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Was ist eine „schwerwiegende Schädigung“

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Theorie<br />

Geschichte<br />

Ethik<br />

13. Septemebr 2012<br />

www.kgu.de/zgw/ifg<br />

Dr. Katja Weiske


Medizinethische Probleme am Lebensanfang<br />

I. Künstliche Befruchtung<br />

(IVF/ICSI) und<br />

Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID, seit 2011)<br />

• Frühe<br />

Embryonalentwicklung<br />

• Totipotenz/Pluripotenz und<br />

Stammzellforschung<br />

• Fallbeispiele<br />

Gesetzgebung:<br />

ESchG und PID<br />

II. Der (moralische)<br />

Status des Embryos<br />

• Entwicklung aus der<br />

Geschichte<br />

• Konsequenzen für den<br />

Lebensschutz (SKIP-<br />

Argumente)<br />

III. Pränatale Diagnostik<br />

(PND, seit 1970er)<br />

• Methoden („next<br />

generation sequencing“)<br />

und Konsequenzen<br />

• Diagnose Down-Syndrom<br />

(Beispiele)<br />

Gesetzgebung:<br />

§218a<br />

Gendiagnostikgesetz


Embryonalentwicklung<br />

Embryo (16 Stunden alt):<br />

Die zwei Vorkerne (männlich und weiblich)<br />

verschmelzen miteinander. Während das Erbgut<br />

des werdenden Embryos zunächst stumm<br />

bleibt, stoßen Prot<strong>eine</strong> im Zytoplasma der<br />

Eizelle s<strong>eine</strong> Entwicklung an und bereiten die<br />

erste Zellteilung vor.


Embryonalentwicklung<br />

Embryo (2 Tage alt, Vierzeller):<br />

Nachdem sich der Embryo zweimal geteilt hat<br />

und nun aus 4 Zellen besteht, wird sein Erbgut<br />

aktiviert. Einige Gene werden unterschiedlich<br />

abgelesen, je nachdem, ob sie vom Vater oder<br />

der Mutter stammen (imprinting). Äußerlich<br />

sind alle Zellen gleich, aber molekular deuten<br />

sich Differenzierungen an.


Embryonalentwicklung<br />

Embryo (3 Tage alt, Achtzeller):<br />

Im 8-Zell-Stadium besitzen beim Menschen<br />

nicht mehr alle Blastomere dasselbe Entwicklungspotential.<br />

Molekular <strong>ist</strong> nun entschieden,<br />

aus welchen Blastomeren sich der<br />

zukünftige Mensch entwickelt.


Embryonalentwicklung<br />

Embryo (4 Tage alt, 16-Zeller):<br />

In diesem Stadium nehmen die einzelnen<br />

Zellen engen Kontakt zueinander auf, um<br />

untereinander Informationen austauschen.<br />

Diese Verdichtung (Compaction) leitet die<br />

Entstehung <strong>eine</strong>r inneren Höhle (Blastocoel)<br />

ein.


Embryonalentwicklung<br />

Embryo (5 Tage alt, frühe Blastocyste):<br />

Der Embryo besteht nun aus <strong>eine</strong>r äußeren<br />

Zellschicht (Trophoblast), die sich zum kindlichen<br />

Teil der Plazenta entwickeln wird und<br />

<strong>eine</strong>r inneren Zellmasse (Embryoblast), aus<br />

der sich der Embryo entwickeln wird.


Totipotenz der Blastomere<br />

Es wird angenommen, dass ungefähr bis zum<br />

8-Zellstadium jeder Blastomer das Potenzial<br />

besitzt, sich unter geeigneten Umständen zu<br />

<strong>eine</strong>m vollständigen Menschen zu entwickeln.


Pluripotenz der Stammzellen<br />

Die Zellen der inneren Zellmasse der frühen<br />

Blastocyste sind pluripotent, das heißt sie<br />

können sich nicht mehr zu <strong>eine</strong>m Menschen<br />

entwickeln, aber in verschiedenste Gewebetypen<br />

differenzieren. Diese Stammzellen sind<br />

für die Forschung interessant (gezielte<br />

Herstellung benötigter Gewebe). Bei der<br />

Gewinnung embryonaler Stammzellen wird der<br />

Embryo jedoch zerstört.


Präimplantationsdiagnsotik (PID)<br />

Bei der PID werden nach künstlicher Befruchtung<br />

dem frühen Embryo einzelne Zellen<br />

entnommen und genetisch/chromosomal untersucht.<br />

Es werden nur „unbelastete“ Embryonen<br />

in die Gebärmutter transferiert (3.–5. Tag).<br />

Für dieses Verfahren werden mindestens 7<br />

Embryonen benötigt, um nach der Diagnostik 2<br />

unbelastete Embryonen transferieren zu können.


Der ethischen Problematik liegen<br />

folgenden Fragen zugrunde:<br />

Entwickelt sich der Embryo als Person?<br />

Entwickelt sich der Embryo zur Person?<br />

�Moralischer Status des Embryos?


H<strong>ist</strong>orischer Exkurs:<br />

Schon seit der Antike wird die Frage nach dem<br />

Lebensbeginn diskutiert:<br />

Simultanbeseelung: Zeitgleich mit Beginn der körperlichen<br />

Entwicklung tritt die Seele in das Individuum ein<br />

Sukzessivbeseelung: Seele tritt erst ins Ungeborene, wenn<br />

es menschliche Formen angenommen hat.<br />

Platon (429-347 v.Chr.)<br />

Simultanbeseelung<br />

Ar<strong>ist</strong>oteles (384-322 v.Chr.)<br />

Sukzessivbeseelung


3. Jahrhundert vor Chr<strong>ist</strong>us<br />

Erste Griechische Bibelübersetzung<br />

Sukzessivbeseelung<br />

Septuaginta<br />

2. Buch Mose


Septuaginta<br />

Der Körper muss vor der<br />

eigentlichen Beseelung<br />

bereits vorhanden sein!<br />

Ein ungeformter Körper<br />

kann nicht der Sitz der Seele sein,<br />

da er kein Empfindungsvermögen besitzt<br />

Augustinus<br />

(354-430)<br />

Albertus Magnus<br />

(1193-1280)<br />

Thomas von<br />

Aquin (1225-1274)<br />

Bedeutende Kirchenlehrer vertraten die Auffassung der<br />

Sukzessivbeseelung. Sie passte zur Schöpfungsgeschichte,<br />

nach der Gott die Seele nach der Erschaffung<br />

des Körpers einhauchte.


Lehre von der „Heiligkeit des Lebens“<br />

Tertullian (um 150–222 n. Chr.)<br />

bedeutender chr<strong>ist</strong>licher Schriftsteller<br />

Beseelung bereits im Samen<br />

Empfängnisverhütung <strong>ist</strong> ebenso Totschlag<br />

Es gab jedoch auch im frühen Chr<strong>ist</strong>entum die<br />

gegenteilige Auffassung…


Septuaginta-Version im<br />

kanonischen Recht bis 1917<br />

abgestufte Bestrafung nach kirchlichem<br />

Strafrecht:<br />

Totschlag erst bei foetus animatus/formatus:<br />

�40 Tage nach Empfängnis bei ♂<br />

�80/90 Tage nach Empfängnis bei ♀


Wie bestimmen wir den Embryo?<br />

� Der Status des Embryos wird sozial bestimmt<br />

durch s<strong>eine</strong> Erzeuger<br />

� der Status des Embryos wird anthropologisch<br />

bestimmt durch s<strong>eine</strong> Zuschreibung zur Gattung<br />

Mensch<br />

� Der Status des Embryos wird biologisch<br />

bestimmt durch s<strong>eine</strong>n Entwicklungs- oder<br />

Gesundheitszustand<br />

� Der Status des Embryos wird ontologisch<br />

bestimmt<br />

� Das Problem der Beseelung<br />

(Simultanbeseelung / Sukzessivbeseelung)


Konsequenzen für den Lebensschutz …<br />

Ist menschliches Leben…<br />

...grundsätzlich unantastbar?<br />

� Oder<br />

• gibt es stufenweise Formen mit<br />

höherer und entsprechend<br />

schützensbedürftigerer Qualität?


� Spezies:<br />

Schutzwürdigkeit aufgrund der Zugehörigkeit zur<br />

Spezies Mensch.<br />

� Kontinuität:<br />

� Identität:<br />

Definition <strong>eine</strong>s Zeitpunktes der Schutzwürdigkeit <strong>ist</strong><br />

aufgrund der kontinuierlichen Embryonalentwicklung rein<br />

willkürlich.<br />

Embryo <strong>ist</strong> mit der erwachsenen Person, die aus ihm<br />

hervorgehen wird, in moralisch relevanter Weise identisch.<br />

� Potenzialität:<br />

SKIP -Argumente<br />

Embryo hat das Potenzial sich zu <strong>eine</strong>m geborenen<br />

Menschen – mit dann vollem moralischen Status –<br />

entwickeln zu können.


Konsequenzen für den Lebensschutz .....<br />

• ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung: Tag 0<br />

(individueller genetischer Code; SKIP-Argumente)<br />

• Verlust der Totipotenz: 3./4. Tag (biolog.<br />

Individualität als Voraussetzung für Personalität?)<br />

• ab der Nidation: 8.–14. Tag (Annahme durch den<br />

mütterlichen Körper; Verhütung der Einn<strong>ist</strong>ung <strong>ist</strong> nicht<br />

strafbar)<br />

• aufgrund der Individuierung, k<strong>eine</strong> Zwillingsbildung<br />

mehr: 14.-15. Tag (biolog.Unteilbarkeit als<br />

Voraussetzung für Personalität)<br />

• Entwicklung der Großhirnrinde: 40.–70. Tag (biolog.<br />

Substrat für personale Le<strong>ist</strong>ungen)<br />

• ab der 12. Woche<br />

• ab der Lebensfähigkeit: ca. 22. Woche<br />

• Geburt/Abnabelung (Eintritt in die menschl. Sprach-<br />

und Rechtsgemeinschaft)


Embryonenschutzgesetz (BRD)<br />

§ 8 Abs. 1<br />

Begriffsbestimmung<br />

(1) Als Embryo im Sinne des Gesetzes gilt<br />

bereits die befruchtete, entwicklungsfähige<br />

menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der<br />

Kernverschmelzung an, ferner jede dem Embryo<br />

entnommene totipotente Zelle, die sich beim<br />

Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren<br />

Voraussetzungen zu teilen und zu <strong>eine</strong>m<br />

Individuum zu entwickeln vermag.


Embryonenschutzgesetz (BRD)<br />

§ 2<br />

Missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen<br />

(1) Wer <strong>eine</strong>n extrakorporal erzeugten oder <strong>eine</strong>r<br />

Frau vor Abschluss s<strong>eine</strong>r Einn<strong>ist</strong>ung in der<br />

Gebärmutter entnommenen Embryo veräußert<br />

oder zu <strong>eine</strong>m nicht s<strong>eine</strong>r Erhaltung dienenden<br />

Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit<br />

Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit<br />

Geldstrafe bestraft.


Embryonenschutzgesetz (BRD)<br />

§ 1<br />

Missbräuchliche Anwendung von<br />

Fortpflanzungstechniken<br />

… wird bestraft, wer<br />

2. es unternimmt, <strong>eine</strong> Eizelle zu <strong>eine</strong>m anderen<br />

Zweck künstlich zu befruchten, als <strong>eine</strong><br />

Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von<br />

der die Eizelle stammt,<br />

3. es unternimmt, innerhalb <strong>eine</strong>s Zyklus mehr als<br />

drei Embryonen auf <strong>eine</strong> Frau zu übertragen,<br />

(…)<br />

5. es unternimmt, mehr Eizellen <strong>eine</strong>r Frau zu<br />

befruchten, als ihr innerhalb <strong>eine</strong>s Zyklus<br />

übertragen werden sollen, …


Gesetz zur Regelung der<br />

Präimplantationsdiagnostik<br />

Das Gesetz bedeutet <strong>eine</strong> Änderung des Embryonenschutzgesetzes:<br />

§ 3 Verbotene Geschlechtswahl:<br />

“…Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle<br />

durch <strong>eine</strong>n Arzt dazu dient, das Kind vor der<br />

Erkrankung an <strong>eine</strong>r Muskeldystrophie vom Typ<br />

Duchenne oder <strong>eine</strong>r ähnlich schwerwiegenden<br />

geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren,<br />

und die dem Kind drohende Erkrankung von der nach<br />

Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend<br />

schwerwiegend anerkannt worden <strong>ist</strong>.“<br />

Nach §3 wird ein neuer § 3a eingefügt:


§ 3a Präimplantationsdiagnostik<br />

(1) Wer Zellen <strong>eine</strong>s Embryos in vitro vor s<strong>eine</strong>m<br />

intrauterinen Transfer genetisch untersucht<br />

(Präimplantationsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu<br />

<strong>eine</strong>m Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.<br />

(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau<br />

… oder des Mannes … für deren Nachkommen das hohe<br />

Risiko <strong>eine</strong>r schwerwiegende Erbkrankheit, handelt nicht<br />

rechtswidrig, wer zur Herbeiführung <strong>eine</strong>r Schwangerschaft<br />

… nach dem allgemein anerkannten Stand der<br />

medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des<br />

Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die<br />

Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig<br />

handelt auch, wer <strong>eine</strong> Präimplantationsdiagnostik …<br />

zur Feststellung <strong>eine</strong>r schwerwiegenden Schädigung des<br />

Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu<br />

<strong>eine</strong>r Tot- oder Fehlgeburt führen wird.


Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik<br />

• Absatz 3 regelt die Durchführung <strong>eine</strong>r PID: erforderlich <strong>ist</strong><br />

hiernach <strong>eine</strong> schriftliche Einwilligung der Mutter nach <strong>eine</strong>r<br />

medizinischen und psychosozialen Beratung sowie das positive<br />

Votum <strong>eine</strong>r interdisziplinär zusammengesetzten<br />

Ethikkommission. Nur „fachlich geschulte“ Ärzte dürfen die PID<br />

in lizenzierten Zentren vornehmen. Die PID-Maßnahmen werden<br />

in <strong>eine</strong>r Zentralstelle dokumentiert.<br />

• Begründung: Die Verfasser sehen die Notwendigkeit <strong>eine</strong>r<br />

gesetzlichen Regelung <strong>eine</strong>rseits („Hochwertigkeit der<br />

betroffenen Rechtsgüter“), andererseits den regulativen<br />

staatlichen Eingriff in die persönliche Lebensgestaltung. In<br />

diesem Spannungsfeld bringe „<strong>eine</strong> begrenzte Zulassung der<br />

PID den individuellen Freiheitsanspruch auf der <strong>eine</strong>n und den<br />

Schutz allgem<strong>eine</strong>r Rechtsgüter durch den Staat auf der<br />

anderen Seite am ehesten zu <strong>eine</strong>m gerechten Ausgleich.“


Ethische Problemfelder der PID<br />

• der moralische Status des Embryos<br />

• die Totipotenz der Blastomere (in Deutschland PID<br />

erst im Blastocystenstadium)<br />

• Konflikt zwischen ESchG und PID-Zulassung<br />

• Indikationserweiterung der künstlichen Befruchtung<br />

• Kann PID Spätabbrüche verhindern?<br />

• der Begriff <strong>„schwerwiegende</strong> Erbkrankheit“ bzw.<br />

<strong>„schwerwiegende</strong> <strong>Schädigung“</strong>, neue „Eugenik“?<br />

• Gefahr der Diskriminierung lebender behinderter<br />

Menschen<br />

• die Gefahr des „Dammbruchs“, also<br />

Indikationsausweitung (Erfahrungen im Ausland?)


Konflikt von Embryonenschutz und<br />

Präimplantationsdiagnostik<br />

• Problem der sog. „Dreier-Regel“ (für PID<br />

werden mindestens 7 Embryonen benötigt).<br />

• Missbräuchliche Verwendung:<br />

� Erreichung <strong>eine</strong>r gewollten Schwangerschaft<br />

oder Embryo <strong>eine</strong>m Zweck zugeführt, der nicht<br />

s<strong>eine</strong>r Erhaltung dient?<br />

� Verwerfung der (belasteten) Embryonen aus<br />

Sicht des Arztes beabsichtigt oder unerwünscht?<br />

• Wäre PID-Verbot ein Widerspruch zum<br />

straffreien Abbruch nach PND?


Ethische Problemfelder der PID<br />

• der moralische Status des Embryos<br />

• die Totipotenz der Blastomere<br />

• Konflikt zwischen ESchG und PID-Zulassung<br />

• Indikationserweiterung der künstlichen<br />

Befruchtung<br />

• Kann PID Spätabbrüche verhindern?<br />

• der Begriff <strong>„schwerwiegende</strong> Erbkrankheit“ bzw.<br />

<strong>„schwerwiegende</strong> <strong>Schädigung“</strong>, neue<br />

„Eugenik“?<br />

• Gefahr der Diskriminierung lebender<br />

behinderter Menschen<br />

• die Gefahr des „Dammbruchs“, also<br />

Indikationsausweitung (Erfahrungen im Ausland?)


Zum Begriff der<br />

<strong>„schwerwiegende</strong>n <strong>Schädigung“</strong><br />

• <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> <strong>„schwerwiegende</strong><br />

<strong>Schädigung“</strong> und wer entscheidet<br />

dies? (zuständige Landesbehörden?)<br />

• Eugenik von unten (Biomacht)<br />

• Fatale Verknüpfung von scheinbar<br />

autonomen individuellen<br />

Entscheidungen und damit<br />

einhergehenden Veränderungen<br />

gesellschaftlicher Werte


Ethische Problemfelder der PID<br />

• der moralische Status des Embryos<br />

• die Totipotenz der Blastomere<br />

• Konflikt zwischen ESchG und PID-Zulassung<br />

• Indikationserweiterung der künstlichen<br />

Befruchtung<br />

• Kann PID Spätabbrüche verhindern?<br />

• der Begriff <strong>„schwerwiegende</strong> Erbkrankheit“ bzw.<br />

<strong>„schwerwiegende</strong> <strong>Schädigung“</strong>, neue<br />

„Eugenik“?<br />

• Gefahr der Diskriminierung lebender<br />

behinderter Menschen<br />

• die Gefahr des „Dammbruchs“, also<br />

Indikationsausweitung (Erfahrungen im Ausland?)


Ländervergleich der Zulässigkeit von verschiedenen<br />

Anwendungsbereichen der PGD* und der Zulässigkeit von PGS**<br />

*PGD= Prenatal Genetic Diagnosis; PGS = **Prenatal Genetic Screening<br />

In allen drei Ländern <strong>ist</strong> die PID-HLA-Typisierung zur Selektion <strong>eine</strong>s<br />

„saviour siblings“ (Rettungsgeschw<strong>ist</strong>er) möglich. (Quelle: Nippert, 2006)


Fallbeispiel 1<br />

(Berliner Arzt, 2010)<br />

• Vorliegen <strong>eine</strong>r elterlichen<br />

Transloskation,<br />

Folge:<br />

• Mehrere Fehl- und<br />

Totgeburten<br />

• Nach IVF mit PID<br />

Transfer von Embryonen<br />

ohne Translokation,<br />

Geburt <strong>eine</strong>s gesunden<br />

Kindes<br />

• Alternativen: Verzicht auf<br />

eigene Kinder oder<br />

weitere „Versuche“ auf<br />

natürlichem Weg<br />

Fallbeispiel 2<br />

(Frankreich, Sommer 2011)<br />

• Eltern <strong>eine</strong>s an β-<br />

Thalassämie erkrankten<br />

Kindes (Knochenmarkstransplantation<br />

nötig)<br />

• Nach IVF mit PID Transfer<br />

von Embryonen ohne<br />

Mutation und HLAkompatibel<br />

zum erkrankten<br />

Kind<br />

• Geburt <strong>eine</strong>s gesunden<br />

„Rettungsgeschw<strong>ist</strong>erkindes“<br />

• Alternativen: Verzicht oder<br />

SS mit PND und Abbruch


|<br />

1945<br />

Entdeckung der<br />

Trisomie 21<br />

1959/60<br />

|<br />

|<br />

1968<br />

1. pränatale Diagnose<br />

<strong>eine</strong>r Trisomie 21<br />

genet.<br />

Altersrisiko<br />

1978<br />

|


|<br />

1980<br />

Ultraschall als<br />

outineuntersuchung<br />

|<br />

CVS<br />

|<br />

1990<br />

FISH<br />

Triple Test / weitere<br />

Serumscreening-<br />

verfahren<br />

|<br />

Aug. 2012<br />

Trisomie 21-Test:<br />

freie fetale DNA<br />

im mütterl. Blut


§ 218: Entwicklung<br />

• 1870: StGB des Norddeutschen Bundes:<br />

§ 218: „ Eine Schwangere, die ihre Frucht vorsätzlich abtreibt, oder im<br />

Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft“<br />

übernommen ins StGB, bis heute – modifiziert –<br />

gültig.<br />

• 1974: Straffreiheit bis zur 12. Woche; Fr<strong>ist</strong>enlösung<br />

mit Beratungspflicht<br />

• 1976 – 1995: Indikationenmodell (Straffreiheit bei<br />

vorliegender Indikation):<br />

� Soziale Indikation (bis zur 12. Woche)<br />

� Kriminologische Indikation (bis zur 12. Woche)<br />

� Medizinische Indikation (Gesundheit der Mutter, bis Beginn<br />

Geburtswehen)<br />

� Embryopathische Indikation („schwere <strong>Schädigung“</strong> des<br />

Kindes, bis 22. SSW)


§ 218: Entwicklung<br />

• seit 1995: kombiniert abgestufte Beratungs- und<br />

Indikationslösung:<br />

� Abbruch steht grundsätzlich unter Strafe<br />

� Ausnahmen:<br />

o Straflosigkeit des ärztlichen Abbruchs innerhalb von 12<br />

Wochen nach (Konflikt-) Beratung<br />

o Rechtskonformität (!) bei Vorliegen der medizinischsozialen<br />

(bis Geburtswehen) und der kriminologischen<br />

Indikation (bis 12. Woche)<br />

„wenn der Abbruch der SS … angezeigt <strong>ist</strong>, um die Gefahr für das<br />

Leben oder die Gefahr <strong>eine</strong>r schwerwiegenden körperlichen oder<br />

seelischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der<br />

Schwangeren abzuwenden…“<br />

• Wegfall der embryopathischen Indikation?


www. Tim-lebt.de<br />

Ethische Problematik seit 1995: „Spätabbrüche“<br />

Bsp.: Das „Oldenburger Baby“ (1997)<br />

Ein Junge mit Down-Syndrom überlebt s<strong>eine</strong>n<br />

eigenen Schwangerschaftsabbruch (25. SSW).<br />

Erst nach 9 Stunden werden lebensrettende<br />

Maßnahmen eingeleitet. Tim lebt heute schwerst<br />

behindert in <strong>eine</strong>r Pflegefamilie.


Next generation sequencing<br />

• August 2012: Sogenannter Praena-Test kommt auf den<br />

Markt (in Deutschland, Österreich, Lichtenstein und<br />

Schweiz)<br />

• Fetale DNA aus mütterlichem Blut wird ausschließlich<br />

auf Trisomie 21 untersucht<br />

• Ethische Diskussion:<br />

� Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom durch<br />

gezielte Auslese<br />

� Druck auf Frauen, den „ungefährlichen“ Test machen zu lassen<br />

• Jur<strong>ist</strong>ische Diskussion:<br />

� Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Grundgesetz)?<br />

� Verstoß gegen GenDG? Test nur für medizin. Zwecke erlaubt<br />

• Kommentar BÄK:<br />

„Gesellschaft hat sich für PND entschieden, das Rad lässt sich nicht<br />

zurückdrehen. Daher lieber Bluttest als invasive Untersuchung.“


Gesetze, die fortpflanzungsmedizinische Belange regeln:<br />

• Embryonenschutzgesetz (seit 1991)<br />

→ Präimplantationsdiagnostikgesetz<br />

(Verordnungsermächtigung innerhalb des ESchG; seit 2011)<br />

• Stammzellgesetz (zur Sicherstellung des ESchG im<br />

Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher<br />

embryonaler Stammzellen; seit 2002)<br />

• Gendiagnostikgesetz (regelt genetische Untersuchungen<br />

beim Menschen, auch vorgeburtlich; seit 2010)<br />

• § 218a StGB (Fr<strong>ist</strong>enlösung mit Beratungspflicht,<br />

medizinische Indikation, kriminologische Indikation; in dieser<br />

Form seit 1995)<br />

• Schwangerschaftskonfliktgesetz (Vermeidung und<br />

Beratung von Schwangerschaftskonflikten; seit 1992)<br />

→ Brauchen wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz?


Fazit<br />

• Aus biologisch gesichertem Wissen <strong>eine</strong>rseits, sowie<br />

aus unseren (h<strong>ist</strong>orisch geprägten) unterschiedlichen<br />

Wertvorstellungen bezgl. <strong>eine</strong>s (moralischen) Status des<br />

Embryos andererseits, müssen allgem<strong>eine</strong><br />

Handlungsgebote und Handlungsverbote abgeleitet<br />

werden (Gesetzgeber).<br />

• Hierbei bewegen wir uns in dem Spannungsfeld<br />

zwischen dem gebotenen Schutz <strong>eine</strong>s hochwertigen<br />

Gutes (menschliches Leben!) in s<strong>eine</strong>r genetischen<br />

Vielfalt und der persönlichen Lebensgestaltung<br />

einschließlich eigenverantwortlicher autonomer<br />

Entscheidungen von Eltern (letztere wiederum von<br />

gesamtgesellschaftlicher Entwicklung abhängig…).<br />

• Quantitative Dimension von Abtreibung (2009):<br />

110.700 insgesamt, davon 3200 nach medizinischer<br />

Indikation, davon 237 Spätabbrüche. Zu erwartende<br />

PID-Fälle: ca. 200 pro Jahr

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