museum,Dresden. Diaphanes,<br />

Zürich / Berlin, 2009.<br />

Élisabeth Pélegrin-Genel: The <strong>Office</strong>. Flammarion,<br />

Paris / New York, 1996.<br />

Frank Barron: The Psychology of Imagination.<br />

Scientific American, 1958. Zitiert nach: David<br />

Ogilvy: Geständnisse eines Werbemannes. Ullstein<br />

Buchverlage, Berlin, 2005.<br />

Frank Berzbach: Kreativität aushalten / Psychologie<br />

für Designer. Verlag Hermann Schmidt,<br />

Mainz, 2010.<br />

Frank Berzbach: Die Kunst ein kreatives Leben<br />

zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit. Verlag Hermann<br />

Schmidt, Mainz, 2013, 6. Auflage 2014.<br />

Franz Xaver Baier: Der Raum. Prolegomena zu<br />

einer Architektur des gelebten Raumes. Band 2.<br />

Christian Posthofen, [Hrsg.] Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek. Verlag der Buchhandlung Walther<br />

König, Köln, 2000.<br />

Friedrich Kluge: Inspiration. Etymologisches<br />

Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet<br />

von Elmar Seebold. De Gruyter, 24. durchgesehene<br />

und erweiterte Auflage, Berlin/ New York, 2002.<br />

Hartmut Günther, Otto Ludwig: Schrift und<br />

Schriftlichkeit. <strong>Ein</strong> interdisziplinäres Handbuch<br />

internationaler Forschung. Band 2. De Gruyter,<br />

Berlin, 1996.<br />

Hartmut von Hentig: Kreativität. Weinheim,<br />

2000. Zitiert nach Frank Berzbach: Kreativität aushalten<br />

/ Psychologie für Designer. Verlag Hermann<br />

Schmidt, Mainz, 2010.<br />

Holm Friebe, Sascha Lobo: Wir nennen es<br />

Arbeit. Heyne, München, 2006.<br />

Jeremy Myerson, Philip Ross: Das kreative<br />

Büro. Deutsche Verlagsanstalt GmbH, Stuttgart,<br />

1999.<br />

John Stuart Mill: Über die <strong>Freiheit</strong>. Bernd Gräfrath<br />

[Hrsg.]. Reclam, Stuttgart, 2009.<br />

Joseph Beuys: Jeder Mensch ist ein Künstler.<br />

Auf dem Weg <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong>sgestalt des Sozialen<br />

Organismus. Öffentlicher Vortrag vom 23. März<br />

1978 im Internationalen Kulturzentrum Achberg,<br />

veröffentlicht als Audiokassette im F.I.U., Verlag<br />

Wangen, 1991. Zitiert nach: Wolfgang Zumdick:<br />

Über das Denken. Bei Joseph Beuß und Rudolf<br />

Steiner. Wiese Verlag, Basel, 1995.<br />

Karen Joisten: Die Überwindung der Anthropozentrizität<br />

durch Friedrich Nietzsche. Königshauses&Neumann,<br />

Mainz, 1993.<br />

Kate van den Boogert: Studio Visit: ‚Alien‘<br />

Philippe Parreno, In: TATE, Januar / Februar 2003.<br />

Zitiert nach: Wouter Davidts, Kim Paice: The Fall<br />

of the Studio. Artists at Work. antennae Valiz,<br />

Amsterdam, 2009.<br />

Katharina Altemeier: Das Büro zwischen<br />

Utopie und Realität. In: Schöner Wohnen. Verlagssonderpromotion<br />

in Zusammenarbeit mit USM<br />

Möbelbausysteme. 2015.<br />

Matthew B. Crawford: Ich schraube, also bin<br />

ich. Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu<br />

schaffen. Ullstein, Berlin, 2010. Zitiert nach: Frank<br />

Berzbach: Die Kunst ein kreatives Leben zu führen.<br />

Anregungen zu Achtsamkeit. Verlag Hermann<br />

Schmidt, Mainz, 2013, 6. Auflage 2014.<br />

Peter Kern, Franziska Ruf: Ergonomie im Büro<br />

- Zahlenkataloge einer Geheimwissenschaft oder<br />

aktive Gesundheitsvorsorge. In: Lebensraum Büro.<br />

Ideen für eine neue Bürowelt. Oktogon Verlag München<br />

/ Stuttgart, 1992.<br />

Robert Smithson: A Sedimentation of the<br />

Mind: Earth Projects 1968. In: Robert Smithson:<br />

The Collected Writings. Berkeley University of California<br />

Press, 1996. Zitiert nach: Daniel Buren: The<br />

Function of the Studio. 1979, Zitiert nach: Wouter<br />

Davidts: „My Studio is the Place where I am (Working)“,<br />

Daniel Buren. In: Wouter Davidts, Kim Paice:<br />

The Fall of the Studio. Artists at Work. antennae<br />

Valiz, Amsterdam, 2009.<br />

Rolf Haubl: Allein bei sich, außer sich: einsam.<br />

In: Karsten Mönch et al.: Die Fähigkeit allein zu<br />

sein. Psychosozial Verlag, Gießen, 2009. Zitiert<br />

nach Frank Berzbach: Die Kunst ein kreatives Leben<br />

zu führen. Anregungen zu Achtsamkeit. Verlag<br />

Hermann Schmidt, Mainz, 2013, 6. Auflage 2014.<br />

Rudolf Seitz: Schöpferische Pausen. Kösel-Verlag,<br />

München, 1993.<br />

Sabine Prengel im Interview mit Dorothea Sundergeld:<br />

Die Befreiung des Arbeitstags. In: Schöner<br />

Wohnen. Verlagssonderpromotion in Zusammenarbeit<br />

mit USM Möbelbausysteme. 2015.<br />

Siegfried Kracauer: Über Arbeitsnachweise <strong>–</strong><br />

Konstruktion eines Raumes. In: Siegfried Kracauer,<br />

Inka Mülder-Bach [Hrsg.]: Schriften. Band 5,2.<br />

Aufsätze 1927-1931. Frankfurt am Main. 1990.<br />

233


Quellen<br />

verzeichnis<br />

Impressum<br />

Danksagung<br />

Sigrid Preiser, Nicola Buchholz: Kreativität.<br />

Asanger, Heidelberg u.a., 2004. Zitiert nach Frank<br />

Berzbach: Kreativität aushalten / Psychologie für<br />

Designer. Verlag Hermann Schmidt, Mainz, 2010.<br />

Wolfgang Zumdick: Über das Denken. Bei<br />

Joseph Beuß und Rudolf Steiner. Wiese Verlag,<br />

Basel, 1995.<br />

Wouter Davidts, Kim Paice: The Fall of the<br />

Studio. Artists at Work. antennae Valiz, Amsterdam,<br />

2009.<br />

INTERNETQUELLEN<br />

Anka Ghise-Beer: Das Werk des Architekten<br />

Peter Neufert. Dissertationspapier. http://elpub.<br />

bib.uni-wuppertal.de/servlets/DerivateServlet/<br />

Derivate-296/d050001a.pdf. Stand 11.11.2015.<br />

Anne Sophie Christensen: Raum und Nicht-<br />

Raum. <strong>Ein</strong> Kommentar zu den Arbeiten von Claudia<br />

Larcher. http://www.claudialarcher.com/clarEN/<br />

txt_christensen_dt.html#_ftn1. Stand: 14.11.2015.<br />

Daniel Burren. Wikipedia. https://de.wikipedia.<br />

org/wiki/Daniel_Buren. Stand: 14.11.2015.<br />

Deutsches Architektenblatt: Neufert in Neuauflage.<br />

Erschienen am 11.04.2013. http://dabonline.de/2013/04/11/40-auflage-der-„neufert-bauentwurfslehre-grundlegend-aktualisiert/.<br />

Stand:<br />

11.11.2015.<br />

Die Bildschirmarbeitsverordnung. http://<br />

www.ergo-online.de/html/rechtsgrundlagen/bildschirmarbeitsverordnung/gestaltungsregeln.htm.<br />

Stand: 11.11.2015.<br />

Duden: Genius. http://www.duden.de/rechtschreibung/Genius.<br />

Stand 08.11.2015<br />

Duden: Inspiration. http://www.duden.de/<br />

rechtschreibung/Inspiration. Stand: 07.11.2015.<br />

Forum für Anthroposophie: Die Inspiration.<br />

http://anthroposophie.net/steiner/ga/bib_steiner_ga_012_02.htm.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

Gabler Wirtschaftslexikon: Arbeitsproduktivität.<br />

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/<br />

arbeitsproduktivitaet.html, Stand 08.11.2015.<br />

Innovator’s Guide Switzerland: Kreativität<br />

und Messung von Kreativität <strong>–</strong> die Ursprünge der<br />

modernen Kreativitätsforschung. http://innovators-guide.ch/2012/12/joy-paul-guilford/.<br />

Stand<br />

08.11.2015.<br />

Jan Putensen: Raumpsychologie. http://<br />

jan-putensen.de/art03/hausarbeit_puritz/<br />

raumpsychologie.html. Stand 09.11.2015.<br />

Johannes P. Osterhoff: Der Modulor, Le Corbusier.<br />

2005. http://www.johannes-p-osterhoff.com/<br />

wp-portfolio/wp-content/uploads/2005/08/Modulor.pdf.<br />

Stand 10.11.2015.<br />

Lernhelfer: Gutenberg erfindet den Buchdruck<br />

mit beweglichen Lettern. https://www.<br />

lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/<br />

gutenberg-erfindet-den-buchdruck-mit-beweglichen-lettern.<br />

Stand: 13.11.2015.<br />

Philipp Oswald, Bettina Vismann: Das Büro<br />

ohne Eigenschaften. In : Ernst Neufert: Normierte<br />

Baukultur im 20. Jahrhundert. Stiftung Bauhaus<br />

Dessau, Walter Prigge [Hrsg.]. Frankfurt, 1999.<br />

http://www.oswalt.de/de/text/txt/office_p.html.<br />

Stand: 12.11.2015.<br />

Rudolf Steiner: Theosophie. <strong>Ein</strong>führung in<br />

Übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung.<br />

Rudolf Steiner Online Archiv, 4.Auflage.<br />

http://anthroposophie.byu.edu/schriften/009.pdf.<br />

Stand: 07.11.2015.<br />

Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse<br />

der höheren Welten. Rudolf Steiner Online Archiv,<br />

4.Auflage, 2010. http://anthroposophie.byu.edu/<br />

schriften/010.pdf. Stand 07.11.2015.<br />

Tina Groll: Ich hoffe nur, nicht abstürzen. In:<br />

Zeit Online, erschienen am 26.05.2015. http://<br />

www.zeit.de/karriere/2015-05/generation-y-mythos-leiharbeit-befristetung-unbezahlt-praktika.<br />

Stand 10.11.2015.<br />

Wikipedia: Büro. https://de.wikipedia.org/wiki/<br />

Büro. Stand: 12.09.2015.<br />

Wikipedia: Generation Y. https://de.wikipedia.<br />

org/wiki/Generation_Y. Stand: 10.11.2015.<br />

Wikipedia: Immanuel Kant. https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie).<br />

Stand:<br />

11.11.2015.<br />

Wikipedia: Raum (Philosophie). https://de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie),<br />

Stand:<br />

11.11.2015.<br />

Wikipedia: Transzendale Ästhetik. https://<br />

de.wikipedia.org/wiki/Raum_(Philosophie), Stand:<br />

11.11.2015.<br />

Wikipedia: Wachstafel. https://de.wikipedia.<br />

org/wiki/Wachstafel. Stand: 19.07.2015.<br />

INTERVIEWDATEN<br />

Caroline Fayette: Interview am 02.07.2015.<br />

Christian Lagé: Interview am 03.07.2015.<br />

Christiane Werth: Interview am 26.06.2015.<br />

Daniel Klapsing, Philipp Schöpfer:<br />

Interview am 06.08.2015.<br />

Élisabeth Pélegrin-Genel: Interview am<br />

27.07.2015.<br />

Judith Guckler: Interview am 24.07.2015.<br />

Jonas Burgert: Interview am 25.09.2015.<br />

Dieses Heft entstand im Rahmen der Abschlussarbeit<br />

»<strong>Open</strong> <strong>Office</strong> - Inspiration und Räumlichkeit«<br />

an der Bauhaus-Universität Weimar, 2015.<br />

Konzept und Gestaltung:<br />

Marie-Christin Stephan (Hrsg.)<br />

Mit Beiträgen von:<br />

Katharina Hüttler <strong>–</strong> Text und Illustration<br />

Caroline Fayette <strong>–</strong> Fotografie<br />

Eleana Katanu <strong>–</strong> Text und Collagen<br />

Rafael Jové <strong>–</strong> Text und Fotografie<br />

Yulia Wagner und anonyme Schreibtische<br />

Leonie Proske <strong>–</strong> Illustration<br />

Natalia Figuigui <strong>–</strong> Text<br />

Konrad Angermüller <strong>–</strong> Text und Fotografie<br />

Elisa Kaufmann <strong>–</strong> Fotografie<br />

Ina Niehoff <strong>–</strong> Fotografie<br />

Katrin Steiger <strong>–</strong> Fotografie<br />

Yan Ziegner <strong>–</strong> Fotografie<br />

Christian Rothe <strong>–</strong> Fotografie<br />

Nina Röder <strong>–</strong> Fotografie<br />

Margret Aurin <strong>–</strong> Illustration<br />

Patrick Pichler <strong>–</strong> Illustration<br />

Lektorat:<br />

Anja Hüttner<br />

Bildbearbeitung:<br />

Timo Glosemeyer<br />

Druck:<br />

Buch- und Offsetdruckerei<br />

H. HEENEMANN GmbH & Co. KG<br />

Bessemerstraße 83-91<br />

12103 Berlin<br />

Buchbindung:<br />

Reinhart & Wasser<br />

Bibliotheks- und Verlagsbuchbinderei GmbH<br />

Colditzstraße 28<br />

Gebäude 4 · <strong>Ein</strong>gang B<br />

12099 Berlin (Tempelhof)<br />

Papier:<br />

Metapaper Extra Smooth White<br />

Mein innigster Dank gilt meiner Familie, meinen Freunden und<br />

und all jenen Kreativen, mit denen ich in den letzten Monaten in<br />

enger Zusammenarbeit, eine ganz besondere Sammlung von<br />

Räumen, kreativen Projekten und Inspirationen zu einem Kern<br />

zusammenführen durfte.<br />

<strong>Ein</strong>en ganz besonderen Dank möchte ich meinen Freunden Anja<br />

Hüttner und Timo Glosemeyer aussprechen, ohne deren nächtliche<br />

Unterstützung ich an dieser Herausforderung verzweifelt wäre.<br />

Ich danke auch meinem stärksten und liebsten Kritiker Konrad<br />

Angermüller für seine offenen Augen und seinen wachen Verstand.<br />

Danke liebe Kathrin Leisch, für deine Gesellschaft auf einem anspruchsvollen<br />

Weg durch das Studium und darüber hinaus.<br />

Lieber Dirk Walendy, ohne deine Heiß- und Kaltgetränke, die<br />

Jumbo-Pizza, das Hühnersüppchen und deine Liebe, wären mir die<br />

vielen schlaflosen Nächte um einiges schwerer zu ertragen gewesen.<br />

Größter Dank geht an meine Eltern, die mich in jeder meiner Entscheidungen<br />

unterstützen und mir somit eine Studienzeit ermöglicht<br />

haben, die frei von Sorgen und dafür voll von Ideen sein durfte.<br />

Ich danke all den Kreativen, die mir ihre Türen geöffnet haben<br />

oder mit ins Boot gesprungen sind <strong>–</strong> der <strong>Freiheit</strong> entgegen.<br />

Ich wurde großartig unterstützt von Caroline Fayette, Christian<br />

Lagé, Christiane Werth, Daniel Klapsing, Philipp Schöpfer, Élisabeth<br />

Pélegrin-Genel, Judith Guckler, Freunde von Freunden, Jonas<br />

Burgert und seiner Assistentin Ayse Sahin, Jürgen Krugsberger,<br />

Ralf Schröder, Katrin Steiger, Yan Ziegner, Nina Röder, Ina Niehoff,<br />

Christian Rothe, Margret Aurin, Patrick Pichler, Rafael Jové,<br />

Yulia Wagner, Natalia Figuigui, Leonie Proske, Elisa Kaufmann,<br />

Friederike Moster, Martin Schmidt und sicherlich vielen mehr, die<br />

sich an dieser Stell nicht vergessen fühlen mögen.<br />

Ich danke ebenso meiner Professorin Christine Hill, die mir stets<br />

das Gefühl gegeben hat, dass ich etwas ganz Besonderes leisten<br />

kann. Ebenso Sebastian Helm, dessen Kosultationen eine wahre<br />

Fundgrube an Ideen und Inspirationen für mich darstellten.<br />

Außerdem danke ich meinem Creative Director Dennis Braun von<br />

Scholz & Friends Agenda Berlin dafür, dass ich einfach von der Bildfläche<br />

verschwinden durfte, als es nötig wurde. Auch dem restlichen<br />

Team gilt mein Dank für ihren Zuspruch und ihre Unterstützung.<br />

Florian Schmidt: Warum die Generation Y<br />

sich selbst so hasst. In: DIE WELT, erschienen am<br />

09.09.2015. http://www.welt.de/vermischtes/<br />

article146198709/Warum-die-Generation-Y-sichselbst-so-hasst.html.<br />

Stand: 10.11.2015.<br />

Teresa Bücker: Der Montag liebt dich. Aus einem<br />

Vortrag auf der re:publica 2013, veröffentlicht<br />

am 07.05.2013. https://www.youtube.com/watch?-<br />

v=MpiatFsLE9w. Stand: 27.09.2015.<br />

The Gutenberg Bible. In: Library of Congress<br />

Bible Collection. http://www.loc.gov/exhibits/bibles/the-gutenberg-bible.html.<br />

Stand: 18.10.2015.<br />

Jürgen Krugsberger, Ralf Schröder:<br />

Interview am 05.11.2015.<br />

Katrin Steiger, Yan Ziegner:<br />

Interview am 23.08.2015.<br />

Schriften:<br />

Akkurat, Lyon Display, Minion<br />

1. Auflage, Berlin, Dezember 2015<br />

10 Exemplare<br />

234<br />

235


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