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Journal 4 - Hamburgische Staatsoper

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Ihre magische<br />

Kraft bleibt immer<br />

echt<br />

Balázs Kocsár,<br />

Dirigent »Così fan<br />

tutte«<br />

Ohne sich in Definitionen zu verstricken: Im<br />

Sinne von Tonkunst kann Musik nicht lügen,aber<br />

wenn man die Komplexität ihrer Entstehung und<br />

Wahrnehmung betrachtet, kann sie aus mehreren<br />

Standpunkten falsch sein. Aus der Sicht des<br />

Komponisten bringt ein musikalisches Kunstwerk<br />

die Vorstellung und Konzeption seines<br />

Schöpfers zum Ausdruck, und so kann sie zum<br />

Beispiel falsche Gefühle zum Vorschein bringen.<br />

Aber in diesem Fall ist das eben das ursprüngliche<br />

Ziel, mit anderen Worten: es ist keine Lüge.<br />

Die Interpretation des Musikers kann die Intention<br />

des Komponisten aufgreifen oder aber<br />

außer Acht lassen. Der Darsteller bringt im Interesse<br />

des Werks seine eigenen Anregungen, Erfahrungen,<br />

Ideen ein, und in diesem Sinne wird<br />

der Vortrag zur Wiedergabe der inneren Natur<br />

des Künstlers, der eigenen Vorstellungen, die alle<br />

real sind. Also wieder keine Lüge. Für den Hörer<br />

schließlich ist Musik ein sinnliches Erlebnis, ein<br />

ästhetischer Vorgang, der subjektive Emotionen<br />

hervorruft. Wie die Musik auf den Geist, die<br />

Seele, ja sogar den Körper wirkt, das hängt von<br />

vielen Faktoren wie Vorwissen, Fassungskraft,<br />

Bildung usw. ab. Egal wie, aber irgendwie wirkt<br />

die Musik immer, im schlimmsten Fall ruft sie<br />

Langeweile hervor. Natürlich wird der Eindruck<br />

des Publikums zum Beispiel von einer szenischen<br />

Ausführung sehr stark beeinflusst,aber die Wahrnehmungen<br />

und Gefühle der Empfänger können<br />

auch nicht lügen.<br />

Und obwohl Strawinsky meinte, Musik kann<br />

nur Illusion ausdrücken: ihre magische Kraft<br />

bleibt immer echt.<br />

Wie kann Musik<br />

bei einer Lüge so<br />

schön sein?<br />

Hellen Kwon,<br />

Sängerin der<br />

Fiordiligi<br />

Die Musik dient dem Komponisten dazu, bestimmte<br />

Gefühle bei den Zuhörern zu wecken –<br />

wie soll sie dabei lügen? Wenn man Lüge als<br />

bewusste Falschinformation definiert, ist die<br />

Musik als Medium dazu genauso wenig in der<br />

Lage wie die Sprache – Lügner sind nur ihre jeweiligen<br />

Urheber. Es kommt immer darauf an,<br />

was der Einzelne damit bezweckt und vorhat. Ein<br />

eindrucksvolles Beispiel dafür gibt es für mich in<br />

»Cavalleria rusticana«. Wenn Turiddu singt:<br />

»Santuzza, glaube mir«, ist seine Musik berückend<br />

schön. Sie steigert den emotionalen Ausdruck<br />

seiner Worte und gibt ihnen mehr Gewicht.<br />

Gleichzeitig wissen wir bereits, dass er in<br />

diesem Moment lügt und dass er die vergangene<br />

Nacht bei Lola verbracht hat. Über diese Stelle<br />

rege ich mich jedesmal auf. Wie kann die Musik<br />

bei einer Lüge so schön sein?<br />

Auch in »Così« gibt es diesen Widerspruch<br />

zwischen verlogenem Handeln und »schöner«<br />

Musik. Dabei sind die beiden Schwestern die<br />

ahnungslosen Opfer des Experiments, besser<br />

gesagt: der Intrige. Ferrando und Guilelmo setzen<br />

Geld auf die Treue der Geliebten.Fiordiligi ist<br />

die gefühlvollere und standhaftere der beiden.<br />

Ihre Arie »Come scoglio« und ihr Rondo »Per<br />

pietà« geben der buffonesken Handlung eine<br />

Tiefe,die einen Kontrast bildet zu vielen anderen,<br />

fast oberflächlich wirkenden Aktionen. Die<br />

Musik erzählt ehrlich von den Herzensnöten<br />

Fiordiligis und scheint schon zu wissen, was die<br />

in emotionale Bedrängnis geratene Heldin nur<br />

ahnt: dass sie ihr Treuegelöbnis bald brechen<br />

wird. Faszinierend ist, was darauf folgt: Ferrando<br />

weiß bereits, dass seine Braut Dorabella ihm<br />

untreu geworden ist. Nun erobert er Fiordiligi in<br />

16 Takten! (»Volgi a me pietoso …«) Für mich<br />

sind es die schönsten der ganzen Oper. Da zeigt<br />

sich Mozart einmal mehr als genialer Psychologe:<br />

Sind es Ferrandos wahre Gefühle, die ihm diese<br />

Musik eingeben, oder ist es der verzweifelte Ehrgeiz,<br />

mit Guilelmo gleichzuziehen?<br />

Die Emotionen<br />

müssen stimmen<br />

Lauri Vasar,<br />

Sänger des Guilelmo<br />

Eigentlich kann jede Musik lügen, nämlich dann,<br />

wenn sie nicht ehrlich interpretiert wird – und<br />

das spürt das Publikum meistens. Für mich ist es<br />

deshalb wichtig, ehrliche Gefühle auf der Bühne<br />

zu entwickeln und die Partie nicht irgendwie<br />

abzuspulen. Die Emotionen müssen stimmen,<br />

dann wirkt alles glaubwürdig, egal, wie das Stück<br />

oder wie die Musik ist.<br />

Wenn die Handlung eine Lüge vorgibt, kann<br />

die Musik sie unterstreichen und bekräftigen.<br />

Man hört bei Mozarts »Così fan tutte« wirklich,<br />

wenn die Burschen anfangen zu lügen.Die Musik<br />

ist dann besonders pathetisch, sie will in aufgesetzter<br />

Weise betören, zum Beispiel in der Szene,<br />

wenn Ferrando und Guilelmo verkleidet bei den<br />

beiden Frauen auftauchen, um sie zu umwerben.<br />

Auch am Anfang des zweiten Aktes gibt es ein<br />

kleines Duett, das fast übertrieben süß klingt. Ich<br />

glaube nicht, dass ehrliche Männer ihre Gefühle<br />

in dieser plakativen Art und Weise präsentieren<br />

würden. Was den Charakter meiner Rolle, also<br />

Guilelmo, betrifft, so ist schon seine erste Arie<br />

eine glatte Lüge, das wird spätestens klar, wenn<br />

man im zweiten Akt genau das Gegenteil von ihm<br />

zu hören bekommt.Dann nämlich zwingt ihn die<br />

Untreue von Fiordiligi zur Ehrlichkeit, und die<br />

Musik spiegelt diesen Offenbarungseid. Für ihn<br />

bricht eine Welt zusammen, als er erfährt, dass<br />

Fiordiligi Ferrandos Avancen nachgibt,er fällt aus<br />

allen Wolken und lässt seiner Wut freien Lauf.<br />

Genau dieser Moment macht den Charakter dieser<br />

Figur so interessant.<br />

Das Lügen klingt für mich bei Guilelmo eindeutig<br />

durchschaubar – man nehme nur die<br />

Szene, in der er Dorabella verführt. Aber Mozart<br />

lässt das Publikum ohnehin zum Komplizen der<br />

Intrige werden: Die Zuschauer wissen mehr als<br />

die beiden Frauen, und weil die Lüge stets als solche<br />

erkennbar bleiben muss,ist die Übertreibung<br />

das probate Mittel, vor allem auch im Finale des<br />

ersten Aktes, der auf der Szene meist als ein<br />

großer Klamauk veranstaltet wird.<br />

Mozarts<br />

wahre Lügen<br />

Maria-Cristina<br />

Damian, Sängerin<br />

der Dorabella<br />

Im weiteren Sinne der Bedeutung denken wir bei<br />

dem Wort »Lüge« an eine ziemlich schändliche<br />

Handlung, die mit Musik schwerlich in Verbindung<br />

gebracht werden kann. Aber vom ästhetischen<br />

Gesichtspunkt her betrachtet, kann die<br />

Musik eine sehr unterschiedliche »Palette«<br />

menschlicher Gefühle und Handlungen beschreiben,<br />

von denen auch die Lüge eine Seite ist.<br />

Mit anderen Worten, Musik ist immer ehrlich<br />

und wandelbar und im übertragenen Sinn fähig<br />

zu »lügen«, zu »betrügen«, zu »lieben« und zu<br />

»hassen«.<br />

In Mozart/Da Pontes »Così fan tutte« ist die<br />

symmetrische Konstruktion der Paare verblüffend.<br />

Die Musik enthüllt das wahre Gesicht ihrer<br />

Charaktere, ihre wirklichen Erwartungen, Wünsche<br />

und Verwandlungen, wenn sie das Spiel von<br />

»falsch« und »wahr«, »ehrlich« und »unehrlich«<br />

spielen: ein Dualismus, aus dem die eigentliche<br />

Handlung geboren wird.<br />

Die Lüge, die in Mozarts Musik ausgedrückt<br />

wird, stiftet in diesem Quidproquo komische Situationen<br />

und ist extrem verführerisch sowohl<br />

für die Sänger als auch für das Publikum, indem<br />

sie einfach aktuell, beredt und, sagen wir, »glaubhaft«?<br />

ist.<br />

<strong>Journal</strong> 4 | 13

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