Hier sitzt ein Mensch Teil 2
Artikel Franz Schandl
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II SPECTRUM ZEICHEN DER ZEIT SAMSTAG, 9. DEZEMBER 2017<br />
In dieser Ausgabe<br />
FRANZ<br />
SCHANDL<br />
Geboren 1960 in Heidenreichst<strong>ein</strong>, NÖ.<br />
Ebendort von 1985 bis 1995 Gem<strong>ein</strong>derat<br />
der Alternativen Liste. Dr. phil. Historiker<br />
und Publizist in Wien. Redakteur<br />
der Zeitschrift „Streifzüge“. Mitarbeiter<br />
des wissenschaftlichen Begleitprogramms<br />
von „Sinnvoll tätig s<strong>ein</strong>“ (STS). SEITE I<br />
HANS<br />
RAIMUND<br />
Geboren 1945 in Petzelsdorf, NÖ. Studium<br />
der Musik und Anglistik. Lebt in Wien und<br />
in Hochstrass, Burgenland. Trakl-, Wildgans-Preis.<br />
Das „Gedicht „Hinterm Haus“<br />
stammt aus dem Kalender „Stadelgedichte<br />
2018“, der – mit Fotos von Hochstrasser<br />
Stadelgebäuden – soeben in der edition<br />
lex liszt herausgekommen ist. SEITE II<br />
HELLMUT<br />
BUTTERWECK<br />
Geboren 1927 in Wien. Theaterkritiker,<br />
Schriftsteller. Zeitgeschichtliche Publikationen.<br />
2016 Preis der Stadt Wien für Publizistik.<br />
Zuletzt im Studien Verlag: „Nationalsozialisten<br />
vor dem Volksgericht<br />
Wien. Österreichs Ringen um Gerechtigkeit<br />
1945–1955 in der zeitgenössischen<br />
öffentlichen Wahrnehmung“. SEITE III<br />
PETER<br />
STRASSER<br />
Geboren 1950 in Graz. Professor für Philosophie<br />
und Rechtsphilosophie an der<br />
Universität Graz. 2017 im Fink Verlag:<br />
„M<strong>ein</strong> Abendland. Versuch über das unerreichbar<br />
Nahe“.<br />
SEITE IV<br />
VLADIMIR<br />
VERTLIB<br />
Geboren 1966 in Leningrad, UdSSR. 1971<br />
Emigration der Familie nach Israel, 1981<br />
Übersiedlung nach Österreich. Studium<br />
der Volkswirtschaftslehre. Mag. phil. Autor<br />
und Übersetzer in Salzburg. 2015 im<br />
Deuticke Verlag: der Roman „Lucia Binar<br />
und die russische Seele“.<br />
SEITE V<br />
KARIN<br />
TSCHAVGOVA<br />
Geboren 1954 in Graz. Dipl.-Ing. arch.<br />
Einige Jahre Mitarbeit in Architekturbüros<br />
in Wien und Graz. Seit 1992 Architekturpublizistin<br />
und -vermittlerin (u. a. an<br />
Schulen und mit Fachführungen zu moderner<br />
Architektur).<br />
SEITE VII<br />
Hans Raimund<br />
Hinterm Haus<br />
INS ERDREICH <strong>ein</strong>gefurcht<br />
Mit schlierem Eis verglast<br />
TraktorenReifenSpuren<br />
Zu schwer vom unzeitigen<br />
Schnee und von den Äpfeln<br />
Die am Zweig verrotten ist<br />
Der morsche Ast gebrochen<br />
AmselWinterWeide<br />
Halbe Nussschalen leer<br />
Haufen weißen Flaums<br />
KatzenPfotenSpuren<br />
Auf dem schneegeschminkten<br />
Schrägen Scheunenfenster<br />
Krabbeln Fliegen sich zu Tode<br />
Franz Schandl: <strong>Hier</strong> <strong>sitzt</strong> <strong>ein</strong> <strong>Mensch</strong><br />
(Arbeitslose, Notstand, Mindestsicherung)<br />
auch entsprechend erbötig. Das prägt.<br />
Die psychische Tortur ist das Ergebnis<br />
<strong>ein</strong>er Struktur, nicht <strong>ein</strong>er Attacke. Im Prinzip<br />
agiert das AMS-Personal hinter dem<br />
Schalter nicht mutwillig oder gar böswillig,<br />
sondern funktional. Es erfüllt s<strong>ein</strong>e Aufgaben.<br />
Vor dem Pult und hinter dem Pult, das<br />
ist zwar <strong>ein</strong>e Situation, aber je nachdem, wo<br />
man steht, sind das zwei unterschiedliche<br />
Welten. Es ist k<strong>ein</strong>e Schikane im eigentlichen<br />
Sinn, auch wenn die Behandelten es<br />
dezidiert als solche empfinden können und<br />
es auch Willkür gibt. F<strong>ein</strong>dseligkeit mag sich<br />
entwickeln, sie ist aber nicht Ursprung <strong>ein</strong>er<br />
ungleichen Kommunikation, sondern ihrerseits<br />
Ausdruck sozialer Schräglagen. K<strong>ein</strong>eswegs<br />
wird auf Augenhöhe kommuniziert.<br />
Dass Arbeitslose Kunden sind, ist <strong>ein</strong>e unkundige<br />
Behauptung.<br />
Lädiertes Leben m<strong>ein</strong>t, dass <strong>ein</strong>en diese<br />
Zumutungen nicht bloß nerven, sondern<br />
merklich und regelmäßig beschädigen und<br />
verletzen. Nicht nur mental. Nicht <strong>ein</strong>mal<br />
die Freizeit bleibt „frei“, da die Gedanken<br />
anderswo kreisen, in der Drangsalierung<br />
hängen, sich nicht von ihr lösen können.<br />
Man ist unter Druck, selbst wenn da niemand<br />
direkten Druck ausübt. Die Lage ist<br />
hochgradig amorph: gestaltlos, unbegreifbar,<br />
weil ungreifbar, unfassbar und daher irgendwie<br />
bedrohlich. Drangsalierung ist etwas,<br />
was man nicht <strong>ein</strong>fach abschütteln<br />
kann, da sie sich in <strong>ein</strong>em festgesetzt hat. Sie<br />
produziert Stress und Ohnmacht. Leute, die<br />
in <strong>ein</strong>er Notlage sind, werden zusätzlich belastet.<br />
Vor allem Bewerbungen trainieren zumeist<br />
<strong>ein</strong>en Leerlauf mit frustrierendem Ausgang.<br />
– In drangsalierten Zeiten ist Selbstbestimmung<br />
aufgrund der psychischen Konstellation<br />
sistiert. Man fühlt<br />
sich geknechtet, geplagt,<br />
gep<strong>ein</strong>igt, da muss unmittelbar<br />
gar nichts geschehen.<br />
Da reicht oft <strong>ein</strong> Blick,<br />
<strong>ein</strong>e Geste, <strong>ein</strong>e Handbewegung,<br />
<strong>ein</strong> Wort, <strong>ein</strong>e<br />
Ladung, <strong>ein</strong> Bescheid, <strong>ein</strong><br />
Das Abtauchen, das Sichnoch-kl<strong>ein</strong>er-Machen,<br />
die Schicksalsergebenheit,<br />
das Umdeuten von<br />
Krisen (via Esoterik): Das<br />
ist doch k<strong>ein</strong> Zustand!<br />
Fortsetzung von Seite I<br />
Gerücht. Drangsalierung<br />
ersch<strong>ein</strong>t nicht als Konfrontation<br />
oder Kampf,<br />
sondern als <strong>ein</strong> Verhältnis,<br />
wo man apathisch wird,<br />
aber nicht aussteigen kann. Drangsalierung<br />
ist <strong>ein</strong>e chronische Belastung, nicht bloß<br />
<strong>ein</strong>e akute Herausforderung. Stets wird am<br />
Selbstbewussts<strong>ein</strong> gekratzt.<br />
Drangsalierte Zeit ist allerdings schwer<br />
zu messen. Fragen wie: Wie lange hast du<br />
gekocht? Wie lange hast du geschlafen? Wie<br />
lange warst du <strong>ein</strong>kaufen? Wie lange hast du<br />
gelesen, getrunken, gefaulenzt? sind halbwegs<br />
zu terminisieren. Man kann ihnen also<br />
<strong>ein</strong>e bestimmte Dauer zuordnen. Wie lange<br />
wurdest du drangsaliert? ist hingegen <strong>ein</strong>e<br />
seltsame Frage. Bei Bedrängung und Beklemmung,<br />
noch dazu unterschiedlicher Intensität,<br />
da weiß man selten, wann sie begonnen<br />
und wann sie aufgehört haben. Mitunter<br />
fallen sie <strong>ein</strong>em gar nicht mehr auf, da<br />
sie Alltag geworden sind.<br />
Für Arbeitslose ist dieser Zustand, selbst<br />
wenn er sich nicht unmittelbar manifestiert,<br />
latent, das heißt, er ist immer da, manchmal<br />
aber gut verborgen, weil verdrängt. In solchen<br />
Lagen hat man den Kopf nicht frei.<br />
Drangsalierte Zeit ist also schwer zu ermitteln,<br />
und es ist auch schwierig, derlei anderen<br />
zu vermitteln. Sie ist k<strong>ein</strong>e abgrenzbare<br />
Ersch<strong>ein</strong>ung, sondern <strong>ein</strong>e übergreifende.<br />
Man kann nie genau sagen, wann und wie<br />
lange man unter welchem Druck steht. Aber<br />
es lässt sich darüber reden. Etwa: Wie oft<br />
denke ich an unangenehme Situationen, die<br />
Arbeitslosigkeit betreffend? Wie oft trübt sich<br />
m<strong>ein</strong>e Stimmung? Häufig – gelegentlich –<br />
selten – nie? Steht dieses Denken mit Terminen<br />
und Anforderungen in unmittelbarer<br />
Verbindung? Wie sehr werden m<strong>ein</strong>e Zeit<br />
und m<strong>ein</strong> Gefühl von solchen unangenehmen<br />
Stimmungen beschlagnahmt? Wie weit<br />
verfolgen sie mich? Träume ich davon? Wie<br />
gehe ich damit um? Und zuletzt: Wie kommen<br />
wir da raus? Dieser Zustand ist doch<br />
k<strong>ein</strong> Zustand!<br />
Das Wechselspiel des Ausschlusses besagt:<br />
Wer isoliert wird, isoliert sich. So gesehen<br />
leistet das Heidenreichst<strong>ein</strong>er Experiment<br />
auch Dienste an alternativer Vergem<strong>ein</strong>schaftung.<br />
Bekanntschaften werden<br />
geschlossen, Freundschaften entstehen. Sogar<br />
gem<strong>ein</strong>same Ausflüge wurden bereits<br />
getätigt. <strong>Mensch</strong>en lernen <strong>ein</strong>ander kennen.<br />
Da geht es auch um <strong>ein</strong>e Rückholung in die<br />
Kommune, ohne Muster aufzuerlegen. –<br />
Eine Menge von zusätzlichen Kursangeboten<br />
steht den Arbeitslosen parallel zur Verfügung:<br />
Gesundes Essen, Erste Hilfe, Männerseminar,<br />
Rückenfit, Suchtprävention,<br />
Tanzen, Move your ass. Die Leute sollen fitter<br />
werden. Geistig und körperlich. In erster<br />
Linie handelt es sich dabei nicht um die<br />
Erfüllung <strong>ein</strong>es äußeren Anspruchs. Aktiviert<br />
werden ist zweifellos wichtig, aber es<br />
ist wichtig als Selbstzweck, nicht als Zweck.<br />
Ob es dazu führt, sich selbstständig zu<br />
machen oder <strong>ein</strong>en Job zu finden, ist nicht<br />
vernachlässigbar, aber sekundär. Primär<br />
geht es um Selbstermächtigung: Power to<br />
the people!<br />
Die befreiende Potenz im STS ist auf jeden<br />
Fall größer als die Begebenheit, von der<br />
die Arbeitslosen unmittelbar befreit wurden.<br />
Schalterkonfrontationen und Vorstellungsgespräche,<br />
Zuweisungen und Abweisungen,<br />
ihnen wird entgangen. Das hat was, und<br />
jede und jeder, der je in <strong>ein</strong>er solchen Situation<br />
gewesen ist, kann das nachvollziehen.<br />
Daraus folgt, dass die umliegenden<br />
Felder (Zeiten und Räume) psychisch entlastet<br />
werden. Die STS-Kursteilnehmer fühlen<br />
sich diesbezüglich alle erleichtert, und<br />
fast alle geben an, dass ihr gesundheitliches<br />
Wohlbefinden in den letzten Monaten<br />
gestiegen ist. In der Drangsalierung nicht<br />
hängen zu bleiben, das wäre <strong>ein</strong> großer<br />
Schritt, wenngleich die Befreiung aktuell<br />
nur <strong>ein</strong>e partielle s<strong>ein</strong> kann. Schon das so<br />
zu empfinden baut auf. Es ist jedenfalls <strong>ein</strong><br />
Versuch, der in Ansätzen herrschaftsfreie<br />
Kommunikation durch bedingungslose Anerkennung<br />
probt.<br />
Die Arbeitslosen sind natürlich nicht aus<br />
der Kritik ausgenommen. Feststellbar ist<br />
<strong>ein</strong>erseits der Hang zu Abschottung und<br />
Distanz, zum Abtauchen, zum Noch-kl<strong>ein</strong>er-<br />
Machen, zur Schicksalsergebenheit.<br />
Auffällig sind<br />
andererseits aber auch<br />
notorisch positives Denken<br />
oder explizit esoterische<br />
Muster, allesamt<br />
dazu da, persönliche und<br />
gesellschaftliche Krisen<br />
umzudeuten, ihnen Sinn<br />
zu verordnen, anstatt Kritik<br />
angedeihen zu lassen.<br />
Gelegentlich hindern<br />
<strong>ein</strong>ige Mehrredner die<br />
Schweigsamen an der Artikulation. Nicht<br />
vorsätzlich, aber doch effektiv. Der Politik<br />
insgesamt begegnet man mit Misstrauen,<br />
Abwehr und Verdruss. Traditionelle Institutionen<br />
(Parteien, Gewerkschaften, Kammern,<br />
Kirchen) ersch<strong>ein</strong>en kaum als Partner,<br />
geschweige denn als Unterstützer eigener<br />
Anliegen. Da erwartet man wenig.<br />
Unterschiedliche intellektuelle Niveaus<br />
sind hingegen kaum <strong>ein</strong> Problem. Persönliche<br />
Konflikte in der zusammengewürfelten<br />
Gruppe sind bisher selten aufgetreten,<br />
im Gegenteil, man lernt <strong>ein</strong>ander zu<br />
schätzen. Neue soziale Kontakte entwickeln<br />
sich. Durch die Laufzeit des Projekts<br />
sind die Chancen groß, dass sie sich auch<br />
festigen.<br />
Niemand hegt den Wunsch, Langzeitarbeitsloser<br />
zu s<strong>ein</strong> oder zu werden. Dass<br />
Arbeitslose Schmarotzer sind und es sich<br />
auf unsere Kosten gut gehen lassen, was<br />
weiters bedeutet, dass es allen Arbeitslosen<br />
gefälligst schlecht zu gehen habe, ist als gem<strong>ein</strong>es<br />
Volksvorurteil schlicht <strong>ein</strong>e Zumutung.<br />
Die Abgehängten hängen weniger in<br />
den Hängematten als in den Seilen. Eine<br />
Sichtung der Klischees und <strong>ein</strong>e Erweiterung<br />
des Horizonts wären von Vorteil. Und<br />
etwas mehr Muße würde allen guttun. Den<br />
auf dem Markt Erfolgreichen wie den Erfolglosen,<br />
wobei die Scheidung bisweilen <strong>ein</strong>e<br />
ziemlich zufällige ist.<br />
Arbeitslosigkeit ist als gesellschaftliches<br />
Problem zu denken, nicht als individuelles<br />
Manko. Sorge und Hilfe und Verständnis<br />
prägen jedenfalls das Heidenreichst<strong>ein</strong>er<br />
Experiment, es ist somit k<strong>ein</strong>e Variante <strong>ein</strong>es<br />
alternativen Zucht- und Ordnungsprogramms.<br />
Auch nicht durch die Hintertür,<br />
selbst wenn man sich möglicherweise nur<br />
zwischenzeitlich in <strong>ein</strong>e Nische gerettet hat.<br />
Druck soll genommen, nicht entfacht werden.<br />
Insofern gebührt auch dem Arbeitsmarktservice<br />
Niederösterreich Respekt, da es<br />
wider s<strong>ein</strong>e engen Das<strong>ein</strong>sverpflichtungen<br />
dieses Projekt ermöglichte. Arbeitskritik,<br />
bisher <strong>ein</strong> Feld von Theoretikern und sonstigen<br />
Fantasten, gewinnt an Statur und Terrain.<br />
Kreativität setzt Zwang nicht voraus.<br />
Der Schritt vom Müssen zum Können wäre<br />
<strong>ein</strong> großer emanzipatorischer Schritt. Und<br />
es gibt k<strong>ein</strong>en Ort, an dem nicht begonnen<br />
werden könnte.<br />
Q<br />
Wenn Ungarn<br />
Asyl anbietet<br />
„Expedition Europa“ in Stockholm:<br />
warum <strong>ein</strong>e Christin aus<br />
dem Iran in Schweden abgeschoben<br />
werden soll.<br />
Von Martin Leidenfrost<br />
Von dieser iranischen Christin,<br />
die aus Schweden abgeschoben<br />
werden soll, habe ich wegen Viktor<br />
Orbán gehört – die ungarische<br />
Regierung bietet ihr werbewirksam<br />
Asyl in Ungarn an. Aideen Strandsson,<br />
37, lebt in der achtgrößten schwedischen<br />
Stadt, Linköping, trifft mich aber in Stockholm.<br />
Wir reden in der freikirchlich-orientalischen<br />
Tensta-Kirche. Die blond gelockte<br />
Schauspielerin trägt <strong>ein</strong>en kurzen<br />
Rock über dicken schwarzen Wollstrümpfen.<br />
Oft lächelt sie herzerweichend, oft<br />
steht ihr Angst im Gesicht, neutral ist ihr<br />
Ausdruck nie.<br />
Sie erzählt von ihrer Konversion: Auf<br />
<strong>ein</strong>er Amerikareise 2005 sah sie Filme,<br />
welche die Zensur im Iran ausfiltert, mit<br />
St<strong>ein</strong>igungen von Frauen etwa. „Ich begriff,<br />
dass ich mit dieser Religion nichts<br />
zu tun haben will.“ Sie las die Bibel, die<br />
ihr Bruder aus Armenien mitbrachte.<br />
Einmal erschien ihr Jesus im Traum, „er<br />
nahm mich an der Hand, ich liebe diese<br />
Güte“. 2014 mit <strong>ein</strong>em dreijährigen Arbeitsvisum<br />
nach Schweden gekommen,<br />
ließ sie sich öffentlich taufen.<br />
Sie beschreibt das stakkatoartige<br />
Kreuzverhör, mit dem sie auf dem Migrationsamt<br />
getestet worden sei: „Wo ist<br />
Christus geboren? Wo ist er gestorben?<br />
Wie viele Feiertage gibt es? Als ich unsicher<br />
war, ob ich am Samstag oder am<br />
Sonntag in der Messe war, rief die Beamtin:<br />
Sie sind <strong>ein</strong>e Lügnerin!“ Am Gespräch<br />
nimmt <strong>ein</strong> Hüne teil, der Aideen<br />
unterstützt. Pastor Cai Berger hat das iranische<br />
Strafrecht studiert: „Richter verfügen<br />
bei Abfall vom Islam über <strong>ein</strong>en weiten<br />
Strafrahmen.“ Er spricht von Folter<br />
inhaftierter Christen, von <strong>ein</strong>em Selbstmord<br />
und außergerichtlichen Morden.<br />
Ungläubig erinnert sich Aideen: „Die<br />
Migrationsbeamtin hat zum Richter gesagt:<br />
Sie lügt, sie kriegt nur <strong>ein</strong> halbes Jahr<br />
Gefängnis, das ist nichts.“<br />
Die Papiere? Eingezogen!<br />
Der Pastor erklärt diese F<strong>ein</strong>dseligkeit damit,<br />
dass Beamte im säkularen Schweden<br />
„Glauben nicht verstehen“. Aideen spricht<br />
Schwedisch, singt im schwedischen Kirchenchor,<br />
hat <strong>ein</strong> Jobangebot von Ericsson<br />
und findet ihren Abschiebungsbescheid<br />
ungerecht. „Sie haben so viele Leute<br />
aufgenommen, 160.000, oft ohne jeden<br />
Grund!“ Ich frage sie, ob sie Schweden für<br />
<strong>ein</strong> christliches Land hält. Sie schätzt den<br />
Anteil praktizierender Christen auf zehn<br />
Prozent, der Pastor glaubt an „nicht mehr<br />
als zwei Prozent“ Kirchgänger.<br />
Diesen Winter wartet Aideen Strandsson.<br />
Ihre Berufung liegt <strong>ein</strong> halbes Jahr<br />
zurück, sie würde auch bis Straßburg ziehen.<br />
Eine weitere Unwägbarkeit liegt darin,<br />
dass ihr Heimatstaat, den sie „islamisches<br />
Regime“ nennt, christliche Konvertiten<br />
manchmal nicht zurücknimmt. Warum<br />
hat sie das Angebot aus Ungarn<br />
nicht gleich angenommen? „Ich war so<br />
dankbar und glücklich, als ich diese SMS<br />
bekommen habe.“ Mitglieder ihrer Familie<br />
leben aber schon länger in Schweden,<br />
darum möchte sie bleiben.<br />
Ich teste ihre Kenntnis von Ungarn.<br />
Sie war nie dort und kommt auch nicht<br />
hin, ihre Papiere sind <strong>ein</strong>gezogen. Sie<br />
sagt: „Es ist <strong>ein</strong> sehr christliches Land.<br />
Viele <strong>Mensch</strong>en gehen in die Kirche. Die<br />
Regierung fördert das.“ Den Namen des<br />
Premiers hat sie vergessen, für die Wirtschaft<br />
sei er aber gut. – „Haben Sie von<br />
s<strong>ein</strong>em Grenzzaun gehört?“ – „Ja, aber<br />
Christen lässt er r<strong>ein</strong>.“ Ich frage sie, warum<br />
sie ihren Namen auf Strandsson geändert<br />
hat. Sie erklärt trocken: „M<strong>ein</strong> Familienname<br />
war Mohammed.“ Ihr Instagram<br />
hat sie zugemacht, so sehr wurde sie<br />
von Landsleuten beschimpft. In Schweden<br />
leben mehr als 70.000 Iraner, gleichzeitig<br />
erhöht die Publizität die Chancen<br />
ihrer Berufung. Mit Zweifel in den Augen<br />
sagt sie: „Ich glaube an <strong>ein</strong> Wunder. Ich<br />
glaube, dass Jesus mir helfen wird.“ Q