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PD Dr. med. Rudolf Steffen<br />

Facharzt FMH für Chirurgie<br />

Speziell Bauchchirurgie<br />

Was <strong>sind</strong> Grenzen?<br />

Rudolf Steffen / 01.09.2011<br />

Was <strong>sind</strong> Grenzen? Sind es Linien, ein scharfes<br />

«Halt» befehlend? Sind es Bänder ein Verschieben<br />

erlaubend, ein Eintauchen in den Grenzbereich<br />

mit allmählichem Aufbau des Wiederstandes?<br />

Umgeben uns Grenzen zum Kreis sich<br />

schliessend oder lassen sie uns Schlupflöcher um<br />

umgangen zu werden? Was bedeuten Grenzen<br />

für mich als Chirurgen? Als Spezialist in einem<br />

Fachgebiet mit der Macht Menschen zu heilen<br />

aber auch der Macht Menschen zu verletzen – ja<br />

zu töten gar. Was bedeuten für mich Grenzen als<br />

letztes Glied in der Verantwortungskette ohne<br />

der Möglichkeit den Älteren, den Erfahreren im<br />

Notfall, im Entscheidungszwang heranzuziehen?<br />

Alltag ? Respekt? Angst? Herausforderung? Bin<br />

ich ein Adrenalinjunkie? Das ganze Spektrum?<br />

Grenzen verlangen nach Aufmerksamkeit, Beurteilung<br />

der Situation, Reaktion auf die Gegebenheit. Ich bin gezwungen<br />

Grenzen zu überschreiten. Ich bin gezwungen<br />

Verletzungen zu setzen. Der Hautschnitt z.B. um zur<br />

Krankheit zu gelangen. Der Schnitt in gesunde Bauchhaut<br />

lässt mich immer zögern, macht mich aufmerksam<br />

auf mein Tun, auf meine Macht. Ich muss mich jedes<br />

Mal überwinden – immer noch, ja mit der langjährigen<br />

Erfahrung viel mehr noch als als Assistent, als ich zu<br />

viel mit mir selbst beschäftigt war, mich achten musste,<br />

dass der Schnitt gerade und nicht zittrig wurde, die<br />

Emotionen mit all ihrem Einfluss an den Schaltpunkten<br />

meiner neuromuskulären Koordination. Ich überschritt<br />

die entscheidende Grenze ohne mir dessen bewusst zu<br />

sein, meine archaischen Hirnstrukturen mussten Befehlen<br />

des Grosshirns gehorchen. Das ging hin bis zum<br />

Bewusstseinsverlust, vasovagalen Synkopen. «Et<strong>was</strong>»<br />

hat autoritär «Halt» geboten. Heute tut mir jeder Hautschnitt<br />

leid, die quellenden Bluttropfen, das Auseinanderklaffen<br />

der Wunde, die Endgültigkeit der Verletzung<br />

– auch die schönste Narbe bleibt ein Makel in der körperlichen<br />

Vollkommenheit des Betroffenen – wecken<br />

mit aller Deutlichkeit Emotionen des Mitleids mit dem<br />

Patienten. Dann aber übernimmt die Erfahrung die Führung,<br />

das Wissen, die Intuition. Im weiteren Verlauf<br />

einer Operation nähern wir uns anderen Grenzen. Es<br />

kann z.B. das Ende eines einfachen Eingriffs sein, Hautnaht,<br />

Wundverband und Operationsbericht. Paenuts,<br />

einfach, ein Blick zurück vielleicht, auf die Wunde. Zufrieden<br />

mit der Naht? Ausgesöhnt mit dem Gewissen<br />

diese verursacht zu haben? Es kann aber weiterführen<br />

bis hin zu schwierigen Grenzzonen. Von der Bestimmung<br />

vorgegeben. Der Bestimmung des Patienten mit<br />

seiner Krankheit, aber auch der Bestimmung des Chirurgen<br />

mit der Wahl seiner Spezialität. Gehe ich weiter von<br />

den einfachen hin zu den komplexen Eingriffen gelange<br />

ich an Grenzen ganz anderer Dimensionen. Die moderne<br />

Chirurgie mit ihrem Umfeld lässt längst Eingriffe zu, die<br />

weit hineinreichen in die Unheilbarkeit von Krankheiten.<br />

Die Patienten überleben den Eingriff, verlassen das<br />

Krankenhaus – <strong>sind</strong> aber nicht geheilt, im besten Fall<br />

geholfen. Sind unsere Grenzen auch die der Natur, des<br />

Wissens um Krankheiten, des Schicksals des Patienten?


PD Dr. med. Rudolf Steffen<br />

Facharzt FMH für Chirurgie<br />

Speziell Bauchchirurgie<br />

Der Schritt vom «Zuwenig» zum «Zuviel» ist der Schritt<br />

über die Grenze. Oft haben wir einen «point of no return»<br />

zu überschreiten. Es ist die Grenze zwischen Hoffnung<br />

und Aufgabe. Nicht nur der Patient verdrängt, auch ich.<br />

Er darf, ja muss um in der Krankheit existieren zu können,<br />

ich nicht, denn ich muss bewusst entscheiden. Die<br />

moderne Technologie verleiht weitgehende, an Allmacht<br />

<strong>grenzen</strong>de Entscheidungsfreiheit. Die Grenzen hinter<br />

mir <strong>sind</strong> die Bausteine meiner Erfahrung. Die, vor denen<br />

ich halt gemacht, genauso wie die, die ich überschritten<br />

habe. Das Bewegen im Grenzbereich, das Verschieben<br />

von Grenzen weckt Emotionen in mir. Emotionen der<br />

Enttäuschung wie auch immer ich entscheide. In diesem<br />

Grenzbereich ist das Schicksal des Betroffenen bereits<br />

besiegelt. Ob ich weitergehe oder Halt mache ändert daran<br />

nichts. Ich kann das nicht mehr bieten, worauf der<br />

Patient seine ganze Hoffnung gesetzt hatte. Ich kann<br />

weitergehen bis hin zur Grenze des technisch Möglichen<br />

und kann dadurch des Patienten Überleben vielleicht et<strong>was</strong><br />

verlängern. Aber darf der Preis dafür eine zusätzliche<br />

Schädigung der körperlichen Integrität sein? Eine<br />

zusätzliche Einschränkung der Lebensqualität? Meine<br />

Grenzen haben sich gewandelt. Ich bin agressiv da wo<br />

ich heilen kann, nehme zusammen mit dem aufgeklärten<br />

Patienten Komplikationen bis hin zum Tod in Kauf.<br />

Vor unheilbaren Krankheiten bin ich hingegen demütig<br />

geworden. Ich gehe lieber den schwierigen Weg, dem<br />

Patienten die Niederlage gegen die Krankheit mitteilen,<br />

einzugestehen zu müssen als ihn chirurgisch geschädigt<br />

in sein nun bewusst begrenztes Leben zu entlassen.<br />

Ursprünglich wollte ich diese Gedanken aus der Sicht<br />

eines Chirurgen festhalten. Wohl setzen uns Regeln<br />

Grenzen, die uns alle betreffen: Aufklärungspflicht,<br />

Sorgfaltspflicht, unbewusst aber alltäglich: der Hippokratische<br />

Eid, Geldmangel im Gesundheitswesen und<br />

mehr. Ich stellte bald fest, dass ich dazu keine Lust hatte,<br />

der Entwurf war bald voll durchgestrichender Anfänge,<br />

einer leerer als der Andere und ich drückte mich vor dem<br />

Weiterschreiben. Dann habe ich begonnen « man» durch<br />

«ich» zu ersetzen und ich erlaubte meine Gedanken tiefer<br />

in meinen Alltag als Bauchchirurg hineingleiten und<br />

damit ins persönliche Erleben. Der Leser möge mir verzeihen,<br />

aber schon wer dieses Spezialgebiet wählt oder<br />

besser gesagt, sich dahin treiben lässt, muss seinem Ego<br />

so häufig den Vorzug geben, so dass sich daraus im Laufe<br />

der Zeit auch eine Gewohnheit ergibt, die man auch anders<br />

umschreiben könnte.<br />

Fest steht, dass die wichtigen Grenzen, wie z.B. der Tod<br />

eines Patienten, auch vom Chirurgen sehr persönlich<br />

erlebt wird und unterschiedlich verarbeitet wird. Eine<br />

Form von ganz persönlicher Trauerarbeit steht jenseits<br />

dieser unendlich dünnen, endgültigen Grenze an. Für<br />

alle Hinterbliebenen, den beteiligten Chirurgen eingeschlossen.<br />

Jenseits dieser ultimativen Grenze ist keine<br />

Umkehr möglich, kann kein Fehler wieder gut gemacht<br />

werden. Den Telefonhörer abheben, die Nummer des<br />

nächsten Angehörigen eingeben, zu hoffen, dass niemand<br />

abnimmt, dass dieser Kelch an mir vorbei gehen<br />

möge, dann die Nachricht mitteilen. In Worte fassen,<br />

<strong>was</strong> der Empfänger schon geahnt, auch hoffend, den<br />

Kelch weiterreichen zu können. Worte des Trostes, gestammelt<br />

mehr, Worte der Erklärung. Einfach dann,<br />

wenn der Tod als Erösung kam, vernichtend wenn unerwartet.<br />

Der Laie, getroffen, verletzt, kennt selten die<br />

Grenze zwischen statistisch zu erwartender Komplikation<br />

mit fataler Folge und dem Tod als Folge mangelnder<br />

Sorgfaltspflicht. In der «grossen» Organchirugie ist<br />

der Tod kalkuliertes Risiko, sollte dem Patienten und<br />

den Angehörigen mit Prozentangabe bekannt gegeben<br />

werden. « Das gilt nicht für mich, wird schon einen Anderen<br />

treffen» – normale, gesunde Reaktion. Fast alle<br />

entgehen dann auch diesem Schicksal. Ein kleiner Teil<br />

nicht. Der Chirurg entgeht nie, er erlebt alle Todesfälle<br />

seiner Statistik und muss damit Leben.<br />

Solch ein Tod macht mich auch betroffen, verdirbt mir<br />

die Laune, aber nach kurzer Zeit rapple ich mich wieder<br />

auf. Ich überwache ja meine Ergebnisse im Vergleich zur<br />

internationalen Erfahrung stes. Der Tod als Folge eines<br />

Fehlers hingegen lässt keine Türe zuschliessen. Auch<br />

wenn der Behandlungsfehler nicht vom Chirurgen selbst<br />

verursacht, muss er doch dafür hinstehen, vor den Angehörigen,<br />

dem Richter, seinem Gewissen. Auch wenn der<br />

Fehler ausserhalb seines Fachbereiches – Technik, Pflege,<br />

Anästhesie, Intensivmedizin oder andere – passiert<br />

ist, der Hauptschaden auf Seite des Behandlungsteams<br />

bleibt am Chirurgen hängen. Am Chirurgen, weil er die<br />

Indikation gestellt, die Verantwortung übernommen<br />

hat.<br />

Grenzen umgeben mich rundherum, schränken mich<br />

ein, machen mich wachsam, <strong>sind</strong> richtungsweisend.<br />

Grenzen zu überschreiten kann glücklich machen, aber<br />

auch Trauer bedeuten.<br />

Ich respektiere Grenzen, überschreite auch. Nur umgehen<br />

darf ich sie nicht, denn sie <strong>sind</strong> meine Verantwortung.

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