Holiday event Sommer 2018
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Liebe Leser,<br />
irgendwann ist mir aufgefallen, dass<br />
der Bart, und damit meine ich den Gesichtsbewuchs,<br />
begann, augenscheinlicher<br />
zu werden als dies über etliche<br />
Jahre zuvor geschah. Dies fiel mir auf,<br />
als sich die Berichte über Taliban häuften<br />
und darauf folgend auch noch ein<br />
„Islamischer Staat“ Reden von sich machte. Letzter drohten<br />
gar mit Kopfabhacken, wenn man als Rasierter in deren Fänge<br />
geriet.<br />
Gemäß dem Motto: „Lass' ihn leben, Gott hat ihn gegeben.<br />
Ich will ihn lang und wallend, bürstenborstig, rabenhorstig,<br />
ruppig, schuppig, struppig, kämmungslos verludert“ schien<br />
er zum Aushängeschild einer Ideologie erkoren, so quasi als<br />
Gegenpol zur westlichen Glätte.<br />
Hatten wir Ähnliches nicht schon mal gehabt? In der Tat: Es<br />
war die Hippiebewegung, der es einst gelang große Teile der<br />
Welt zu erobern. Wie ein Dorn hatte sie sich eingegraben in<br />
die Weichteile des Establishments. „Lass' es leben, Gott hat's<br />
mir gegeben, mein Haar! Lass' es spielen im Wind, lass' d'rin<br />
wühlen ein Kind. Mach' daraus für die Laus ein Zuhaus, “<br />
sangen die Blumenkinder im Musical Hair.<br />
Es mag gewagt sein, beide Bewegungen einander gegenüberzustellen,<br />
obwohl sie einen gemeinsamen Nenner haben,<br />
nämlich sich der westlichen Logik zu widersetzen. Dennoch<br />
waren die Beweggründe und die Ziele konträr. Lag im<br />
einen der Wunsch nach Freiheit und ungetrübter Lebenslust,<br />
so ist es im anderen Fall eine masochistische Unterordnung<br />
unter ein archaisches Regelwerk bis hin zur Steinigung.<br />
Love & Peace against War auf der einen und Vernichtung<br />
aller Andersdenkenden auf der anderen Seite.<br />
Natürlich beinhaltet die Symbolkraft des Bartes auch das<br />
Kleinhalten des weiblichen Geschlechts. Wenn es vielleicht<br />
auch die eine oder andere kleine Ausnahme geben mag, so<br />
ist Frau in dieser Konkurrenz schlichtweg chancenlos. Man<br />
muss ihr dann nur noch ein Tuch überstülpen, um sie zumindest<br />
symbolisch unsichtbar zu machen.<br />
Mit der Zunahme islamistischer Terroranschläge und den Bemühungen<br />
auch auf westlichem Terrain islamistischen Kriegernachwuchs<br />
zu rekrutieren, fiel auf, dass auch hierzulande<br />
die Anzahl der Vollbartträger zugenommen hat. Wenn das<br />
nun alle Sympathisanten diverser islamistischer Bewegungen<br />
sind oder gar potentielle Terroristen, müsste einem da<br />
nicht angst und bange werden?<br />
Zum Glück kam der Entwarnungsruf, nachdem festgestellt<br />
wurde, dass parallel zur Terrorangst eine neue Mode um sich<br />
griff, die jedoch gar keine Mode sein wollte, sondern das Gegenteil.<br />
In diesem Sinne waren der Auslöser der neuen Bartepidemie<br />
keine Islamisten, sondern vorwiegend Hipsters,<br />
hinter denen sich die anderen jedoch ganz gut verstecken<br />
konnten, zumal die Hipster-Optik einen gewissen orientalischen<br />
Einschlag nur schwer leugnen kann.<br />
Im Grunde sollten wir das nicht überbewerten. Bärte unterschiedlicher<br />
Art hat es auch in bartärmeren Zeiten gegeben.<br />
Angefangen beim Hinterwäldler über das Mitglied im<br />
Trachtenverein zum Bud Spencer-Fan bis hin zum Motiv der<br />
Bequemlichkeit, gab es auch vorher schon viele Gründe, sich<br />
nicht zu rasieren. Keineswegs darf man die Spezies Rocker<br />
unerwähnt lassen, denen der Bart oft genauso heilig war wie<br />
ihre Harley oder die Kutte.<br />
Auf sie trifft eine australische Studie über Bartträger in besonderem<br />
Maße zu, die besagt, dass männliche Primaten<br />
in großen, unübersichtlichen Gesellschaften dazu neigen,<br />
sich mit weithin sichtbaren Abzeichen ihrer Männlichkeit zu<br />
schmücken. So soll die Barttracht den Weibchen schon beim<br />
ersten Blick signalisieren: Achtung, hier kommt ein potenter<br />
Vererber von erlesenen Genen! Zudem soll von der Barttracht<br />
ein Signal an die männliche Konkurrenz ausgehen:<br />
Vorsicht! Ich bin ein echt aggressiver Testosteron-Bolzen.<br />
Leg dich bloß nicht mit mir an!<br />
Andererseits hätte der sichtbare Zuwachs an Bärten auch<br />
als Zeichen einer Willkommenskultur ausgelegt werden können,<br />
waren und sind doch viele der männlichen Flüchtlinge<br />
aus muslimischen Ländern unrasiert. Allerdings ist das nicht<br />
lustig für jemanden, der daraus schließt, dass er nachgeäfft<br />
wird.<br />
Vielleicht steckt jedoch auch nur ein erster vorsichtiger Versuch<br />
einer emanzipatorischen Gegenbewegung dahinter.<br />
Was du dir in Zehntausendenden von Jahren mühsam durch<br />
blutige Auseinandersetzungen und gefährliche Jagdabenteuer<br />
erobert hast, wurde in wenigen Jahrzehnten weiblicher<br />
Emanzipationsaktivitäten zu Nichte gemacht. So rasch kann<br />
sich nicht mal eine Genetik umstellen. In Anbetracht einer<br />
schier übermächtigen Frauenpower, hattest du als Mann keine<br />
Wahl.<br />
Wurdest du noch vor wenigen Jahrzehnen von deinem Vater<br />
mit stolzem Blick belohnt, nachdem es dir gelungen ist,<br />
den dreisten Erwin von nebenan aufs Kreuz zu legen, hast<br />
du später nur noch von deiner Mutter gehört „Thorsten, du<br />
sollst nicht toben.“ Um überhaupt zu punkten, hast du sogar<br />
mit Lisa und ihren Puppen gespielt. Inzwischen räumst<br />
du freiwillig die Spülmaschine aus, bügelst die Hemden und<br />
entsorgst den Müll. Ist ja in Ordnung im Zuge der Gleichberechtigung.<br />
Andererseits spielst du noch immer Kavalier,<br />
hilfst der Gnädigen in den Mantel, öffnest ihr die Tür und<br />
schämst dich, wenn einer deiner Artgenossen anzüglich gegenüber<br />
einer Dame wird. Ist es dir auch nur ein einziges Mal<br />
passiert, dass dir eine Frau in den Mantel geholfen hat? Umgekehrt<br />
solltest du es als Kompliment empfinden, wenn dich<br />
eine ausgelassene Frauenrunde in den Allerwerten kneift.<br />
Wäre auch nicht so schlimm, oder?<br />
Als im vorigen Jahrhundert die Traumfabriken zu boomen<br />
begannen und sich die Stars im Rampenlicht noch weltweit<br />
sonnen durften, haben viele davon geträumt, jener elitären<br />
Gesellschaft anzugehören. Alle Welt hat gewusst: Wer hierbei<br />
eine Chance haben will, darf nicht prüde sein. Das galt<br />
sowohl für Frauen als auch für Männer. Regisseure und Filmproduzenten<br />
wie Weinstein haben das natürlich ausgenutzt.<br />
Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Niemand würde auf<br />
die Idee kommen, eine Frau Horton an den Pranger zu stellen,<br />
weil sie ihre Toyboys, die sie auf die Leinwand brachte,<br />
auf ihre Mittelmeerjacht einfliegen ließ. Nicht einmal Udo<br />
Jürgens hat es gewagt, abzusagen. Der Kavalier schwieg natürlich,<br />
während der Weinstein wie ein Idiot dasteht. Möglicherweise<br />
hatte er etwas übertrieben. Warum jedoch kommt<br />
das erst Jahrzehnte später raus? Wollen wir prüde bleiben:<br />
Demgemäß hätte sich eine „anständige Frau“ erst gar nicht<br />
auf so etwas einlassen dürfen, nachdem die „Gefahr“ absolut<br />
offensichtlich war.<br />
Mann wird sich hüten, so etwas zu einer Frau zu sagen.<br />
Schließlich hat er gelernt, was man besser nicht sagt, auch<br />
dass er sie während ihrer Tage nur sehr behutsam ansprechen<br />
darf. Sie gleicht es ja wieder aus, denn manchmal kann<br />
sie so richtig gut drauf sein. Dann flirtet sie mit der ganzen<br />
Welt. Er lacht noch dazu, will er doch nicht als eifersüchtiger<br />
Depp dastehen. Doch insgeheim ganz tief im Inneren mag<br />
es leise grummeln: Ich Bart, sie Kopftuch und manches würde<br />
erträglicher sein.<br />
Schluss mit Beziehungskisten! Jetzt kommt der <strong>Sommer</strong>!<br />
Letztes Jahr habe ich am See einen Typen kennengelernt,<br />
der im Grunde recht witzig war. Ist seine Frau dazugekommen,<br />
ist er ruhiger geworden und hat fast nur noch genickt.<br />
Wen mag es wundern, da sie das gesamte Universum verinnerlicht<br />
hat. Nachdem ihr sein Haarkranz nicht sexy genug<br />
war, hatte er sich den Schädel rasiert. Ich bin schon<br />
gespannt wie er heuer aussieht.<br />
Euer<br />
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