4 TITEL PHILIP HOLZER ERFOLGSGESCHICHTE DERIVATIVE WERTPAPIERE Deutschland: Schwergewicht im Derivatemarkt Mit Derivaten können auch Privatanleger ihr Portfolio wesentlich exakter steuern Philip Holzer Managing Director und Global Head of Securitised Derivatives bei <strong>Goldman</strong> <strong>Sachs</strong>
Der globale Markt für verbriefte Derivate hat sich zu einem boomenden Geschäft entwickelt. Weltweit sind aktuell über 120.000 Produkte an den internationalen Handelsplätzen registriert. Die WFE (World Fe<strong>der</strong>ation of Exchanges) schätzt das Handelsvolumen des Jahres 2006 auf fast eine Billion US-Dollar. Mit 113.000 an <strong>der</strong> Frankfurter und <strong>der</strong> Stuttgarter Börse gelisteten Produkten stellt Deutschland ohne Zweifel im internationalen Vergleich ein Schwergewicht dar. Diese beeindruckenden Zahlen spiegeln eine rasante Entwicklung wi<strong>der</strong>: Waren bis zum Jahr 2000 nur wenige hun<strong>der</strong>t Produkte vornehmlich in Form von Discount-Zertifikaten, Reverse Convertibles <strong>o<strong>der</strong></strong> Warrants verfügbar, so hat sich <strong>der</strong> deutsche Derivatemarkt in den vergangenen vier Jahren zu einer ernstzunehmenden und etablierten Anlagekategorie entwickelt. Verbriefte Derivate haben am deutschen Finanzplatz mittlerweile stark an Bedeutung gewonnen. Das verwaltete Anlagevermögen hat in diesem Sommer erstmals die Schwelle von 100 Milliarden Euro überschritten. Aktuelle Schätzungen des Derivate-Forums gehen per Ende August 2006 von 103,5 Milliarden Euro Assetsun<strong>der</strong>-Management am deutschen Markt aus. Von einer Sättigung am Zertifikatemarkt kann <strong>der</strong>zeit noch keine Rede sein, denn das <strong>Wachstum</strong> im Markt ist weiter rasant. Im ersten Halbjahr wurden in Deutschland <strong>der</strong>ivative Wertpapiere im Volumen von 67,22 Milliarden Euro umgesetzt. Im Vergleich zur vorangegangenen Sechsmonatsperiode ist dies ein <strong>Wachstum</strong> um 56 Prozent. Und dabei sind hier nur Börsenumsätze gerechnet, mehr als die Hälfte des Marktes läuft über an<strong>der</strong>e Vertriebswege. Vielseitigkeit von Derivaten macht Märkte zugänglich Das Anlagevermögen hat sich über den gleichen Zeitraum um 23 Prozent erhöht. Dieser steigenden Nachfrage steht ein ebenso steigendes Angebot gegenüber: Die Emissionsfrequenzen <strong>der</strong> Emittenten sind unverän<strong>der</strong>t hoch, und allein im September 2006 wurden mehr als 14.000 neue Produkte an den deutschen Börsen registriert, sodass <strong>der</strong> deutsche Markt mit mehr als 113.000 ausstehenden Produkten ein Rekordniveau erreicht hat. Dieser Trend gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Kategorie Zertifikate, denn mit knapp 5.000 neuen Anlageprodukten haben die Emittenten so viele Produkte aufgelegt wie nie zuvor. Die vergleichsweise junge Zertifikatebranche ist in den vergangenen vier Jahren nicht nur stetig gewachsen, son<strong>der</strong>n hat ein volkswirtschaftlich relevantes Niveau erreicht. Bereits im vergangenen Herbst hielten 6 Prozent <strong>der</strong> deutschen Anleger Zertifikate in ihren Depots. Zu diesem Schluss kam eine Umfrage des Derivate-Forums. Kein Wun<strong>der</strong>, denn Privatanleger können durch Derivate völlig neue Chance-Risiko-Verhältnisse im eigenen Anlageportfolio abbilden und ihre Anlagen bei geringem Kapitaleinsatz und niedrigen Transaktionskosten wesentlich exakter steuern. Zudem werden durch diese Produkte Anlagesegmente zugänglich, die bis dato nur institutionellen Anlegern möglich waren: <strong>der</strong> kostengünstige Zugang zu Aktien aus- KnowHow 12/2006 TITEL ländischer Börsen und sogar Schwellenregionen, zu Rohstoffinvestments, klassischer Index replikation <strong>o<strong>der</strong></strong> zu Volatilitätsstrategien. Der Anleger wird praktisch zum eigenen Hedgefonds-Manager. Anpassungsfähig: Auszahlungsprofile Nach wie vor steigen die Marktanteile von Zertifikaten <strong>o<strong>der</strong></strong> Derivaten insgesamt gegenüber klassischen Anlageformen wie Fonds <strong>o<strong>der</strong></strong> gegenüber <strong>der</strong> Direktanlage wie Aktien weiter, denn <strong>der</strong> deutsche Derivatemarkt befindet sich in einem stetigen Wandel. Während in den Achtzigerjahren in erster Linie Unternehmen den Optionsscheinmarkt zur Kapitalbeschaffung nutzten, kamen in den späten Neunzigerjahren erstmals auch Privatanleger hinzu. Mit <strong>der</strong> konjunkturellen Verän<strong>der</strong>ung am Kapitalmarkt entwickelten sich auch die Strukturen am Derivatemarkt weiter. Hierbei ist die Entwicklung hin zum heutigen Derivatemarkt vor allem auf die Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit von Zertifikaten zurück - zuführen, die passend zur gegebenen Marktsituation entsprechende Auszahlungsprofile liefern können. In <strong>der</strong> Anfangsphase wurde diese Produktgruppe durch das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis <strong>der</strong> deutschen Anlegerschaft nach dem Markteinbruch zur Jahrtausendwende stark vorangetrieben. War früher die Devise, in schlechten Börsenphasen Renten ins Portfolio zu legen und in „guten Jahren“ in Aktien <strong>o<strong>der</strong></strong> Fonds zu investieren, bieten nun Zertifikate vollkommen neue Möglichkeiten: In Seitwärts- <strong>o<strong>der</strong></strong> fallenden Märkten Renditen erzielen zu können <strong>o<strong>der</strong></strong> Kapitalschutz zu genießen empfinden Anleger als willkommene Bereicherung. Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong> Aktienmärkte kehrte auch das Vertrauen <strong>der</strong> Anleger zurück, und Zertifikate haben sich mittlerweile zu Recht neben an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Kapitalanlage etabliert. Inzwischen nähern sich Fonds und Zertifikate jedoch zunehmend an: Nachdem Zertifikate auf Fonds keine Neuigkeit mehr sind, werden seit einigen Monaten erstmals Fonds angeboten, die in Zertifikate investieren. Die DWS hat hier eine Pionierrolle unter den Fondsgesellschaften eingenommen und mit <strong>der</strong> Emission von Bonus-Zertifikaten begonnen. Diese Trendwende wurde durch die seit 2006 in Kraft getretene Derivateverordnung möglich, und es ist anzunehmen, dass weitere Fondsgesellschaften diesem Beispiel folgen dürften. Für Anleger und Emittenten gleichermaßen wichtig: Transparenz Offensichtlich haben Fondsgesellschaften den Vorteil von Zertifikaten für sich erkannt, innerhalb kurzer Zeit mit vergleichsweise geringem bürokratischen Aufwand Anlegern neue Produkte anbieten zu können. Sicherlich ist auch die rasante Entwicklung des deutschen Derivatemarkts als ein Ergebnis genau dieser Regulierungspraxis zu verstehen. Ausgehend von <strong>der</strong> gestiegenen Signifikanz des Marktes und vor dem Hintergrund <strong>der</strong> wachsenden Komplexität auf <strong>der</strong> Produktebene ist es aber nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass For<strong>der</strong>ungen nach größerer Kontrolle laut werden. 5