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Darf‘s <strong>ein</strong> <strong>wenig</strong> <strong>Zombie</strong> s<strong>ein</strong>?<br />
von<br />
Maggie Milton
So begann es …<br />
Trommeln dröhnten <strong>ein</strong>e harte Melodie und greller, orangeroter Feuersch<strong>ein</strong><br />
zauberte <strong>ein</strong>e höllische Beleuchtung auf den Platz zwischen zwei Zuckerrohrfeldern.<br />
Ein weiß gekleideter Houngan durchschritt die Reihen von stampfenden Tänzern, die<br />
sich in wilden Verrenkungen bewegten. Dann ergriff er <strong>ein</strong>en kl<strong>ein</strong>en L<strong>ein</strong>enbeutel<br />
und schüttete den Inhalt, <strong>ein</strong> f<strong>ein</strong>es, blaues Pulver, am Rand des Feuers aus. Es<br />
zischte, und gelbe und rote Feuerschlangen wanden ihre Leiber bis hoch in den<br />
Himmel aus dunkelblauem Tuch. Hier verharrten sie und beobachteten die<br />
Zeremonie aus Dämonenaugen.<br />
Außerhalb des Kreises der schwitzenden und zuckenden Körper standen zwei junge<br />
Männer. Sie waren wie Seeleute gekleidet und betrachteten das Geschehen mit<br />
kritischen Gefühlen.<br />
„Ich frage mich gerade“, sagte der kl<strong>ein</strong>ere von beiden, „ob es unserer Gesundheit<br />
zuträglicher wäre, schnellstens <strong>ein</strong>e größere Distanz zwischen uns und diese<br />
Voodoo-Leute zu bringen!“<br />
„Verdammt!“, grollte der andere. „Wie konnte es nur so weit kommen? Es sollte doch<br />
nur <strong>ein</strong> Scherz s<strong>ein</strong>!“<br />
In diesem Augenblick kam der alte Zauberer grinsend auf sie zu. Dabei bleckte er<br />
Zähne, die bedrohlicher als die <strong>ein</strong>es Jaguars wirkten. Befriedigt nickend wies er auf<br />
das unheimliche Spektakel.<br />
„Die Bestellung ist bereit zur Auslieferung!“ Eine der Feuerschlangen zischte laut<br />
und spie gelbe Funken in ihre Richtung.<br />
„Aber seid auch ihr bereit?“<br />
Der Gesang der Trommeln wurde lauter, durchbrochen von schrillen Flötentönen. Die<br />
Tänzer schrien und stöhnten, <strong>ein</strong>ige wälzten sich auf dem Boden. Und dann brachten<br />
zwei Männer das, was die Matrosen in Auftrag gegeben hatten.<br />
Der Houngan verzog das runzelige Gesicht: „Ein guter Rat! Behandelt das Produkt<br />
immer mit der nötigen Vorsicht, und es wird euch stets zu Diensten s<strong>ein</strong>.“
Schreckliche Begegnungen<br />
Als Matze Stockmann die Leiche am Ufer des Kanals fand, schwor er sich, nie<br />
wieder hier schwimmen zu gehen.<br />
An diesem kühlen Oktobermorgen war es noch nicht richtig hell, und vom Wasser her<br />
zogen Nebelschwaden in Schlieren über das Land. Matze drehte gerade s<strong>ein</strong>e<br />
Runde mit Hotdog, s<strong>ein</strong>em Jack Russel. Dieser pflegte sich mit Begeisterung auf<br />
alles zu stürzen, was schlecht roch. Das konnte mitunter unangenehme<br />
Auswirkungen auf s<strong>ein</strong>e Umgebung haben. Deshalb wurde s<strong>ein</strong> Herr stutzig, als der<br />
kl<strong>ein</strong>e Hund plötzlich fröhlich kläffend die Uferböschung herunterkegelte und vor<br />
etwas anhielt, was s<strong>ein</strong> Interesse erregt hatte. Matze stieg ebenfalls zum Wasser<br />
hinunter und wünschte sich später, er hätte es nicht getan.<br />
Ein Toter lag dort, mit dem Oberkörper an Land und den B<strong>ein</strong>en im Wasser. Matze<br />
kannte ihn. Es war <strong>ein</strong>deutig Dieter Rosenbusch, <strong>ein</strong> ortsbekannter Säufer, der<br />
zudem auch noch gern randalierte, wenn der Alkohol im Blut <strong>ein</strong>en bestimmten Pegel<br />
erreicht hatte.<br />
Matze sah sofort, dass der Mann tot s<strong>ein</strong> musste. Hemd und Hose waren vorne<br />
zerfetzt und aus dem Leib quollen Innereien und Gedärm hervor. Auf dem Gekröse<br />
hockte <strong>ein</strong>e Krähe und zerrte mit ihrem kräftigen Schnabel an <strong>ein</strong>em blutigen Stück<br />
Fleisch, das ihrer M<strong>ein</strong>ung nach besonders lecker war. Sie flog laut schimpfend<br />
davon, als Hotdog sie anbellte. Wahrsch<strong>ein</strong>lich nahm sie die kl<strong>ein</strong>e Wurst auf B<strong>ein</strong>en<br />
nicht sonderlich ernst, aber kurz darauf stampfte Matze mit s<strong>ein</strong>en be<strong>ein</strong>druckenden<br />
zwei Meter und fünf ebenfalls auf sie zu.<br />
Er kratzte sich zunächst am kahlgeschorenen Schädel, um dann urplötzlich den sich<br />
windenden Hotdog zu schnappen und die Uferböschung wieder hinaufzuhechten.<br />
Nicht, dass ihm der Anblick des aufgerissenen Körpers wirklich Übelkeit verursacht<br />
hätte – schließlich war er Fleischermeister – aber er war sicher, dass der Tote die<br />
zuvor geschlossenen Augen geöffnet hatte, und das machte <strong>ein</strong>en eher<br />
befremdlichen Eindruck auf ihn! Er nahm s<strong>ein</strong> Handy und wählte die Notrufnummer,<br />
während er mit weit ausholenden Schritten in Richtung Ort zurückging. Hotdog unter<br />
den Arm geklemmt, blickte er sich <strong>ein</strong>ige Male um. Niemand war zu sehen, nur <strong>ein</strong><br />
<strong>ein</strong>sames Kanalschiff war in der Nähe des Fundortes vertäut. An der nächsten<br />
Brücke wartete er nervös auf die Polizei, die zwanzig Minuten später <strong>ein</strong>traf.<br />
Kommissar Leonhard Kunze stand kurz vor s<strong>ein</strong>er Pensionierung. Eigentlich hatte er<br />
nicht die geringste Lust, an <strong>ein</strong>em kalten und feuchten Oktobermorgen nach <strong>ein</strong>er<br />
Leiche zu sehen. Er sehnte sich nach <strong>ein</strong>em Becher voll dampfenden Kaffees. Mit<br />
entsprechend finsterem Gesicht stapfte er neben Matze her bis an die Fundstelle.<br />
Aber da war k<strong>ein</strong> Dieter Rosenbusch mehr zu sehen, weder tot noch lebendig.<br />
Matze fürchtete um s<strong>ein</strong>en Verstand, und s<strong>ein</strong>e Gedanken bewegten sich wie in<br />
<strong>ein</strong>em großen Beutel Watte. Irgendwie registrierte er, dass Kommissar Kunzes
Gesicht die Farbe reifer Himbeeren angenommen hatte und s<strong>ein</strong> weit aufgerissener<br />
Mund etwas von Irreführung der Polizei brüllte.<br />
„Aber genau hier hat die Leiche gelegen!“, stammelte Matze. „Vielleicht ist sie ins<br />
Wasser gerutscht und abgetrieben. Da“, er wies auf <strong>ein</strong> schleimiges, grauweißes<br />
Gebilde, „das sch<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong> Stückchen von dem Gekröse zu s<strong>ein</strong>, an dem die Krähe<br />
herumgehackt hat.“<br />
Die Polizisten entwickelten daraufhin <strong>ein</strong>e hektische Betriebsamkeit und suchten die<br />
nähere Umgebung ab. Dann zeigte Kommissar Kunze auf das Schiff. „Wir werden<br />
mal auf dem Kahn nachfragen, ob jemand etwas gehört oder gesehen hat.“<br />
„Ich kenne den Kapitän.“, sagte Matze. „Er wird Karibik-Paule genannt! In s<strong>ein</strong>er<br />
Jugend ist er zur See gefahren. Er erzählt jedem, der es hören will oder auch nicht,<br />
von s<strong>ein</strong>er Zeit in der Karibik. Deshalb der Spitzname. Ich glaube, s<strong>ein</strong> richtiger<br />
Name ist Paul Gregor.“<br />
Mittlerweile waren sie bei dem Schiff angekommen. ‚Queen of Haiti’ stand in<br />
überdimensionalen Lettern am Bug.<br />
„Seltsamer Name für <strong>ein</strong>en Kanalkahn.“, nuschelte der Kommissar und zog die grüne<br />
Goretex Jacke fröstelnd fester um sich. „Na ja, wahrsch<strong>ein</strong>lich zur Erinnerung an<br />
s<strong>ein</strong>e Zeit bei der christlichen Seefahrt!“<br />
Sie versuchten, sich durch Rufen bemerkbar zu machen. Als niemand reagierte,<br />
betraten sie kurz entschlossen das Schiff und öffneten die Tür zum Wohntrakt. Hier<br />
fanden sie Karibik Paule. Er lag stöhnend auf dem Boden neben <strong>ein</strong>er geöffneten<br />
Truhe aus dunklem Holz, und s<strong>ein</strong> Kopf wies <strong>ein</strong>e große Platzwunde auf. S<strong>ein</strong><br />
Gesicht sah aus als hätte man <strong>ein</strong>en Güterzug darauf rangiert, und er versuchte<br />
vergeblich, sich aufzurichten.<br />
Da der Verletzte nicht fähig war, in zusammenhängenden Sätzen zu antworten,<br />
wurde zunächst nach <strong>ein</strong>em Krankentransport gerufen. Als Paule dann auf die Trage<br />
gehoben wurde, fiel s<strong>ein</strong> Blick auf die geöffnete Truhe. „Allmächtiger!“, stöhnte er<br />
offensichtlich entsetzt und verlor das Bewussts<strong>ein</strong>.<br />
Kommissar Kunze blickte neugierig in die Truhe. Sie war leer, aber ihm war, als<br />
würden Laute wie Meeresrauschen und dumpfer Trommelschlag aus ihr ertönen. Er<br />
runzelte nachdenklich die Stirn und beschloss, sofort ins Präsidium zu fahren, um<br />
erst <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>en Becher Kaffee zu trinken.<br />
Den ganzen Tag über suchte die Polizei vergeblich nach Dieter Rosenbusch und<br />
Matze war das Ortsgespräch des Tages. Die Leute standen Schlange in der<br />
Fleischerei, um die Geschichte aus erster Hand zu hören. Er zog es dann am Abend<br />
vor zum Kendo zu gehen, anstatt mit der Familie vor dem Fernseher zu hocken.<br />
Hoffentlich würde das anstrengende Trainingsprogramm ihm helfen, die Blamage zu<br />
überwinden.<br />
Während Matze zunächst meditierte und dann konzentriert auf <strong>ein</strong>en unschuldigen<br />
Gegner <strong>ein</strong>drosch, traf sich <strong>ein</strong> junges Paar in <strong>ein</strong>er ruhigen Ecke des Hafens.<br />
Genauer gesagt, hinter <strong>ein</strong>er Ladung Koks, die auf ihre Verschiffung wartete. Das
war zwar nicht der romantischste Ort, schon gar nicht Ende Oktober, aber immerhin<br />
waren sie hier ungestört. Jedenfalls dachten das Stefan Schmidt und Cindy Leupelt.<br />
Es war schon ziemlich dunkel, man konnte die nähere Umgebung nur noch<br />
verschwommen wahrnehmen. Kalt war es auch, und die Feuchtigkeit vom Kanal her<br />
kroch durch die Kleidung bis auf die Haut. Cindy raffte fröstelnd ihre Jacke enger um<br />
den schlanken Körper. „Vielleicht sollten wir heute lieber <strong>ein</strong>en anderen Treffpunkt<br />
wählen!“ sagte sie zähneklappernd.<br />
„Ach, hab dich nicht so!“ Stefan war testosterongeladen und somit unempfindlicher<br />
gegen die Kälte.<br />
„Dir wird gleich wärmer werden, ich verspreche es dir!“<br />
Cindy wehrte ihn ab: „Hörst du das? Ich habe Blätter rascheln hören!“<br />
Stefan wurde langsam ärgerlich. Cindy konnte manchmal so zickig s<strong>ein</strong>!<br />
„Das ist der Wind!“<br />
„Und Schritte, ich höre Schritte!“<br />
Tatsächlich hörte nun auch Stefan schlurfende Schritte näher kommen.<br />
„Ein Spanner!“, raunte Cindy. „Komm, lass uns endlich verschwinden!“<br />
In diesem Augenblick wurde in den Stahlwerken, die nur den sprichwörtlichen<br />
Katzensprung entfernt lagen, <strong>ein</strong> Hochofen aufgerissen, und der Himmel war<br />
augenblicklich in hellrotes Licht getaucht.<br />
Da sah Cindy ihn. Er war groß und hatte <strong>ein</strong>en kräftigen Körper. Trotz des kühlen<br />
Wetters war er nur mit <strong>ein</strong>em hellen Hemd und <strong>ein</strong>er wahrsch<strong>ein</strong>lich ehemals<br />
weißen, kurzen Hose bekleidet, die über den Knien ausgefranst war. Noch seltsamer<br />
schien, dass der Mann k<strong>ein</strong>e Schuhe anhatte. Er war tatsächlich barfuß, bekam<br />
s<strong>ein</strong>e Füße kaum hoch und stapfte schwerfällig durch den Hafendreck auf sie zu.<br />
Dabei hielt er s<strong>ein</strong>e Arme ausgestreckt und stieß grunzende Laute aus. Die Augen<br />
schienen nur aus dem Weißen zu bestehen und leuchteten in der Dunkelheit.<br />
Cindy schrie wie am Spieß, und dann erblickte ihn Stefan auch.<br />
„Was zum …!“, konnte er gerade noch ausstoßen, dann hatte die Gestalt ihn erreicht.<br />
Das war das Letzte, was Cindy von Stefan sah. Sie sprintete immer noch laut<br />
kreischend los und lief in den Ort. Hier wurde sie von <strong>ein</strong>igen Mitgliedern des<br />
örtlichen Schützenver<strong>ein</strong>s aufgegriffen, die gerade im gem<strong>ein</strong>schaftlichen<br />
Zickzackgang nach Hause wollten. Kurz zuvor hatten sie drei Kisten Bier sowie zwei<br />
Flaschen Canadian Club ernsthaften Schaden zugefügt und es dauerte <strong>ein</strong>e Weile,<br />
bis Cindys Gestammel in ihren alkoholseligen Hirnen <strong>ein</strong>en Sinn bekam.<br />
Als die Polizei endlich <strong>ein</strong>traf, hatte sie es mit <strong>ein</strong>er Gruppe gestandener Männer zu<br />
tun, die wild gestikulierte. Jeder <strong>ein</strong>zelne sprach gleichzeitig auf die Beamten <strong>ein</strong>.<br />
Unterbrochen wurde der Redefluss von mehreren Rülpsern, denen <strong>ein</strong> Schluckauf
folgte und am Straßenrand übergab sich der Tischlermeister Adolf Lampe.<br />
Zwischendurch schrie Cindy immer wieder mit überschnappender Stimme nach<br />
Stefan und riss an ihren Haaren. Einer der Polizisten nahm zunächst an, dass sie<br />
<strong>ein</strong>e Alkoholvergiftung von den Ausdünstungen der Anwesenden bekommen hatte.<br />
Als sie endlich in der Lage war <strong>ein</strong>e notdürftige Erklärung abzugeben, wollte man ihr<br />
hysterisches Verhalten nicht ernst nehmen, suchte dann aber doch das<br />
Hafengelände ab. Von Stefan und dem Barfüßigen fanden sie jedoch nicht die<br />
geringste Spur. Dafür pflückte die herbeigerufene Feuerwehr <strong>ein</strong>en Hafenarbeiter<br />
von der äußersten Spitze <strong>ein</strong>es Kranes.<br />
Der Ärmste hockte dort dem Wahnsinn nahe und umklammerte das Stahlgerüst mit<br />
eisernen Armen. Die Helfer hatten ihre liebe Mühe, ihn auf den Boden<br />
herunterzuholen. Dort sah er sich zunächst vorsichtig um, dann kicherte er irre und<br />
faselte etwas von <strong>ein</strong>em Rothaarigen, der laut schmatzend, mit ausgebreiteten<br />
Armen auf ihn zugekommen sei. Zudem hätte sich dieser Mann sehr unbeholfen<br />
bewegt, da er immer wieder über s<strong>ein</strong>e lang aus dem Bauch heraushängenden<br />
Eingeweide gestolpert sei. All<strong>ein</strong> diese Tatsache hatte dem Arbeiter genügend Zeit<br />
gegeben, sich auf dem Kran in Sicherheit zu bringen.<br />
Kommissar Kunze, den man mittlerweile aus s<strong>ein</strong>em verdienten Feierabend gerissen<br />
hatte, war nunmehr völlig überzeugt, dass die Bevölkerung des gesamten<br />
Hafengebietes total übergeschnappt sei. Er wies s<strong>ein</strong>e Leute an, nicht mehr auf<br />
derartige Geschichten zu reagieren. In drei Tagen war Halloween und wer wusste<br />
schon, welche Spaßvögel derlei Unsinn als humorigen Zeitvertreib ansahen und sich<br />
in <strong>ein</strong>er dunklen Ecke schlapp lachten. Nach diesen Anweisungen genehmigte er<br />
sich erst <strong>ein</strong>mal <strong>ein</strong>en wohlverdienten Becher Kaffee.<br />
Matze hörte am nächsten Tag von den Vorkommnissen, während er gerade frisch<br />
hergestelltes Mettgut würzte. Er wusste genau, der Rothaarige mit dem offenen<br />
Bauch musste Dieter Rosenbusch gewesen s<strong>ein</strong>. Kurzerhand befahl er s<strong>ein</strong>em<br />
Auszubildenden für ihn weiterzumachen, warf sich s<strong>ein</strong>e Lederjacke über das<br />
blauweiß gestreifte Fleischerhemd und die mit Blut besprenkelte Gummischürze,<br />
stieg in s<strong>ein</strong>en BMW und fuhr zum Städtischen Krankenhaus. Dort musterte man ihn<br />
kritisch, als er nach Karibik-Paule fragte, gab ihm dann aber doch die<br />
Zimmernummer.<br />
Paul Gregor lag matt, mit <strong>ein</strong>em Verband um die Stirn, in s<strong>ein</strong>em Krankenbett. S<strong>ein</strong><br />
Gesicht war immer noch geschwollen, und das Kinn zierte <strong>ein</strong> riesiges,<br />
blauschwarzes Hämatom.<br />
„Hallo Paule, wie geht’s?“, fragte Matze und griff sich <strong>ein</strong>en Stuhl, auf dem er<br />
unaufgefordert Platz nahm.<br />
„HummeFage!“ Paule quälte sich die Worte heraus, weil er die Lippen nicht richtig<br />
bewegen konnte.<br />
„Na schön!“, brummte Matze und berichtete über die Vorkommnisse im Ort. Und<br />
dann wurde Karibik Paule auf <strong>ein</strong>mal sehr gesprächig und erzählte <strong>ein</strong>e<br />
haarsträubende Geschichte.<br />
Den Rest des Tages verbrachte Matze unruhig zwischen Bratwurst, Leberkäse und<br />
Kasselernacken. Hartnäckig versuchte er, Paules unheimliche Erzählung zu
verarbeiten. Einerseits weigerte er sich, das Gehörte zu glauben, andererseits war da<br />
das Erlebnis mit dem noch immer verschwundenen Dieter Rosenbusch. Sollte das<br />
Ganze wirklich nur <strong>ein</strong> Halloweenscherz s<strong>ein</strong>, wie der Kommissar glaubte? Matze<br />
tastete nach dem Beutel mit dem Medaillon und dem hellblauen Pulver, den Paule<br />
ihm gegeben hatte. Es gab nur <strong>ein</strong>e Möglichkeit der Sache auf den Grund zu gehen.<br />
Er musste auf die ‚Queen of Haiti’ und die Truhe in Augensch<strong>ein</strong> nehmen.<br />
Und so schlenderte er mit – zugegeben – gemäßigter Euphorie am späten<br />
Nachmittag den Kanalweg entlang, bis er endlich das Schiff erreichte. Es lag dort<br />
friedlich vertäut an der Anlegestelle. Vom Hafen her trug der Wind typische<br />
Verladegeräusche herüber, und <strong>ein</strong>e blassgoldene Spätoktobersonne zog sich<br />
gerade hinter Wolkenfetzen zurück.<br />
Vielleicht hätte er ja doch jemanden bitten sollen, mitzukommen. Zum Beispiel s<strong>ein</strong>en<br />
Freund Adrian, der in s<strong>ein</strong>er Freizeit an mittelalterlichen Kampfspielen teilnahm und<br />
zudem außer den dafür üblichen Schaukampfwaffen <strong>ein</strong> scharf geschliffenes Schwert<br />
besaß. Und wer weiß, wozu es noch benötigt wurde!<br />
Schließlich überwand er sich und betrat über den Steg das Schiff. K<strong>ein</strong> Laut war hier<br />
zu hören. Ein Totenschiff, fuhr es ihm durch den Kopf. Dann öffnete er die Tür zur<br />
Kajüte und erstarrte! Ihm war klar, dass er nun ganz schnell handeln musste!<br />
Adrian Wetterkamp hörte <strong>ein</strong>e CD von ACDC und versuchte zu den Klängen von<br />
‚Highway to Hell’ s<strong>ein</strong> Kettenhemd zu entrosten. Er legte es gerade in <strong>ein</strong>e Schüssel<br />
mit Dieselöl, als es drei Mal heftig läutete. S<strong>ein</strong>e Frau war nicht da, und so r<strong>ein</strong>igte er<br />
sich notdürftig die Hände von der Schmiere und öffnete die Tür. Vor ihm stand s<strong>ein</strong><br />
völlig aufgelöster Freund Matze mit irre funkenden Augen und ließ jegliche Höflichkeit<br />
beiseite. Er grüßte gar nicht erst, stürmte ins Wohnzimmer, ließ sich in <strong>ein</strong>en Sessel<br />
plumpsen und keuchte aufgeregt: „Du musst sofort d<strong>ein</strong> Schwert holen! Das scharfe!“<br />
„Ich wünsche dir auch <strong>ein</strong>en recht schönen guten Abend!“, erwiderte Adrian.<br />
Nun erzählte Matze Paules Geschichte. Das war gar nicht so <strong>ein</strong>fach, denn er wurde<br />
immer wieder von Zwischenfragen unterbrochen.<br />
„Moment mal“, sagte Adrian, „du behauptest also, Karibik Paule hat in s<strong>ein</strong>en jungen<br />
Seefahrerjahren mit <strong>ein</strong>em Freund zusammen <strong>ein</strong>es Tages nur so zum Spaß, weil<br />
ihnen langweilig war, bei <strong>ein</strong>em Voodoo Priester <strong>ein</strong>en <strong>Zombie</strong> bestellt? Und dann ist<br />
dieser Scherz unerwartet Wirklichkeit geworden?“<br />
„Paule erzählte das! Es fand <strong>ein</strong>e Zeremonie statt und der Untote wurde tatsächlich<br />
von <strong>ein</strong>em Houngan in <strong>ein</strong>er Truhe geliefert. <strong>Zombie</strong>s wurden in der Karibik von<br />
Eingeweihten sozusagen als Arbeitssklaven gehalten. Und immer wenn Paule mal<br />
jemanden zum Zupacken brauchte, ließ er ihn heraus. Die Dinger haben k<strong>ein</strong>en<br />
eigenen Willen. Paule beherrschte ihn, weil der Houngan ihm <strong>ein</strong> Medaillon gab, in<br />
dem <strong>ein</strong> Stück vom Fingerknochen des Untoten <strong>ein</strong>gearbeitet ist. Der <strong>Zombie</strong> ist an<br />
den Besitzer dieses Medaillons gebunden. Alles ging gut, bis Dieter Rosenbusch<br />
beschloss, <strong>ein</strong>e Flasche Rum mit Paule niederzumachen. Als die Pulle gelehrt war,<br />
vermutete er Nachschub in der Truhe. Er schlug Paule nieder und öffnete die Kiste.<br />
Den Rest können wir uns denken.“
Adrian war erschüttert. „Du willst mich verklapsen!“<br />
„N<strong>ein</strong>, n<strong>ein</strong>! Ich glaubte es zunächst auch nicht. Aber dann sah ich es mit eigenen<br />
Augen. Paule erzählte, dass die Truhe gleichzeitig <strong>ein</strong> Tor ist, das anderen <strong>Zombie</strong>s<br />
erlaubt, in unsere Welt zu wechseln. Jedenfalls kann das passieren, wenn sie<br />
längere Zeit geöffnet bleibt. Ich habe es gesehen!“<br />
Er erschauderte nachträglich.<br />
„Als ich die Tür zur Kajüte öffnete, saß Paules <strong>Zombie</strong> auf <strong>ein</strong>em Stuhl, und zwei<br />
weitere Monster kletterten gerade aus der Truhe. Sie sahen schrecklich aus. Der<br />
<strong>ein</strong>e hatte völlig leere Augenhöhlen, <strong>ein</strong>e mumifizierte Haut und <strong>ein</strong>en Dreispitz auf<br />
dem Schädel. Wo ehemals die Nase war, kamen Maden heraus geschleimt, und die<br />
Hände bestanden nur noch aus Knochen. Der andere war wohl etwas frischer, aber<br />
auch nicht hübscher. Ihm quoll das Hirn aus <strong>ein</strong>er Schädelhälfte und die Haut hing<br />
teilweise in Fetzen an ihm runter.“<br />
„Und wie bist du ihnen entkommen?“ fragte Adrian.<br />
„Paule gab mir <strong>ein</strong> Pulver. Zieht man damit <strong>ein</strong>e Linie, kann sie von den <strong>Zombie</strong>s<br />
nicht überschritten werden. Ich schlug also sofort die Tür wieder zu und streute das<br />
Pulver davor!“<br />
„Na, dann wollen wir mal hoffen, dass der Wind es noch nicht weggeweht hat!“<br />
Die beiden Freunde starrten sich an.<br />
„Hol d<strong>ein</strong> Schwert!“, sagte Matze. „Man kann sie nur vernichten, indem man sie<br />
verbrennt, ihnen in den Kopf schießt oder den Kopf abschlägt! Ich nehme <strong>ein</strong><br />
Bolzenschussgerät und m<strong>ein</strong> großes Fleischerbeil, den Rinderspalter. Und dann<br />
noch <strong>ein</strong>es! Ihr matschiges Hirn ist hauptsächlich auf Fressen programmiert. Lass<br />
dich also auf gar k<strong>ein</strong>en Fall beißen, denn dann wirst du auch zum <strong>Zombie</strong>!“<br />
Der Himmel war fast schwarz. Wolken hatten sich vor den Mond und die Sterne<br />
geschoben. Die Luft war schwer und feucht. Ab und zu wirbelte Wind Laub vom<br />
Boden auf und im dunklen Wasser des Kanals spiegelten sich die Lichter der<br />
Straßenlaternen, die den Weg säumten.<br />
Die Freunde gingen Seite an Seite, wobei sie sich regelmäßig nach allen Richtungen<br />
umschauten und ihre Waffen griffbereit hielten. Als sie bei der „Queen of Haiti“<br />
ankamen, war dort alles still. Nichts war zu sehen.<br />
„Ob sie noch in der Kajüte sind?“, fragte Matze und bemühte sich, mutiger zu klingen,<br />
als er sich fühlte.<br />
„Tja!“, antwortete Adrian. „Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder treiben sie<br />
sich hier draußen irgendwo herum, und dann gnade uns Gott, oder sie sind<br />
tatsächlich noch dort drinnen! Wir sollten zwar <strong>ein</strong>fach mal nachsehen, aber ehrlich<br />
gesagt, ist mir ungefähr so wohl, wie bei Sex mit <strong>ein</strong>em Krokodil. Trotzdem, wir<br />
müssen was tun! Wenn die Biester tatsächlich so langsam und unbeholfen sind,<br />
sollten wir sie austricksen können!“
Beide glitten leise über den Steg auf das Schiff. Ihre Hände umkrampften die Waffen.<br />
Es war totenstill. Matze schlich zur Kajüte und spähte vorsichtig durch das kl<strong>ein</strong>e<br />
Fenster.<br />
„Sie sind da drinnen!“, flüsterte er. „Allerdings rückt Verstärkung nach. Zwei neue<br />
<strong>Zombie</strong>s sind gerade dabei, aus der Truhe zu steigen. Ich kann insgesamt schon<br />
sieben zählen. Langsam wird es eng in der Kajüte.“<br />
„Was tun sie genau?“<br />
„Gar nichts, sie stehen <strong>ein</strong>fach nur rum!“<br />
Adrian wies auf die Reste des blauen Pulvers, das vor der Kajütentür verstreut war.<br />
„Das sch<strong>ein</strong>t sie tatsächlich in Schach zu halten. Aber nur, bis es sich endgültig<br />
aufgelöst hat. Wir sollten sie irgendwie herauslocken. Durch die enge Tür können sie<br />
nur <strong>ein</strong>zeln kommen und dann, na ja, dann schlagen wir mit unseren Waffen zu!“ Er<br />
schluckte.<br />
Hinter ihnen ertönte plötzlich <strong>ein</strong> Geräusch. Es hörte sich an, als ob jemand, der die<br />
Füße nur mit Mühe hochbekam, über den Steg schlurfte. Dann sahen sie ihn. Dieter<br />
Rosenbusch, oder vielmehr das, was er nun war, kam mit ausgebreiteten Armen<br />
unbeirrt auf sie zugewankt. Aus dem aufgeschlitzten Bauch baumelten lang<br />
heraushängende Darmfetzen.<br />
Adrian fragte sich zunächst, ob er sich erbrechen sollte. Dann aber startete er los,<br />
wie er es seit Jahren bei den Ritterturnieren geübt hatte. Er schaltete dabei jeden<br />
Gedanken, dass der Untote mal <strong>ein</strong> Mensch gewesen war, aus. S<strong>ein</strong> Gegner war<br />
<strong>ein</strong>fach nur <strong>ein</strong>e Übungspuppe. Mit <strong>ein</strong>em gewaltigen Streich zischte das Schwert<br />
durch die Luft, und der Kopf des <strong>Zombie</strong>s polterte auf die Planken des Schiffes. Der<br />
Körper erzitterte und fiel dann ebenfalls mit <strong>ein</strong>em dumpfen Geräusch zu Boden.<br />
Gleichzeitig wurde die Kajütentür so gewaltsam aufgestoßen, dass sie fast aus den<br />
Angeln gehoben wurde. Mit <strong>ein</strong>em Sprung waren beide Freunde dort und<br />
versuchten, sie wieder zuzudrücken. Das gelang jedoch nur unbefriedigend, weil der<br />
Arm <strong>ein</strong>es <strong>Zombie</strong>s dazwischen geklemmt war. Die Hand packte Adrian am<br />
Jackenärmel, und Matze reagierte sofort. Er hob s<strong>ein</strong> Beil und trennte den Arm des<br />
Monsters sauber ab. Eine graugrüne Flüssigkeit ergoss sich aus dem Stumpf.<br />
Wieder drückten beide mit aller Kraft gegen die Tür. Aber sie konnten ihre Position<br />
nicht länger halten, die <strong>Zombie</strong>s waren <strong>ein</strong>fach zu stark. Die Freunde wichen zurück,<br />
während <strong>ein</strong>er der Gegner aus der Kajüte wankte. Er versuchte Matze zu packen,<br />
aber dieser hob das Bolzenschussgerät, hielt er es dem Untoten an den Kopf und<br />
drückte ab. Der <strong>Zombie</strong> fiel ohne <strong>ein</strong>en Laut um.<br />
Die anderen versuchten nun auch, durch die Türöffnung zu drängen, immerhin trieb<br />
sich da draußen leckeres Frischfleisch herum. Der Erste stolperte allerdings über<br />
s<strong>ein</strong>en endgültig vernichteten Kameraden, und Adrian konnte ihm ohne große Mühe<br />
den Kopf abschlagen. Da die anderen nicht besonders lernfähig waren, zelebrierten<br />
die Freunde ohne großartige Gegenwehr der F<strong>ein</strong>de <strong>ein</strong> makabres Schlachtfest.<br />
Abwechselnd sausten Schwert und Rinderspalter durch die Luft und trafen ihr Ziel.
Als k<strong>ein</strong> <strong>Zombie</strong> mehr darauf bestand, s<strong>ein</strong> untotes Leben weiterzuführen, stützte<br />
sich Adrian auf s<strong>ein</strong> Schwert und sah sich um. Die beiden Lebenden standen<br />
zwischen herumliegenden Körpern, abgeschlagenen Köpfen und Gliedmaßen. Das<br />
faulige Fleisch verströmte <strong>ein</strong>en Geruch, der <strong>ein</strong>em Ledernacken das Fürchten<br />
beigebracht hätte. Außerdem waren die Planken des Schiffes glitschig von dem Blut<br />
der <strong>Zombie</strong>s und sie mussten darauf achten, nicht auszugleiten.<br />
„Ich kündige jetzt!“ Adrians Atem ging schwer und stoßweise. „Das wird mir zu<br />
anstrengend. Aber vorher sollten wir mal nach der Truhe sehen!“<br />
Matze nickte, stieg vorsichtig über <strong>ein</strong>ige der Körper hinweg und betrat die Kajüte. Da<br />
sah er, dass Adrians Eingebung richtig gewesen war. Gerade wollte wieder <strong>ein</strong><br />
<strong>Zombie</strong> aus der Truhe heraus. Der Fleischermeister hob s<strong>ein</strong> Beil, und Sekunden<br />
später prallte der Kopf des Monsters auf den Boden und rollte <strong>ein</strong> Stück weiter.<br />
„Hasta la vista, Baby!“, grummelte Matze und schlug den Truhendeckel mit <strong>ein</strong>em<br />
Knall zu. „Das wollte ich doch schon immer mal sagen!“<br />
Im Untergeschoss <strong>ein</strong>es Gebäudes, das hauptsächlich aus Glas und Stahl zu<br />
bestehen schien, befand sich die Autopsie, in die der Tote, den man als Stefan<br />
Schmidt identifiziert hatte, <strong>ein</strong>geliefert worden war. Er sah schrecklich aus. Der linke<br />
Arm bestand nur noch aus den Knochen, an denen lose Muskelstränge und Sehnen<br />
hingen. Kopf und Hals neigten sich eigentümlich abgewinkelt zur rechten Seite. K<strong>ein</strong><br />
Zweifel, das Genick war gebrochen. Außerdem war der Brustkorb geöffnet und das<br />
Herz fehlte.<br />
Der mit <strong>ein</strong>em grünen Kittel bekleidete Pathologe Dr. Mertens beugte sich über die<br />
Leiche. „Der Körper weist extrem viele Verletzungen auf, <strong>ein</strong> äußerst interessanter<br />
Fall!“, sagte er laut und wollte sich ans Werk machen. Da schoss plötzlich die Hand<br />
des Toten nach oben und umklammerte die Faust des Pathologen, die das Skalpell<br />
hielt. Man hörte nur noch <strong>ein</strong>en Schrei und dann schmatzende Geräusche.<br />
Eine Stunde später schlurfte Dr. Mertens mit stockenden Schritten über den Flur des<br />
Polizeipräsidiums. Das Fleisch an der linken Gesichtshälfte fehlte vollkommen, und<br />
s<strong>ein</strong> rechtes Auge hing aus der Höhle. Er stieß grunzende Laute aus, als Kommissar<br />
Kunze ihm entgegenkam, der sich gerade <strong>ein</strong>en dampfenden Kaffee vom Automaten<br />
geholt hatte.<br />
Und dann hatte der Kommissar k<strong>ein</strong>en Appetit mehr auf Kaffee. Niemals wieder!