HOMO LUDENS
liber amicorum für, wegen und an Christian Seiler
liber amicorum für, wegen und an Christian Seiler
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Für, wegen und an<br />
Christian Seiler
Für, wegen und an<br />
Christian Seiler
6
7<br />
« Der Mensch<br />
spielt nur, wo er in<br />
voller Bedeutung<br />
des Worts Mensch<br />
ist, und er ist nur<br />
da ganz Mensch,<br />
wo er spielt. »<br />
Friedrich Schiller<br />
Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief
8<br />
Erinnerungen an Christian<br />
Seiler im Lehrerkonvent<br />
<strong>HOMO</strong> L UDENS VORWORT
9<br />
Die Eindringlichkeit, mit welcher Christian Seiler spricht<br />
und auftritt, ist unvergesslich.<br />
Christian besitzt das beneidenswerte Talent, Jugendliche für die<br />
Bühne und Bühnenexperimente zu begeistern und mit ihnen<br />
gemeinsam aktuelle Themen zu dramatisieren, entweder in Anlehnung<br />
an bestehende Werke der Weltliteratur oder in Eigenproduktionen.<br />
Die Resultate waren durchgehend verblüffend – witzig,<br />
raffiniert, kritisch; die Schauspieler/innen waren jeweils hemmungslos<br />
(im positiven Sinn!) und überzeugend.<br />
Die hohe Professionalität der schauspielerischen Leistungen<br />
sowie der Aufführungen der AG Theater sind Christian Seiler,<br />
seinem hohen Können und seiner Begeisterungs- und Motivationsfähigkeit<br />
zu verdanken. Er ist ein eindrücklicher Mensch. Eindrücklich<br />
im persönlichen Gespräch, eindrücklich, wenn er zum<br />
Publikum in der Aula spricht. Am eindrücklichsten aber war<br />
für mich sein Auftritt vor unserem Lehrerkonvent. Das muss vor<br />
Jahren gewesen sein, die Umstände habe ich vergessen, nicht<br />
aber seine absolute Präsenz und Eindringlichkeit. Da stand also<br />
Christian Seiler, Leiter der AG Theater und als solcher vom LG<br />
angestellt, vor den versammelten Lehrpersonen des RG. Er nahm<br />
seine (für mich typische) Bühnenpose ein und forderte wartend<br />
die volle Aufmerksamkeit der Lehrpersonen ein. Erst als es ungewöhnlich<br />
still im Konventszimmer war, begann Christian zu sprechen.<br />
Sein Gesichtsausdruck war ernst. Er zeigte uns auf, wie<br />
wichtig die Theaterarbeit für unsere Schülerinnen und Schüler<br />
sei. Es gehe nicht nur darum, Weltliteratur zu lesen, es gehe auch<br />
darum, diese zu «leben» und dadurch intensiver zu fühlen und<br />
verstehen! Plötzlich hielt Christian Seiler inne und schaute noch<br />
einen Tick ernster. Was war los? – verdutzt schauten wir Christian<br />
an. Dieser richtete seinen durchdringenden Blick auf eine Lehrperson<br />
und teilte ihr mit, dass er auch ihre Aufmerksamkeit wolle,<br />
denn es gehe um nichts minderes als das Theater. Wow, dachte<br />
ich mir, was für ein Mann! Er war nicht gekommen, um nett für<br />
das Verständnis fürs Theater und die dadurch bedingten gelegentlichen<br />
Absenzen einzelner Schülerinnen und Schüler zu werben,<br />
sondern um uns mit Nachdruck verständlich zu machen, wie<br />
wichtig das Theater als Lebensschule ist und dass es deshalb<br />
seinen festen Platz im gymnasialen Curriculum haben muss.<br />
Das Theater und die Theaterpädagogik sind Christian Seilers<br />
grosse Leidenschaft. Das eigentlich Menschliche wird in den<br />
aufgeführten Dramen für alle sicht- und spürbar, dank dem Talent<br />
und Können der Schauspieler/innen und eben wegen der Eindringlichkeit,<br />
mit welcher Christian Seiler seine Schauspieler /<br />
innen anleitet und fördert.<br />
<strong>HOMO</strong> L UDENS VORWORT<br />
Ursula Alder, Rektorin Realgymnasium Rämibühl
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
10
11<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
12
13<br />
Arbeitsgemeinschaft Theater Rämibühl<br />
1972 Gründung und Leitung durch Peter Marxer<br />
1973 Die Horatier und die Kuratier<br />
Schulstück – Berthold Brecht<br />
1974 König Ubu<br />
Alfred Jarry<br />
1975 Der gelbe Klang<br />
Eine Bühenkomposition – Wassily Kandinsky<br />
1976 Die verkehrte Welt<br />
Ludwig Tieck<br />
1977 Die Bakchen<br />
Euripides<br />
1978 Die Riesen vom Berge<br />
Ein Mythos – Luigi Pirandello<br />
1979 Prinz Seidenwurm & Prinz Tandi<br />
Friedrich Maximilian Klinger & Jakob Michael Reinhold Lenz<br />
1980 Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack<br />
Ludwig Tieck<br />
1981 Fahrten und Pannen<br />
nach «Reise um die Erde in 80 Tagen» von Jules Verne<br />
1982 Die Frieden<br />
Aristophanes<br />
1983 Krieg um Troja<br />
nach «Kein Krieg um Troja» von Giraudoux und «Die Troerinnen»<br />
von Euripides<br />
1984 Der Ritter vom brennenden Stössel<br />
Francis Beaumont<br />
1985 Der Sturm<br />
William Shakespeare<br />
1986 Verspielt<br />
nach «Prolog» von Ludwig Tieck und «Meierbeths Glück und Ende»<br />
1987 Wir sind noch einmal davongekommen<br />
Thornton Wilder<br />
1988 Robert der Teufel oder der Zauberer Sulphurelelektrimagneticophosphoratus<br />
und die Fee Walpurgiblocksbergiseptemtrionalis<br />
nach Johann Nestroy<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
14<br />
1989 Die Tücke des Objekts<br />
Szenen und Nummern<br />
1990 Die Alkestiade<br />
Thornton Wilder<br />
1991 Masaniello<br />
Christian Weise<br />
1992 Das goldene Vlies<br />
Trilogie von Franz Grillparzer<br />
1993 Elisabeth I<br />
Paul Foster<br />
1994 Der rote Faden<br />
Eigenkreation<br />
1995 Unsere kleine Stadt<br />
Thornton Wilder<br />
1995 Ad interim Leitung durch Richard Rutishauser<br />
1996 Noah<br />
Peter Marxer<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
1996 Übernahme der Leitung durch Christian Seiler<br />
1997 Die Nashörner<br />
nach Eugène Ionesco<br />
1998 Der weisse Scheich<br />
nach Federico Fellini
15<br />
1999 Wilhelm Tell oder Die Selbstbefreiung eines Urvolks<br />
Ein dramatisches Mährchen nach Friedrich Schiller<br />
2000 Ungeheuer ist viel<br />
Ein Stück Theater nach der Antigone des Sophokles<br />
2001 Wie es euch gefällt<br />
Ein Theater-Spiel für Frauen und Männer nach William Shakespeare<br />
2002 Lorenzaccio<br />
Ein Mordsspass von Alfred de Musset<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
16<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
2003 Der Besuch<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
2004 Die Wahrheit der Schmetterlinge<br />
Ein Filmtheater von Hannes Glarner<br />
2005 After Juliet | Nach Julia nach Romeo<br />
Sharman Macdonald<br />
2006 M.<br />
Ein Mordsstück von William Shakespeare<br />
2007 In einem Traum wie diesem<br />
Eine Szenenfolge zu Themen und Texten aus<br />
William Shakespeares «Mittsommernachtstraum»
17<br />
2008 Das Spiel vom Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello<br />
Christian Weise<br />
2009 Shopokalypse oder die Welt als Supermarkt<br />
Eigenproduktion<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
18<br />
2010 Das Wintermärchen<br />
Ein Stück Zeit nach William Shakespeare<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
19<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK
20<br />
2011 Biografien des Hungers<br />
Ein Ensembleprojekt<br />
2012 Nachtschwärmer<br />
Thomas Oberender nach Motiven der Gebrüder Grimm<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
2013 Ich hätte nicht übel Lust<br />
Ein Ensembleprojekt zu Frank Wedekinds «Frühlingserwachen»<br />
2014 Unten und oben<br />
Eine musikalische Komödie über Reichtum und Armut,<br />
Liebe und Geld nach Johann Nestroy<br />
2015 Der Rest des Lebens<br />
Ein Gegenwartsprojekt<br />
2016 Push Up 1 – 3<br />
Ein Stück Realität von Roland Schimmelpfennig
21<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS CHRONIK<br />
2017 Schwärmen<br />
Ein Text von Katharina Cromme in einer Bearbeitung von<br />
Christian Seiler mit Songs von Res Wepfer<br />
2018 To like or not to like<br />
Ein Ensembleprojekt zu William Shakespeares «As you like it»
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
22
23<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
24<br />
Lukas Schmid<br />
2013 – 2015<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Aus all den wunderbaren Erinnerungen aus der<br />
AG Theater werde ich wohl die folgende nie,<br />
nie vergessen. Es geht dabei um den rituellen<br />
Urschrei vor jeder Vorführung. Für mich war<br />
der Urschrei immer das Wichtigste, um mich<br />
auf eine Aufführung vorzubereiten. Egal, ob<br />
ich aus einem verregneten Schultag kam, oder<br />
mein Geist durch bevorstehende Prüfungen<br />
getrübt war. Der Urschrei brachte mich dahin,<br />
wo ich sein sollte und wollte: auf die Bühne<br />
der AG Theater! Durch diesen Ausruf erreichte<br />
ich die richtige Stimmung, um das Schaustück<br />
zusammen mit meinen Mitspielern, Kolleginnen<br />
und Kollegen zum Besten geben zu können.<br />
und sang ein Lied vor mich hin. Das war mein<br />
persönliches Ritual vor der Vorstellung.<br />
Dann, als alle versammelt waren und es nur<br />
noch Minuten bis zum Einlass des Publikums<br />
dauerte, war die Zeit für den Urschrei gekommen<br />
… auf einmal war es totenstill … nur die<br />
Präsenz jedes Schauspielers war zu fühlen …<br />
dann hob ein leises Brummen an. Den Anfang<br />
machte derjenige, der es gerade spürte. Nur<br />
durch Intuition folgte ich seiner Einladung, mal<br />
leiser, mal lauter. Bald schon summte es auf<br />
der Bühne wie aus einem<br />
Oft lief es dabei so ab, dass ich als erster<br />
alleine im Bühnenbild lag. Meist konnte ich<br />
die Aufführung kaum erwarten und war viel<br />
früher als die anderen auf den Brettern, die mir<br />
die Welt bedeuteten. Bis wir vollzählig waren,<br />
lag ich an meinem Lieblingsplatz der Szenerie<br />
Jeder gab mehr und mehr seiner Stimme in<br />
den kollektiven Schrei hinein. Das Crescendo<br />
steigerte sich – lauter, immer lauter werdend …<br />
und dann … dröhnte der Urschrei auf seinem<br />
Höhepunkt wie aus tausend Mündern.<br />
Anschliessend geschah ein brutaler Wechsel.<br />
Als der Schrei schlagartig verstummte, blieb<br />
die Zeit für einen langen Augenblick stehen.
25<br />
An diesen Moment erinnere ich mich bei<br />
jeder Vorstellung, die ich miterleben durfte.<br />
Für unser Ensemble stand einen Moment lang<br />
das Universum still. Das Publikum im Foyer<br />
und die Welt um uns herum war verschwunden.<br />
Auch mein privates «Ich» war weg. Nur<br />
die Schauspieler der AG Theater waren da,<br />
welche gerade ein Gefühl völliger Zusammengehörigkeit<br />
geteilt hatten.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Dass ich mit vielen wunderbaren Menschen<br />
diesen Schrei ausstossen durfte, daran habe<br />
ich noch eine Erinnerung von jeder Aufführung.<br />
Für jeden dieser Augenblicke, in denen ich<br />
ein Teil des Ganzen war, bin ich Dir, Christian,<br />
sehr dankbar.
26<br />
Larissa Tschudi<br />
1999 - 2001 (Spiel) und 2002 (Regieassistenz)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Das<br />
ardi s che<br />
Feue r<br />
Mit knapp 17 musste ich zusehen,<br />
wie sich mein Sohn das Leben nahm,<br />
weil seine Geliebte bei lebendigem<br />
Leibe in einem Turm aus Stein<br />
begraben worden war. Die Strafe<br />
erfuhr sie, weil sie die göttlichen<br />
Gesetze über die irdischen gestellt<br />
hatte («Antigone»). Und das war<br />
nicht das erste Drama in meinem<br />
Leben: Erst ein Jahr zuvor war ich<br />
knapp dem Tod durch einen Pfeil<br />
entronnen. Der Schütze war niemand<br />
anderes als mein Vater, und er traf<br />
wie durch ein Wunder nicht mich,<br />
sondern den Apfel auf meinem Kopf<br />
(«Wilhelm Tell»). Das Schicksal<br />
sollte es aber auch gut mit mir meinen: Zwei Jahre später heiratete<br />
ich auf einer blumengeschmückten Lichtung im Wald von Arden<br />
den schönen Orlando, inmitten eines bunten und fröhlichen<br />
Wirrwarrs («Wie es euch gefällt»). Innerhalb dreier Jahre war ich<br />
also Kind gewesen, Mutter und Geliebte. Das Leben im Schnelldurchlauf.<br />
Es fühlte sich wundervoll an!<br />
Der Zauberer, der das ermöglichte, war Christian. Wir nannten<br />
ihn manchmal auch schlicht den «Maestro». Er betrachtete uns<br />
mit seiner unergründlichen Art und brachte dann wahre Kunststücke<br />
aus uns heraus. Er lehrte uns, das Publikum zum Lachen, zum<br />
Weinen und zum Nachdenken zu bringen. Diese Talente hatten<br />
offenbar in uns geschlummert, wir wussten es nur lange Zeit nicht.<br />
Einige von uns sind später der Kunst treu geblieben. Die meisten<br />
sind andere Wege gegangen, das ardische Feuer ist wieder ein -<br />
geschlummert. Es ist schön, zu wissen, dass es im Inneren glimmt.<br />
Danke, Christian, für alles, was Du uns geschenkt hast.
Isabelle Barth<br />
1999 – 2002 (Spiel) und 2004 (Dramaturgie)<br />
spielend am
29<br />
glücklichsten<br />
Frisch am Rämi aufgenommen, begegne ich der AG<br />
Theater das erste Mal in Form eines Plakates: «Die<br />
Nashörner». Gleich darauf suche ich in meinem Erstklässler-Elan<br />
den Herrn Seiler auf und frage, ob ich da<br />
mitmachen könne – also in dem Theaterkurs da. «Erst<br />
im dritten Schuljahr», heisst es. Das war zumindest<br />
damals die Regel.<br />
Ich denke: «Pfffff, i ha doch i dä Grundschuel scho<br />
theöterled!» Und: «Ja aso dänn halt.» Bockig, vor lauter<br />
Enttäuschung über diese Antwort, schaue ich mir die<br />
Inszenierung der Nashörner natürlich nicht an.<br />
Ein Jahr später bin ich bei der Premiere von «Der weis -<br />
se Scheich» … und sehe so wunderbare Menschen<br />
auf der Bühne, sehe Spielfreude, Glück, Gemeinschaft!<br />
(Ich erinnere mich an eine Riesenschaukel mit Sebastian<br />
als Scheich drauf. Alle lachen, allen geht es gut.<br />
Alle spielen Theater!)<br />
«Nächschts Jahr bin ich dra!» juble ich. Und<br />
so kam es.<br />
Ich habe vier wunderbare Jahre in der AG<br />
verbracht, mit Spielfreude, Glück und Gemeinschaft.<br />
Christian legte einen Schutzmantel<br />
um uns junge Menschen, einen sicheren Raum<br />
im Wirbelsturm der Pubertät.<br />
Und noch immer bin ich spielend am glücklichsten<br />
in der Gemeinschaft. Für mich ist das<br />
Theater ein (bedrohter) Schutzraum geblieben,<br />
in dem gut und schlecht keine Gültigkeit<br />
haben.<br />
Christian Seiler, mein erster Theater-Papi, hat<br />
mir die Tür zu diesem «offenen Raum» gezeigt.<br />
MERCI!<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
30<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
lar, ein bisschen<br />
einfältig gucken und<br />
schön in der Rolle<br />
bleiben. So war das<br />
gedacht und dafür<br />
hatten wir ja auch geprobt. «Ho-hohooo!»<br />
rufen, Urschrei und Ausdruckstanz.<br />
Aber nun ist Premiere<br />
und wir sitzen da, Einfaltspinsel,<br />
aufgereiht auf der Bühne. Jemand<br />
sagt: «So häts gheisse …», jemand<br />
anders ergänzt: « … ich has eso<br />
ghört.» Und als sie langsam an uns<br />
vorbeigeht, die stolze Antigone, dem<br />
sicheren Tod entgegen, nölt jemand:<br />
«Das hett sie sich halt besser<br />
sollä überlegge!»<br />
Da trifft es mich mit voller Wucht:<br />
Es ist keine Aufführung; die Ungeheuerlichkeit<br />
des Menschseins<br />
ist real! Alles passiert jetzt gerade<br />
und könnte nicht echter sein:<br />
Feigheit<br />
Hass
31<br />
Fredi Früh<br />
2000<br />
Mut<br />
Liebe<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Im Chor verlachen wir die Heldin, machen uns<br />
mitschuldig, sind uns auch nicht zu blöde, scheinheilig<br />
um sie zu trauern und beneiden sie trotzdem. Als<br />
das Stück endet, ist alles gesagt, jedes weitere Wort<br />
wäre eines zu viel.<br />
Ab und zu Lockerungsübungen vor einer öffentlichen<br />
Präsentation. Die Kinderbücher ordentlich vorlesen<br />
und nicht nur runterleiern, solche Dinge. Aber<br />
das macht nichts: Die Wucht des Theaters werde<br />
ich niemals vergessen.<br />
Die Welt, in der man solche Dinge erleben kann,<br />
ist für mich – im Gegensatz zu den begabteren und<br />
muti geren Freunden von damals – heute oft weit weg.
32 «UNTEN UND OBEN» 2014<br />
Unten und oben<br />
Eine musikalische Komödie über<br />
Reichtum und Armut, Liebe<br />
und Geld nach Johann Nestroy<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«UNTEN UND OBEN» 2014<br />
33<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
34 «UNTEN UND OBEN» 2014<br />
«Man braucht ja nix als Liebe<br />
Und alles mögliche andere,<br />
Und die Erde ist ein Paradies.»<br />
Johann Nestroy<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«UNTEN UND OBEN» 2014<br />
35<br />
«Da ergoss sich urplötzlich<br />
über die Stadt der specifischen<br />
Sorglosigkeit und «Gemüthlichkeit»<br />
ein Schwefelregen von<br />
infernalischem Witz, eine<br />
Sturmfluth ätzender Lauge<br />
brauste heran, ein Wirbelwind<br />
dialektischer Bravouraden<br />
erfasste sie, ein glühender<br />
Lavastrom von unbarmherzigen<br />
Controversen und teuflischen<br />
Einfällen wälzte sich verheerend<br />
über den erst kürzlich kunst -<br />
voll angelegten und mühselig<br />
gepflegten Blumengarten<br />
sinnigster Empfindung und<br />
romantischer Träumerei, ein<br />
Hagelwetter von verblüffenden<br />
Gedanken und pessimistischester<br />
Logik prasselte auf sie nieder,<br />
und das aus seinem Taumel<br />
leichter Anregung und Vergnügung<br />
aufgescheuchte Wien riss<br />
Augen und Ohren auf und –<br />
lachte zu der überraschenden<br />
Wendung, ja es jubelte laut.»<br />
Friedrich Schlögel, über<br />
Nestroys Wirkung in Wien, 1883<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
36 «UNTEN UND OBEN» 2014<br />
«Wenn die reichen Leut' nit wieder reiche<br />
einladeten, sondern arme Leut', dann hätten<br />
alle genug zu essen.»<br />
Damian Stutz, in «Zu ebener Erde und erster<br />
Stock oder die Launen des Glücks»<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«UNTEN UND OBEN» 2014<br />
37<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
38 «UNTEN UND OBEN» 2014
«UNTEN UND OBEN» 2014<br />
39<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
Belinda Kunz<br />
2010 – 2011 (Spiel) und 2017 (Musik)
41<br />
ür mich war es immer sehr inspirierend und herausfordernd,<br />
in diese andere Welt einzutauchen, die Christian<br />
uns ermöglichte. Sowohl als Schauspielerin im «Wintermärchen»<br />
und in den «Biografien des Hungers», als<br />
auch als Schlagzeugerin in «Schwärmen». Als Schauspielerin<br />
habe ich viel über Präsenz und Körpergefühl<br />
gelernt, was mich nachhaltig positiv beeinflusst hat. Als<br />
Schlagzeugerin habe ich alles aus einer völlig anderen<br />
Perspektive erlebt, das Theater, aber auch die Musik. Ich<br />
habe das Schlagzeug anders kennengelernt, als ich es<br />
bisher aus reinen Bandkontexten kannte und Selbstbewusstsein<br />
als Musikerin gewonnen.<br />
Dass ich sechs Jahre nach meiner Gymizeit<br />
nochmals an einem Projekt mitwirken konnte,<br />
war eine spannende und wunderschöne Erfahrung.<br />
Ich habe mir ab und zu ausgemalt, wie<br />
es wäre, mit meinem jetzigen Selbstbewusstsein<br />
und meiner jetzigen Sicherheit nochmals<br />
dabei zu sein – im Kontrast zu meinem 17-<br />
bzw. 18-jährigen Ich, das in einigen Hinsichten<br />
viel unsicherer war. Ich kann natürlich keinen<br />
direkten Vergleich ziehen, da ich eine andere<br />
Funktion hatte als Musikerin. Ich habe trotzdem<br />
gespürt, dass ich mich weiterentwickelt<br />
hatte und vieles lockerer nehmen konnte. Es<br />
gab aber auch Momente, in denen ich einmal<br />
mehr realisierte, dass es im Theater einfach<br />
kein Rezept gibt, um Sicherheit zu haben.<br />
Es ist ein Ausprobieren, sowohl als Schauspielerin<br />
als auch als Musikerin. Ich bin in beiden<br />
Rollen einige Male an meine Grenzen gestossen<br />
und hatte neben all den erfüllen den<br />
Erlebnissen auch Momente, in denen ich mich<br />
Ängsten und Hemmungen stellen musste,<br />
Dingen, die ich mir nie zugetraut hätte und<br />
die ich nicht gut konnte.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Ich bin in vielen Aspekten gewachsen an all<br />
den Erfahrungen und Herausforderungen –<br />
die bestätigenden und auch die verunsichernden<br />
– aus der Zeit in der AG Theater.
42<br />
Christoph Bernet<br />
2005 – 2006<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Trotz seiner warmherzigen Art, seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem Talent,<br />
ein zusammengewürfeltes Ensemble Jahr für Jahr zu einer eingeschworenen Truppe<br />
zusammenzuschweissen, blieb Christian für mich ein Stück weit unnahbar. Er war<br />
ein Asket, der für seine Projekte brannte, während der intensiven Phase vor der Premiere<br />
jeweils sichtbar abmagerte und in Gedanken versank. Manchmal öffnete sich<br />
eine Türe zum privaten Christian und ein paar von uns durften in sein Büro tief in den<br />
Katakomben unter der Aula, etwa um eine Szene zu besprechen oder einfach um<br />
ein bisschen zu plaudern. Dort schenkte uns Christian von seinem Lieblingsgetränk<br />
ein, einem etwas rätselhaft schmeckenden, kohlesäurehaltigen Fruchtsaft aus dem<br />
«Vier Linden» am Hottingerplatz. Ich mochte mich nie vollständig für dieses Getränk<br />
erwärmen, aber fühlte mich jeweils geehrt, Christians kreatives Allerheiligstes zu betreten.<br />
In diesen Momenten merkten wir, dass es ihm trotz aller Versunkenheit ins Projekt<br />
auch gut tat und wichtig war, einmal für einen Moment abzuschalten und sich mit<br />
anderen Menschen über etwas anderes als das Theater zu unterhalten. An den Geschmack<br />
des Getränks erinnere ich mich bis heute, 12 Jahre später, noch ganz genau.
43<br />
Salome Rohner<br />
2009 – 2011<br />
Guscosso Filopatri<br />
Smuszki lschassa welar, mundaubel knabloger<br />
Gusco. Snowodire molizin drunauer pescasa<br />
ek losauer Finbulu. Rostinguine, wanriser<br />
bitschgi bo, soblau Dafonso fi Trisibel!<br />
Mandaliber ek wadlrosiz Pengi scho Filopatri<br />
smocka resobraver, meglixer Vingo foro<br />
buscobasci Solamaresi:<br />
« Ek dofagau<br />
Gomossola, subenschli<br />
wo Blusiam fogu<br />
Sowater bizbe. Lemelle<br />
sosti Kuwoluter! »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
– Pellemosa, zugi smoschak, blusba Olvetti<br />
ka tromp. Gesenür fon, smissa Bos.<br />
blosser quasi Finka, smele
44<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
ie Erfahrungen bei der AG<br />
Theater waren das Prägendste<br />
meiner gesamten<br />
Zeit am Gymnasium. Diese<br />
Arbeit hat das Vertrauen<br />
in mich und meinen Körper<br />
unglaublich gestärkt. Beim<br />
Stück « Die Wahrheit der Schmetterlinge<br />
» wurde mir eine damals für<br />
mich herausfordernde Rolle zugeteilt:<br />
Ich spielte die wilde, sexy und auch<br />
etwas dümmliche ‹ Angi ›, die sich<br />
bereits bei der ersten Szene räkelte<br />
und «I wanna be loved by you ...»<br />
für die Kamera performte. Undenkbar,<br />
dass ich mich dabei wohl gefühlt<br />
hätte, wäre ‹ Angi › vorher nicht<br />
ein grunzender, herumjuckender, sich<br />
kratzender Affe gewesen, der sich<br />
nur ganz allmählich mit der Geduld<br />
seiner TrainerInnen in ein Mädchen<br />
wandelte. Für Deine ganze Arbeit<br />
bin ich Dir, Christian und auch Maja,<br />
deiner damaligen Assistentin,<br />
sehr dankbar.
45<br />
Milva Stutz<br />
2003 – 2004<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
46 «BIOGRAFIEN DES HUNGERS» 2011<br />
Biografien des<br />
Hungers<br />
Ein Ensembleprojekt<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Ist Hunger auch folgende<br />
Frage: Was bedeutet eine gelebte<br />
Jugend? Und ab wann<br />
ist sie gelebt? Und weshalb?»<br />
Katja Brunner
«BIOGRAFIEN DES HUNGERS» 2011<br />
47<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
48 «BIOGRAFIEN DES HUNGERS» 2011
«BIOGRAFIEN DES HUNGERS» 2011<br />
49<br />
«Hunger ist Wollen.<br />
Er ist ein viel stärkeres<br />
Begehren als das<br />
Begehren. Er ist nicht<br />
Wille, denn Wille<br />
ist Kraft. Auch keine<br />
Schwäche, denn<br />
Passivität ist ihm<br />
fremd. Der Hungrige<br />
ist ein Suchender.»<br />
Amélie Nothomb,<br />
Biografie des<br />
Hungers<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Hänsel, streck deine Finger heraus, damit ich fühle,<br />
ob du bald fett bist.»<br />
«Heda Gretel, sei flink und trag Wasser: Hänsel mag<br />
fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten<br />
und kochen.»<br />
Gebrüder Grimm, Hänsel und Gretel
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
50
51<br />
Kati Ebner<br />
2006 (Regieassistenz) und 2007 – 2008 (Spiel)<br />
Hinschauen<br />
wahrmachen.<br />
beobachten<br />
wahrnehmen<br />
Sich von dem lösen, was man dachte, würde einen definieren.<br />
Ohne Furcht Angst erkennen, aufmerksam erkunden … um<br />
sie immer wieder liegen lassen zu können, darauf loszuspielen,<br />
einzutauchen, sich hinzugeben, zu fühlen, zu erleben – ohne<br />
zu werten – wertschätzen lernen.<br />
sehen,<br />
wahrhaben<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Sich in absoluter Verrücktheit, Unvorhersagbarkeit, Unmittelbarkeit<br />
pudelwohl fühlen.<br />
Danke für den wundervollen Rahmen, sich selber aus -<br />
pro bieren zu dürfen, sich betrachten und austauschen zu dürfen,<br />
sich selber und anderen zuschauen, sich selber und andere<br />
entdecken, sich selber und andere lieben zu lernen. Danke für<br />
diesen Ort des Vertrauens, den ich mitnehmen durfte, der mich<br />
überall hin begleitet.
52<br />
Jonas Christen<br />
2004 – 2005 und 2014<br />
Theater-Tagebuch vom Juni 2005:<br />
«Studiobühne. Wenig Lüüt.<br />
Nach letschtem Friitigstschutte.<br />
Di Noie gönd ganz schön app.<br />
Es gitt es schmächtigs, bleichs<br />
Hoseträger-Meitli wo no Gschicht<br />
wird mache wahrschinli. Schöni<br />
Segelschiff-Hürat Impro mit ihre.<br />
Stress isch weg.<br />
Nächscht Wuche Matur.<br />
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Ich lieb dä Christian.<br />
Grossi Vibes. grossartig.»<br />
Oisi Schiff legged jetzt nur sälte<br />
gliichziitig a.
53<br />
Aber wenn, dänn trifft<br />
mer sich i de Hafekneipe.<br />
Dusse Sturm und drin<br />
werdet Instrument uspackt,<br />
oder dusse Windstilli<br />
und mir glotzed ungläubig<br />
id Ferni.<br />
No meh als en Lüchtturm<br />
oder suscht Sache wo mer<br />
unbedingt bruucht wänn<br />
mer gern lebt, bisch du mir<br />
en echte<br />
Kapitän<br />
En echte Stern.<br />
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54<br />
Ariane Rippstein<br />
2010 – 2011<br />
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ieber Christian,<br />
In den sechs Jahren, die ich<br />
am Gymnasium Rämibühl<br />
verbringen durfte, habe<br />
ich viel gelernt. Ich habe<br />
etliche Hauptstädte und<br />
Flüsse auswendig gelernt,<br />
habe versucht, mir den Ablauf<br />
der Zellteilung so genau wie möglich zu merken,<br />
habe gelernt, über Bücher zu reden, als ob ich sie gelesen hätte,<br />
habe an der Wandtafel Wahrscheinlichkeiten errechnet, habe mich<br />
im perspektivischen Zeichnen versucht und habe<br />
schliesslich auch lernen müssen, dass ich nie<br />
einen Felgaufschwung schaffen würde. Einiges<br />
davon kann ich heute noch ab und zu brauchen,<br />
das Allermeiste ist jedoch verschwunden<br />
im tiefen Schlund der Vergesslichkeit.<br />
Doch das, was ich von Dir gelernt habe,<br />
Christian, das begleitet mich Tag für Tag. Bei<br />
Dir, von Dir, mit Dir und dem ganzen Ensemb-
55<br />
le habe ich zuerst gelernt, dass ich einen Körper habe.<br />
Dass ich ein Körper bin. Ein Körper, der sich nicht an<br />
Taillenumfang, Beinlänge oder Haarfarbe misst, sondern<br />
der erst einmal bloss Körper ist. Dann habe ich gelernt,<br />
dass auch andere Körper haben, Körper sind. Dass<br />
aus diesen Körpern Stimmen kommen. Dass Stimmen<br />
nicht aus dem Mund, sondern aus dem Bauch kommen.<br />
Dass Stimmen berühren. Dass andere mich berühren<br />
und ich andere berühren kann. Ich habe gelernt, weiterzugehen,<br />
wenn ich denke, dass ich schon angekommen<br />
bin. Ich habe gelernt, dass es oft schwierig ist. Dass<br />
Schwierigkeiten aber auch oft Schönes zutage fördern.<br />
Ich habe gelernt, dass wir gemeinsam etwas bauen<br />
können, das grösser ist als die Summe der Einzelteile.<br />
Ich habe mich zuhause gefühlt bei Dir, beim Ensemble.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Wenn ich mich zurückerinnere an die Zeit am Rämibühl,<br />
dann bin ich in Gedanken immer zuallererst in der Aula.<br />
Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, wie tiefgründig<br />
mich die Zeit mit Dir geprägt hat. Vielleicht ist<br />
es aber auch nicht nötig. Deshalb will ich mich an<br />
dieser Stelle einfach bedanken bei Dir. Danke, lieber<br />
Christian – für alles.<br />
Ich umarme Dich.
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56
57<br />
« Des Menschen<br />
Auge hat nicht gehört,<br />
des Menschen Ohr<br />
hat nicht gesehen,<br />
des Menschen Hand<br />
kann nicht schmecken,<br />
seine Zunge kann<br />
nicht begreifen, noch<br />
sein Herz berichten,<br />
was mein Traum war. »<br />
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Wiliam Shakespeare<br />
A midsummernight's dream
58<br />
Maria Rebecca Sautter<br />
2007 – 2009<br />
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Keine Erinnerung meiner Gymnasiumszeit<br />
ist mir so präsent wie die<br />
drei Jahre mit Dir, Christian. Von<br />
«Einem Traum wie diesem» über<br />
«Masaniello» bis zu «Shopokalypse».<br />
Du hast mir / uns eine<br />
Ernsthaftigkeit, eine Leidenschaft,<br />
eine Wichtigkeit vermittelt, die mich<br />
heute noch umhaut. Ich wünschte,<br />
ich würde die richtigen Worte finden,<br />
um Dir mitzuteilen, wie sehr mich<br />
diese Zeit geprägt hat. Bei Dir habe<br />
ich entdeckt lustig zu sein, singen<br />
zu wollen, was es heisst, auf der<br />
Bühne zu stehen, professionell zu<br />
sein, Unsicherheiten zu erkennen,<br />
zu bekämpfen. Ich habe meine<br />
engsten Freunde bei dir kennengelernt,<br />
das Theater, Zigaretten, Verbundenheit,<br />
das Gefühl, dazuzugehören.<br />
Darum, Christian, danke! Danke<br />
für alles, was Du uns gegeben hast.
Tantissimi<br />
bacioni<br />
dal<br />
cuore.
60<br />
Katja Brunner<br />
2007 – 2009 (Spiel), 2010 – 2011 und 2015 (Text und Dramaturgie)<br />
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Versuche zu einem, der uns uns ermöglichte<br />
Versuche zu einem, der mit Kraft Kraft fördert<br />
Versuche zu einem, dem man verbunden bleibt<br />
für, wegen & an Christian Seiler<br />
ein feingliedriger mensch<br />
ein wacher fühlender<br />
mit einer klaren richtung<br />
richtung zartfühlender theaterarbeit<br />
geschichten zu erzählen<br />
mit würde<br />
aktivierung mehrerer ebenen<br />
ein feinnerviger beobachter<br />
ein liebevoller lehrender<br />
ein lehrer ohne starre lehren, die auf<br />
einen einprasseln<br />
ein lehrer, der begleitet<br />
der einen entdecken lässt<br />
wohlwollend schaut<br />
auf + mit einem<br />
das lösen<br />
das zentrieren<br />
das heraufbeschwören jener kräfte,<br />
die theater ermöglichen<br />
die freiheit des erfindens<br />
das aufbauende analysieren<br />
Haare im Wind, Imaginationsreisen, ich bin plötzlich in<br />
einer Seegraslandschaft. Die Sonne taucht hochgewachsene<br />
Seegräser in warmes Licht, leicht orange. Ich höre<br />
entfernt das Rauschen eines Flusses, den Ruf eines<br />
Vogels. Schliesse die Augen, spüre eine zuversichtliche<br />
Sonne auf dem Gesicht. Plötzlich kitzelt etwas an meinem<br />
Fuss, eine freundliche Krähe, die schwimmen kann<br />
In Christians Koordinatensystem begegnete ich<br />
überhaupt ganz anders<br />
Würde<br />
Gehör<br />
Freude<br />
Schulung der Sinne, alles, was sich gerade<br />
entdecken lässt, was hier gerade ist, hier<br />
wohnt Potenzial, hier ist das Sein ein kunstfertiges,<br />
ohne jemals prätentiös zu werden,<br />
hier ist Lebendigkeit, Ausdruck, hier dürfen sie<br />
sein, ohne bewertet zu werden.<br />
Das Potenzial, das eben jener Freiheit eigen<br />
ist, auszuprobieren, zu scheitern, offen zu sein,<br />
zu horchen, Form zu finden, Form zu erfinden<br />
in und mit einer Gruppe.<br />
Wenn ich eine Grusskarte als Teenie nochmal<br />
schreiben würde für Dich:<br />
C<br />
H<br />
R<br />
I<br />
S<br />
T<br />
I<br />
A<br />
N<br />
Charisma Chaos (aber nur<br />
jenes, welches der Kunst dient)<br />
Haltung Heroisch Haiku<br />
Respekt Ruhe Reaktion<br />
Intuition Idealismus<br />
Sanftheit Schutz<br />
Treue Tiefe Traum<br />
Impuls!<br />
Ankunft Aufnahme<br />
Neugierde<br />
Habe nun das Bedürfnis, Dir in Bleistift zu<br />
schreiben. Dich kann man nicht einfach<br />
abhandeln in einer Word Datei (mit Bleistift<br />
auf einem Block womöglich auch nicht)<br />
Jedenfalls gab es diese Schulzeit.<br />
Und in dieser Schulzeit gibt es so viele verwirrende<br />
wie freudvolle wie widrige Umstände:<br />
Pickel, Benotungen, Feindschaft, Verliebungen,<br />
Freundschaften, die tragen und andere,<br />
die brausetablettengleich sich auflösen,<br />
Aufregung permanent, Leistungsdruck, Mittagessen,<br />
Wettbewerb, koordiniertes Leben,<br />
Zielsetzung Matura, das Prekariat rückt heran,<br />
man wird nervös und löst sich langsam, aber<br />
sicher mehr und mehr auf hinein in Ungewuss-
61<br />
tes, dieser struppige Körper sträubt sich, man<br />
kann so viel Spass und unkoordinierte Stimmung<br />
erleben, es chlöpft und tätscht und man<br />
weiss voreilig schnell und viel und es ist aber<br />
so chaotisch und es gibt so wenige Momente,<br />
in denen man als sich veränderndes Mensch -<br />
lein einfach angenommen ist, denn da sind<br />
Anforderungen (was wötsch werde?, chasch<br />
alläs dopplet kompensiere?), Konflikte zuhause<br />
vielleicht, grosse Fragen ans Leben, Albernheiten,<br />
Energieüberschüsse und wohin damit?<br />
Wohin damit denn bitte nun und endlich<br />
Ich zum Beispiel – als eine von vielen, die sich<br />
hier zu Wort melden – hatte dieses Glück:<br />
Bei Herrn Seiler während dreier Jahre die AG<br />
Theater besucht zu haben.<br />
Deswegen möchte ich an dieser Stelle Herrn<br />
Seiler aus den Tiefen meines Herzens danken.<br />
Das Geschenk erhalten zu haben, die Hartnäckigkeit<br />
(im besten Sinne), die zu Theaterarbeit<br />
gehört, zu erleben. Die Weite des<br />
Wahrnehmens zu spüren. Das Geschenk<br />
erhalten zu haben, angstfrei vor eine Gruppe<br />
zu treten. So präsent zu sein, wie es geht.<br />
Scheitern okay zu finden. Chancen zu haben.<br />
Das Geschenk erhalten zu haben, in einem<br />
institutionellen Rahmen die Institution vergessen<br />
zu können. Aufgehoben zu sein in<br />
einem institutionellen Rahmen.<br />
Mit dieser Dir ganz eigenen präzisen, doch ruhigen,<br />
suchenden, aber mit einem sicheren Kompass ausgestatteten<br />
Art.<br />
Mit dieser beharrlichen Findigkeit, einem gelassenen<br />
Blick auf die teils wankelmütige Natur von Prozessen<br />
und einem Herzen, das offen steht für verschiedenste<br />
Arten von Menschen.<br />
Ich stehe immer noch + immer wieder<br />
in jener Seegraslandschaft,<br />
die Krähe, die schwimmen kann,<br />
grüsst freundlich.<br />
Sie weiss vielleicht um vieles<br />
und irgendwoher kann sie lächeln.<br />
or zwei Monaten habe ich mein Teenagerzimmer<br />
endgültigst geräumt – alle Plakate<br />
und Notizzettel von den Wänden entfernt –<br />
mein Kindermuseum, dessen Ausstellungsdauer<br />
längst abgelaufen war – und stiess da<br />
auf folgendes aus einem Seilerschen Textbuch<br />
ausgerissenes Stück Shakespeare:<br />
A dream itself is but a shadow.<br />
In diesem + anderem Sinne:<br />
Ich danke Dir, Christian, für die Zuversicht, die Begleitung<br />
und die Wärme.<br />
Auf Weiteres, Du grosses Theatertier.<br />
Alles Liebe,<br />
Katja Brunner<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Fruchtbare Koordination von Körper und Geist<br />
zu probieren.<br />
Einen Gruppenzusammenhalt zu erleben, in<br />
welcher am gleichen Strang gezogen wird, ein<br />
Ort, an welchem Kommunikation hochgehalten<br />
wird. Abliefern galt nicht. Routiniertheit galt<br />
nicht. Neugierde, sich Einlassen – sie galten.<br />
P.S. Des Menschen Auge hat nicht gehört,<br />
des Menschen Ohr hat nicht gesehen,<br />
des Menschen Hand kann nicht schmecken,<br />
seine Zunge kann nicht begreifen,<br />
noch sein Herz berichten,<br />
was mein Traum war.<br />
aus «A midsummernight's dream»<br />
Dies sind Gaben, von denen ich lange zehren<br />
werde – das weiss ich mit Bestimmtheit.<br />
Danke, dass Du uns den Zugang dazu vermittelt<br />
hast.
62 «MASANIELLO» 2008<br />
Das Spiel vom<br />
Neapolitanischen<br />
Haupt-Rebellen<br />
Masaniello<br />
Christian Weise<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«MASANIELLO» 2008<br />
63<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
64 «MASANIELLO» 2008
«MASANIELLO» 2008<br />
65<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Ich bin Neapolitaner, ich lebe hier, und ich<br />
sage ihnen: Das hier ist nicht Dritte, sondern<br />
Vierte Welt. Hier gelten keine Regeln mehr.<br />
Schauen Sie sich nur den Müll an».<br />
Zitat aus der Süddeutschen Zeitung<br />
vom 12. November 2006
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
66 «MASANIELLO» 2008
«MASANIELLO» 2008<br />
67<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Die Schule ist ein schatticher Ort /<br />
Da man dem rechte Lichte gar<br />
selten nahe kömmt.»<br />
Christian Weise
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
68 «MASANIELLO» 2008
«MASANIELLO» 2008<br />
69<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
70<br />
Michael Schertenleib<br />
2003 – 2007 (Spiel), 2009, 2011, 2015, 2016 und 2018 (Ton)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Es gibt nur sehr wenige<br />
Menschen, die ich zu<br />
meinen Helden zähle, aber<br />
Du bist da ganz vorne<br />
mit dabei.<br />
Energie<br />
Du bist eine Inspiration<br />
für jeden, der ein Herz hat<br />
und Du hast mit Deiner<br />
Energie, Deinem Perfektionismus,<br />
Deinem Elan<br />
und Deinem Mut so vielen<br />
jungen Menschen den<br />
Weg gewiesen.<br />
Perfektionismus<br />
Elan<br />
Mut<br />
Ich bin froh, Dich zu kennen.
71<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
Silvana Raveane<br />
2004 – 2006
73<br />
Hah!<br />
Haajah!<br />
Ha!<br />
Jaa ...<br />
Tief aus dem Bauch heraus.<br />
Christians Klang in meiner Erinnerung.<br />
Die lange, schlanke Gestalt Christians; aufrecht,<br />
den Nacken und die Finger streckend.<br />
Die Sedimente, die der Fluss des Theaters in<br />
mein Leben getragen und in meinem Leben<br />
hinterlassen hat:<br />
Wenn ich gestresst oder nervös bin, atme<br />
ich tief, Haaa, Haaajaa!<br />
Wenn Schlimmes geschieht und ich mich<br />
erdrückt fühle, schüttle ich es ab und werfe<br />
es zur Tür hinaus.<br />
Christians Textlerntrick: Mich in schlängelnden<br />
Bewegungen windend, übe ich bis heute<br />
eine Präsentation, einen Vortrag ein.<br />
Wenn ich jemanden nicht verstehe, versuche<br />
ich, diese Person als eine Rolle in einem<br />
Theaterstück zu sehen, die ich studieren muss;<br />
mich also wörtlich in sie hineinversetzten<br />
soll. Das hilft oft, mein Gegenüber zu verstehen<br />
und Konflikte zu lösen.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Das Vertrauen, stark aufzutreten, keine Angst<br />
zu haben, gehört zu werden, Unbekanntes,<br />
Neues auszuprobieren und sich in anfänglich<br />
einschüchternden Situationen zurecht<br />
und wohl zu fühlen – das und noch vieles<br />
mehr verdanke ich dem Fluss des Theaters,<br />
und Dir, Christian, der ihn geleitet und mir<br />
ermöglicht hat, die besten Mineralien für<br />
immer zu behalten.
74<br />
Simon Fleischhacker<br />
2005 – 2006<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
« Ist das ein Dolch,<br />
den ich da vor mir<br />
sehe? Der Griff<br />
zum Greifen nahe.<br />
Komm lass dich<br />
packen … Ich hab<br />
dich nicht … »<br />
Ich sah dieses Zauberwerk überhitzter Phantasie<br />
wirklich; sah wie dieser Dolch vor meinen fiebrigen<br />
Augen durch die Aula des Rämibühls und über die<br />
Bühne des AG Theaters schwebte.<br />
Die Matura stand vor der Tür, ich war überarbeitet<br />
und krank, vor allem aber glücklich. In dem Moment<br />
der Aufführung zählte nur die Welt, die wir geschaffen<br />
hatten und die Freunde um mich herum, das Ensemble,<br />
das mich stützte und das ich stützte und der Mann<br />
am anderen Ende des Saales, der alles überwachte und<br />
störendes Publikum über dessen Frevel belehrte, der<br />
diese Welt vor dem Aussen schützte, Du, Christian.<br />
Ich weiss noch, wie Du mir in der Pause dieser<br />
Vorstellung Kraft zusprachst und irgendwelche Kräuter<br />
gabst und ich war mir nicht sicher, ob Du Theaterleiter<br />
oder Druide warst. Aber das war auch nicht so wichtig,<br />
da ich als Macbeth nach meinem Thronraub Schottland<br />
regieren musste. Wie an den Abenden davor und<br />
danach konnte ich meinem Schicksal nicht entfliehen<br />
und büsste im Duell mit Marco Stocker alias Macduff<br />
meinen Kopf ein. Aber für diese zweieinhalb Stunden<br />
intensivsten Erlebens, Denkens, Fühlens gab ich bereitwillig<br />
Abend für Abend mein Leben, oder zumindest<br />
das meiner Figur ;)<br />
Retrospektiv nehme ich die AG Theater als real<br />
gewordene Utopie eines Ensembles wahr. Eine Kunst<br />
schmiedende, eng verbundene, liebevolle und gleichzeitig<br />
voll fokussierte Gemeinschaft unter einer gleichsam<br />
fordernden wie behütenden Leitung. Ich danke Dir,<br />
dass Du mich zu diesem Tanz auf der Brücke zwischen<br />
Realität und Traum eingeladen hast.
75<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
76
77<br />
« Aber für diese<br />
zweieinhalb Stunden<br />
intensivsten Erlebens,<br />
Denkens, Fühlens<br />
gab ich bereitwillig<br />
Abend für<br />
Abend mein Leben,<br />
oder zumindest<br />
das meiner Figur. »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Simon Fleischhacker
78<br />
Theresa Manz<br />
2015 – 2017<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Als ich zum ersten Mal den kleinen, grauen Raum im LG – auch Studiobühne<br />
genannt – betrat, wusste ich, dass dieser «Theaterkurs», den Du, lieber<br />
Christian, jeden Freitagnachmittag geleitet hast, etwas ganz Besonderes ist.<br />
Es war eigenartig, in einem Raum zu stehen, in dem sich die Jugendlichen<br />
auf Kommando ausschüttelten und sich gegenseitig die Zunge rausstreckten;<br />
und das mit so einem Genuss! Ganz ohne Kommando hingegen ging<br />
natürlich auch das laute Seufzen los, was mich doch ziemlich irritierte.<br />
Nichtsdestotrotz beschloss ich aus irgendeinem Grund, dass die AG der<br />
richtige Ort für mich wäre.<br />
Was darauf folgte, waren drei unvergessliche Jahre, gefüllt mit viel<br />
Emotionen, Spass und natürlich Theater. Und so will ich Dir, lieber Christian,<br />
zum Schluss Deiner AG Theater-Karriere eigentlich nur noch eines sagen:<br />
Danke!<br />
Danke! Danke für Deine nie endende Energie, mit uns zu arbeiten, uns zu<br />
motivieren und uns zu helfen, unser ganz persönliches Feuer zu entfachen.<br />
Du hast es geschafft, jedes Projekt mit Hochglanz auf die Bühne dieser<br />
alten Aula zu bringen und ich weiss ganz bestimmt, dass alles, was jetzt<br />
bei Dir noch kommen mag, genauso grandios wird! Dafür wünsche ich Dir<br />
viel Energie, Mut und natürlich eine kräftige Portion «Mitte»!
79<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
80 «PUSH UP 1 – 3» 2016<br />
Push Up 1 – 3<br />
Ein Stück Realität von<br />
Roland Schimmelpfennig<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«PUSH UP 1 – 3» 2016<br />
81<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
82 «PUSH UP 1 – 3» 2016<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Ohne Liebe werden Menschen verschlissen, zerstört. So einfach ist es.<br />
Ohne Liebe – und ohne das Vertrauen auf die Freiheit des Anderen –<br />
ist jede erdenkliche Scheusslichkeit unter Menschen nicht nur möglich,<br />
sondern höchstwahrscheinlich.»<br />
Roland Schimmelpfennig
«PUSH UP 1 – 3» 2016<br />
83<br />
«Die Transparenzgesellschaft<br />
ist eine Hölle des Gleichen.»<br />
Byung-Chul Han<br />
«Ich stand vor Kramers Büro,<br />
und mir fielen die vielen Leute<br />
ein, die es nicht geschafft<br />
hatten. Die genau wie ich hierhin<br />
wollten, in die Chefetage,<br />
und für die es eines Tages nicht<br />
mehr weiter nach oben ging.<br />
Die irgendeinen Fehler gemacht<br />
hatten und deshalb auf der<br />
Strecke geblieben waren, während<br />
ich an ihnen vorbeizog<br />
und weiter meinen Weg machte.»<br />
Robert, in Push Up 1 – 3<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
84 «PUSH UP 1 – 3» 2016
«PUSH UP 1 – 3» 2016<br />
85<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
86<br />
Rhea Blem<br />
2010 – 2013<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Christian kann man nicht in Worte fassen. Oder ich<br />
möchte nicht die Person sein, die dies tut. Übers<br />
Theater und den Raum, der in der Studiobühne, in der<br />
Aula Rämibühl, in unseren Köpfen, in und zwischen<br />
unseren Körpern entstanden ist, durch Christians Arbeit<br />
mit uns, und in den letzten Jahren gemeinsam mit Bruno,<br />
darüber möchte ich gerne schreiben.<br />
Das Theater hat mich während der letzten Schuljahre<br />
eng begleitet. So eng, dass es für mich fast eine Abhängigkeit<br />
geworden ist. Ich war verliebt in die AG Theater.<br />
Mit jedem Jahr verliebte ich mich von Neuem,<br />
immer war es anders, trotzdem war es vertraut.<br />
Kurz nach dem Austritt aus der AG in die Welt<br />
fühlte ich mich stark, offen und selbstbewusst.<br />
Erst später spürte ich eine Art Entwurzelung –<br />
dass etwas fehlte. Ich habe bemerkt: Was<br />
ich während dieser Jahre im Theater erlebt<br />
hatte, war etwas Einzigartiges, etwas Einmaliges<br />
gewesen, das in dieser Form nie wieder<br />
auftauchen würde. Diese Nähe zum Körper, die<br />
direkte Verbindung zur Gefühlswelt und der<br />
Austausch mit anderen Menschen, das Aufeinanderballen<br />
von Energie, keine Angst vor<br />
Rohheit, nein, ein Hunger, eine Gier danach,<br />
und Möglichkeit, all dies auszudrücken, in
87<br />
einem akzeptierenden und fordernden Rahmen – das war<br />
etwas ganz Besonderes.<br />
Die Freundschaften aus dieser Zeit haben eine spezielle<br />
Tiefe. Und wir alle werden noch lange wissen, wie wir<br />
uns richtig zu umarmen haben. Nie wieder habe ich<br />
mich derart geborgen und frei gefühlt in einem Kollektiv,<br />
frei, ich selbst zu sein und andere sie selbst sein zu<br />
lassen. Selten habe ich mich seither derart gemittet<br />
gefühlt, doch ich versuche mich daran zu erinnern, wie<br />
es sein kann und dass es geht. Es geht. Weniger häufig,<br />
weniger unmittelbar ist der Zugang zu diesem Ort in<br />
mir, doch es geht.<br />
Die Ermutigung, die Planschzone zu verlassen<br />
und ins Haifischbecken zu springen, nehme<br />
ich mir immer noch und immer wieder zu<br />
Herzen. Manchmal traue ich mich, manchmal<br />
verlässt mich der Mut. Doch ich verdanke<br />
dieser Haltung viele schöne und bewegende<br />
Momente, damals im Theater, aber vor allem<br />
ausserhalb. Auch Ja-sagen haben wir mit<br />
Christian gelernt. JA, aus der Mitte. Nun bin<br />
ich dabei, langsam das Nein zu lernen, doch<br />
das Ja, das wird man mir nie austreiben.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
88<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Nach langem Überlegen musste ich zum Schluss kommen,<br />
dass ich wohl oder übel unfähig sein werde, genau<br />
formulieren zu können, was mir die AG Theater mit<br />
auf den Weg gegeben hat. Passenderweise aber war<br />
es wohl genau diese Tatsache, die mich hat begreifen<br />
lassen, dass während meiner vier Jahre nicht mein<br />
Verstand, sondern mein Körper die führende Rolle<br />
übernommen hatte. Ausdrücken zu können, was irgendwo<br />
tief drinnen in uns allen steckt, meistens aber nicht<br />
sichtbar ist, das Unsichtbare also sichtbar machen, das<br />
war die schwierige Aufgabe, die Du, Christian, immer<br />
wieder aufs Neue angegangen bist. Und schnell war mir<br />
klar – was wahrlich eine zutiefst befreiende Erkenntnis<br />
wurde –, dass es auf der Bühne nie ein «Stehenbleiben»<br />
geben sollte.<br />
Kein Stehenbleiben in den Widerständen<br />
und Halbherzigkeiten des Lebens.<br />
Sondern das Trennen von den selbst gesetzten Schranken<br />
und das Ablegen von vorgesehenen Formen, denen<br />
man normalerweise folgt. Oftmals hatte ich während<br />
der Proben, insbesondere in den Intensivphasen, diese<br />
Momente, in denen so viel persönlicher Ballast von mir<br />
abfiel. Denn im Theater musste ich nie augenblickliche<br />
innere Reaktionen blockieren, wie man das halt als<br />
Jugendliche manchmal so macht, um irgendeiner Norm<br />
zu entsprechen. Stattdessen konnte ich mich von der<br />
Angst und Scham meiner Gefühle befreien, indem ich<br />
sie zuliess. Die AG Theater gab mir also nie wirklich<br />
etwas mit auf den Weg zum Erwachsenwerden, sie nahm<br />
mir vielmehr meine festgefahrenen Gewohnheiten ab.<br />
Und auch zehn Jahre später, ob auf oder neben der<br />
Bühne, weiss ich, dass ich nie stehen bleiben möchte.
Tiana Lasica<br />
2008 – 2011
90<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Theater zu machen ist für<br />
mich – im besten Falle –<br />
kollektives Erleben von<br />
lebendigsten Momenten<br />
unter<br />
ompilzen<br />
mit der Möglichkeit auf<br />
Rausch.
mit der Möglichkeit auf<br />
Rausch.<br />
ompilzen<br />
91<br />
Amadea Schütz<br />
2004 – 2005 (Spiel) und<br />
2010 – 2012 (Regieassistenz und Dramaturgie)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Danke Christian, dass ich<br />
das zum ersten Mal bei<br />
Dir und mit Dir in der AG<br />
erfahren durfte. Es hat mich<br />
nicht wieder losgelassen.
93<br />
Marc-André Fröhlicher<br />
2000 – 2001 (Spiel) und 2004 (Dramaturgie)<br />
Es ist eng zwischen den Flaschen tragenden<br />
Regalen. Sitzt die federbesetzte Paillettenkappe?<br />
Ich richte die beiden ausgestopften Vögel,<br />
die ich wie Ringe an meinen schweissfeuchten<br />
Mittelfingern trage. Die Wärme der Scheinwerfer<br />
lässt es im umgebauten Kühlschrank heiss<br />
und stickig werden. Der eigentümlich süsslich-künstliche<br />
Plastikgeruch der Kühlschrankdichtungen<br />
verstärkt<br />
Ich<br />
sitze<br />
zusammengekauert<br />
in einem<br />
dunklen<br />
Kühlschrank.<br />
das nervöse Kribbeln<br />
in meinem Bauch.<br />
Draussen versucht<br />
Kreon verzweifelt, seine<br />
inneren Dämonen, die<br />
ihn bald in Form des<br />
ungehaltenen Sehers<br />
Teiresias heimsuchen<br />
werden, abzuwehren.<br />
Die Sonnenbrille<br />
ist aufgesetzt, der<br />
hauchdünne, schwarze<br />
Umhang fliesst über den schulterfreien<br />
Hosenanzug. Ein letztes Spüren und Visualisieren<br />
des Energieflusses in der Wirbelsäule –<br />
einige ruckartige Kopfbewegungen lassen<br />
mich in die vogelhafte Körperlichkeit des<br />
androgynen Sonderlings einsteigen. Meine<br />
Anspannung steigt mit dem entscheidenden<br />
Stichwort, das ich gedämpft durch die Kühlschranktür<br />
höre, ein letzter Atemzug, die<br />
Kühlschranktür öffnet sich. Das grelle Licht im<br />
Kühlschrank geht an und wirft lange Schatten<br />
auf der dunklen Bühne. Albtraumhafte Toneffekte<br />
lassen die Zuschauer erschaudern, als<br />
Teiresias sich langsam und wie selbstverständlich<br />
aus dem Kühlschrank herausschält und<br />
Kreons harmlosen feierabendlichen Gang zum<br />
Kühlschrank in einen bedrohlichen Schreckmoment<br />
verwandelt.<br />
«Die AG Theater hat mich durch die 6 ½ Jahre<br />
Gymizeit gerettet!» habe ich immer wieder<br />
über meine Schulzeit gesagt. Dabei blicke ich<br />
grundsätzlich positiv auf meine Schulzeit am<br />
Rämibühl zurück und war in meiner Erinnerung<br />
ein grundsätzlich interessierter und in der<br />
Regel motivierter Schüler. Was meine ich also<br />
damit?<br />
Scheu, verkopft, gehemmt. So nehme ich<br />
mich – retrospektiv – wahr, als ich mich<br />
überwand, mich für die AG Theater anzumelden.<br />
Der achtsame Umgang mit dem Körper<br />
stand plötzlich im Zentrum und ermöglichte<br />
mir nicht nur neue Welten für mich selbst zu<br />
erschliessen, sondern solche auch darzustellen.<br />
Der sichere Rahmen, den Du uns aufgespannt<br />
hast, ermöglichte es uns, unsere<br />
Lebenswelten einzubringen, unsere Gefühlswelt<br />
anzuzapfen, unsere Körperlichkeit zu<br />
erforschen und unsere Stimmen zu entwickeln.<br />
Insbesondere während der Intensivproben<br />
schien die Schule weit weg zu sein:<br />
Wir bildeten eine verschworene Gruppe, in<br />
der wir uns auf einer ganz anderen Art als im<br />
Schul alltag begegnen konnten. Die vielfältigen<br />
Lektionen, Erfahrungen und Erfolge aus<br />
der AG Theater statteten mich mit einem<br />
neuen Selbstbewusstsein aus: Gelassener,<br />
kommunikativer und neugieriger verliess ich<br />
die AG Theater. Wie nachhaltig Du mich mit<br />
Deiner Arbeit und Deiner Persönlichkeit<br />
geprägt hast, kann ich auch heute noch daran<br />
ablesen, dass meine Erfahrungen in der AG<br />
Theater die Basis für viele wichtige Aspekte<br />
in meinem Leben gelegt haben und Du auch<br />
heute noch für mich die wohl wichtigste<br />
Instanz in Sachen Theater darstellst.<br />
Danke, Christian!<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
94 «WILHELM TELL» 1999<br />
Wilhelm Tell oder<br />
Die Selbstbefreiung<br />
eines Urvolks<br />
Ein dramatisches Mährchen<br />
nach Friedrich Schiller<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«WILHELM TELL» 1999<br />
95<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
96<br />
«WILHELM TELL» 1999<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«WILHELM TELL» 1999<br />
97<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Freiheit ist nur in dem Reich<br />
der Träume, und das Schöne<br />
blüht nur im Gesang.»<br />
Friedrich Schiller
98<br />
«WILHELM TELL» 1999<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«An den Felsen, welche die<br />
Coulissen bilden, sind steile<br />
Wege, mit Geländern, auch<br />
Leitern, an denen man die Jäger<br />
und Hirten im Verlauf der<br />
Handlung gerabsteigen sieht.<br />
Der Mahler hat also das<br />
Kühne, Grosse, Gefährliche<br />
der Schweitzergebirge darzustellen.<br />
Ein Theil des Sees<br />
muss beweglich sein, weil er<br />
im Sturme gezeigt wird.»<br />
Schiller, Anweisungen an<br />
den Bühnenbildner einer<br />
«Tell»-Aufführung
«WILHELM TELL» 1999<br />
99<br />
«Wo wär' die sel'ge Insel aufzufinden,<br />
Wenn sie nicht hier ist, in der Unschuld Land?<br />
Hier, wo die alte Treue heimisch wohnt,<br />
Wo sich die Falschheit noch nicht hingefunden,<br />
Da trübt kein Neid die Quelle unseres Glücks,<br />
Und ewig hell entfliehen uns die Stunden.»<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Berta, Wilhelm Tell, 3. Aufzug, 2. Szene
100<br />
Robin Burgauer<br />
2001<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
101<br />
Unser Leben wird allzu oft bestimmt von den direkten, lauten und klar nachempfindbaren<br />
Dingen des Lebens. Schlagzeilen, Wikipedia, Briefings, Reiseführern. Schwarz auf<br />
weiss – unfehlbar, klar, direkt. Wie einfach das sein kann. Sich den klaren Richtlinien<br />
des Lebens hinzugeben. Sich leiten zu lassen. Von der Ratio des Lebens. Der Signaletik<br />
im Bahnhof, der direktesten Route auf Google Maps oder den neusten Ernährungsempfehlungen.<br />
Punkt für Punkt. Schritt für Schritt. Eine fremdbestimmte Signaletik des<br />
Lebens. Fast unmerklich geht dabei die wunderbare Fähigkeit verloren, sich der Stille<br />
und Unklarheit hinzugeben. Sich den Weg in einer neuen Stadt und Neugierde ausserhalb<br />
von Schlagzeilen selber zu suchen. Sich nicht dem Lautesten, sondern dem<br />
Ruhigen hinzugeben. Klares zu<br />
ignorieren oder auch zu hinterfragen.<br />
Vielleicht auch nur in der<br />
Weglassung, weil die Prüfung<br />
wiederum das Laute in sich trägt.<br />
Sich komplett der eigenen Stille<br />
hinzugeben. Aber ohne stehen zu<br />
bleiben. In sich hinein und nicht<br />
nach aussen zu hören. Den inneren<br />
Radar auszurichten und der eigenen<br />
Signaletik nachzuspüren. Wie<br />
wunderbar!<br />
Auch wenn mir dies erst Jahre später bewusst wurde: Diese innere Ausrichtung<br />
hast Du uns früh mitgegeben, Christian. Du hast uns, und das ist tatsächlich das<br />
Wunderbare, leise und wortlos die Kraft der Stille aufgezeigt. Ohne dies je explizit so<br />
zu benennen. Ganz im Sinne der Mäeutik. Eine Gesprächs- oder Verhaltenstechnik,<br />
von Sokrates verglichen mit der Geburtshilfe. Indem durch geeignete Fragen oder<br />
einfach durch stille Reaktion einer Person zu einer Erkenntnis verholfen wird. Aus sich<br />
selber heraus. Aus der eigenen Stille. Wie wunderbar das ist. Unser Leben aus uns<br />
selbst heraus zu bestimmten. Danke, Christian.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
102<br />
Ivan Georgiev<br />
2004 – 2005 (Spiel), 2006 und 2016 (Regieassistenz)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Tee meine Damen<br />
und Herren, Tee! Es<br />
gibt keinen Grund<br />
Tee zu machen, ohne<br />
vorher den Kessel<br />
zu wärmen!<br />
Zu einer meiner schönsten Erinnerungen überhaupt gehört die Zeit während<br />
der After Juliette-Produktion. Ich erinnere mich, wie wir mit Simon H., jeweils<br />
auf dem Nachhauseweg in der Tram, den Tee-Monolog durchgespielt haben.<br />
Er am einen Ende der Tram, ich am anderen: «Tee meine Damen und Herren,<br />
Tee! Es gibt keinen Grund Tee zu machen, ohne vorher den Kessel zu wärmen!<br />
Die Leute machen das so: ›Zitrone, Milch?‹, sagen sie, einen schönen,<br />
kalten Teekessel schwingend!» Ja, das waren wunderschöne Theaterproben<br />
und Protestaktionen zugleich. Ich liebe die Theaterprobe auch heute noch!<br />
Ich liebe den verrückten Blick des Spielpartners und den zum Kind gewordenen<br />
Zuschauer auch heute noch. Ich bin Dir sehr dankbar, lieber Christian,<br />
dass Du gewusst hast, diese Liebe zu entfachen.
103<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
104<br />
Hannah Aerni<br />
2012 – 2013<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
u kannst alles und musst nichts<br />
und hast dein Leben lang dafür Zeit.»<br />
Lieber Christian, dieser Satz und die<br />
Tatsache, dass ich ihn am Schluss von «Ich<br />
hätte nicht übel Lust» aussprechen durfte,<br />
bedeutet mir auch heute noch sehr viel.<br />
Lange Zeit stand ich im Kampf mit mir<br />
selber, zwang mich zu Dingen, die mich sehr<br />
unglücklich machten. Dieser Satz, der vielleicht<br />
ein bisschen mein Mantra geworden ist,<br />
half und hilft mir nach wie vor, weniger Ansprüche<br />
an mich zu stellen und stattdessen<br />
meine Wünsche zu leben.<br />
Die beiden Jahre in der Theater AG haben<br />
wesentlich dazu beigetragen, dass ich lernte,<br />
mich selber besser wahrzunehmen, zu verstehen<br />
und zu akzeptieren – ein Prozess, der<br />
nie enden, sondern immer wieder neue Formen<br />
annehmen wird und das Leben lebenswerter<br />
macht.<br />
Ich bin dir unglaublich dankbar für die<br />
wundervolle Zeit, die du mir mit der Theater<br />
AG geschenkt hast!
105<br />
Rémy Bourgeois<br />
2012 – 2014 (Spiel) und<br />
2015 – 2018 (Grafik / Fotos)<br />
In meiner Zeit in der AG Theater lernte ich<br />
vieles – am meisten jedoch lernte ich mich<br />
selbst kennen. Ich lernte, auf meinen Körper zu<br />
achten, nicht nur wie er in diesem Moment<br />
gerade ist, sondern auch wie er sich im Raum<br />
bewegt, auf Impulse reagiert, welche Kräfte<br />
fliessen, wie die Atemluft in meine Mitte strömt.<br />
Auf dieser Grundlage baute dann die Sprache,<br />
in ihrer einfachsten Form, Konsonanten,<br />
Vokale, Diphthonge, schliesslich Wörter, Sätze,<br />
Monologe. Dann kamen die Inhalte, Texte<br />
von Autoren, die von meinem Leben erzählten:<br />
Jugend und Selbstfindung, Liebe und Sexualität,<br />
Eifersucht und Gier, Todesangst und<br />
Hoffnung. Das Ganze wurde gestützt durch<br />
einen Ethos, den es wohl so nur in der AG<br />
Theater gibt: Ein kompromissloses Engagement<br />
für das Theater, den Anspruch auf<br />
absolute Perfektion in jeder Spielsituation,<br />
das Halten der Spannung, nicht nur in der<br />
Szene sondern im ganzen Leben. Nichts ist<br />
so lebensnah wie das Theater. Für diese und<br />
vielen weiteren Erkenntnisse werde ich Christian<br />
mein Leben lang dankbar sein.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
106
107<br />
Philippe Panizzon<br />
1997 – 1999<br />
Als ich an der Haute école des arts de la scène -<br />
La Manufacture in Lausanne studierte,<br />
auf dem Weg zum professionellen Schauspieler,<br />
war ich erstaunt, wie viel ich bereits an der AG<br />
Theater Rämibühl gelernt und integriert hatte, und<br />
wie professionell die Arbeit dort gewesen war.<br />
Mitglied der AG Theater Rämibühl zu sein, bedeutete<br />
für mich, neue Freundschaften zu formen, und – vor<br />
allem – im sonst intellektuellen Alltag des Gymnasiums<br />
ein bisschen Bühnenkünstler zu sein. Es gehört zu<br />
meinen besten Erinnerungen, mit dem Weissen Scheich<br />
in Fellinis Welt einzutauchen. Schillers Wilhelm Tell war<br />
dann schon eine ernstere, philosophischere Sache,<br />
und den Gessler zu spielen war eine Herausforderung.<br />
Dank der AG Theater Rämibühl war ich nach der<br />
Matura noch immer vom Theaterfieber angesteckt und<br />
beschloss, Schauspieler in der französischsprachigen<br />
Schweiz und in Frankreich zu werden, um diese schöne<br />
Arbeit fortzusetzen. Die spannenden und faszinierenden<br />
Ausbildungsjahre in Lausanne und die Arbeit danach<br />
an den verschiedenen Theatern in der Westschweiz und<br />
in Frankreich erinnerten mich oft an die aussergewöhnlichen<br />
Momente, die ich schon auf der Bühne der Aula<br />
Rämibühl an den Freitagnachmittagen erlebt hatte.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
108
109<br />
« Du kannst<br />
alles und<br />
musst nichts<br />
und hast<br />
dein Leben<br />
lang dafür Zeit. »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
aus<br />
«Ich hätte nicht übel Lust»
110 «ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
Ich hätte nicht<br />
übel Lust<br />
Ein Ensembleprojekt zu Frank<br />
Wedekinds «Frühlings Erwachen»<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
111<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Sieht man, wie jeder darauf<br />
immer gleich krampfhaft die<br />
Blicke richtet, man möchte glauben,<br />
die ganze Welt drehe sich<br />
um P… und V..!»<br />
«Das Leben ist von einer<br />
ungeahnten Gemeinheit. Ich<br />
hätte nicht übel Lust, mich in<br />
die Zweige zu hängen.»<br />
Melchior Gabor
112 «ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
«Ich begann zu schreiben ohne<br />
irgendeinen Plan, mit der Absicht<br />
zu schreiben, was mir Vergnügen<br />
macht. Der Plan entstand nach<br />
der dritten Szene und setzte sich<br />
aus persönlichen Erlebnissen<br />
oder Erlebnissen meiner Schulkameraden<br />
zusammen. Fast jede<br />
Szene entspricht einem wirklichen<br />
Vorgang ...<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Während der Arbeit bildete ich<br />
mir etwas darauf ein, in keiner<br />
Szene, sei sie noch so ernst, den<br />
Humor zu verlieren. Bis zur Aufführung<br />
durch Reinhardt galt das<br />
Stück als reine Pornografie. Jetzt<br />
hat man sich dazu aufgerafft,<br />
es als trockenste Schulmeisterei<br />
anzuerkennen. Humor will immer<br />
noch niemand darin sehen ...»<br />
Frank Wedekind, Was ich mir<br />
dabei dachte (1911)
«ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
113<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
114 «ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«D'Mueter vonere Schüelerin<br />
uns de Klass 3i hät Strafaazeig<br />
erstattet wäge Pornografie.<br />
Was säged Sie dadezue?<br />
Da muess ich ehrlich säge,<br />
ich bin sprachlos. Ich finde das<br />
wahnsinnig. Das isch hochstehendi<br />
Literatur. Es Buech us<br />
de tütsche Literatur. Wieso<br />
törf me das nöd neh? Natürlich<br />
isch Sexualität es zentrals Thema.<br />
Das isch ja im Läbe au eso.<br />
Ich find es besser, wenn sich<br />
Jugendlichi über d'Literatur mit<br />
em Thema Sexualität usenandsetzed,<br />
als wenn sie en billige<br />
Porno uf em Handy aalueged.»<br />
Szene XV
«ICH HÄTTE NICHT ÜBEL LUST» 2013<br />
115<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
116<br />
ieber Christian<br />
Ein paar Momente<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Vergessen tun wir immer<br />
die schönen Sachen,<br />
mit Dir war die AG Theater<br />
keine Sache, sondern<br />
warme Schmetterlinge im<br />
Bauch.<br />
Natürlich der Fruchtsalat<br />
bei meiner Aufführung, den<br />
Du so mochtest.<br />
Deine kulinarischen Vorlieben<br />
sorgten beim freitäglichen<br />
Bernerstreit um das beste<br />
Essen für viele<br />
Diskussionen: Meistens<br />
liessen wir extra ein<br />
Lachsbrötli für Dich übrig.<br />
Lachen in Aarau.<br />
Elmira<br />
Herzlich
Elmira Oberholzer<br />
2015 – 2017
118<br />
Livia Zimmermann<br />
2017<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
119<br />
Lieber Christian<br />
Du warst für mich ein toller Lehrer! Du verstehst es, uns Jugendliche durch<br />
das Theater zu inspirieren. Die AG war eine unglaublich intensive und sehr<br />
lehrreiche Zeit.<br />
Man wächst<br />
über sich selber hinaus.<br />
Dank Dir bin ich mehr gewachsen, als ich es je für möglich gehalten<br />
hätte! Du und die AG haben mir sehr geholfen, zu dem Menschen zu<br />
werden, der ich heute bin. Ich habe gelernt, nein zu sagen, mich und meine<br />
Bedürfnisse kennenzulernen und auf sie zu hören. Dank Dir ist mein Selbstbewusstsein<br />
so viel grösser geworden. Ich mache mich nicht mehr unnötig<br />
klein, und verstelle mich nicht mehr, da ich durch die AG merkte, dass<br />
ich so bin, wie ich bin und niemandem etwas vormachen muss, nur um<br />
«nett» zu wirken (muss man das überhaupt?). Es nützt weder mir, noch<br />
jemand anderem etwas und ohne die AG hätte ich das wohl erst nach<br />
vielen Ent täuschungen gemerkt.<br />
Ich danke Dir für die vielen wundervollen Erfahrungen, die ich dank<br />
Dir erleben durfte, für deine wertvollen Ratschläge und für die vielen<br />
schönen Erinnerungen, an die ich immer wieder sehr gerne zurückdenke.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Alles Liebe
121<br />
Jessica Imbach<br />
1998 – 2001 (Spiel), 2002 und 2004 (Regieassistenz und Dramaturgie)<br />
Du, Christian<br />
Folgt man der kommunikativen Logik der Höflichkeitsanrede<br />
mit «Sie», dann teilt sich das Leben in drei Phasen.<br />
In der Ersten ist man Kind. Da hört man nur «Dus» (und<br />
ganz viele Imperative): «Tuä dini Finkä is Fächli!» Aus<br />
gesellschaftlicher Perspektive ist man noch im Rohmaterialzustand,<br />
dessen (produktives) Potential es erzieherisch<br />
zu erkunden und formen gilt. Die zweite Phase setzt<br />
Mitte Pubertät ein, wenn die Lehrer in der Schule zum<br />
Siezen wechseln, aber bei der direkten Anrede noch den<br />
Vornamen beibehalten. Als ob es die ambivalente Begegnung<br />
mit neuen Gefühlen, Körperhaaren und Ichbildern<br />
soziolinguistisch zu unterstreichen gälte, wird man jetzt<br />
fast für voll genommen. Aber eben nur fast. Obwohl<br />
das «Sie» einen Zugewinn an Respekt signalisieren<br />
soll, verfestigt die gleichzeitige Beibehaltung der Vornamensanrede<br />
das Autoritätsgefälle zwischen Schüler<br />
und Lehrer: «Jessica, Sie schuldät mir no ä Platon-<br />
Übersetzig!» Peak revolutionäre Energie ist erreicht. In<br />
der dritten Phase ist dann die Demarkationslinie zwischen<br />
dem privaten «Du» und dem öffentlichen «Sie»<br />
klar gezogen. Sagt mir ein Unbekannter gleich «Du»,<br />
dann gehen die emotionalen Sirenen los. Habe ich<br />
etwas Falsches gemacht? «Du, dä Chaugummi rüert<br />
mer nöd eifach an Bodä!» Das «Du» straft, wo das<br />
«Sie» meine Mündigkeit unversehrt belassen hätte.<br />
In der AG Theater galten andere Regeln. Da gab es<br />
nie den halben «Sie»-Ritterschlag und Klein wie Gross<br />
sprach einander mit «Du» an. Dies war nie ein entmündigendes<br />
«Du» oder ein Freizeit-«Du», weil wir eben nur<br />
ein bisschen «theöterlet hännd», wie Aussenstehende<br />
(d.h. die Uneingeweihten …) meinten, sondern ein<br />
«Du» der Gemeinschaft. Im Theater war man voll da,<br />
voll gefordert, voll zusammen. Fanatisch, Herzblut<br />
bejahend und radikal ernsthaft zelebrierten wir diese<br />
Gemeinschaft, deren Chefalchemisten wir aus mythologischer<br />
Distanz bewunderten. AG Theater, das bleibt<br />
hängen, weil Du, Christian, es weniger mit der Höflichkeit<br />
und mehr mit der Lebendigkeit hast.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
122 «DER BESUCH» 2003<br />
Der Besuch<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«DER BESUCH» 2003<br />
123<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
124 «DER BESUCH» 2003<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«When you were young and your heart<br />
was an open book<br />
You used to say live and let live.<br />
(You know you did, you know you did,<br />
you know you did)<br />
But if this ever changin' world in which<br />
we live in makes you give in and cry.<br />
Say: Live and let die, live and let die!<br />
What did it matter to ya, when you got<br />
a job to do.<br />
You got to do it well, you got to give<br />
the other fella hell»<br />
Paul McCartney
«DER BESUCH» 2003<br />
125<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
126 «DER BESUCH» 2003<br />
«Ein Schauspieler ist mehr als ein Rollenträger,<br />
er ist ein Mensch auf der Bühne.»<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
«So viel Gülle wie über uns ausgeleert<br />
wurde, können Sie sich gar nicht vorstellen.»<br />
Christoph Blocher<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«DER BESUCH» 2003<br />
127<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
128 «DER BESUCH» 2003
«DER BESUCH» 2003<br />
129<br />
«Das seltsame ist, je mehr ich verdiente, desto mehr<br />
beschäftigte mich das Geld.<br />
Es ist paradox: Als ich nicht mehr so viel über Geld hätte<br />
nachdenken müssen, stellte ich fest, dass ich immer mehr<br />
darüber nach dachte. Geld korrumpiert.»<br />
Daniel Vasella<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
Yann Bartal<br />
2012 – 2014 und 2016
131<br />
Theater<br />
Wenn ich daran denke, was ich von Dir gelernt<br />
habe, dann kommen mir ganz viele Sätze und<br />
Zitate in den Sinn, die Du uns mitgegeben hast.<br />
ist<br />
You have to embody yourself, before<br />
you can embody anybody else.<br />
Du kannst alles und musst nichts.<br />
Theater ist kontrollierter Wahnsinn.<br />
Wahnsinn.<br />
Das, was die ganze Zeit in deinem<br />
Kopf spricht, das bist nicht du.<br />
Diese Sätze stehen für eine intensive Reise<br />
durch meine Jugend und unzählige Dinge, die<br />
ich von Dir und durch Dich erfahren habe.<br />
Das, was ich heute bin, wurde ich bei Dir und<br />
der AG Theater. Ich habe gelernt, mich nicht<br />
anzupassen und mir ganz grundsätzliche<br />
Fragen zu stellen. Was bedeutet es für mich<br />
jung zu sein, ein Mensch zu sein? Was ist für<br />
mich wichtig und existenziell? Wofür lohnt es<br />
sich zu kämpfen? Ich habe gelernt kompromissbereit<br />
zu sein, aber trotzdem aufs Ganze<br />
zu gehen. Ich habe gelernt, dass das Zusammenspiel<br />
von Körper und Stimme, Ernst und<br />
Spass und Kontrolle und Wahn auf und abseits<br />
der Bühne zentral ist. Danke, dass Du uns<br />
immer ernst genommen hast. Danke, dass Du<br />
so unglaublich hingebungsvoll bist.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
kontrollierter
132<br />
Oriana Schällibaum<br />
2001 (Regieassistenz) und 2002 – 2003 (Spiel)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Dazugehören<br />
Einmal<br />
Für immer<br />
Ich habe diese Intensität<br />
des Spiels – Intensität<br />
des Lebens – nirgendwo<br />
sonst gespürt.<br />
«Die Adern voll Dasein.»<br />
Eine Ehrlichkeit und<br />
Unbedingtheit, die Kraft<br />
gaben. Und geben.<br />
Und zugleich: «mein /<br />
Anruf ist immer voll<br />
Hinweg; wider so starke /<br />
Strömung kannst du<br />
nicht schreiten.»<br />
Danke Dir, Christian,<br />
und danke allen, die<br />
dabei waren!
133<br />
« Die Adern<br />
voll Dasein. »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
134<br />
Yannick Weber<br />
2012 (Spiel) und 2013 (Regieassistenz)<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Cogito ergo sum<br />
Esurio ergo sum<br />
Volo ergo sum<br />
«Cogito ergo sum, einer<br />
der berühmtesten Aussprüche<br />
der Philosophie,<br />
wird vom Hunger verdrängt. Esurio<br />
ergo sum. Ich hungere, also bin ich.<br />
Volo ergo sum. Ich will, also bin<br />
ich. Das sind die Formeln, die das<br />
Sein ausmachen.» Eine Lektion,<br />
die ich in meinem ersten Jahr bei der<br />
AG Theater gelernt habe: Wenn<br />
man sich passioniert einsetzt und<br />
Max Frisch spielen will, führt das<br />
nicht nach Andorra, sondern zu<br />
einem Monolog. Die Mehrheit hat<br />
manchmal eben doch recht.
135<br />
Lea Dudzik<br />
2003 (Spiel) und 2005 (Regieassistenz)<br />
Lieber Christian<br />
Du warst für mich eine der prägenden<br />
Figuren und Leitplanken in<br />
meiner Jugend, die mich bestärkten,<br />
meinen eigenen Weg zu gehen. Ich<br />
erinnere mich an Deinen Fokus, mit<br />
dem Du in tiefer Ruhe und Wachheit<br />
das Unmögliche möglich machtest,<br />
aus einer Gruppe zusammengewürfelter<br />
Personen eine Theaterfamilie<br />
zu machen, die wohl für immer<br />
miteinander verbunden sein wird.<br />
Du hast uns den Raum gegeben,<br />
uns selber und einander zu begegnen,<br />
zu forschen und zu scheitern<br />
– im Wissen, dass wir aufgefangen<br />
würden. Das war vielleicht Dein<br />
allergrösstes Geschenk an uns alle.<br />
Ich habe gelernt,<br />
zu vertrauen.<br />
Danke Christian, für alles! Ich werde<br />
die Theater AG Zeit mit Dir immer<br />
in meinem Herzen tragen.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
136 «NACHTSCHWÄRMER» 2012<br />
Nachtschwärmer<br />
Thomas Oberender nach<br />
Motiven der Brüder Grimm<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Ich kann nicht schlafen.<br />
Schlafen und vergessen. Mir<br />
brennen die Füsse wie Feuer.»<br />
Isobel
«NACHTSCHWÄRMER» 2012<br />
137<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
138 «NACHTSCHWÄRMER» 2012
«NACHTSCHWÄRMER» 2012<br />
139<br />
«Da. Ein ganzer Sack voll Schuhe. So sehen die jeden<br />
Morgen aus – die blutigen Reste. Was schätzen Sie, wie<br />
lange die halten? Bei meinen Töchtern eine Nacht. Ganz<br />
normale Schuhe. Eine Nacht! Die Schuhe, das Bett, alles<br />
voll Blut. Und jetzt sehen Sie sich das an. Neue Schuhe!<br />
Gute, ganz normale Schuhe. Auch ein Sack! Ich werde<br />
noch verrückt – ich kaufe sie im Dutzend. Ich bestelle sie<br />
inzwischen beim Versand! Drei paar Schuhe, sieben Tage<br />
die Woche und das die ganze Zeit.»<br />
Vater<br />
«Neunhundertachtundneunzig Nächte. Gott, mir ist, als<br />
stünde ich auf einem Berg – Den steilen Weg hab ich<br />
erklommen? Fast. Zwei Nächte noch, dann ist das Tausend<br />
voll, Zertanzt wie ihre Schuhe.»<br />
Thierry, Jean und Paul<br />
«Oberenders faszinierender Text ist voll von nächtlichen<br />
Fallstricken, schattigen Sackgassen und unerhellbar<br />
dunkel scheinenden Rätseln und Geheimnissen.»<br />
Christian Seiler<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
140<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
« Schatz …<br />
S’Ei isch härt! »<br />
[Schweigen]<br />
«S'Ei isch härt!»<br />
«Ich ha's ghört.»<br />
«Wie lang hät das Ei dänn koched …?»<br />
«Zvill Eier sind gar nöd gsund.»<br />
«Ich meine, wie lang das Ei dänn koched hät …?»<br />
«Du willsch es doch immer vierehalb<br />
Minute ha …»<br />
«Das weiss ich ...»<br />
«Warum frögsch dänn?»
141<br />
Marco Pestalozzi<br />
1998 – 2000 und 2003<br />
Familie Kreon am Frühstückstisch – eine kleine Loriot-<br />
Einlage als wunderbare Auflockerung der ernsten Tragödie<br />
von Sophokles. Unvergessen und, wie die meisten<br />
komischen Dialoge, eine grosse szenische Herausforderung.<br />
Hunderte Male geübt und probiert, wie der eröffnende<br />
Satz am besten zu betonen und zu timen ist,<br />
so dass im Idealfall bereits nach dem allerersten Wort<br />
«Schatz ...» die ersten Lacher im Zuschauerraum zu<br />
hören waren – oder zumindest der eine, unüberhörbare<br />
Lacher von Christian. Kam dieser, wusste ich, ich hatte<br />
es geschafft.<br />
Mit Sophokles und Loriot sowie mit den drei Friedrichs,<br />
Fellini, Schiller und Dürrenmatt, ermöglichte mir Christian<br />
Seiler bereits während meiner Schulzeit eine beachtliche<br />
Karriere innert nur vier Jahren: Vom italienischen<br />
Buch halter aus der römischen Pampa zum landadligen<br />
Freiherr von Attinghausen, über Kreon, dem König von<br />
Theben, bis schliesslich zum Stadtpräsident von Güllen.<br />
Die damit einhergehenden, äusserst vielseitigen Bühnenund<br />
Theaterkurserfahrungen haben mir unter anderem<br />
in Sachen Stressbewältigung, Energiebündelung,<br />
Konzentration, Fokussierung sowie Sicherheit im Auftritt<br />
und Bühnenpräsenz enorm viel gebracht. Wie oft habe<br />
ich mich doch später in intensiven Lernphasen oder vor<br />
wichtigen Prüfungen jeweils kurz selber abgeklopft,<br />
ausgeschüttelt oder mit Atemübungen beruhigt oder<br />
aufgeputscht, wie wir es früher jeweils als Einwärmübung<br />
im Theater gelernt hatten. Und in wie vielen<br />
unterschiedlichen Lampenfieber-Momenten erinnerte<br />
ich mich später immer wieder lebhaft an meine Zeit in<br />
der AG Theater und profitierte von den dort gelernten<br />
Techniken und Tricks des Schauspielerhandwerks.<br />
Zum Beispiel an der mündlichen Prüfung meiner Französischmatur<br />
(als mich mein neuer, unwissender Lehrer<br />
notabene doch tatsächlich zu Anouilhs Antigone<br />
abfragte und mich meinen eigenen Theatertext vorlesen<br />
und interpretieren liess …), anlässlich diverser Vorträge<br />
an der Uni oder Präsentationen im Beruf, an Vorstellungsgesprächen<br />
oder an der mündlichen Anwaltsprüfung,<br />
an Hochzeitsproduktionen oder Zunftreden. Jedes<br />
Mal geht der Puls zwar wieder von neuem hoch, aber<br />
jedes Mal weiss ich auch, wie ich am besten damit<br />
umgehen und das Lampenfieber in positive Energie und<br />
Kraft umwandeln kann.<br />
Beinahe tagtäglich an den Theaterkurs erinnert mich<br />
schliesslich meine neueste und bis jetzt herausforderndste<br />
Rolle, nämlich diejenige als Familienvater. Nicht wegen<br />
der Loriot'schen Frühstücksei-Szene, nein, soweit sind<br />
wir zum Glück noch nicht, auch wenn ich diesen Dialog<br />
inzwischen lebenserfahrungsbedingt natürlich noch<br />
besser nachvollziehen kann … Aber mit kleinen Kindern<br />
sind zu Hause auf einmal ganz plötzlich all die Übungen<br />
gefragt, wie wir sie früher jeweils im wöchentlichen<br />
Theaterkurs praktiziert haben, und das ist – genau gleich<br />
wie damals jede Woche montagabends in der Aula –<br />
auch heute wieder jedes Mal eine grosse Freude und ein<br />
Spass: Gibberisch sprechen, Lieder singen, Ja / Nein-<br />
Spiele, Sätze dutzendmal wiederholen, kreative Senseund<br />
Nonsense-Improvisationen, Rollenspiele, Imitationen,<br />
Spiegelungen etc.<br />
Lieber Christian, ganz herzlichen Dank für alles! Danke<br />
vor allem, dass Du uns immer für voll genommen hast<br />
und für halbe Sachen (sprich: für «theöterlen») nie zur<br />
Verfügung gestanden bist.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
142<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Ganz<br />
unverhofft<br />
Ganz unverhofft kam ich an einem Tage<br />
Als junger Bub mit Freunden in die AG<br />
Es war dort alles anders – ungelogen<br />
Doch fühlte ich mich sofort aufgehoben<br />
Es wurde geschrien, fantasiert, getanzt und gelacht<br />
Mein Feuer für Bewegung und Sprache war alsbald entfacht<br />
Nun gab es neben manchem trocknen Fache<br />
Diese wunderbare, farbenfrohe Sache<br />
In jeder Minute konnte ich Grenzen ertasten<br />
Mich an diesen reiben und stetig an ihnen wachsen<br />
Theater war in Bälde Teil meines Lebens<br />
Zusammen konnten wir uns auf Reisen begeben<br />
Mit Dir als Leiter tief in ein neues Tal<br />
Hinein ins Ungewisse Mal für Mal<br />
Nicht wissend, ob am Ende was draus werde<br />
Erklommen wir doch stets die höchsten Berge<br />
Herzlichsten Dank für Alles,<br />
Jotscho
143<br />
Joachim Aeschlimann<br />
2003 – 2006 (Spiel) und 2015 – 2017 (Regieassistenz)<br />
die<br />
höchsten<br />
Berge<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
144<br />
Andrina Imboden<br />
2014 – 2016<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Blick von unten auf die Scheinwerfer der Aula<br />
Intensivproben als Spiegel und als zweite Heimat<br />
Begeisterung fürs Wahnsinnige, Feuerfreude im Körper<br />
Christian, die Mitte selbst, und die Mitte der Gruppe<br />
in rotem Shirt und schwarzen Trainerhosen<br />
präsent und gewitzt, lässt Einzigartiges gedeihen<br />
sich selbst sein; die wundervollste Schwierigkeit<br />
loslassen, sich einlassen und zulassen<br />
und es erwachsen sonnige Arschlöcher<br />
über (sich) selbst lachen<br />
Sinn im Kreis<br />
AG Theater Rämibühl
145<br />
Begeisterung<br />
fürs<br />
Wahnsinnige,<br />
Feuerfreude<br />
im<br />
Körper<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
146<br />
Anna Püntener<br />
2015 – 2016 (Spiel)<br />
und 2017 (Regieassistenz)<br />
Lieber Christian<br />
Ich weiss nicht, wo ich beginnen soll.<br />
Was Du mir in der AG Theater<br />
mitgegeben hast, ist mehr, als ich<br />
hier schreiben kann. Natürlich sind<br />
da die Erinnerungen an unglaubliche<br />
Stücke, das Spiel mit den anderen<br />
auf der Bühne und dem Publikum,<br />
dieses Gefühl von fokussiert sein<br />
und die unglaubliche Stärke, die<br />
einen plötzlich überkommt.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
147<br />
usstest Du, dass mir in einer<br />
«Der Rest des Lebens»-Aufführung<br />
(die Schüleraufführung für das<br />
MNG war das) gleich in der Kleiderszene<br />
zu Beginn die Linse im Auge<br />
zer splitterte? Ich spielte das ganze<br />
Stück, ohne mir etwas anmerken<br />
zu lassen, ausser dass mir am<br />
Anfang Tränen aus dem Auge liefen,<br />
weil die Linse das Auge zum Tränen<br />
brachte. Ich habe fast nichts davon<br />
gemerkt. Dass ich diese Konzentration<br />
und Stärke in mir habe und dass<br />
ich so loslassen kann, das hast Du<br />
mir gezeigt.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Dank der AG habe ich gelernt,<br />
auf andere, meine Stimme, meinen<br />
Körper und nicht zuletzt auf mich<br />
selbst zu vertrauen. Ich weiss nicht,<br />
ob ich mich jemals so richtig dafür<br />
bedankt habe, es ist auf jeden Fall<br />
etwas, was ich tun möchte! Lieber<br />
Christian, vielen lieben Dank für die<br />
wunderbare Zeit in der AG und<br />
Deine Hilfe, Anleitung und Geduld,<br />
die mich so viel Positives an mir<br />
entdecken liess!
148<br />
Loue Wyder<br />
2015 – 2016<br />
Der Moment<br />
Lieber Christian<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Die Leere<br />
Die Leere zulassen<br />
Die Leere spüren<br />
Die Leere loslassen<br />
Die Fülle<br />
Die Fülle spüren<br />
Die Fülle entfalten<br />
Die Fülle geniessen<br />
Du hast mich gelehrt, den<br />
Moment mit seiner Leere<br />
und Fülle zu spüren.<br />
Dafür und noch für vieles<br />
mehr danke ich Dir von<br />
Herzen.<br />
Ich wünsche Dir viel<br />
Geduld für die Leere, um<br />
zu einer neuen und überraschenden<br />
Fülle zu kommen,<br />
eine gute Gesundheit<br />
und Zufriedenheit.<br />
Die Erfahrungen und<br />
Lehren der AGT-Zeit<br />
werden mich für «den Rest<br />
des Lebens» begleiten…<br />
Herzlich<br />
Loue Wyder
Marco Stocker<br />
2005 – 2007
151<br />
prägende Die drei Jahre in der AG Theater waren für mich eine Zeit und die<br />
wöchentlichen AG-Kurse für mich ein super Ausgleich zum Schulalltag. Sie haben meine persönliche<br />
Entwicklung wohl mehr geprägt, als jedes andere Schulfach. In der AG habe ich gelernt, ein feines<br />
Gespür für meine kreative und emotionale Seite zu entwickeln und dieser über Körper, Sprache, Stimme<br />
und Atem Ausdruck zu geben und sie auszuleben. Das hat einen wohltuenden Effekt aufs Gemüt.<br />
Davon profitiere ich heute noch tagtäglich.<br />
Neben zahlreichen anekdotischen Erinnerungen aus der AG-Zeit nehme ich viele schöne Freundschaften<br />
mit, welche auch noch heute bestehen.<br />
Für das alles bedanke ich mich ganz herzlich bei Dir, lieber Christian, und wünsche Dir alles Gute<br />
für die Zukunft.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Herzlich<br />
Marco Stocker
152 «DER REST DES LEBENS» 2015<br />
Der Rest des Lebens<br />
Ein Gegenwartsprojekt<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
«DER REST DES LEBENS» 2015<br />
153<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
154 «DER REST DES LEBENS» 2015<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Was wächst da nur für eine<br />
Generation heran: Immer den<br />
Kopf gesenkt und den Blick<br />
aufs Smartphone gerichtet –<br />
Kulturpessimisten sehen<br />
schwarz. Doch Wissenschaf -<br />
tler sagen: Hat es doch alles<br />
schon gegeben!»<br />
Neue Zürcher Zeitung<br />
vom 12. Mai 2014
«DER REST DES LEBENS» 2015<br />
155<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
156 «DER REST DES LEBENS» 2015
«DER REST DES LEBENS» 2015<br />
157<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
158 «DER REST DES LEBENS» 2015
«DER REST DES LEBENS» 2015<br />
159<br />
«Die Angst vor der Leere in<br />
einem selbst, vor der Leere im<br />
Raum – Um von dieser Angst<br />
wegzukommen, versucht man<br />
sofort, diese Leere zu füllen,<br />
damit man etwas zu sagen<br />
oder zu tun hat. Es bedarf<br />
echten Selbstvertrauens, um<br />
still zu sitzen oder zu schweigen.<br />
Ein grosser Teil unserer übermässigen,<br />
unnötigen Entäusserungen<br />
rührt von der Horrorvorstellung<br />
her, wir würden, wenn<br />
wir nicht ständig irgendwie<br />
signalisieren, dass wir existieren,<br />
auf einmal tatsächlich nicht<br />
mehr da sein.»<br />
Peter Brook,<br />
Das offene Geheimnis<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
160
161<br />
« In meiner<br />
Hand ruht der<br />
Knochen, ich<br />
bin eins mit<br />
meinem Körper<br />
und unbesiegbar<br />
in meiner<br />
Verletzlichkeit. »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Eliane Uebelhart
162<br />
Anna Baumann<br />
2008 – 2009<br />
Livia Enzler<br />
2008 – 2009<br />
Annina Gieré<br />
2007 – 2009<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
163<br />
Die Pause:<br />
Ein wichtiges und auch schwieriges Element, sowohl auf der<br />
Bühne wie im Leben, das Du, Christian, uns mitgegeben hast, ist,<br />
das Halten oder gar Aushalten einer Pause. Wobei die Pause<br />
keinen Unterbruch darstellt, sondern eine Intensivierung, einen<br />
Aufbau der Spannung. Dieser Herausforderung des «Haltens»<br />
stellen wir uns bis heute.<br />
Dieser Herausforderung<br />
des<br />
« Haltens »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
stellen wir uns<br />
bis heute.<br />
Das Entdecken:<br />
Egal welche Rollen wir im Theater annahmen, wir wurden von Dir<br />
dazu ermutigt, diese in uns selbst zu entdecken und nicht zu<br />
spielen. Dies bot eine wunderschöne Möglichkeit, unser Inneres<br />
zu explorieren. Der Beginn einer lebenslangen Entdeckungsreise ...<br />
«Tön zuelah»:<br />
Ungehemmt in jeder Situation die Körpermelodie zulassen ...
164<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Drei Stücke. Drei Momente. Danke<br />
Welcher Schauspieler träumt schon nicht<br />
davon, auf der Bühne zu sterben? Ich fand die<br />
Aussicht darauf jedenfalls toll. Aber was ist<br />
Sterben? Ich gehe es physisch an, als Handlung,<br />
als Vorgang. Du bist damit nicht zufrieden.<br />
Ich versuche, das Sterben emotional anzugehen.<br />
Es klappt nicht. Wir probieren aus, proben,<br />
verwerfen, aber irgendwie kriege ich es nie<br />
richtig zu fassen. Dann kommt die Premiere.<br />
Fast alle Darsteller sind auf der Bühne, es ist<br />
ein Familienfest, in der Mitte eine reich gedeckte<br />
Tafel, darum herum die ganze Familie. Die<br />
schweren Baumwollgewänder berühren sich,<br />
ich blicke in freundliche, entschlossene Gesichter.<br />
Man kennt mich und man respektiert<br />
meinen Vater. Das ist mein Zuhause. Ich nehme<br />
einen Schluck aus dem Becher. Verdammt.<br />
Ich will nicht sterben. Das ist es! Es geht nicht<br />
um das Sterben. Es geht um das Leben wollen.<br />
Ich kauere in einem oben offenen Karton<br />
auf einer der Sitzbänke in der Aula, rieche den<br />
Hundeknochen zwischen meinen Füssen<br />
(woraus besteht das Ding eigentlich?), mir<br />
wird immer wärmer. Meine Mitspieler rascheln<br />
in ihren Kartons. Dann gehen die Türen auf,<br />
Stimmen schwirren, Schritte nähern sich. Einer<br />
sanften Lawine gleich schwappt die Menschenmenge<br />
über die Kartons, ihre Jacken<br />
steifen über die Sitzbänke, die Aula war schon<br />
immer zu eng. Ich spüre den Druck eines<br />
Körpers gegen meine Kartonwand, «ach, da<br />
ist ja jemand drin», sagt einer, ein Finger bohrt<br />
sich in meinen Rücken, Lachen, dann flüstern<br />
sie. Haben sie Angst? Ich mache keinen<br />
Mucks. Dann geht das Saallicht aus, die<br />
Aufmerksamkeit der Zuschauer schwirrt wie<br />
ein stummer Bienenschwarm im Raum. Dann<br />
das Stichwort. Ich Menschentier klettere<br />
langsam aus dem Karton, sie sind alle so nah,<br />
ich gehe durch die Sitzreihe, gaffe den Mann<br />
mit der randlosen Brille an, war er das vorhin<br />
gewesen? Ich inspiziere ihn, eine Schweissperle<br />
erscheint auf seiner Stirn, er sieht weg. Ich<br />
zupfe ihn leicht am Hemdkragen und ziehe<br />
weiter. In meiner Hand ruht der Knochen, ich bin<br />
eins mit meinem Körper und unbesiegbar in<br />
meiner Verletzlichkeit.<br />
Wir sind im Wald. Die Blätter am Boden sind<br />
mit Frost überzogen, ich kann meinen Atem<br />
sehen und die Röte in meinen Wangen spüren.<br />
Wir suchen nach einem geeigneten Platz, dem<br />
Ort, an dem meine Figur Meret, die weggelaufen<br />
ist, sich in einer Videobotschaft an ihre<br />
Schule richtet. Ich bin nervös und versuche,<br />
nicht daran zu denken, dass dieses Video auf<br />
der Bühne auf Grossleinwand zu sehen sein<br />
wird. Will ich so gross sein? Nach einer Weile<br />
finden wir eine Stelle, die sich gut anfühlt.<br />
Du erklärst mir die Videokamera, sagst mir, ich<br />
solle mir Zeit nehmen, hilfst mir, ganz bei mir<br />
zu sein in diesem Moment der Offenbarung<br />
meiner Figur. Und ich nehme mir Zeit, vielleicht<br />
das erste Mal in meinem Leben so richtig<br />
bewusst. Zeit. Alles verschwimmt. Irgendwann<br />
ist da nur noch Meret und Deine verankernde<br />
Präsenz im Hintergrund, Meret und der Wald,<br />
und Meret bekommt endlich die Gelegenheit,<br />
zu sagen, was sie zu sagen hat. Und das tut sie.
Eliane Uebelhart<br />
2002 – 2004
166<br />
Julie Zähringer<br />
2002 – 2003<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Während den Proben:<br />
Frühlingsgefühle,<br />
Schmetterlinge im Bauch,<br />
Vorfreude auf etwas Grosses<br />
Wenn es dann soweit war:<br />
Adrenalin, Glücksseligkeit,<br />
Übermut<br />
Nach der Derniere:<br />
Müdigkeit, Wehmut, Stolz<br />
Heute:<br />
Grossartige Erinnerungen<br />
und tiefe Dankbarkeit, ein<br />
Teil davon gewesen zu sein
167<br />
Sophie Aeberli<br />
2008 – 2009<br />
Aus der Zeit in der AG habe ich für<br />
Bühne und Leben so viel Wertvolles<br />
mitgenommen, dass es kaum in ein<br />
paar Zeilen passt. Ein Moment ist mir<br />
besonders geblieben:<br />
«Ja»<br />
Wir spielten das Spiel, zu allem<br />
«Ja» zu sagen. Das ungefilterte<br />
Ausprobieren, Annehmen, das Mist<br />
produzieren. Dann auch «Nein»<br />
zu sagen; das fand und finde ich in<br />
jeder kreativen Situation super<br />
wertvoll.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
«Nein»<br />
Danke für die Ernsthaftigkeit,<br />
die Vielfalt, den geschützten Rahmen,<br />
das Training, Deinen Einsatz<br />
und Deine Hingabe!
168<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Lieber Christian, manchmal reichen<br />
nur ein paar Worte, reichen lange<br />
aus. Manchmal hallt eine Erfahrung<br />
lange nach, bei mir schon 13 Jahre<br />
lang! Manchmal lässt es sich ganz<br />
einfach sagen, und das ist schön:<br />
Ohne AG Theater hätte ich den Mut,<br />
die Spielfreude, die Lust, den Spass,<br />
die Inspiration, die Überzeugung,<br />
die Ansteckung mit dem Virus nicht<br />
gehabt, die Jahre nach der AG<br />
Theater ständig und weiterhin mit<br />
Theater zu füllen. Hat bis heute nicht<br />
aufgehört, übrigens, und wird nicht<br />
so bald.<br />
Danke Dir, es war wichtig.<br />
Ich wünsche Dir von Herzen alles<br />
Gute. Nach der Premiere ist vor<br />
der Premiere, auf dass das Theater<br />
immer weiter geht ...<br />
Nach<br />
der<br />
Premiere<br />
ist<br />
vor<br />
der<br />
Premiere
Ivna Zic<br />
2004 – 2005
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
170
171<br />
« Theater ist<br />
ein Protest<br />
gegen die Kälte<br />
der Welt. »<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
Christian Seiler
172<br />
Proben<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
173<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
174
175<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
176
177<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN<br />
178
179<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS ERINNERUNGEN & LEKTIONEN
<strong>HOMO</strong> L U DE NS SCHLUSS<br />
180
181<br />
Was schenkt man einem, dem Jubiläen suspekt sind?<br />
Einem, der in Feierlichkeiten und salbungsvollen Worten<br />
immer auch das Abgründige erkennt?<br />
Dem es um die Sache geht, nicht um das Ego?<br />
Auf jeden Fall nicht Feuerwerk und Böller, nicht bloss<br />
Schall und Rauch. Etwas Bleibendes soll es sein, etwas<br />
Wahrhaftiges, das nachwirkt. Halt so wie die Dinge, die<br />
Du, lieber Christian, allen Deinen Schülern mit auf den<br />
Weg gegeben hast. Welche Dinge das sind, und wie sie<br />
nachwirken, davon handelt dieses Buch.<br />
Die Erinnerungen und Lektionen sind sehr individuell.<br />
Ihnen ist aber gemeinsam, dass sie von einer Zeit<br />
zeugen, die von gegenseitigem Respekt, grosser Ernsthaftigkeit,<br />
aber auch von viel Energie und Leidenschaft<br />
geprägt war. Es ging immer um Sinnhaftes, oft sogar<br />
um Existenzielles. Die Texte zeigen, dass die jungen<br />
Menschen, die sich – meist in einer besonders sensiblen<br />
Phase der Persönlichkeitsentwicklung – auf die Theaterarbeit<br />
eingelassen haben, daran gewachsen sind.<br />
Und in diesem Raum, in dem alles möglich ist, haben<br />
viele von ihnen sehr dichte Momente erlebt, die sie<br />
noch immer bei sich tragen. Einer der weiss, wie man<br />
solche Momente kreiert, hat eine grosse Gabe.<br />
Vielen Dank.<br />
<strong>HOMO</strong> L U DE NS SCHLUSS<br />
Herzlich<br />
Fredi Früh, für den Gönner- und Ehemaligenverein<br />
AG Theater Rämibühl
182<br />
Lukas Schmid 24<br />
Larissa Tschudi 26<br />
Isabelle Barth 28<br />
Fredi Früh 30<br />
Belinda Kunz 40<br />
Christoph Bernet 42<br />
Salome Rohner 43<br />
Milva Stutz 44<br />
<strong>HOMO</strong> L UDENS REGISTER<br />
Kati Ebner 50<br />
Jonas Christen 52<br />
Ariane Rippstein 54<br />
Maria Rebecca Sautter 58<br />
Katja Brunner 60<br />
Michael Schertenleib 70<br />
Silvana Raveane 72<br />
Simon Fleischhacker 74<br />
Theresa Manz 78<br />
Rhea Blem 86<br />
Tiana Lasica 88<br />
Amadea Schütz 90<br />
Marc-André Fröhlicher 92<br />
Robin Burgauer 100
183<br />
Ivan Georgiev 102<br />
Hannah Aerni 104<br />
Rémy Bourgeois 105<br />
Philippe Panizzon 106<br />
Elmira Oberholzer 116<br />
Livia Zimmermann 118<br />
Jessica Imbach 120<br />
Yann Bartal 130<br />
Oriana Schällibaum 132<br />
Yannick Weber 134<br />
Lea Dudzik 135<br />
Marco Pestalozzi 140<br />
Joachim Aeschlimann 142<br />
Andrina Imboden 144<br />
Anna Püntener 146<br />
Loue Wyder 148<br />
Marco Stocker 150<br />
Anna Baumann, Livia Enzler<br />
und Annina Gieré 162<br />
Eliane Uebelhart 164<br />
Julie Zähringer 166<br />
Sophie Aeberli 167<br />
Ivna Zic 168<br />
<strong>HOMO</strong> L UDENS REGISTER<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>HOMO</strong> <strong>LUDENS</strong><br />
Für, wegen und an Christian Seiler<br />
Zürich und München, 2018<br />
1. Auflage, 10 Exemplare<br />
Produktion Gönner- und Ehemaligenverein AG Theater Rämibühl<br />
nach einer Idee von Fredi Früh, Marco Pestalozzi, Corina Gieré,<br />
Amadea Schütz und Marc-André Fröhlicher<br />
Gestaltung Regina Dziallas, Marina Widmann – www.lumulus-famoso.de<br />
Lektorat Robert Reinecke, Marco Pestalozzi, Fredi Früh<br />
Fotografien Annelies Studer (1998 – 2003), Nino Gloor (2008 – 2014),<br />
Rémy Bourgeois (2015 – 2018)<br />
Druck<br />
press enter OE+W GmbH<br />
Bindung Katharina Lechner PAPIERWERKSTATT