ausgabe
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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
aib | fachzeitschrift für den betriebsrat<br />
aib-web.de<br />
38. JAHRGANG<br />
ISSN 01741225<br />
D 3591<br />
7-8 | 2017<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
Gute Arbeit im Büro<br />
aktuelles Wie Gremien sich auf die Betriebsratswahl vorbereiten<br />
grundlagen Was Betriebsrat und Feuerwehr gemeinsam haben<br />
betriebliche praxis Warum Privatisierung kein guter Deal für Beschäftigte ist
ARBEITSRECHT IM BETRIEB<br />
WIE VIEL PRAXIS<br />
WILLST DU?<br />
MIT DER<br />
AKTUELLSTEN<br />
RECHT-<br />
SPRECHUNG<br />
WICHTIG IST, ZU WISSEN,<br />
WAS MAN RECHTLICH DARF.<br />
NOCH WICHTIGER IST, ZU WISSEN,<br />
WAS IM BETRIEB FUNKTIONIERT.<br />
Exklusiv im Seminar<br />
„Grundlagen des Arbeitrechts I“<br />
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Weitere Infos und Termine unter:<br />
www.igmetall.de/bildung<br />
SEMINARE DER IG METALL: BESSER IM BETRIEB.
AiB 7-8 | 2017<br />
editorial<br />
Sitzen Sie gut?<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Eva-Maria Stoppkotte (l.) und Claudia Stiel (r.)<br />
Redaktion Arbeitsrecht im Betrieb<br />
Vorschriften wie die Arbeitsstätten verordnung<br />
sollen für eine gute Gestaltung<br />
der Arbeitsplätze sorgen. Klingt spröde und<br />
theoretisch? Ist es aber nicht! Das Thema betrifft<br />
uns alle – egal, ob wir mit gefährlichen<br />
Stoffen hantieren, am Montageband stehen<br />
oder den ganzen Tag auf einen Bildschirm<br />
starren und abends über Rückenschmerzen<br />
klagen. Dass der Arbeitsplatz nicht krank machen<br />
darf und seine Gestaltung Menschen<br />
mit und ohne Behinderungen gleichermaßen<br />
berücksichtigen muss – das sind Binsenweisheiten.<br />
Doch wie das Ganze an gehen?<br />
Im Titelthema zeigen unsere Experten, was<br />
für gesunde Arbeitsplätze wichtig ist, wie<br />
Gefahren vermieden werden und warum der<br />
Betriebsrat eine wichtige Rolle spielt.<br />
Um Schutz und Sicherheit von Beschäftigten<br />
drehen sich auch weitere aktuelle Themen:<br />
Wir berichten über Änderungen beim<br />
Mutterschutzgesetz, über das, was mit der<br />
neuen EU-Datenschutzgrundverordnung auf<br />
Interessenvertreter zukommt und darüber,<br />
wie die Zukunft für die Angestellten der<br />
frühe ren Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann<br />
nach der Übernahme durch Rewe und<br />
Edeka aussieht.<br />
Außerdem: Die Nominierten für den diesjährigen<br />
Deutschen Betriebsräte-Preis im<br />
Dezember stehen fest! Lesen Sie, welche engagierten<br />
Gremien es mit ihren spannenden<br />
Projekten in die Endrunde geschafft haben …<br />
Einen erholsamen und schönen Sommer<br />
wünscht Ihnen<br />
Ihre AiB-Redaktion<br />
3
inhaltsverzeichnis<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
10<br />
TITELTHEMA<br />
ARBEITS- UND GESUNDHEITSSCHUTZ<br />
Gute Arbeit im Büro<br />
Arbeitsplätze sollen menschengerecht gestaltet sein.<br />
Dafür gibt es viele Vorschriften. Lesen Sie, wer in der Pflicht ist<br />
und wo der Betriebsrat ins Spiel kommt.<br />
10 Mehr Licht und Luft Schon die Preußen<br />
hatten Regeln dafür, wie Arbeitsplätze<br />
auszu sehen haben. Seitdem hat sich viel<br />
verändert. Die Arbeits stättenverordnung<br />
und andere Vorschriften machen Vorgaben<br />
für gute Arbeitsplätze.<br />
von manuel kiper<br />
17 Gefahren lauern auch im Büro Wer im Büro<br />
arbeitet, ist genauso Gesundheitsgefahren<br />
ausgesetzt, wie alle anderen Beschäftigten.<br />
Hier das Wichtigste zur Gefährdungsbeurteilung<br />
bei Büro arbeitsplätzen.<br />
von manfred wulff<br />
15 Inklusion statt Integration Zugang für<br />
alle – darum geht es bei der Barrierefreiheit.<br />
Welche wichtigen Vorschriften muss der<br />
Arbeit geber dafür beachten und welche<br />
Verantwortung trägt der Betriebsrat?<br />
von nils bolwig<br />
4
AiB 7-8 | 2017<br />
inhaltsverzeichnis<br />
21<br />
AKTUELLES<br />
GRUNDLAGEN DER BETRIEBSRATSARBEIT<br />
RUBRIKEN<br />
21 Schutz für werdende Mütter Das Mutterschutzgesetz<br />
ist verändert worden. Worauf<br />
Betriebsräte künftig achten müssen.<br />
von christopher koll<br />
24 Zeit zu handeln Die EU-Datenschutzgrundverordnung<br />
regelt den Umgang mit persönlichen<br />
Daten in Europa neu.<br />
von peter wedde<br />
29 Sicherheit für fünf Jahre Die Integration<br />
der Kaiser’s Tengelmann-Filialen in die<br />
Handels konzerne Edeka und Rewe läuft.<br />
von gudrun giese<br />
32 Vorhang auf für die Nominierten<br />
Die Jury des Deutschen Betriebsräte<br />
Preises 2017 hat zwölf Projekte für die<br />
Endrunde ausgewählt.<br />
von christof herrmann<br />
33 Trendmonitor: BR-Wahl 2018 Im Frühjahr<br />
stehen die Betriebsratswahlen an.<br />
Wie sich Betriebsräte darauf vorbereiten,<br />
erfahren Sie hier.<br />
37<br />
von christof balkenhol<br />
GRUNDLAGEN DER BETRIEBSRATSARBEIT<br />
37 Risiken und Nebenwirkungen Bei Fehlern<br />
im Job drohen Abmahnungen oder Ermahnungen.<br />
Lesen Sie, was der Unterschied ist<br />
und wie Beschäftigte sich wehren.<br />
von javier davila cano<br />
40 Körperliche Arbeitsbelastungen<br />
Was Betriebs räte tun, um körperliche<br />
Belastungen in der Industrie abzubauen.<br />
von walter mugler und rainer salm<br />
44 Erfolgreiche Teamarbeit im Betriebsrat<br />
Was haben Betriebsrat und Freiwillige<br />
Feuerwehr gemeinsam? Sie müssen als Team<br />
arbeiten und im Notfall einsatzbereit sein.<br />
von rudolf reitter<br />
47 Schwarz auf weiß Was sind die<br />
Zutaten für einen professionellen und<br />
sprachlich guten Geschäfts brief?<br />
von marion müller<br />
51 Kurzarbeit als Rettungsanker Sie dient<br />
der Beschäftigungssicherung in wirtschaftlich<br />
unruhigen Zeiten: die Kurzarbeit.<br />
Der Betriebsrat bestimmt mit.<br />
54<br />
von christiane jansen<br />
BETRIEBLICHE PRAXIS<br />
54 Operation war erfolgreich Der Betriebsrat<br />
des Klinikums Esslingen stoppte den Verkauf<br />
an einen privaten Gesundheitskonzern.<br />
56<br />
von christof herrmann<br />
RECHTSPRECHUNG<br />
56 Expertenrat<br />
Ordnungsgeld, weil Pause ausfällt?<br />
LAG Berlin 5.4.2017 – 15 Ta1522/16.<br />
Fristlose Kündigung für Beleidigung<br />
LAG Schleswig-Holstein 24.1.2017 –<br />
3 Sa 244/16.<br />
von silvia mittländer<br />
57 Falsche Unterrichtung des Betriebsrats<br />
BAG 16.7.2015 – 2 AZR 15/15<br />
von ingrid heinlein<br />
58 Verschmelzung und Tarifvertrag<br />
BAG 15.6.2016 – 4 AZR 805/114<br />
von ulrich petri<br />
60 Rechte beim Einsatz von Fremdpersonal<br />
BAG 8.11.2016 – 1 ABR 57/14<br />
von michael kröll<br />
62 Zulässigkeit einstweiliger Verfügung<br />
LAG Berlin-Brandenburg 12.7.2016 –<br />
7 TaB-VGa 520/16<br />
von wolf-dieter rudolph<br />
63 Bildung und Mitbestimmung<br />
BAG 26.4.2016 – 1 ABR 21/14<br />
von wolf-dieter rudolph<br />
3 Editorial<br />
6 Magazin<br />
13 AiB-Seminartipps<br />
65 Impressum<br />
66 Die Letzte Seite<br />
66 Vorschau<br />
AiB online<br />
aib-web.de<br />
Unter aib-web.de finden<br />
Sie alle Ausgaben der<br />
AiB seit 2006. Dazu die<br />
Datenbank AiB:Assist<br />
mit BetrVG Kommentar,<br />
Lexikon, Arbeitshilfen und<br />
Top-100-Urteilen für die<br />
Betriebsratsarbeit.<br />
}}<br />
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registrierung<br />
5
magazin<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
termine<br />
}}<br />
Arbeitsstrafrecht<br />
unter der Lupe<br />
4. – 6.9.,<br />
Cuxhaven- Duhnen.<br />
Ob Diesel-Gate oder<br />
Banken-Affairen – immer<br />
wieder sorgen Skandale<br />
in deutschen Großunternehmen<br />
für Schlagzeilen<br />
– und werfen die<br />
Frage der strafrechtlichen<br />
Verantwortung von<br />
Arbeitnehmern, Betriebsräten<br />
und Arbeitgebern<br />
auf. Während finanzielle<br />
Konsequenzen intensiv<br />
diskutiert werden, gerät<br />
die Frage der strafrechtlichen<br />
Verantwortung<br />
nicht nur des Vorstandes,<br />
sondern auch der Arbeitnehmer,<br />
die mit oder<br />
ohne direkte Anweisung<br />
gehandelt haben, oft zur<br />
Nebensache.<br />
www.aul-seminare.de<br />
> Seminarsuche:<br />
Arbeitsstrafrecht<br />
}}<br />
Arbeitszeit gut regeln<br />
15. – 20.10., Lohr.<br />
Arbeits zeit gewinnt immer<br />
mehr an Bedeutung,<br />
vor allem auch im Gesamtkonstrukt<br />
der Work<br />
Life-Balance. Die Arbeitszeiten<br />
der Beschäftigten<br />
weichen immer häufiger<br />
von arbeitsvertraglichen<br />
und tariflichen Bestimmungen<br />
sowie von dem<br />
Arbeitszeitgesetz ab. Das<br />
Seminar der IG Metall<br />
zeigt, wie Betriebs räte<br />
ihre Mitbestimmungsrechte<br />
bei der Arbeitszeit<br />
nutzen können.<br />
www.igmetall.de > IG<br />
Metall > Bildung & Seminare<br />
> Seminarsuche ><br />
Seminarnummer: LZ04217<br />
Was lange währt<br />
statistik Fast die Hälfte der deutschen Beschäftigten<br />
ab 25 sind schon zehn Jahre und länger<br />
ihrem Arbeitgeber treu. 45 Prozent setzen auf<br />
diese Kontinuität. Wie das Statistische Bundesamt<br />
(Destatis) zeigt, sind Männer mit 47 Prozent<br />
stärkere Job-Dauerläufer als Frauen mit 43 Prozent.<br />
18 Prozent der Beschäftigten arbeiten seit<br />
fünf bis zehn Jahren beim selben Unternehmen<br />
und rund ein Drittel blickt auf eine Beschäftigungsdauer<br />
von weniger als fünf Jahren zurück.<br />
Führungskräfte sind mit 53 Prozent am häufigsten<br />
zehn Jahre oder länger bei ihrem aktuellen<br />
Arbeitgeber beschäftigt. Dagegen hat nur knapp<br />
ein Drittel der Hilfsarbeitskräfte eine Betriebsbindung<br />
von dieser Dauer. Auch bei Dienstleistungsberufen<br />
ist die Dauer der Beschäftigung<br />
bei einem Arbeitgeber kürzer als zehn Jahre.<br />
Deutschland liegt mit der Quote nahe am<br />
EU-Durchschnitt. Italien (52 %), Portugal (51 %)<br />
und Frankreich (50 %) haben EU-weit den höchsten<br />
Anteil einer längeren Beschäftigungsdauer<br />
beim selben Arbeitgeber.<br />
Männer bleiben im Job unter sich<br />
studie Bei der Ausbildungsplatzsuche werden<br />
Frauen benachteiligt. Ihre Bewerbungen werden<br />
schlechter als die männlicher Bewerber<br />
eingestuft, auch wenn sie die gleichen Voraussetzungen<br />
mitbringen, wie zum Beispiel Notendurchschnitt<br />
und praktische Erfahrungen. Das<br />
zeigt eine Befragung von rund 650 Personalverantwortlichen<br />
durch das Wissenschaftszentrum<br />
Berlin für Sozialforschung (WZB). Das Ausmaß<br />
der Diskriminierung variiert zwischen Unternehmen,<br />
Branchen und Berufen. Entscheidend für die<br />
Benachteiligung von Bewerberinnen ist, wie stark<br />
statistik<br />
Dauer der Beschäftigung beim aktuellen<br />
Arbeitgeber – Auszug aus der Arbeitskräfteerhebung<br />
2015<br />
Insgesamt 52,9 45,0<br />
Männer 51,5 46,5<br />
Frauen 54,2 43,4<br />
Führungskräfte 45,1 53,4<br />
Techniker und gleichrangige<br />
nichttechnische Berufe<br />
46,5 51,7<br />
Bürokräfte & verwandte Berufe 47,7 50,3<br />
Handwerks- & verwandte Berufe 48,7 49,0<br />
Fachkräfte in der Landwirtschaft<br />
und Fischerei<br />
unter<br />
10 Jahre<br />
51,4 46,0<br />
Hilfsarbeitskräfte 64,2 32,0<br />
Angaben in % der Beschäftigten ab 25 Jahren.<br />
Quelle: Destatis/Eurostat<br />
10 Jahre<br />
und<br />
länger<br />
der Frauen-/Männer anteil in den Berufen ist. Besonders<br />
stark benachteiligt werden Frauen, wenn<br />
sie sich für Ausbildungen in männerdominierten<br />
Branchen bewerben, etwa für technische Berufe<br />
wie Mechatroniker. Männer, die sich für Ausbildungsberufe<br />
mit hohem Frauenanteil bewerben,<br />
haben dagegen keine Nachteile. Aber: »In technischen<br />
und überraschenderweise auch in erzieherischen<br />
und pflegerischen Ausbildungsberufen<br />
haben Frauen schlechtere Chancen. Das ist in<br />
Zeiten des Fachkräftemangels ein fatales Signal«,<br />
sagt Dorothea Kübler, Direktorin bei der WZB.<br />
6<br />
In von Männern dominierten Berufen haben es Frauen schwer, Fuß zu fassen.
AiB 7-8 | 2017<br />
magazin<br />
Freunde müsst<br />
ihr sein<br />
umfrage Deutsche Arbeitnehmer fühlen sich in<br />
ihrem Job besonders sicher, wenn sie ein gutes<br />
Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten haben. Das hat<br />
eine Umfrage des Job-Portals Monster ergeben.<br />
Bei einem Drittel sorgt das für ein gutes Gefühl.<br />
Amerikaner dagegen fühlen sich sicher im Job,<br />
wenn sie kontinuierliche Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
erhalten. Regelmäßige Gehaltserhöhungen<br />
sind für 28 Prozent der deutschen Arbeitnehmer<br />
wichtig, um sich sicher zu fühlen. Bei einem globalen<br />
Durchschnittswert von 18 Ländern liegen die<br />
Beförderungen und Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
in Deutschland mit 34 Prozent auf Rang 1. Vorgesetzte<br />
und Mitarbeiter sollten sich um ein vertrauensvolles<br />
Klima und wertschätzende Kommunikation<br />
im Arbeits alltag bemühen, heißt es in der<br />
Auswertung von Monster. Denn »good vibes«, also<br />
gute Stimmung zwischen Boss und Team sorgen<br />
nicht nur für ein Gefühl der Jobsicherheit, sondern<br />
steigern auch die Motivation und Produktivität.<br />
Unsere polnischen<br />
Nachbarn im Blick<br />
seminar Wie sind Gewerkschaften in Polen aufgestellt<br />
und welche Rechte haben Betriebsräte im<br />
Nachbarland? Das sind nur zwei der vielen Fragen<br />
und Schwerpunkte, die ein Seminar der EWC<br />
Academy vom 18. bis 20. Oktober in der Hansestadt<br />
Danzig behandelt. Auch die Verlagerung von<br />
sogenannten Shared Service Centern nach Mittelund<br />
Osteuropa wird Thema der Fortbildung sein.<br />
Ergebnisse eines gewerkschaftlichen Forschungsprojektes<br />
aus dem Jahr 2016 zeigen, wie sich seit<br />
den 2000er Jahren die Entwicklung einordnen<br />
lässt. Anmeldung:<br />
}}<br />
www.euro-betriebsrat.de/pdf/polen2017.pdf<br />
termine<br />
}}<br />
Arbeitsschutz<br />
gestalten<br />
16. – 20.10., Wuppertal.<br />
Die A+A ist die weltweit<br />
wichtigste Messe mit<br />
Kongress für Arbeitsschutz,<br />
Arbeitsmedizin<br />
und Arbeitsgestaltung.<br />
Im Mittelpunkt stehen<br />
aktuelle Entwicklungen<br />
in den Bereichen Arbeitsund<br />
Gesundheitsschutz.<br />
Interessenvertretungen<br />
haben mit dem Besuch<br />
des Begleitseminars zusätzlich<br />
die Möglichkeit,<br />
sich auf den neuesten<br />
Stand zu bringen und<br />
für aktuelle betriebliche<br />
Problemstellungen nach<br />
Lösungen zu suchen.<br />
www.verdi-bub.de/<br />
1600-1710164<br />
Frauen sind die<br />
besseren Chefs<br />
studie Frauen schneiden in vier von fünf Kategorien,<br />
die Wissenschaftler der Norwegian<br />
Business School in Oslo für Führungskräfte<br />
entwickelt haben, besser ab als ihre männlichen<br />
Kollegen. Frauen können nach dieser Studie<br />
besser kommunizieren, sind offener für Innovationen,<br />
unterstützen Mitarbeiter besser und sind<br />
gewissenhafter. Nur bei der Stressbewältigung<br />
sind Männer besser.<br />
Gel-Auflage gegen Schmerzen<br />
Wie ticken Gewerkschaften in Polen und<br />
was dürfen Betriebsräte?<br />
untersuchung Eine vom Betriebsärztlichen<br />
Dienst des TÜV Rheinland durchgeführte Studie<br />
in Kunden-Service-Centern der Kreissparkasse<br />
Köln ergab, dass Gel-Mauspads zur Linderung<br />
von Schulter-, Nacken- und Armbeschwerden<br />
beitragen können. Allerdings profitierten nur Beschäftigte<br />
mit starken und häufigen Schmerzen<br />
von der dreimonatigen Nutzung der Hilfsmittel:<br />
Sie konnten ihre Beschwerden auf ein mittleres<br />
Maß verringern. Wurden die Gel Mauspads<br />
nach der dreimonatigen Testphase nicht weiter<br />
genutzt, stiegen die Beschwerden wieder leicht<br />
an, erreichten aber nicht die ursprüngliche Stärke.<br />
Mitarbeiter mit leichten Schmerzen konnten<br />
keine deutlichen Verbesserungen spüren.<br />
Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich, in<br />
den Unterarmen und den Handgelenken sowie<br />
Rücken schmerzen sind typische Beschwerden<br />
an Bildschirm arbeits plätzen. Nach Angaben der<br />
Bundes anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />
(BAuA) sind etwa 80 Prozent der<br />
Beschäftigten von diesen körperlichen Beschwerden<br />
betroffen. Einen umfangreichen Überblick<br />
über die falsche Körperhaltung beim Arbeiten<br />
und den Folgen finden Sie hier:<br />
}}<br />
www.baua.de > Suche: Zwangshaltung<br />
}}<br />
Neues aus dem<br />
Arbeitsrecht<br />
17.10., Steinbach.<br />
Wer als Betriebsrat<br />
ordentliche Arbeit liefern<br />
möchte, muss fit sein im<br />
Arbeitsrecht und in der<br />
Betriebsverfassung.<br />
Gesetze ändern sich<br />
oder werden durch Gerichte<br />
neu interpretiert.<br />
Das Seminar »Neues<br />
aus dem Arbeitsrecht«<br />
ermöglicht zudem einen<br />
Austausch mit anderen<br />
Betriebsräten und zeigt<br />
neue Lösungswege.<br />
www.bildungswerksteinbach.de<br />
> Seminarkalender:<br />
Entwicklung<br />
der Mitbestimmung und<br />
der Rechtsprechung<br />
7
magazin<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
surftipps<br />
+ +++ Demografie<br />
verstehen<br />
Deutschland – ein Omaund<br />
Opa-Land? Jedenfalls<br />
sorgt der demografische<br />
Wandel dafür, dass die<br />
Zahl der Arbeitskräfte<br />
kleiner wird. Welche<br />
demografischen und<br />
gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen die<br />
Arbeitswelt von morgen<br />
beeinflussen, zeigt das<br />
gemeinsame Internetportal<br />
demowanda.de<br />
von der Bundesanstalt<br />
für Arbeitsschutz und<br />
Arbeitsmedizin (BAuA)<br />
und anderen Forschungseinrichtungen.<br />
Das<br />
Portal bietet einen<br />
aussage kräftigen Blick<br />
auf Entwicklungen in<br />
Deutschland, die für eine<br />
alters- und alternsgerechte<br />
Gestaltung der<br />
Arbeitswelt relevant sind.<br />
www.demowanda.de<br />
Wie lässt sich die Entwicklung im Bereich<br />
Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 einschätzen?<br />
Es lassen sich momentan keine eindeutigen<br />
validen Prognosen formulieren. Es sind<br />
unterschiedliche Entwicklungsszenarien<br />
denkbar. Sieht man den Einsatz digitaler<br />
Technologien in der Arbeitswelt als Chance,<br />
lässt sich grundsätzlich von einer Aufwertung<br />
der Arbeitsprozesse ausgehen. Beispielsweise<br />
für bessere Arbeitsbedingungen – das wäre<br />
ein humaner Ansatz, der auf die Beschäftigten<br />
zugeschnitten ist. Bei diesem Ansatz können<br />
Robotersysteme ergonomisch problematische<br />
Arbeitsplätze ersetzen, ohne dass es zu signifikanten<br />
Arbeitsplatzverlusten kommt.<br />
Was wäre die andere Blickrichtung? Die pessimistische<br />
Betrachtungsweise geht von weitreichenden<br />
Arbeitsplatzverlusten aus. Eine<br />
Dequalifizierung und der Verlust von erworbenen<br />
Kompetenzen wären das Ergebnis von<br />
Digitalisierungsprozessen. Dazu kommt eine<br />
umfangreiche Kontrollmöglichkeit seitens des<br />
Arbeitgebers und – heute schon teilweise problematisch<br />
– die ständige Kontrollierbarkeit<br />
und Erreichbarkeit der Beschäftigten. Wichtig<br />
ist, dass Digitalisierung kein Selbstläufer ist.<br />
Es muss Einfluss auf den Einführungsprozess<br />
genommen werden – etwa seitens der<br />
Betriebsräte. Der technische Fortschritt darf<br />
nicht das alleinige Ziel sein.<br />
Und was bedeutet das für die Politik? Arbeit<br />
4.0 ist ein Gestaltungsprojekt. Politik muss<br />
die Spielräume festlegen, innerhalb deren<br />
Grenzen sich Digitalisierung abspielt. Wichtig<br />
interview<br />
Digitalisierung als Chance nutzen<br />
steinbacher forum Der Industriesoziologe<br />
Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen erforscht Digitalisierung<br />
von Arbeit und untersucht, wie sich Arbeit<br />
im digitalen Wandel entwickelt. Wo liegen die Chancen,<br />
was sind die Risiken?<br />
ist eine ganzheitliche Betrachtung. Wir reden<br />
hier von soziotechnischen Systemen, also vom<br />
Zusammenspiel von Mensch und Technik. In<br />
diesem System ist Partizipation unverzichtbar.<br />
Betriebsräte müssen sich zunächst mit den<br />
Entwicklungen auskennen, sich also entsprechend<br />
fortbilden. Sie müssen kompetent<br />
sein, um Einfluss nehmen zu können. Und sie<br />
müssen Einfluss nehmen wollen! Aber auch<br />
der Führungsstil von Vorgesetzten muss sich<br />
innerhalb dieses Entwicklungsprozesses verändern.<br />
Weg von Kontrolle, hin zu Motivation.<br />
Welche Herausforderungen sind noch zu<br />
erwarten? Es gibt viele neue Herausforderungen,<br />
denn es geht beim Thema Arbeit 4.0 um<br />
die sogenannte Mensch-Maschine-Interaktion.<br />
Hier müssen neue Gestaltungsprinzipien her,<br />
die Diskussion ist in vollem Gange. In diesem<br />
Diskurs sind die Gewerkschaften engagiert<br />
und einflussreich. Sie müssen auf politischgesellschaftlicher<br />
Ebene dafür sorgen, dass<br />
Digitali sierung kein Automatismus ist, sondern<br />
gestaltet wird und gestaltbar bleibt.<br />
Müssen dann auch neue gesetzliche Regelungen<br />
her, um die Gestaltungsmöglichkeiten<br />
zu sichern? Das lässt sich derzeit schwer<br />
einschätzen. Möglicherweise reichen die<br />
vorhandenen Regelungen aus, zum Beispiel<br />
die Beteiligungsrechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz.<br />
Denkbar sind neue Regelungstatbestände,<br />
sofern § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz<br />
nicht ausreicht, wo es ja<br />
explizit um die Einführung und Anwendung<br />
von technischen Einrichtungen geht.<br />
Keine Flaute für Wirtschaft in Sicht<br />
8<br />
konjunktur Die Aussichten für die deutsche<br />
Wirtschaft sind weiterhin günstig. Das Risiko,<br />
dass sie in nächster Zeit in Rezession gerät, ist<br />
trotz eines leichten Anstiegs gegenüber der<br />
April-Auswertung gering. Das zeigt der Konjunkturindikator<br />
des Instituts für Makroökonomie und<br />
Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler<br />
Stiftung. Die Rezessionswahrscheinlichkeit liegt<br />
derzeit bei 10,8 Prozent. Kein Grund zur Sorge,<br />
heißt es vonseiten der Experten.
Ganz nah dran.<br />
Bund-Verlag<br />
Sicherheit geht vor<br />
Neuauflage!<br />
Ralf Pieper<br />
ArbSchR – Arbeitsschutzrecht<br />
Arbeitsschutzgesetz, Arbeitssicherheitsgesetz und<br />
andere Arbeitsschutzvorschriften<br />
Kommentar für die Praxis<br />
6., vollständig überarbeitete Auflage<br />
2017. 1.254 Seiten, gebunden<br />
Subskriptionspreis bis 31. Juli 2017: € 98,–<br />
Danach: € 119,–<br />
ISBN 978-3-7663-6351-0<br />
Die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen<br />
sowie Sicherheit und Gesundheitsschutz<br />
der Beschäftigten sind wichtige Handlungsfelder für<br />
die betriebliche Mitbestimmung. Zur Unterstützung der<br />
Akteure und Verantwortlichen erläutert der vollständig<br />
überarbeitete Kommentar umfassend, prägnant und<br />
verständlich das Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz<br />
und die Arbeitsschutzverordnungen.<br />
Die Kommentierungen sind juristisch fundiert,<br />
zielen auf die betriebliche Umsetzung ab und beziehen<br />
die aktuelle Rechtsprechung ein.<br />
Schwerpunkte der Neuauflage:<br />
• Novellierung der Arbeitsstättenverordnung 2016<br />
unter Einbeziehung der bisherigen Bildschirmarbeitsverordnung<br />
• Änderungen insbesondere der Gefahrstoff verordnung,<br />
der Verordnung zur arbeits medizinischen Vorsorge<br />
und der Biostoffverordnung<br />
• Betriebssicherheitsverordnung 2015<br />
• Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie<br />
und nationale Präventionsstrategie<br />
• Erweiterte Rechte und Anforderungen an den<br />
Betriebs- und Personalrat<br />
• Ausbau des technischen Regelwerks zur<br />
Konkretisierung der Arbeitsschutzverordnungen für<br />
die betrieblichen Akteure<br />
• Physische und psychische Gesundheit als Herausforderung<br />
der betrieblichen Prävention<br />
Beachten Sie auch:<br />
Ralf Pieper<br />
Betriebssicherheitsverordnung<br />
Basiskommentar zu Sicherheit<br />
und Gesundheitsschutz bei der<br />
Verwendung von Arbeitsmitteln<br />
2015. 234 Seiten, kartoniert<br />
€ 24,90<br />
ISBN 978-3-7663-6342-8<br />
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danach: € 119,–)<br />
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Ralf Pieper<br />
Betriebssicherheitsverordnung 24,90<br />
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titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Mehr Licht und Luft<br />
arbeitsplatzgestaltung Schon die Preußen hatten Regeln dafür,<br />
wie Arbeitsplätze auszusehen haben. Seitdem hat sich viel verändert.<br />
Lesen Sie, was die Arbeitsstätten verordnung und andere Vorschriften<br />
für gute Arbeitsplätze fordern.<br />
VON MANUEL KIPER<br />
10
AiB 7-8 | 2017<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
titelthema<br />
Die gesunde Gestaltung von Arbeitsplätzen<br />
ist eigentlich nichts<br />
Neues: Arbeitsplätze in Arbeitsstätten<br />
wurden bereits in der<br />
Preußischen Gewerbeordnung gesetzlich reguliert<br />
und später in Länderbestimmungen<br />
konkretisiert. Seit 1976 galten die gesetzlichen<br />
Bestimmungen der Arbeitsstättenverordnung,<br />
die 1975 auf Druck der Arbeitgeberverbände<br />
bundeseinheitlich erlassen (ArbStättV1975)<br />
und mit den Arbeitsstättenrichtlinien (ASR)<br />
nach Stand der Technik konkretisiert wurden.<br />
Seit 1996 wurden zusätzlich einzelne Tätigkeiten<br />
(wie Lastenhandhabung, Umgang mit Biostoffen<br />
und Gefahrstoffen, Bildschirmarbeit,<br />
Arbeit auf Baustellen) sowie einzelne Arbeitsplätze<br />
(insbesondere Bildschirmarbeitsplätze,<br />
Baustellen, Chemie- und Gentechnikbereiche)<br />
zusätzlichen gesetzlichen Bestimmungen<br />
unterworfen. Die im Arbeitsschutzgesetz<br />
(ArbSchG) verankerten Arbeitgeberpflichten<br />
(vorausschauende Gefährdungsbeurteilung,<br />
Unterweisung, Ergreifen der nötigen vorsorgenden<br />
Schutzmaßnahmen und arbeitsmedizinische<br />
Vorsorge) gelten grundlegend bei allen<br />
Tätigkeiten und an allen Arbeitsplätzen.<br />
darum geht es<br />
1. Zentrale Vorschrift ist<br />
die Arbeitsstättenverordnung<br />
aus 2016, ergänzt<br />
durch Regeln der Berufsgenossenschaften<br />
zum<br />
Stand der Technik.<br />
2. Betriebsräte haben<br />
viele Möglichkeiten, die<br />
Initiative zu ergreifen.<br />
Ihr Mitbestimmungsrecht<br />
ergibt sich aus § 87 Abs. 1<br />
Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz.<br />
3. In Betriebsvereinbarungen<br />
können<br />
Gremien Grundsätze der<br />
Gefährdungs beurteilung,<br />
Unterweisung, Arbeitsplatzgestaltung<br />
und<br />
von Schutzmaßnahmen<br />
mitbestimmen.<br />
Weniger Bürokratie<br />
Die für Arbeitsstätten und betriebliche Arbeitsplätze<br />
geltenden Bestimmungen der<br />
ArbStättV1975 wurden 2004 mit breiter politischer<br />
Mehrheit entbürokratisiert. Konkrete<br />
Vorgaben wurden durch sogenannte unbestimmte<br />
Rechtsbegriffe ersetzt. Unbestimmte<br />
Rechtsbegriffe sind juristische Begriffe, die nur<br />
einen vagen Inhalt haben und die ausgelegt<br />
werden müssen (ausreichend Tageslicht, ausreichend<br />
Luft, ausreichend Platz). Die seitdem<br />
erlassenen untergesetzlichen, also von den<br />
Verwaltungen erlassenen Bestimmungen der<br />
Regeln für Arbeitsstätten (ASR-A), sind allerdings<br />
eher noch detaillierter ausgefallen als die<br />
früheren ASR. Sie müssen als Stand der Technik<br />
grundsätzlich eingehalten werden. 1<br />
Am 3.12.2016 trat eine erneute Novelle der<br />
Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV2016) mit<br />
breitem politischem Konsens in Kraft. Gleichzeitig<br />
wurde die Bildschirmarbeitsverordnung<br />
aufgehoben. 2 Bildschirmarbeit im Betrieb und<br />
erstmalig überhaupt auch vom Arbeitgeber<br />
verlangte Telearbeit sind nunmehr in Anhang<br />
6 der ArbStättV2016 gesetzlich geregelt. In der<br />
modernisierten ArbStättV wurden auch die<br />
1 §§ 3 und 3a der ArbStättV2004/2016.<br />
2 Bundesgesetzblatt, Nr. 56 vom 2.12.2016 S. 2681 – 2690.<br />
11
titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Bildschirmarbeit und<br />
Tele arbeit sind seit letztem<br />
Jahr in der Arbeitsstättenverordnung<br />
geregelt.<br />
Neuauflage!<br />
Sicher und gesund<br />
am Arbeitsplatz<br />
Ralf Pieper<br />
Arbeitsstättenverordnung<br />
Basiskommentar zur ArbStättV<br />
3., überarbeitete Auflage<br />
2017. 182 Seiten, kartoniert<br />
€ 24,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6238-4<br />
www.bund-verlag.de/6238<br />
Sichtverbindung vom Arbeitsplatz nach außen,<br />
Beurteilung der physischen und psychischen<br />
Gefährdungen in der Arbeitsstätte, Pflicht des<br />
Arbeitgebers zur persönlichen Unterweisung<br />
der Beschäftigten hinsichtlich möglicher Gefährdungen<br />
bei allen Tätigkeiten sowie in Änderungen<br />
in der Arbeitsstätte, die Einhaltung<br />
von (bezahlten) Erholungspausen bei reiner<br />
Bildschirmarbeit und vieles mehr verankert.<br />
Für Interessenvertretungen ist die neue<br />
ArbStättV eine hilfreiche gesetzliche Vorgabe.<br />
Sie ist der Maßstab und der Rahmen, um menschengerechte<br />
Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe<br />
im Büro wie auch an anderen Arbeitsplätzen<br />
durchzusetzen. Interessenvertreter können<br />
sich bei allen Planungen zu Bildschirmarbeit<br />
im Betrieb oder Teleheimarbeit sowie auch<br />
bei der Gestaltung, bei Umbauten, Neubauten<br />
oder Umorganisationen an allen übrigen<br />
Arbeitsplätzen auf das Mitbestimmungsrecht<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG berufen und<br />
darüber eingreifen.<br />
Vorschriften der Berufsgenossenschaften<br />
Seit Verabschiedung des Arbeitsschutzgesetzes<br />
1996 wurde die seit 1885 praktizierte autonome<br />
Setzung von Unfallverhütungsschriften<br />
(UVV) der Unfallversicherer weitestgehend<br />
durch gesetzliche Bestimmungen abgelöst.<br />
Die heutzutage vom Bundesarbeitsministerium<br />
zu genehmigenden UVV spielen nur noch<br />
eine ergänzende Rolle. Die wenigen verbliebenen<br />
Vorschriften wurden als Vorschriften<br />
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung<br />
(DGUV) vereinheitlicht. Viele UVV für<br />
einzelne Branchen und Arbeitsplätze wurden<br />
zurückgezogen. Ihr Inhalt floss in die verschiedenen<br />
gesetzlichen Regelungen wie die<br />
Betriebssicherheits- und andere Arbeitsschutzverordnungen<br />
sowie in deren zugehörigen<br />
Technischen Regeln ein. Allerdings bieten die<br />
vielen verbliebenen und neu entwickelten Berufsgenossenschaftlichen<br />
Informationen und<br />
Regeln (BGI und BGR) zusammenfassende<br />
Überblicke über den Stand der Technik und<br />
die einzuhaltenden Bestimmungen des Arbeits-<br />
und Gesundheitsschutzes an einzelnen<br />
Arbeitsplätzen beziehungsweise bei diversen<br />
Tätigkeiten.<br />
So wurde beispielhaft die 1980 erlassene<br />
berufsgenossenschaftliche Sicherheitsregel<br />
ZH 1/618 für Bildschirmarbeitsplätze im Bürobereich<br />
und der Entwurf einer eigenen UVV<br />
Bildschirmarbeit mit Verabschiedung der Bildschirmarbeitsverordnung<br />
(BildscharbV) 1996<br />
zurückgezogen. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft<br />
(VBG) entwickelte allerdings in Ergänzung<br />
und Konkretisierung der BildscharbV<br />
und der ArbStättV für Büro- und Bildschirmarbeitsplätze<br />
einen umfassenden Leitfaden zur<br />
Gestaltung von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen.<br />
3 Entsprechende DGUV-Informationen<br />
– ob zum Brandschutz, zur Hitzearbeit,<br />
zum Krankenhausneubau, zu Gefährdungen<br />
im Kundenkontakt und selbst zu Bordcomputern<br />
in Fahrzeugen – sind heute im umfasssenden<br />
Portfolio der berufsgenossenschaftlichen<br />
Präventionsarbeit.<br />
Arbeitsplatzgröße als wesentlicher Faktor<br />
Die ArbStättV fordert in den Anhängen 1.2<br />
und 3.1 »ausreichende« Fläche und »notwendigen«<br />
Luftraum am Arbeitsplatz, so dass nicht<br />
nur »ungehinderte Tätigkeit« möglich ist, sondern<br />
Sicherheit, Gesundheitsschutz und sogar<br />
»Wohlbefinden« bei der Arbeit nicht beeinträchtigt<br />
sind.<br />
Die ASR-A 1.2 konkretisiert seit 2013 diese<br />
Forderungen. Hier finden sich als einzuhaltender<br />
Stand der Technik nicht nur die vorgeschriebene<br />
Mindestgröße eines Arbeitsraumes<br />
von 8 m² wieder, die 2004 im Zuge der<br />
Entbürokratisierung des Arbeitsstättenrechts<br />
gelöscht worden war. Vielmehr ist jetzt sogar<br />
ergänzend die Forderung nach 6 m² Mindestfläche<br />
für jede weitere beschäftigte Person im<br />
Raum hinzugetreten.<br />
In der ASR-A 1.2 wurden nicht nur die<br />
alten Vorgaben der ArbStättV1975 zu Raum<br />
3 BGI 650; nunmehr DGUV-I 215 – 410.<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
12<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
AiB 7-8 | 2017 arbeits- und gesundheitsschutz titelthema<br />
aib-seminartipps<br />
höhen, Mindestluftraum und unverstellter Bewegungsfläche<br />
übernommen. Sie wurden auch<br />
angereichert durch viele weitere Maßzahlen<br />
zur Arbeitsplatzgröße (zusätzlicher Luftraum<br />
für Kunden am Arbeitsplatz, notwendige<br />
Verkehrs- und Stellflächen), Übernahme der<br />
Richtwerte aus der Berufsgenossenschaftlichen<br />
Information 650 (nach neuerer Systematik<br />
DGUV-I 215 – 410) für verschiedene<br />
Bürogrößen (zum Beispiel 12 – 15 m² pro Beschäftigten<br />
im Großraumbüro) sowie Vorgaben<br />
und Empfehlungen für die Anordnung von<br />
Arbeitsplätzen.<br />
Mit diesen vielschichtigen Maßzahlen und<br />
Richtwerten entsprechend dem Stand der<br />
Technik ist den Betriebsräten ein griffiges Instrument<br />
an die Hand gegeben, bei Enge am<br />
Arbeitsplatz korrigierend einzugreifen. Werden<br />
diese Maßzahlen als Stand der Technik<br />
eingehalten, gilt die sogenannte Vermutungswirkung<br />
des § 3a der ArbStättV, dass genügend<br />
für Gesundheitsschutz und Wohlbefinden seitens<br />
des Arbeitgebers getan wurde. Hält er die<br />
Richtwerte und Maßzahlen nicht ein, muss<br />
er »durch andere Maßnahmen die gleiche Sicherheit<br />
und den gleichen Gesundheitsschutz<br />
der Beschäftigten erreichen«. Scheitern die<br />
Verhandlungen hierüber, kann der Betriebsrat<br />
eine Einigungsstelle erzwingen, die sich nur<br />
schwerlich über den Stand der Technik hinwegsetzen<br />
wird.<br />
Die ArbStättV2016 schreibt ausreichend<br />
Tageslicht und wieder die zusätzliche Sichtverbindung<br />
nach außen (2004 gestrichen) vor.<br />
Die Gefährdungsbeurteilung nach neuem<br />
Arbeitsstättenrecht und somit auch die der<br />
Bildschirmarbeit beziehen sich ausdrücklich<br />
auf das »Einrichten und Betreiben der Arbeitsstätte«.<br />
Hierzu gehört definitionsgemäß<br />
auch »die Organisation und Gestaltung der<br />
Arbeit einschließlich der Arbeitsabläufe in<br />
Arbeitsstätten«. Dies bedeutet die klare Verpflichtung<br />
des Arbeitgebers, die psychischen<br />
Fehlbelastungen am (Bildschirm-)Arbeitsplatz<br />
nicht nur aufgrund räumlicher Bedingungen<br />
zum Beispiel durch Lärm, mangelnde Beleuchtung,<br />
enge Bewegungsflächen und ungünstige<br />
Gestaltung des Arbeitsraumes oder mangelnde<br />
Sichtverbindung nach außen, zu ermitteln<br />
und durch geeignete Maßnahmen abzustellen.<br />
Vielmehr müssen auch die psychischen Fehlbelastungen<br />
durch mangelhafte Organisation<br />
oder Arbeitsabläufe erfasst und korrigiert werden.<br />
Die Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich<br />
physischer wie psychischer Belastungen ist<br />
nicht nur beim Betreiben, sondern auch bei<br />
baulichen Maßnahmen und Beschaffungen<br />
zu gewährleisten. Hier sollten Betriebsräte in<br />
Zukunft verstärkt ihr Mitbestimmungsrecht<br />
nutzen. Sollen zum Beispiel neue Beleuchtungsanlagen<br />
angeschafft werden, sollten die<br />
Betriebsräte ihr Mitbestimmungsrecht in der<br />
Planungsphase des Beleuchtungskonzepts<br />
(Arbeitsplatzleuchten plus Raumausleuchtung,<br />
indirekte Beleuchtung etc.), bei Auswahl<br />
und Prüfung in der Beschaffungsphase<br />
(Tageslichtqualität, altersgerechte individuelle<br />
Regelbarkeit etc.), bei Installation (Blendfreiheit,<br />
ausreichende Raumausleuchung etc.)<br />
und Wartung (regelmäßige Überprüfung der<br />
Mindestbeleuchtungsstärken, Festlegung der<br />
Wartungsintervalle etc.), wahrnehmen.<br />
Die ASR-A 3.5 Raumtemperaturen schreibt<br />
neuerdings bei hohen Sommertemperaturen<br />
gestaffelte Maßnahmen ab 26°C und ab 30°C<br />
vor, ab 35°C sind Räume für dauerhaftes Arbeiten<br />
nicht mehr geeignet beziehungsweise Maßnahmen<br />
wie bei Hitzearbeit vorgeschrieben. 4<br />
Die ASR-A 3.6 macht detaillierte Vorgaben<br />
für Frischluftzufuhr, Zugluft und hat die neue<br />
Messpflicht auf CO 2<br />
hinsichtlich Vermeidung<br />
von müder Luft, also kohlendioxidreicher Luft,<br />
eingeführt.<br />
Ausstattung – die richtigen Büromöbel<br />
Hinsichtlich der Arbeitsplatzausstattung bleibt<br />
die Arbeitsstättenverordnung Anhang 3.3 Ausstattung<br />
wortkarg. Lediglich Sitzgelegenheiten<br />
und Kleiderablagen werden gefordert. Forderungen<br />
nach einem verschließbaren Fach<br />
oder Spind wurden durch Intervention der<br />
Arbeitgeberverbände ausgebremst, obwohl ein<br />
verschließbares Fach bis 2004 ausdrücklich<br />
zur Arbeitsplatzausstattung gehörte und der<br />
Anspruch darauf durch Bundesarbeits gerichtsurteil<br />
schon von 1965 gestützt wird. 5<br />
Bei Bildschirmarbeit sind nach Anhang 6.1<br />
ArbStättV Arbeitstische und Geräte reflektionsarm<br />
zu gestalten. Die Arbeitsflächen sind<br />
entsprechend der Arbeitsaufgabe so zu bemessen,<br />
dass alle Eingabemittel auf der Arbeitsfläche<br />
variabel angeordnet werden können und<br />
eine flexible Anordnung des Bildschirms, des<br />
Schriftguts und der sonstigen Arbeitsmittel<br />
möglich ist. Die Arbeitsfläche vor der Tastatur<br />
muss ein Auflegen der Handballen ermöglichen.<br />
Nähere Angaben über Schreibtischgrö<br />
Zum Schwerpunkt der AiB<br />
7-8/2017 empfiehlt Ihnen die<br />
AiB-Redaktion diese Seminare<br />
im Jahr 2017:<br />
ver.di b+b<br />
Gesunde Arbeit –<br />
gesunder Betrieb<br />
Grundlagen zum Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutz für gesetzliche<br />
Interessenvertretungen<br />
28.8. – 1.9. Leipzig<br />
25.9. – 29.9. Dortmund<br />
16.10. – 20.10. Walsrode<br />
20.11. – 24.11. Brannenburg<br />
}}<br />
www.verdi-bub.de/3137<br />
IG Metall<br />
BR Kompakt – Arbeitsbedingungen<br />
gestalten<br />
8.10. – 13.10. Beverungen<br />
8.10. – 13.10. Bad Orb<br />
12.11. – 17.11. Lohr<br />
19.11. – 24.11. Sprockhövel<br />
}}<br />
www.igmetall.de/seminare<br />
DGB Bildungswerk<br />
Gesunde Büro- und<br />
Bildschirmarbeit<br />
Gestalten Sie Büro- und<br />
Bildschirmarbeit gesundheitsgerecht<br />
16.10. – 20.10. Bernau<br />
(Chiemsee)<br />
}}<br />
www.betriebsratsqualifi<br />
zierung.de/seminar/317473096<br />
IG BCE BWS GmbH<br />
Gute Arbeit durch Arbeitsund<br />
Gesundheitsschutz<br />
Grundlagenwissen für<br />
die erfolgreiche Interessenvertretung<br />
8.10. – 13.10. Haltern am See<br />
}}<br />
www.www.igbce-bws.de/<br />
seminar/gute-arbeit-durcharbeits-und-gesundheitsschutz-haltern-am-see-2/<br />
4 Abschwitzpausen etc., s. BGI 579 Hitzearbeit.<br />
5 BAG 1.7.1965 – 5 AZR 264/64.<br />
13
titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
lesetipp<br />
Mehr zum Thema lesen<br />
Sie in AiB 1/2017, S. 49,<br />
»Neue Regeln für Arbeitsstätten«<br />
von Ralf Pieper<br />
und Claudia Stiel.<br />
ßen sind der DGUV-I 215 – 410 zu entnehmen.<br />
Die richtigen Bürostühle zu beschaffen wird<br />
erleichtert durch eine Verwaltungsberufsgenossenschafts-Schrift<br />
»Die Qual der Wahl«<br />
mit Checkliste. 6 Arbeitsmedizinisch wird allerdings<br />
schon lange empfohlen, dynamisch<br />
zu sitzen, also die Sitzpositionen häufig zu<br />
wechseln und auch zwischenzeitlich im Stehen<br />
zu arbeiten. 7 Elektrisch höhenverstellbare<br />
Arbeitstische und Ergomäuse werden berufsgenossenschaftlich<br />
angeraten. Sie werden<br />
von vielen Arbeitgebern aber nicht präventiv, 8<br />
sondern erst auf ärztliches Attest hin beschafft<br />
oder sogar von den Rentenversicherern auf<br />
Antrag finanziert, wenn die körperlichen Beeinträchtigungen<br />
bereits eingetreten sind.<br />
Ergonomie von Hard- und Software<br />
Fast alle Bestimmungen des bisherigen Anhangs<br />
der BildscharbV zur Ergonomie von<br />
Bildschirmgeräten und Software finden sich<br />
nunmehr im Anhang 6 der ArbStättV2016<br />
wieder, sogar ergänzt durch Anforderungen<br />
an tragbare Bildschirmgeräte für die ortsveränderliche<br />
Verwendung (Anhang 6.4). Auch die<br />
Forderungen zur Software-Ergonomie wurden<br />
übernommen (Anhang 6.5), wenn auch die<br />
Durchsetzung der Forderungen eines einzelnen<br />
Betriebes, geschweige denn des mitbestimmenden<br />
Betriebsrats bei Einkauf von Standardsoftware<br />
praktisch nicht durchsetzbar ist.<br />
Hilfreich für Betriebsräte ist die umfassende<br />
DGUV-Information 215 – 450 »Softwareergonomie«.<br />
Diese enthält auch das Muster einer<br />
Betriebsvereinbarung.<br />
Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats<br />
Betriebsräte haben nach § 87 Abs. 1 Nr. 7<br />
BetrVG das gesetzlich verbriefte Recht, bei Regelungen<br />
über die Verhütung von Arbeitsunfällen<br />
und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz<br />
im Rahmen der gesetzlichen<br />
Vorschriften oder der UVV mitzubestimmen,<br />
sofern diese ausfüllungsbedürftig sind. Das<br />
BAG hat seit 2004 in diversen Urteilen bereits<br />
das Mitbestimmungsrecht bei Gefährdungsbeurteilungen<br />
wie Unterweisungen betont. 9<br />
Durch Umstellung des Arbeitsstättenrechts<br />
seit 2004 auf die Formulierung von<br />
Schutzzielen und Streichung konkreter Anforderungen<br />
sind das Einrichten und Betreiben<br />
von Arbeitsstätten und die Gestaltung der<br />
Arbeitsplätze in vielerlei Hinsicht mitbestimmungspflichtig<br />
geworden.<br />
Die Grenzen der Mitbestimmung in Ausfüllung<br />
der ArbstättV sind bislang nur in Ausnahmefällen<br />
ausgelotet worden. Nach Novellierung<br />
der ArbStättV2004 sind zum Beispiel<br />
zwei strittige Begehren von Betriebsräten von<br />
Hamburger Arbeitsgerichten entschieden worden.<br />
Diese hielten jeweils die Einsetzung einer<br />
Einigungsstelle für begründet. In einem Fall<br />
ging es um zusätzliche Schutzmaßnahmen für<br />
Fußgänger auf dem Werksgelände, 10 in dem<br />
anderen Verfahren um zusätzliche Schutzmaßnahmen<br />
vor Witterungsunbilden. 11<br />
Auch das Arbeitsgericht Hannover wie das<br />
Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen 12<br />
hielten eine Einigungsstelle beim Streit um die<br />
Anschaffung von Stehhilfen zum Ausgleich<br />
von Belastungen für stehende Tätigkeit in einem<br />
Bekleidungsgeschäft für geboten.<br />
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig<br />
Holstein hat in einem Beschluss 13 dem Antrag<br />
eines Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle<br />
zur Beratung über Maßnahmen<br />
zur Wärmeentlastung an heißen Sommertagen<br />
im Betrieb stattgegeben.<br />
Jüngst hat das LAG Niedersachsen festgestellt,<br />
dass die Größe des Arbeitstisches und<br />
die Frage der Höhenverstellbarkeit sowie der<br />
Raum für ergonomisch günstige Arbeitshaltung<br />
ausfüllungsbedürftige Vorgaben des Arbeitsstättenrechts<br />
sind. Die Konkretisierung<br />
bei der Hannoverschen Niederlassung von<br />
IBM sei von der Einigungsstelle unter Angabe<br />
der Maße, des Spielraums und der Art und<br />
Weise der Höhenverstellbarkeit hinreichend<br />
erfolgt und nicht zu beanstanden. 14<br />
Damit wird deutlich, dass Betriebsräte in<br />
vielerlei Hinsicht initiativ werden können. In<br />
erzwingbaren Betriebsvereinbarungen können<br />
sie Grundsätze der Gefährdungsbeurteilung,<br />
Unterweisung, Arbeitsplatzgestaltung und zu<br />
ergreifender Schutzmaßnahmen mitbestimmen.<br />
Zur Behebung einzelner Probleme der<br />
Arbeitsplatzgestaltung und der Ausstattung mit<br />
Arbeitsmitteln können sie konkrete Verbesserungsmaßnahmen<br />
vorschlagen und bei Scheitern<br />
von Verhandlungen gegebenenfalls über<br />
eine Einigungsstelle erzwingen. v<br />
Dr. Manuel Kiper, Berater im<br />
Arbeitsschutz, Gesundheit &<br />
Management, Hannover.<br />
manuel.kiper@htp-tel.de<br />
14<br />
6 www.vbg.de > Suche: Die Qual der Wahl.<br />
7 https://www.vbg.de/apl/arbhilf/unterw/23_sit.htm.<br />
8 Allerdings greift hier die Mitbestimmung, s.u.<br />
9 BAG 8.6.2004 – 1 ABR 4/03.<br />
10 LAG Hamburg 17.8.2007 – 6 TaBV 9/07.<br />
11 ArbG Hamburg 28.6.2007 – 5 BV 12/07.<br />
12 Beschluss 21.1.2011 – 1 TaBV 68/10.<br />
13 LAG Schleswig-Holstein 1.10.2013 – 1 TaBV 33/13.<br />
14 LAG Niedersachsen 11.1.2017 – 13 TaBV 109/15; s.a. LAG Berlin<br />
Brandenburg 25.3.2015 – 23 TaBV 1448/1.
AiB 7-8 | 2017<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
titelthema<br />
Inklusion statt<br />
Integration<br />
barrierefreiheit Zugang für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen<br />
– darum geht es bei der Barriere freiheit. Lesen Sie,<br />
welche wichtigen Vorschriften der Arbeitgeber dafür beachten<br />
muss und welche Verantwortung der Betriebsrat trägt.<br />
VON NILS BOLWIG<br />
Bei der Barrierefreiheit im Betrieb<br />
geht es um die generelle Nutzbarkeit<br />
der Arbeitsstätte und der Gebäude<br />
für alle Personen. Die Regelungen<br />
dafür finden sich in unterschiedlichen<br />
Gesetzen und Vorschriften. Wenn der Arbeitgeber<br />
Menschen mit Behinderungen beschäftigt,<br />
hat er die Arbeitsstätte so einzurichten<br />
und zu betreiben, dass die besonderen Belange<br />
dieser Beschäftigten im Hinblick auf die<br />
Sicherheit und den Schutz der Gesundheit<br />
berücksichtigt werden. Dabei sind bestimmte<br />
Bereiche der Betriebsstätte besonders hervorgehoben.<br />
Dies sind Arbeitsplätze, Sanitär-,<br />
Pausen- und Bereitschaftsräume, Kantinen,<br />
Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte sowie die<br />
zugehörigen Türen, Verkehrswege, Fluchtwege,<br />
Notausgänge, Treppen und Orientierungssysteme,<br />
die von den Beschäftigten mit Behinderungen<br />
benutzt werden.<br />
Spezielle Gefahren berücksichtigen<br />
Unabhängig vom Grad der Behinderung gibt<br />
es die allgemeinen Anforderungen aus dem<br />
Arbeitsschutzgesetz für Arbeitgeber, dass bei<br />
Maßnahmen des Arbeitsschutzes auch die<br />
speziellen Gefahren für besonders schutzbedürftige<br />
Beschäftigtengruppen besonders zu<br />
berücksichtigen sind. 1 Diese Regelung ist von<br />
der Bundesregierung in der Arbeitsstättenverordnung<br />
(ArbStättV) in § 3a Abs. 2 konkretisiert<br />
worden. Bereits bei der Planung und<br />
Gestaltung der Arbeitsstätten oder bei Umund<br />
Neubau muss eine weitgehende Barrierefreiheit<br />
berücksichtigt werden. Für Menschen<br />
mit Beeinträchtigungen werden durch eine<br />
konsequente Umsetzung dieser Ziele Sonderwelten<br />
überwiegend vermieden. Inklusion –<br />
statt Integration oder gar Selektion – ist eines<br />
der Leitziele, das durch barrierefreies Bauen<br />
verwirklicht werden kann.<br />
Rechtliche Grundlagen<br />
Die wichtigsten Rechtsquellen zu den Benachteiligungsverboten<br />
und der barrierefreien Arbeitsplatzgestaltung<br />
sind:<br />
··<br />
§ 81 SGB (Sozialgesetzbuch) IX (neu ab<br />
1.1.2018: § 164 SGB IX), Pflichten des<br />
Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter<br />
Menschen<br />
··<br />
Angemessene Vorkehrungen gemäß § 7 Allgemeines<br />
Gleichbehandlungsgesetz (AGG)<br />
··<br />
§ 3a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung<br />
(ArbStättV), Einrichten und Betreiben von<br />
Arbeitsstätten<br />
··<br />
Technische Regel für Arbeitsstätten (ASR),<br />
insbesondere die ASR V3a.2. 2<br />
Gestaltungsbeispiele aus der ASR V3a.2:<br />
··<br />
Die Erkennbarkeit von Türen für Beschäftigte<br />
mit einer Sehbehinderung wird durch eine<br />
visuell kontrastierende Gestaltung möglich.<br />
Hierbei ist insbesondere auf den Kontrast<br />
zwischen Wand und Tür sowie zwischen Bedienelement<br />
und Türflügel zu achten.<br />
··<br />
Führen Fluchtwege durch Schrankenanlagen<br />
mit Drehkreuz, muss für Personen mit<br />
darum geht es<br />
1. Arbeitgeber müssen<br />
die Arbeitsstätte so einrichten,<br />
dass Sicherheit<br />
und Gesundheitsschutz<br />
bei Menschen mit<br />
Behinderung berücksichtigt<br />
werden.<br />
2. Die Vorschriften<br />
dafür sind über verschiedene<br />
Gesetze verteilt.<br />
Sie stehen unter anderem<br />
im Sozialgesetzbuch<br />
und der Arbeits stättenverordnung.<br />
3. Der Arbeitgeber muss<br />
nach § 90 BetrVG den<br />
Betriebs rat rechtzeitig<br />
über die Planungen informieren.<br />
Der Betriebsrat<br />
hat ein Beratungsrecht.<br />
1 § 4 Nr. 6 ArbSchG. 2 https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und<br />
Technische-Regeln/Regelwerk/ASR/ASR-V3a-2.html.<br />
15
titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
gesetzestext<br />
§ 90 BetrVG<br />
Der Arbeitgeber hat den<br />
Betriebsrat über die Planung<br />
von Neu-, Um- und<br />
Erweiterungsbauten von<br />
Fabrikations-, Verwaltungs-<br />
und sonstigen<br />
betrieblichen Räumen,<br />
von technischen Anlagen,<br />
von Arbeitsverfahren und<br />
Arbeitsabläufen oder der<br />
Arbeitsplätze rechtzeitig<br />
unter Vorlage der<br />
erforderlichen Unterlagen<br />
zu unterrichten. Der<br />
Arbeitgeber hat mit dem<br />
Betriebsrat die vorgesehenen<br />
Maßnahmen<br />
und ihre Auswirkungen<br />
auf die Arbeitnehmer,<br />
insbesondere auf die Art<br />
ihrer Arbeit sowie die<br />
sich daraus ergebenden<br />
Anforderungen an die<br />
Arbeitnehmer so rechtzeitig<br />
zu beraten, dass<br />
Vorschläge und Bedenken<br />
des Betriebsrats bei der<br />
Planung berücksichtigt<br />
werden können. Arbeitgeber<br />
und Betriebsrat sollen<br />
dabei auch die gesicherten<br />
arbeitswissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse über<br />
die menschengerechte<br />
Gestaltung der Arbeit<br />
berücksichtigen.<br />
Behinderung, die eine Gehhilfe oder einen<br />
Rollstuhl benutzen, ein alternativer Fluchtweg<br />
vorhanden sein.<br />
··<br />
Die Alarmierung von Beschäftigten mit Sehoder<br />
Hörbehinderungen, die gefangene Räume<br />
(Durchgangsräume) nutzen, erfordert die<br />
Berücksichtigung des Zwei-Sinne-Prinzips<br />
(mindestens zwei der drei Sinne Hören, Sehen<br />
und Tasten müssen angesprochen werden).<br />
Rolle des Betriebsrats<br />
Grundsätzlich ist der jeweilige Arbeitgeber<br />
verpflichtet, die Bestimmungen der ArbStättV<br />
und der technischen Regeln und Richtlinien<br />
einzuhalten. Dem Betriebs- oder Personalrat<br />
wird aber gerade in der Überwachung dieser<br />
Schutzziele eine besondere Verantwortung<br />
übertragen. Der Arbeitgeber hat die Interessenvertretung<br />
zunächst rechtzeitig über die<br />
Planungen und Analyseergebnisse zu informieren<br />
(siehe auch Randspalte).<br />
Durch das Beratungsrecht hat die Interessenvertretung<br />
die Möglichkeit, dem Arbeitgeber<br />
wichtige Aspekte für die weitere Planung<br />
zu übermitteln. Der Arbeitgeber ist allerdings<br />
nicht verpflichtet, seine Planung zu verändern.<br />
Allerdings hat die Interessenvertretung<br />
eine starke Kontrollfunktion, ob die Schutzziele<br />
im Betrieb eingehalten werden. Wichtige<br />
Informationen kann hier die betriebliche<br />
ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung liefern.<br />
Bestehen Zweifel daran, dass die Schutzziele<br />
im angemessenen Maße umgesetzt worden<br />
sind, kann die Interessenvertretung den Arbeitgeber<br />
durch Fristsetzungen, einstweilige<br />
arbeitsrechtliche Verfügungen, durch das Anrufen<br />
der betrieblichen Einigungsstelle oder<br />
durch die Einschaltung der Gewerbeaufsicht<br />
oder der jeweiligen Arbeitsschutzämter sowie<br />
der Unfallversicherungsträger auf deren Einhaltung<br />
hinwirken.<br />
In Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten<br />
hat der Arbeitgeber einen Arbeitsschutzausschuss<br />
(§ 11 Arbeitssicherheitsgesetz, ASiG)<br />
zu bilden, an dem zwei Betriebsratsmitglieder<br />
ständig teilnehmen.<br />
Technik als Barriere<br />
Eine kritische Auseinandersetzung mit den<br />
neuen Techniken ist ebenso angebracht. Viele<br />
Unternehmen haben zum Beispiel ihr herkömmliches<br />
Bewerbungsverfahren auf ein reines<br />
Online-Bewerbungsverfahren umgestellt.<br />
Die vermeintliche Erleichterung des Bewerbungsprozesses<br />
kann aber für einige Anwender-<br />
und Nutzergruppen zu einer erheblichen<br />
Benachteiligung führen. Wenn die Internetseite<br />
für das Bewerbungsverfahren nicht den<br />
Grundanforderungen der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung<br />
(BITV 2.0) entspricht,<br />
haben Sehbehinderte oder Menschen<br />
mit einer Lese-Schwäche oftmals gar keine<br />
Chance auf ein persönliches Vorstellungsgespräch.<br />
Hier wird die angestrebte Erleichterung<br />
durch die Technik dann zur Barriere.<br />
Kosten und Nutzen von Barrierefreiheit<br />
Eine barrierefreie Arbeitsumgebung ist nicht<br />
zwingend mit zusätzlichen Kosten verbunden.<br />
Wer bereits vor der nächsten Renovierung,<br />
beim hausinternen Umzug, beim<br />
Relaunch der Website, bei der Anschaffung<br />
neuer Software oder in der Planungsphase<br />
neuer Arbeitsplätze die Barrierefreiheit mit<br />
berücksichtigt, wird schätzungsweise nur circa<br />
ein Prozent der Gesamtkosten mehr dafür<br />
aufbringen müssen.<br />
Der Nutzen ist nicht nur für Menschen mit<br />
Behinderungen deutlich spürbar, sondern oftmals<br />
werden es alle Beschäftigten durch den<br />
Wegfall von Barrieren leichter im Unternehmen<br />
und am Arbeitsplatz haben.<br />
Da die konkreten Regelungen ausdrücklich<br />
nur gelten, wenn Menschen mit Behinderungen<br />
beschäftigt werden, stellt es jedoch<br />
einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot<br />
des AGG dar, wenn eine Bewerberin oder<br />
ein Bewerber mit Behinderung mit Verweis<br />
auf mangelnde Barrierefreiheit zurückgewiesen<br />
wird. Der Arbeitgeber ist dann nach § 15<br />
AGG verpflichtet, einen durch Verstoß gegen<br />
das Benachteiligungsverbot entstanden Schaden<br />
zu ersetzen. Hierzu gibt es immer wieder<br />
Rechtsfälle, in denen Bewerber einen Schadensersatz<br />
geltend machen konnten, weil sie<br />
im Bewerbungsprozess aufgrund einer bei ihnen<br />
vorliegenden Behinderung benachteiligt<br />
worden sind oder der Arbeitgeber seinen Präventionspflichten<br />
gemäß § 81 SGB IX nicht<br />
nachgekommen ist. 3 v<br />
Nils Bolwig,<br />
Gewerkschaftssekretär<br />
IG Metall Vorstand, Frankfurt.<br />
3 Vgl. z. B. BAG 22.5.2014 – 8 AZR 662/13.<br />
16
AiB 7-8 | 2017<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
titelthema<br />
Gefahren lauern<br />
auch im Büro<br />
gefährdungsbeurteilung Auch bei der Arbeit am Bildschirm kann<br />
die Gesundheit von Beschäftigten strapaziert werden.<br />
Hier das Wichtigste zur Gefährdungsbeurteilung bei Büroarbeitsplätzen.<br />
VON MANFRED WULFF<br />
Die Arbeitgeber sind nach dem Arbeitsschutzgesetz<br />
(ArbSchG) seit<br />
1996 verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen<br />
durchzuführen, um<br />
für die Beschäftigten die mit ihrer Arbeit verbundenen<br />
Gefährdungen zu ermitteln sowie<br />
erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes<br />
zu ermitteln und zu ergreifen. Dieser Pflicht<br />
aus § 5 ArbSchG sind bisher nicht sehr viele<br />
Arbeitgeber nachgekommen. Die Mehrheit<br />
der Arbeitgeber führt keine Gefährdungsbeurteilungen<br />
durch, jedenfalls nicht solche,<br />
die einer rechtlichen und fachlichen Prüfung<br />
standhalten. Die Gefährdungsbeurteilung ist<br />
für die Arbeitnehmer von hoher Bedeutung,<br />
da der Arbeitgeber bereits bei Vorliegen einer<br />
Gefährdung der Gesundheit eine Handlungspflicht<br />
bezüglich der Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
hat. Es reicht aus, dass die<br />
Gefährdungsfaktoren eine Schädigung oder<br />
Beeinträchtigung der physischen und psychischen<br />
Gesundheit hervorrufen können. 1 Eine<br />
unmittelbare Gefahr der Gesundheit ist nicht<br />
erforderlich. Gerade bei den Arbeitsbedingungen<br />
auf Büroarbeitsplätzen ist es wichtig, durch<br />
Gefährdungsbeurteilungen mögliche Gefährdungen<br />
festzustellen, weil in diesem Bereich<br />
viele verschiedene Faktoren eine Gesundheitsgefährdung<br />
begründen können. Daher müssen<br />
sich Arbeitnehmervertretungen unter Beachtung<br />
der Besonderheiten, die an Büroarbeitsplätzen<br />
anzutreffen sind, für eine Durchführung<br />
der Gefährdungsbeurteilung einsetzen.<br />
Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren<br />
die Mitbestimmungsrechte konkretisiert.<br />
Danach hat der Betriebsrat mitzubestimmen,<br />
an welchen Arbeitsplätzen welche Gefährdungen<br />
anhand welcher Kriterien und Methoden<br />
nach welchen Zeitplan zu beurteilen sind und<br />
welche Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
abzuleiten und durchzuführen sind. 2<br />
Auch bei den Inhalten der Arbeitsschutzunterweisung<br />
besteht ein Mitbestimmungsrecht. 3<br />
Diese Mitbestimmungsfelder werden durch die<br />
Vergabe der Aufgaben an Dritte gemäß § 13<br />
Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) nicht<br />
eingeschränkt. Da der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung<br />
selbst oder durch Dritte<br />
durchführen muss, kann der Betriebsrat zusätzlich<br />
mitbestimmen, welche Qualifikationen die<br />
durchführenden Personen besitzen müssen. 4<br />
Gefährdungen im Büro<br />
An Büroarbeitsplätzen sind klassische Gefährdungsfaktoren<br />
durch die verwendeten Arbeitsmittel<br />
und durch die Arbeitsumgebung<br />
immer existent: Licht, Klima, Lärm, Ausstattung<br />
mit Schreibtisch, Schreibtischstuhl,<br />
Bildschirm oder etwa Tastatur. Bei den Gefährdungsbeurteilungen<br />
wird immer wieder<br />
festgestellt, dass sowohl Schreibtische und<br />
Schreibtischstühle nicht nach ergonomischen<br />
Gesichtspunkten optimal gestaltet als auch<br />
die Arbeitsmittel wie Bildschirm und Tastatur<br />
falsch angeordnet sind.<br />
Aber es gewinnen auch Gefährdungsfaktoren<br />
an Büroarbeitsplätzen an Bedeutung, die<br />
mit der Arbeit direkt zu tun haben, wie zum<br />
Beispiel die Übertragung von immer mehr<br />
Arbeitsaufgaben ohne Zeit- oder Personalaufstockung,<br />
die Einführung neuer Arbeits<br />
darum geht es<br />
1. Klassische Gefährdungsfaktoren<br />
an Büroarbeitsplätzen<br />
sind:<br />
Licht, Klima, Lärm und<br />
falsche ergonomische<br />
Gestaltung von Büromöbeln<br />
und Computern.<br />
2. Daneben gibt es<br />
psychische Gefährdungsfaktoren,<br />
wie immer<br />
mehr Arbeit, neue<br />
Technik, Erhöhung der<br />
Vorgaben oder fehlende<br />
Qualifikation.<br />
3. Der Betriebsrat muss<br />
bei den Ermittlungen<br />
der Gefahren die Arbeitnehmer<br />
einbeziehen.<br />
Das schafft Akzeptanz<br />
für die Durchsetzung<br />
der Maßnahmen.<br />
1 Vergl. HK-ArbSchR/Blume/Faber § 5 Rn. 24. 2 Vergl. u.a. BAG 8.6.2004 – 1 ABR 4/03.<br />
3 Vergl. BAG 11.1.2011 – 1 ABR 104/09.<br />
4 BAG 18.8.2009 – 1 ABR 43/08.<br />
17
titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
linktipp<br />
Videos zum<br />
Arbeitsschutz<br />
Unter www.arbeitsschutz<br />
film.de/mediathek gibt<br />
es informative und<br />
unter haltsame Filme<br />
zum Arbeitsschutz.<br />
abläufe und EDV-Programme ohne vorherige<br />
Qualifikationsmaßnahmen, unkontrollierte<br />
Mehrarbeit im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit,<br />
Festlegung von nicht erreichbaren Zielen<br />
in Zielvereinbarungen, leistungsabhängige variable<br />
Vergütungsbestandteile mit fortlaufender<br />
Erhöhung der Vorgaben wie Umsatz oder<br />
Marge sowie die Einführung neuer Arbeitsformen<br />
und Arbeitsorganisationen, zum Beispiel<br />
Teamarbeit im Rahmen von Matrixorganisationen<br />
(also einer betriebs- und unternehmensübergreifenden<br />
Arbeitsstruktur).<br />
Das ArbSchG berücksichtigt diese Gefährdungsfaktoren,<br />
indem in § 5 Abs. 3 ArbSchG<br />
nicht nur die klassischen Gefährdungsfaktoren<br />
benannt werden, sondern auch die Gefährdungen<br />
durch die Gestaltung, die Auswahl<br />
und den Einsatz von Arbeitsmitteln, die Gestaltung<br />
der Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe<br />
und der Arbeitszeit sowie der unzureichenden<br />
Qualifikation beziehungsweise der unzureichenden<br />
Unterweisung der Beschäftigten.<br />
Durch die Aufnahme des Merkmals der psychischen<br />
Belastungen bei der Arbeit in § 5<br />
Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG hat der Gesetzgeber betont,<br />
dass auch alle sozialen und organisatorischen<br />
Arbeitsbedingungen sowie gesellschaftlichen<br />
Faktoren eine Rolle spielen können.<br />
Dies wird auch in der entsprechenden DIN<br />
EN ISO 10075 »Ergonomische Grundlagen<br />
bezüglich psychischer Belastung« verdeutlicht.<br />
Insofern bietet die Gefährdungsbeurteilung für<br />
den Betriebsrat einen guten Ansatz, die Mitbestimmung<br />
in diesen Bereichen der Arbeitsbedingungen<br />
der Büroarbeitsplätze geltend<br />
zu machen, die traditionell das Hoheits- und<br />
Herrschaftsgebiet der Arbeitgeber waren.<br />
Einheitliche Gefährdungsbeurteilung<br />
Es kommt in der Praxis vor, dass es zwei Verfahren<br />
zur Gefährdungsbeurteilung gibt. Zum<br />
einen wird eine Gefährdungsbeurteilung der<br />
psychischen Belastungsfaktoren, zum anderen<br />
der klassischen Belastungsfaktoren verhandelt<br />
und vereinbart. Diese Trennung ergibt<br />
sich nicht aus dem ArbSchG oder aus § 87<br />
Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Das ArbSchG geht von<br />
einer einheitlichen Gefährdungsbeurteilung<br />
aus. Dies ist nicht nur aus rechtlichen, sondern<br />
auch aus arbeitswissenschaftlichen Gesichtspunkten<br />
begründet. Das ArbSchG geht<br />
von Wechselwirkungen der einzelnen Gefährdungsfaktoren<br />
aus. So können zum Beispiel<br />
die Gefährdungsfaktoren Klima, Licht sowie<br />
Lärm in Verbindung mit Zeitdruck bei der Arbeit<br />
oder Überforderung oder fehlender Qualifikation<br />
beziehungsweise Einweisung in eine<br />
Arbeitsaufgabe, eine Gesundheitsgefährdung<br />
begründen. Eine surrende Klimaanlage oder<br />
Geräusche der technischen Einrichtung können<br />
bei hochkonzentrierter Arbeit (etwa bei<br />
Entwicklungsingenieuren) eine psychische Belastung<br />
darstellen.<br />
In den Betrieben, in denen eine Trennung<br />
in zwei Regelungen vereinbart wurde, ergaben<br />
sich aus der Gefährdungsbeurteilung der psychischen<br />
Belastungsfaktoren auch oft Gefährdungsfaktoren<br />
in den technischen Arbeitsbedingungen.<br />
In diesem Fall musste man weitere<br />
Untersuchungen wie zum Beispiel Messungen<br />
des Klimas oder des Lärms durchführen. Liegt<br />
noch keine Einigung über eine Regelung zur<br />
Gefährdungsbeurteilung der klassischen Belastungsfaktoren<br />
vor, hat dies zu einer weiteren<br />
Zeitverzögerung geführt. Insofern sollten die<br />
Betriebsräte eine einheitliche Regelung anstreben.<br />
Davon bleibt die Regelungsaufgabe unberührt,<br />
unterschiedliche Ermittlungsverfahren<br />
zu vereinbaren.<br />
Welche Ermittlungsmethoden sind sinnvoll?<br />
Bei der Ermittlung der klassischen und der<br />
psychischen Gefährdungsfaktoren unterscheiden<br />
sich die Ermittlungsmethoden. In jedem<br />
Fall muss der Betriebsrat darauf beharren,<br />
dass in jeder Phase der Ermittlungen die Arbeitnehmer<br />
umfassend einbezogen werden.<br />
Dies sichert nicht nur belastbare Ergebnisse<br />
der Gefährdungsbeurteilung, sondern schafft<br />
auch hohe Akzeptanz und Rückhalt bei den<br />
Arbeitnehmern, wenn es um die Durchsetzung<br />
der erforderlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
geht.<br />
Bei der Ermittlung der klassischen Gefährdungsfaktoren<br />
sind in der Regel Arbeitsplatzbegehungen<br />
sowie Beobachtungen und<br />
Befragungen der Mitarbeiter sinnvolle Methoden.<br />
Vorab werden jedoch die möglichen<br />
konkreten Gefährdungsfaktoren an den einzelnen<br />
Arbeitsplätzen beziehungsweise in den<br />
Arbeitsbereichen zwischen den Betriebsparteien<br />
geklärt und darauf abgestimmte Ermittlungsmethoden<br />
festgelegt. Aber auch während<br />
der Arbeitsplatzbegehungen kann festgestellt<br />
werden, dass weitere Ermittlungsschritte, wie<br />
zum Beispiel die Messung von Klima, Licht<br />
18
AiB 7-8 | 2017<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
titelthema<br />
oder anderen chemischen oder physikalischen<br />
Einwirkungen sowie Lastenhandhabungsanalysen<br />
erforderlich sind. Diese zusätzlichen<br />
Ermittlungsmethoden sind zwischen den Betriebsparteien<br />
zu vereinbaren.<br />
Bei der Ermittlung der psychischen Gefährdungsfaktoren<br />
hat sich ein Mix der Methoden<br />
in der Praxis bewährt. Zunächst sollte eine Befragung<br />
aller Mitarbeiter bezüglich der Gefährdungsfaktoren,<br />
die einerseits in § 5 ArbSchG<br />
benannt sind, andererseits sich ergänzend<br />
aus betrieblichen Besonderheiten ergeben<br />
können, durchgeführt werden. Bezüglich der<br />
gestellten Fragen ist darauf zu achten, dass<br />
die Gesamtanzahl der Fragen nicht ein Maß<br />
annimmt, das die Motivation der Arbeitnehmer<br />
beim Ausfüllen etwa eines Fragebogens<br />
zum Erliegen bringt. Eine hohe Beteiligung<br />
der Arbeitnehmer ist zu erreichen, wenn die<br />
Anzahl der Fragen und die zur Beantwortung<br />
aufgewendete Zeit von den Arbeitnehmern<br />
als positiv empfunden wird. Ebenso sollte<br />
darauf geachtet werden, dass sich die Fragen<br />
auf konkrete betriebliche Arbeitsbedingungen<br />
beziehen. So sollten Besonderheiten, wie zum<br />
Beispiel das Thema Vertrauensarbeitszeit, Zielvereinbarungen<br />
oder Kundenkontakt, bei den<br />
Fragen berücksichtigt werden. Ein sorgsam erstellter<br />
und vereinbarter Fragenkatalog sowie<br />
eine gute Organisation der Verteilung der Fragebogen<br />
garantiert eine hohe Teilnahmequote.<br />
Anschließend sollten die Ergebnisse der<br />
Befragung durch Arbeitsplatzbeobachtungen<br />
ergänzt werden. Die dann festgestellten Gefährdungsfaktoren<br />
sollten in einem Workshop,<br />
der nach Themen oder Arbeitsbereichen gegliedert<br />
werden kann, mit den Arbeitnehmern<br />
besprochen werden. Der Workshop muss das<br />
Ziel haben, die Ursachen der festgestellten Gefährdungsfaktoren<br />
zu konkretisieren, um Abhilfemaßnahmen<br />
vorzuschlagen. Die Regeln<br />
zur Durchführung der Workshops sind ebenfalls<br />
zu vereinbaren.<br />
Welche Ermittlungsmethoden ablehnen?<br />
Abzulehnen sind kurze und einfache Ermittlungsverfahren,<br />
die zum Beispiel nur in einer<br />
Arbeitsplatzbeobachtung durch interne oder<br />
externe Experten besteht. Ebenso sollten sogenannte<br />
Kurzfragebogen, die von einem ausgewählten<br />
Kreis der Arbeitnehmer oder von<br />
einem beobachtenden Experten ausgefüllt<br />
werden, abgelehnt werden. Auch versuchen<br />
Arbeitgeber, das Ermittlungsverfahren auf die<br />
Durchführung von wenigen Workshops mit<br />
ausgewählten Arbeitnehmern zu beschränken.<br />
Derartig verkürzte Ermittlungsverfahren<br />
können in der Regel keine repräsentative und<br />
umfassende Aussage über die Gefährdungsfaktoren<br />
ergeben. Sie sind auch rechtlich nicht<br />
geeignet, eine belastbare Grundlage für die<br />
Durchsetzung der erforderlichen Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutzmaßnahmen zu bilden.<br />
Einen Spruch einer Einigungsstelle auf der<br />
Grundlage derartig verkürzter Verfahren wäre<br />
rechtlich nicht belastbar.<br />
Maßnahmen ableiten<br />
Das ArbSchG, insbesondere § 3 Abs. 2<br />
ArbSchG, bringt zum Ausdruck und ist von<br />
dem Grundsatz geprägt, dass Arbeitgeber nicht<br />
nur bei Bestehen einer Gesundheitsgefahr,<br />
sondern auch bei Vorliegen einer Gesundheitsgefährdung<br />
verpflichtet sind, Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
unter Beteiligung<br />
der Arbeitnehmer zu entwickeln und durchzuführen.<br />
Diese Maßnahmen sollen nach § 4<br />
ArbSchG eine Gefährdung für die physische<br />
und psychische Gesundheit möglichst vermeiden<br />
beziehungsweise es soll die verbleibende<br />
Gefährdung möglichst gering gehalten werden,<br />
indem die Quellen der Gefährdungen beseitigt<br />
werden. Die Auswahl der Maßnahmen erfolgt<br />
nach dem sogenannten TOP - Prinzip (technische,<br />
organisatorische und personenbezogene<br />
Maßnahmen). 5 Es sind zunächst die Maßnahmen<br />
festzulegen und zu vereinbaren, die eine<br />
technische Beseitigung der Ursachen von Gefahren<br />
und Gefährdungen erreichen. Genügt<br />
dies nicht, sind organisatorische Maßnahmen<br />
zu erörtern und zu realisieren, die darauf hin<br />
Falsches Sitzen und<br />
ergonomisch schlechte<br />
Ausstattung – damit sind<br />
körperliche Beschwerden<br />
vorprogrammiert.<br />
Zeitgemäßer<br />
Arbeitsschutz<br />
Neuauflage!<br />
Ralf Pieper<br />
Arbeitsschutzgesetz<br />
Basiskommentar zum ArbSchG<br />
7., aktualisierte u. überarb. Auflage<br />
2017. 358 Seiten, kartoniert<br />
€ 29,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6511-8<br />
www.bund-verlag.de/6511<br />
5 Vergl. auch HK-ArSchR/Blume/Faber.<br />
kontakt@bund-verlag.de 19<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
titelthema<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Neuauflage!<br />
Einsatz für<br />
die Mitbestimmung<br />
Berthold Göritz u. a.<br />
Handbuch Einigungsstelle<br />
Mitbestimmungsrechte<br />
gezielt durchsetzen<br />
5., aktualisierte Auflage<br />
2017. 218 Seiten, gebunden<br />
€ 39,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6439-5<br />
www.bund-verlag.de/6439<br />
zielen, dass der Arbeitnehmer von der Quelle<br />
der Gefahren und Gefährdungen getrennt<br />
wird. Persönliche Schutzmaßnahmen, wie zum<br />
Beispiel Schutzkleidung, sind dazu nachrangig<br />
einzustufen. Nach diesem Prinzip sind am Büroarbeitsplatz<br />
die ergonomischen Probleme<br />
zunächst mit technischen Lösungen vorrangig<br />
zu beseitigen. Insofern haben ergonomisch gestaltete<br />
Schreibtische, Schreibtischstühle, Bildschirme<br />
und Tastaturen absoluten Vorrang.<br />
Neue Themen für die Mitbestimmung<br />
Führt zum Beispiel die Einführung von Open-<br />
Space-Büro, (also Großraumbüros), zu Problemen<br />
im Bereich der Akustik, des Klimas,<br />
der eingeschränkten Entscheidungsfreiheit<br />
in der Arbeitsgestaltung und der fehlenden<br />
Privatsphäre am Arbeitsplatz, kann eine Gefährdungsbeurteilung<br />
dazu die jeweiligen<br />
Gefährdungsfaktoren und die erforderlichen<br />
Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
entwickeln. Dies kann zur Folge haben, dass<br />
der Betriebsrat das Konzept des Open-Space-Büros<br />
als Quelle der Gefährdungen in<br />
Frage stellt und so durch die Mitbestimmung<br />
direkt bei der Gestaltung der Arbeitsplatzorganisation<br />
und der Arbeitsplätze Einfluss nimmt.<br />
In vielen Betrieben wurde auch ein Handlungsbedarf<br />
bei der Qualifizierung der Führungskräfte<br />
und der Kommunikation durch die<br />
Gefährdungsbeurteilung festgestellt. Oft sind<br />
die Ergebnisse im Bereich der Gefährdungsbeurteilung<br />
der psychischen Belastungen davon<br />
geprägt, dass die Arbeitnehmer die Führungsqualitäten<br />
ihrer Vorgesetzten negativ bewerten,<br />
insbesondere die Wertschätzung ihrer geleisteten<br />
Arbeit. Hier kann eine Ursache sein, dass<br />
die Führungskräfte nicht ausreichend zu diesem<br />
Thema qualifiziert wurden. Insofern haben<br />
diesbezügliche Maßnahmen in der Regel zwei<br />
Effekte. Die Führungskräfte sind nach Durchführung<br />
einer entsprechenden Qualifizierungsmaßnahme<br />
ihrerseits nicht mehr überfordert<br />
und die betroffenen Arbeitnehmer spüren die<br />
Veränderung im täglichen Umgang.<br />
Ein weiterer Themenkomplex, der Gegenstand<br />
und Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung<br />
in den Betrieben ist, ist die Überlastung<br />
der Arbeitnehmer durch die Vermehrung ihrer<br />
Aufgaben, ohne dass dafür eine entsprechende<br />
Zeit oder entsprechendes Personal zur Verfügung<br />
gestellt wird. Werden derartige Belastungen<br />
und entsprechende Gesundheitsgefährdungen<br />
festgestellt, können sich Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutzmaßnahmen auf dem Bereich<br />
der Arbeitszeitregelungen und der Personalbemessung<br />
beziehen.<br />
Es können somit Themen zum Gegenstand<br />
einer mitbestimmten Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahme<br />
werden, die durch die<br />
Mitbestimmungsrechte bisher nicht erfasst waren.<br />
§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung<br />
mit dem Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung<br />
eröffnen neue Handlungsfelder.<br />
Durchsetzung der Maßnahmen<br />
Bei der Durchsetzung der Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
ist festzustellen,<br />
dass kostengünstige Maßnahmen in der Regel<br />
leicht durchzusetzen sind. Ebenso Maßnahmen,<br />
an denen der Arbeitgeber selber großes<br />
Interesse hat, zum Beispiel die Qualifizierung<br />
der Führungskräfte bei Mangel von Führungseigenschaften.<br />
Widerstände gibt es, wenn es an<br />
die Fragen der Personalbemessung, der Verteilung<br />
der Arbeit oder der Arbeitsorganisation<br />
geht. Dies waren bisher Themenbereiche, die<br />
zum Herrschafts- und Entscheidungsbereich<br />
des Arbeitgebers zählten. Daher müssen sich<br />
die Betriebsräte darauf vorbereiten, dass Maßnahmen<br />
in diesen Themenkomplexen oft nur<br />
mit Hilfe einer Einigungsstelle durchzusetzen<br />
sind. Da allerdings die Einigungsstelle einen<br />
Spruch bezüglich derartiger Maßnahmen nur<br />
treffen kann, wenn die Gefährdungsbeurteilung<br />
diese Gefährdungen ermittelt hat und die<br />
Maßnahmen arbeitswissenschaftlich darstellbar<br />
und zu begründen sind, muss der Betriebsrat<br />
dieses mögliche Ende einer Gefährdungsbeurteilung<br />
von Beginn an, das heißt, bei der<br />
Vereinbarung der Gefährdungsbeurteilung, berücksichtigen.<br />
Sind die Ermittlungsmethoden,<br />
die Ergebnisse der Ermittlung und die Benennung<br />
der konkreten Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen<br />
nicht auf eine fundierte<br />
Grundlage gestellt, wird der Betriebsrat spätestens<br />
in der Einigungsstelle mit seinen Forderungen<br />
zu diesen Maßnahmen scheitern. v<br />
Manfred Wulff,<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht, Hamburg.<br />
www.arbeitnehmer-anwaelte.de<br />
Neben der anwaltlichen Tätigkeit arbeitet<br />
Manfred Wulff seit vielen Jahren als Referent.<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
20<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
AiB 7-8 | 2017 Schutz für werdende Mütter aktuelles<br />
Schutz für<br />
werdende Mütter<br />
geändertes gesetz Das Mutterschutzgesetz ist verändert worden<br />
und tritt mit seinen Neuerungen im Januar 2018 in Kraft.<br />
Worauf Betriebsräte künftig zum Schutz werdender Mütter<br />
achten müssen, lesen Sie hier.<br />
VON CHRISTOPHER KOLL<br />
Am 31. März 2017 hat der Bundestag<br />
die Änderungen zum Mutterschutzrecht<br />
beschlossen, die nach<br />
Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens<br />
zum überwiegenden Teil zum 1. Januar<br />
2018 in Kraft treten sollen. Damit sich Betriebsräte<br />
frühzeitig auf das Thema einstellen<br />
können, hier ein Überblick zu den wichtigsten<br />
Neuerungen des Gesetzes.<br />
Anwendungsbereich<br />
Ab dem 1. Januar 2018 ist für den Mutterschutz<br />
nicht mehr das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses<br />
von Bedeutung, sondern es wird nach<br />
§ 1 Abs. 2 Satz 1 Mutterschutzgesetz-Entwurf<br />
(MuSchG-E) begrifflich auf das Beschäftigungsverhältnis<br />
abgestellt. Damit werden<br />
weitere Beschäftigungsgruppen in den Schutzbereich<br />
einbezogen. Insbesondere gilt das Gesetz<br />
zukünftig auch für Praktikantinnen nach<br />
§ 26 BBiG, Schülerinnen und Studentinnen.<br />
Auch behinderte Mitarbeiterinnen in Werkstätten<br />
für Behinderte gehören künftig zum<br />
geschützten Personenkreis. Des Weiteren gilt<br />
das Gesetz – bis auf einige Paragrafen – auch<br />
für Frauen, die wegen ihrer wirtschaftlichen<br />
Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche<br />
Personen anzusehen sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 7<br />
MuSchG-E). Darunter fallen beispielsweise<br />
Fremdgeschäftsführerinnen. Spiegelbildlich<br />
wird der Kreis der Verpflichteten nach § 2<br />
Abs. 2 MuSchG-E dann auch auf alle Personen<br />
oder Unternehmen ausgedehnt, die geschützte<br />
Personen tatsächlich beschäftigen. Insofern<br />
wird der Arbeitgeberbegriff dort weiter gefasst,<br />
als nach der sonst üblichen arbeitsrechtlichen<br />
Definition.<br />
Änderungen bei Beschäftigungsverboten<br />
Von besonderer Bedeutung sind die Änderungen<br />
im Bereich der Beschäftigungsverbote<br />
für (werdende) Mütter. Bislang war für diese<br />
Beschäftigten nach § 8 Abs. 1 MuSchG die<br />
Nachtarbeit ausgeschlossen, sofern nicht eine<br />
der dort geregelten Ausnahmen für bestimmte<br />
Berufsgruppen eingriff. Nach § 5 Abs. 1 und<br />
§ 28 MuSchG-E kann eine schwangere oder<br />
stillende Frau nunmehr ausnahmsweise auch<br />
zwischen 20 Uhr und 22 Uhr beschäftigt werden,<br />
wenn sie hierzu ihre Einwilligung erteilt.<br />
Diese kann später jederzeit widerrufen werden.<br />
Zusätzlich muss ein ärztliches Attest über<br />
die Unbedenklichkeit der Nachtarbeit vorliegen.<br />
Und schließlich muss sichergestellt sein,<br />
dass die Arbeitnehmerin in dieser Zeit nicht<br />
alleine arbeitet und die Ruhezeit von 11 Stunden<br />
eingehalten wird. Alleinarbeit läge nach<br />
§ 2 Abs. 4 MuSchG-E dann vor, wenn nicht<br />
sichergestellt ist, dass die Beschäftigte jederzeit<br />
den Arbeitsplatz verlassen oder Hilfe erreichen<br />
kann. Im Rahmen der letzten Fassung<br />
des Änderungsgesetzes wurde dem ursprünglichen<br />
Gesetzesentwurf noch § 28 MuSchG-E<br />
neu hinzugefügt. Danach steht die gesamte<br />
Ausnahmeregelung jetzt unter dem Vorbehalt<br />
der behördlichen Genehmigung, die der Arbeitgeber<br />
vor der Umsetzung der Nachtarbeit<br />
bis 22 Uhr einholen muss.<br />
darum geht es<br />
1. Das Mutterschutzgesetz<br />
gilt künftig auch<br />
für Praktikantinnen<br />
sowie Schülerinnen und<br />
Studentinnen.<br />
2. Das Nachtarbeitsverbot<br />
ist für werdende<br />
Mütter gelockert worden,<br />
wenn sie in der Zeit<br />
arbeiten wollen.<br />
3. Es gelten höhere<br />
Anforderungen an Gefährdungsbeurteilungen<br />
der jeweiligen Arbeitsplätze.<br />
Hier sind Betriebsräte<br />
gefragt.<br />
21
aktuelles<br />
Schutz für werdende Mütter<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Arbeit auch an Sonn- und Feiertagen<br />
Bislang war zudem in § 8 MuSchG die Sonnund<br />
Feiertagsarbeit weitgehend ausgeschlossen.<br />
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG-E kann<br />
eine schwangere oder stillende Frau nunmehr<br />
ausnahmsweise auch an Sonn- und Feiertagen<br />
beschäftigt werden, wenn sie hierzu ihre Bereitschaft<br />
erklärt. Allerdings muss eine Ausnahme<br />
vom Sonntagsarbeitsverbot nach § 10<br />
Arbeitszeitgestz (ArbZG) gegeben sein, der<br />
Beschäftigten muss ein Ersatzruhetag gewährt<br />
werden und eine unverantwortbare Gefährdung<br />
für die schwangere Frau und ihr Kind<br />
müssen ausgeschlossen sein.<br />
Bisher betrug die Schutzfrist der Mutter<br />
nach § 6 Abs. 1 MuSchG nach der Entbindung<br />
des Kindes einheitlich acht Wochen, bei<br />
Früh- und Mehrlingsgeburten sogar 12 Wochen.<br />
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MuSchG-E<br />
gilt nunmehr ebenfalls eine Schutzfrist von 12<br />
Wochen, wenn bei dem Kind eine Behinderung<br />
festgestellt wurde. Sofern kein Arbeitsverhältnis<br />
vorliegt, kann die Wirkung eines<br />
Beschäftigungsverbots nicht eintreten. Daher<br />
bestimmt § 2 Abs. 3 MuSchG-E, dass eine arbeitnehmerähnliche<br />
Person nach § 1 Abs. 2<br />
Nr. 7 MuSchG-E in den oben genannten Fällen<br />
von ihrer vertraglichen Leistungspflicht befreit<br />
wird. Die Beschäftigte kann allerdings gegenüber<br />
dem Vertragspartner erklären, die vertraglichen<br />
Dienste dennoch erbringen zu wollen.<br />
Gefährdungsbeurteilungen müssen<br />
durchgeführt werden<br />
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 MuSchG-E treffen den<br />
Arbeitgeber neue und geänderte Pflichten bei<br />
der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen<br />
bei (werdenden) Müttern. Damit werden<br />
auch die bisherigen Bestimmungen der Verordnung<br />
zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz<br />
(MuSchArbV) in das MuSchG-E integriert.<br />
Zunächst besteht nach § 10 Abs. 1<br />
MuSchG-E die Pflicht, überhaupt die besonderen<br />
Gefährdungen von Mutter und Kind im<br />
Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung<br />
nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)<br />
zu berücksichtigen. Dies gilt unabhängig von<br />
der Frage, ob auf einem Arbeitsplatz derzeit<br />
überhaupt eine schwangere Frau beschäftigt<br />
wird. Anhand der dortigen Feststellungen ist<br />
dann zu prüfen, ob Schutzmaßnahmen ergriffen<br />
werden müssen, eine Umgestaltung der<br />
Arbeitsbedingungen nach § 13 MuSchG-E erforderlich<br />
wird oder eine Fortführung der Tätigkeit<br />
an diesem Arbeitsplatz überhaupt möglich<br />
sein wird. Sobald eine Frau dem Arbeitgeber<br />
ihre Schwangerschaft mitgeteilt hat, muss er<br />
nach § 10 Abs. 2 MuSchG-E unverzüglich die<br />
im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgelegten<br />
Schutzmaßnahmen einleiten. Solange<br />
dies nicht erfolgt ist, besteht ein Beschäftigungsverbot<br />
für die schwangere Beschäftigte.<br />
Der Arbeitgeber muss der Beschäftigten zudem<br />
ein Gespräch über die weitere Anpassung<br />
ihrer Arbeitsbedingungen anbieten.<br />
Im Übrigen muss der Arbeitgeber nach § 9<br />
Abs. 1 MuSchG-E alle aufgrund der Gefährdungsbeurteilung<br />
erforderlichen Maßnahmen<br />
treffen, um die Gesundheit von Mutter und<br />
Kind zu schützen. Die Maßnahmen sind auf<br />
ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und geänderten<br />
Bedingungen anzupassen. Dabei steht<br />
das Ziel im Vordergrund, der Mutter – außerhalb<br />
der Beschäftigungsverbote – die weitgehende<br />
Fortführung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen.<br />
Sofern der Arbeitgeber eine unverantwortbare<br />
Gefährdung festgestellt hat, und diese<br />
nicht durch Schutzmaßnahmen nach § 13<br />
Abs. 1 Nr. 1 und 2 MuSchG-E ausgeschlossen<br />
werden kann, muss er ein betriebliches Beschäftigungsverbot<br />
aussprechen. Eine unverantwortbare<br />
Gefährdung liegt insbesondere<br />
vor, wenn eine schwangere Arbeitnehmerin im<br />
Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit schweren körperlichen<br />
Belastungen ausgesetzt wäre oder<br />
eine stillende Arbeitnehmerin mit besonderen<br />
Gefahrenstoffen in Kontakt kommen könnte.<br />
Änderungen beim Kündigungsschutz<br />
Der bisher in § 9 MuSchG geregelte besondere<br />
Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen,<br />
findet sich jetzt in § 17 MuSchG-E.<br />
Danach ist die Kündigung einer schwangeren<br />
Frau während der Schwangerschaft und bis zu<br />
einem Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung<br />
unzulässig. Das Gleiche gilt jetzt aber<br />
auch nach einer Fehlgeburt, wenn die Schwangerschaft<br />
zuvor mindestens zwölf Wochen<br />
bestanden hat. Zudem wird der Schutz auch<br />
auf Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers<br />
zur Kündigung ausgedehnt, das heißt, er kann<br />
während der Schutzfrist auch keine Anhörung<br />
des Betriebsrats nach § 102 BetrVG wirksam<br />
einleiten.<br />
22
AiB 7-8 | 2017 Schutz für werdende Mütter aktuelles<br />
Werdende Mütter sollen<br />
bei der Arbeit nicht<br />
zusätzlich strapaziert<br />
werden – dafür sorgt das<br />
Mutterschutzgesetz.<br />
Das bedeuten die Änderungen für die Praxis<br />
Da Betriebsräte schon ganz allgemein nach<br />
§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG einen Überwachungsauftrag<br />
bei der Einhaltung der Gesetze<br />
durch den Arbeitgeber haben, kann von ihnen<br />
zu Recht verlangt werden, dass sie die neuen<br />
Vorschriften zum Mutterschutz kennen und<br />
auch in der Praxis umsetzen können. Dabei ist<br />
beispielsweise im Rahmen der Mitbestimmung<br />
bei der Lage der Arbeitszeiten nach § 87 Abs. 1<br />
Nr. 2 BetrVG auf die Einhaltung der Beschäftigungsverbote<br />
für bestimmte Arbeitszeiten zu<br />
achten. Dies gilt zum Beispiel für die Nachtarbeitsverbote.<br />
In der Praxis werden sich voraussichtlich<br />
aber vor allem die Ergänzungen in<br />
Bezug auf die Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen<br />
nach § 5 ArbSchG erheblich<br />
auswirken. Gerade im Bereich des Arbeitsund<br />
Gesundheitsschutzes bestehen umfangreiche<br />
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats,<br />
zum Beispiel nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG<br />
und § 89 BetrVG, die dieser auch im Hinblick<br />
auf die besonderen Gesundheitsgefahren für<br />
Mutter und Kind einsetzen muss. Insoweit ist<br />
höchstrichterlich anerkannt, dass der Betriebsrat<br />
bei der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen<br />
ein Mitbestimmungsrecht hat. 1<br />
Besonders dort wird man in Zukunft darauf<br />
achten müssen, dass die Vorgaben nach § 10<br />
MuSchG-E letztlich für die Beurteilung aller<br />
Arbeitsplätze umzusetzen sind, da die Gesundheitsgefahren<br />
für Mutter und Kind abstrakt zu<br />
identifizieren sind, das heißt auch unabhängig<br />
vom derzeitigen Stelleninhaber.<br />
Die weiteren Neuerungen im Mutterschutz<br />
sind dagegen je nach der konkreten Situation<br />
im Blick zu behalten, so beispielsweise bei einer<br />
Anhörung nach § 102 BetrVG zur Kündigung<br />
einer Schwangeren.<br />
Fokus auf Gesundheitsgefahren<br />
für Mutter und Kind<br />
Sofern die Änderungen die letzten Stationen<br />
des Gesetzgebungsverfahrens erfolgreich<br />
durchlaufen, müssen sich Betriebsräte also auf<br />
einen erhöhten Arbeitsaufwand im Bereich<br />
des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einrichten<br />
und ihren Fokus dort auch auf die besonderen<br />
Gesundheitsgefahren für Mutter und<br />
Kind richten. Im Bereich der Gefährdungsbeurteilungen<br />
wird das dann auch in Zukunft<br />
kaum ohne die Unterstützung entsprechender<br />
Sachverständiger funktionieren. v<br />
Christopher Koll, Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht in der Kanzlei<br />
Bell & Windirsch, Britschgi & Koll.<br />
www.fachanwaeltInnen.de<br />
1 BAG 30.9.2014 – 1 ABR 106/12.<br />
23
aktuelles<br />
Zeit zu handeln<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Zeit zu handeln<br />
datenschutz Die EU-Datenschutzgrundverordnung<br />
regelt den Umgang mit persönlichen Daten in Europa neu.<br />
Betriebsräte sollten wissen, was auf sie zukommt.<br />
VON PETER WEDDE<br />
darum geht es<br />
1. Die EU-Datenschutzgrundverordnung<br />
wird<br />
viele nationale Regelungen<br />
im Datenschutz<br />
ersetzen.<br />
2. Aber es gibt sogenannte<br />
Öffnungsklauseln,<br />
über die die Mitgliedsländer<br />
Detailfragen<br />
selber regeln können.<br />
3. Dazu gehört der<br />
Beschäftigtendatenschutz.<br />
Dafür gibt es in<br />
Deutschland jetzt ein<br />
neues Gesetz.<br />
Der Datenschutz in der Europäischen<br />
Union (EU) wird sich fundamental<br />
ändern. Grund ist die<br />
»DSGVO«. Dahinter verbirgt<br />
sich die Datenschutzgrundverordnung vom<br />
April 2016. 1 Diese gilt ab dem 25. Mai 2018 als<br />
ein heitlicher und zwingender Datenschutzrahmen<br />
in der gesamten EU. Die DSGVO<br />
wird bestehende Regelungen in den einzelnen<br />
Mitgliedsstaaten wie etwa das deutsche<br />
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ersetzen.<br />
Aufgrund zahlreicher Öffnungsklauseln in<br />
der DSGVO können die Mitgliedsländer allerdings<br />
Detailfragen wie etwa den Beschäftigtendatenschutz<br />
(vgl. dazu Abschnitt IV in der<br />
DSGVO) auch in Zukunft eigenständig ausgestalten.<br />
Allerdings müssen spezifische Sonderregelungen<br />
in den einzelnen EU-Staaten die<br />
datenschutzrechtlichen Grundsätze der DS<br />
GVO berücksichtigen. In Deutschland gibt es<br />
inzwischen für die notwendigen Anpassungen<br />
des nationalen Rechts ein neues Gesetz, abgekürzt:<br />
DSAnpUG-EU. 2<br />
Die DSGVO regelt auch<br />
wirtschaftliche Interessen<br />
Anders als der Kurztitel »Datenschutzgrundverordnung«<br />
suggeriert, zielt die DSGVO<br />
nicht nur auf eine Regelung des europäischen<br />
Datenschutzes. Artikel 1 Abs. 2 DSGVO<br />
nennt zwar das Ziel, Grundrechte und Grundfreiheiten<br />
natürlicher Personen und deren personenbezogene<br />
Daten zu schützen. Dazu gesellt<br />
sich aber in Artikel 1 Abs. 3 DSGVO die<br />
Vorgabe, dass der freie Verkehr personenbezogener<br />
Daten in der Union zum Schutz natürlicher<br />
Personen bei der Verarbeitung der Daten<br />
weder eingeschränkt noch verboten werden<br />
darf. Das heißt konkret: Die Grundrechte der<br />
Bürgerinnen und Bürger müssen gegen die<br />
wirtschaftlichen Interessen der Verarbeiter abgewogen<br />
werden.<br />
Inhalt der DSGVO<br />
Strukturell ähnelt die DSGVO in vielen Bereichen<br />
dem BDSG. Zugleich enthält sie in elf<br />
Kapiteln auch grundlegend neue Regelungsmechanismen<br />
wie etwa ein »Recht auf Vergessenwerden«.<br />
Das neue Datenschutzrecht wird<br />
sehr viel umfangreicher: Mit 99 Artikeln enthält<br />
die DSGVO mehr als doppelt so viele Vorschriften<br />
wie das BDSG mit seinen 48 Paragrafen.<br />
Hinzu kommen die 85 Paragrafen des<br />
»BDSG-neu«, die das DSAnpUG-EU enthält<br />
(siehe Fußnote 2). Bereits der Umfang der<br />
Vorschriften deutet darauf hin, dass das neue<br />
Datenschutzrecht weder verständlicher als das<br />
BDSG sein wird noch bürger- oder betroffenenfreundlicher.<br />
Zu den herausragenden Neuerungen<br />
des neuen Rechts gehört beispielsweise<br />
das sich aus Artikel 3 Abs. 1 DSGVO<br />
ableitende »Marktortprinzip«. Danach kommt<br />
die Verordnung auch dann zur Anwendung,<br />
wenn Firmen, die personenbezogene Daten<br />
von EU-Bürgern verarbeiten, in der EU keine<br />
Niederlassung haben. Auf die Verbesserung<br />
des freien Datenverkehrs zielt das sogenannte<br />
»One-Stop-Shop«-Prinzip. Dies bedeutet, dass<br />
für europaweit tätige Unternehmen nach Artikel<br />
56 DSGVO allein die für die Hauptniederlassung<br />
zuständige Aufsichtsbehörde eines<br />
Staates federführend zuständig ist.<br />
Allgemeine Bestimmungen<br />
In den Artikeln 1 – 3 DSGVO des Kapitels 1<br />
finden sich neben der Festlegung von Gegenstand<br />
und Zielen Aussagen zum sachlichen<br />
24<br />
1 Verordnung 2016/679 des Europäischen Parlaments und<br />
des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen<br />
bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien<br />
Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG –<br />
Daten schutzgrundverordnung (DSGVO).<br />
2 Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die<br />
Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie<br />
(EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz<br />
EU – DSAnpUG-EU.
AiB 7-8 | 2017 Zeit zu handeln aktuelles<br />
und räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung.<br />
Artikel 4 DSGVO enthält Begriffsbestimmungen,<br />
die teilweise über die § 3 BDSG<br />
bekannten Beschreibungen hinausgehen.<br />
Hierzu gehören beispielsweise Definitionen<br />
zu »genetischen« und »biometrischen Daten«,<br />
zur »Unternehmensgruppe« (=Konzern) oder<br />
zur »internationalen Organisation«.<br />
Grundsätze der DSGVO<br />
Kapitel 2 enthält allgemeinverbindliche Grundsätze,<br />
die für die Auslegung der Einzelregelungen<br />
der DSGVO maßgeblich sind. Nach<br />
Artikel 5 Abs. 1 DSGVO muss bei der Verarbeitung<br />
personenbezogener Daten nicht nur<br />
die »Rechtmäßigkeit der Verarbeitung« und<br />
die »Zweckbindung« beachtet werden, sondern<br />
auch die »Datenminimierung«. Diese<br />
Verpflichtung zur Datenminimierung setzt<br />
einer allgemeinen Vorratsdatenspeicherung<br />
Grenzen. Gleiches gilt für umfassende Auswertungen<br />
von Daten mittels »Big-Data«-Anwendungen<br />
wie sie beispielsweise in modernen<br />
onlinebasierenden Personalmanagementsystemen<br />
mit Analyse-Modulen möglich sind.<br />
Rechtmäßigkeit der Verarbeitung<br />
von Daten nur in bestimmten Fällen<br />
Von herausragender Bedeutung für den Datenschutz<br />
sind die in Kapitel 2 DSGVO enthaltenen<br />
Regelungen. Nach Artikel 6 DSGVO ist<br />
die gesamte Verordnung als »Verbotsvorschrift<br />
mit Erlaubnistatbeständen« ausgestaltet. Das<br />
bedeutet: Eine Verarbeitung von Daten ist nur<br />
rechtmäßig und damit zulässig, wenn einer der<br />
in der Vorschrift enthaltenen Erlaubnistatbestände<br />
gegeben ist. Das kann beispielsweise die<br />
Erfüllung einer gesetzlichen oder vertraglichen<br />
Verpflichtung aus einem Kaufvertrag sein oder<br />
das Vorliegen einer individuelle Einwilligung.<br />
Eine wirksame Einwilligung durch Betroffene<br />
muss nach Artikel 7 DGSVO nicht zwingend<br />
schriftlich erfolgen und kann jederzeit widerrufen<br />
werden. Bittet ein Arbeitgeber seine Beschäftigten<br />
um Einwilligungen, dürfen diese<br />
sich nach Artikel 7 Abs. 4 DSGVO nur auf Daten<br />
beziehen, die für die Erfüllung des Vertrags<br />
erforderlich sind. Die Frage nach der privaten<br />
Mobiltelefonnummer kann damit für Rufbereitschaften<br />
erlaubt sein, nicht aber die Frage<br />
nach Zugang zum privaten Facebook-Account<br />
von Beschäftigten.<br />
Besondere geschützte Daten<br />
Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener<br />
Daten wird durch Artikel 9<br />
DSGVO herausragend geschützt. Hierbei handelt<br />
es sich um Informationen zur rassischen<br />
und ethnischen Herkunft, zur politische Meinungen,<br />
zu Religion oder Weltanschauung, zur<br />
Gewerkschaftszugehörigkeit, zur Gesundheit,<br />
zum Sexualleben oder zur sexuellen Orientierung<br />
sowie um genetische oder biometrische<br />
Daten zur eindeutigen Identifizierung einer<br />
Person. Das im ersten Satz der Vorschrift enthaltene<br />
Verbot der Verarbeitung dieser Daten<br />
wird allerdings durch zahlreiche Ausnahmeregelungen<br />
aufgeweicht. Dazu zählt etwa eine<br />
Verarbeitungsbefugnis bezüglich dieser Daten<br />
Sensible persönliche<br />
Daten sollen durch die<br />
DSGVO besonders<br />
geschützt werden.<br />
25
aktuelles<br />
Zeit zu handeln<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
für die »aus dem Arbeitsrecht« erwachsenen<br />
Rechte der Arbeitgeber (Abs. 2 lit b)) oder »für<br />
die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten«<br />
(Abs. 2 lit h)). Es ist damit nicht<br />
auszuschließen, dass einzelne Arbeitgeber<br />
versuchen werden, mit diesen Ausnahmetatbeständen<br />
beispielsweise eine Verarbeitung von<br />
Daten zur Weltanschauung »aus Sicherheitsgründen«<br />
zu rechtfertigen oder eine Überprüfung<br />
bestehender Arbeitsunfähigkeiten durch<br />
den betriebsärztlichen Dienst.<br />
Rechte der betroffenen Personen<br />
Im umfangreichen Kapitel 3 der DSGVO<br />
werden die Rechte der betroffenen Personen<br />
festgelegt. Teilweise finden sich hier aus dem<br />
BDSG vertraute Regelungen wieder wie etwa<br />
die Transparenzpflicht in Artikel 12 DSGVO.<br />
Es gibt aber auch Neuerungen wie etwa erweiterte<br />
Informations- und Auskunftspflichten der<br />
für die Verarbeitung Verantwortlichen in den<br />
Artikeln 13 bis 15 DSGVO oder die nun in Artikel<br />
21 DSGVO zusammengefassten Regelungen<br />
zum Widerspruch der Datenverarbeitung.<br />
Recht auf Vergessenwerden<br />
Artikel 17 Abs. 1 DSGVO begründet ein starkes<br />
Recht auf Löschung, das in der Konsequenz<br />
als »Recht auf Vergessenwerden« ausgestaltet<br />
ist. Dies bedeutet, dass Daten ohne Wenn<br />
und Aber endgültig gelöscht werden müssen,<br />
wenn die ursprünglichen Verarbeitungszwecke<br />
erfüllt sind. Beschäftigte könnten auf dieser<br />
Grundlage beispielsweise einfordern, dass von<br />
ihnen in interne soziale Netzwerke eingestellte<br />
Beiträge nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses<br />
gelöscht werden.<br />
Durch Art. 20 DSGVO wird ein neuartiges<br />
Recht auf Datenübertragbarkeit begründet.<br />
Das bedeutet: Betroffene Personen können<br />
etwa bei einem Anbieterwechsel verlangen,<br />
dass ihnen Informationen, die sie angegeben<br />
haben, in einer maschinenlesbaren Form zur<br />
Verfügung gestellt werden. Diese Komfortregelung<br />
erhöht insbesondere die Anforderungen<br />
an Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen.<br />
Auf dieser Grundlage könnten aber<br />
beispielsweise auch Beschäftigte verlangen,<br />
dass sie Beiträge für betriebliche Wissensdatenbanken,<br />
die sie außerhalb ihrer eigentlichen<br />
Arbeitsaufgaben erstellt haben, nach einer<br />
Kündigung »mitnehmen« können.<br />
handlungsempfehlungen<br />
Betriebsrat und neues<br />
Datenschutzrecht:<br />
Die DSGVO ist ab dem 25. Mai 2018 die<br />
maßgebliche und verbindliche Grundlage<br />
für den Datenschutz in ganz Europa.<br />
Was bedeutet das für Betriebsräte?<br />
1. Die DSGVO wird ab Mai 2018 zusammen<br />
mit einem noch zu verabschiedenden<br />
deutschen Anpassungsgesetz zum<br />
BDSG die Grundlage für den Beschäftigtendatenschutz<br />
sein. Auf diese Situation<br />
müssen sich Betriebsräte durch Weiterbildung<br />
vorbereiten.<br />
2. Zur Vorbereitung gehört es, sich mit<br />
den neuen Vorschriften und Regelungsmechanismen<br />
zu befassen sowie bestehende<br />
Betriebsvereinbarungen<br />
im Lichte des neuen Datenschutzrechts<br />
zu bewerten.<br />
3. Ermöglichen Betriebsvereinbarungen<br />
die Verarbeitung von Beschäftigtendaten,<br />
müssen sie nach neuem Recht<br />
angemessene und besondere Maßnahmen<br />
zum Schutz der berechtigten<br />
Interessen und der Grundrechte von<br />
Beschäftigten enthalten.<br />
4. Verlangt ein Arbeitgeber schon heute<br />
die Berücksichtung des künftigen<br />
Datenschutzrechts beim Abschluss<br />
von Betriebsvereinbarungen, sollten<br />
Betriebs räte sicherstellen, dass dann<br />
auch die neuen Schutzvorgaben der<br />
DSGVO verankert werden.<br />
Verantwortliche und Auftragnehmer<br />
Die Rechtspflichten der für die Verarbeitung<br />
Verantwortlichen und ihrer Auftragnehmer<br />
sind in Kapitel 4 DSGVO aufgeführt. Grundlegend<br />
neu ist, dass die Verantwortlichen jetzt<br />
durch Artikel 25 DSGVO verpflichtet werden,<br />
bei der Gestaltung der verwendeten Technik<br />
darauf zu achten, dass diese über datenschutzfreundliche<br />
Voreinstellungen verfügt. Dies<br />
bedeutet beispielsweise, dass betroffene Personen<br />
im Rahmen von »opt-in«-Konzepten eine<br />
26
AiB 7-8 | 2017 Zeit zu handeln aktuelles<br />
Verarbeitung technisch ausdrücklich freigeben<br />
müssen. Keine datenschutzfreundliche Voreinstellung<br />
liegt hingegen vor, wenn Verarbeitungen<br />
im Rahmen von »opt-out«-Konzepten lediglich<br />
im Nachhinein ausgeschlossen werden<br />
können. Dies ist für die betriebliche Praxis der<br />
Ausgestaltung von IT-Systemen ebenso wichtig<br />
wie die jetzt in Artikel 35 DSGVO verankerte<br />
Datenschutz-Folgeabschätzung. Diese muss<br />
beispielsweise durchgeführt werden, wenn sich<br />
mit dem Zweck einer Verarbeitung voraussichtlich<br />
ein hohes Risiko für die Rechte und<br />
Freiheiten von Personen verbinden. Aus dem<br />
Ergebnis der Datenschutz-Folgeabschätzung<br />
können Betriebsräte beispielsweise Vorgaben<br />
für die Gestaltung von Betriebsvereinbarungen<br />
ableiten. Ähnliches gilt für die neuen Vorschriften<br />
zu Verhaltensregelungen und Zertifizierungen<br />
in den Artikeln 40 bis 43 DSGVO. Insbesondere<br />
Zertifizierungsverfahren könnten für<br />
Betriebsräte künftig hilfreich sein, wenn die<br />
Wirksamkeit von Betriebsvereinbarungen kontrolliert<br />
werden soll.<br />
Betriebliche Datenschutzbeauftragte<br />
Weiterer Bestandteil von Kapitel 4 DSGVO<br />
sind die Regelungen zu betrieblichen Datenschutzbeauftragten<br />
in den Artikeln 37 bis 39.<br />
Diese entsprechen im Wesentlichen den Regelungen<br />
in den §§ 4f und 4g BDSG. Neu ist,<br />
dass gemäß Art. 37 Abs. 2 DSGVO nunmehr<br />
auch ganz offiziell ein »Konzerndatenschutzbeauftragter«<br />
bestellt werden kann.<br />
Wichtige Einzelregelungen<br />
Für Beschäftigte beziehungsweise für die betriebliche<br />
Praxis bedeutsam sind die in Kapitel<br />
VIII DSGVO verankerten Regelungen zu<br />
Rechtsbehelfen, Haftung und Sanktionen.<br />
Betroffene Personen können sich beispielsweise<br />
nach der Regelung in Art. 80 DSGVO<br />
künftig in datenschutzrechtlichen Belangen<br />
von bestimmten gemeinnützingen Einrichtungen,<br />
Organisationen oder Vereinigungen<br />
vertreten lassen. Dies können etwa bereits<br />
existierende Verbraucher- oder Datenschutzorganisationen<br />
sein. Die von Artikel 80 DSGVO<br />
erfassten Stellen könnten künftig beispielsweise<br />
Beschwerden von Beschäftigten gegen einen<br />
Arbeitgeber bündeln und durchsetzen. Verstoßen<br />
Verarbeiter gegen Vorgaben der DSGVO<br />
zum Datenschutz, tragen sie nach Artikel 83<br />
»Betriebsräte<br />
sollten sich schon<br />
jetzt aktiv mit<br />
der Frage beschäftigen,<br />
welche<br />
Möglichkeiten<br />
und Risiken mit<br />
dem neuen Datenschutzrecht<br />
einhergehen.«<br />
PETER WEDDE<br />
Abs. 4 DSGVO künftig ein hohes finanzielles<br />
Risiko: Für die in der Vorschrift genannten Tatbestände<br />
wie etwa Verstöße gegen die Grundsätze<br />
der Verarbeitung oder die Rechte der<br />
betroffenen Personen können künftig Geldbußen<br />
von bis zu zwanzig Millionen Euro verhängt<br />
werden. Handelt es sich um einen Konzern,<br />
kann alternativ eine Geldbuße in Höhe<br />
von bis zu vier Prozent des gesamten weltweit<br />
erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen<br />
Geschäftsjahres festgesetzt werden, wenn<br />
die entsprechende Summe höher als zwanzig<br />
Millionen ist. Konzerne sollten diesem Sanktionsrisiko<br />
nicht nur durch einen guten Datenschutz<br />
entgegentreten, sondern gegebenenfalls<br />
auch durch entsprechende Rückstellungen.<br />
Beschäftigtendatenschutz nach der DSGVO<br />
Zum wichtigen Thema »Beschäftigtendatenschutz«<br />
findet sich in der DSGVO unter der<br />
Überschrift »Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen«<br />
in Kapitel IX mit Artikel<br />
88 lediglich eine Vorschrift. Diese überlässt<br />
es den Mitgliedsstaaten, den Beschäftigtendatenschutz<br />
durch Rechtsvorschriften oder<br />
durch Kollektiv vereinbarungen zu regeln.<br />
Weiterhin werden in Artikel 88 Abs. 1 DSGVO<br />
mögliche Inhalte eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes<br />
und allgemeine Schutzvorgaben<br />
benannt. Hierzu gehören beispielsweise<br />
Themen wie Planung und Organisation der<br />
Das neue<br />
Datenschutzrecht<br />
Peter Wedde<br />
EU-Datenschutz-Grundverordnung<br />
Kurzkommentar mit Synopse<br />
BDSG / EU-DSGVO<br />
2016. 346 Seiten, kartoniert<br />
€ 39,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6589-7<br />
www.bund-verlag.de/6589<br />
kontakt@bund-verlag.de 27<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
aktuelles<br />
Zeit zu handeln<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Arbeit, Gleichheit und Diversität am Arbeitsplatz,<br />
Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz<br />
oder Schutz des Eigentums der Arbeitgeber<br />
oder der Kunden. Nach Artikel 88 Abs. 2<br />
DSGVO müssen Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz<br />
angemessene und besondere<br />
Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen<br />
Würde, der berechtigten Interessen und der<br />
Grundrechte der betroffenen Person beinhalten.<br />
Hierzu können auch Vorgaben für die<br />
Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb<br />
eines Konzerns gehören.<br />
Ungeregelt lässt Artikel 88 DSGVO das in<br />
der Praxis wichtige Thema der datenschutzrechtlichen<br />
Zulässigkeit der unternehmensübergreifenden<br />
Datenübermittlung in Konzernen.<br />
Damit gilt für diese Fälle weiterhin,<br />
dass entweder eine Auftragsdatenverarbeitung<br />
vereinbart ist oder dass diese Datenübermittlungen<br />
durch eine Betriebsvereinbarung oder<br />
durch eine individuelle Einwilligung legitimiert<br />
werden. Problematisch ist, dass Artikel<br />
88 Abs. 1 Satz 1 DSGVO die Möglichkeit<br />
schafft, spezifische Regelungen zum Datenschutz<br />
durch Kollektivvereinbarungen festzulegen.<br />
Solange es kein einschlägiges »Mitbestimmungsrecht<br />
zum Datenschutz« gibt,<br />
können Betriebsräte diese Möglichkeit nicht<br />
im Rahmen eines Initiativrechts ausfüllen. Keine<br />
echte Verbesserung zum Thema Beschäftigtendatenschutz<br />
beinhaltet der Entwurf des<br />
DSAnpUG-EU. Er beschränkt sich derzeit auf<br />
die Übernahme der jetzigen datenschutzrechtlichen<br />
Regelungen des BDSG in § 26 DSAnpUG-EU<br />
nebst einiger weniger Ergänzungen.<br />
Von einer umfassenden Regelung dieses Themas<br />
kann damit nach wie vor keine Rede sein.<br />
Was können Betriebsräte tun?<br />
Derzeit wird in vielen Betriebsräten die Frage<br />
diskutiert, ob das Inkrafttreten der DSGVO<br />
dazu führt, dass Betriebsvereinbarungen unwirksam<br />
werden. Eine solche Unwirksamkeit<br />
einzelner kollektivrechtlicher Regelungen<br />
aufgrund eines Widerspruchs zur DSGVO ist<br />
in bestimmten Fällen vorstellbar. Etwa, wenn<br />
durch Betriebsvereinbarungen Datenverarbeitungsprozesse<br />
legitimiert werden, ohne dass<br />
zugleich die durch Art. 88 Abs. 2 DSGVO<br />
vorgegebene umfassenden angemessenen und<br />
besonderen Maßnahmen zur Wahrung der<br />
menschlichen Würde, der berechtigten Interessen<br />
und der Grundrechte der betroffenen<br />
Person sichergestellt wurden. Das wäre der<br />
Fall, wenn eine umfassende Vorratsspeicherung<br />
von personenbezogenen Daten zugelassen<br />
würde, ohne dass zugleich Schutzmaßnahmen<br />
wie eine enge Zweckbindung und kurze<br />
Löschungsfristen vorgegeben wären. Derartige<br />
Vereinbarungen, die weitgehende Eingriffe in<br />
Rechte von Beschäftigten ohne Schutzvorkehrungen<br />
zulassen, sind aber mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
auch nach aktuellem Datenschutzrecht<br />
sowie mit Blick auf das allgemeine<br />
Schutzgebot des § 75 Abs. 2 BetrVG unzulässig.<br />
Beinhalten bestehende Betriebsvereinbarungen<br />
hingegen ausgewogene Festlegungen<br />
zum Umgang mit Beschäftigtendaten, die sich<br />
an betrieblichen Erforderlichkeiten orientieren,<br />
etwa durch Datenminimierung, durch<br />
Verschlüsselungsverfahren oder durch kurze<br />
Löschungsfristen, ist ein Verstoß gegen Vorgaben<br />
der DSGVO unwahrscheinlich.<br />
Für aktuelle Verhandlungen zu Datenschutzthemen<br />
sollten Betriebsräte zudem das<br />
Folgende bedenken: Das geltende BDSG ist<br />
bis zum 24. Mai 2018, 24.00 Uhr, uneingeschränkt<br />
anwendbar. Deshalb sollten Betriebsräte<br />
dem Verlangen von Arbeitgebern widerstehen,<br />
den Arbeitgebern genehme Regelungen<br />
der DSGVO schon heute anzuwenden. Etwas<br />
Anderes gilt, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat<br />
mit Blick auf das neue Recht gemeinsam<br />
versuchen, aktuell zu verhandelnde Betriebsvereinbarungen<br />
zukunftsfähig zu machen,<br />
etwa durch eine Umsetzung des »Rechts auf<br />
Vergessenwerden« in neuartige Löschkonzepte,<br />
die schon heute greifen.<br />
Sich um Risiken kümmern<br />
Die DSGVO wird das Datenschutzrecht in der<br />
EU vereinheitlichen und teilweise erneuern.<br />
Wie die Neuerungen im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes<br />
aussehen werden, lässt<br />
sich mit Blick darauf, dass es für das deutsche<br />
DSAnpUG-EU bisher noch keine abschließende<br />
Fassung gibt, nicht verbindlich sagen.<br />
Dennoch müssen Betriebsräte sich schon jetzt<br />
aktiv mit der Frage beschäftigten, welche Möglichkeiten<br />
und Risiken mit dem neuen Datenschutzrecht<br />
einhergehen. v<br />
Prof. Dr. Peter Wedde,<br />
Frankfurt University of Applied<br />
Sciences, Frankfurt am Main.<br />
wedde@da-consulting.de<br />
28
AiB 7-8 | 2017 Sicherheit für fünf Jahre aktuelles<br />
Sicherheit für<br />
fünf Jahre<br />
übernahme Die Integration der Kaiser’s Tengelmann-Filialen<br />
in die Handelskonzerne Edeka und Rewe läuft. Über das Ende<br />
einer Hängepartie für Beschäftigte und Interessenvertreter.<br />
VON GUDRUN GIESE<br />
Es gibt sie noch, einzelne Supermärkte<br />
mit dem charakteristischen<br />
Kaiser’s- oder Tengelmann-Schriftzug.<br />
Doch es werden immer weniger.<br />
Zum 1. Januar 2017 war der Verkauf des<br />
Traditions unternehmens Kaiser’s-Tengelmann<br />
an Edeka abgeschlossen, bis zum 31. März<br />
wurde der Teilübergang an Rewe umgesetzt.<br />
Bis alles integriert und neu geordnet ist, dürfte<br />
aber noch einige Zeit vergehen.<br />
Mit dem Jahreswechsel war auf jeden Fall<br />
für rund 15.000 Beschäftigte in Filialen, an Logistikstandorten,<br />
Verwaltungen und anderen<br />
Betriebsteilen von Kaiser’s-Tengelmann (KT)<br />
das Bangen um die eigene Zukunft nach mehr<br />
als zwei Jahren voller Hoffnungen und Ängste<br />
zu einem guten Ende gelangt. Der Verkauf unter<br />
strikten Auflagen besiegelte schließlich auch<br />
die Sicherung von Stellen, Tarifentgelt und Mitbestimmungsstrukturen<br />
bis mindestens 2022.<br />
Eitel Sonnenschein ist dennoch nicht in allen<br />
Teilen von KT eingezogen: Viele der Betriebsräte<br />
hätten gerne noch mehr herausgeholt.<br />
Über zwei Jahre zwischen<br />
Hoffen und Bangen<br />
München/Oberbayern sowie Nordrhein geworden.<br />
Auch die Monopolkommission schloss<br />
sich der Einschätzung der Kartellbehörde an<br />
und untersagte den Komplettverkauf von KT<br />
an Edeka, womit Haub und Edeka-Chef Markus<br />
Mosa nur noch die Beantragung der Ministererlaubnis<br />
beim damaligen Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar Gabriel (SPD) blieb.<br />
Der wiederum genehmigte das Geschäft – allerdings<br />
unter sehr strikten Auflagen (»Ministererlaubnis«),<br />
zu denen die Sicherung der Arbeitsplätze<br />
von rund 15.000 KT-Beschäftigten,<br />
der Tarifbindung sowie der Mitbestimmungsstrukturen<br />
gehörten.<br />
»Toll, wenn es so kommt«, sagte nach Bekanntwerden<br />
des Ministerentscheids im Frühjahr<br />
2016 eine Berliner Kaiser’s-Mitarbeiterin.<br />
darum geht es<br />
1. Die Kaiser’s Tengelmann-Filialen<br />
werden<br />
unter strikten Auflagen<br />
an Edeka und Rewe<br />
verkauft. Betroffen sind<br />
15.000 Beschäftigte.<br />
2. Die Auflagen sehen<br />
die Sicherung von Stellen,<br />
Tarifentgelt und Mitbestimmungsstrukturen<br />
bis<br />
mindestens 2022 vor.<br />
3. Durch den Verkauf<br />
gibt es künftig unterschiedliche<br />
Betriebsratsstrukturen<br />
für die<br />
ehemaligen Kaiser’s<br />
Tengelmann Filialen.<br />
Ein kurzer Blick zurück. Im Herbst 2014 hatte<br />
KT-Chef Karl-Erivan Haub den Verkauf seiner<br />
seit langem defizitären Supermarktkette an<br />
den bundesdeutschen Marktführer im Lebensmitteleinzelhandel<br />
Edeka (zu dem auch Netto,<br />
Marktkauf, Reichelt u.a. gehören) verkündet.<br />
Klar war dabei schnell, dass das Bundeskartellamt<br />
diesen Verkauf nicht billigen würde –<br />
zu groß wäre die Marktmacht von Edeka in<br />
den drei KT-Filialregionen Berlin und Umland,<br />
Edeka und Rewe übernehmen<br />
ehemalige Filialen<br />
von Kaiser’s Tengelmann.<br />
29
aktuelles<br />
Sicherheit für fünf Jahre<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Basis guter<br />
Mitbestimmung<br />
Thomas Klebe / Jürgen Ratayczak<br />
Micha Heilmann / Sibylle Spoo<br />
Betriebsverfassungsgesetz<br />
Basiskommentar mit Wahlordnung<br />
19., aktualisierte u. überarb. Auflage<br />
2016. 1.002 Seiten, kartoniert<br />
€ 39.90<br />
ISBN: 978-3-7663-6498-2<br />
www.bund-verlag.de/6498<br />
Aber sie war zu dem Zeitpunkt bereits skeptisch,<br />
dass das Geschäft glatt über die Bühne<br />
gehen würde. Und ihre Skepsis war nur<br />
zu berechtigt. Andere Interessenten an einer<br />
(Teil-)Übernahme von KT – Rewe, Norma<br />
und Markant – legten beim Oberlandesgericht<br />
Düsseldorf Beschwerde gegen Gabriels<br />
Entscheidung ein – und bekamen Recht, weil<br />
die Richter eine Ungleichbehandlung der<br />
Konkurrenten erkannten und fehlende Transparenz<br />
im Prozess der Ministererlaubnis.<br />
Damit war die alleinige Übernahme durch<br />
Edeka endgültig vom Tisch, und KT-Chef<br />
Haub drohte mit der Zerschlagung des Unternehmens,<br />
da er nur den Komplettverkauf<br />
an Edeka akzeptieren wollte. Wiederum war<br />
es der damalige Bundeswirtschaftsminister<br />
Gabriel, der das Aus von KT stoppen konnte.<br />
Er schlug eine Schlichtung vor und brachte<br />
als Vorsitzenden Alt-Bundeskanzler Gerhard<br />
Schröder (SPD) ins Spiel.<br />
Einigung durch Schlichtung<br />
Tatsächlich gelang es im Schlichtungsverfahren,<br />
an dem unter anderem auch der ver.di-<br />
Vorsitzende Frank Bsirske beteiligt war, die bis<br />
dahin unversöhnlichen Konkurrenten zu einer<br />
Einigung zu bewegen: Norma und Markant<br />
zogen ihre Beschwerden beim OLG Düsseldorf<br />
gegen eine Ausgleichszahlung zurück.<br />
Rewe hingegen erreichte die lange gewünschte<br />
Beteiligung am Geschäft: Die Nummer zwei<br />
im bundesdeutschen Lebensmitteleinzelhandel<br />
bekam die Hälfte des Berliner Kaiser’s-<br />
Filialnetzes zugesprochen plus Logistik- und<br />
Verwaltungsstandort sowie eines Fleischwerks<br />
in Brandenburg und insgesamt vier Läden in<br />
den beiden anderen KT-Filialregionen München<br />
und Nordrhein. Mit dieser Zusage in<br />
der Tasche zog schließlich auch Rewe seine<br />
Beschwerde beim Düsseldorfer Oberlandesgericht<br />
zurück. Rechtzeitig zum Jahresende<br />
2016 waren damit endgültig rund 15.000 KT-<br />
Beschäftigte sicher, für mindestens fünf Jahre<br />
ihre Jobs, Tarifbindung und Mitbestimmung<br />
zu behalten. Doch mit dem neuen Jahr zeigten<br />
sich die Schwierigkeiten im Detail. Etwa bei<br />
der künftigen Betriebsratsstruktur. »In Berlin<br />
zerfällt schon 2018 der bisherige KT-Betriebsrat<br />
in mehrere Teile«, sagt Janetta Jöckertitz,<br />
stellvertretende Betrirebsratsvorsitzende von<br />
Kaiser’s Tengelmann Berlin und bis zum Ende<br />
von KT dort Gesamtbetriebsratsvorsitzende.<br />
Während Edeka strikt nach den Vorgaben der<br />
Ministererlaubnis bis 2022 einen eigenen Betriebsrat<br />
für den ehemaligen Kaiser’s-Bereich<br />
haben wird, geht die Kaiser’s-Arbeitnehmervertretung<br />
im Rewe-Teil bereits im Frühjahr 2018<br />
in den dort bestehenden Betriebsratsstrukturen<br />
auf. »In den Tarifverhandlungen mit Rewe<br />
war zu viel Zeitdruck, weil das Geschäft über<br />
die Bühne gehen sollte. Das Nachsehen haben<br />
nun die Kolleginnen und Kollegen«, meint Janetta<br />
Jöckertitz.<br />
Unterschiedlicher Umgang<br />
mit Betriebsräten<br />
Dass die Tarifverhandlungen mit Rewe nach<br />
dem grundsätzlichen Einlenken des Unternehmens<br />
unter enormem Zeitdruck stattgefunden<br />
haben, findet auch Erika Ritter, Leiterin des<br />
Fachbereichs Handel im ver.di-Landesbezirk<br />
Berlin-Brandenburg. »Der Druck ging aber vor<br />
allem von KT-Chef Haub aus und auch vom<br />
Rewe-Verhandlungsführer Dornseifer. Selbstverständlich<br />
lässt sich in drei, vier Tagen, die<br />
wir mit Rewe verhandeln konnten, nicht so<br />
viel herausholen wie in Monaten, die wir mit<br />
Edeka Details ausgehandelt haben.« Karl-Erivan<br />
Haub hätte dabei stets darauf verwiesen,<br />
dass alle Verträge bis zum Jahresende unter<br />
Dach und Fach sein müssten, weil er kein<br />
neues Geschäftsjahr mit KT beginnen wollte.<br />
Und Friedhelm Dornseifer von Rewe hätte an<br />
einem Punkt der Verhandlungen klargestellt,<br />
dass nun für ihn das Maximum erreicht sei. Erika<br />
Ritter: »Unter den gegebenen Umständen<br />
ist der Übergang zu den vereinbarten Konditionen<br />
ein Riesenerfolg, denn die Sicherheit für<br />
gesetz<br />
Diese Regelung gilt für den Rewe-<br />
Betriebs rat: § 3 Betriebsverfassungsgesetz<br />
Abs. 1 Nr. 3<br />
(1) Durch Tarifvertrag können bestimmt<br />
werden:<br />
(…)<br />
3. andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen,<br />
soweit dies insbesondere aufgrund der<br />
Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation<br />
oder aufgrund anderer Formen<br />
der Zusammenarbeit von Unternehmen einer<br />
wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung<br />
der Arbeitnehmer dient; (…)<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
30<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
AiB 7-8 | 2017 Sicherheit für fünf Jahre aktuelles<br />
hintergrund<br />
»Paragraf 3 – Betriebsräte«:<br />
Weicht die Struktur der Interessenvertretung<br />
vom Normalfall ab, profitiert<br />
oft auch der Arbeitgeber – zum Beispiel<br />
dann, wenn es nur einen Betriebsrat für<br />
das ganze Unternehmen geben soll, statt<br />
mehrerer Betriebsräte in den verschiedenen<br />
Betrieben und den Gesamtbetriebsrat.<br />
Deswegen wollte der Gesetzgeber eine<br />
solche Regelung nur mit der zuständigen<br />
Gewerkschaft – also mit einem Tarifvertrag<br />
– erlauben. Nur mit solch starker<br />
Unterstützung haben Betriebsräte nicht<br />
das Nachsehen, wenn der Arbeitgeber<br />
eine ihm genehme Struktur der Arbeitnehmervertretung<br />
durchsetzen will. Ausnahmen<br />
gibt es nur, wenn Betriebe nicht<br />
tarifge bunden sind.<br />
die Beschäftigten gilt KT-weit – egal, ob sie nun<br />
bei Edeka oder Rewe arbeiten.« ver.di habe<br />
sehr viele Dankesbriefe von den so gesicherten<br />
Kolleginnen und Kollegen bekommen.<br />
Gleichwohl bestreitet die ver.di-Landesfachbereichsleiterin<br />
Handel nicht, dass eine<br />
einheitliche Betriebsratsstruktur für den ehemaligen<br />
KT-Teil sowohl bei Edeka als auch<br />
bei Rewe vorteilhaft gewesen wäre. Rewe ließ<br />
sich an dieser Stelle aber nicht mehr abringen<br />
als die Zusage, auch nach den turnusmäßigen<br />
Betriebsratswahlen im Frühjahr 2018 Freistellungen<br />
für ehemalige Kaiser’s-Betriebsräte zu<br />
garantieren und außerdem ein Gremium einzurichten,<br />
in dem die Integration der übernommenen<br />
Betriebsräte in die bestehenden<br />
Rewe-Mitbestimmungsstrukturen beraten würde.<br />
»Da fehlt die Verbindlichkeit. Wir wollten<br />
eine vergleichbare Struktur wie bei Edeka, wo<br />
bis 2022 Kaiser’s intern eine eigene Gesellschaft<br />
ist, die ihre eigene Arbeitnehmervertretung<br />
wählt«, sagt Janetta Jöckertitz.<br />
Rewe hat Paragraf 3-Betriebsräte<br />
Anders als Edeka hat Rewe allerdings flächendeckende<br />
Betriebsratsstrukturen. »Es<br />
war nicht möglich mehr auszuhandeln als<br />
Sparten-Betriebsräte für den übernommenen<br />
KT-Teil bis zu den regulären Betriebsratswahlen<br />
im Frühjahr 2018«, erklärt Erika Ritter.<br />
Misslich ist dabei, das sieht auch sie so, dass<br />
Rewe Berlin zwei verschiedenen Regionen zugeordnet<br />
ist: Die Filialen im Norden der Stadt<br />
zu Norderstedt, die im Süden einschließlich<br />
Logistik zu Lehrte, so dass die Beschäftigten<br />
im kommenden Jahr zwei unterschiedliche Betriebsräte<br />
mitwählen. »Seit den neunziger Jahren<br />
existiert ein Tarifvertrag über einen Paragraf<br />
3-Betriebsrat mit Rewe«, sagt Erika Ritter,<br />
»der die Strukturen vorgibt. Daran kommen<br />
wir nicht vorbei.« Sie hofft jedenfalls, dass die<br />
langjährigen KT-Betriebsräte ihren Ärger über<br />
das Verhandlungsergebnis eines Tages überwunden<br />
haben. »Es war wirklich nicht mehr<br />
herauszuholen, und unter diesen Umständen<br />
ist das Ergebnis mehr als vorzeigbar.«<br />
Die Integration des Filialnetzes von Kaiser’s-Tengelmann<br />
in Edeka und Rewe verläuft<br />
unterdessen auch nach unterschiedlichen<br />
Rhythmen. Rewe hatte dabei allerdings wenig<br />
Spielraum: Bis zum 31. März mussten die 60<br />
übernommenen Berliner Kaiser’s Filialen und<br />
vier weitere in München sowie Nordrhein<br />
komplett auf das Rewe-Sortiment umgestellt<br />
sein und nicht nur an der Außenfront das<br />
Rewe-Logo zeigen. Erika Ritter: »Edeka hat<br />
mit der anfänglichen Komplettübernahme von<br />
KT auch die Markenrechte erworben, die bei<br />
der Weitergabe des Teilnetzes an Rewe nicht<br />
mit veräußert wurden.« Das führte zu der paradoxen<br />
Situation, dass Rewe zum Stichtag<br />
auch alle KT-Waren aus den Regalen in den<br />
Filialen und im Berliner Lager räumen musste.<br />
Edeka kann sich hingegen Zeit lassen: So<br />
soll die Umwandlung von rund 170 Tengelmann-Filialen<br />
in München/Oberbayern erst<br />
im letzten Jahresdrittel beendet sein, im Raum<br />
Nordrhein werden die letzten Kaiser’s-Filialen<br />
gar erst Mitte 2018 ihre Metamorphose zu<br />
Edeka-Märkten abgeschlossen haben. Fix war<br />
hingegen Netto, die Discounter-Tochter von<br />
Edeka: Die Umstellung von 51 KT-Märkten<br />
in München/Oberbayern und Nordrhein auf<br />
Discountfilialen war bereits im ersten Quartal<br />
dieses Jahres abgeschlossen. Netto ist immerhin<br />
der größte Wachstumszweig innerhalb der<br />
Edeka – 51 neue Filialen mit entsprechendem<br />
Umsatz dürften da nicht zu verachten sein. v<br />
Gudrun Giese, Dipl.-Politologin,<br />
freie Journalistin für<br />
gewerk schaft liche Themen, Berlin.<br />
www.gudrun-giese.de<br />
Sie ist Co-Autorin des »Schwarz-Buch« Lidl<br />
und Verfasserin zahlreicher Broschüren.<br />
aib-web.de<br />
}}<br />
Mehr dazu unter:<br />
aib-web.de > AiB:Assist ><br />
BetrvG-Online<br />
Kommentar > § 3 BetrVG.<br />
31
aktuelles<br />
Vorhang auf für die Nominierten<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Vorhang auf<br />
für die Nominierten<br />
deutscher betriebsräte-preis Es wird spannend: Die Jury des<br />
Deutschen Betriebsräte-Preises 2017 hat zwölf Projekte für<br />
die Endrunde ausgewählt. Im Dezember werden sechs Edelmetallund<br />
Sonderpreisträger der Öffentlichkeit vorgestellt.<br />
VON CHRISTOF HERRMANN<br />
darum geht es<br />
1. Der Deutsche Betriebsräte-Preis<br />
ist eine Initiative<br />
der Fachzeitschrift<br />
Arbeitsrecht im Betrieb.<br />
2. Seit 2009 werden<br />
Best-Practice-Beispiele<br />
engagierter Betriebsratsarbeit<br />
prämiert.<br />
3. Die Jury hat jetzt<br />
zwölf Projekte nominiert.<br />
Im Dezember werden<br />
sechs davon mit Preisen<br />
ausgezeichnet.<br />
Informationen unter<br />
www.dbrp.de<br />
Der Deutsche Betriebsräte-Preis –<br />
eine Initiative der Fachzeitschrift<br />
Arbeitsrecht im Betrieb – prämiert<br />
seit 2009 Best-Practice Beispiele<br />
engagierter und umsetzungsstarker Betriebsratsarbeit.<br />
Als bundesweit wichtigste Auszeichnung<br />
für Betriebsräte lenkt er die Aufmerksamkeit<br />
auf beispielhafte Gremien, die<br />
betriebliche Mitbestimmung täglich leben. Die<br />
Schirmherrschaft hat auch in diesem Jahr wiederum<br />
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles<br />
übernommen.<br />
Die nominierten Gremien für den Deutschen<br />
Betriebsräte-Preis 2017 kommen aus<br />
folgenden Unternehmen und werden hier in<br />
alphabetischer Reihenfolge vorgestellt:<br />
Airbus Operation GmbH, Hamburg; B.<br />
Braun Melsungen AG; Berkenhoff GmbH,<br />
Heuchelheim; DB JobService GmbH, Berlin;<br />
Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft<br />
Berlin; Huntsman P&A Uerdingen GmbH,<br />
Krefeld; Internationaler Bund – Freier Träger<br />
der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V.,<br />
Frankfurt/Main; Klinik Coburg GmbH; LEAR<br />
Corporation Wismar GmbH; Stadtwerke München<br />
GmbH; SYNLAB Holding Deutschland<br />
GmbH, Augsburg; T-Systems International<br />
GmbH, Frankfurt/Main.<br />
Weites Themenspektrum<br />
Insgesamt 77 Betriebsratsgremien stellten<br />
sich in diesem Jahr dem Votum der Jury. Das<br />
Themenspektrum reichte von Projekten zur<br />
Beschäftigungssicherung über innovative Ansätze<br />
zur Mitbestimmung bis hin zu nachhaltigen<br />
Regelungen von Arbeitszeit und Initiativen<br />
rund um Digitalisierung und Arbeit 4.0. Unter<br />
den Nominierten sind Gremien aus großen<br />
Konzernen vertreten, doch den Löwenanteil<br />
stellen Betriebsräte aus mittelständisch geprägten<br />
Unternehmen.<br />
Preisverleihung im Dezember<br />
Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird je einmal<br />
in den Edelmetall-Kategorien Gold, Silber und<br />
Bronze verliehen. Weiter vergibt die Jury drei<br />
Sonderpreise in den Rubriken »Gute Arbeit«,<br />
»Innovative Betriebsratsarbeit« und »Zukunftssicherung«.<br />
Obwohl etwas abseits der<br />
Projekt-Regularien, würdigt die Jury auf besondere<br />
Weise den Konzernbetriebsrat der Saarstahl<br />
AG, Völklingen. Er hat mit der Kampagne<br />
»Unser Saarland hat ein Herz aus Stahl«<br />
eine vorbildliche Aktion eingereicht, die zum<br />
Nachahmen aufruft. Die Preisverleihung an<br />
die sechs Gewinner und die Würdigung der<br />
Nominierten findet am 14. Dezember 2017 im<br />
Rahmen des Deutschen Betriebsräte-Tags im<br />
ehemaligen Plenarsaal des Deutschen Bundestages<br />
in Bonn statt.<br />
Weitere Informationen zum Deutschen Betriebsräte-Preis<br />
2017, erste Informationen und<br />
Jury-Statements zu den nominierten Projekten<br />
und Gremien finden sich laufend aktualisiert<br />
unter www.dbrp.de.v<br />
Christof Herrmann, Kommunikationsberater<br />
mit den Themen<br />
Arbeit, Recht und Wirtschaft.<br />
kommunikation@sc-herrmann.de<br />
32
AiB 7-8 | 2017 Trendmonitor: BR-Wahl 2018 aktuelles<br />
Trendmonitor:<br />
BR-Wahl 2018<br />
vorbereitung In vielen Betrieben endet im Jahr 2018 die Legis laturperiode<br />
der Betriebsratsgremien. Im Frühjahr des kommenden<br />
Jahres stehen dort also Neuwahlen an. Wie sich Betriebsräte darauf<br />
vorbereiten, erfahren Sie hier.<br />
VON CHRISTOF BALKENHOL<br />
Was steht für Betriebsratsgremien<br />
und einzelne Gremiumsmitglieder<br />
bei der Wahlvorbereitung<br />
im Vordergrund, was<br />
tun Interessenvertreter, um Mitarbeiter im Betrieb<br />
als Kandidaten für die Wahl zu gewinnen?<br />
Welche Rolle spielt dabei eine gezielte »Nachwuchsförderung«?<br />
Was können Betriebsräte<br />
tun, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung<br />
zu fördern? Wie gehen die Gremien mit der<br />
Frage »Listenwahl« oder »Personenwahl« um?<br />
Wie finden einzelne Betriebsratsmitglieder<br />
eine Antwort auf die sehr persönliche Frage<br />
zur Fortsetzung oder zur Beendigung der eigenen<br />
Tätigkeit im Betriebsrat?<br />
}}<br />
Martin Bühre; Betriebsrat;<br />
Stadtwerke Hannover AG; Hannover<br />
Die Betriebsratsarbeit steht genau wie das Unternehmen<br />
selbst, vor großen Herausforderungen.<br />
In Zeiten von disruptiven Veränderungen<br />
für Mensch, Gesellschaft und Arbeit, muss<br />
auch Betriebsrat neu gedacht werden. Wie<br />
hat sich das Betriebsratsgremium aufzustellen,<br />
wenn Komplexität und Unsicherheit in einer<br />
Geschwindigkeit zunehmen, die alle extrem<br />
fordern wird? Wir werden Zukunftsthemen<br />
wie digitale Transformation nicht nur begleiten,<br />
wir müssen ein Teil von ihr sein. Die Zukunft<br />
werden wir nur gemeinsam erfolgreich<br />
gestalten können, darum werden neben inhaltlicher<br />
Arbeit besonders Haltung und Vertrauen<br />
über die Qualität der erzielten Lösungen<br />
entscheiden. Das Anforderungsprofil an ein<br />
Betriebsratsmitglied sollte diesen Entwicklungen<br />
Rechnung tragen. Genau diese Rahmenbedingungen<br />
sind es aber auch, die eine<br />
geschlossene Ausrichtung und daraus resultierende<br />
Aufstellung eines Betriebsratsgremiums<br />
schwierig machen. Egal ob Personen oder Listenwahl,<br />
die Zusammenstellung des künftigen<br />
Gremiums wird neben der Ausrichtung an den<br />
Zukunftsthemen, auch von den persönlichen<br />
Motiven der Kandidaten, als auch der subjektiven<br />
Wahrnehmung der Wählerinnen und<br />
Wähler beeinflusst. Positiven Einfluss kann<br />
daher nur ein breiter gemeinsamer Diskurs<br />
zu unseren Zukunftsthemen haben. Dies tun<br />
wir bei uns sehr intensiv und können darüber<br />
auch Resonanz erzeugen. Nichts ist stärker als<br />
eine breite geschlossene Haltung, die aus einem<br />
gemeinsamen Verständnis resultiert. Das<br />
ist unser Weg und wir erleben ihn positiv – für<br />
die Kolleginnen und Kollegen und für den Betriebsrat.<br />
}}<br />
Sabine Diehl; Gesamtbetriebsrat;<br />
ODDO BHF Aktiengesellschaft; Frankfurt<br />
Bei der Vorbereitung der Betriebsratswahlen<br />
ist es wichtig, auf Erfahrung zugreifen zu können<br />
und Wissen durch gezielte Schulung aufzubauen.<br />
Vor jeder Wahl stellt sich jedes Mitglied<br />
persönlich die Frage, ob es sich erneut<br />
zur Wahl stellen soll. Hier spielen ebenso wie<br />
bei der Neugewinnung von Kandidaten Themen<br />
wie hoher Arbeitsdruck und Arbeitsplatzabbau<br />
eine große Rolle. Die Bedeutung der Betriebsratsarbeit<br />
nimmt zu, die Wahrnehmung<br />
und die Erwartungen sind hoch, allerdings<br />
wird es zunehmend schwieriger Kolleginnen<br />
darum geht es<br />
1. Die nächsten regulären<br />
Betriebsratswahlen<br />
stehen vom 1. März bis<br />
zum 31. Mai 2018 an.<br />
2. Jetzt gilt es in<br />
Betriebs ratsgremien,<br />
wichtige Weichen für<br />
die Wahl zu stellen.<br />
3. Nachfolgeplanung<br />
und das Gewinnen neuer<br />
Kandidatinnen und Kandidaten<br />
stehen dabei ganz<br />
oben auf der To-do-Liste.<br />
33
aktuelles Trendmonitor: BR-Wahl 2018<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
und Kollegen für das Amt des Betriebsrats zu<br />
gewinnen. Hier spielen zunächst das persönliche<br />
Interesse sowie die zeitliche Verfügbarkeit<br />
und die Bereitschaft Verantwortung zu tragen<br />
eine große Rolle. Für die Gewinnung von<br />
Kandidaten ist eine gute Vorbereitung wichtig.<br />
Nur wenige Kolleginnen und Kollegen zeigen<br />
von selbst Interesse, deshalb ist die persönliche<br />
Ansprache besonders wichtig. In der Vergangenheit<br />
war die geforderte Geschlechter-/<br />
Frauenquote in unserem Unternehmen kein<br />
Problem, muss aber gezielt durch Ansprache<br />
gefördert werden. In diesem Jahr habe ich mir<br />
vorgenommen, gezielt Frauen zu einer Informationsrunde<br />
über die Betriebsratsarbeit einzuladen,<br />
um insbesondere junge und engagierte<br />
Kandidatinnen zu gewinnen. Ein guter Mix<br />
aus Kontinuität und neuem Engagement ist für<br />
mich wünschenswert, möglichst aus allen Bereichen<br />
unserer Bank, um alle Interessen nachhaltig<br />
vertreten zu können. Danach kommt die<br />
Förderung der Wahlbeteiligung. Hier ist eine<br />
gezielte Information und Transparenz über die<br />
Betriebsratsarbeit hilfreich<br />
}}<br />
Hans Eschbach; Betriebsrat;<br />
Verlagsgruppe Handelsblatt; Düsseldorf<br />
Die Kandidatenwerbung ist schwierig, denn<br />
eine Kandidatur für den Betriebsrat wird häufig<br />
als Entscheidung gegen die eigene Karriere<br />
empfunden, auch wenn es Beispiele gibt,<br />
wo ehemalige Betriebsräte zu Ressortleitern<br />
wurden. Stärker noch wirken aber wohl Reaktionen<br />
von Vorgesetzten, die schon mit<br />
Nachbohren reagieren, was man denn mit<br />
dem Betriebsrat zu schaffen habe, wenn nur<br />
dessen Telefonnummer im Display des Telefons<br />
sichtbar wurde. Daher gilt es beizeiten,<br />
nach unbefangenen Kolleginnen und Kollegen<br />
Ausschau zu halten, bei denen man im täglichen<br />
Geschäft mitbekommt, dass sie sich eigene<br />
Interessen nicht abnötigen lassen oder gar<br />
für die von anderen eintreten. Auch engagierte<br />
Wortmeldungen auf Versammlungen sind ein<br />
Hinweis auf eine mögliche Bereitschaft zur<br />
Kandidatur, weil hier der Furcht-Faktor offenbar<br />
nicht oder nur schwach vorhanden ist.<br />
Auch bei solchen Kollegen gibt es dann Vorbehalte,<br />
etwa die Sorge, die (verdichtete) Arbeit<br />
neben dem Ehrenamt nicht mehr zu schaffen<br />
oder die Absicht, das Unternehmen wegen der<br />
zum Ausdruck gebrachten Unzufriedenheit<br />
in absehbarer Zeit zu verlassen. Also, es ist<br />
mühsam. Aber manchmal, zum Beispiel, wenn<br />
man immer wieder auf »Neue« zugeht, ins Gespräch<br />
mit ihnen kommt und dann hört, dass<br />
er oder sie in der vorigen Firma schon kandidiert<br />
hat, dann hat man das Goldkörnchen gefunden,<br />
nach dem man gesucht hat.<br />
}}<br />
Marcell Witt; Konzernbetriebsrat;<br />
TUI AG; Hannover<br />
Bei der TUI AG und ihren Konzerngesellschaften<br />
wird an die anstehenden Betriebsratswahlen<br />
unterschiedlich herangegangen. Bei den<br />
vor allem größeren Gesellschaften am Hauptsitz<br />
in Hannover sind die anstehenden Wahlen<br />
aufgrund jahrelanger Routine, sowohl in ihrer<br />
Durchführung, als auch in ihrer Akzeptanz<br />
beim jeweiligen Management, ein Selbstläufer.<br />
Nur umso weiter man sich vom Hauptsitz<br />
entfernt, desto weniger wird der Mehrwert<br />
einer Betriebsratswahl und eines engagierten<br />
Betriebsrats vom Management erkannt, da<br />
wirtschaftliche Nachteile befürchtet werden.<br />
Daher bleibt den Betriebsräten oft nur der<br />
schwierige Spagat zwischen der Betriebsratsarbeit<br />
und der normalen Tätigkeit im Unternehmen.<br />
Von den Betriebsräten wird sowohl<br />
vom Management, aber auch von den eigenen<br />
Kolleginnen und Kollegen dabei nicht selten<br />
erwartet, ihre Betriebsratstätigkeit neben der<br />
Vollzeitarbeit zu erledigen. Somit fällt es auch<br />
aufgrund dieser Doppelbelastung schwerer,<br />
Kolleginnen und Kollegen von kleineren, dezentralen<br />
Gesellschaften für die Betriebsrats-,<br />
oder auch Gesamtbetriebsrats- und Konzernbetriebsrats-Arbeit<br />
zu gewinnen, wenngleich<br />
gerade dort die Arbeit am notwendigsten<br />
erscheint. Die Listenwahl wird von den Beschäftigten<br />
sehr kritisch gesehen, da diese eine<br />
Direktwahl Ihrer/s Kandidatin/en verhindert.<br />
Des Weiteren landen neue, junge, interessierte<br />
Kolleginnen und Kollegen beispielsweise aus<br />
der Jugend- und Auszubildendenvertretung<br />
mitunter nur auf hinteren Listenplätzen und<br />
haben somit kaum eine Chance, gewählt zu<br />
werden. Dabei könnten genau diese Kolleginnen<br />
und Kollegen im Zeitalter von Digitalisierung<br />
und Arbeit 4.0 sowie dem bevorstehenden<br />
demographischen Wandel einen wichtigen<br />
Beitrag zu den zukünftigen Herausforderungen<br />
der Betriebsratsarbeit leisten. In diesem<br />
Sinne wird auch in diesem Jahr der Konzernbetriebsrat,<br />
zusammen mit der Gewerkschaft<br />
ver.di, die Betriebsratswahlen begleiten und<br />
vor allem unseren dezentralen Gesellschaften<br />
unterstützend beiseite stehen.<br />
34
AiB 7-8 | 2017 Trendmonitor: BR-Wahl 2018 aktuelles<br />
}}<br />
Jürgen Kallmeier; Gesamtbetriebsrat;<br />
T-Systems GmbH; Frankfurt<br />
Nachfolgeplanung sichert erfolgreiche Betriebsratsarbeit.<br />
Interessenvertretung heißt für<br />
uns auch, strategische Kontinuität in der Betriebsratsarbeit<br />
sicher zu stellen. Es herrscht<br />
Wandel in der Arbeitswelt. Diese Veränderung<br />
hat Auswirkung auf die Art wie wir arbeiten<br />
und wie Unternehmen auf dynamischen und<br />
globalen Märkten agieren. Diese Veränderung<br />
hat deutliche Auswirkung auf die Beschäftigten<br />
und somit auf unsere Betriebsratsarbeit.<br />
Als Beispiel sei hier genannt Arbeit 4.0, zum<br />
Beispiel agiles Arbeiten, Designthinking (Kreativprozess<br />
zur Ideenfindung, der sich am<br />
Nutzer orientiert und auf Design-Methoden<br />
beruht), virtuelle Teams.<br />
Bei der Betriebsratswahl 2018 erwarten die<br />
Beschäftigten von uns und den Gewerkschaften<br />
zu Recht Orientierung und auch Antworten<br />
auf die Veränderung in der zukünftigen Arbeitswelt.<br />
Gleichzeitig gehen in dieser neuen<br />
Periode ältere Betriebsratsmitglieder von Bord<br />
und neue sollen Verantwortung übernehmen.<br />
Diesen Mitgliedern müssen wir eine längerfristig<br />
verlässliche Perspektive bieten und sie auf<br />
die Aufgaben vorbereiten. Neue Betriebsratsmitglieder<br />
benötigen dabei nicht nur die Basics<br />
wie BetrVG und Tarifverträge. Wir haben<br />
als Gesamtbetriebsrat ein professionelles Entwicklungsprogramm<br />
initiiert. Damit wollen wir<br />
sicherstellen, dass sowohl der Wissenstransfer<br />
als auch die Einbindung in die aktuelle Gremiumsarbeit<br />
funktioniert. Die Kernelemente<br />
dieses Programms sollen die methodische und<br />
persönliche Entwicklung der Betriebsratsmitglieder<br />
fördern. Mentoring sichert die Weitergabe<br />
der unterschiedlichen Wissensbereiche.<br />
Professionelles Coaching unterstützt den persönlichen<br />
Entwicklungsprozess der Mitglieder.<br />
Erfolgreiche Betriebsratsarbeit erfordert auch<br />
eine rechtzeitige Vorbereitung auf den Generationswechsel.<br />
Die Betriebsratswahl 2018 ist für<br />
uns ein wichtiger Anlass, um diesen Wechsel<br />
vorzubereiten und aktiv zu unterstützen.<br />
}}<br />
Horst Kretschmer; Betriebsrat; Merz<br />
Pharma GmbH & Co. KGaA; Frankfurt<br />
Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen<br />
Transformationsprozess. Dabei verändern und<br />
prägen gegenwärtig drei große Herausforderungen<br />
– Globalisierung, Digitalisierung und<br />
demografischer Wandel – unsere Arbeitswelt.<br />
In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung,<br />
nicht einseitig die Risiken zu sehen, sondern<br />
vor allem auch Chancen zu erkennen<br />
und zu nutzen. Das Betriebsverfassungsgesetz<br />
bietet den Arbeitnehmervertretungen zahlreiche<br />
Mitwirkungsmöglichkeiten, um Veränderungsprozesse<br />
zu begleiten und proaktiv mit<br />
zu gestalten. Diese Einflussmöglichkeiten gilt<br />
es im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
auszuschöpfen. Gerade junge Menschen,<br />
die noch ein langes Berufsleben vor<br />
sich haben, sollten im eigenen Interesse erkennen,<br />
wie wichtig es ist, dass unsere hohen<br />
Standards – beispielsweise hinsichtlich der<br />
Arbeitssicherheit, des Gesundheitsschutzes<br />
und bei den Arbeitnehmerrechten – erhalten<br />
bleiben. Wenn es uns gelingt, Zusammenhänge<br />
aufzuzeigen und zu verdeutlichen, werden wir<br />
auch verantwortungsbewusste und engagierte<br />
Kolleginnen und Kollegen für die Betriebsratsarbeit<br />
gewinnen.<br />
}}<br />
Christine Peschel; Referentin Mitbestimmungsgremien;<br />
Spie GmbH; Essen<br />
Die Entwicklung der SPIE GmbH zeichnet<br />
sich in den letzten Jahren durch einen dynamischen<br />
Expansionskurs aus. Zudem verändert<br />
sich das Unternehmen strukturell. Beides hat<br />
deutliche Auswirkungen auf die anstehenden<br />
Wahlen und die Betriebsratsarbeit im Allgemeinen.<br />
Außerhalb der turnusgemäßen Wahlen<br />
unterstützt der Konzernbetriebsrat sowohl<br />
betriebsratslose Betriebe bei der Gründung<br />
von Betriebsräten als auch Gesellschaften, die<br />
aufgrund von strukturellen Veränderungen<br />
Neuwahlen durchführen müssen. In diesen<br />
Bereichen gilt es die Herausforderung zu meistern,<br />
engagierte Kolleginnen und Kollegen für<br />
die Betriebsratsarbeit zu gewinnen und eine<br />
Mitbestimmungskultur zu etablieren. In den<br />
»alteingesessenen« Gesellschaften, die über erfahrene<br />
und bereits langjährig aktive Betriebsräte<br />
verfügen, steht eher die Nachfolgeplanung<br />
auf dem Programm. Ein Teil der Betriebsräte,<br />
die dort zurzeit im Amt sind, erreichen noch<br />
vor den Wahlen oder im Laufe der nächsten<br />
Amtszeit das gesetzliche Rentenalter. In beiden<br />
Fällen ist ein aktiver Austausch mit der<br />
Belegschaft unerlässlich. Zudem müssen alle<br />
Beteiligten Antworten auf die Frage finden,<br />
wie eine wirkungsvolle Interessenvertretung<br />
vor dem Hintergrund unternehmensspezifischer<br />
und gesellschaftlicher Entwicklungen<br />
personell aufgestellt sein muss. Die Wege zu<br />
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Erscheint Juni 2017<br />
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diesen Antworten sind und werden wohl so<br />
unterschiedlich sein, wie die einzelnen Gremien<br />
selbst.<br />
}}<br />
Joachim von Styp; Betriebsrat;<br />
Vorsitzender des Hauptwahlvorstandes;<br />
Bayer AG; Leverkusen<br />
Bedingt durch den Geschäftsjahresrhythmus<br />
der Bayer AG fanden die Aufsichtsratswahlen<br />
bereits im Frühjahr dieses Jahres statt und<br />
entzerren damit den Wahlmarathon der bis<br />
Mai 2018 auch die Betriebsräte im Konzern<br />
erreicht. Für die Mitbestimmungsträger bedeutet<br />
dies eine zusätzliche, dem Tagesgeschäft<br />
der Betriebsräte hinzugefügte Belastung. Der<br />
Dreh- und Angelpunkt ist die Vermittlung der<br />
Mitbestimmungsarbeit in der Belegschaft. Das<br />
geht nur im persönlichen Gespräch, am Arbeitsplatz<br />
und in den Pausen. Hier ist täglich<br />
Überzeugungsarbeit zu leisten. Betriebsräte<br />
haben nichts »zu verkaufen«, daher stehe ich<br />
besonderen Strategieworkshops, die den Mitgliedern<br />
des bestehenden Betriebsrats Marketingfähigkeiten<br />
in unmittelbarer Nähe zu<br />
den Wahlen vermitteln wollen, eher kritisch<br />
gegenüber. Wahlkampf, so wie man ihn aus<br />
dem politischen Umfeld her kennt, macht<br />
Betriebsräte nicht glaubwürdiger. Dennoch<br />
zwingen uns die unterschiedlichen Gruppierungen<br />
links und rechts neben der starken gewerkschaftlichen<br />
Gruppe im Betrieb häufig zu<br />
solchem Trommelrühren. Grundsätzlich halte<br />
ich die Persönlichkeitswahl für die bessere Alternative,<br />
für Gremien in unserem komplexen<br />
Unternehmensumfeld ist dies aber kaum noch<br />
durchsetzbar. Betriebsrat ist ein Wahlamt,<br />
seine Basis sind starke Vertrauensleute im<br />
Betrieb, das macht seine Handlungsfähigkeit<br />
aus. Die Organisation der eigentlichen Wahldurchführung<br />
lassen wir seit Jahren durch erfahrene<br />
externe arbeitsorientierte Berater unterstützen.<br />
Für die Aufsichtsratswahlen haben<br />
wir eine elektronische Wahlaktenführung angeschafft.<br />
Zur Unterstützung für die Prozesse<br />
rund um die Wählerliste benutzen wir das Produkt<br />
VOTUM. Natürlich stehen diese Werkzeuge<br />
auch den Betriebsrats-Wahlvorständen<br />
zur Verfügung. Das ermöglicht uns den Fokus<br />
auf die Inhalte unserer Politik, auf die Präsentation<br />
des Erreichten und die Wichtigkeit der<br />
Schutz- und Gestaltungsfunktion der Beschäftigten<br />
zu halten. Gewerkschaftlich versuchen<br />
wir, die unterschiedlichen Gruppen in den Betrieben,<br />
die Geschlechterquote und die Demografie<br />
zu berücksichtigen. Unserer Erfahrung<br />
nach setzten die Belegschaften gern auf erfahrene<br />
Betriebsratsmitglieder. Daher muss unser<br />
Wahlangebot einen gesunden Mix darstellen.<br />
Wählen in Zeiten des Umbruchs – ein Fazit<br />
Der Tenor des Trendmonitors ist deutlich – die<br />
Zeiten in vielen Unternehmen sind turbulent,<br />
grundlegende Veränderungsprozesse sind in<br />
Gang gesetzt. Die Betriebsräte sehen sich vor<br />
der Herausforderung, ihre Mitbestimmungsrechte<br />
in diesen Veränderungsprozessen wirkungsvoll<br />
wahrzunehmen und die Beschäftigteninteressen<br />
zu sichern. Dabei müssen die<br />
Interessenvertretungen in vielen Unternehmen<br />
im Zuge der anstehenden Betriebsratswahl<br />
auch noch einen Generationswechsel bewältigen.<br />
Es ist offenbar unverändert mühsam, in<br />
ausreichender Zahl geeignete (neue) Kandidaten<br />
für das Wahlamt Betriebsrat zu finden. Diese<br />
Schwierigkeiten verschärfen sich erheblich,<br />
wenn man den Anspruch stellt, dass sich die<br />
Belegschaftsstruktur etwa hinsichtlich Alter<br />
und fachlicher Ausrichtung auch in den Kandidatenlisten<br />
wider spiegeln soll. Sabine Diehl<br />
von der BHF Bank in Frankfurt gibt dazu eine<br />
Anregung zur Förderung der Frauenquoten bei<br />
der Ansprache möglicher Kandidat(inne)n.<br />
Interessante Hinweise auf die Rolle des<br />
Konzerbetriebsrats im Zuge der Wahlvorbereitungen<br />
geben Christine Peschel vom Facilitydienstleistungskonzern<br />
Spie GmbH und Marcell<br />
Witt vom Touristikunternehmen TUI AG.<br />
In beiden Fällen übernimmt der Konzerbetriebsrat<br />
eine wichtige Untersützungsfunktion<br />
bei der Ingangsetzung von Wahlen in solchen<br />
Konzernbetrieben, die bislang nicht über eine<br />
betriebliche Interessenvertretung verfügen.<br />
Bleibt zu hoffen, dass es auch 2018 gelingt,<br />
möglichst viele Beschäftigte zur Stimmabgabe<br />
bei den Betriebsratswahlen zu motivieren. In<br />
den zurückliegenden Wahlen in den Jahren<br />
2010 und 2014 lag die Wahlbeteiligung jeweils<br />
bei ca. 80 Prozent. Eine ähnlich hohe Quote<br />
2018 wäre ein wichtiges und klares Signal für<br />
die Bedeutung, die die Beschäftigten einer institutionalisierten<br />
Interessenvertretung gerade<br />
im Zeichen massiver betrieblicher Veränderungen<br />
zuschreiben. v<br />
Dr. Christof Balkenhol,<br />
(Matrix GmbH) Berater von<br />
Betriebs räten und Gewerkschaften.<br />
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36<br />
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von Betriebsräten KG
AiB 7-8 | 2017 Risiken und Nebenwirkungen grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Risiken und<br />
Nebenwirkungen<br />
abmahnung Läuft etwas tatsächlich oder vermeintlich schief im Job,<br />
greifen Arbeitgeber oft zu Abmahnungen oder Ermahnungen.<br />
Was ist der Unterschied und wie können Beschäftigte sich wehren?<br />
VON JAVIER DAVILA CANO<br />
In den Betrieben verbreiten sich Gerüchte<br />
über erteilte Ermahnungen, Abmahnungen<br />
und ihre Konsequenzen wie ein<br />
Lauffeuer. »Wurde der Kollege schon<br />
abgemahnt oder nur ermahnt?« und »Hat der<br />
Betriebsrat dieser Abmahnung zugestimmt?«<br />
sind häufig gestellte Fragen, die dann oftmals<br />
ungeklärt bleiben.<br />
Was ist eine Ermahnung und<br />
was eine Abmahnung?<br />
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
liegt eine Abmahnung vor, wenn der<br />
Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend<br />
deutlich erkennbaren Art und Weise<br />
Leistungsmängel beanstandet, ihn an seine<br />
vertraglichen Pflichten erinnert (Erinnerungsoder<br />
Hinweisfunktion) und vor Konsequenzen<br />
für das Arbeitsverhältnis bei weiterem Fehlverhalten<br />
warnt, indem er darauf hinweist,<br />
dass im Wiederholungsfalle Inhalt und Bestand<br />
des Arbeitsverhältnisses gefährdet sind<br />
(Warnfunktion). Vereinfacht gesagt, muss der<br />
Arbeitnehmer darauf hingewiesen werden,<br />
dass er etwas »falsch« gemacht hat, – wobei<br />
der Arbeitgeber sehr konkret angeben muss,<br />
was genau der Arbeitnehmer falsch gemacht<br />
haben soll – wie er es hätte richtiger/besser<br />
machen können und sollen/müssen und dass<br />
er im Wiederholungsfall damit rechnen muss,<br />
gekündigt zu werden. Fehlt die Androhung der<br />
Kündigung, so spricht man in der Praxis nicht<br />
von einer kündigungsrelevanten Abmahnung,<br />
sondern von einer bloßen Ermahnung, die als<br />
Vertragsrüge, Verwarnung oder Beanstandung<br />
zu verstehen ist. Eine solche Ermahnung stellt<br />
gegenüber der Abmahnung ein milderes Mittel<br />
der Reaktion des Arbeitgebers auf eine Vertragspflichtverletzung<br />
des Arbeitnehmers dar.<br />
Im Folgenden wird nur auf die »Abmahnung«<br />
Bezug genommen; die Darstellung gilt<br />
jedoch ebenso für den Fall der Ermahnung.<br />
Anlass für eine Abmahnung<br />
Grundsätzlich kann jeder Verstoß des Arbeitnehmers<br />
gegen seine vertraglichen und gesetzlichen<br />
Haupt- und/oder Nebenpflichten zu<br />
einer Abmahnung führen. Voraussetzung ist<br />
jedoch stets, dass es eine Pflicht gibt, gegen die<br />
der Arbeitnehmer verstoßen hat. Beispielweise<br />
hat der Beschäftigte die Pflicht, pünktlich am<br />
Arbeitsplatz zu erscheinen. Kommt er zu spät<br />
zur Arbeit, liegt ein Fehlverhalten vor, das den<br />
Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer<br />
abzumahnen. Verbietet der Arbeitgeber<br />
beispielsweise allgemein das Trinken am<br />
Arbeitsplatz, kann er einen Arbeitnehmer, den<br />
er mit einem Getränk am Arbeitsplatz antrifft,<br />
abmahnen, und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer<br />
das Getränk nicht verschüttet hat<br />
und keinen Schaden angerichtet hat.<br />
Wann ist eine Abmahnung rechtswidrig?<br />
Eine Abmahnung kann aber auch rechtswidrig<br />
sein. Das ist dann möglich, wenn der Arbeitgeber<br />
von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage<br />
ausgeht – zum Beispiel, wenn die vom<br />
Arbeitgeber angenommene Pflichtverletzung<br />
der Sache nach zwar abmahnungswürdig ist,<br />
darum geht es<br />
1. Bei Abmahnung und<br />
Ermahnung wird ein Fehlverhalten<br />
des Beschäftigten<br />
beanstandet.<br />
2. Beschäftigte können<br />
eine Gegendarstellung<br />
für die Personalakte<br />
verfassen. Daneben<br />
ist eine Klage vor dem<br />
Arbeits gericht möglich.<br />
3. Im Unterschied zur<br />
Kündigung muss der<br />
Betriebsrat bei Abmahnungen<br />
nicht an gehört<br />
werden.<br />
37
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Risiken und Nebenwirkungen<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Sind Beschäftigte mit<br />
einer Abmahnung nicht<br />
einverstanden, sollten<br />
sie eine Gegendarstellung<br />
machen und<br />
darauf bestehen, dass<br />
diese zur Personalakte<br />
genommen wird.<br />
Abmahnung –<br />
oft unterschätzt<br />
Ariane Mandalka<br />
Abmahnung<br />
Ratgeber für Arbeitnehmer und ihre<br />
Interessenvertretung<br />
2015. 207 Seiten, kartoniert<br />
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der Arbeitnehmer aber diese Pflichtverletzung<br />
nicht begangen hat. Das ist etwa der Fall, wenn<br />
der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer A vorwirft,<br />
Ware beschädigt zu haben, obwohl in Wirklichkeit<br />
der Arbeitnehmer B die Ware beschädigt<br />
hatte. Die Rechtswidrigkeit einer Abmahnung<br />
kann aber auch auf einer unzutreffenden rechtlichen<br />
Würdigung des Verhaltens des Arbeitnehmers<br />
durch den Arbeitgeber beruhen. Das<br />
wäre dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer<br />
das beanstandete Verhalten zwar nachweisbar<br />
begangen hat, dieses aber entgegen der Auffassung<br />
des Arbeitgebers vertragsgemäß ist. Ein<br />
solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der<br />
Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der um 9:00<br />
Uhr zur Arbeit kommt, mit der Begründung<br />
abmahnt, er sei zu spät gekommen, weil er um<br />
8:00 Uhr hätte anfangen müssen. Der Arbeitnehmer<br />
hat aber eine Gleitzeitvereinbarung,<br />
wonach er berechtigt ist, zwischen 8:00 Uhr<br />
und 9:30 Uhr seine Arbeit aufzunehmen.<br />
Die Rechtswidrigkeit einer Abmahnung<br />
kann aber auch aus rein formellen Gründen<br />
in Betracht kommen. Der Inhalt einer Abmahnung<br />
folgt aus ihrer Funktion. Der Betroffene<br />
muss der Abmahnung zweifelsfrei entnehmen<br />
können, was ihm vorgeworfen wird, wie er<br />
sein Verhalten in Zukunft einzurichten hat<br />
und welche Sanktionen ihm drohen, wenn<br />
er sich nicht entsprechend verhält. Der Arbeitgeber<br />
muss den gerügten Vorfall einzeln<br />
konkret mit Datum und gegegebenfalls der<br />
Uhrzeit schildern. Denn nur so kann sich der<br />
Arbeitnehmer gegen unberechtigte Vorwürfe<br />
zur Wehr setzen. Gibt der Arbeitgeber nur<br />
pauschal an, »wir mahnen Sie ab, weil Sie zu<br />
spät zur Arbeit gekommen sind«, ist die Abmahnung<br />
nicht hinreichend konkret und damit<br />
unwirksam.<br />
Wie können Beschäftigte sich wehren?<br />
Hat ein Beschäftigter eine Abmahnung erhalten<br />
und will diese nicht tatenlos hinnehmen, gibt es<br />
mehrere Reaktionsmöglichkeiten und -stufen.<br />
Die mildeste Reaktionsmöglichkeit ist das Erstellen<br />
einer sogenannten »Gegendarstellung«.<br />
Der Arbeitnehmer schreibt dem Arbeitgeber<br />
seine Sicht der Dinge auf und erläutert, weshalb<br />
die Abmahnung zu Unrecht erteilt wurde. Entscheidet<br />
sich die Beschäftigte für eine Gegendarstellung,<br />
sollte sie darauf bestehen, dass die<br />
Gegendarstellung ebenfalls zur Personalakte<br />
genommen wird. Es empfiehlt sich auch, nach<br />
einer gewissen Zeit, Einblick in die Personalakte<br />
zu nehmen, um zu prüfen, ob die Abmahnung<br />
und die Gegendarstellung tatsächlich zur<br />
Personalakte genommen wurden.<br />
Im Falle einer aus Arbeitnehmersicht unberechtigten<br />
Abmahnung kann der Arbeitnehmer<br />
sich auch durch Erhebung einer Klage auf Entfernung<br />
der Abmahnung aus der Personalakte<br />
zur Wehr setzen. Der Prozess auf Entfernung<br />
der Abmahnung aus der Personalakte dauert<br />
im Regelfall circa vier bis sechs Monate. Das<br />
Gericht prüft, ob die Abmahnung berechtigt ist<br />
und gibt – im Falle ihrer Unwirksamkeit – dem<br />
Arbeitgeber auf, die Abmahnung aus der Personalakte<br />
zu entfernen. Die Darlegungs- und<br />
Beweislast für die Wahrheit der in der Abmah<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
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nung aufgestellten Tatsachenbehauptungen<br />
trägt der Arbeitgeber. Wirft der Arbeitgeber<br />
dem Arbeitnehmer beispielsweise vor, zu spät<br />
zur Arbeit gekommen zu sein, muss der Arbeitgeber<br />
die Verspätung bei Gericht beweisen.<br />
Beruft sich der Arbeitnehmer auf einen Rechtfertigungsgrund,<br />
beispielsweise, dass er mit<br />
Zustimmung seines Vorgesetzten, seine Arbeit<br />
später aufnehmen durfte, muss der Arbeitnehmer<br />
bei Gericht darlegen und beweisen, dass er<br />
diese Zustimmung tatsächlich hatte. Nachteil<br />
eines gerichtlichen Verfahrens auf Entfernung<br />
der Abmahnung aus der Personalakte aus Arbeitnehmersicht<br />
ist allerdings – wie in den übrigen<br />
arbeitsgerichtlichen Verfahren auch – die<br />
Kostenregelung in § 12a Arbeitsgerichtsgesetz<br />
(ArbGG). Danach muss in der ersten Gerichtsinstanz<br />
jede Partei ihre eigenen Rechtsanwaltskosten<br />
– unabhängig davon ob man gewinnt<br />
oder unterliegt – selber tragen. Wie hoch die<br />
Kosten sind, richtet sich nach dem Streitwert,<br />
der für die meisten gerichtlichen Verfahren<br />
festgesetzt wird. Für eine Klage auf Entfernung<br />
einer Abmahnung aus der Personalakte wird<br />
überwiegend ein Bruttomonatsgehalt als Streitwert<br />
zugrunde gelegt.<br />
»Eine Abmahnung<br />
ist unwirksam,<br />
wenn sie lediglich<br />
pau schale Vorwürfe<br />
beinhaltet.«<br />
JAVIER DAVILA CANO<br />
In der arbeitsgerichtlichen Praxis erledigen<br />
sich die Prozesse auf Entfernung der Abmahnung<br />
aus der Personalakte häufig durch einen<br />
Vergleich: Die Abmahnung bleibt bis zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt in der Personalakte und<br />
wird dann ersatzlos entfernt.<br />
Wenn die Abmahnung unwirksam ist, der<br />
Arbeitnehmer aber keine Möglichkeit hat, dies<br />
bei Gericht zu beweisen oder dem Arbeitnehmer<br />
das Führen eines Verfahrens schlichtweg<br />
zu teuer ist, kann er die Abmahnung in der<br />
Personalakte belassen. Damit gibt der Arbeitnehmer<br />
nicht zu verstehen, dass er die Abmahnung<br />
akzeptiert oder dass diese berechtigt<br />
ist. Spricht der Arbeitgeber zu einem späteren<br />
Zeitpunkt eine Kündigung mit der Begründung<br />
aus, »es ist nicht das erste Mal, dass der Arbeitnehmer<br />
eine derartige Verfehlung an den Tag<br />
legt«, muss das Gericht inzident in diesem Verfahren<br />
prüfen, ob die Abmahnung aus der Vergangenheit<br />
auch wirksam ist. In einem solchen<br />
Verfahren muss der Arbeitgeber darlegen und<br />
beweisen, dass die Abmahnung wirksam ist.<br />
Nachteil dieser Vorgehensweise ist allerdings,<br />
dass die Abmahnung in der Personalakte –<br />
auch wenn sie unberechtigt ist – ein negatives<br />
Bild des Arbeitnehmers gibt. Eine unberechtigte<br />
Abmahnung kann im Einzelfall die Grundlage<br />
für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers<br />
sein. Dies kann sich dann beispielsweise<br />
bei innerbetrieblichen Bewerbungen oder Auswahlverfahren<br />
negativ auswirken.<br />
Mitbestimmung des Betriebsrats<br />
In der Praxis hört man auch gelegentlich »Die<br />
M<br />
Abmahnung ist unwirksam, weil der Betriebsrat<br />
nicht zuvor angehört wurde.« Auch hierbei<br />
Y<br />
handelt es sich um einen Irrtum. Die CMitbe<br />
stimmungsrechte des Betriebsrats ergeben sich<br />
MY<br />
aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).<br />
CY<br />
Dort ist insbesondere in § 102 Abs. 1 BetrVG<br />
CMY<br />
geregelt, dass der Betriebsrat vor Ausspruch<br />
einer Kündigung anzuhören ist und dass K die<br />
ohne vorherige Betriebsratsanhörung ausgesprochene<br />
Kündigung unwirksam ist. Für Abmahnungen<br />
gibt es keine vergleichbare Regelung<br />
im BetrVG, so dass der Betriebsrat bei der<br />
Erteilung von Abmahnungen nicht zu beteiligen<br />
ist. Die in der Praxis häufig gestellte Frage,<br />
ob der Betriebsrat über § 80 Abs. 2 BetrVG zumindest<br />
einen Anspruch hat, über jede erteilte<br />
Abmahnung informiert zu werden, hat das<br />
Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst mit einem<br />
Beschluss verneint. 1 Der Betriebsrat hat nach<br />
dieser Entscheidung keinen Anspruch darauf,<br />
dass ihm alle ab einem bestimmten Zeitpunkt<br />
erteilten Abmahnungen, mit Ausnahme des<br />
Bereichs der leitenden Angestellten und der<br />
Geschäftsführung, in anonymisierter Form<br />
vorgelegt werden. v<br />
1 BAG 17.9.2013 – 1 ABR 26/12.<br />
Javier Davila Cano, Rechtsanwalt<br />
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zur Einigungsstelle<br />
in der 7. Auflage<br />
Aus der Praxis für die Praxis!<br />
Auch in der 7. Auflage bietet das Buch<br />
das komplette Handwerkszeug für die<br />
Einigungsstelle. Alle Beteiligten finden<br />
wertvolle Hinweise und Anregungen<br />
für jedes Stadium des Verfahrens, egal<br />
ob Standard- oder Sonderfall.<br />
Das Buch gliedert sich in drei Teile:<br />
Das Verfahren vor der Einigungsstelle<br />
von der Anbahnung bis zum<br />
Abschluss<br />
Eine Kurzkommentierung sämtlicher<br />
Regelungsgegenstände<br />
der Einigungsstelle jeweils mit<br />
speziellen Praxistipps<br />
Zahlreiche Textbeispiele sämtlich<br />
aus der Praxis des Autors<br />
Besondere Schwerpunkte bilden<br />
in der 7. Auflage:<br />
technische Einrichtungen<br />
Gesundheitsschutz<br />
Berechnungs- und Haftungsdurchgriff<br />
beim Sozialplan<br />
Entwurf einer Vergütungsordnung<br />
Das Werk steht im Volltext inklusive<br />
zitierter Rechtsprechung und<br />
Vorschriften auch online zur Verfügung.<br />
Der Autor:<br />
Martin Wenning-Morgenthaler,<br />
Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht<br />
Berlin-Brandenburg, verfügt<br />
über mehr als 30 Jahre kontinuierliche<br />
Einigungsstellenerfahrung und hat als<br />
Vorsitzender bereits ca. 300 Einigungsstellenverfahren<br />
aller Themenbereiche<br />
geleitet.<br />
Wenning-Morgenthaler<br />
Die Einigungsstelle<br />
Leitfaden für die Praxis<br />
7. Aufl. 2017, 566 Seiten<br />
Gebunden, € 64, --<br />
ISBN 978-3472089681<br />
Wolters Kluver Deutschland GmbH<br />
Kundenservice<br />
Heddesdorfer Str. 31 a · 56564 Neuwied<br />
Fon 02631 8012222 · Fax 02631 8012223<br />
info-wkd@wolterskluwer.com<br />
www.wolterskluwer.de<br />
39
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Körperliche Arbeitsbelastung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Körperliche<br />
Arbeitsbelastung<br />
era In der Industrieproduktion sind körperliche Belastungen<br />
immer noch weit verbreitet. Betriebsräte nutzten die Einführung<br />
einer Belastungszulage, um mehr Entgeltgerechtigkeit mit<br />
Belastungsabbau zu verbinden.<br />
VON WALTER MUGLER UND RAINER SALM<br />
darum geht es<br />
1. Die ERA-Belastungszulage<br />
macht die immer<br />
noch große Bedeutung<br />
körperlicher Belastungen<br />
in der Industrie sichtbar.<br />
2. Durch mehr Kostentransparenz<br />
entsteht für<br />
Arbeitgeber ein Anreiz<br />
zum Belastungsabbau.<br />
3. Betriebsräte spielen<br />
eine wichtige Rolle,<br />
um sowohl Entgeltgerechtigkeit<br />
als auch<br />
Abbau vor Bezahlung<br />
durchzusetzen.<br />
Die Zunahme psychischer Belastungen<br />
beherrscht die öffentliche<br />
Diskussion. Aber zumindest in<br />
den Produktionsbereichen der<br />
Industrie werden weiterhin in bemerkenswertem<br />
Umfang körperliche Belastungen<br />
festgestellt und Zulagen zu deren Abgeltung<br />
bezahlt. Zehn Jahre nach Einführung des neuen<br />
Entgeltrahmentarifvertrages (ERA) in der<br />
Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs<br />
wurden die Langzeitwirkungen dieser<br />
Tarifreform ausgewertet. 1 In einem Teilprojekt<br />
untersuchten wir die mit ERA eingeführte Belastungszulage.<br />
2 Sie ersetzt die vorherigen Belastungslohngruppen<br />
und betrifft wie vorher<br />
die Belastungsarten Lärm, Muskelbelastungen,<br />
Umgebungsbelastungen und Reizarmut.<br />
Psychische Belastungen konnten nicht als entgeltwirksam<br />
vereinbart werden.<br />
Verbreitung von Belastungszulagen<br />
Unsere Auswertung einer Parallelbefragung<br />
von Betriebsräten und Personalmanagern 3<br />
zeigt in Verbindung mit über 20 Fallstudien<br />
und der Verdienststatistik des Arbeitgeberverbandes<br />
folgendes Bild:<br />
··<br />
In 72 Prozent der Betriebe wurden inzwischen<br />
eigenen Belastungsbewertungen für<br />
die Zulagenermittlung durchgeführt.<br />
··<br />
In 62 Prozent der Betriebe werden Belastungszulagen<br />
bezahlt, in Betrieben mit mehr<br />
als 500 Beschäftigten sogar in drei Viertel<br />
der Betriebe (vgl. Grafik auf Seite 43).<br />
··<br />
Belastungszulagen werden fast ausschließlich<br />
in Produktionsbereichen bezahlt, dort<br />
allerdings jetzt auch für Angestellte.<br />
··<br />
30 Prozent der Beschäftigten in Produktionsbereichen<br />
erhalten Belastungszulagen<br />
(bezogen auf Betriebe, in denen Zulagen<br />
ermittelt und bezahlt wurden). Die Zulagen<br />
konzentrieren sich bei gehobenen Anlerngruppen<br />
und niedrigen Facharbeitergruppen.<br />
Teilweise erhalten auch höhere<br />
Fachkräfte, Meister und akademisch Ausgebildete<br />
Zulagen.<br />
··<br />
In 62 Prozent der Betriebe wird die erste der<br />
vier möglichen Zulagenstufen am häufigsten<br />
vergeben. In 28 Prozent der Betriebe wird<br />
die zweite Stufe am häufigsten vergeben.<br />
··<br />
Der Anteil der Beschäftigten mit Zulagen<br />
hängt stark von der Teilbranche ab: Autoindustrie<br />
und Maschinenbau liegen im Durchschnitt,<br />
Elektrotechnik und Feinmechanik<br />
deutlich darunter. Gießereien und Stahlverformung<br />
liegen deutlich darüber, nur dort<br />
werden auch die vierte und fünfte Belastungsstufe<br />
ausbezahlt.<br />
··<br />
84 Prozent der Betriebe bezahlen Zulagen<br />
wegen Lärm, 55 Prozent wegen Muskel-<br />
und 53 Prozent wegen Umgebungsbelastungen<br />
(z. B. Schmutz / Öl, Hitze / Kälte,<br />
Gase / Staub, Blendung/Lichtmangel, Unfallgefahr<br />
/ Schutzkleidung). Reizarmut spielt<br />
nur in 10 Prozent der Betriebe eine Rolle.<br />
··<br />
51 Prozent der Betriebe nahm bereits Änderungen<br />
an den Zulagen vor, entweder durch<br />
neue oder wegfallende Belastungen oder<br />
weil Beschäftigte reklamierten. Das Bewertungssystem<br />
wird somit gelebt.<br />
40<br />
1 Ergebnisübersicht in R. Bahnmüller / M. Hoppe: »Ten years after«<br />
in WSI-Mitteilungen 8/2016, S. 631 – 640.<br />
2 Das Teilprojekt Belastungsbewertung wurde vom IMU-Institut<br />
Stuttgart als Projektpartner des Forschungsinstituts für Arbeit,<br />
Technik und Kultur an der Uni Tübingen bearbeitet.<br />
3 Zur besseren Lesbarkeit zitieren wir hier nur Daten aus der<br />
BR-Umfrage. Die Daten der PM-Befragung bestätigen in allen<br />
hier zitierten Fragen unsere Befunde. Detaillierte Daten werden<br />
demnächst veröffentlicht als Studie der Hans-Böckler-Stiftung.
AiB 7-8 | 2017 Körperliche Arbeitsbelastung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Körperliche Belastungen als wichtiges<br />
gewerkschaftliches Handlungsfeld<br />
In den Tarifverhandlungen hatten die Arbeitgeber<br />
argumentiert, dass eine Belastungszulage<br />
keinen Sinn mache, weil körperliche Belastungen<br />
in der Industrie nur noch in Ausnahmefällen<br />
eine Rolle spielen. Der Befund, dass aktuell<br />
bei einem Drittel der Produktionsbeschäftigten<br />
bezahlungswirksame Belastungen bestehen<br />
zeigt, dass die IG Metall gut beraten war, dies<br />
tarifliche Handlungsfeld nicht aufzugeben. Bezahlte<br />
Belastungszulagen sind einerseits ein gutes<br />
Maß für tatsächlich vorhandene Belastungen.<br />
Allerdings gibt es eine Dunkelziffer von<br />
nicht erhobenen oder nicht als entgeltwirksam<br />
bewerteten Belastungen vor allem dort, wo<br />
Betriebsräte dies nicht einforderten. Da in der<br />
Hälfte der Betriebe unter 250 Beschäftigten<br />
keine Belastungsermittlungen stattfanden, vermuten<br />
wir gerade dort eine Erhebungslücke,<br />
weil in Kleinbetrieben häufig weder im Betriebsrat<br />
noch beim Arbeitgeber spezialisierte<br />
Personen und entsprechende Abläufe für die<br />
Belastungserhebung vorhanden sind. Für Gewerkschaften<br />
und Betriebsräte zeigen die überraschend<br />
hohen Belastungsanteile einerseits,<br />
dass es (auch aus Geldgründen) notwendig ist,<br />
sich um das Thema körperliche Belastungen<br />
in der Produktion zu kümmern. Die aktuell zu<br />
beobachtende Fokussierung auf psychische Belastungen<br />
wird den realen Bedingungen in den<br />
meisten Betrieben nicht gerecht.<br />
Andererseits zeigen unsere Ergebnisse aber<br />
auch Schwierigkeiten im Handlungsfeld körperlicher<br />
Belastungen. Da der Anteil der Produktionsbeschäftigten<br />
abnimmt, verliert das<br />
Thema in vielen Gremien an Bedeutung. Befragte<br />
Betriebsräte berichteten auch, dass die<br />
Kompetenz für körperliche Belastungen in<br />
den Gremien ein personengebundenes Expertenthema<br />
und oft vom Aussterben bedroht ist.<br />
Unsere Umfrageergebnisse zeigen auch, dass<br />
im Betriebsratsgremium der Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />
einen sehr hohen Stellenwert<br />
hat, die Belastungsbewertung für die ERA-Belastungsvergütung<br />
dagegen einen sehr niedrigen.<br />
Eine bessere Zusammenarbeit zwischen<br />
Entgeltpolitikern und Arbeitsschützern in den<br />
Interessenvertretungen könnte hier notwendig<br />
und erfolgversprechend sein.<br />
Betriebliche Belastung neu bewertet<br />
Aus Anlass der ERA-Einführung mussten die<br />
im Betrieb vorhandenen Belastungen neu bewertet<br />
(und dafür teilweise erstmals systematisch<br />
erfasst) werden, um sie den tariflichen<br />
Zulagen-Stufen »mittlere« (nicht zulagenfähig),<br />
»höhere« (erste Stufe) und »hohe« Belastung<br />
(zweite Stufe) zuzuordnen. Meist wurde<br />
diese Erhebung nur in vermuteten Problembereichen,<br />
in einem Viertel der Betriebe aber<br />
flächendeckend durchgeführt. In 36 Prozent<br />
der Betriebe gab es dabei eine Verknüpfung mit<br />
der Gefährdungsbeurteilung. Da für die Stufen<br />
Beschäftigte in<br />
Produktions betrieben<br />
sind oft Umgebungsbelastungen<br />
wie Hitze<br />
ausgesetzt. Hierfür gibt<br />
es von 53 Prozent der<br />
Betriebe Zulagen.<br />
41
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Körperliche Arbeitsbelastung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Auch auf Arbeitgeberseite führt die neue Zulage<br />
zu mehr Kostentransparenz und damit zu<br />
einem Anreiz zum Belastungsabbau. Es gibt<br />
Beispiele, in denen der Abbau von Belastung<br />
zum Bestandteil von Zielvereinbarungen für<br />
Führungskräfte wurde. Ein Personalverantwortlicher<br />
sagte uns: »Vorgesetzte, bei denen<br />
zu viel Geld für Belastungszulagen ausgegeben<br />
wird, bekommen Probleme mit ihrem<br />
Chef.« Zu selten wird allerdings schon in der<br />
Planungsphase neuer Produktionsanlagen ein<br />
Belastungscheck vorgenommen, der die Belasgut<br />
zu wissen<br />
··<br />
Die Zulagenermittlung<br />
kann mit der Gefährdungsbeurteilung<br />
körperlicher<br />
Belastungen<br />
verbunden werden.<br />
··<br />
Betriebsvereinbarungen<br />
konkretisieren häufig die<br />
Bewertung der tariflichen<br />
Belastungsarten.<br />
··<br />
Abbau vor Bezahlung<br />
findet vor allem dann<br />
statt, wenn Betriebsräte<br />
und Arbeitgebervertreter<br />
eine gemeinsame<br />
Arbeitsgrundlage finden.<br />
··<br />
Erfolgreich sind Betriebsräte<br />
dann, wenn<br />
Arbeitsschützer und<br />
Entgeltpolitiker gut<br />
zusammenwirken.<br />
leitmerkmalmethode<br />
Die Leitmerkmalmethode<br />
ist ein Werkzeug<br />
zur Ermittlung der<br />
tatsächlich (objektiv)<br />
vorhandenen physischen<br />
Arbeits belastung. Derzeit<br />
existieren drei Leitmerkmalmethoden<br />
für die<br />
Belastungsarten »Heben,<br />
Halten und Tragen von<br />
Lasten«, »Ziehen und<br />
Schieben von Lasten«<br />
und »manuelle Arbeitsprozesse«.<br />
(Quelle: Wikipedia)<br />
zuordnung in ERA nur beim Lärm ein eindeutiger<br />
Schwellenwert mit Messverfahren vorgeschrieben<br />
ist (über 82 bzw. 86 dB(A)), mussten<br />
auslegbare Begriffe wie »mittelschwere Arbeit<br />
in ungünstiger Körperhaltung« betrieblich konkretisiert<br />
werden. Dafür wurden unterschiedliche<br />
Wege beschritten: 38 Prozent der Betriebe<br />
benutzten die vorhandenen Belastungspunkte<br />
nach dem alten Tarifvertrag, um die neuen<br />
Stufen zu ermitteln. Zur Ermittlung und Bewertung<br />
der Muskelbelastungen wurden in 39<br />
Prozent der Betriebe arbeitswissenschaftliche<br />
Checklisten der Leitmerkmalmethoden (s. Erklärung<br />
in Randspalte) benutzt. In 32 Prozent<br />
der Betriebe wurden eigene Betriebsvereinbarungen<br />
über den die Konkretisierung der Zulagenermittlung<br />
abgeschlossen. In Betrieben<br />
mit über 500 Beschäftigten machten sogar fast<br />
die Hälfte von dieser tariflich vorgesehenen<br />
Möglichkeit Gebrauch (vgl. Grafik). In solchen<br />
Betriebsvereinbarungen wurden beispielsweise<br />
die Ermittlungsverfahren oder die Umrechnungsfaktoren<br />
vereinbart, mit denen die alten<br />
Belastungspunkte oder die Gefährdungsstufen<br />
der Gefährdungsbeurteilung in Zulagenstufen<br />
umgewandelt werden. Dabei wurden kreative<br />
betriebsspezifische Lösungen gefunden. In<br />
einem Elektro-Unternehmen setzte beispielsweise<br />
der Betriebsrat eine Änderung der Erhebungsmethode<br />
durch, sodass auch durch<br />
Belastung kleiner Muskelgruppen bei kurzzyklischen<br />
Montagetätigkeiten Zulagenstufen erreicht<br />
wurden und nicht nur durch schweres<br />
Heben und Tragen.<br />
Gelungener Systemwechsel ...<br />
Im alten Tarifvertrag konnte die Lohngruppe<br />
durch Belastungspunkte um bis zu drei<br />
Entgeltgruppen erhöht werden (von insgesamt<br />
zwölf). Dies hatte zwei Nachteile:<br />
1. Es war ungerecht, weil die gleiche Belastung<br />
für Angelernte zu wesentlich niedrigeren<br />
Geldbeträgen führte als für Facharbeiter<br />
(wegen der im oberen Bereich höheren Entgelt-Abstände<br />
zwischen den Lohngruppen).<br />
Der Unterschied konnte bis zu 400 € betragen.<br />
2. Die teilweise hohen Geldbeträge verschärften<br />
den Zielkonflikt zwischen Belastungsabbau<br />
und Entgeltsicherung, zumal den Beschäftigten<br />
der Belastungsanteil am Entgelt meist<br />
nicht bekannt war. Durch ERA wurde eine für<br />
alle Entgeltgruppen gleiche Belastungszulage<br />
eingeführt, die für eine Belastungsart eine oder<br />
maximal zwei Stufen von je 75 € umfasste, für<br />
mehrere Belastungsarten kann die Summe maximal<br />
vier Stufen erreichen, in Gießereien fünf.<br />
Durch diese Deckelung wurde der genannte<br />
Zielkonflikt etwas entschärft. Erstmals waren<br />
solche Zulagen auch für Angestellte möglich.<br />
Obwohl mit dem Systemwechsel teilweise<br />
schmerzhafte Entgeltänderungen verbunden<br />
waren, zeigen sich die Betriebsräte in der Umfrage<br />
überwiegend zufrieden mit der Realisierung<br />
des Grundsatzes »gleicher Geldbetrag für<br />
gleiche Belastung« durch die neue Zulage.<br />
... Ziel bleibt: Abbau vor Bezahlung<br />
Betriebsräte berichten, dass Beschäftigte den<br />
Abbau der Zulage dann akzeptieren, wenn<br />
der Belastungsabbau für sie deutlich spürbar<br />
ist und wenn sie am Prozess beteiligt waren.<br />
Hilfreich ist dabei, dass mit der transparenten<br />
Zulage den Beschäftigten der Belastungsanteil<br />
am Entgelt jetzt bekannt ist.<br />
»Vorgesetzte, bei<br />
denen zu viel Geld<br />
für Belastungszulagen<br />
ausgegeben<br />
wird, bekommen<br />
Probleme<br />
mit ihrem Chef.«<br />
PERSONALVERANTWORTLICHER<br />
IM INTERVIEW<br />
42
AiB 7-8 | 2017 Körperliche Arbeitsbelastung grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
49<br />
66<br />
Betriebe mit<br />
ERA-Belastungszulagen<br />
(Basis: alle Betriebe)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
tungskosten berücksichtigt – auch wenn der<br />
Arbeitgeberverband das Motto »Vermeidung<br />
vor Bezahlung« ausgegeben hat.<br />
Ein Problem sind Scheinentlastungen aus<br />
Entgeltgründen. Wenn der Lärm um 1 dB(A)<br />
unter die Zulagenschwelle gedrückt wird, ist<br />
für die Beschäftigten die Entlastung kaum<br />
spürbar. Problematisch können auch Rotationsregelungen<br />
zwischen belasteten und weniger<br />
belasteten Arbeitsplätzen sein, wenn im betrieblichen<br />
Alltag die Rotation immer wieder<br />
nicht stattfinden kann, aber die Zulage entfällt.<br />
Werden Betriebsräte hier aktiv, haben sie mit<br />
der Wiedereinführung der Zulage ein gutes<br />
Drohpotential, um eine spürbare Entlastung<br />
tatsächlich durchzusetzen.<br />
Kooperation ist möglich und nötig<br />
71<br />
Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberseite<br />
und Betriebsrat bei der Belastungsbewertung<br />
wird in der Umfrage von beiden Seiten<br />
besonders häufig als gut oder sehr gut eingeschätzt,<br />
deutlich häufiger als beim Grundoder<br />
Leistungsentgelt. Nur in 10 Prozent der<br />
Betriebe gab es häufig Konflikte. Grundlage<br />
dafür ist offenbar die von beiden Seiten vertretene<br />
Linie »Abbau vor Bezahlung« und das<br />
gemeinsame Interesse an Entgeltgerechtigkeit,<br />
hinter dem Verteilungskonflikte in den Hintergrund<br />
treten. Unterstützt wird die Kooperation<br />
auch durch einen Wechsel der Akteure<br />
auf der Arbeitgeberseite: In vielen Betrieben<br />
84<br />
grafik zur auswertung<br />
14<br />
21<br />
46<br />
48<br />
Betriebe mit BV zu<br />
ERA-Belastungszulagen<br />
(Basis: Betriebe mit Zulagen)<br />
0 – 249<br />
250 – 499<br />
500 – 999<br />
1000 und mehr<br />
Betriebe mit Verbindung zu<br />
Gefährdungsbeurteilung<br />
(Basis: Betriebe mit Zulagen)<br />
ermitteln jetzt die Arbeitsschützer die Belastungszulage,<br />
während die früheren Belastungslohngruppen<br />
von den Lohnspezialisten des<br />
Personalbereiches ermittelt wurden. Mehrfach<br />
wurde berichtet, dass beide Seiten gemeinsam<br />
versuchen, die Vorgesetzten zum Belastungsabbau<br />
zu drängen. So wurde beispielsweise für<br />
einen Kranfahrer im Hochregallager eine Zulage<br />
wegen Reizarmut verabredet, nur um den<br />
Vorgesetzten zu einer Rotation mit der weniger<br />
isolierten Arbeit in der Kommissionierung<br />
zu drängen. Auf Seite der Betriebsräte bleibt<br />
allerdings häufig die starke Arbeitsteilung<br />
zwischen Arbeitsschützern und »Lohnschlossern«<br />
erhalten. Dadurch wird die Chance vergeben,<br />
die »Entgeltpeitsche« auch für den Arbeitsschutz<br />
zu nutzen. Besonders erfolgreich<br />
sind Betriebsräte dann, wenn Arbeitsschützer<br />
und Entgeltpolitiker gut zusammenwirken. v<br />
Walter Mugler,<br />
arbeitsorientierter Forscher und<br />
Berater, IMU-Institut Stuttgart.<br />
wmugler@imu-institut.de<br />
Rainer Salm,<br />
arbeitsorientierter Forscher und<br />
Berater, IMU-Institut Stuttgart.<br />
rsalm@imu-institut.de<br />
Beide waren als Gewerkschaftssekretär bzw.<br />
BR-Vorsitzender an Konzeption und Einführung<br />
von ERA beteiligt.<br />
43<br />
38<br />
33<br />
28<br />
1. JAHRGANG<br />
ISSN 2511-5995<br />
Schwerbehindertenrecht<br />
und Inklusion<br />
1 | 2017<br />
informationsdienst für schwerbehindertenvertreter,<br />
betriebs- und personalräte<br />
titelthema Die neue Inklusionsvereinbarung<br />
nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) | Seite 2<br />
Bestellen Sie jetzt Ihr kostenloses Probe-Abo:<br />
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Schnell Bescheid wissen.<br />
Richtig handeln.<br />
infodienst-sbv.de<br />
Bundesteilhabegesetz: Mehr Rechte<br />
für das Ehrenamt | Seite 5<br />
Psychische Erkrankungen: Schnellere Erstbehandlung<br />
nun ein Vorteil im BEM | Seite 6<br />
Vor der Wahl 2018: Der Tätigkeitsbericht | Seite 7<br />
Rechtsprechung: Aufstocken der Arbeitszeit<br />
schwerbehinderter Arbeitnehmer | Seite 8<br />
Der neue Informationsdienst<br />
» Schwerbehindertenrecht und Inklusion«<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
43<br />
das Bundesteilhabegesetz ist da. Mit vielen Neuerungen<br />
im Sozialrecht, die bis zum Januar 2023 stufenweise<br />
in Kraft treten. In unserem Informationsdienst<br />
»Schwerbehindertenrecht und Inklusion« zeigen wir<br />
Ihnen, was sich rechtlich ändert und wie sich das auf<br />
Ihre Arbeit in der Interessenvertretung auswirkt.<br />
Wichtig für Sie: Die Reform des Schwerbehindertenrechts<br />
stärkt Ihr Ehrenamt. Der Arbeitgeber muss<br />
Sie jetzt in jede geplante Kündigung eines schwerbehinderten<br />
Menschen einbeziehen. Kündigungen,<br />
die der Arbeitgeber ausspricht, ohne Sie beteiligt zu<br />
haben, sind ab sofort unwirksam.<br />
Ausführlich stellen wir Ihnen die neue Inklusionsvereinbarung<br />
vor und erläutern die Unterschiede zur<br />
bisherigen Integrationsvereinbarung. Die Inklusionsvereinbarung<br />
fördert die berufliche Teilhabe von<br />
schwer behinderten Menschen. Die Debatte, wie sich<br />
dieses Ziel erreichen lässt, hat das Gesetzesvorhaben<br />
begleitet und ist auch mit dessen Verabschiedung<br />
nicht beendet. In Betrieben und Dienststellen sind<br />
alle Akteure gefordert, die Inklusion auch zu verwirklichen.<br />
Die Speerspitze dazu sind Sie als Schwerbehindertenvertreter,<br />
Betriebs und Personalräte.<br />
Erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen<br />
Irmgard Schmalix,<br />
Juristin, BundVerlag<br />
Christian Köhler,<br />
Jurist, BundVerlag<br />
BUND_NL2017-01_SBV_210x297_RZ_170406.indd BUND_NL2017-01_SBV_205x290_RZ_170406.indd 1 1 06.04.17 16:07 16:06
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Erfolgreiche Team arbeit im Betriebsrat<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Erfolgreiche Teamarbeit<br />
im Betriebsrat<br />
betriebsratsarbeit Was haben Betriebsrat und Freiwillige Feuerwehr<br />
gemeinsam? Sie müssen als Team arbeiten und im Notfall<br />
sofort einsatzbereit sein. Wie gute Teamarbeit funktioniert und was<br />
Betriebsratsvorsitzende dafür tun können, lesen Sie hier.<br />
VON RUDOLF REITTER<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsratsarbeit<br />
kann nur im Team erfolgreich<br />
funktionieren.<br />
2. Qualifizierung ist<br />
für eine erfolgreiche<br />
Betriebs ratsarbeit unerlässlich.<br />
3. Im Betriebsratsteam<br />
sollte jedes Betriebsratsmitglied<br />
für eine Aufgabe<br />
verantwortlich sein.<br />
Stellen Sie sich vor, Ihr Haus brennt.<br />
Die Freiwillige Feuerwehr rückt an.<br />
Der Einsatzleiter springt vom Wagen<br />
und will loslegen. Da kommt die erste<br />
Feuerwehrfrau und sagt: »Heute kann ich<br />
leider nicht beim Löschen helfen, da ich zu<br />
viel Arbeit auf meinem Schreibtisch habe«.<br />
Ein Feuerwehrmann meint: »Also mit diesen<br />
Schläuchen und Knöpfen hier kenne ich mich<br />
nicht so aus. Da brauche ich erst mal eine Schulung.<br />
Davor kann ich nichts machen«. Und ein<br />
drittes Mitglied der Wehr sagt: »Du bist nicht<br />
mein Chef und hast mir gar nichts zu sagen.«<br />
Zuletzt kommt ein relativ neues Mitglied und<br />
meint: »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich<br />
nicht zur Feuerwehr gegangen.« Da wünscht<br />
man sich eine gute Feuerversicherung.<br />
Betriebsrat kommt, wenn es brennt<br />
Was hat das mit Ihrer Betriebsratsarbeit zu<br />
tun? Betriebsräte wie Feuerwehrleute machen<br />
ihre Arbeit freiwillig. Ein Feuerwehrkommandant,<br />
der auch Betriebsratsmitglied ist, hat es<br />
so auf den Punkt gebracht: »Bei der Freiwilligen<br />
Feuerwehr gibt es nur zwei Dinge, die<br />
freiwillig sind: Mitmachen und Aufhören.«<br />
Was für die Feuerwehr gilt, trifft auch auf den<br />
Betriebsrat zu. Dessen Mitglieder sollten für<br />
den Ernstfall gerüstet sein. Das bedeutet, sich<br />
regelmäßig zu qualifizieren und ein gemeinsames<br />
Verständnis der Zusammenarbeit im Betriebsrat<br />
zu haben.<br />
Die Grundlagen stehen im Betriebsverfassungsgesetz,<br />
das ist allen Betriebsratsmitgliedern<br />
klar. Deshalb nützt es wenig, immer wieder<br />
mit Paragrafen zu kommen. Was können<br />
Sie stattdessen probieren? Erzählen Sie doch<br />
mal die Geschichte vom brennenden Haus!<br />
Den Kolleginnen und Kollegen, die nicht zur<br />
Sitzung kommen, weil sie soviel Arbeit haben.<br />
Erzählen Sie die Geschichte den Kolleginnen<br />
und Kollegen in den Abteilungen. Erzählen<br />
Sie diese Geschichte Vorgesetzten und Arbeitgebern.<br />
Allen ist sofort klar, worum es geht.<br />
Vielleicht schaffen Sie es, dass der Satz »Stell<br />
dir vor dein Haus brennt« zum geflügelten<br />
Wort wird.<br />
»Stell dir vor, dein<br />
Haus brennt<br />
und die Feuerwehr<br />
löscht nicht!«<br />
RUDOLF REITTER<br />
Qualifizierung ist das A und O der Betriebsratsarbeit.<br />
Wie wollen Sie die Interessen der<br />
Beschäftigten vertreten, wenn Sie die Gesetze<br />
nicht kennen? Arbeiten Sie in Ihrer Betriebsratspraxis<br />
mit festen Grundsätzen. Was ist damit<br />
gemeint? Ein Grundsatz könnte lauten:<br />
»Jedes Betriebsratsmitglied fährt mindestens<br />
fünf Tage pro Jahr auf Seminar.« Wenn Mitglieder<br />
von einer Schulung zurückkommen,<br />
sollten Sie um einen kurzen Bericht bitten.<br />
44
AiB 7-8 | 2017 Erfolgreiche Team arbeit im Betriebsrat grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Folgende Fragen bieten sich an:<br />
··<br />
Was waren die wichtigsten Inhalte deines<br />
Seminars?<br />
··<br />
Welche drei Ideen und Anregungen aus diesem<br />
Seminar hast du für unsere Betriebsratsarbeit?<br />
··<br />
Kannst du das Seminar weiterempfehlen?<br />
Achten Sie darauf, dass die Vorschläge der<br />
Kolleginnen und Kollegen nicht zerredet werden.<br />
Danach fragen Sie das Mitglied, das berichtet<br />
hat, welche der drei Ideen ihr oder ihm<br />
am wichtigsten sind. Diese setzen Sie dann<br />
gemeinsam um. So motivieren Sie Ihre Betriebsratsmitglieder<br />
zur aktiven Mitarbeit und<br />
entwickeln die Arbeit des Betriebsrats kontinuierlich<br />
weiter.<br />
Durch gute Führung motivieren<br />
In meinem Bild sind Betriebsratsvorsitzende<br />
Abteilungsleiter ohne disziplinarischen Durchgriff.<br />
Führung im Betriebsrat meint aber nicht<br />
die hierarchische Führung, die Sie aus dem Betrieb<br />
kennen.<br />
Auch die Betriebsratsarbeit unterliegt einer<br />
ständigen Fluktuation. Kolleginnen und Kollegen<br />
scheiden aus dem Betrieb aus und stehen<br />
deshalb nicht mehr zur Verfügung. Oder sie<br />
möchten nicht mehr für den Betriebsrat kandidieren,<br />
weil sie sich neuen Aufgaben widmen<br />
werden. Mit dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat<br />
ist der Verlust von Wissen und Qualifikationen<br />
verbunden. Oft entstehen große<br />
Lücken, die nicht ohne weiteres gefüllt werden<br />
können. Versuchen Sie deshalb ständig, die<br />
Beschäftigten für die Arbeit des Betriebsrats zu<br />
begeistern. So sorgen Sie dafür, dass es immer<br />
ein ausreichendes Reservoir von Kolleginnen<br />
und Kollegen gibt, die mitmachen möchten.<br />
Achten Sie dabei auf eine ausgewogene Zusammensetzung<br />
zwischen Männern und Fraucheckliste<br />
1<br />
Führung im Betriebsrat<br />
··<br />
Eine funktionierende Organisation und<br />
klare Prozesse schaffen<br />
··<br />
Mitmacher gewinnen<br />
··<br />
Die Nachfolge im Betriebsrat sichern<br />
··<br />
Betriebsratsmitglieder motivieren und<br />
begeistern<br />
··<br />
Zusammen gemeinsame Erfolge feiern<br />
In vielen anderen Dingen aber sind Sie als<br />
Betriebsrat frei, die für Ihre Situation passende<br />
Organisationsform zu wählen. So können<br />
Sie beispielsweise Ausschüsse bilden und deren<br />
Größe festlegen. Hierbei können Sie auch<br />
Aufgaben zur Erledigung an diese Ausschüsse<br />
übertragen. Ihr Job ist es nicht nur, gesetzliche<br />
Vorgaben umzusetzen, sondern eigenständig<br />
für eine sinnvolle und handlungsfähige Organisation<br />
zu sorgen. In der Praxis hat es sich<br />
bewährt, die Organisation gemeinsam mit den<br />
anderen Betriebsratsmitgliedern im Rahmen<br />
einer Klausur zu entwickeln.<br />
}}<br />
2. Mitmacher gewinnen<br />
lesesetipp<br />
Das Buch von Rudolf<br />
Reitter »Erfolgreiche<br />
Teamarbeit im Betriebsrat«<br />
liefert jede Menge<br />
praxisnahe Tipps und<br />
Handlungsanweisungen,<br />
wie Sie Ihre Betriebsratsarbeit<br />
auf mehrere<br />
Schultern verteilen<br />
können.<br />
Zu bestellen unter:<br />
}}<br />
www.derbetriebs<br />
raeteberater.de<br />
Betriebsratsmitglieder<br />
sollten sich gemeinsame<br />
Erfolge vor Augen halten<br />
und diese auch feiern!<br />
Führung im Betriebsrat hat die folgenden fünf<br />
Aspekte:<br />
}}<br />
1. Eine funktionierende Organisation und<br />
klare Prozesse schaffen<br />
Ein Teil der Organisation wird bereits durch<br />
das Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Hier ist<br />
beispielsweise die Größe von Betriebsratsgremien<br />
festgelegt. Oder es ist geregelt, ab wann<br />
es einen Betriebsausschuss geben muss und<br />
welche Aufgaben dieser hat. Betriebsratsvorsitzende<br />
haben die Aufgabe, diese gesetzlich<br />
festgelegten Vorgaben im Betrieb umzusetzen.<br />
45
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Erfolgreiche Team arbeit im Betriebsrat<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Neuauflage!<br />
Managementfibel<br />
für Vorsitzende<br />
Annette Rehbock / Hagen Helms<br />
Tipps für Betriebsratsvorsitzende<br />
und Ausschussvorsitzende<br />
Rechtliches Wissen + soziale<br />
Kompetenz für Vorsitzende und<br />
Stellvertreter<br />
3., überarbeitete Auflage<br />
2017. 202 Seiten, kartoniert<br />
€ 16,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6608-5<br />
www.bund-verlag.de/6608<br />
en. Auch die verschiedenen Abteilungen und<br />
Bereiche im Unternehmen und natürlich auch<br />
dessen Altersstruktur sollten sich im Betriebsratsgremium<br />
widerspiegeln.<br />
}}<br />
3. Betriebsratsmitglieder motivieren<br />
und begeistern<br />
Die Betriebsratsmitglieder können Sie besonders<br />
gut motivieren und begeistern, wenn Sie<br />
Ihre eigenen und deren Motive kennen. Mit<br />
welchem Selbstverständnis gehen sie an ihre<br />
Arbeit heran? Wieso haben sie für den Betriebsrat<br />
kandidiert und welche Ziele möchten<br />
sie erreichen? Was macht mir selbst Spaß und<br />
was hält andere bei der Betriebsratsarbeit?<br />
Und was oder wer hindert sie an aktiver Betriebsratsarbeit?<br />
Mit diesen Fragen sollten Sie<br />
sich im Rahmen einer Betriebsratsklausur auseinandersetzen.<br />
}}<br />
4. Die Nachfolge im Betriebsrat sichern<br />
Alle vier Jahre stehen Betriebsratswahlen<br />
an. Schon im Vorfeld sollten Sie sich fragen,<br />
wer wieder kandidiert, wer wohl neu gewählt<br />
wird und wer es vielleicht nicht mehr schafft.<br />
Überlegen Sie sich frühzeitig, wie Ihr ideales<br />
Betriebsratsgremium aussehen würde. Wer<br />
sitzt da am Tisch? Wer hat welche Aufgaben?<br />
Welche Erwartungen haben Sie an die einzelnen<br />
Mitglieder? Die drei häufigsten sind:<br />
Betriebsratsmitglieder sollen regelmäßig und<br />
vorbereitet zu den Sitzungen kommen; neben<br />
der laufenden Betriebsratsarbeit soll sich jedes<br />
Betriebsratsmitglied für mindestens ein Thema<br />
verantwortlich erklären; jedes Mitglied sollte<br />
mindestens fünf Tage pro Jahr für eine Fortbildung<br />
verwenden. Vorausschauende Betriebsratsgremien<br />
führen dazu Demografie-Workshops<br />
durch. Darin geht es genau um diese<br />
Fragestellungen. Gleichen Sie diese Erwartungen<br />
mit denen der potenziellen Betriebsratsmitglieder<br />
ab und machen Sie Ihre Erwartungshaltung<br />
auf einer Betriebsversammlung<br />
auch öffentlich.<br />
}}<br />
5. Zusammen gemeinsame Erfolge feiern<br />
»Nicht geschimpft ist genug gelobt!« So schallt<br />
es durch Betriebsratsbüros in Deutschland.<br />
Das stimmt aber nicht und sorgt für kein gutes<br />
Arbeitsklima. Gute Arbeit gehört gelobt. Vor<br />
allem mit Lob, Respekt und Wertschätzung begeistern<br />
Sie die Betriebsratsmitglieder langfristig<br />
für die Betriebsratsarbeit. Machen Sie sich<br />
deshalb regelmäßig Ihre gemeinsamen Erfolge<br />
bewusst. Im Rahmen einer Betriebsratsklausur<br />
können Sie alle Punkte, die im letzten Jahr<br />
besonders gut gelaufen sind, hervorheben und<br />
gemeinsam honorieren. Oder würdigen Sie<br />
etwa nach Abschluss einer Betriebsvereinbarung<br />
die Kolleginnen und Kollegen, die den<br />
Hauptteil der Arbeit dafür gemacht haben. Dabei<br />
können Sie auch darauf schauen, was Sie<br />
zukünftig noch besser machen möchten.<br />
Neue einbinden<br />
checkliste 2<br />
Erwartungen an Betriebsratsmitglieder<br />
··<br />
Vorbereitet an Betriebsratssitzungen<br />
teilnehmen und danach die Kolleginnen<br />
und Kollegen in deinem Bereich informieren<br />
··<br />
In einem Ausschuss mitarbeiten; ein<br />
Thema bearbeiten<br />
··<br />
Mindestens fünf Tage Seminar pro Jahr<br />
··<br />
Vertraulicher Umgang mit persönlichen<br />
und betrieblichen Qualifikationen<br />
··<br />
Gewerkschaftsmitglied<br />
Neue Betriebsratsmitglieder gehen mit ganz<br />
unterschiedlichen Erwartungen an den Start.<br />
Viel wichtiger ist aber die Frage, welche Erwartungen<br />
Sie an die Neuen haben und wie Sie<br />
diese kommunizieren. Viele Betriebsratsmitglieder<br />
erfüllen oft nur genau die Erwartungen,<br />
die Sie Ihnen vor Ihrer Kandidatur mitgeteilt<br />
haben: »Da kommst du einfach jede Woche<br />
zur Betriebsratssitzung.« Und das machen<br />
Sie dann auch, aber nicht mehr. Halten Sie<br />
Erwartungen an neue und erfahrene Betriebsratsmitglieder<br />
doch mal schriftlich fest (siehe<br />
oben Checkliste 2). »Erwartungen an Betriebsratsmitglieder«<br />
finden Sie eine Orientierungshilfe.<br />
Nutzen Sie die Betriebsratswahlen, um<br />
Erwartungen transparent gegenüber Betriebsratsmitgliedern,<br />
Beschäftigten und Arbeitgeber<br />
zu formulieren. v<br />
Rudolf Reitter,<br />
Der Betriebsräte-Berater<br />
Straubing<br />
www.DerBetriebsraeteBerater.de<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
46<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
AiB 7-8 | 2017 Schwarz auf weiß grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schwarz auf weiß<br />
schreiben Was sind die Zutaten für einen professionellen und<br />
guten Geschäftsbrief? Ein übersichtlicher optischer Aufbau,<br />
eine klare inhaltliche Struktur und eine verständliche Sprache.<br />
VON MARION MÜLLER<br />
Viele Betriebsratsmitglieder kommen<br />
aus nicht-kaufmännischen Berufen.<br />
Für sie ist es oft herausfordernd,<br />
Briefe zu gestalten und zu<br />
formulieren. Mit Struktur und Sprache kann<br />
der Betriebsrat überzeugen. Die meisten Anregungen<br />
in diesem Beitrag lassen sich auch für<br />
E-Mails verwenden.<br />
Gut in Form – es lebe die Norm<br />
Beginnen wir mit der Optik: In Deutschland<br />
ist so ziemlich alles genormt. Für den Aufbau<br />
von Geschäftsbriefen gilt die DIN 5008. Ziel<br />
ist es laut Duden »Briefe und E-Mails zweckmäßig<br />
und übersichtlich zu gestalten und so<br />
eine schnelle Erfassung und Verarbeitung der<br />
Informationen zu gewährleisten.« 1 Die DIN<br />
5008 wird von Zeit zu Zeit modernisiert. So<br />
verzichtet man inzwischen auf die vor Jahren<br />
noch übliche Leerzeile zwischen Straße und<br />
Ort. Für das Anschriftenfeld stehen insgesamt<br />
neun Zeilen zur Verfügung. Die ersten drei<br />
werden genutzt für Zusätze wie zum Beispiel<br />
Einschreiben oder Vorab per Telefax.<br />
Natürlich gibt es auch für den weiteren<br />
Briefaufbau bis hin zur Anlage Spielregeln, mit<br />
denen sich der Betriebsrat vertraut machen<br />
Anschriftenfeld<br />
Vorab per Telefax<br />
Gewerkschaft ....<br />
Herrn/Frau ....<br />
Tarifgasse 1<br />
12345 Tarifhausen<br />
beispiel<br />
sollte. Hat er sich einmal einen Musterbrief<br />
erstellt, kann er darauf immer wieder zurückgreifen.<br />
Hilfe gibt es im Internet und in einschlägiger<br />
Literatur. 2<br />
Tipp: Trotz Rechtschreib- und Grammatikhilfen<br />
im PC sollte ein Duden zur Grundausstattung<br />
des Betriebsrats gehören. Der Duden enthält<br />
auch Informationen und Beispiele zur Gestaltung<br />
von Geschäftsbriefen nach DIN 5008.<br />
Gliederung schafft Übersicht<br />
Eine klare Struktur erleichtert dem Verfasser<br />
das Formulieren und dem Empfänger das Lesen<br />
und Verstehen der Botschaft. Der Betriebsrat<br />
kann eine einfache Standardgliederung für<br />
sich nutzen. 3<br />
beispiel<br />
Standardgliederung für einen Brief<br />
an den Arbeitgeber<br />
1. Kurzbeschreibung des Briefzwecks<br />
··<br />
Mitteilung über einen Beschluss<br />
··<br />
Beschwerde ist eingegangen<br />
2. Begründung<br />
··<br />
Worum geht es genau?<br />
··<br />
Was will/fordert der Betriebsrat<br />
konkret<br />
3. Handlungsaufforderung an den<br />
Arbeitgeber<br />
··<br />
Stellungnahme<br />
··<br />
Prüfung<br />
··<br />
Handlung<br />
4. Fristen und Terminvorschläge<br />
nicht vergessen!<br />
darum geht es<br />
1. Ein professioneller<br />
Geschäftsbrief oder eine<br />
E-Mail zeichnen sich<br />
durch einen übersichtlichen<br />
Aufbau und ein<br />
klare Gliederung aus.<br />
2. Auch die Sprache<br />
sollte nicht zu kompliziert<br />
sein, denn nur so<br />
überzeugt sie.<br />
3. Wer sich beim Schreiben<br />
in den Leser hineinversetzt,<br />
dem fällt es<br />
leichter, verständlich zu<br />
formulieren.<br />
1 Duden, 26. Ausgabe, S. 119. 2 Muster für einen Bildschirmvordruck siehe Fricke/Grimberg/<br />
Wolter »Die kleine Betriebsratsbibliothek: Das Betriebsratsbüro:<br />
Ausstattung, Organisation, PC-Einsatz«, 6. Auflage, S. 45,<br />
Bund-Verlag.<br />
3 Siehe ausführlich in Fricke/Grimberg/Wolter »Die kleine<br />
Betriebsratsbibliothek: Das Betriebsratsbüro: Ausstattung, Organisation,<br />
PC-Einsatz«, 6. Auflage, S. 47 f., Bund-Verlag.<br />
47
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schwarz auf weiß<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Rechtssicher<br />
formuliert<br />
Klaus Eberhard u. a.<br />
Musterschreiben für den<br />
Betriebsrat<br />
Betriebsratsarbeit auf den Punkt<br />
gebracht - Mit Onlinezugriff auf<br />
alle Mustertexte<br />
15., überarbeitete Auflage<br />
2015. 377 Seiten, gebunden<br />
€ 39,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6305-3<br />
www.bund-verlag.de/6305<br />
Bitte übersetzen<br />
Vor einiger Zeit war in einer Fachzeitschrift<br />
folgender Satz zu lesen: »Ein vergeblicher<br />
Faxversuch um 10 Minuten vor 24 Uhr ist jedenfalls<br />
dann nicht unentschuldbar, wenn es<br />
zuvor schon zu zeitlichen Unregelmäßigkeiten<br />
bei der Faxversendung mittels Voice over IP<br />
(VoIP) kam.« 4 Gratuliere, wenn Sie den Satz<br />
sofort verstanden haben.<br />
Schon eine einfache Verneinung stellt unser<br />
Gehirn vor eine Herausforderung. Was soll<br />
es da erst mit der Formulierung nicht unentschuldbar<br />
anstellen? Sogenannte Un-Wörter<br />
tummeln sich zahlreich in unserer Sprache.<br />
Un-Wörter benennen etwas und verneinen es<br />
gleichzeitig wie unentschuldbar, unpünktlich.<br />
Die Frage ist, ob sich das Un-Wort nicht auch<br />
anders ausdrücken lässt.<br />
beispiele<br />
Auswahl an Un-Wörtern mit Übersetzung<br />
unrichtig – falsch<br />
unrechtmäßig – rechtswidrig<br />
unzulässig – verboten<br />
Spontanvegetation oder Unkraut?<br />
Wer hat nicht schon einmal über Beispiele aus<br />
dem Bürokratendeutsch geschmunzelt. Der<br />
Abriss wird zum Rückbau und die Briefmarke<br />
zum Postwertzeichen. Im normalen Alltag<br />
sprechen (und schreiben) wir so nicht. Wer<br />
von uns ärgert sich darüber, dass auf dem Weg<br />
zur Arbeit alle Lichtzeichenanlagen auf Rot<br />
geschaltet waren? Wer joggt nach Feierabend<br />
in der forstwirtschaftlichen Nutzfläche oder<br />
verbringt den Samstag mit der Beseitigung von<br />
Spontanvegetation? 5<br />
Kurze Wörter sind meist anschaulicher als<br />
lange. Wie würden wir reagieren, wenn in den<br />
Verkehrsmeldungen statt vor einem Geisterfahrer<br />
vor einem Gegenrichtungsfahrbahnbenutzer<br />
gewarnt würde?<br />
Die Bürokraten- und Juristensprache ist<br />
umständlich und trieft nur so vor Substantiven.<br />
Ein Hauptwort reiht sich an das nächste<br />
und der Text wird schwerfällig. Das freut die<br />
Fans von Amtsblättern und Gerichtsentscheidungen,<br />
für alle anderen ist es anstrengend.<br />
Ich kam, sah und siegte<br />
Lebendig und verständlich wird ein Text durch<br />
Verben. Das bekannte Cäsar-Zitat »Ich kam,<br />
sah und siegte« lässt sich bürokratisch mit<br />
wenigen Verben und vielen Substantiven so<br />
ausdrücken: »Nach Erreichung und Besichtigung<br />
der hiesigen Örtlichkeiten war mir die<br />
Erringung des Sieges möglich.« 6 Mal ehrlich:<br />
Welche Variante gefällt Ihnen besser? Wer sich<br />
selbst klar darüber ist, was er sagen will, der<br />
kann auch Kompliziertes einfach ausdrücken.<br />
Wer umständlich formuliert, hat oft den Inhalt<br />
selbst nicht verstanden oder will sich nicht<br />
festlegen. Ziel des Betriebsrats sollte sein, leserfreundlich<br />
zu formulieren. Das gelingt am<br />
ehesten mit Verben, also mit Tätigkeitswörtern.<br />
hinweis<br />
Statt: Wir bitten um Mitteilung ...<br />
Besser: Bitte teilen Sie uns mit ...<br />
In der Amtssprache verbreitet sind Funktionsoder<br />
Streckverben. Sie können nicht ohne<br />
Substantiv stehen und wirken sehr umständlich.<br />
Beispiele sind: Stillschweigen wahren,<br />
Abhilfe schaffen, in Erwägung ziehen. Funktionsverben<br />
lassen sich meist einfach umgehen.<br />
beispiele<br />
Funktionsverben mit Übersetzung<br />
Stillschweigen wahren = schweigen<br />
Unter Beweis stellen = beweisen<br />
Investitionen tätigen = investieren<br />
Eine Vorsilbe gefällig?<br />
Manche Menschen glauben, dass ihre Aussagen<br />
gewichtiger klingen, wenn sie mit überflüssigen<br />
Vorsilben versehen werden. Mit einem<br />
an, auf, ab oder ob lässt sich so manches Verb<br />
aufplustern. So wird aus ändern abändern und<br />
aus zeigen aufzeigen. In der Auseinandersetzung<br />
vor Gericht mit dem Arbeitgeber siegen<br />
wir nicht etwa nur, wir obsiegen. Überflüssig<br />
sind auch viele Adjektive. So werden wir in<br />
4 Arbeit und Recht 7/2015, S. 284.<br />
5 Lichtzeichenanlage = Ampel, forstwirtschaftliche Nutzfläche =<br />
Wald, Spontanvegetation = Unkraut.<br />
6 Norbert Franck, Job Aktuell »Schreiben wie ein Profi«, 5. Auflage,<br />
S. 12, Bund-Verlag.<br />
kontakt@bund-verlag.de<br />
48<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
AiB 7-8 | 2017 Schwarz auf weiß grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Geschäftsbriefen dann und wann auf die beigefügte<br />
Anlage hingewiesen. Wo soll sie denn<br />
sein, wenn nicht beigefügt?<br />
Eindruck machen mit Juristendeutsch?<br />
Mal ehrlich: Haben Sie bei Briefen an die Geschäftsleitung<br />
schon einmal damit geliebäugelt,<br />
juristisch hoch gestochen zu schreiben, um<br />
den Arbeitgeber so richtig zu beeindrucken?<br />
Ob das gelingt, darf bezweifelt werden. Der<br />
Briefstil sollte zu uns passen. Glaubwürdigkeit<br />
und Verständlichkeit gehen vor. Wenn wir uns<br />
einen bürokratischen Schreibstil angewöhnen,<br />
nutzen wir ihn möglicherweise auch für Mitteilungen<br />
an die Belegschaft. Wenn uns die Beschäftigten<br />
nicht mehr ohne Übersetzungshilfe<br />
verstehen, werden sie uns – zu Recht – für abgehoben<br />
halten. Überlassen wir das Bürokratendeutsch<br />
also besser den Bürokraten.<br />
In der Kürze liegt die Würze?<br />
Mark Twain hat es einmal so ausgedrückt:<br />
»Wenn der deutsche Schriftsteller in einen Satz<br />
taucht, dann hat man ihn die längste Zeit gesehen,<br />
bis er auf der anderen Seite seines Ozeans<br />
wieder auftaucht mit seinem Verbum im Mund.« 7<br />
Das soll heißen: Die deutsche Sprache kann<br />
zur Geduldsprobe werden, wenn wir die Satzaussage<br />
erst am Ende eines langen Satzes verraten.<br />
Vermeidbar ist dies, wenn Satzgegenstand<br />
und Satzaussage dicht beieinander stehen.<br />
machen dem Leser zu schaffen. Die wichtigste<br />
Aussage gehört in den Hauptsatz. Doch nicht<br />
immer liegt in der Kürze die Würze. Folgt Minisatz<br />
auf Minisatz, ist das ebenfalls ermüdend.<br />
beispiel<br />
Beispiel für Minisätze<br />
Briefgestaltung ist wichtig. Die Ansprüche<br />
steigen. Der Betriebsrat muss mithalten.<br />
Nur Text reicht nicht mehr. Der Aufbau<br />
muss stimmen.<br />
Auch Profis haben<br />
Schreibblockaden.<br />
Was dabei hilft: Einfach<br />
drauflos schreiben.<br />
hinweis<br />
Statt: Der Betriebsrat, der sich unter den<br />
Vorzeichen einer drohenden Verlagerung<br />
der Produktion nach Niemandsland und<br />
nach wie vor hohen Belastungen für die<br />
Beschäftigten in allen Bereichen, mit dem<br />
Rücken an der Wand sieht, traf sich gestern<br />
mit dem Gewerkschaftsbeauftragten.<br />
Besser: Der Betriebsrat (Satzgegenstand)<br />
traf sich gestern mit dem Gewerkschaftsbeauftragten<br />
(Satzaussage).<br />
Es ging dabei um ...<br />
Die Länge der Sätze entscheidet mit darüber,<br />
ob ein Text verständlich und leserfreundlich<br />
ist. Vor allem mehrfach verschachtelte Sätze<br />
Der Text ist verständlich und – ziemlich langweilig.<br />
Wie so oft im Leben, kommt es auch<br />
hier auf eine gute Mischung an zwischen kurzen<br />
und etwas längeren Sätzen.<br />
hinweis<br />
Tipps für einen guten Briefstil<br />
··<br />
Einen Brief immer aus der Sicht des<br />
Lesers betrachten<br />
··<br />
Möglichst nur eine Seite schreiben<br />
··<br />
Sachlich auf den Punkt kommen<br />
··<br />
Wenig verschachteln<br />
··<br />
Aktiv statt passiv schreiben<br />
··<br />
Sparsam mit Fremdwörtern und<br />
Abkürzungen umgehen<br />
··<br />
Positiv formulieren<br />
7 Norbert Franck, Job Aktuell Schreiben wie ein Profi, 5. Auflage,<br />
S. 44, Bund-Verlag.<br />
49
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Schwarz auf weiß<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
buchtipps<br />
··<br />
Die kleine Betriebsratsbibliothek<br />
Fricke/Grimberg/Wolter<br />
··<br />
Das Betriebsratsbüro:<br />
Ausstattung, Organisation,<br />
PC-Einsatz,<br />
Band 4, Bund-Verlag<br />
Aus der Reihe Job aktuell<br />
··<br />
Norbert Franck<br />
Schreiben wie ein Profi<br />
Bund-Verlag<br />
Sag es einmal anders<br />
Jeder hat so seine Lieblingsworte, die er immer<br />
wieder gerne nimmt. Wer Synonyme nutzt, gestaltet<br />
den Text abwechslungsreich. 8<br />
Beispiele:<br />
berichten lässt sich ausdrücken durch:<br />
··<br />
ausführen<br />
··<br />
beschreiben<br />
··<br />
vortragen<br />
vorschlagen lässt sich ausdrücken durch:<br />
··<br />
empfehlen<br />
··<br />
anregen<br />
··<br />
raten zu<br />
betonen lässt sich ausdrücken durch:<br />
··<br />
hinweisen<br />
··<br />
unterstreichen<br />
··<br />
hervorheben<br />
Der Ton macht die Musik<br />
Der Betriebsrat bettelt nicht. Er ist Repräsentant<br />
der Belegschaft und fordert, was ihm und<br />
den Beschäftigten zusteht. Zu höfliche Formulierungen<br />
können leicht unterwürfig klingen<br />
mit der Folge, dass der Arbeitgeber das Gremium<br />
nicht ernst nimmt. Das bedeutet: Der Betriebsrat<br />
bittet nicht um Verständnis dafür, dass<br />
er den beantragten Überstunden leider nicht<br />
zustimmen konnte. Er hat gute Gründe gehabt,<br />
die Überstunden abzulehnen, sonst hätte<br />
er ja zugestimmt. Deshalb teilt der Betriebsrat<br />
dem Arbeitgeber unverschnörkelt mit, dass er<br />
in seiner Sitzung vom ... beschlossen hat, … .<br />
Auch der Konjunktiv, also die Möglichkeitsform,<br />
kann die Aussage des Betriebsrats<br />
unnötig schwächen.<br />
hinweis<br />
Statt: Der Betriebsrat könnte sich vorstellen,<br />
Besser: Der Betriebsrat stellt sich vor,<br />
fordert oder verlangt – je nach Situation.<br />
Tipp: Das Betriebsverfassungsgesetz sieht nur<br />
in bestimmten Fällen Fristen vor. Daher sollte<br />
der Betriebsrat dem Arbeitgeber deutlich mitteilen,<br />
bis wann er eine Reaktion erwartet.<br />
Aktiv und positiv formulieren<br />
Journalisten schreiben oft im Passiv – auch<br />
Leideform genannt -, weil sie ihre Informationsquellen<br />
nicht verraten wollen. Der Betriebsrat<br />
hingegen kann in der Regel Ross und<br />
Reiter nennen, vor allem, wenn er selbst der<br />
Handelnde ist.<br />
Aktive Formulierungen kommen besser an<br />
als passive. Statt zu schreiben »Die Entscheidung<br />
der Geschäftsleitung, 50 Beschäftigte<br />
zu entlassen, wird vom Betriebsrat kritisiert«<br />
könnte es lauten »Der Betriebsrat kritisiert die<br />
Entscheidung … . »<br />
Zudem sollte der Betriebsrat die positiven<br />
Aspekte seiner Aussage herausstellen. »Das<br />
Betriebsratsbüro ist bis 15.00 Uhr geöffnet«<br />
hört sich besser an als »Das Betriebsratsbüro<br />
ist ab 15.00 Uhr geschlossen«.<br />
Wenn gar nichts geht ...<br />
Auch echte Profis erwischt sie – die berühmte<br />
Schreibblockade. Wir lachen das weiße Blatt<br />
an, das weiße Blatt lacht keck zurück. Es hilft,<br />
einfach anzufangen.<br />
Wir müssen den ersten Entwurf ja nicht<br />
abschicken und können schreiben, was uns in<br />
den Sinn kommt.<br />
Das funktioniert auch, wenn wir erst gar<br />
keinen Zugang zu einem Thema finden. Haben<br />
wir einige Minuten geschrieben, fokussieren<br />
wir uns meist ganz von selbst auf das,<br />
worum es geht.<br />
Wichtig ist, dass der Schreibfluss nicht unterbrochen<br />
wird, sonst kritisieren und zensieren<br />
wir unsere Gedanken vorschnell. Deshalb<br />
ist die Übung mit der Hand ausgeführt effektiver<br />
als mit der Tastatur.<br />
In den Leser hinein versetzen<br />
Wer sich beim Schreiben in den Leser hinein<br />
versetzt, dem fällt es leichter, verständlich zu<br />
formulieren. Ein übersichtlicher Aufbau und<br />
ein klare Gliederung helfen dem Schreibenden,<br />
an alles Wichtige zu denken. Der Empfänger<br />
erfasst sofort, worum es geht und was er<br />
tun soll. So gewinnen beide Seiten. v<br />
Marion Müller,<br />
Fachautorin, Mentaltrainerin<br />
und Referentin bei Betriebsratsseminaren,<br />
Bochum.<br />
8 Synonyme sind sinnverwandte Wörter und Wendungen.<br />
50
AiB 7-8 | 2017 Kurzarbeit als Rettungsanker grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Kurzarbeit als<br />
Rettungsanker<br />
kurzarbeit Bei vielen Beschäftigten löst sie Sorge aus: die Kurzarbeit.<br />
Doch sie dient der Beschäftigungssicherung in wirtschaftlich<br />
un ruhigen Zeiten. Der Betriebsrat hat dabei nicht nur ein Mitbestimmungsrecht,<br />
sondern kann die Initiative ergreifen.<br />
VON CHRISTIANE JANSEN<br />
Kurzarbeit ist eine Reduzierung der<br />
Arbeitszeit aufgrund eines erheblichen<br />
Arbeitsausfalls aus wirtschaftlichen<br />
Gründen oder durch ein<br />
unabwendbares Ereignis. Das kann bis zum<br />
vollständigen Erliegen der Geschäftstätigkeit<br />
führen (»Kurzarbeit Null«). Zusätzlich muss<br />
es ein vorübergehender, nicht vermeidbarer<br />
Arbeitsausfall sein. Eigene Planungsdefizite<br />
können also keine Gründe für Kurzarbeit darstellen.<br />
Nach der Kurzarbeit muss die reguläre<br />
Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen werden<br />
und es dürfen auch keine Kündigungen<br />
ausgesprochen werden – denn die sollen ja<br />
gerade vermieden werden. Damit sind relativ<br />
hohe Voraussetzungen an die Arbeitszeitreduzierung<br />
durch Kurzarbeit gestellt.<br />
Arten von Kurzarbeit<br />
Die hier beschriebene Kurzarbeit wird als konjunkturelle<br />
Kurzarbeit bezeichnet (§§ 95 – 109<br />
SGB III). Davon zu unterscheiden ist die<br />
Transferkurzarbeit, die bei einem dauerhaften<br />
und unvermeidbaren Arbeitsausfall (zum Beispiel<br />
in der Insolvenz) nach vorheriger Beratung<br />
und Vereinbarung mit der Arbeitsagentur<br />
beantragt werden kann (§ 323 Abs. 2 SGB III).<br />
Transferkurzarbeitergeld dient für maximal 12<br />
Monate der Vermeidung von Entlassungen und<br />
dem Bezug von Arbeitslosengeld sowie der<br />
Verbesserung der Vermittlung der betroffenen<br />
Beschäftigten in einer Transfergesellschaft.<br />
Saison-Kurzarbeit ist eine weitere Sonderform<br />
und gilt ausschließlich für Wirtschaftszweige,<br />
die starken wetterbedingten saisonalen<br />
Auftragsschwankungen unterliegen (zum<br />
Beispiel im Baugewerbe, Garten- und Landschaftsbau,<br />
Gerüstbau). Auch Saison-Kurzarbeitergeld<br />
soll helfen, witterungsbedingte<br />
Kündigungen in den auftragsschwachen Wintermonaten<br />
zu vermeiden (§ 101 SGB III).<br />
Konjunkturelles Kurzarbeitergeld<br />
Kurzarbeitergeld gilt als Sozialleistung nach<br />
dem SGB III und wird nur auf Antrag des<br />
Arbeitgebers oder des Betriebsrats gezahlt.<br />
Dabei müssen die bereits oben beschriebenen<br />
Voraussetzungen für Kurzarbeit erfüllt sein.<br />
Zusätzlich ist es erforderlich, dass mindestens<br />
ein Drittel der im Betrieb Beschäftigten<br />
von einem Entgeltausfall über zehn Prozent<br />
in dem jeweiligen Kalendermonat betroffen<br />
sind. Das Kurzarbeitergeld wird von der Bundesagentur<br />
für Arbeit nur für die tatsächlich<br />
ausgefallene Arbeitszeit gezahlt. Urlaubstage,<br />
Freizeitausgleich oder Feiertage werden<br />
demnach nicht erstattet, sondern bleiben Vergütungspflicht<br />
des Arbeitgebers. Das Kurzarbeitergeld<br />
wird über den Arbeitgeber auf das<br />
persönliche Konto der Beschäftigten ausgezahlt<br />
und später von der Agentur für Arbeit<br />
an den Arbeitgeber erstattet.<br />
Höhe und Dauer des Kurzarbeitergeldes<br />
Die Höhe des Kurzarbeitergeldes beläuft sich<br />
auf 60 Prozent des ausgefallenen Nettoeinkommens.<br />
Bei Beschäftigten mit Kindern muss<br />
darum geht es<br />
1. Bei Kurzarbeit wird<br />
vorüber gehend die<br />
Arbeits zeit reduziert,<br />
wenn es aus wirtschaftlichen<br />
Gründen zu Arbeitsausfall<br />
kommt.<br />
2. Es gibt verschiedene<br />
Arten von Kurzarbeit,<br />
wie konjunkturelle Kurzarbeit,<br />
Transferkurzarbeit<br />
oder Saison-Kurzarbeit.<br />
3. Der Betriebsrat hat ein<br />
zwingendes Mitbestimmungsrecht.<br />
Die Beantragung<br />
und Durchführung<br />
der Kurzarbeit sollte sorgfältig<br />
vorbereitet werden.<br />
1 Lohnsteuer Grundbegriffe 2016, DGB Bundesvorstand:<br />
www.dgb-bestellservice.de/besys_dgb/pdf/DGB20027.pdf.<br />
2 BAG 18.11.2015 – 5 AZR 491/14, www.aib-web.de > Aktuelles ><br />
Rechtsprechung für den BR > Ausgabe 7/2016.<br />
3 LAG Hamm 12.6.2014 – 11 Sa 1566/13, www.aib-web.de ><br />
Aktuelles > Rechtsprechung für den BR > Ausgabe 19/2014.<br />
4 BAG 4.3.1986 – 1 ABR 15/84.<br />
5 Merkblatt 8b Kurzarbeitergeld, Bundesagentur für Arbeit:<br />
www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/<br />
documents/ webdatei/mdaw/mdu2/~edisp/l6019022dstbai<br />
378463.pdf.<br />
51
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Kurzarbeit als Rettungsanker<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
begriffe<br />
Beitragsbemessungsgrenze<br />
Es handelt sich um eine<br />
Rechengröße der Sozialversicherung.<br />
Bis zur<br />
Beitragsbemessungsgrenze<br />
werden Arbeits entgelt<br />
oder Rente für Sozialversicherungsbeiträge<br />
heran gezogen. Für den<br />
Teil des Einkommens,<br />
der die Beitragsbemessungsgrenze<br />
übersteigt,<br />
müssen keine Beiträge<br />
gezahlt werden.<br />
Progressionsvorbehalt<br />
Der Begriff stammt<br />
aus dem Steuerrecht.<br />
Dabei werden Einkünfte<br />
wie Arbeitslosen- oder<br />
Elterngeld selbst zwar<br />
nicht besteuert, aber zur<br />
Berechnung des Steuersatzes<br />
herangezogen. Damit<br />
erhöhen sie letztlich<br />
die Steuerlast.<br />
gut zu wissen<br />
Inhalte einer Betriebsvereinbarung<br />
Mögliche Eckpunkte:<br />
··<br />
Berücksichtigung geltender Tarifverträge<br />
··<br />
Beginn, Ende, Lage der Kurzarbeit<br />
··<br />
Verteilung der Kurzarbeit auf die Beschäftigten,<br />
Abteilungen und Zeiträume<br />
··<br />
Ausnahmen von der Kurzarbeit (etwa<br />
Altersteilzeitbeschäftigte, werdende<br />
Eltern, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig<br />
Beschäftigte)<br />
··<br />
Arbeitgeberzuschüsse,<br />
tarifliche Aufstockungsbeträge<br />
··<br />
Umgang mit Resturlaubstagen<br />
aus dem Vorjahr<br />
··<br />
Regelungen zu Arbeitszeitkonten<br />
··<br />
Weiterbildungsmöglichkeiten oder<br />
Gesundheitsvorsorge während der<br />
Kurzarbeit<br />
··<br />
Rechte des Betriebsrats<br />
··<br />
Ankündigungsfristen<br />
··<br />
Instrumente der Konfliktlösung<br />
mindestens »0,5 unterhaltspflichtige Kinder«<br />
auf der Steuerkarte eingetragen sein (die andere<br />
Hälfte hat dann das andere Elternteil auf<br />
der Steuerkarte. Damit wird angezeigt, dass<br />
man unterhaltspflichtige Kinder hat). Dann<br />
erhöht sich die Erstattung auf 67 Prozent des<br />
ausgefallenen Nettoeinkommens. Dabei wird<br />
lediglich das Nettoeinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze<br />
berücksichtigt, für das<br />
entsprechende Sozialversicherungsbeiträge<br />
gezahlt wurden. Wurde vor der Einführung<br />
von Kurzarbeit eine Beschäftigungssicherungsvereinbarung<br />
mit Veränderungen von Arbeitszeiten<br />
vereinbart, wirkt sich das nicht negativ<br />
auf die Höhe des Kurzarbeitergeldes aus. Auch<br />
ein Hinzuverdienst oder eine Nebentätigkeit,<br />
die bereits vor der Einführung der Kurzarbeit<br />
bestanden haben, wird nicht auf das Kurzarbeitergeld<br />
angerechnet.<br />
Die Sozialversicherungsbeiträge während<br />
der Kurzarbeit müssen für die ausgefallenen<br />
Arbeitsstunden bis zur Höhe von 80 Prozent<br />
des Arbeitsentgelts weiterhin vom Arbeitgeber<br />
getragen werden. Kurzarbeitergeld wird damit<br />
zwar steuerfrei ausgezahlt, unterliegt aber als<br />
Sozialleistung im Jahressteuerausgleich dem<br />
Progressionsvorbehalt. 1 Betroffene Beschäftigte<br />
sollten sich also vorsorglich auf eine Steuernachzahlung<br />
einstellen.<br />
Die gesetzliche Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld<br />
liegt seit 1.1.2016 bei 12 Monaten<br />
(§ 104 Abs. 1 SGB III). Eine Verlängerung auf<br />
bis zu 24 Monate ist nur durch eine entsprechende<br />
Verordnung des Bundesministeriums<br />
für Arbeit und Soziales möglich.<br />
Beteiligungsrechte des Betriebsrats<br />
Kurzarbeit stellt eine Abweichung vom Arbeitsvertrag<br />
dar, da Arbeitszeit und Entgelt reduziert<br />
werden.<br />
Damit kann Kurzarbeit nicht einseitig<br />
angeordnet werden. In Betrieben ohne Betriebsrat<br />
müssen die einzelnen Beschäftigten<br />
ihr Einverständnis erteilen. In Betrieben mit<br />
Betriebsrat ist die Einführung von Kurzarbeit<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zwingend mitbestimmungspflichtig.<br />
Dabei genügt es nicht,<br />
wenn der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit<br />
»abnickt«, vielmehr müssen in einer<br />
Betriebsvereinbarung die Details zu Umfang,<br />
Verfahren und Beteiligten geregelt werden. 2<br />
Eine zu allgemeine Betriebsvereinbarung führt<br />
zur Unwirksamkeit und damit zu einem vollen<br />
Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber. 3<br />
Kommen Arbeitgeber und Betriebsrat bei<br />
den Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung<br />
zu keinem Ergebnis, kann jede der<br />
beiden Betriebsparteien die Einigungsstelle<br />
anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt<br />
dann die Betriebsvereinbarung zwischen<br />
Arbeitgeber und Betriebsrat. Das gilt auch,<br />
wenn sich der Arbeitgeber weigert, Kurzarbeit<br />
zur Vermeidung von Kündigungen einzuführen.<br />
In dem Fall kann der Betriebsrat sein Initiativrecht<br />
wahrnehmen und den Arbeitgeber<br />
zu Verhandlungen über die Einführung von<br />
Kurzarbeit auffordern. Bleibt es bei der Verweigerungshaltung<br />
des Arbeitgebers, kann der<br />
Betriebsrat auch in diesem Fall die Einigungsstelle<br />
anrufen. 4<br />
Kurzarbeit und Urlaubanspruch<br />
Da Kurzarbeitergeld nur für den unvermeidbaren<br />
Arbeitsausfall gezahlt wird, müssen in der<br />
Regel Resturlaube, die aus dem Vorjahr übertragen<br />
werden, vor dem Beginn der Kurzarbeit<br />
52
AiB 7-8 | 2017 Kurzarbeit als Rettungsanker grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Damit es keine Probleme<br />
bei der Kurzarbeit gibt,<br />
sollten sich die Betriebsparteien<br />
von den lokalen<br />
Arbeitsagenturen beraten<br />
lassen.<br />
»Kurzarbeit ist<br />
ein wichtiges<br />
Instrument zur<br />
Beschäftigungssicherung.«<br />
CHRISTIANE JANSEN<br />
in Freizeit ausgeglichen werden. Ausnahmen<br />
davon sind jedoch zulässig, wenn die Beschäftigten<br />
vorrangige Urlaubswünsche begründen<br />
können. Je nach zeitlicher Lage der Kurzarbeit<br />
können Arbeitgeber und Betriebsrat auch Betriebsschließungstage<br />
oder eine verpflichtende<br />
Urlaubsnahme im aktuellen Urlaubsjahr vereinbaren,<br />
um die Auswirkungen durch Kurzarbeit<br />
zu reduzieren oder gar zu vermeiden.<br />
Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten<br />
Als Maßnahme zur Vermeidung von Kurzarbeit<br />
wird auch ein im Betrieb vereinbartes<br />
flexibles Arbeitszeitmodell mit zulässigen Arbeitszeitschwankungen<br />
angesehen. Im Fall<br />
vereinbarter Arbeitszeitkonten müssen diese<br />
grundsätzlich erst eingebracht werden, bevor<br />
Kurzarbeitergeld beansprucht werden kann.<br />
Davon gibt es jedoch Ausnahmeregelungen,<br />
wenn zum Beispiel der Kontenstand länger<br />
als ein Jahr unverändert bestanden hat oder<br />
das Arbeitszeitkonto als Wertguthaben für ein<br />
vorgezogenes Ausscheiden vor der Rente, Kindererziehung,<br />
Weiterbildung oder Pflegezeiten<br />
vereinbart worden ist. 5<br />
Kurzarbeit sinnvoll nutzen<br />
Mit finanzieller Unterstützung der Agentur für<br />
Arbeit kann die Zeit der Kurzarbeit sinnvoll für<br />
Qualifizierungsmaßnahmen genutzt werden.<br />
Dabei vereinbaren Arbeitgeber und der betroffene<br />
Beschäftigte, welche Weiterbildungsmaßnahme<br />
sinnvoll ist und beantragen diese bei<br />
der Arbeitsagentur. Ein besonderes Förderprogramm<br />
wurde dabei für gering Qualifizierte<br />
und ältere Beschäftigte initiiert (WeGebAU).<br />
Gute Vorbereitung muss sein<br />
Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument der Beschäftigungssicherung.<br />
Der Betriebsrat hat weitreichende<br />
Mitbestimmungsrechte und kann so<br />
aktiv zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen<br />
beitragen. Aber die rechtssichere Beantragung<br />
und Durchführung von Kurzarbeit<br />
erfordert eine sorgfältige Vorbereitung und den<br />
Abschluss einer detaillierten Betriebsvereinbarung.<br />
Die lokalen Agenturen für Arbeit unterstützen<br />
häufig mit Beratung und praktischen<br />
Tipps für einen reibungslosen Ablauf. v<br />
Christiane Jansen, Sachverständige<br />
für Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht,<br />
Kempten (Allgäu).<br />
email@christianejansen.de<br />
53
etriebliche praxis<br />
Operation war erfolgreich<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
Operation<br />
war erfolgreich<br />
klinikverkauf Der Betriebsrat des Klinikums Esslingen wehrte<br />
sich gegen den Verkauf an einen privaten Gesundheitskonzerrn und<br />
sicherte damit die Arbeitsplätze. Dies wurde ausgezeichnet.<br />
VON CHRISTOF HERRMANN<br />
darum geht es<br />
1. Das Klinikum Esslingen<br />
ist eine 100-prozentige<br />
Tochterfirma der Stadt<br />
und verzeichnete seit Jahren<br />
defizitäre Abschlüsse.<br />
2. Die Stadt überlegte,<br />
das Klinikum komplett an<br />
einen privaten Klinikbetreiber<br />
zu verkaufen.<br />
Der Betriebsrat wandte<br />
sich dagegen.<br />
3. Nach intensiven<br />
Verhandlungen und viel<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
durch den Betriebsrat<br />
beschloss die Stadt, die<br />
Klinik zu halten.<br />
Der Zustand vieler kommunaler<br />
Krankenhäuser in Deutschland ist<br />
kritisch. Sie hängen am Tropf, haben<br />
massive finanzielle Mangelerscheinungen<br />
und kämpfen gegen den drohenden<br />
Infarkt und die Übernahme durch private<br />
Klinikbetreiber. Deren Medikation ist oft bitter,<br />
denn sie besteht vor allem aus Renditesteigerung<br />
durch Personalabbau. Auch das Klinikum<br />
Esslingen, ein Haus der Zentralversorgung mit<br />
derzeit rund 1.700 Beschäftigten und 655 Betten,<br />
hatte eine lange Krankenakte aufzuweisen.<br />
Gemeinderat<br />
(CDU, SPD, Grüne,<br />
FUW, FDP, Linke)<br />
Geschäftsführer<br />
beteiligte<br />
Oberbürgermeister<br />
P ROZ E S S<br />
Die 100-prozentige Tochter der 91.000-Einwohner-Stadt<br />
verzeichnete seit Jahren defizitäre<br />
Abschlüsse. Bei einer strategischen<br />
Haushaltskonsolidierung der Stadt Esslingen<br />
stand 2015 die Frage im Raum, ob die Kommune<br />
weitere finanzielle Mittel zuschießt oder<br />
ein Verkauf der vermeintlich bessere Weg ist.<br />
Beim Betriebsrat des Klinikums schrillten die<br />
Alarmglocken, »denn ein Verkauf hätte zu einem<br />
Tsunami im Großraum Stuttgart geführt –<br />
mit katastrophalen Folgen für Tarifbindung,<br />
Personalabwanderung und die Patientenver<br />
Beschäftigte<br />
KONZENTRIERTE<br />
AKTION<br />
Ziel: Beschäftigungssicherung<br />
durch<br />
Verhinderung Klinikprivatisierung<br />
Krankenhaus dezernent<br />
(Schlüsselrolle)<br />
P ROZ E S S<br />
Kostenträger / AOK<br />
Klinikleitung<br />
Aufsichtsrat<br />
P ROZ E S S<br />
Gewerkschaften<br />
(ver.di/MB)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Betriebsrat<br />
Chefärzte<br />
(Ärztlicher Direktor)<br />
54
AiB 7-8 | 2017 Operation war erfolgreich betriebliche praxis<br />
sorgung«, erläutert die Betriebsratsvorsitzende<br />
Beate Müller. »Private Klinikbetreiber sind vornehmlich<br />
ihren Aktionären verpflichtet. Dies<br />
kann nur auf Kosten der Mitarbeiter und der<br />
Patienten gehen. Für uns war dies von Beginn<br />
an keine Option.« Doch wie geht der Betriebsrat<br />
vor, wenn eine Vielzahl von Akteuren und<br />
Interessen mit im Spiel sind? Neben der Stadtspitze<br />
und dem verantwortlichen Gemeinderat<br />
waren die Belange von Kostenträgern, Klinikleitung,<br />
Chefärzten, des Geschäftsführers und<br />
vor allem der Beschäftigten zu berücksichtigen.<br />
Gegen Privatisierung<br />
Um die Abwärtsspirale aus Leistungsverdichtung<br />
und Unterfinanzierung aufzuhalten, forderte<br />
der Betriebsrat eine ausreichende Bereitstellung<br />
finanzieller Mittel durch die Kommune.<br />
Denn, so die Argumentation, durch die dringend<br />
notwendigen Investitionen in Personal<br />
und Infrastruktur verbessern sich die Arbeitsbedingungen,<br />
qualifizierte Beschäftigte werden<br />
im Haus gehalten und die Versorgungsqualität<br />
nimmt zu. In der Konsequenz steigt die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Klinikums und es kann sich<br />
als wirtschaftlich solider Marktführer im Kreis<br />
Esslingen und dem mittleren Neckarraum positionieren.<br />
Die Stadt entwickelte verschiedene<br />
Verkaufsoptionen. So reichten die Szenarien<br />
von einem 25- über einen 50 – und 75-prozentigen<br />
hin zu einem vollständigen Verkauf an einen<br />
privaten Krankenhausbetreiber. Auch der<br />
Verbleib als 100-prozentige Tochter der Stadt<br />
Esslingen wurde in die Betrachtungen mit einbezogen.<br />
Das Votum der Betriebsräte war klar,<br />
denn jede Form der Privatisierung hätte aus<br />
ihrer Sicht massive Folgen für Tarifbindung,<br />
Personal und Patientenversorgung gehabt.<br />
Konzertierte Aktion<br />
Müller: »Wir haben daher von Beginn an versucht,<br />
den Meinungsbildungsprozess konsequent<br />
in unserem Sinne aktiv mitzugestalten,<br />
die wichtigen Verhandlungspartner identifiziert,<br />
Türen zu diesen geöffnet und nach gemeinsamen<br />
Lösungen gesucht. Nur als konzertierte<br />
Aktion aller Beteiligten, bei der sich<br />
niemand über den Tisch gezogen fühlte, die<br />
einzelnen Personen mit ins Boot genommen<br />
und laufend Argumente geliefert wurden,<br />
konnte eine Einigung im Sinne des Klinikums<br />
erzielt werden. Wir hatten dabei den großen<br />
Vorteil, dass alle Seiten den Prozess als prinzipiell<br />
ergebnisoffen betrachteten.« Der Betriebsrat<br />
führte laufend Gespräche und Verhandlungen<br />
mit allen politischen Fraktionen<br />
und Gemeinderäten. Über Intranet, lokale<br />
Medien, Versammlungen und auch Flugblätter<br />
informierte er kontinuierlich Mitarbeiter,<br />
Patienten und die Öffentlichkeit. Gemeinsam<br />
mit Klinikleitung und dem Ärztlichen Direktor<br />
erarbeiteten die Arbeitnehmervertreter ein<br />
ausführliches Votum zu den unterschiedlichen<br />
Privatisierungsoptionen, legten verschiedene<br />
Szenarien und damit einhergehende Konsequenzen<br />
für die Klink vor. In einer Petition<br />
sammelten sie zudem über 1.300 Unterschriften<br />
aus der Belegschaft und übergaben diese<br />
an den Oberbürgermeister. Die verschiedenen<br />
Aktionen erstreckten sich über den Zeitraum<br />
Februar 2015 bis Mai 2016 und führten<br />
schließlich zum Erfolg: Der Gemeinderat beschloss,<br />
das Klinikum als 100-prozentige Tochter<br />
der Stadt Esslingen weiterzuführen. Dazu<br />
verabschiedete er eine einmalige Kapitalzuführung<br />
und einen jährlichen Zuschuss der Stadt.<br />
Arznei schlägt an<br />
Die Erleichterung bei den Beschäftigten war<br />
groß, denn die Entscheidung bedeutet neben<br />
dem Erhalt von Arbeitsplätzen auch eine Sicherung<br />
der Tarifbindung und der bisherigen<br />
Betriebsrenten. Verzeichnete die Personalabteilung<br />
nach Bekanntgabe der drohenden<br />
Privatisierungsverhandlungen einen Rückgang<br />
von qualifizierten Bewerbern, stieg deren Zahl<br />
nach dem Gemeinderatsbeschluss wieder an.<br />
»Das Klima der Angst und der Unsicherheit<br />
für das Personal wandelte sich dadurch wieder<br />
in Zuversicht«, so Müller. Doch sei die Kuh<br />
noch lange nicht vom Eis. Der Notstand in der<br />
Pflege hat sich nicht plötzlich in Luft aufgelöst<br />
und die Belastung der Mitarbeiter ebenso<br />
wenig. Jetzt müsse die Vereinbarung gelebt<br />
werden. Ziel sei es, eine schwarze Null zu erreichen.<br />
Die Betriebsrätin verweist zudem auf<br />
weiteren dringenden Reformbedarf und mögliche<br />
Entwicklungen im Gesundheitswesen, die<br />
nach der Bundestagswahl anstehen könnten.<br />
Das Klinikum Esslingen ist also erstmal vom<br />
Tropf, jetzt muss sich zeigen, ob die verordnete<br />
Arznei anschlägt. v<br />
Christof Herrmann, Kommunikationsberater<br />
mit den Themen<br />
Arbeit, Recht und Wirtschaft.<br />
kommunikation@sc-herrmann.de<br />
terminhinweis<br />
Der Deutsche Betriebsräte-Preis<br />
2017 wird am<br />
14. Dezember 2017 verliehen.<br />
Erneut in Kooperation<br />
von Bund-Verlag,<br />
DGB, Otto Brenner Stiftung<br />
und m5 consulting.<br />
Ver anstaltungsort ist<br />
der Deutsche BetriebsräteTag,<br />
der vom<br />
12. bis 14. Dezember 2017<br />
in Bonn stattfindet.<br />
Informationen:<br />
www.betriebsraetetag.de<br />
Informationen zu<br />
Projekten und Teilnahmebedingungen<br />
unter<br />
www.dbrp.de<br />
55
echtsprechung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
expertenrat<br />
Antworten auf<br />
Ihre Fragen<br />
Kann der Betriebsrat ein<br />
Ordnungsgeld verlangen, weil<br />
der Arbeitgeber die Pausenregelung<br />
nicht einhält?<br />
Rechtfertigt die Bezeichnung<br />
des Geschäftsführers<br />
als »soziales Arschloch«<br />
eine fristlose Kündigung?<br />
Silvia Mittländer ist Fachanwältin<br />
für Arbeitsrecht<br />
in Frankfurt am Main.<br />
www.steiner-mittlaender.de<br />
Sie beantwortet aus ge <br />
wählte Fragen an dieser<br />
Stelle. Wenn Sie auch Fragen<br />
an unsere Expertin haben,<br />
schreiben Sie uns unter<br />
redaktion@aib-web.de<br />
antwort Ja, immer dann, wenn eine Pausenregelung<br />
in einer Betriebsvereinbarung (BV) festgelegt<br />
ist. So hat es das Landesarbeitsgericht<br />
(LAG) Berlin entschieden. 1 Der Betriebsrat (BR)<br />
eines Krankenhauses hat mit diesem eine BV<br />
zur Dienstplangestaltung abgeschlossen. Sie<br />
sieht vor, dass die Beschäftigten während der<br />
Schicht innerhalb eines bestimmten zeitlichen<br />
Rahmens eine 30-minütige Pause erhalten.<br />
Das wurde oft nicht eingehalten. Der BR hat<br />
sich gewehrt und im Rahmen eines Arbeitsgerichtsverfahrens<br />
erreicht, dass der Arbeitgeber<br />
auf die Pausen Rücksicht nehmen musste und<br />
keine Arbeit verlangen durfte. Trotzdem wurde<br />
die Pausenregelung weiter nicht eingehalten.<br />
Daher hat der BR beim Gericht ein Ordnungsgeld<br />
in mehreren Fällen beantragt und Recht<br />
bekommen. Das Krankenhaus wehrte sich mit<br />
der Argumentation, dass es wegen der Personalsituation<br />
kurzfristig nicht möglich sei, eine<br />
Vertretung für die Pause zu organisieren. Dies<br />
hat das LAG nicht gelten lassen und eindeutig<br />
festgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet<br />
ist, die BV durchzuführen. Er ist Herr des Betriebs<br />
und muss diesen so organisieren, dass<br />
die Einhaltung der vereinbarten Pausen möglich<br />
ist. Trotz Kenntnis darüber, dass Pausen<br />
häufig nicht realisiert werden können, hat<br />
weder die Pflegedienstleitung reagiert noch<br />
waren sonstige Maßnahmen des Arbeitgebers<br />
erkennbar, um die Umsetzung der BV sicherzustellen.<br />
Hierin ist eine schuldhafte Pflichtverletzung<br />
des Arbeitgebers zu erkennen, die<br />
zu einem Ordnungsgeld führt.<br />
antwort Ja, und zwar auch bei langer Betriebszugehörigkeit,<br />
so das Landesarbeitsgericht<br />
(LAG) Schleswig-Holstein. 2 Der Kläger war<br />
in einem familiengeführten Kleinbetrieb tätig,<br />
in dem die Söhne des früheren Inhabers<br />
Geschäftsführer sind. Der Vater arbeitet noch<br />
mit. Am Abend erbat der Kläger beim Seniorchef<br />
Hilfe bei einem technischen Problem und<br />
bekam keine für ihn befriedigende Antwort.<br />
Am Folgetag traf er auf einen der Geschäftsführer.<br />
Es kam zu einer Auseinandersetzung,<br />
in der der Kläger sagte, der Seniorchef habe<br />
ihn wie »ein Arsch« behandelt und der Junior<br />
sei auf dem Weg, seinem Vater den Rang abzulaufen.<br />
Man solle ihm doch kündigen. Auf<br />
die Erwiderung des Geschäftsführers, dass sie<br />
hierdurch wie »soziale Arschlöcher« aussehen,<br />
sagte der Kläger, dass dies so schon sei.<br />
Nachdem er sich nach drei Tagen nicht entschuldigte,<br />
erhielt er eine fristlose Kündigung.<br />
Die Kündigungsschutzklage blieb erfolglos.<br />
Die Bezeichnung als »soziale Arschlöcher«<br />
stellt eine Beleidigung dar und ist nicht von<br />
der Meinungsäußerung gedeckt. Die Beleidigung<br />
– so das LAG – geschah nicht im Affekt,<br />
denn diese erfolgte am nächsten Tag. Eine<br />
Abmahnung – so das LAG weiter – ist nicht<br />
notwendig, da der Kläger sich bis zuletzt nicht<br />
entschuldigte. Trotz langer, mehr als 23-jähriger<br />
Betriebszugehörigkeit und einem Alter von<br />
mehr als 60 Jahren ist die fristlose Kündigung<br />
auch deshalb verhältnismäßig, weil es sich um<br />
einen Kleinbetrieb handelt, bei dem sich die<br />
Parteien nicht aus dem Weg gehen können.<br />
1 LAG Berlin 5.4.2017 – 15 Ta1522/16. 2 LAG Schleswig-Holstein 24.1.2017 – 3 Sa 244/16.<br />
56
AiB 7-8 | 2017<br />
rechtsprechung<br />
kündigungsrecht<br />
Falsche Unterrichtung des Betriebsrats<br />
BAG, Urteil vom 16.7.2015 – 2 AZR 15/15<br />
Der Betriebsrat ist dann nicht ordnungsgemäß vor einer Kündigung angehört worden,<br />
wenn der Arbeitgeber ihm bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende Tatsachen<br />
mitteilt, bei denen der Arbeitgeber es für möglich hielt, sie seien unrichtig.<br />
Der Kläger war seit 1998 als Produktionsmitarbeiter<br />
bei der Beklagten beschäftigt. Er fehlte<br />
immer wieder krankheitsbedingt sehr lange.<br />
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis<br />
fristgemäß. Im vorangegangenen Anhörungsverfahren<br />
unterrichtete sie den Betriebsrat<br />
über ihre Kündigungsabsicht, teilte die Fehlzeiten<br />
mit und gab an, als Grund für die Arbeitsunfähigkeits<br />
(AU)-Zeiten habe der Kläger<br />
Kopfschmerzen angegeben. Im Anhörungsschreiben<br />
heißt es weiter: »Wir haben dann<br />
nach dem letzten Rückkehrgespräch… beschlossen,<br />
Herrn N. bei unserer Werksärztin …<br />
vorzustellen. Dieser Termin fand am 16.1.2012<br />
statt. Herrn N wurde empfohlen, sich von einem<br />
Spezialisten untersuchen zu lassen und<br />
gezielt mit einer Therapie gegen den Kopfschmerz<br />
vorzugehen… Diese Schmerztherapie<br />
wurde aber bereits nach kurzer Zeit von Herrn<br />
N abgebrochen, der Folgetermin im Werkarztzentrum<br />
… nicht wahrgenommen. Herr N hat<br />
damit nach unserer Einschätzung nicht alles<br />
getan, um seine Arbeitskraft vollständig wiederherzustellen.<br />
1<br />
Falsche Tatsachenbehauptungen<br />
Tatsächlich hatte der Kläger bereits ein Kopfschmerzzentrum<br />
aufgesucht und von diesem<br />
auch eine Therapieempfehlung erhalten, bevor<br />
er sich bei der Betriebsärztin vorstellte.<br />
Im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses<br />
wurde klar, dass die Werksärztin dem Kläger<br />
nicht empfohlen hatte, sich von einem Spezialisten<br />
untersuchen zu lassen. Das hatte die<br />
Arbeitgeberin aber gegenüber dem Betriebsrat<br />
behauptet. Als Grund für die fehlerhafte<br />
Unterrichtung des Betriebsrats gab die Arbeitgeberin<br />
an, ihr Personalleiter sei einem<br />
Missverständnis unterlegen. Das BAG stellt<br />
1 Zitiert nach der Entscheidung der Vorinstanz: LAG Hamm – 7<br />
Sa 206/14.<br />
fest, dass die Fehlinformation des Betriebsrats<br />
Bedeutung für dessen Stellungnahme hatte.<br />
Der Betriebsrat musste den Eindruck gewinnen,<br />
dass der Kläger nicht bereit sei, eine<br />
Schmerztherapie durchzuführen. Dies hat<br />
ihn möglicherweise davon abgehalten, dem<br />
Arbeitgeber Vorschläge zur Vermeidung der<br />
Kündigung zu unterbreiten.<br />
Anhörung nicht ordnungsgemäß?<br />
Damit kam es darauf an, ob die Kündigung unwirksam<br />
ist, weil die Beklagte das Anhörungsverfahren<br />
nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß<br />
durchgeführt hat.<br />
Ausgangspunkt ist nach der Rechtsprechung<br />
des BAG der Grundsatz, dass der Arbeitgeber<br />
dem Betriebrat die Tatsachen mitteilen<br />
muss, die aus seiner Sicht die Kündigung<br />
rechtfertigen. Bewusst falsch oder irreführend<br />
darf der Betriebsrat, so das BAG, nicht unterrichtet<br />
werden. Andererseits, so ebenfalls das<br />
BAG, führt eine unbewusste Fehlinformation<br />
des Betriebsrats nicht dazu, dass die Unterrichtung<br />
nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht<br />
ordnungsgemäß ist. Eine weitere Variante, bei<br />
der die Anhörung fehlerhaft ist, liegt vor, wenn<br />
der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen<br />
Stellungnahme relevante Tatsachen nicht mitgeteilt<br />
hat und dann erklärt, diese Tatsachen<br />
seien für seine Kündigungsentscheidung nicht<br />
relevant gewesen. Dazu hat das BAG bereits<br />
entschieden, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat<br />
solche Tatsachen nicht vorenthalten<br />
darf. In diesem Fall konnte das BAG weder<br />
davon ausgehen, dass der Arbeitgeber den<br />
Betriebsrat bewusst falsch oder irreführend<br />
unterrichtet hat, noch, dass die Fehlinformation<br />
unbewusst erfolgt ist. Vielmehr war nicht<br />
nachvollziehbar, wie es überhaupt zu dem (an<br />
aus dem gesetz<br />
§ 102 BetrVG<br />
(1) Der Betriebsrat ist vor<br />
jeder Kündigung zu hören.<br />
Der Arbeitgeber hat<br />
ihm die Gründe für die<br />
Kündigung mit zuteilen.<br />
Eine ohne Anhörung<br />
des Betriebsrats ausgesprochene<br />
Kündigung ist<br />
unwirksam.<br />
(2) Hat der Betriebsrat<br />
gegen eine ordentliche<br />
Kündigung Bedenken,<br />
so hat er diese unter<br />
Angabe der Gründe dem<br />
Arbeitgeber spätestens<br />
innerhalb einer Woche<br />
schriftlich mitzuteilen.<br />
Äußert er sich innerhalb<br />
dieser Frist nicht, gilt<br />
seine Zustimmung zur<br />
Kündigung als erteilt. Hat<br />
der Betriebsrat gegen<br />
eine außerordentliche<br />
Kündigung Bedenken, so<br />
hat er diese unter Angabe<br />
der Gründe dem Arbeitgeber<br />
unverzüglich, spätestens<br />
jedoch innerhalb<br />
von drei Tagen, schriftlich<br />
mitzuteilen. Der Betriebsrat<br />
soll, soweit dies<br />
erforderlich erscheint,<br />
vor seiner Stellungnahme<br />
den betroffenen Arbeitnehmer<br />
hören. § 99 Abs. 1<br />
Satz 3 gilt entsprechend.<br />
(...)<br />
57
echtsprechung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
aib-web.de<br />
}}<br />
Mehr zum Thema<br />
Welche Möglichkeiten<br />
der Betriebsrat bei<br />
Kündigungen hat, lesen<br />
Sie im Beitrag »Sich<br />
rühren und tätig werden«<br />
von Nadine Burgsmüller,<br />
AiB 7-8/2014, S. 15–18.<br />
auf aib-web.de ><br />
Zeitschriften<br />
geblichen) Missverständnis kommen konnte.<br />
In Betracht kommt nach der Entscheidung<br />
des BAG auch, dass der Personalleiter es für<br />
möglich hielt, dass seine Mitteilung gegenüber<br />
dem Betriebsrat nicht der Wahrheit entspricht<br />
und er dies billigend in Kauf genommen hat.<br />
Da der Beklagten Gelegenheit gegeben werden<br />
musste, hierzu weiter vorzutragen, wurde<br />
die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das<br />
LAG zurückverwiesen. Stellt sich dort heraus,<br />
dass der Personalleiter es für möglich gehalten<br />
hat, dass seine Angaben gegenüber dem Betriebsrat<br />
falsch sind, ist das Anhörungsverfahren<br />
fehlerhaft und die Kündigung unwirksam.<br />
}}<br />
Bedeutung für die Praxis<br />
Missverständnisse begleiten unsere tägliche<br />
Kommunikation. Das Urteil steht in einer<br />
Reihe von Entscheidungen, die verdeutlichen,<br />
dass Betriebsräte kritisch prüfen<br />
müssen, ob die ihnen im Anhörungsverfahren<br />
nach § 102 Abs. 1 BetrVG erteilten<br />
Informationen richtig sind. Soweit dies<br />
möglich ist, sollten Betriebsräte daher von<br />
ihrem Recht, den Arbeitnehmer vor Ablauf<br />
der Anhörungsfrist und eventuellen Abgabe<br />
einer Stellungnahme anzuhören (§ 102<br />
Abs. 2 Satz 4 BetrVG), Gebrauch machen.<br />
Im Kündigungsschutzverfahren werden die<br />
Arbeitsgerichte wahrscheinlich selten klären<br />
können, ob ein Arbeitgeber an die Richtigkeit<br />
der dem Betriebsrat mitgeteilten,<br />
tatsächlich falschen, Information geglaubt<br />
hat, oder ob er es für möglich gehalten hat,<br />
dass die Information falsch ist. Von besonderer<br />
Wichtigkeit ist daher, dass der Arbeitgeber,<br />
die Beweislast für seine Gutgläubigkeit<br />
trägt. Kann er nicht beweisen, dass er<br />
es nicht für möglich gehalten hat, dass die<br />
Information falsch ist, geht dies zu seinen<br />
Lasten. Das heißt, die Kündigung ist nach<br />
§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.<br />
Ingrid Heinlein, Vors. Richterin am Landes <br />
arbeitsgericht a.D., Rechtsanwältin,<br />
Anwaltsbüro Bell & Windirsch, Düsseldorf.<br />
verschmelzung<br />
Verschmelzung und Tarifvertrag<br />
BAG, Urteil vom 15.6.2016 – 4 AZR 805/114<br />
Wird ein Unternehmen, bei dem ein Haustarifvertrag gilt, auf ein anderes Unternehmen verschmolzen,<br />
gilt der Haustarifvertrag beim aufnehmenden – bisher tariflosen – Unternehmen<br />
weiter. Dieses ist dann tarifgebunden, das heißt, dass der Haustarifvertrag auch für die Arbeitsverhältnisse<br />
der bei ihm beschäftigten Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft gilt.<br />
Die IG Metall hatte mit dem Unternehmen<br />
der S-GmbH im Dezember 2011 einen Haustarifvertrag<br />
(HTV) vereinbart. Im Geltungsbereich<br />
dieses HausTV hieß es auszugsweise:<br />
»§ 1 Dieser Haustarifvertrag gilt für alle in<br />
der Firma S-GmbH beschäftigten Arbeiter/<br />
innen, Angestellten und Auszubildenden, die<br />
Mitglied der IG Metall sind…« Mit dem Haus<br />
TV galten die Tarifverträge für das Tarifgebiet<br />
Südbaden der Metall- und Elektroindustrie<br />
für die Beschäftigten der S-GmbH – soweit sie<br />
Mitglied der IG Metall waren – in der jeweils<br />
gültigen Fassung. Hinsichtlich der Dauer der<br />
Arbeitszeit und Übernahme der Entgelterhöhungen<br />
aus der Fläche waren abweichende<br />
Bestimmungen und Verfahrensregeln im Haus<br />
TV vereinbart. Die A-GmbH und Beklagte in<br />
diesem Rechtsstreit führte am Standort B mit<br />
der S-GmbH einen gemeinsamen Betrieb.<br />
Die A-GmbH war weder Mitglied in einem<br />
58
AiB 7-8 | 2017<br />
rechtsprechung<br />
Arbeitgeberverband noch hatte sie selbst einen<br />
HausTV oder FirmenTV abgeschlossen.<br />
Im Juni/Juli 2012 übertrug die S-GmbH als<br />
übertragende Gesellschaft ihr Vermögen als<br />
Ganzes mit allen Rechten und Pflichten unter<br />
Auflösung ohne Abwicklung nach §§ 2 ff, 46 ff<br />
Umwandlungsgesetz (UmwG) auf die Beklagte<br />
als übernehmende Gesellschaft (Verschmelzungsvertrag).<br />
Im Mai 2013 hat die IG Metall der A-GmbH<br />
mitgeteilt, dass ein neuer Entgelttarifvertrag<br />
für das Tarifgebiet vereinbart wurde und dieser<br />
nun über den HausTV vom Dezember 2011 in<br />
der A-GmbH anzuwenden ist. Der Inhalt des<br />
Entgelt-TV wurde der Beklagten als Anlage zu<br />
diesem Schreiben übermittelt. Mit undatiertem<br />
Schreiben äußerte die A-GmbH daraufhin, sie<br />
betrachte das Schreiben der IG Metall als »gegenstandslos«<br />
da »eine originäre Tarifbindung<br />
nicht mehr« bestehe. Die IG Metall erwiderte,<br />
dass der HausTV nicht nur auf diejenigen<br />
Mitglieder anzuwenden sei, die vormals in einem<br />
Arbeitsverhältnis zur S-GmbH standen,<br />
sondern nunmehr auch auf alle ihre bei der<br />
A-GmbH beschäftigten Mitglieder gelten würde.<br />
Die A-GmbH sei in die Stellung als Partei<br />
des unternehmensweit geltenden HausTV in<br />
alle Rechte der S-GmbH eingerückt. Der Geltungsbereich<br />
des HausTV beziehe sich auf das<br />
Unternehmen der A-GmbH als Ganzes.<br />
Die A-GmbH hat wohl anerkannt, dass sie<br />
nach der Verschmelzung zwar im Verhältnis zu<br />
den vormals bei der S-GmbH beschäftigten IG<br />
Metall-Mitgliedern an den HausTV gebunden<br />
sei, nicht jedoch hinsichtlich der originär bei<br />
ihr beschäftigten und nachfolgend neu eingestellten<br />
IG Metall-Mitglieder.<br />
Haustarifvertrag gilt auch für die A-GmbH<br />
Das BAG entschied, dass die A-GmbH aufgrund<br />
der Verschmelzung der S-GmbH auf die<br />
A-GmbH in die Stellung der S-GmbH als Partei<br />
des HausTV eingetreten ist. Das hat zur Folge,<br />
dass die sich aus dem HausTV ergeben den<br />
Rechte und Pflichten für die A-GmbH selbst<br />
gelten. Dies bedeutet, dass der HausTV vom<br />
Dezember 2011 – abgeschlossen zwischen der<br />
S-GmbH und der IG Metall – wegen der Verschmelzung<br />
nicht nur für die Beschäftigten der<br />
ehemaligen S-GmbH gilt, sondern jetzt auch<br />
auf die Beschäftigten der A-GmbH anzuwenden<br />
ist, die bereits vor der Verschmelzung dort<br />
beschäftigt und Mitglied der IG Metall waren.<br />
}}<br />
Praxistipp<br />
Der erfreulichen Entscheidung des BAG lag<br />
sicherlich ein nicht häufig vorkommender<br />
Sachverhalt zugrunde; die Entscheidung selber<br />
konnte aber nicht überraschen. Bereits<br />
im Juni 1998 hat das BAG ausgeführt, dass<br />
bei einer Verschmelzung im Wege der Neugründung<br />
ein Firmentarifvertrag wegen der<br />
vom Gesetz (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) angeordneten<br />
Gesamtrechtsnachfolge auf den<br />
neu gegründeten Rechtsträger übergeht. Der<br />
Tarifvertrag wirkt dann kollektivrechtlich<br />
fort. Der übernehmende Betrieb rückt wegen<br />
der Gesamtrechtsnachfolge in den mit dem<br />
alten Betrieb abgeschlossenen Firmentarifvertrag<br />
ein. Der übernehmende Rechtsträger<br />
wird also Partei des für den übertragenden<br />
Rechtsträger geltenden Firmentarifvertrags. 1<br />
Die Besonderheit in der Entscheidung von<br />
1998 war, dass der übernehmende Rechtsträger<br />
nicht nur eine Neugründung, sondern<br />
auch ohne Arbeitsverhältnisse und Produktionsmittel<br />
war. Diese Rechtsprechung wurde<br />
in einer weiteren Entscheidung 2 und in der<br />
Fachliteratur bestätigt. 3<br />
Das sollte beachtet werden<br />
So erfreulich das Ergebnis des Rechtsstreits<br />
um die Fortwirkung und damit ein Eintreten<br />
des übernehmenden Unternehmens in<br />
alle sich aus dem FirmenTV des verschmolzenen<br />
Unternehmens ergebenden Rechte<br />
und Pflichten 4 auch ist, so bleiben eine Reihe<br />
von nicht nur juristischen Fragen und<br />
Problemen, die in ähnlich gelagerten Fällen<br />
beachtet werden sollten.<br />
Als da sind:<br />
· Wie genau lautet der Geltungsbereich des<br />
Haus- oder Firmentarifvertrags, den die zu<br />
übertragende Gesellschaft mit der Gewerkschaft<br />
vereinbart hat?<br />
· Enthält der HausTV oder FirmenTV Beschränkungen<br />
der Tarifgeltung? Diese<br />
könnten im persönlichen, räumlichen,<br />
fachlichen oder sachlichen Geltungsbereich<br />
liegen.<br />
· Weiter muss überprüft werden, ob der<br />
übernehmende Rechtsträger nicht eventuell<br />
selber Partei eines Haus- oder Firmenta<br />
definition<br />
Verschmelzung durch<br />
Übertragung<br />
Die Verschmelzung ist<br />
der klassische Fall der<br />
übertragenden Umwandlung.<br />
Im Fall der<br />
Verschmelzung durch<br />
Aufnahme wird das<br />
ganze Vermögen eines<br />
Rechtsträgers auf einen<br />
anderen Rechtsträger<br />
übertragen. Gleichzeitig<br />
geht der bisherige<br />
Rechtsträger unter. Vermögen<br />
in diesem Sinne<br />
umfasst nicht nur das<br />
Aktivvermögen, sondern<br />
auch alle Verbindlichkeiten.<br />
Zu diesen Verbindlichkeiten<br />
gehören auch<br />
die abgeschlossenen<br />
Firmentarifverträge.<br />
1 BAG 24.6.1998 – 4 AZR 208/97; AiB 1999, 236ff.<br />
2 BAG 4.7.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307ff.<br />
3 Franzen in ErfK, TVG § 3, Rn. 15; Oetker in ErfK, UmwG § 122<br />
Rdnr 4.<br />
4 BAG 15.6.2016 4 AZR 805/114, Rdnr. 37.<br />
59
echtsprechung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
rifvertrags mit derselben oder einer anderen<br />
Gewerkschaft ist.<br />
· Ähnliches gilt, wenn der übernehmende<br />
Rechtsträger seinerseits Mitglied eines<br />
tarifschließenden Arbeitgeberverbandes ist.<br />
Und letztlich steht die gewerkschaftspolitische<br />
Frage, wie der durch die Verschmelzung<br />
sozusagen »über Nacht« gekommene Tarifvertrag<br />
die Herzen und Köpfe der Beschäftigten<br />
erreicht. Eine »Tarifbindung über Nacht«<br />
gab es eigentlich noch nie. Vielmehr waren<br />
und sind Tariferfolge und deren Durchsetzung<br />
immer nur mit dem Engagement der<br />
Beschäftigten möglich.<br />
Ulrich Petri, Ass.jur., Stuttgart.<br />
betriebsverfassung<br />
Rechte beim Einsatz von Fremdpersonal<br />
BAG, Beschluss vom 8.11.2016 – 1 ABR 57/14<br />
gesetzestext<br />
Eine Einstellung liegt vor, wenn ein Beschäftigter so in die betriebliche Arbeitsorganisation<br />
integriert ist, dass der Arbeitgeber das für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht<br />
innehat und die Entscheidung über den Einsatz nach Inhalt, Ort und Zeit trifft. Das ist<br />
nicht der Fall, wenn Personen im Betrieb des Auftraggebers tätig werden und ihre Dienstleistung<br />
oder das von ihnen zu erstellende Werk nach Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort<br />
in den betrieb lichen Arbeitsprozess eingeplant oder detailliert beschrieben ist.<br />
§ 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG<br />
In Unternehmen mit in<br />
der Regel mehr als zwanzig<br />
wahlberechtigten<br />
Arbeitnehmern hat der<br />
Arbeitgeber den Betriebsrat<br />
vor jeder Einstellung,<br />
Eingruppierung, Umgruppierung<br />
und Versetzung<br />
zu unterrichten, ihm die<br />
erforderlichen Bewerbungsunterlagen<br />
vorzulegen<br />
und Auskunft über<br />
die Person der Beteiligten<br />
zu geben; er hat dem<br />
Betriebsrat unter Vorlage<br />
der erforderlichen Unterlagen<br />
Auskunft über<br />
die Auswirkungen der<br />
geplanten Maßnahme zu<br />
geben und die Zustimmung<br />
des Betriebsrats zu<br />
der geplanten Maßnahme<br />
einzuholen. (...)<br />
Der Betriebsrat begehrt die Aufhebung mehrerer<br />
Einstellungen von Fremdpersonal. Die<br />
Arbeitgeberin löste den Bereich Pforte auf und<br />
übertrug den gesamten Pfortenbereich durch<br />
vertragliche Vereinbarungen auf eine konzernzugehörige<br />
Servicegesellschaft (ASG). Mittels<br />
Werkvertrag übertrug sie der ASG die regelhaft<br />
anfallenden Arbeiten am Empfang des A-Fachklinikums<br />
sowie die Leitung der Hauptpforte.<br />
Die ASG setzt daraufhin in der Pforte die bei ihr<br />
angestellten Arbeitnehmer A, B, C, und D ein.<br />
Der Betriebsrat machte geltend, dass die im<br />
Bereich Pforte eingesetzten Arbeitnehmer der<br />
ASG vom Klinikpersonal ablauf- und personenbezogene<br />
Weisungen erhielten. Das Arbeitsgericht<br />
hat den Aufhebungsantrag abgewiesen.<br />
Das LAG hat die dagegen gerichtete<br />
Beschwerde des Betriebsrats abgewiesen. Dessen<br />
Rechtsbeschwerde beim BAG war erfolglos.<br />
Der Einsatz der Arbeit nehmer der ASG<br />
im Betrieb der Arbeitgeberin bedarf – so das<br />
BAG – nicht der Zustimmung des Betriebsrats.<br />
Diese sind nicht nach § 99 Abs. 1 BetrVG<br />
eingestellt. Eine Einstellung nach § 99 Abs. 1<br />
Satz 1 BetrVG liegt vor, wenn Personen in den<br />
Betrieb eingegliedert werden, um zusammen<br />
mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern<br />
dessen arbeitstechnischen Zweck durch<br />
weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen.<br />
Eingegliedert ist, wer eine ihrer Art nach<br />
weisungsgebundene Tätigkeit verrichtet, die<br />
der Arbeitgeber organisiert. Der Beschäftigte<br />
muss so in die betriebliche Arbeitsorganisation<br />
integriert sein, dass der Arbeitgeber das für<br />
ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht<br />
ausübt und die Entscheidung über den Einsatz<br />
nach Inhalt, Ort und Zeit trifft.<br />
Eine Eingliederung in den Betrieb und dessen<br />
Organisation ist allerdings nicht schon dann<br />
anzunehmen, wenn Personen im Betrieb des<br />
Auftraggebers tätig werden und ihre Dienstleistung<br />
oder das von ihnen zu erstellende Werk<br />
nach Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den<br />
betrieblichen Arbeitsprozess eingeplant oder<br />
detailliert beschrieben ist. Es genügen auch weder<br />
die enge räumliche Zusammenarbeit von<br />
Arbeitnehmern im Betrieb noch die Einweisung<br />
und Koordination des Fremdfirmeneinsatzes<br />
60
AiB 7-8 | 2017<br />
rechtsprechung<br />
durch Beschäftigte des Betriebsinhabers oder<br />
der Umstand, dass die betreffende Tätigkeit<br />
bislang von Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs<br />
ausgeführt wurde und zu bestimmten<br />
Zeiten weiterhin von diesen durchgeführt wird.<br />
Wichtig: Weisungsrecht des Arbeitgebers<br />
Das Erteilen von Anweisungen an die vier<br />
Arbeit nehmer der ASG führt hier nicht zwingend<br />
zur Eingliederung. Auch ein Werkbesteller<br />
kann, wie § 645 Abs. 1 Bürgerliches Gesetz buch<br />
(BGB) normiert, dem Werkunternehmer selbst<br />
oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen<br />
für die Ausführungen des Werks erteilen. Abzugrenzen<br />
sind diese von arbeitsvertraglichen<br />
Weisungen und der Ausübung des Direktionsrechts.<br />
Hier gehen die vorgetragenen Weisungsbeispiele<br />
nicht über das hinaus, was Werkbesteller<br />
dem Werkunternehmer selbst oder<br />
dessen Erfüllungsgehilfen für die Ausführungen<br />
der geschuldeten Leistung erteilen dürfen.<br />
}}<br />
Praxistipp<br />
Abgrenzen beim Fremdpersonaleinsatz<br />
Gerade in Zeiten, in denen Stammbelegschaften<br />
abgebaut und durch Fremdpersonal<br />
– zunehmend auch Werkvertragsarbeitnehmer<br />
– ersetzt werden, ist die Beteiligung<br />
des Betriebsrats wichtig. Die vertragliche<br />
Grundlage für den Einsatz von Personen<br />
im Betrieb ist dabei für die Frage, ob eine<br />
zustimmungspflichtige Einstellung vorliegt,<br />
nicht maßgebend. Es kommt auf das arbeitgeberseitige<br />
Weisungsrecht an. Wird dieses<br />
vom Arbeitgeber im Einsatzbetrieb ausgeübt,<br />
liegen eine Eingliederung und damit<br />
eine Einstellung vor. Das gilt beispielsweise<br />
beim Einsatz von Leiharbeitnehmern.<br />
Schwierigkeiten beim Werkvertrag<br />
Erfolgt der Fremdpersonaleinsatz aufgrund<br />
Dienst- oder Werkvertrag, ist die Abgrenzung<br />
schwieriger. Allein der Einsatz von<br />
Beschäftigten, die wegen eines Dienst- oder<br />
Werkvertrags ihres Vertragsarbeitgebers auf<br />
dem Betriebsgelände eines anderen Arbeitgebers<br />
tätig sind, führt noch nicht zu deren<br />
Eingliederung. Dies ist auch dann nicht der<br />
Fall, wenn die von ihnen zu erbringenden<br />
Dienst- oder Werkleistungen hinsichtlich<br />
Art, Umfang, Güte, Zeit und Ort in den betrieblichen<br />
Arbeitsprozess eingeplant sind.<br />
Für die Annahme der Eingliederung müssen<br />
sie vielmehr dem Weisungsrecht nach<br />
§ 106 Gewerbeordnung der Arbeitgeberin<br />
im Einsatzbetrieb unterliegen.<br />
Wichtige Anhaltspunkte<br />
Anhaltspunkte für die betriebsverfassungsrechtlich<br />
relevante Arbeitgeberstellung<br />
sind, wenn der Betriebsinhaber veranlasst,<br />
dass das Fremdpersonal<br />
· über das vertraglich Vereinbarte hinausgehende<br />
Leistungen erbringt<br />
· in den Dienstplan des Einsatzbetriebs<br />
einbezogen wird<br />
· Einrichtungen des Betriebsinhabers<br />
(Tankstelle, Kantine, Sozialräume) nutzt<br />
· eine einheitlichen Dienstkleidung trägt<br />
oder<br />
· in den Urlaubsplan aufgenommen wird.<br />
Das muss in jedem Einzelfall geprüft werden.<br />
Prüfung künftig leichter<br />
Der Betriebsrat hat beim Fremdpersonaleinsatz<br />
seit dem 1. April 2017 weitergehende<br />
Informationsrechte. So ist er nicht mehr nur<br />
über die Beschäftigung von Personen, die<br />
nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber<br />
stehen, zu unterrichten, sondern nunmehr<br />
auch über den zeitlichen Umfang des<br />
Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben<br />
dieser Personen. Zudem sind ihm die<br />
Verträge, die der Beschäftigung dieser Personen<br />
zugrunde liegen, auf Verlangen vorzulegen.<br />
Mit diesen Informationen kann der Betriebsrat<br />
künftig viel einfacher prüfen, ob der<br />
jeweilige Fremdpersonaleinsatz als Einstellung<br />
nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu qualifizieren<br />
ist. Und: Missachtet der Arbeitgeber die<br />
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei<br />
personellen Einzelmaßnahmen, kann der<br />
Betriebsrat nach § 101 BetrVG beim Arbeitsgericht<br />
die Aufhebung der mitbestimmungswidrigen<br />
Maßnahme beantragen.<br />
Michael Kröll, Rechtsanwalt und Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht, Frankfurt am Main.<br />
aus dem gesetz<br />
§ 80 Abs. 2 BetrVG<br />
Zur Durchführung seiner<br />
Aufgaben nach diesem<br />
Gesetz ist der Betriebsrat<br />
rechtzeitig und umfassend<br />
vom Arbeitgeber<br />
zu unterrichten; die<br />
Unterrichtung erstreckt<br />
sich auch auf die Beschäftigung<br />
von Personen, die<br />
nicht in einem Arbeitsverhältnis<br />
zum Arbeitgeber<br />
stehen, und umfasst<br />
insbesondere den<br />
zeitlichen Umfang des<br />
Einsatzes, den Einsatzort<br />
und die Arbeitsaufgaben<br />
dieser Personen.<br />
(...)<br />
61
echtsprechung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
einstweilige verfügung<br />
Einstweilige Verfügung bei Nichtbeachtung<br />
der Mitbestimmung zulässig<br />
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.7.2016 – 7 TaB-VGa 520/16 (rechtskräftig)<br />
Stellt ein Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegen heiten<br />
nach § 87 Abs. 1 BetrVG gänzlich in Abrede und übergeht er diesen bei entsprechenden<br />
Maßnahmen, kann der Betriebsrat hiergegen eine einstweilige Verfügung beantragen.<br />
gesetzestext<br />
§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG<br />
Der Betriebsrat hat,<br />
soweit eine gesetzliche<br />
oder tarifliche Regelung<br />
nicht besteht, in<br />
folgenden Angelegenheiten<br />
mitzubestimmen:<br />
1. Fragen der Ordnung<br />
des Betriebs und des Verhaltens<br />
der Arbeit nehmer<br />
im Betrieb;<br />
(...)<br />
Die Arbeitgeberin betreibt Callcenter und untersagte<br />
den Beschäftigten per Mail das Essen<br />
am Arbeitsplatz. Für das Essen und die Vorbereitung<br />
von Speisen stünde die Küche zur<br />
Verfügung. Der Betriebsrat wies sofort auf das<br />
ihm zustehende Mitbestimmungsrecht hin.<br />
Die Arbeitgeberin argumentierte mit Hygieneund<br />
Gesundheitsschutzbestimmungen. Daraufhin<br />
beantragte der Betriebsrat bei Gericht,<br />
es der Arbeitgeberin per einstweiliger Verfügung<br />
zu untersagen, den Beschäftigten durch<br />
Anordnung die Einnahme von Essen am Arbeitsplatz<br />
zu verbieten. In dem Verfahren hat<br />
die Arbeitgeberin das Bestehen von Mitbestimmungsrechten<br />
bestritten. In Bestätigung<br />
des Arbeitsgerichts hat das LAG den Unterlassungsanspruch<br />
bejaht.<br />
Essen am Arbeitsplatz<br />
Nach Auffassung der LAG-Richter ergibt sich<br />
das Mitbestimmungsrecht beim Essensverbot<br />
am Arbeitsplatz aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG<br />
(Fragen der Ordnung des Betriebs und des<br />
Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb). Im<br />
Rahmen dieser Entscheidung hat das LAG unter<br />
Hinweis auf die ständige Rechtsprechung<br />
des BAG 1 festgestellt, dass nur die Maßnahmen<br />
nicht mitbestimmungspflichtig sind, die das Arbeitsverhalten<br />
der Arbeitnehmer regeln. Das<br />
heißt, dass sämtliche auf die vertragsgemäße<br />
Erfüllung der Arbeit gerichtete Anweisungen,<br />
Vorgaben oder Anordnungen des Arbeitgebers<br />
mitbestimmungsfrei sind. Bei dem Essensverbot<br />
handelt es sich aber nach Auffassung des LAG<br />
nicht um eine konkrete Arbeitsanweisung, da<br />
diese nicht die unmittelbare Arbeitspflicht der<br />
Arbeitnehmer des Callcenters betrifft.<br />
Maßnahme betrifft Ordnungsverhalten<br />
Vielmehr liegt in der Anweisung der Arbeitgeberin<br />
eine Maßnahme vor, welche das sogenannte<br />
Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer<br />
im Betrieb betrifft. Das Ordnungsverhalten<br />
wird nach der Rechtsprechung des BAG 2 durch<br />
sämtliche Anordnungen betroffen, die das<br />
sonstige Verhalten der Arbeitnehmer koordinieren.<br />
Hierzu zählen sowohl verbindliche<br />
Verhaltensregeln, als auch Maßnahmen, die<br />
das Verhalten der Arbeitnehmer im Rahmen<br />
der betrieblichen Ordnung betreffen und berühren,<br />
ohne Normen für das Arbeitsverhalten<br />
zum Inhalt zu haben.<br />
Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden<br />
Fall gegeben. Die Anweisung der Arbeitgeberin<br />
diente dazu, das Verhalten der Arbeitnehmer<br />
in Bezug auf die betriebliche Ordnung und das<br />
betriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer<br />
zu koordinieren und zu beeinflussen. Die<br />
Arbeitnehmer sollten nicht ihren Arbeitsplatz,<br />
sondern die Küche als Ort der Essenszubereitung<br />
und Essenseinnahme wählen. Ziel der<br />
Anordnung war, ein »gleichmäßiges« Verhalten<br />
der Arbeitnehmer zu erreichen. Auch sollte<br />
das Verhalten der Arbeitnehmer untereinander<br />
geregelt werden, da die am Arbeitsplatz Tätigen<br />
nicht von Essensgerüchen anderer am Arbeitsplatz<br />
essenden Arbeitnehmer gestört werden<br />
sollen. Von daher hat die Arbeitgeberin das<br />
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt.<br />
Abschließend hat das LAG ausdrücklich auf<br />
die Grundsatzentscheidung des BAG vom<br />
3.5.1994 3 hingewiesen, nach der ein Betriebsrat<br />
nicht nur die Beseitigung eines mitbestimmungswidrigen<br />
Zustandes verlangen kann,<br />
sondern dem Betriebsrat auch ein Anspruch<br />
1 BAG 15.4.2014 – 1 ABR 85/12.<br />
2 BAG 15.4.2014, a.a.O.<br />
3 BAG 3.5.1994 – 1 ABR 24/93.<br />
62
AiB 7-8 | 2017<br />
rechtsprechung<br />
auf Unterlassung beabsichtigter und zukünftig<br />
zu erwartender weiterer Verstöße des Arbeitgebers<br />
gegen einen sich aus § 87 Abs. 1 BetrVG<br />
ergebendes Mitbestimmungsrecht hat, das der<br />
Betriebsrat auch im Wege einer einstweiligen<br />
Verfügung geltend machen kann. Der erforderliche<br />
Verfügungsgrund war im vorliegenden<br />
Fall gegeben, da die Arbeitgeberin das Bestehen<br />
eines Mitbestimmungsrechts grundsätzlich<br />
bestritt.<br />
}}<br />
Praxistipp<br />
Anhand dieses Falles wird wieder einmal<br />
deutlich, dass das Einschalten der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />
in vielen Fällen zum Erfolg<br />
in der Sache führt und vor allem die<br />
Arbeitgeberseite den Betriebsrat zumeist<br />
zukünftig auch ernst nimmt. Um letztendlich<br />
nicht als »Papiertiger« zu enden, sollte<br />
jeder Betriebsrat im Fall des Falles nicht lange<br />
fackeln: Sofern hinzugezogene Experten<br />
ein Mitbestimmungsrecht bejahen, sollte<br />
eine Beschlussfassung mit dem Ziel, einen<br />
Rechtsanwalt mit der Durchführung eines<br />
Verfahrens zu beauftragen, erfolgen.<br />
Kernbereich der Mitbestimmung<br />
Schließlich handelt es sich bei den Fällen<br />
des § 87 BetrVG um den Kernbereich der<br />
Mitbestimmung. Von daher sollten auch<br />
sämtliche vom Gesetzgeber eingeräumten<br />
Möglichkeiten genutzt werden, um ein Mitbestimmungsrecht<br />
im Interesse der betroffenen<br />
Arbeitnehmer zu sichern. Bei eindeutigen<br />
Tatbeständen – wie hier – sollte man<br />
den Arbeitgeber auch darauf hinweisen,<br />
dass durch sein Verhalten eine Behinderung<br />
der Betriebsratsarbeit (§ 78 BetrVG)<br />
vorliegt, wobei es sich empfiehlt, spätestens<br />
beim dritten Ignorieren auf mögliche strafrechtliche<br />
Konsequenzen (vgl. § 119 Abs. 1<br />
Nr. 2 BetrVG) hinzuweisen, um die Arbeitgeberseite<br />
zur Räson zu bringen. Auch<br />
kommt im Einzelfall eine grobe Pflichtverletzung<br />
des Arbeitgebers im Sinne des § 23<br />
Abs. 3 BetrVG in Betracht.<br />
Auch in Fällen, bei denen nicht eindeutig<br />
klar ist, ob eine Maßnahme der Mitbestimmung<br />
unterfällt oder mitbestimmungsfrei<br />
ist und mit der Arbeitgeberseite keine vernünftige<br />
Verständigung möglich ist, sollte<br />
der Betriebsrat die Arbeitsgerichtsbarkeit<br />
einschalten oder das für Arbeitgeber kostenintensive<br />
Einigungsstellenverfahren einleiten,<br />
denn auch die Einigungsstelle prüft<br />
das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts<br />
als Vorfrage.<br />
Einer eingehenden Prüfung bedarf es immer<br />
dann, wenn durch Weisung des Arbeitgebers<br />
sowohl das Ordnungsverhalten als auch das<br />
Arbeitsverhalten geregelt werden soll (Doppelcharakter).<br />
Hier muss nach der Rechtsprechung<br />
des BAG 4 genau geprüft werden,<br />
welcher Regelungszweck überwiegt.<br />
Wolf-Dieter Rudolph,<br />
Rechtsanwalt und Referent für BetrVG, Berlin.<br />
4 BAG 23.6.2016 – 1 ABR 18/14.<br />
gesetzestext<br />
§ 23 Abs. 3 BetrVG<br />
Der Betriebsrat oder eine<br />
im Betrieb vertretene<br />
Gewerkschaft können bei<br />
groben Verstößen des<br />
Arbeitgebers gegen seine<br />
Verpflichtungen aus diesem<br />
Gesetz beim Arbeitsgericht<br />
beantragen, dem<br />
Arbeitgeber aufzugeben,<br />
eine Handlung zu unterlassen,<br />
die Vornahme<br />
einer Handlung zu dulden<br />
oder eine Handlung<br />
vorzunehmen. Handelt<br />
der Arbeitgeber der ihm<br />
durch rechtskräftige<br />
gerichtliche Entscheidung<br />
auferlegten Verpflichtung<br />
zuwider, eine Handlung<br />
zu unterlassen oder die<br />
Vornahme einer Handlung<br />
zu dulden, so ist er<br />
auf Antrag vom Arbeitsgericht<br />
wegen einer jeden<br />
Zuwiderhandlung nach<br />
vorheriger Androhung zu<br />
einem Ordnungsgeld zu<br />
verurteilen.<br />
(...)<br />
weiterbildung<br />
Bei Bildungsmaßnahmen mitbestimmen<br />
BAG, Beschluss vom 26.4.2016 – 1 ABR 21/14<br />
Bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung hat der Betriebsrat<br />
nach § 98 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen. Eine betriebliche Berufsbildungsmaßnahme liegt<br />
nicht vor, wenn im Betrieb eine Fortbildung/Schulung eines externen Arbeitnehmers zu dessen<br />
Qualifikation für eine Tätigkeit bei einem externen Unternehmen stattfindet. In diesem<br />
speziellen Fall kann der Betriebsrat nicht mitbestimmen.<br />
63
echtsprechung<br />
AiB 7-8 | 2017<br />
wichtig<br />
Bereits im Rahmen<br />
der Personalplanung<br />
(§ 92 BetrVG) muss der<br />
Betriebsrat rechtzeitig<br />
über vom Arbeitgeber<br />
geplante Maßnahmen<br />
der Ausbildung, Fortbildung<br />
und Um schulung<br />
sowie sonstiger Bildungsmaß<br />
nahmen informiert<br />
werden.<br />
gut zu wissen<br />
Eine betriebliche Berufsbildungsmaßnahme<br />
liegt<br />
auch dann vor, wenn der<br />
Arbeitgeber die Maßnahme<br />
von einem anderen<br />
Unternehmen durchführen<br />
lässt und er dabei auf<br />
Inhalt und Gestaltung der<br />
entsprechenden Maßnahme<br />
beherrschenden<br />
Einfluss hat.<br />
Der Arbeitgeber hatte in seinem Betrieb eine<br />
bei seinem slowakischen Tochterunternehmen<br />
angestellte Arbeitnehmerin zu Schulungs- und<br />
Ausbildungszwecken beschäftigt.<br />
Betriebliche Fortbildung ist mitbestimmt<br />
Der Betriebsrat meinte, dass ihm Mitbestimmungsrechte<br />
bei der Durchführung von Maßnahmen<br />
der betrieblichen Berufsbildung nach<br />
§ 98 Abs. 1 BetrVG zustehen würden. Der Begriff<br />
Berufsbildung umfasst nicht nur Maßnahmen<br />
der Berufsausbildung, sondern erstreckt<br />
sich auch auf sämtliche Maßnahmen der betrieblichen<br />
Fortbildung und Umschulung. Keine<br />
Rolle spielt dabei, wie und wo die Maßnahmen<br />
stattfinden.<br />
BAG verneint ein Mitbestimmungsrecht<br />
Nach Auffassung des BAG handelt es sich hier<br />
nicht um eine »betriebliche« Berufsbildungsmaßnahme.<br />
Das BAG weist daraufhin, dass der<br />
Begriff der betrieblichen Bildungsmaßnahme<br />
funktional zu verstehen ist. Das bedeutet für<br />
das Vorliegen des Mitbestimmungsrechts, dass<br />
der Arbeitgeber nicht nur Träger/Veranstalter<br />
der entsprechenden Bildungsmaßnahme<br />
sein muss, sondern diese Berufsbildungsmaßnahme<br />
auch für die »eigenen« Arbeitnehmer<br />
durchgeführt wird – zumindest diese bei der<br />
Beteiligung an der jeweiligen Maßnahme Vorrang<br />
haben müssen. Bei ausschließlich für<br />
externe Arbeitnehmer durchgeführte Berufsbildungsmaßnahmen<br />
handelt es sich nicht um<br />
»betriebliche«, da diese nicht für den Betrieb<br />
des Arbeitgebers durchgeführt werden.<br />
Sinn und Zweck<br />
Das BAG weist daraufhin, dass durch die Mitbestimmung<br />
gewährleistet werden soll, dass<br />
Berufsbildungsmaßnahmen Arbeitnehmern,<br />
die einen beruflichen Aufstieg planen oder aber<br />
ihren Arbeitsplatz erhalten wollen, nicht aus<br />
sachwidrigen Gründen vorenthalten werden.<br />
Auch EU-Vorgaben zur Gleichbehandlung von<br />
Leiharbeitnehmern führten nicht zu einem<br />
anderen Ergebnis. Danach sollen die EU-Mitgliedsstaaten<br />
geeignete Maßnahmen treffen,<br />
eine Verbesserung des Zugangs der Leiharbeitnehmer<br />
zu Fort- und Weiterbildungsangeboten<br />
der Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind,<br />
zu erreichen.<br />
}}<br />
Praxistipp<br />
Auf Grund des weiten Begriffs der betrieblichen<br />
Bildungsmaßnahme ergibt sich für den<br />
Betriebsrat eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Das Mitbestimmungsrecht<br />
bezieht sich nicht nur auf die Durchführung<br />
der Maßnahme, sondern auch die Auswahl<br />
der Teilnehmer an einer Berufsbildungsmaßnahme<br />
sowie auch bei der Auswahl der mit<br />
der Durchführung der entsprechenden Qualifikationsmaßnahme<br />
betrauten Personen.<br />
Arbeitgeber vergessen, dass der Betriebsrat<br />
auch bei Inhalt und Umfang der zu vermittelnden<br />
Kenntnisse oder Fähigkeiten<br />
sowie bei Methoden der jeweiligen Wissensvermittlung<br />
und natürlich auch bei der<br />
zeitlichen Dauer und Lage der Maßnahme<br />
im Spiel ist. Nach der Rechtsprechung des<br />
BAG besteht auch eine Mitregelungskompetenz<br />
bei der Abhaltung von betrieblichen<br />
Prüfungen. 1<br />
Der Betriebsrat kann erheblichen Einfluss<br />
bei der Auswahl von Teilnehmern an der<br />
jeweiligen Maßnahme nehmen. Nach § 98<br />
Abs. 3 BetrVG darf er auch, von sich aus<br />
einzelne oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern<br />
für die Teilnahme an Maßnahmen<br />
der Berufsbildung vorschlagen. Es geht<br />
um die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer,<br />
wobei hier auch die Einbeziehung der<br />
Teilzeitkräfte und die länger im Betrieb befindlichen<br />
Leiharbeitnehmer erfolgen soll.<br />
Auch Betriebsratsmitglieder schulen<br />
Im Übrigen: Bei allem Engagement für seine<br />
Wähler sollen sich gerade die gemäß<br />
§ 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder<br />
nicht selbst vergessen, um bei einer<br />
etwaigen Rückkehr in den Arbeitsprozess<br />
nach Möglichkeit keinerlei Qualifikationsdefizite<br />
zu haben. Kommt es bei der Auswahl<br />
der Teilnehmer zu Unstimmigkeiten,<br />
hat der Betriebsrat die Möglichkeit, seine<br />
Vorstellungen mit Hilfe einer für Arbeitgeber<br />
naturgemäß teuren Einigungsstelle<br />
durchzusetzen.<br />
Im Spiel ist der Betriebsrat immer nur<br />
dann, wenn der Arbeitgeber sich entschieden<br />
hat, dass er eine bestimmte Bildungsmaßnahme<br />
überhaupt durchführt. Da sich<br />
1 BAG 5.11.1985 – 1 ABR 49/83.<br />
64
AiB 7-8 | 2017<br />
impressum | ansprechpartner<br />
Betriebsrat und Arbeitgeber über sämtliche<br />
mitbestimmungspflichtige Maßnahmen bei<br />
der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen<br />
Berufsbildung einigen müssen,<br />
empfiehlt sich in der Praxis der Abschluss<br />
einer entsprechenden Betriebsvereinbarung.<br />
In größeren Betrieben sollte ein spezieller<br />
Ausschuss für Aus- und Weiterbildung<br />
eingerichtet werden.<br />
Nicht vergessen: § 98 BetrVG sollte nicht<br />
losgelöst gesehen werden von den §§ 96<br />
und 97 BetrVG. Im Einzelfall kann der Betriebsrat<br />
den Arbeitgeber zwingen, Qualifizierungsmaßnahmen<br />
durchzuführen. Von<br />
seinem Initiativrecht kann er nach § 97<br />
Abs. 2 BetrVG dann Gebrauch machen,<br />
wenn es infolge von geplanten oder durchgeführten<br />
Maßnahmen des Arbeitgebers<br />
zu einer Tätigkeitsveränderung von einem<br />
oder mehreren Arbeitnehmern oder aber<br />
der gesamten Belegschaft gekommen ist<br />
und der jeweils betroffene Arbeitnehmer<br />
zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung<br />
über keinerlei oder nicht ausreichende<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten mehr verfügt.<br />
Um überhaupt diese Maßnahme zur Beschäftigungssicherung<br />
geltend machen zu<br />
können, empfiehlt es sich, den Berufsbildungsbedarf<br />
zu ermitteln. Nach § 96 Abs. 1<br />
Satz 2 BetrVG ist der Arbeitgeber auf Verlangen<br />
des Betriebsrats verpflichtet, den<br />
Berufsbildungsbedarf zu ermitteln. In größeren<br />
Betrieben kann die Durchführung<br />
der Ist-Soll-Analyse auch vom Betriebsrat<br />
oder dem entsprechenden Ausschuss vorgenommen<br />
werden. Über die Häufigkeit der<br />
Berufsbildungsbedarfsermittlung sowie weiterer<br />
Pflichten der Arbeitgeber sollte eine<br />
betriebs- und unternehmensbezogene Regelung<br />
erfolgen.<br />
Aber aufgepasst<br />
Es besteht selbst dann ein Mitbestimmungrecht,<br />
wenn der Arbeitgeber bei außerbetrieblichen<br />
Bildungsmaßnahmen die<br />
Arbeitnehmer mit oder ohne Entgeltfortzahlung<br />
von der Arbeit freistellt oder die<br />
Kosten ganz oder teilweise trägt.<br />
Wolf-Dieter Rudolph,<br />
Rechtsanwalt und Referent für BetrVG, Berlin.<br />
Arbeitsrecht im Betrieb 7-8 | 2017<br />
38. Jahrgang<br />
ISSN 0174-1225<br />
Zitiervorschlag<br />
AiB 7-8/2017, 23<br />
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8.5.2017<br />
65
die letzte seite<br />
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von BURKH<br />
vorschau 9 | 2017<br />
Das erwartet Sie in der nächsten Ausgabe<br />
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Titelthema<br />
Einsetzen des Wahlvorstands | Wie der<br />
Wahlvorstand Fallstricke bei der Wahlvorbereitung<br />
vermeidet | Alles Wichtige<br />
zur Briefwahl | Stimmabgabe und Auszählung<br />
der Stimmen<br />
}}<br />
Aktuelles<br />
Die Wahlprogramme der Parteien<br />
und was sie für Beschäftigte verspre <br />
chen | Warum Kritik gespräche zu<br />
Frust führen | Was bringt das Ent gelttrans<br />
parenzgesetz<br />
}}<br />
Grundlagen<br />
Arbeitszeiterfassung mit moderner<br />
Technik | Wissenswertes für den<br />
Wirtschafts ausschuss | Wie der Betriebsrat<br />
Diskriminierung verhindert<br />
die <strong>ausgabe</strong> 9 | 2017 ist voraussichtlich am 31.8.2017 beim abonnenten und ab 28.8.2017 online zu lesen.<br />
66
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