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digital finance 02-2017

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<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 43<br />

+ Sich von den widersprüchlichen inneren und auch<br />

äußeren Stimmen blockieren zu lassen, ist schlichtweg<br />

falsch. Warum?<br />

Grichnik: Bei meiner Arbeit treffe ich viele Menschen, die<br />

den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. Viele berichten<br />

davon, zunächst oder auch längerfristig weniger zu<br />

verdienen als vorher, viel mehr arbeiten zu müssen, aber bei<br />

weitem zufriedener zu sein. Diese Zufriedenheit, die ganz<br />

stark auch aus der empfundenen Sinnhaftigkeit des eigenverantwortlichen<br />

selbstständigen Tuns erwächst, wiegt für<br />

sie langfristig doppelt und dreifach Mühen und Risiken der<br />

Selbstständigkeit auf.<br />

+ Risiko ist ein gutes Stichwort. Aber gibt es im Leben<br />

etwas, was nicht auf die eine oder andere Weise risikobehaftet<br />

ist? Macht nicht gerade die Auseinandersetzung<br />

mit, die Behauptung in und die Bewältigung von<br />

Risiken im Leben stärker?<br />

Grichnik: Richtig. Aber junge Entrepreneure sollten sich<br />

nicht risikoblind in das Abenteuer Selbstständigkeit stürzen,<br />

sondern dem Beispiel erfahrener Unternehmerinnen und<br />

Unternehmer folgen. Diese definieren einen ertragbaren<br />

Verlust, d. h. sie legen monetär, psychologisch und sozial<br />

einen für sie maximalen Zeit- und Kapitalbetrag fest, den sie<br />

bereit sind, zu verlieren. Das begrenzt das Risiko auf ein erträgliches<br />

Maß und ermöglicht den Schritt in das Ungewisse<br />

des unternehmerischen Neulands.<br />

+ Sie sagen, in jedem steckt etwas von einem Unternehmer.<br />

Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?<br />

Grichnik: Wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen mit<br />

praktischen Erfahrungen. Beide haben mir gezeigt, als Unternehmer<br />

geboren wir niemand, doch jeder Mensch bringt<br />

die Voraussetzungen dazu mit. Beobachtungen von Kindern<br />

demonstrieren das. Kinder gehören für mich zu den unternehmerischen<br />

Wesen schlechthin. Ihre unerschöpfliche Kreativität<br />

beim Spielen, ihre Kommunikationsfähigkeit, aber<br />

auch ihre Risikotoleranz in ihren Spielen, das sind unternehmerische<br />

Eigenschaften par excellence. Leider nur lassen<br />

sich Viele im Laufe ihres Lebens diese Unternehmungslust<br />

und den Aktionsradius, in dem die Freude daran ausprobiert<br />

wird, nehmen. Das bedeutet aber nicht, sie ist gänzlich verloren.<br />

+ Aber gibt es nicht auch unterschiedliche Mentalitäten,<br />

die die einen mehr, die anderen weniger an der<br />

Selbstständigkeit Geschmack finden lassen?<br />

Grichnik: Und ob es die gibt! Selbstständigkeit verlangt die<br />

Bereitschaft, sich jenseits fester Arbeitszeiten zu engagieren<br />

und, bitteschön, sich auch zu strapazieren. Unter Mentalitätsgesichtspunkten<br />

verlangt Selbstständigkeit Durchhaltewillen<br />

und Verzicht. Und ein gerüttelt Maß an Ambiguitätsund<br />

Frustrationstoleranz. Man muss spannungsvolle unklare<br />

Situationen aushalten und Rückschläge wegstecken können.<br />

Das verlangt eine beachtliche Willenskraft, Zähigkeit<br />

und Zielstrebigkeit. Und, auch Mentalitätssache, die Leidenschaft<br />

für ein Projekt bzw. Produkt.<br />

+ Wovon hängt es unter dem Strich ab, wirklich Wind<br />

unter die Unternehmerflügel zu bekommen?<br />

Grichnik: Studien zeigen, die Wahrscheinlichkeit, sich in<br />

der Selbstständigkeit zu behaupten, wächst mit der Anzahl<br />

der Versuche. Diese bedingte Erfolgswahrscheinlichkeit<br />

wird also größer, je mehr Erfahrungen gemacht und verarbeitet<br />

werden. Wenn auch niemand Misserfolgserlebnisse<br />

besonders liebt, aus ihnen ist mehr zu lernen als aus Erfolgen.<br />

Was immer wieder vergessen wird: In Misserfolgen,<br />

in gemachten, erkannten und analysierten Fehlern verbirgt<br />

sich ein enormes Erkenntnis- und Weiterbildungspotenzial.<br />

Vorausgesetzt natürlich, man versinkt nicht in Frustrationen<br />

und Selbstvorwürfen, sondern macht sich dadran herauszufinden,<br />

was warum die Misserfolgsursache war.<br />

+ Das „Walk the Extra Mile!“ ist für Entrepreneure somit<br />

Arbeitsalltag. Und der Antrieb dazu ist die persönliche<br />

Gestaltungsfreiheit?<br />

Grichnik: Ja, diese Freiheit treibt sie zu Höchstleistungen<br />

an, aus denen sie hohes Selbstwirksamkeitsempfinden<br />

ziehen, das für sie Quell von Zufriedenheit und Glück ist.<br />

Diese Zusammenhänge sind von der psychologischen Forschung<br />

bestens belegt. Der Kraft- und Zeitaufwand für ein<br />

unternehmerisches Leben darf nicht bagatellisiert werden.<br />

Jeder muss mit sich selber ausmachen, welchen Einsatz er<br />

zu leis-ten bereit ist und für welchen Lebensentwurf er sich<br />

entscheidet. Ich kann gerade im Hinblick auf die tiefgreifende<br />

Veränderung der Berufswelt nur anregen, den Gedanken<br />

an die Möglichkeit der Selbstständigkeit nicht rundheraus<br />

aus seinen Überlegungen zu verbannen. Das Neue macht ja<br />

nicht nur gewohnte berufliche Tätigkeiten überflüssig, sondern<br />

die Entwicklung bringt auch neue berufliche Anforderungen<br />

mit sich und eröffnet aus denen heraus auch vielfältige<br />

neue berufliche Chancen.<br />

+ Herr Prof. Grichnik, haben Sie vielen Dank für dieses<br />

Gespräch.<br />

Interview: Hartmut Volk

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