03.04.2018 Aufrufe

Pura Vida Costa Rica, oder: Grade nochmal die Kurve gekriegt!

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Referat Lateinamerika und Karibik<br />

April 2018<br />

<strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong>: Im Zweifel für progressive Regierungspolitik<br />

Ohne Übertreibung darf gesagt werden, dass <strong>Costa</strong><br />

<strong>Rica</strong> am 1. April sehr knapp an einer mittleren Katastrophe<br />

vorbeigeschrammt ist: Carlos Alvarado von<br />

der progressiven Regierungspartei PAC wurde am<br />

Ostersonntag – und am unerwarteten, glücklichen<br />

Ende - deutlich mit über 60 Prozent der Stimmen<br />

zum 48. Präsident des Landes gewählt. Erst im<br />

Schlussspurt haben <strong>die</strong> Wählerinnen und Wähler<br />

damit dem siegesgewissen Lager evangelikalreligiöser<br />

Eiferer sozusagen <strong>die</strong> rote Karte gezeigt.<br />

Gerade noch rechtzeitig.<br />

Im ersten Wahlgang am 4. Februar hatte erwartungsgemäß<br />

keiner der 13 Kandidat_innen <strong>die</strong> erforderlichen<br />

40 Prozent der Stimmen für einen unmittelbaren<br />

Sieg um <strong>die</strong> Präsidentschaft erzielt. Daher<br />

zogen <strong>die</strong> beiden Erstplatzierten – Fabricio Alvarado<br />

von der evangelikal-konservativen Partido Restauración<br />

Nacional (PRN; 24,79 %) sowie Carlos<br />

Alvarado (nicht verwandt) von der Partido Acción<br />

Ciudadana (PAC; 21,74 %) – in <strong>die</strong> entscheidende<br />

zweite Runde am 1. April 2019 ein. Laut Wahlgesetz<br />

fällt <strong>die</strong>se zweite Runde immer auf den ersten Sonntag<br />

im April. Mit welchen Risiken, das wird im Weiteren<br />

<strong>nochmal</strong> zur Sprache kommen.<br />

Fabricio – 43 Jahre, seit vier Jahren einziger Abgeordneter<br />

seiner Partei im Parlament, Journalist ohne<br />

Abschluss, Psalmist einer evangelikalen Kirche, geschätzter<br />

Kirchensänger - zog als Favorit mit annähernd<br />

20 Prozent Stimmenvorsprung laut Meinungsumfragen<br />

in das entscheidende Duell. Ihm<br />

gegenüber stand mit Carlos – 38 Jahre, ausgebildeter<br />

Journalist, progressiver und polyglott weltoffener<br />

Politiker – ein Vertreter der gegenwärtigen Regierung,<br />

in der er bis zum Eintritt in seinen Wahlkampf<br />

zuletzt als Arbeitsminister ge<strong>die</strong>nt hatte. Damit trafen<br />

zwei Gesellschafts- und Lebensmodelle aufeinander,<br />

<strong>die</strong> unterschiedlicher beinahe nicht sein<br />

könnten: Hier <strong>die</strong> in ihrem Glauben stark verwurzelten<br />

Gegner von gleichgeschlechtlicher Ehe, künstlicher<br />

Befruchtung <strong>oder</strong> Schwangerschaftsabbruch,<br />

dort <strong>die</strong> urban-intellektuellen Progressiven m<strong>oder</strong>nen<br />

Zuschnitts. Der Wettbewerb hätte spannender<br />

nicht sein können, aber wie konnte <strong>die</strong>se Wahl<br />

überhaupt auf solch eine Spitze getrieben werden<br />

und eine so tiefe Spaltung in <strong>die</strong> Gesellschaft offen<br />

legen?<br />

Die Kampagnen zur Wahl des neuen Präsidenten<br />

und des Parlaments verliefen lange Zeit und für<br />

costa-ricanische Verhältnisse relativ normal: Vom<br />

Wahlvolk traditionell mit wenig Interesse begleitet,<br />

im Straßenbild kaum wahrnehmbar, dafür in den<br />

sozialen Me<strong>die</strong>n, den Talkshows und Debatten im<br />

Fernsehen umso präsenter. Im Grunde genommen<br />

ging es nur noch darum, wie sehr Carlos Alvarado<br />

für <strong>die</strong> von vielen als nur mittelmäßig erachtete<br />

Leistungsbilanz „seines“ Präsidenten Luis Guillermo<br />

Solís abgestraft werden und wer sich neben den<br />

beiden Favoriten Desanti (PLN) <strong>oder</strong> Castro (PIN) mit<br />

welchem Ergebnis durchs Ziel retten würde.<br />

Doch am 9. Januar kam alles anders.<br />

An <strong>die</strong>sem Tag verkündete der Interamerikanische<br />

Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH) mit Sitz in<br />

<strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong> seine Stellungnahme, dass Ehen zwischen<br />

gleichgeschlechtlichen Partner_innen grundsätzlich<br />

garantiert sein müssen, und dass gleichgeschlechtlichen<br />

Paaren alle Rechte, <strong>die</strong> für gemischtgeschlechtliche<br />

Ehen gelten, mittelfristig nicht vorenthalten<br />

werden können. Und zwar in allen 12<br />

Ländern, <strong>die</strong> den Gerichtshof als Instanz der Organisation<br />

Amerikanischer Staaten anerkennen. Das<br />

heißt: auch in <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong>. Die Resonanz in den Lagern<br />

war enorm: <strong>die</strong> LGBTI-Gemeinde sah sich jubelnd<br />

zurecht einen gewaltigen Schritt weiter in<br />

Richtung auf ihre Gleichberechtigung, das m<strong>oder</strong>nliberal-sozialdemokratische<br />

Lager hatte erleichtert<br />

nun ausreichend Handhabe zur Umsetzung brach<br />

liegender Gesetzesprojekte, <strong>die</strong> religiös-konservative<br />

Mehrheit der Gesellschaft schrie sich ihre Wut und<br />

Frustration – nicht nur in Gotteshäusern – aus dem<br />

Leib. Drei Wochen vor dem ersten Urnengang zur<br />

Wahl des Präsidenten und Parlaments hatten sich<br />

damit jegliche Bewertungsmaßstäbe verschoben.<br />

Während <strong>die</strong> Regierung noch erörterte, in welchen<br />

Schritten und wie schnell <strong>die</strong> Umsetzung der Empfehlungen<br />

des Gerichts zu bewerkstelligen wäre, hat<br />

sich Fabricio Alvarado unmittelbar und lautstark als<br />

entschiedener – und einziger - Gegner solcher Veränderungen<br />

im Kandidatenfeld hervorgetan. In<br />

einem von 500.000 Menschen gesehenen facebook-Video<br />

garantierte er, im Falle eines Wahlsieges<br />

sowohl den Gerichtsentscheid unberücksichtigt zu<br />

1


FES-Kurzanalyse: <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong> – im Zweifel für progressive Regierungspolitik<br />

lassen, als auch gegen <strong>die</strong> Anerkennung des Gerichts<br />

selbst vorzugehen. Keine zwei Wochen später<br />

zeigte sich, auf welch unerwartete Popularität <strong>die</strong><br />

evangelikale Partei PRN mit ihrem gottesfürchtigen<br />

Kandidaten und Antagonisten gleichgeschlechtlicher<br />

Ehe bei den Wähler_innen würde bauen können: in<br />

den Umfragen katapultierte er sich an erste Stelle –<br />

immerhin von drei auf etwa 20 Prozent. Und seiner<br />

Partei, vormals mit ihm als alleinigem Abgeordneten<br />

im Parlament vertreten, wurden plötzlich sogar 10<br />

der zu vergebenden 57 Sitze zugetraut. Es sollte<br />

aber tatsächlich noch schlimmer kommen, denn laut<br />

Umfragen teilte Fabricio seine Haltung mit mindestens<br />

60 Prozent der Bevölkerung.<br />

Die Wahlbeteiligung beim ersten Wahlgang war mit<br />

66 Prozent nicht wirklich hoch und wies zudem<br />

regional sehr starke Unterschiede auf. Die Ergebnisse<br />

der Wahl der 57 Abgeordneten des Parlaments<br />

waren indes gleichermaßen überraschend wie der<br />

Ausgang zur Bestimmung des nächsten Präsidenten:<br />

<strong>die</strong> altehrwürdige, sozialdemokratische Partei<br />

Liberación Nacional (PLN) blieb zwar mit 17 Sitzen<br />

stärkste Kraft, wird nun aber gefolgt von der religiös-konservativen<br />

PRN Fabricio Alvarados mit nunmehr<br />

14 Sitzen: das sind ganze 13 mehr als bislang.<br />

Die Regierungspartei und Partei Carlos Alvarados<br />

PAC verlor drei ihrer 13 Sitze, ging damit aber noch<br />

relativ unbeschadet aus dem Rennen im Vergleich<br />

zu der anderen progressiv-linken Partei Frente<br />

Amplio hervor. Diese wird nach neun bisherigen<br />

Sitzen fortan nur noch mit einem einzigen Abgeordneten<br />

vertreten sein. Dass zudem <strong>die</strong> Liberale<br />

Partei nach drei Dekaden politischer Präsenz nunmehr<br />

ganz aus dem Parlament flog, mag das Bild<br />

polit-tektonischer Verschiebungen durchaus abrunden.<br />

Die regionalen Unterschiede der Wahlergebnisse<br />

vom 4. Februar spiegeln in Teilen das Bild der regionalen<br />

Disparitäten des Landes wider: Sowohl an der<br />

Karibik- wie auch der Pazifikküste lag zum einen <strong>die</strong><br />

Wahlbeteiligung extrem niedrig, jedoch der Zuspruch<br />

für Fabricio und seine Partei PRN enorm<br />

hoch. Gerade an der Karibikseite – dem vergessenen,<br />

vernachlässigten, strukturell verarmten Teil des<br />

Landes – hatten <strong>die</strong> sich rasch vermehrenden evangelikalen<br />

Kirchen starken Zulauf. Die Kirche tritt<br />

erfolgreich mit ihren Heilsversprechungen auf und<br />

füllt so das Vakuum nicht wirklich engagiert auftretender<br />

politischer Parteien, <strong>die</strong> sich lieber der urbanen<br />

Elite und Intelligenzija des zentralen Hochtals<br />

um San José widmen.<br />

Auf in <strong>die</strong> zweite Runde<br />

Wie nicht anders zu erwarten, kreisten nahezu<br />

sämtliche Debatten in den Wochen vor dem zweiten<br />

Wahlgang am 1. April um <strong>die</strong> Haltung der beiden<br />

Kandidaten zur gleichgeschlechtlichen Ehe sowie<br />

auch deren grundsätzlichem Verhältnis zum „tief im<br />

christlichen Glauben verwurzelten Gesellschaftsmodell“<br />

<strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong>s. Die aus Sicht des religiöskonservativen<br />

Lagers eng damit verbundenen „Un-<br />

Themen“ wie Abtreibung, künstliche Befruchtung,<br />

Homosexualität und Gender ganz generell, wurden<br />

von Fabricios Lager massiv in <strong>die</strong> öffentliche Debatte<br />

gedrückt - und in <strong>die</strong> Gotteshäuser, denn <strong>die</strong> evangelikale<br />

Kirche allein verfügt über ein enorm dichtes<br />

Netzwerk samt der dazu gehörenden, gut organisierten<br />

Maschinerie. All <strong>die</strong>s geschah so vehement,<br />

dass sich selbst <strong>die</strong> Oberste Wahlbehörde genötigt<br />

sah, auf <strong>die</strong> vorgeschriebene und daher notwendigerweise<br />

gesunde Distanz zwischen Religion und<br />

Politik hinzuweisen.<br />

Am Rande hat <strong>die</strong>se Debatte auch dazu geführt,<br />

dass sich <strong>die</strong> Mehrzahl der Kandidat_innen dazu<br />

bemüßigt sah, ebenfalls Positionen gegen <strong>die</strong> sog.<br />

Gender-Ideologie, gleichgeschlechtliche Ehe <strong>oder</strong><br />

<strong>die</strong> Förderung von Sexualkundeunterricht an Schulen<br />

zu beziehen. Gerade Letzteres wird seit Bekanntwerden<br />

des neuen Lehrplanes für Primär- und<br />

Sekundarschulen von den katholischen und evangelikalen<br />

Kirchen in der Manier eines emotionalmoralisch<br />

hoch aufgeladenen Kreuzzuges abgelehnt.<br />

Die sogenannte Semana Santa – also <strong>die</strong> Woche, <strong>die</strong><br />

mit Gründonnerstag, Karfreitag und -samstag zu<br />

Ostern hinführt - ist den <strong>Costa</strong>ricaner_innen nicht<br />

nur im christlichen Sinne heilig: alle <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong><br />

es sich leisten wollen <strong>oder</strong> können (und das sind<br />

nicht wenige) verbringen <strong>die</strong>se Woche im Urlaub am<br />

Strand <strong>oder</strong> in den Bergen. Die enorme Rückkehrwelle<br />

am Ostersonntag wird nur dadurch bewältigt,<br />

dass alle Fahrspuren der Autobahnen ab mittags<br />

und von viel Polizei überwacht nur noch eine Richtung<br />

kennen: gen San José. Dies bedeutete, dass ein<br />

Großteil derer, <strong>die</strong> an <strong>die</strong>sem Tag an ihrem Wohnort<br />

eigentlich wählen sollten, im Zweifel noch unterwegs<br />

sein würden. Wenn sie überhaupt vorhatten,<br />

wählen zu gehen. Bevölkerungsteile aber, <strong>die</strong> weniger<br />

vermögend sind, <strong>die</strong> weniger dem Strandleben<br />

zusprechen <strong>oder</strong> <strong>die</strong> wegen der vielen Osterfeiertage<br />

in der Nähe ihrer heimischen Gemeinde verbleiben<br />

wollen, würden sich daher sehr viel stärker in<br />

der Nähe ihrer Wahllokale aufhalten. Und <strong>die</strong>s war –<br />

vereinfacht ausgedrückt – auch genau <strong>die</strong> potentielle<br />

Wählerschaft des evangelikalen Kirchenmannes<br />

Fabricio Alvarado.<br />

2


FES-Kurzanalyse: <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong> – im Zweifel für progressive Regierungspolitik<br />

Ein religiös enorm aufgeladenes Thema verengte<br />

über Wochen hinweg den Blick einer ganzen Nation<br />

und in einem entscheidenden Moment des Wahlprozesses.<br />

Dabei sollte sie sich doch aber sehr viel<br />

mehr für Themen wie <strong>die</strong> Krise der Staatsfinanzen,<br />

den drohenden Kollaps des Renten- und Sozialversicherungssystems,<br />

das extrem teure aber ineffiziente<br />

Bildungssystem, <strong>die</strong> beharrlich hohe Arbeitslosigkeit,<br />

den Infrastruktur- und Verkehrsnotstand <strong>oder</strong> das<br />

verloren zu gehen drohende Sicherheitsgefühl interessieren.<br />

Aber nein, <strong>die</strong> Gesellschaft spaltete sich<br />

auf in zwei Lager, <strong>die</strong> scheinbar keinen gemeinsamen<br />

Nenner zu finden in der Lage waren. Manche<br />

Beobachter sprachen daher davon, dass <strong>die</strong>se Wahl<br />

des Präsidenten einem Referendum darüber gleichkam,<br />

welchen Weg <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong> künftig einschlagen<br />

soll und werde: religiös-konservativ bewahrend,<br />

<strong>oder</strong> säkular-m<strong>oder</strong>n gestaltend. <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong> hatte<br />

<strong>die</strong> Wahl, und es hat sich für Letzteres entschieden.<br />

Die Chancen für Carlos Alvarado, der PAC mit einem<br />

Sieg zu einer zweiten Regierungszeit in Folge<br />

zu verhelfen, standen nie wirklich gut. Die Mobilisierung<br />

seiner Kernanhängerschaft im Zentraltal San<br />

Josés – bereits am Vortag der Wahl setzte eine<br />

enorme Rückreisewelle aus den Ferienregionen ein –<br />

sowie insbesondere <strong>die</strong> Eroberung der Stimmenmehrheit<br />

in der Provinz Guanacaste an der nördlichen<br />

Pazifikküste bei gleichbleibender Wahlbeteiligung<br />

wie in der ersten Runde im Februar haben<br />

schließlich den Ausschlag gegeben. Carlos hat nun<br />

vier Jahre Zeit und <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> gespaltene Bevölkerung<br />

seines Landes wieder zusammenzuführen.<br />

Dabei wird er den Kurs zur Bewältigung der bestehenden<br />

strukturellen Missstände zwar vorgeben<br />

können. Aber an der oppositionellen Mehrheit im<br />

Parlament wird er sich - dem Schicksal seines Vorgängers<br />

Solís nicht unähnlich - so manchen progressiven<br />

Zahn ausbeißen müssen.<br />

Hajo Lanz, Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

in <strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong>, Panama und Nicaragua mit Sitz in San<br />

José (<strong>Costa</strong> <strong>Rica</strong>).<br />

3

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!