Wirtschaftszeitung 2018
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Unternehmen<br />
RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10 | JUNI <strong>2018</strong> | SEITE 3<br />
Patentierter<br />
Erfolg<br />
Wenige Konzerne melden<br />
so viele Erfindungen an wie 3M.<br />
Woher diese Kreativität kommt.<br />
SEITE 7<br />
Evonik<br />
dpa<br />
dpa<br />
Labore des<br />
Westens<br />
Auch wenn die<br />
nackten Zahlen ein<br />
anderes Bild zu zeichnen scheinen: Nordrhein-Westfalens<br />
Entwicklungsabteilungen müssen sich nicht verstecken.<br />
Zwar sind die Forschungsausgaben anderer Ländern höher. Doch<br />
eine Reihe NRW-Konzerne entwickelt herausragende Produkte.<br />
VON REINHARD KOWALEWSKY<br />
Wo hinkt Nordrhein-Westfalen den<br />
wirtschaftlich führenden Ländern<br />
Bayern und Baden-Württemberg<br />
am weitesten hinterher? Bei den<br />
Ausgaben für Forschung und Entwicklung.<br />
Die hiesigen Unternehmen investieren auf<br />
diesem Feld deutlich weniger – auch weil die<br />
traditionell innovative Autoindustrie in NRW<br />
nicht so stark ist. Und deshalb mahnt Axel<br />
Seidel, Leiter des Forschungsinstituts Prognos<br />
in NRW: „Bei Ausgaben des Staates für<br />
Forschung und Entwicklung steht das Land<br />
gut da. Aber die privaten Unternehmen müssen<br />
mehr in Zukunftsprojekte stecken.“<br />
Doch es gibt auch eine andere Art, diese<br />
Geschichte zu erzählen. Denn eine ganze Reihe<br />
prominenter NRW-Unternehmen widerlegt<br />
den Trend.<br />
Da wäre etwa die Post, die als weltweit führender<br />
Logistikkonzern in einem Forschungszentrum<br />
bei Troisdorf neue Ideen entwickelt.<br />
Das Spektrum reicht vom Transport per<br />
Drohne über Paketbriefkästen bis zu Roboterrollwagen,<br />
die dem Briefträger auf seiner Tour<br />
folgen. In ihrem wohl wichtigsten Innovationsprojekt<br />
hat sich die Post mit einem Startup<br />
in Aachen zusammengetan: Der Elektrolieferwagen<br />
Streetscooter ist so begehrt, dass<br />
nun eine zweite Produktionslinie in Düren<br />
hochgezogen wird. In Großbritannien soll<br />
künftig sogar Milch per Streetscooter ausgeliefert<br />
werden. „Geht nicht, gibt’s nicht“, heißt<br />
es im Konzern.<br />
Doch während die Post als Dienstleistungskonzern<br />
nicht einmal ein Prozent des Umsatzes<br />
in F&E steckt, spielt Bayer aus Leverkusen<br />
in einer ganz anderen Liga. Zehn Prozent des<br />
Umsatzes investiert der Konzern in neue Produkte<br />
– da kommen selbst Autobauer nicht<br />
mit. Noch beeindruckender ist die absolute<br />
Summe: Bayer gab 2017 fast fünf Milliarden<br />
Euro für das Erforschen und Entwickeln neuer<br />
Medikamente aus.<br />
FORSCHERDRANG<br />
Die Investitionen in F&E sind in Bundesländern<br />
mit einer starken Autoindustrie besonders hoch.<br />
Konzerne wie Daimler, BMW und Volkswagen<br />
pumpen Milliarden in neue Technologien.<br />
Entsprechend rangieren Baden-Württemberg,<br />
Niedersachsen und Bayern weit vorn im<br />
Länderranking. In NRW liegen zwar die öffentlichen<br />
Ausgaben auf einem soliden Niveau, die der<br />
Unternehmen aber sind unterdurchschnittlich –<br />
von prominenten Ausnahmen abgesehen.<br />
Unter „ferner liefen“<br />
Ausgaben für Forschung und Entwicklung 2016 in % des<br />
Bruttoinlandsprodukts*<br />
Staat u. private Institutionen ohne Erwerbszweck<br />
Hochschulen Wirtschaft<br />
Baden-<br />
Württemberg<br />
4,92<br />
Berlin<br />
Niedersachsen<br />
Bayern<br />
Hessen<br />
Bremen<br />
Sachsen<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Hamburg<br />
Thüringen<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Meckl.-Vorp.<br />
Brandenburg<br />
Saarland<br />
Schlesw.-Holst.<br />
3,49<br />
3,31<br />
3,17<br />
2,88<br />
2,84<br />
2,71<br />
2,44<br />
2,22<br />
2,05<br />
1,98<br />
1,85<br />
1,73<br />
1,55<br />
1,49<br />
Sachsen-Anhalt<br />
1,46<br />
* BIP Stand: März <strong>2018</strong>;<br />
Quelle: Destatis<br />
Im Zentrum stehen die Arbeiten im Wuppertaler<br />
Forschungszentrum Aprath mit<br />
1400 exzellent bezahlten Wissenschaftlern,<br />
die sich auf Mittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
spezialisiert haben. Auch der<br />
Gerinnungshemmer Xarelto als wichtigster<br />
Blockbuster von Bayer wurde in der Denk-,<br />
Ideen- und Innovationsfabrik in Wuppertal<br />
entwickelt. Das zahlt sich aus: Xarelto bringt<br />
einen Jahresumsatz von rund drei Milliarden<br />
Euro. Im nächsten Schritt helfen Screeningroboter,<br />
neue Wirkstoffe zu identifizieren.<br />
In kleinen Versuchsreihen werden die Mittel<br />
ausprobiert. Im Ergebnis rechnet der Wuppertaler<br />
Standortleiter Holger Weintritt mit<br />
vielen weiteren Erfolgen: „Wir verfügen in allen<br />
klinischen Entwicklungsphasen über eine<br />
große Zahl an Arzneimittelkandidaten.“<br />
Auf jeweils sehr spezifische Innovationen<br />
setzen die Deutsche Telekom, Thyssenkrupp,<br />
Rheinmetall, Henkel und Evonik. Die Telekom<br />
investiert rund 300 Millionen Euro für<br />
neue Entwicklungen. Innovationsvorstand<br />
Claudia Nemat will insbesondere die globalen<br />
Mobilfunknetze auf den neuen Standard<br />
5G vorbereiten und die Datenzentren vor Hackerangriffen<br />
schützen.<br />
Thyssenkrupp investiert als großer Autozulieferer<br />
traditionell viel in die Technologieentwicklung.<br />
Daneben glänzt die Aufzugsparte<br />
mit der Erfindung eines seillosen Lifts –<br />
auch wenn der Testturm dafür nicht in NRW,<br />
sondern in Baden-Württemberg steht.<br />
Rheinmetall gibt 224 Millionen Euro für<br />
Forschung und Entwicklung per annum aus<br />
– denn sowohl als Autozulieferer wie auch<br />
als Rüstungsanbieter hat das Unternehmen<br />
ohne modernste Technologien keine Chance.<br />
Dies sieht auch Henkel-Vorstandschef<br />
Hans Van Bylen so. Um sich dem Preisverfall<br />
bei vielen Konsumgütern entgegenzustellen,<br />
soll das Innovationstempo der Düsseldorfer<br />
weiter steigen. Schon bisher kommt fast die<br />
Hälfte des Umsatzes bei Waschmitteln und<br />
Schönheitsmitteln aus nur drei Jahre alten<br />
Das Bayer-Forschungszentrum<br />
in<br />
Wuppertal (gr. Bild)<br />
hat Blockbuster wie<br />
Xarelto entwickelt.<br />
Der Streetscooter<br />
(o. r.) ist das Gemeinschaftswerk<br />
eines Start-ups und<br />
der Deutschen Post.<br />
Jüngst wurde eine<br />
zweite Fertigungslinie<br />
für den Elektrowagen<br />
aufgebaut. Evonik<br />
arbeitet an verbesserten<br />
Methoden zur<br />
Lachszucht (Mitte)<br />
und das Haarlabor<br />
(u. l.) von Henkel an<br />
besseren Kosmetika.<br />
Bei der Telekom<br />
treiben Bruno<br />
Jacobfeuerborn<br />
und Claudia Nemat<br />
den Mobilfunkstandard<br />
5G voran.<br />
Henkel<br />
Entwicklungen. Jetzt sollen weitere Ideen<br />
den Verkauf ankurbeln. 19.000 Kunden haben<br />
schon den Persil-Service abonniert. Da<br />
werden Hemden abgeholt und gereinigt zurückgebracht.<br />
Persil selbst wurde zu einer<br />
Produktfamilie mit vielen Varianten weiterentwickelt<br />
– für dunkle Wäsche gibt es mit<br />
Persil Black-Gel ebenso eine Variation wie für<br />
sehr feine Wäsche.<br />
Als neuesten Schritt baut der von einer<br />
Beratungsfirma abgeworbene Digitalchef<br />
Rahmyn Kress ein Netzwerk mit mehr als 100<br />
Partnern auf, um digitale Ideen anzusaugen.<br />
Experten wie der Rewe-Bereichsvorstand Stefan<br />
Magel oder der frühere Twitter-Manager<br />
Thomas de Buhr geben Ratschläge, wie mit<br />
digitaler Vernetzung neue Dienstleistungen<br />
entstehen können. „So kann Henkel sich ganz<br />
neuen Welten öffnen“, lobt der Gründungsexperte<br />
Pascal Finette, ein früherer Google-Manager.<br />
Ganz neue Wege geht auch Evonik. Der<br />
Spezialchemiekonzern aus Essen hat mit einem<br />
Partner ein Verfahren entwickelt, um<br />
aus Algen statt aus Fischmehl wertvolle Omega-3-Fettsäuren<br />
herzustellen. Das macht die<br />
Lachszucht künftig viel umweltfreundlicher.<br />
Selbst Greenpeace lobt das Projekt. In Marl<br />
wird eine Anlage geplant, die überschüssiges<br />
Kohlendioxid aus der Atmosphäre zieht und<br />
es als Grundstoff für wertvolle Chemikalien<br />
nutzt – Ökostrom soll dabei helfen. „Wir<br />
wollen zeigen, dass künstliche Fotosynthese<br />
möglich ist“, sagt ein Manager.<br />
Und natürlich setzt Evonik auch auf digitale<br />
Ideen: Techniker sollen bei der Wartung<br />
von Anlagen durch Virtual-Reality-Brillen<br />
erfahren, welchen Arbeitsschritt sie am besten<br />
als Nächstes machen sollten. Damit auch<br />
Privatkunden die vielen Substanzen wie ein<br />
Extrakt aus Blaubeeren kaufen können, baut<br />
Evonik einen digitalen Marktplatz auf. Vorstandschef<br />
Christian Kullmann ist zufrieden:<br />
„In unserer Branche ist Evonik bei der Digitalisierung<br />
ganz vorn dabei.“<br />
Deutsche Telekom