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LGBB_032017_web

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haben sich material und methodisch seit dem<br />

Beginn des neuen Milleniums so entscheidend<br />

weiterentwickelt, ja verwandelt, dass eine Anbindung<br />

an herkömmliche Konzepte von ,Nachleben’<br />

im Sinne eines Wiederauferweckens einer fernen<br />

und fremden Vergangenheit im Wortsinn überlebt<br />

zu sein scheint.” (16f)<br />

Hier tut sich ein weites Feld auf. Die Autoren und<br />

Herausgeber dieses umfangreichen Bandes versuchen<br />

mit den Zugangsweisen der Klassischen<br />

Philologie und der altertumswissenschaftlichen<br />

Antikenrezeptionsforschung, der germanistischen<br />

und romanistischen Literaturwissenschaft, der<br />

Kinder- und Jugendliteraturforschung sowie der<br />

Literatur- und Mediendidaktik in dezidiert europäischer<br />

Perspektive, d.h. mit besonderer Berücksichtigung<br />

unterschiedlicher europäischer Sprachräume,<br />

neue Wege zu bahnen.<br />

und edierte 1898 153 Quittungstafeln. Er hatte<br />

sogar die Erlaubnis erhalten 31 Tafeln im November<br />

1877 über die Alpen mit nach Heidelberg zu<br />

nehmen, wo er sich größere Ruhe für Arbeiten<br />

an schwer zu entziffernden Tafeln erhoffte. Allerdings<br />

ließen dann die Lichtverhältnisse nördlich<br />

der Alpen anders als unter neapolitanischer Sonne<br />

ein sicheres Entdecken und Lesen von Buchstaben<br />

nicht zu.<br />

Als Giuseppe Fiorelli Leiter der Ausgrabungen<br />

in Pompeji war (1863–<br />

1875), ließ er die Ausgrabungen<br />

nach einer neuen Methode vornehmen.<br />

Frühere Ausgräber hatten zunächst<br />

Straßen freilegen lassen und waren von<br />

dort aus seitwärts in die Häuser vorgedrungen,<br />

hatten dabei aber in Kauf genommen, dass Wände<br />

infolge des Erddrucks aus den noch nicht freigelegten<br />

Teilen des Hauses einstürzen konnten<br />

(weshalb ja auch heute Baugruben nicht schon<br />

verfüllt werden, wenn die Kellerwände hochgezogen<br />

sind!). Fiorelli ließ im Unterschied dazu<br />

von oben graben. Dieser Grabungsmethode ist<br />

es vermutlich geschuldet, dass der Fund im Oberstock<br />

des Hauses an der Ostseite der Via Vesuvio<br />

(reg. V 1,26) beisammen und einigermaßen intakt<br />

blieb. Bewohner und Eigentümer des Hauses in<br />

neronischer Zeit war L. Caecilius Iucundus; gefunden<br />

wurde das Fragment eines Kastens, ursprünglich<br />

70 cm hoch, breit und tief, der aber<br />

noch im Moment seiner Freilegung in Staub zerfi<br />

el. „Von stabilerer Konsistenz war sein Inhalt,<br />

eine Menge verkohlter Wachstäfelchen rechteckigen<br />

Formats aus Tannen- oder Pinienholz,<br />

ordentlich nebeneinander gestapelt, allerdings<br />

vielfach beschädigt, viele fragmentiert oder gar<br />

fast pulverisiert, das Wachs der Schreibtäfelchen<br />

weitgehend geschmolzen oder mit Siegelwachs<br />

verschmolzen, nur wenige so gut wie vollständig<br />

in ihrer verkohlten Form erhalten.” (S. 11)<br />

L. Caecilius Iucundus:<br />

Die pompeijanischen Quittungstafeln<br />

des Lucius Caecilius Iucundus,<br />

lat./dt. herausgegeben, eingeleitet, übersetzt<br />

und kommentiert von Arno Hüttemann,<br />

WBG, 2017, 240 Seiten mit<br />

2 Abbildungen, geb., 79,95 Euro,<br />

ISBN: 978-3-534-26863-4<br />

Der Fund wurde – wie es heißt: summa cum cautione<br />

et diligentia – ins Museo Nationale nach Neapel<br />

gebracht und in der Sonne getrocknet und<br />

gehärtet. Sodann wurden die Einzelteile eines<br />

jeden Schreibtäfelchens in mühevoller Kleinarbeit<br />

zusammengelegt und mit einem Holzrahmen um-<br />

schlossen. Keines der Täfelchen ist breiter als 150<br />

mm oder höher als 125 mm. Meist drei von ihnen<br />

waren zu sechsseitigen Triptychen wie zu einem<br />

kleinen Buch zusammengebunden, auch vierseitige<br />

Diptychen fi nden sich.<br />

In ihrem Inhalt erweisen sich die Täfelchen als im<br />

damaligen römischen Rechtsverkehr übliche urkundliche<br />

Quittungen (apochae). Die allermeisten<br />

zeigen L. Caecilius Iucundus in seiner Funktion als<br />

Auktionator sowie als Steuerpächter bzw. Pächter<br />

gemeindeeigener Grundstücke in den Jahren 52<br />

bis 62 n. Chr.<br />

Die Bedeutung des Fundes vom 3. und 5. Juli 1875<br />

war den Verantwortlichen in Pompeji schnell bewusst.<br />

Schon 1876 legte Giulio De Petra, seit Mai<br />

1875 Direktor des Museo Nazionale, eine erste<br />

Textedition von 127 Quittungstafeln vor, die er<br />

zusammen mit Wissenschaftlern des Museums<br />

erarbeitet hatte. An einer weiteren Bearbeitung<br />

beteiligte sich Theodor Mommsen; der Heidelberger<br />

Professor für klassische Philologie und Oberbibliothekar<br />

an der Universität Heidelberg Karl<br />

Zangemeister schuf eine gründliche Neuedition<br />

im Rahmen des Corpus Inscriptionum Latinarum<br />

Arno Hüttemann, der Herausgeber dieses Buches,<br />

hält eine Neuedition, zu erarbeiten etwa mit den<br />

Möglichkeiten moderner Infrarot-Technik, angesichts<br />

der vielen unsicher zu lesenden Textstellen<br />

für prinzipiell sinnvoll, fragt sich aber, ob ihr Erhaltungszustand<br />

eine gründliche Neubearbeitung<br />

zulässt und ob dabei Erkenntnisse, die über die<br />

Lesarten Zangmeisters hinausgehen, noch zu erwarten<br />

sind.<br />

172 JAHRGANG LXI · <strong>LGBB</strong> 03 / 2017<br />

<strong>LGBB</strong> 03 / 2017 · JAHRGANG LXI<br />

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