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Lass das Licht an, falls ich wiederkomme

Dieses Buch wurde vom Autor "Flo Patzelt" geschrieben. Anhand von zahlreichen Erlebnissen und seiner Jahrzehntelangen traumatischen Erfahrungen, die schon in seiner frühen Kindheit begonnen, schildert dieser junge Autor seine eigenen Erfahrungen damit und wie die Gesellschaft das Thema der „Depression“ nahezu völlig tabuisiert und dermaßen unterschätzt, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft fast kaum eine Chance haben aus ihrer Isolation und aus den Schatten ihrer Selbst herauszukommen. Er verdeutlicht in seinem Buch, wie der Umgang mit diesem Thema in der Gesellschaft ist und welche Konsequenzen dies für viele Betroffne hat, aber auch, wie sein persönlicher Weg aus dieser Krise heraus war. Mit diesem Buch möchte er einen Weckruf an die Gesellschaft richten, damit die Tabuisierung dieser Krankheit aufgelöst werden kann und dass Menschen die eben so an solchen Depressionen leiden Hoffnung finden können und sich nicht länger allein fühlen.

Dieses Buch wurde vom Autor "Flo Patzelt" geschrieben. Anhand von zahlreichen Erlebnissen und seiner Jahrzehntelangen traumatischen Erfahrungen, die schon in seiner frühen Kindheit begonnen, schildert dieser junge Autor seine eigenen Erfahrungen damit und wie die Gesellschaft das Thema der „Depression“ nahezu völlig tabuisiert und dermaßen unterschätzt, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft fast kaum eine Chance haben aus ihrer Isolation und aus den Schatten ihrer Selbst herauszukommen.
Er verdeutlicht in seinem Buch, wie der Umgang mit diesem Thema in der Gesellschaft ist und welche Konsequenzen dies für viele Betroffne hat, aber auch, wie sein persönlicher Weg aus dieser Krise heraus war.
Mit diesem Buch möchte er einen Weckruf an die Gesellschaft richten, damit die Tabuisierung dieser Krankheit aufgelöst werden kann und dass Menschen die eben so an solchen Depressionen leiden Hoffnung finden können und sich nicht länger allein fühlen.

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LASS DAS LICHT AN,<br />

FALLS ICH WIEDERKOMME<br />

FLO PATZELT<br />

AUFLAGE 1 2018


Seite 2<br />

Impressum<br />

1. Auflage August 2018<br />

Texte: © Copyright by Flo Patzelt, Ginsterweg 1, D-30880 Laatzen<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Lektorat: J. Dyck<br />

Umschlaggestaltung: © Copyright by Karsten Knüppel<br />

Druck und Bindung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin<br />

Mein Buch finden Sie auch kostenlos, als PDF bei Facebook unter:<br />

"<strong>Lass</strong> <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>, <strong>falls</strong> <strong>ich</strong> <strong>wiederkomme</strong>"


Inhalt Seite 5<br />

INHALT<br />

Wenige Worte = Grosse Bewegung .................................................................................... 7<br />

<strong>Lass</strong> <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>, <strong>falls</strong> <strong>ich</strong> <strong>wiederkomme</strong> ......................................................................... 15<br />

Wie aus einem wem ein was wurde ................................................................................. 17<br />

Als meine Seele von alleine dunkel wurde ....................................................................... 83<br />

Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug .......................................................................................... 115<br />

Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> ................................................................................... 143<br />

Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte ................................................................................... 155<br />

Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen ............................ 179<br />

Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt ................................................................................. 201<br />

Seelenteilung .................................................................................................................. 211<br />

Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> .................................................... 215<br />

Beseitigung von Horrorszenarien ................................................................................... 229<br />

Die Unbelehrbaren .......................................................................................................... 251<br />

Was würdest du sagen… ................................................................................................. 257<br />

Ein Nachwort ................................................................................................................... 261<br />

Quellen ............................................................................................................................ 263


Seite 6


Wenige Worte = große Bewegung Seite 7<br />

WENIGE WORTE = GROSSE BEWEGUNG<br />

Dieses Buch ist als Axt im gefrorenen Meer unseres Schweigens gedacht. Ich melde m<strong>ich</strong><br />

als veritable Stimme, generationsübergreifend und Teil einer Minderheit zu Wort.<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n diese Aussage als provok<strong>an</strong>t beze<strong>ich</strong>nen oder s<strong>ich</strong> zurücklehnen und kurz<br />

darüber nachdenken. Was will mir der Satz bloß sagen? Das Thema Depressionen ist<br />

immer noch n<strong>ich</strong>t in der Öffentl<strong>ich</strong>keit <strong>an</strong>gekommen. Noch immer gibt es Zweifel,<br />

Uns<strong>ich</strong>erheiten und Verurteilungen. Ich möchte mit diesem Buch helfen, die Depression<br />

zu verstehen. Meine Ged<strong>an</strong>ken und meine Erfahrungen mit <strong>an</strong>deren teilen.<br />

Klingt irgendwie stark, ein M<strong>an</strong>n mit schwerer Depression mit den dazugehörenden<br />

Problemen sucht die Öffentl<strong>ich</strong>keit und die Konfrontation mit Menschen, obwohl er<br />

eigentl<strong>ich</strong> jede derartige Situation meidet.<br />

Begonnen habe <strong>ich</strong> dieses Buch als eine Art Tagebuch. Ich hatte eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vor, es<br />

jemals zu veröffentl<strong>ich</strong>en. Bei einem besorgniserrengendem depressiven Schub einer<br />

Freundin gab <strong>ich</strong> ihr eine frühe Version meines Buches in die H<strong>an</strong>d. Ich hoffte, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

ihr damit helfen und vielle<strong>ich</strong>t auch die Worte f<strong>an</strong>d, die sie n<strong>ich</strong>t aussprechen konnte.<br />

Tage darauf st<strong>an</strong>d sie mit Tränen in den Augen vor mir und bat m<strong>ich</strong>, dieses Buch zu<br />

Ende zu schreiben und so schnell wie mögl<strong>ich</strong> zu veröffentl<strong>ich</strong>en. Sie war der Meinung,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> damit vielen Menschen helfen könnte.<br />

Sie ahnte vermutl<strong>ich</strong> auch, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Buch wohl n<strong>ich</strong>t veröffentl<strong>ich</strong>en und es heiml<strong>ich</strong>,<br />

still und leise in meinem Schreibtisch vergraben würde.<br />

Ich saß also viele Nächte <strong>an</strong> diesem Text um ihrer Bitte nachzukommen, weil <strong>ich</strong> jetzt<br />

auch davon überzeugt war.<br />

Der Freitod von Robert Enke, der seinen Depressionen erlag, hat m<strong>ich</strong> sehr bewegt und<br />

ist der eigentl<strong>ich</strong>e Grund, warum <strong>ich</strong> mit dem Schreiben <strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen habe. Ich konnte<br />

l<strong>an</strong>ge Zeit n<strong>ich</strong>t zuordnen, wie jem<strong>an</strong>d der Erfolg, Geld, Liebe und Anerkennung hatte<br />

und eigentl<strong>ich</strong> ein Idol war, so sehr und generell <strong>an</strong> Depressionen leiden könnte. Was<br />

sollte mir, der n<strong>ich</strong>t einmal die Hälfte davon besaß, also noch groß Hoffnung machen?<br />

Mit dem Schreiben wollte <strong>ich</strong> es für m<strong>ich</strong> herausfinden. Nun habe <strong>ich</strong> etwas über 8 Jahre<br />

<strong>an</strong> diesem Buch geschrieben.<br />

Mein Ged<strong>an</strong>kentagebuch mit der Idee, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t auch <strong>an</strong>deren Menschen mit<br />

meinen Ged<strong>an</strong>kengängen und den dazugehörenden Worten, helfen könnte und m<strong>ich</strong>


Seite 8<br />

Wenige Worte = große Bewegung


Wenige Worte = große Bewegung Seite 9<br />

gle<strong>ich</strong>zeitig gegen die Tabuisierung des Themas Depression einzusetzen. Es klingt noch<br />

immer unwirkl<strong>ich</strong> für m<strong>ich</strong>.<br />

In der Folge des Freitods von Robert Enke, hoffte <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s ein Ruck durch die<br />

Gesellschaft gehen würde, sie erkennen, <strong>das</strong>s etwas passieren muss. Meine Hoffnung<br />

schien s<strong>ich</strong> zu erfüllen, Profi-Fußball-Vereine nahmen sogar Psychologen (sofern noch<br />

n<strong>ich</strong>t vorh<strong>an</strong>den) in den Betreuerstab auf, die Fußballf<strong>an</strong>s rückten irgendwie zusammen<br />

und auch die Rivalitäten waren kurzfristig n<strong>ich</strong>t so w<strong>ich</strong>tig. YouTube Videos wurden<br />

gemacht und über die Thematik gesprochen. Aber diese Effekte finden s<strong>ich</strong> schon nach<br />

grob 1 1 / 2 Jahren kaum noch, der Freitod schien vergessen. Es flackert zwar auch in der<br />

jüngeren Verg<strong>an</strong>genheit immer mal wieder eine Meldung durch die Medien, wie z.B.<br />

über den Tod des Linkin Park Sängers Chester Bennington oder <strong>das</strong> auch "The Rock"<br />

zugab, <strong>an</strong> Depressionen zu leiden. Die Prominenten haben <strong>das</strong> Thema immerhin<br />

gesellschaftsfähiger gemacht. Ansonsten findet s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Thema Depression, und wie<br />

m<strong>an</strong> Betroffenen helfen k<strong>an</strong>n, kaum noch. Es ist fast schon wie ein ekelhafter Trend, der<br />

immer mal wieder auftaucht und medienwirksam eingesetzt wird. Depression sollte<br />

aber kein Thema wie z.B. BSE oder der Vogelgrippe sein, <strong>das</strong>s nur ab und <strong>an</strong> hochkocht<br />

und nur d<strong>an</strong>n in <strong>das</strong> Bewusstsein der Menschen gel<strong>an</strong>gt.<br />

Bitte erinnert euch, denn Ignor<strong>an</strong>z hat uns Menschen schon oft in Schwierigkeiten und<br />

große Not gebracht. Die Depression darf n<strong>ich</strong>t tabuisiert werden, redet mit euren<br />

Freunden und Verw<strong>an</strong>dten darüber oder wenn ihr keine Worte findet, versucht es z.B.<br />

mit diesem Buch. Ich glaube noch immer dar<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s Liebe, Zusammenhalt und<br />

Mitgefühl die Ignor<strong>an</strong>z überwinden.<br />

Das Buch ist kostenlos und damit hat jeder die Mögl<strong>ich</strong>keit es zu lesen. Auf der <strong>an</strong>deren<br />

Seite habe <strong>ich</strong> bewusst darauf verz<strong>ich</strong>tet, ein Buch mit mehreren hundert Seiten zu<br />

schreiben, obwohl <strong>ich</strong> diese bestimmt füllen könnte. Ich bin der Meinung, <strong>das</strong>s es mehr<br />

Sinn macht, wenige Worte zu verwenden um etwas zu bewegen, als <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> mit einer<br />

wissenschaftl<strong>ich</strong>en Abh<strong>an</strong>dlung von 600 Seiten meine Leser l<strong>an</strong>gweile. Erinnern wir uns<br />

<strong>an</strong> Martin Luther King "I have a dream" oder John F. Kennedy "Ich bin ein Berliner",<br />

wissen alle um welche Reden es geht, was im allgemeinen Gedächtnis geblieben ist, sind<br />

aber diese Kernaussagen. Daher mein Versuch mit wenigen Worten eine "große<br />

Bewegung" zu bewirken.<br />

Ich wurde inzwischen so oft gefragt, warum <strong>ich</strong> dieses Buch kostenlos zur Verfügung<br />

stelle, obwohl <strong>ich</strong> doch damit Geld verdienen könnte. Die Antwort ist einfach, <strong>ich</strong><br />

möchte mit diesem Buch <strong>an</strong>deren Menschen helfen und kein Geld verdienen. Dies ist<br />

der einzige Grund, warum <strong>ich</strong> es geschrieben habe und nun veröffentl<strong>ich</strong>e.


Seite 10<br />

Wenige Worte = große Bewegung


Wenige Worte = große Bewegung Seite 11<br />

Natürl<strong>ich</strong> hätte <strong>ich</strong> mit den Einnahmen <strong>an</strong>dere soziale Projekte unterstützen können.<br />

Aber hätte <strong>ich</strong> damit alle interessierten Menschen erre<strong>ich</strong>en können? Es ist eben n<strong>ich</strong>t<br />

selbstverständl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> 10€ für ein Buch bezahlt, wenn doch gle<strong>ich</strong>zeitig noch<br />

<strong>an</strong>dere Kosten zu begle<strong>ich</strong>en sind.<br />

So kam <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n auf die Idee <strong>das</strong> Medium "Facebook" zu verwenden. Es sind viele<br />

Menschen dort <strong>an</strong>gemeldet und "Facebook" schürt bek<strong>an</strong>ntl<strong>ich</strong> auch depressive Ängste.<br />

Es war daher für m<strong>ich</strong> die r<strong>ich</strong>tige Art, den "vermeintl<strong>ich</strong>en Feind" einzusetzen, um die<br />

Mögl<strong>ich</strong>keit der Linderung oder <strong>das</strong> Problembewusstsein zu schaffen.<br />

Jede zweite Seite dieses Buches ist leer. Das ist kein Fehler. Ihr habt hier die Mögl<strong>ich</strong>keit<br />

euer eigenes Buch zu schreiben. Lest ihr einen Satz, der auf euch zutrifft, könnt ihr ihn<br />

auf die Leer-Seite schreiben. Lest ihr etwas, <strong>das</strong>s n<strong>ich</strong>t auf euch zutrifft, könnt ihr es so<br />

verändern, <strong>das</strong>s es euch besser beschreibt. So schreibt also jeder mit diesem Buch seine<br />

eigene Gesch<strong>ich</strong>te.<br />

Ich habe versucht, g<strong>an</strong>z reflektiert <strong>an</strong> dieses Thema zu gehen. Ich habe n<strong>ich</strong>t nur<br />

geschrieben, wenn es mir gut ging, sondern auch wenn <strong>ich</strong> in einem Tief war. Ich hoffe,<br />

es ist mir gelungen, diese verschiedenen Gefühlswelten ins Buch zu tr<strong>an</strong>sportieren.<br />

M<strong>an</strong>che Zeilen werden s<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t etwas schwieriger lesen lassen, wirken konfus und<br />

scheinen s<strong>ich</strong> zu wiederholen. Ich habe es bewusst so gelassen, denn es soll die<br />

ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong>e Verwirrung eines Depressiven aufzeigen. Zudem sollte <strong>ich</strong> euch darauf<br />

hinweisen, <strong>das</strong>s euch dieses Buch und <strong>das</strong> Kapitel "Wie aus einem Wem ein Was wurde"<br />

im Besonderen triggern könnte.<br />

Die folgenden Texte beruhen n<strong>ich</strong>t allein auf meinen Ged<strong>an</strong>ken und Gefühlen. Ich habe<br />

viel zum Thema Depressionen recherchiert, m<strong>ich</strong> mit Ärzten, Psychologen und<br />

Mitpatienten unterhalten. Dies alles findet s<strong>ich</strong> nun hier wieder.<br />

Mit dem Lesen dieses Buches wirst du die Gefühle und Ged<strong>an</strong>ken eines Depressiven<br />

n<strong>ich</strong>t nachempfinden können, vielle<strong>ich</strong>t wird der eine oder <strong>an</strong>dere aber bezügl<strong>ich</strong><br />

Depressionen sensibilisiert. Selbst wer Narben auf der Seele hat, k<strong>an</strong>n die Wunden<br />

<strong>an</strong>derer n<strong>ich</strong>t immer spüren, sehen und begreifen.<br />

Dieses Buch wird keine Heilung herbeiführen und vielle<strong>ich</strong>t auch n<strong>ich</strong>t zu neuen<br />

Erkenntnissen führen. Es wird aber vielle<strong>ich</strong>t m<strong>an</strong>chen Menschen aus dem Herzen<br />

sprechen und sie finden die passenden Worte für ihr Umfeld und noch viel w<strong>ich</strong>tiger für<br />

SICH.<br />

Aber! Was ihr hier lesen werdet, muss n<strong>ich</strong>t auf jeden zutreffen!


Seite 12<br />

Wenige Worte = große Bewegung


Wenige Worte = große Bewegung Seite 13<br />

Jedoch vielle<strong>ich</strong>t auf den ein oder <strong>an</strong>deren unter euch, bedenkt <strong>das</strong> bitte.<br />

Die Namen der h<strong>an</strong>delnden Personen sind frei erfunden und sind zur besseren<br />

Verständl<strong>ich</strong>keit von erlebten Situationen beispielhaft gen<strong>an</strong>nt.


Seite 14<br />

Wenige Worte = große Bewegung


<strong>Lass</strong> <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>, <strong>falls</strong> <strong>ich</strong> <strong>wiederkomme</strong> Seite 15<br />

LASS DAS LICHT AN, FALLS ICH WIEDERKOMME<br />

Einen Titel für mein Buch zu finden, ist gar n<strong>ich</strong>t so einfach. Ich habe l<strong>an</strong>ge darüber<br />

nachgedacht, doch irgendwie passte er nie zu meinem bevorzugten Buchcover.<br />

Die Kr<strong>an</strong>kheit deren Name n<strong>ich</strong>t gen<strong>an</strong>nt werden darf, war l<strong>an</strong>ge Zeit mein Favorit. Ist es<br />

doch in Anspielung auf Harry Potter dennoch zutreffend. Das Buchcover passt d<strong>an</strong>n aber<br />

n<strong>ich</strong>t.<br />

Ich wollte einen ausdrucksstarken Titel, der auch für Diskussionen sorgt. Hierbei kam<br />

mir auch die Idee, <strong>das</strong> Buch als "Mein Kampf" zu betiteln. Abgesehen davon, <strong>das</strong>s dieser<br />

Titel schon vergeben ist, würde m<strong>an</strong> m<strong>ich</strong> als "Rechten" sehen, ohne eine Zeile des<br />

Buches zu lesen. Denn obwohl es ein Kampf ist, den <strong>ich</strong> aus meiner S<strong>ich</strong>t schildere, passt<br />

es doch n<strong>ich</strong>t so r<strong>ich</strong>tig.<br />

Nun hatte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Bild und dachte mir, es k<strong>an</strong>n ja n<strong>ich</strong>t so schwer sein, s<strong>ich</strong> einen<br />

entsprechenden Titel auszudenken. Doch <strong>ich</strong> lag völlig falsch.<br />

In einer sehr l<strong>an</strong>gen Nacht mit meinem Kumpel Steve haben wir uns diverse Titel am<br />

Telefon um die Ohren gehauen, doch selbst bei den besseren Ideen fehlte einfach die<br />

Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte es eigentl<strong>ich</strong> schon für die nächsten Tage<br />

aufgegeben, als <strong>ich</strong> beim Verlassen der Wohnung gefragt wurde, ob <strong>ich</strong> den Fernseher<br />

immer <strong>an</strong>lasse. In diesem Moment setzte s<strong>ich</strong> ein Puzzle in meinem Kopf zusammen.<br />

<strong>Lass</strong> <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>, <strong>falls</strong> <strong>ich</strong> <strong>wiederkomme</strong>....<br />

Es ist dieser Gegensatz zwischen Optimismus und Pessimismus der m<strong>ich</strong> dabei <strong>an</strong>spr<strong>ich</strong>t.<br />

Während die Einen im "<strong>falls</strong>" ein Aufgeben des Lebens sehen, sehen Andere im "<strong>falls</strong>"<br />

eine mögl<strong>ich</strong>e Rückkehr und Aufbruchsstimmung zu etwas positiven.<br />

Die Überschrift r<strong>ich</strong>tet s<strong>ich</strong> aber auch <strong>an</strong> die Leute ohne Depressionen und bittet sie,<br />

ihre Freunde n<strong>ich</strong>t aufzugeben.<br />

<strong>L<strong>ich</strong>t</strong> bedeutet für m<strong>ich</strong> Orientierung aber auch Wehmut und Gewissheit, <strong>das</strong>s es Leute<br />

gibt, die <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> für m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>ließen, weil sie <strong>an</strong> m<strong>ich</strong> glauben und hoffen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

zurückfinde.<br />

Da ist nun der Titel, der die Kr<strong>an</strong>kheit beschreibt, aber auch n<strong>ich</strong>t rom<strong>an</strong>tisiert und<br />

verschönt, denn es steckt noch immer die Gefahr dahinter, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t zurückkehren<br />

könnte.


Seite 16<br />

<strong>Lass</strong> <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>, <strong>falls</strong> <strong>ich</strong> <strong>wiederkomme</strong>


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 17<br />

WIE AUS EINEM WEM EIN WAS WURDE<br />

Mein Name ist Flo Patzelt, <strong>ich</strong> komme aus Niedersachsen. Ich bin weder D<strong>ich</strong>ter,<br />

Philosoph noch Schriftsteller. Selbst mit dem Wort Autor k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong><br />

<strong>an</strong>freunden. Ich bin aber auch niem<strong>an</strong>d, der mal ein Buch gelesen hat und nun denkt,<br />

hmm <strong>ich</strong> schreibe einfach selber eins. Ich bin einfach jem<strong>an</strong>d, der die Zeilen<br />

niederschreibt, die sein Herz förml<strong>ich</strong> herausschreit.<br />

Ihr werdet hier Zeilen lesen, die sehr persönl<strong>ich</strong> sind, aber es geht hier keineswegs um<br />

<strong>das</strong> Erbetteln von Mitleidsbekundungen. Es ist in gewisser Weise mein Vermächtnis. Es<br />

soll der erste Schritt aus dem Schweigen sein, denn geschwiegen haben Depressive viel<br />

zu l<strong>an</strong>ge. Deswegen mache <strong>ich</strong> jetzt den ersten Schritt.<br />

"Worte sind, meiner n<strong>ich</strong>t zu bescheidenen Meinung nach, unsere wohl unerschöpfl<strong>ich</strong>e<br />

Quelle der Magie. Sie können Schmerz sowohl zufügen, als auch lindern." (Harry Potter<br />

und die Heiligtümer des Todes – Teil 2).<br />

Dieses Zitat trifft meine Ged<strong>an</strong>ken sehr gut und die Harry Potter Reihe wird auch im<br />

weiteren Buch Erwähnung finden.<br />

Die Depression hat m<strong>ich</strong> vor vielen Jahren ereilt. Ich könnte nun versuchen, ein Datum<br />

zu nennen, <strong>an</strong> dem sie m<strong>ich</strong> überfiel, doch <strong>das</strong> was <strong>ich</strong> spont<strong>an</strong> sagen würde, wäre nur<br />

die halbe Wahrheit. Genau genommen habe <strong>ich</strong>, seitdem <strong>ich</strong> ein Kind war, diese<br />

gewissen Symptome. Die Depression ist allerdings erst Jahre später offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong><br />

geworden und beherrscht seither mein Leben und m<strong>ich</strong>. Es sind diese Geschehnisse im<br />

Leben, weshalb <strong>ich</strong> heute <strong>an</strong> meinen Grenzen bin. Die m<strong>ich</strong> noch Jahre d<strong>an</strong>ach<br />

beschäftigen und bewegen, weil <strong>ich</strong> sie n<strong>ich</strong>t vergessen k<strong>an</strong>n. Da sind gewiss gute sowie<br />

schlechte Momente, <strong>an</strong> die <strong>ich</strong> denke und mit ihnen schrieb <strong>ich</strong> ohne Tinte ein Buch wie<br />

dieses.<br />

Bitte bedenkt beim Lesen, <strong>das</strong>s die folgende Schilderung auf meinen Erinnerungen und<br />

Erlebnissen beruht. Es geht n<strong>ich</strong>t darum, jem<strong>an</strong>den <strong>an</strong>zuklagen oder zu verurteilen, es<br />

geht darum, <strong>das</strong>s von mir erlebte aus meiner S<strong>ich</strong>t darzustellen. Vermutl<strong>ich</strong> werden die<br />

<strong>an</strong>deren Beteiligten eine <strong>an</strong>dere S<strong>ich</strong>t auf einige Vorgänge haben.<br />

Meine Kindheit, ist für dieses Buch eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t von Bedeutung. Ohne sie zu<br />

erzählen, könnte es den Leser aber auf eine falsche Spur bringen. Meine Depression hat<br />

unterschiedl<strong>ich</strong>e Ursachen, ein Teil basiert s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auf meiner Kindheit.


Seite 18<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 19<br />

Ich war der Älteste von insgesamt vier Kindern. Meine Mutter und mein Vater ließen<br />

s<strong>ich</strong> 1995 scheiden und führten unentwegt einen Rosenkrieg. Ich war sieben Jahre jung,<br />

innerl<strong>ich</strong> schon le<strong>ich</strong>t kaputt, ein trauriges Kind, introvertiert und mein Glaube war<br />

schon gestutzt.<br />

Wenn s<strong>ich</strong> die Eltern scheiden lassen, hilft dem Kind auch kein überirdischer Schutz. Ich<br />

fühlte m<strong>ich</strong> hilflos und zwischen den Stühlen, wenn sie s<strong>ich</strong> mal wieder stritten. Ich<br />

wollte es n<strong>ich</strong>t mehr hören, versuchte sogar mir die Ohren zuzuhalten und meine<br />

Tränen liefen, wenn <strong>ich</strong> alleine war. Gefühle galten in meiner Familie als Schwäche. Ich<br />

habe es einfach n<strong>ich</strong>t verst<strong>an</strong>den. Mamas und Papas gehören doch zusammen, ist so ein<br />

typisches Kinderbild von der Welt.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t hatten beide n<strong>ich</strong>t die Abs<strong>ich</strong>t uns in ihre Streitigkeiten reinzuziehen, aber sie<br />

taten es und merkten durch ihren Hass aufein<strong>an</strong>der n<strong>ich</strong>t, was sie bei mir <strong>an</strong>ger<strong>ich</strong>tet<br />

haben. Ich k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t sagen, was es bei meinen Geschwistern ausgelöst hat, weil wir uns<br />

n<strong>ich</strong>t nahe st<strong>an</strong>den.<br />

Kindheitserinnerungen sind bei vielen zumeist schöne und glückl<strong>ich</strong>e Szenen. Eine<br />

meiner ersten Erinnerungen, die <strong>ich</strong> noch habe, ist <strong>das</strong> Gespräch über <strong>das</strong> Sorgerecht<br />

mit einem R<strong>ich</strong>ter beim Amtsger<strong>ich</strong>t in Lehrte. Nur <strong>ich</strong> sagte „zugunsten“ meines Vaters<br />

aus. Allerdings bekam meine Mutter dennoch <strong>das</strong> Sorgerecht zugesprochen und mein<br />

Vater nur <strong>das</strong> eingeschränkte Besuchsrecht.<br />

Welches Kind sollte vor Ger<strong>ich</strong>t aussagen müssen, zu welchem Elternteil es möchte? Als<br />

Kind ist es in dem Moment die Entscheidung, wen du über die Klinge springen lässt.<br />

Auch n<strong>ich</strong>ts zu sagen, ist dennoch eine Aussage.<br />

Meine Mutter betonte stets für die Öffentl<strong>ich</strong>keit, <strong>das</strong>s sie damit kein Problem hätte,<br />

dennoch änderte s<strong>ich</strong> ihr Verhalten mir gegenüber. Zumal <strong>ich</strong> noch direkt vor dem<br />

Ger<strong>ich</strong>tsgebäude von meinem Onkel eine übergezogen bekam. Je älter <strong>ich</strong> wurde, je<br />

mehr s<strong>ich</strong> meine Persönl<strong>ich</strong>keit entwickelte, desto mehr nagte es <strong>an</strong> ihr.<br />

Ich bin meiner Mutter wie aus dem Ges<strong>ich</strong>t geschnitten, zeige aber Wesenszüge und <strong>das</strong><br />

Lächeln meines Vaters. Dies wurde im Familienkreis oft verflucht, denn mein Vater war<br />

ihnen verhasst.<br />

Meine Mutter ist der Meinung, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meinen Vater verehrte und <strong>das</strong> obwohl er so<br />

viele Fehler gemacht habe. Ich verehrte und verehre ihn aber n<strong>ich</strong>t, weil <strong>ich</strong> durchaus in<br />

der Lage war, seine Täuschungen, Lügen, faulen Kompromisse und Charmeoffensiven zu<br />

erkennen. Er war einfach ein Dummschwätzer.


Seite 20<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 21<br />

Mein Vater hat es sehr genossen, wenn er durch meine Besuche bei ihm, meine Mutter<br />

provozieren konnte. Sie hasste es, konnte aber der Provokation n<strong>ich</strong>t widerstehen. Jede<br />

Seite ist vor mir über die <strong>an</strong>dere Seite hergezogen und <strong>das</strong> in einem Ausmaß, welches<br />

ein Kind niemals hätte hören dürfen.<br />

Meine Mutter war aber auch n<strong>ich</strong>t in der Lage, zu erkennen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meinen Vater<br />

durchschaut hatte. Sie unterschätzte m<strong>ich</strong>, ebenso wie viele <strong>an</strong>dere im Laufe meines<br />

Lebens. Es gab aber nur eine kurze Zeit, in der <strong>ich</strong> es hasste, unterschätzt zu werden, <strong>ich</strong><br />

habe gelernt diese "Schwäche" in meine "Stärke" zu verw<strong>an</strong>deln.<br />

Rückblickend zu sagen, <strong>ich</strong> hatte keine schöne Kindheit und Jugendzeit trifft es n<strong>ich</strong>t<br />

<strong>an</strong>nähernd. Ich fühlte m<strong>ich</strong> von meinen Eltern n<strong>ich</strong>t geliebt, sondern im besten Fall als<br />

Mittel zum Zweck, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> die beiden bekriegen konnten.<br />

Ich k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t mit Bestimmtheit behaupten, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> nie von meinen Eltern geliebt<br />

wurde, aber wie so oft ist hier <strong>das</strong> eigene Gefühl entscheidend. Ich fühlte m<strong>ich</strong> schon<br />

bevor <strong>ich</strong> 12 Jahre alt wurde, als ein Niem<strong>an</strong>d. Ich merkte aber, <strong>das</strong>s es in <strong>an</strong>deren<br />

Familien deutl<strong>ich</strong> <strong>an</strong>ders zuging und dies gab mir die Gewissheit, <strong>das</strong>s bei uns zu Hause<br />

etwas n<strong>ich</strong>t so g<strong>an</strong>z r<strong>ich</strong>tig abläuft.<br />

Schlimmer noch, <strong>ich</strong> hatte <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s für m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>dere Regeln gelten, als für meine<br />

Geschwister. Die meisten werden denken, na ja, er ist halt <strong>das</strong> älteste Kind und diese<br />

Empfindungen werden viele ältere Kinder auch haben. Ja stimmt, dennoch hatte meine<br />

Erziehung eine deutl<strong>ich</strong>e körperl<strong>ich</strong>e Auswirkung. Dadurch entst<strong>an</strong>d natürl<strong>ich</strong> auch eine<br />

Zweiklassengesellschaft unter uns Geschwistern.<br />

Nur um mal ein Beispiel zu nennen: Ich habe mit 13 Jahren ein paar Matchbox-Autos aus<br />

einem V-Markt geklaut und m<strong>ich</strong> erwischen lassen. Diebstahl ist n<strong>ich</strong>t r<strong>ich</strong>tig und muss<br />

auch durch die Eltern geahndet werden. Meine Strafe war drastisch. Ich wurde von<br />

meiner Mutter mit dem Rohrstock windelwe<strong>ich</strong> geprügelt, so <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> für einige Zeit<br />

n<strong>ich</strong>t mehr sitzen konnte, ohne Schmerzen zu haben. Hinzu kamen Taschengeldentzug<br />

und 2 Wochen Stubenarrest. Als meine kleine Schwester einige Jahre später eben<strong>falls</strong><br />

klaute und erwischt wurde, bekam sie 1 Woche Stubenarrest und mehr n<strong>ich</strong>t. Ich finde<br />

es gut, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t geschlagen wurde. Aber warum wurde <strong>ich</strong> verprügelt? Eine<br />

erzieherische Weiterentwicklung f<strong>an</strong>d zwischen den Ereignissen n<strong>ich</strong>t statt, denn <strong>ich</strong><br />

wurde weiterhin geprügelt.<br />

Einer Freundin von mir wurde <strong>das</strong> herunterladen von Musik und Filmen von ihren Eltern<br />

verboten. Das war für sie n<strong>ich</strong>t immer verständl<strong>ich</strong>, da aber auch die Eltern keine<br />

Raubkopien hatten, war klar, <strong>das</strong>s es eine Regel ist, die für alle gilt. Meine Mutter hatte<br />

diverse Raubkopien, hat also effektiv auch einen "Diebstahl" beg<strong>an</strong>gen, warum gilt die


Seite 22<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 23<br />

Regel für m<strong>ich</strong> und warum n<strong>ich</strong>t für sie? Auf meine Nachfrage bekam <strong>ich</strong> nur zur<br />

Antwort, <strong>das</strong>s sie erwachsen und <strong>ich</strong> noch ein Kind sei. Schon als Kind wusste <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s<br />

diese Argumentation däml<strong>ich</strong> war. Sie hat ihre Vorbildfunktion n<strong>ich</strong>t erfüllt.<br />

Ich will keineswegs behaupten, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> dadurch zum Klauen <strong>an</strong>gestiftet wurde, denn<br />

<strong>das</strong> ist Quatsch. Ich klaute und lies m<strong>ich</strong> mit Abs<strong>ich</strong>t erwischen. Warum? Bei uns ging oft<br />

<strong>das</strong> Jugendamt ein und aus. Doch egal was <strong>ich</strong> sagte, <strong>ich</strong> hatte <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s sol<strong>an</strong>ge<br />

die Wohnung aufgeräumt war, <strong>das</strong> Kindeswohl n<strong>ich</strong>t gefährdet war.<br />

Meine Mutter hatte gute Kontakte zum Jugendamt, also musste <strong>ich</strong> mir etwas <strong>an</strong>deres<br />

einfallen lassen, um vielle<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>dere öffentl<strong>ich</strong>e Einr<strong>ich</strong>tungen auf m<strong>ich</strong> aufmerksam<br />

und so die Missstände bek<strong>an</strong>nt zu machen. Leider hatte meine Mutter aber wohl auch<br />

Kontakte zur Polizei.<br />

M<strong>an</strong> sieht, <strong>ich</strong> wollte n<strong>ich</strong>t zu Hause sein, doch auch in der Schule oder in meiner<br />

Freizeit hatte <strong>ich</strong> keine Ruhe.<br />

Ich wurde jeden verdammten Tag beleidigt, gedemütigt, beklaut, erpresst, bedroht und<br />

verprügelt. Natürl<strong>ich</strong> nur, wenn <strong>ich</strong> einer Überzahl gegenüber st<strong>an</strong>d.<br />

Ja, <strong>ich</strong> war dick aber <strong>ich</strong> ließ m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t unterbuttern. Ich war n<strong>ich</strong>t so cool wie <strong>an</strong>dere<br />

und hatte weniger Markenklamotten.<br />

Ich hatte es satt, die abgelegte Kleidung aus der Familie oder aus Altkleider-Containern,<br />

die meine Mutter durch ihre Kontakte bekam, zu tragen. Ich bekam natürl<strong>ich</strong> auch neue<br />

Sachen, allerdings entsprachen diese selten meinem Geschmack. Dennoch war mir klar,<br />

<strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> meine Mutter es s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t leisten konnte, uns alle mit Markenware zu<br />

versorgen. Auch wenn mein Vater Unterhalt für uns vier Kinder gezahlt hätte, wäre es<br />

ihr s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong> gewesen, uns entsprechend auszustatten. Ich halte ihr zu<br />

Gute, <strong>das</strong>s wir immer vernünftig <strong>an</strong>gezogen waren.<br />

So kam es, <strong>das</strong>s die Zahl meiner Peiniger von Tag zu Tag größer wurde. Ich erk<strong>an</strong>nte wie<br />

mächtig die Maschinerie der Mundpropag<strong>an</strong>da sein und wie wenig m<strong>an</strong> dagegen tun<br />

k<strong>an</strong>n. Auch die Mädchen schreckten n<strong>ich</strong>t davor zurück, in die gle<strong>ich</strong>e Kerbe zu schlagen.<br />

Viele von meinen Peinigern wussten noch n<strong>ich</strong>t einmal wie <strong>ich</strong> heiße. Viele spr<strong>an</strong>gen<br />

einfach mit auf den Zug, da sie meinten, sie würden den Humor der Zeit damit treffen.<br />

Schon morgens im Bett schüttete mein Körper eine Menge Adrenalin aus, weil <strong>ich</strong><br />

wusste, <strong>ich</strong> muss zur Schule. Zu Hause zu bleiben, war keine Option, denn dort war es<br />

n<strong>ich</strong>t besser.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 25<br />

Meine Mutter heiratete mittlerweile <strong>das</strong> vierte Mal (aktualisierter St<strong>an</strong>d 2018). Die<br />

ersten beiden Männer nach meinem Vater, nennen wir sie doch M<strong>an</strong>ni und Mikael,<br />

schreckten absolut n<strong>ich</strong>t vor Gewalt gegenüber einem Kind zurück.<br />

M<strong>an</strong>ni hatte meiner Meinung nach einen Napoleon-Komplex und war ein Blender vor<br />

dem Herrn. Mit der Zeit isolierte er uns Kinder von den Omas väterl<strong>ich</strong>erseits. Wir haben<br />

nur am R<strong>an</strong>de erfahren, <strong>das</strong>s unsere Uroma verstorben war, die s<strong>ich</strong> in meinem<br />

Kleinkinderalter rührend um m<strong>ich</strong> kümmerte. Meine Mutter bes<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> nach der<br />

Trennung, so <strong>das</strong>s unsere Oma uns zumindestens wieder ab und zu sehen durfte.<br />

Obwohl auch diese Ehe zum Glück geschieden wurde, trauerte <strong>ich</strong> ihm irgendwie nach,<br />

denn er war einer der wenigen Männer die in meinem Leben vorkamen. St<strong>ich</strong>punkt<br />

Bezugsperson. Diese Trennung war für meine Mutter <strong>an</strong>ders als die <strong>an</strong>deren. M<strong>an</strong>ni hat<br />

sie wegen einer Anderen abgeschossen und <strong>das</strong> nagte <strong>an</strong> ihrem Ego. Meiner Meinung<br />

nach wurde sie in der Folge deutl<strong>ich</strong> berechnender und kühler im Verhalten gegenüber<br />

<strong>an</strong>deren Männern und Menschen.<br />

Mikael, der nächste Stiefvater, war ein trockener Alkoholiker und Spieler. Er hatte auch<br />

schon einige Zeit im Gefängnis verbracht Ich befürworte grundsätzl<strong>ich</strong> 2. Ch<strong>an</strong>cen im<br />

Leben. Mikael hatte sie aber n<strong>ich</strong>t verdient, denn er fasste m<strong>ich</strong> gegen meinen Willen<br />

<strong>an</strong>, als er noch in der Nachbarschaft wohnte und nur der "Freund" meiner Mutter war.<br />

Es war ein Alptraum, als er meine Mutter heiratete und mir klar wurde, <strong>das</strong>s er Teil<br />

unserer Familie wurde und nun länger oder ewig bleiben würde.<br />

Diese beiden Stiefväter maßten s<strong>ich</strong>, trotz ihrer Affinität zu Gewalt gegenüber Kindern,<br />

Meinungen über meinen Vater <strong>an</strong>. Dabei k<strong>an</strong>nten sie ihn n<strong>ich</strong>t mal r<strong>ich</strong>tig.<br />

Die Gewalt die <strong>ich</strong> erlebte, wurde mit Kochlöffel, Rohrstock, Latschen, Gürtel, Lineal,<br />

Faust, Fuß oder H<strong>an</strong>d ausgeführt. Schlagwerkzeuge wurden s<strong>ich</strong> sogar<br />

Haushaltsübergreifend (T<strong>an</strong>te/Mutter) gegenseitig geschenkt, wenn m<strong>an</strong> etwas<br />

Passendes zufällig entdeckte. Bei einem Kochlöffel, gab es die Situation, da dachten sie<br />

sofort, wie s<strong>ich</strong> dieser s<strong>ich</strong> wohl auf der Haut machen würde und wie gut er in der H<strong>an</strong>d<br />

liegen würde. Auch die Robustheit wurde hierbei begutachtet, da m<strong>an</strong> bei einer<br />

Gewalttat mal einen zerbrach. Wie barbarisch muss m<strong>an</strong> denn bitte sein, um einen<br />

Kochlöffel beim Einprügeln auf ein Kind, zerbrechen zu können?<br />

Warum schritt meine Mutter n<strong>ich</strong>t ein? Hätte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als Kind stets fragen können,<br />

doch <strong>das</strong> habe <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, denn sie gab diesen Männern die Erlaubnis dazu. Wegschauen<br />

oder n<strong>ich</strong>t verbieten wäre eben<strong>falls</strong> eine Einladung für diese Männer gewesen.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 27<br />

Ich wurde also mit der Erlaubnis meiner Mutter durch meine Stiefväter verprügelt,<br />

dennoch passierten viele Dinge, von denen meine Mutter (hoffentl<strong>ich</strong>) keine Kenntnis<br />

hat. Darüber mag <strong>ich</strong> auch gar n<strong>ich</strong>t sprechen oder schreiben, denn sie zeigen keinerlei<br />

menschl<strong>ich</strong>e Züge.<br />

Meine Mutter war s<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t zu schade selber aktiv zu werden. D<strong>an</strong>n kam der Tag,<br />

<strong>das</strong>s sie merkte, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Kräfteverhältnis s<strong>ich</strong> zu meinen Gunsten änderte. Seit dem hat<br />

sie n<strong>ich</strong>t mehr ihre H<strong>an</strong>d gegen m<strong>ich</strong> erhoben. Mir war stets klar, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meine Mutter<br />

niemals schlagen würde. Sie war s<strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t s<strong>ich</strong>er, ob <strong>ich</strong> durch die jahrel<strong>an</strong>ge<br />

Gewalt durch sie, n<strong>ich</strong>t doch zuschlagen würde.<br />

Für diese Menschen ist Gewalt eine Rechtfertigung, Lebenseinstellung und n<strong>ich</strong>t zu<br />

vergessen eine Form der Kindeserziehung. Es gibt viele Belege und auch Zeugen dafür,<br />

<strong>das</strong>s Gewalt in unserem Haushalt stattf<strong>an</strong>d. Dies k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t abstreiten. Für m<strong>ich</strong><br />

war die Verharmlosung fast schon schlimmer als die Schläge selber. Es gab doch nur mal<br />

einen Klaps auf den Hintern. Nein! Das trifft es n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>nähernd.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n wurde <strong>ich</strong> wie eine abgetragene Je<strong>an</strong>s <strong>an</strong> eine T<strong>an</strong>te, ihren M<strong>an</strong>n und<br />

meine beiden <strong>an</strong>geheirateten Cousinen, abgegeben. Die Gewalt endete jedoch n<strong>ich</strong>t.<br />

Meine T<strong>an</strong>te war ein Double meiner Mutter, nur war ihr Verhalten ausgereifter.<br />

Es fällt mir schwer, den Aufenthalt dort zu beschreiben, zunächst dachte <strong>ich</strong> <strong>an</strong> einen<br />

Hitlerjugendvergle<strong>ich</strong>, aber <strong>das</strong> trifft es n<strong>ich</strong>t, dort sollten s<strong>ich</strong> die Jugendl<strong>ich</strong>en ja wohl<br />

fühlen. Vielle<strong>ich</strong>t ist ein Bootcamp (amerik<strong>an</strong>ische Erfindung für jugendl<strong>ich</strong>e Straftäter)<br />

<strong>das</strong> bessere Beispiel, denn <strong>ich</strong> sah meine T<strong>an</strong>te immer als kontrollierenden Feldwebel.<br />

Frau Knüppelkuh aus dem Film Matilda diente mir als exemplarisches Bildmaterial.<br />

Meine T<strong>an</strong>te wollte von mir absolute gesteuerte Gehorsamkeit und war ohne weiteres<br />

mit einem Feldwebel der Bundeswehr zu vergle<strong>ich</strong>en. Auch dort ging es um Gehorsam<br />

und Ordnung. Jeder von uns kennt die Gesch<strong>ich</strong>ten der Wehrdienstleistenden, die bei<br />

einer Stubenkontrolle zusehen durften, wie ihr Spintinhalt auf den Boden gekippt<br />

wurde, weil etwas darin n<strong>ich</strong>t ordentl<strong>ich</strong> war. Ich habe <strong>das</strong> bereits bei meiner T<strong>an</strong>te<br />

kennengelernt. Waren meine T-Shirts und Pullover n<strong>ich</strong>t exakt genau so<br />

zusammengelegt wie ihr Muster, f<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> meinen Schr<strong>an</strong>kinhalt auf dem Fußboden<br />

wieder.<br />

Es gibt eine weitere Parallele zum Grundwehrdienst. Ebenso wie dort, herrschte ein<br />

harscher Ton und sie befahl, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> Sport zu machen habe. Ich musste also regelmäßig<br />

einen Berg hoch und runter rennen. Weigerte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, klemmte sie meinen Arm fest<br />

und lief mit mir den Berg hinauf. Sport ist n<strong>ich</strong>t schön, wenn er befohlen wird. Natürl<strong>ich</strong>


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Wie aus einem wem ein was wurde


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wurde mein Ungehorsam entsprechend bestraft. Sie überwachte mein Gew<strong>ich</strong>t penibel,<br />

denn sie duldete kein Übergew<strong>ich</strong>t, hätte m<strong>an</strong> meinen können.<br />

Mein Onkel blies in <strong>das</strong> gle<strong>ich</strong>e Horn, doch <strong>das</strong> konnte <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t verstehen. Während<br />

mein Gew<strong>ich</strong>t immer kontrolliert wurde und <strong>ich</strong> auch mit S<strong>an</strong>ktionen rechnen musste,<br />

war mein Onkel frei von dieser Last. Dabei war er n<strong>ich</strong>t nur le<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>gedickt wie eine<br />

feine Soße, er war einfach fett. Eine Stoffwechselerkr<strong>an</strong>kung mit dem Namen 200g<br />

Milka Schokoladentafeln und Süßgetränke formten ihn.<br />

Auch hier ging die Gewalt weiter. N<strong>ich</strong>t nur von meiner T<strong>an</strong>te sondern auch durch ihre<br />

beiden Ehemänner (nennen wir sie einfach Peterle und Herbi).<br />

Ich war in einer Gewaltspirale gef<strong>an</strong>gen. Je öfter sie m<strong>ich</strong> schlugen, desto mehr verloren<br />

sie ihr Maß. Immer heftiger lebten sie ihre Gewalt <strong>an</strong> mir aus. Irgendw<strong>an</strong>n hatte <strong>ich</strong><br />

d<strong>an</strong>n ein blaues Auge, weil m<strong>ich</strong> Herbi so durch die Gegend schleuderte, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> <strong>an</strong> eine<br />

Stuhlk<strong>an</strong>te mit dem Auge prallte. Ratet mal was <strong>ich</strong> am nächsten Tag in der Schule auf<br />

Nachfrage n<strong>ich</strong>t be<strong>an</strong>tworten sollte?<br />

Herbi, der es dir zu verd<strong>an</strong>ken hatte, <strong>das</strong>s du seinen Sohn vor dem Ertrinken bewahrtest,<br />

zeigt dir seine D<strong>an</strong>kbarkeit, in Form von Vorverurteilung, Gewalt und Verachtung.<br />

Was nie jem<strong>an</strong>d, bis heute wusste, ist, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> damals auch seine Tochter, also meine<br />

Cousine beschützte. Ich tat es, indem <strong>ich</strong> schlecht in der Schule war. Kein Scherz und<br />

auch keine Ausrede! Wir gingen damals n<strong>ich</strong>t nur auf eine Schule, sondern waren auch<br />

in einer Klasse.<br />

Bereits bei der Einteilung in die Klassen in der Aula der KGS Sehnde wusste <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

kommende Schuljahr kein Vergnügen werden würde. Die Sprüche und Reaktionen<br />

meiner T<strong>an</strong>te und meiner Mutter waren diesbezügl<strong>ich</strong> eindeutig.<br />

Mir war klar, <strong>das</strong>s meine Cousine und <strong>ich</strong> im ständigen Konkurrenzkampf stehen würden<br />

und <strong>ich</strong> habe ihr n<strong>ich</strong>t zugetraut, <strong>das</strong> durchzustehen. Sie wird es s<strong>ich</strong>er n<strong>ich</strong>t zugeben,<br />

aber sie hätte den Druck n<strong>ich</strong>t ertragen.<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n m<strong>ich</strong> nun für eingebildet halten, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sie so einschätze und ihr die<br />

Entscheidung abnahm. Dennoch glaube <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>tig h<strong>an</strong>delte, denn <strong>ich</strong> sah<br />

einige Male ihre Tränen. Was hatte <strong>ich</strong> zu verlieren? Meine Mutter und meine T<strong>an</strong>te<br />

hassten m<strong>ich</strong> sowieso. Kam es darauf <strong>an</strong>, wenn <strong>ich</strong> zusätzl<strong>ich</strong> noch schlechte Noten<br />

hätte? Nein! Wäre <strong>ich</strong> bereit gewesen, noch einmal sitzen zu bleiben, um zumindest<br />

meiner Cousine zu helfen? Oh ja, <strong>das</strong> wäre <strong>ich</strong> gewesen.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 31<br />

In der Orientierungsstufe, wenn <strong>ich</strong> mal bei einem Test besser war als sie, spürte sie den<br />

Druck durch meine T<strong>an</strong>te deutl<strong>ich</strong>. Sie wurde d<strong>an</strong>n gemaßregelt.<br />

Nach zwei Jahren trennten s<strong>ich</strong> unsere Wege in der Schule und <strong>ich</strong> zog auch wieder in<br />

den Haushalt meiner Mutter. Ich besuchte die Hauptschule und sie die Realschule der<br />

KGS Sehnde. Nun konnte <strong>ich</strong> mein wahres Potenzial zeigen und schaffte es, in n<strong>ich</strong>t mal<br />

einem Jahr, so gute Noten zu haben, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr für die Hauptschule tragbar<br />

war und auf die Realschule gehen musste. Dies gel<strong>an</strong>g mir trotz der <strong>an</strong>haltenden Gewalt<br />

und dem psychischen Stress im Privatleben und in der Schule durch einen enormen<br />

Krafakt.<br />

Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, wieder mit ihr in eine Klasse zu gehen. Daher habe<br />

<strong>ich</strong> gegenüber meiner Klassenlehrerin <strong>an</strong>gegeben, <strong>das</strong>s meine größten Mobber auch in<br />

diese Klasse gingen. Ich sagte ihr, <strong>das</strong>s die Sozialprognose für m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t sehr gut<br />

ausfallen würde. So konnte <strong>ich</strong> Schule und Mutter überlisten und gle<strong>ich</strong>zeitig im<br />

Hintergrund dafür sorgen, <strong>das</strong>s meine Cousine in Ruhe weiter arbeiten konnte.<br />

Sie hat davon nie etwas geahnt, denn offiziell hatten wir ein typisches Cousinverhältnis,<br />

doch tief im Inneren sah <strong>ich</strong> in ihr so viel Potenzial, so viel Menschl<strong>ich</strong>keit, so viel mehr<br />

Zukunft als in mir selber. Vielle<strong>ich</strong>t wird sie mir <strong>das</strong> nie glauben, aber <strong>das</strong> ist auch n<strong>ich</strong>t<br />

w<strong>ich</strong>tig. Denn jem<strong>an</strong>d der einen Notendurchschnitt von 4,3 hatte und plötzl<strong>ich</strong> ein Jahr<br />

später mit einer 2 als schlechteste Note <strong>das</strong>teht und auf die Realschule versetzt wird,<br />

muss <strong>das</strong> mit Abs<strong>ich</strong>t gemacht haben, <strong>an</strong>ders ist <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t zu erklären.<br />

Meine T<strong>an</strong>te, schmückte s<strong>ich</strong> mit meinem Erfolg, da sie öffentl<strong>ich</strong> tönte, sie habe mir<br />

<strong>das</strong> Lernen beigebracht und auf Kurs gebracht. Sie wurde dafür mehr gefeiert, als <strong>ich</strong><br />

positiv erwähnt. Dabei war <strong>das</strong> eine Lüge. Dies war mir aber im Grunde egal, denn <strong>ich</strong><br />

wusste es besser, und nur <strong>das</strong> zählt.<br />

Ich wurde in die Klasse gesteckt, in der s<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> die meisten meiner Mobber<br />

bef<strong>an</strong>den. Ich wußte es vorher und war damit zufrieden, denn <strong>ich</strong> wusste, <strong>ich</strong> helfe<br />

damit meiner Cousine.<br />

Wie viel erträgt m<strong>an</strong>, bis m<strong>an</strong> seine Menschl<strong>ich</strong>keit ausschaltet? Wie viel Leid ist genug?<br />

Nach der Versetzung nahm die Gewalt in der Schule noch einmal stetig zu. Ich schaffte<br />

es n<strong>ich</strong>t mehr bestimmte Denkprozesse abzuschließen und es machte s<strong>ich</strong> eine<br />

deutl<strong>ich</strong>e mentale Müdigkeit bemerkbar.<br />

Ich wusste, es muss s<strong>ich</strong> etwas ändern. Ich versuchte also den Stress, die Probleme und<br />

den Ärger, die von überall auf m<strong>ich</strong> einstürzten, zu bündeln. Ich bereitete m<strong>ich</strong> gezielt


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Wie aus einem wem ein was wurde


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auf eine Situation vor, in der <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> meinen Peinigern stellen wollte. Ich wollte m<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t nur der Situation stellen, <strong>ich</strong> wollte sie auf jeden Fall meistern.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n kam der Tag, als sie wieder in der Schule auf m<strong>ich</strong> losgingen. Aber dieses<br />

Mal lief <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t weg, um m<strong>ich</strong> der Gewalt zu entziehen.<br />

In ihren Blicken sah <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s sie diese Veränderung zu sonst bemerkten und s<strong>ich</strong><br />

deshalb zögerl<strong>ich</strong>er näherten. Insgesamt waren es <strong>an</strong> diesem Tag, vier aktive Jungs und<br />

ein dutzend Zuschauer. Die Vorhut bildeten 2 Jungs, die mir einen Schlag in die<br />

Magengrube gaben und <strong>an</strong>schließend traten, als <strong>ich</strong> am Boden lag. Durch die Zuschauer<br />

<strong>an</strong>gestachelt, fragten sie m<strong>ich</strong> wie so häufig, was <strong>ich</strong> nun machen will. Wo <strong>ich</strong> sonst<br />

schwieg und versuchte wegzulaufen, sagte <strong>ich</strong> die Worte: "Es wird Zeit <strong>das</strong> heraus zu<br />

finden".<br />

Ich st<strong>an</strong>d auf und konzentrierte m<strong>ich</strong> auf den Stärksten, also ihren Anführer.<br />

Ich hatte mir überlegt m<strong>ich</strong> zu wehren, nachdem <strong>ich</strong> die ersten Angriffe überst<strong>an</strong>den<br />

hatte. Ich gebe zu, im Rahmen meiner Überlegungen waren die ersten Angriffe n<strong>ich</strong>t so<br />

schmerzhaft. Aber so war klar, <strong>das</strong>s sie mit der Gewalt <strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen haben und <strong>das</strong><br />

beruhigte mein Gewissen und sollte d<strong>an</strong>n auch gegenüber der Schulleitung als<br />

Rechtfertigung dienen.<br />

Meine Idee war, nur den Anführer <strong>an</strong>zugreifen, um ihn zu besiegen. Die Idee kam mir als<br />

wir die Evolutionstheorie in der Schule besprochen haben. Dort wurde der Satz:<br />

"Survival of the fittest" gen<strong>an</strong>nt und erklärt. Lebewesen die s<strong>ich</strong> am besten <strong>an</strong>passen,<br />

werden am ehesten überleben. Auch durch meine Schwester die einen Narren <strong>an</strong><br />

Hunden f<strong>an</strong>d und somit lauter Zeitschriften hatte, f<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> etwas zum Thema<br />

Rudelverhalten und las immer wieder etwas über die Stellung des Alphatieres im Rudel.<br />

Als letztes Puzzleteil kamen mir die vielen Gespräche mit dem Schulpsychologen Dr.<br />

Dressler in Erinnerung, der mir immer mal wieder etwas über die Psyche des Menschen<br />

erzählte.<br />

Egal wer m<strong>ich</strong> von den Vieren <strong>an</strong>griff, <strong>ich</strong> ging immer nur auf den Anführer, sol<strong>an</strong>ge er<br />

s<strong>ich</strong> auf den Beinen halten konnte. So holte <strong>ich</strong> mir ihren Respekt für diesen Kampf. Ich<br />

musste nur beachten mit dem Rücken zur W<strong>an</strong>d zu stehen und m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in die Mitte<br />

ziehen zu lassen, denn so mussten sie von vorne <strong>an</strong>greifen und da konnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

verteidigen.<br />

Mir war klar, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t alle vier Jungen besiegen würde. Ich baute aber auf die<br />

Psychologie und den Überraschungsmoment.


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Besiegt m<strong>an</strong> den Stärksten, also denjenigen, der den <strong>an</strong>deren S<strong>ich</strong>erheit gibt, werden sie<br />

<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen zu zweifeln und m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n aus Respekt und auch Angst n<strong>ich</strong>t mehr <strong>an</strong>greifen.<br />

Mit jedem meiner Schläge wuchs mein psychologischer Vorteil und tatsächl<strong>ich</strong> ergriffen<br />

sie die Flucht. Sie hatten mir einiges abverl<strong>an</strong>gt und <strong>ich</strong> habe auch einiges <strong>an</strong> Schlägen<br />

eingesteckt, doch es war der erhoffte Erfolg.<br />

Es war <strong>das</strong> erste Mal, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> geprügelt habe. Vorher habe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> nur mal mit<br />

meinen Geschwistern gekabbelt. Ich war darauf n<strong>ich</strong>t stolz, denn <strong>ich</strong> fürchtete wie<br />

meine Familie geworden zu sein und <strong>ich</strong> jetzt bereit wäre, seelische oder körperl<strong>ich</strong>e<br />

Gewalt als vernünftige Alternative zu sehen, um meine Angelegenheiten zu regeln. Die<br />

Schulleitung wusste durch meine vielen Beschwerden und dem Eingreifen der<br />

Pausenaufs<strong>ich</strong>ten, was die Jungen mit mir über die Jahre machten. Dennoch wurde <strong>ich</strong><br />

auch für die Prügelei suspendiert und mir wurde zu meinem Schutz ein Schulwechsel<br />

nahegelegt.<br />

Mein Leben sollte s<strong>ich</strong> jedoch kurz nach diesem Ereignis radikal ändern.<br />

Ich war <strong>an</strong> einem Wochenende bei meinem Vater und seiner Frau. Ich bin ein<br />

Frühaufsteher, sogar schon als Kind. Daher frühstückte <strong>ich</strong> bei meinem Vater meistens<br />

alleine. Verschlafen tippelte <strong>ich</strong>, wegen den knarrenden Holzdielen, in R<strong>ich</strong>tung Küche.<br />

Ich trat auf dem Weg dorthin in eine Spritze. Diese war von meiner Stiefmutter, denn sie<br />

war heroinsüchtig und setzte s<strong>ich</strong> dieses Mal <strong>an</strong>scheinend einen zu großen Schuss, so<br />

<strong>das</strong>s sie ihr Material n<strong>ich</strong>t vollständig beseitigte.<br />

Ich wusste schon l<strong>an</strong>ge, <strong>das</strong>s sie heroinabhängig war, weil sie stets l<strong>an</strong>gärmlige Kleidung<br />

trug und s<strong>ich</strong> auch so komisch verhielt. Ab und <strong>an</strong> sah <strong>ich</strong> auch die Einst<strong>ich</strong>e in der Haut,<br />

wenn sie aus dem Bad kam. Wöchentl<strong>ich</strong> holte sie s<strong>ich</strong> auch ihr Methadon von einem<br />

Träger namens Drobel in Lehrte ab. Doch wenn m<strong>an</strong> die Menschen davor sah, bekam<br />

m<strong>an</strong> schon ein klares Bild, selbst als Kind.<br />

Mir war jedoch auch bewusst, <strong>das</strong>s sie kr<strong>an</strong>k war. Sie litt <strong>an</strong> ausgebrochenem HIV. Ich<br />

habe Angst vor Spritzen und dies machte <strong>das</strong> Erlebnis noch schlimmer für m<strong>ich</strong>. N<strong>ich</strong>t<br />

nur der St<strong>ich</strong> <strong>an</strong> s<strong>ich</strong>, auch <strong>das</strong> Herausziehen der Spritze führten dazu, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

verkrampfte und kaum in der Lage war, dieses Gefühl zu ertragen. D<strong>an</strong>n merkte <strong>ich</strong><br />

jedoch, wie mein Körper auf den Rest des Heroins reagierte. Ich fühlte m<strong>ich</strong> betäubt und<br />

<strong>ich</strong> hörte die Geräusche vom Straßenverkehr und dem Schnarchen meines Vaters um<br />

m<strong>ich</strong> herum plötzl<strong>ich</strong>, als hätte <strong>ich</strong> Kopfhörer aufgesetzt. Ich fühlte m<strong>ich</strong> schlagartig


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Wie aus einem wem ein was wurde


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müde. Dennoch habe <strong>ich</strong> geistesgegenwärtig die Spritze in mehrere Sch<strong>ich</strong>ten<br />

Toilettenpapier eingewickelt und in meinen Rucksack gestopft. Wieso <strong>ich</strong> <strong>das</strong> tat, weiß<br />

<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Wahrscheinl<strong>ich</strong> funktionierte <strong>ich</strong> nur noch wie eine vorprogrammierte<br />

Maschine.<br />

Nachdem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wieder hinlegte, schlief <strong>ich</strong> untypisch l<strong>an</strong>g bis mittags durch, ehe <strong>ich</strong><br />

mit dem Fahrrad wieder zu meiner Mutter fahren musste.<br />

Ich konnte m<strong>ich</strong> meinem Vater n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>vertrauen. Einerseits s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>, weil er bestimmt<br />

bef<strong>an</strong>gen gewesen wäre, da <strong>ich</strong> in die Spritze seiner Frau trat. Andererseits hatte <strong>ich</strong> ihm<br />

am 22.5.1999 einmal erzählt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr leben möchte, weil <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

geliebt fühle und die Welt einfach kalt für m<strong>ich</strong> sei. Nach längerem Schweigen ohne<br />

Blickkontakt, während er nur auf seinem Keks kaute und aus dem Fenster schaute,<br />

fragte er m<strong>ich</strong>, ob <strong>ich</strong> ihm die Haare kämmen würde. Kein Wort, keine Reaktion zu dem,<br />

was ihm sein 11-jähriger Sohn gerade sagte. Ich fühlte m<strong>ich</strong> damals schon n<strong>ich</strong>t<br />

wahrgenommen oder w<strong>ich</strong>tig genug für eine Antwort. Dieses Gefühl wollte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

erneut haben. Vor allem war <strong>ich</strong> mir n<strong>ich</strong>t s<strong>ich</strong>er, ob er s<strong>ich</strong> für seine Frau entscheiden<br />

und <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n umso mehr als "<strong>das</strong> Abfallprodukt des Universum" fühlen würde. Für<br />

m<strong>ich</strong> war Familie n<strong>ich</strong>t nur ein Wort, aber wenn m<strong>an</strong> bereits als Kind den Wunsch<br />

verspürt n<strong>ich</strong>t mehr leben zu wollen und Gewalt als "normales Leben" erfährt, d<strong>an</strong>n<br />

läuft etwas r<strong>ich</strong>tig schief. Aus meiner S<strong>ich</strong>t k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> sagen, lass es d<strong>an</strong>n mögl<strong>ich</strong>st schnell<br />

vorbei sein. Wenn <strong>ich</strong> heute <strong>an</strong> diesen Tag zurückdenke (22.05.1999) ist es einer der<br />

Schlüsselmomente, in denen s<strong>ich</strong> mein Leben veränderte. Ich fühlte m<strong>ich</strong> wie etwas<br />

gebrauchtes, mein Herz ist n<strong>ich</strong>t mehr neu und ohne Gebrauchsspuren, seitdem habe<br />

<strong>ich</strong> ein Herz aus zweiter H<strong>an</strong>d.<br />

Ich fuhr also mit dem Fahrrad zurück zu meiner Mutter ohne vorher mit meinem Vater<br />

zu sprechen. Wir waren zwischenzeitl<strong>ich</strong> nach Klein Lobke gezogen, ein Mini-Dorf mit<br />

sehr bescheidener Anbindung.<br />

Statt wie sonst eine Stunde brauchte <strong>ich</strong> dieses Mal gut 2 1/2 Stunden. Immer wieder<br />

wurde mir schwindelig und <strong>ich</strong> musste aufpassen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in den Straßengraben<br />

fahre.<br />

Als <strong>ich</strong> zu Hause <strong>an</strong>kam, war <strong>ich</strong> völlig durchgeschwitzt und fertig. Ich bin d<strong>an</strong>n direkt in<br />

mein Zimmer geg<strong>an</strong>gen und habe m<strong>ich</strong> hingelegt. Ich wachte erst am nächsten Tag in<br />

meinen Klamotten vom Vortag wieder auf.<br />

Da saß <strong>ich</strong> jetzt und fragte m<strong>ich</strong>, was <strong>das</strong> für m<strong>ich</strong> bedeutet. Computer und Internet<br />

waren damals noch n<strong>ich</strong>t so verbreitet, Google konnte m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t mal eben befragen.<br />

Aber <strong>an</strong> wen sollte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wenden? Ich überlegte den g<strong>an</strong>zen Tag <strong>an</strong> wen <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>


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Wie aus einem wem ein was wurde


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wenden könnte, drückte m<strong>ich</strong> doch die Angst, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t HIV infiziert haben<br />

könnte. Aber so recht kam niem<strong>an</strong>d infrage. Entweder wohnten sie zu weit weg oder <strong>ich</strong><br />

traute ihnen n<strong>ich</strong>t. Es fällt schwer zu vertrauen, wenn es <strong>an</strong>deren so le<strong>ich</strong>t fällt zu lügen.<br />

Zwei Tage später nahm <strong>ich</strong> meinen Mut der Verzweiflung zusammen und fragte meine<br />

Mutter, ob <strong>ich</strong> mit ihr reden könnte. M<strong>an</strong> merkte, <strong>das</strong>s sie <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nt war, denn wenn<br />

<strong>ich</strong> zu ihr kam und mit ihr reden wollte, d<strong>an</strong>n war es auch w<strong>ich</strong>tig. Ich hatte mir vorher<br />

Ged<strong>an</strong>ken gemacht, wie <strong>ich</strong> ihr alles erzählen könnte.<br />

Sie saß in unserer Küche und <strong>ich</strong> verschloss alle Türen, die zur Küche führen, um in Ruhe<br />

mit ihr sprechen zu können. Ich wollte n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> mein Stiefvater einmischt und<br />

seinen unqualifizierten Senf dazu gibt. Bevor <strong>ich</strong> ihr alles erzählte, forderte <strong>ich</strong> von ihr<br />

<strong>das</strong> Versprechen, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t die Polizei einschaltet. Ich rechnete zwar n<strong>ich</strong>t damit,<br />

<strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> ihr Versprechen hält, dennoch war <strong>ich</strong> bereit, diesen Schritt auf sie<br />

zuzugehen. Vielle<strong>ich</strong>t auch als Mögl<strong>ich</strong>keit ein neues Kapitel in unserer Beziehung<br />

zuein<strong>an</strong>der zu beginnen, <strong>ich</strong> wäre d<strong>an</strong>n sogar bereit gewesen alles, was sie mir bisher<br />

<strong>an</strong>tat, zu vergessen - quasi Mutter-Sohn-Beziehung-Reloaded.<br />

Ich erzählte ihr also alles und zeigte ihr auch die Spritze. Sie schlug, ohne m<strong>ich</strong> nach<br />

meinem Empfinden zu fragen oder m<strong>ich</strong> in den Arm zu nehmen, einen Bluttest am<br />

nächsten Tag vor.<br />

Nach dem Gespräch, <strong>das</strong> eher der Auflösung eines Meetings gl<strong>ich</strong>, ging <strong>ich</strong> hoch in mein<br />

Zimmer und versuchte <strong>das</strong> einzuordnen was eben passierte. Am nächsten Morgen kam<br />

meine Mutter früh in mein Zimmer und meinte <strong>ich</strong> solle ein paar Sachen packen, ohne<br />

dies zu erläutern.<br />

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt Angst, denn <strong>ich</strong> brachte <strong>das</strong> in Verbindung mit der Spritze.<br />

Sie brachte m<strong>ich</strong> allerdings in die KJP Hildesheim (Kinder- und Jugendpsychatrie). Ich<br />

sollte dort als schwer erziehbares Kind "auf Kurs" gebracht werden. Während des<br />

Aufnahmegespräches wurde uns zuges<strong>ich</strong>ert, <strong>das</strong>s auch umgehend ein Bluttest gemacht<br />

wird, um eine HIV-Infektion auszuschließen. Wieder hatte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Gefühl entwurzelt zu<br />

werden und <strong>das</strong> Aufnahmegespräch löste starkes Befremden bei mir aus. Ich wollte<br />

n<strong>ich</strong>t da bleiben, doch <strong>ich</strong> musste. Dies brachte <strong>ich</strong> den Leuten dort auch deutl<strong>ich</strong><br />

entgegen. In dieser Zeit lernte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> erste Mal <strong>das</strong> Potenzial einer Fassade kennen. Ich<br />

wusste, <strong>das</strong>s m<strong>ich</strong> Wutausbrüche und Schreikrämpfe n<strong>ich</strong>t aus dem Kr<strong>an</strong>kenhaus<br />

bringen würden. Ich baute daher jeden Tag eine Fassade auf, die <strong>ich</strong> auch jeder Zeit<br />

wieder wechseln konnte. Damit habe <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Personal zieml<strong>ich</strong> ins rätseln gebracht und<br />

es fiel ihnen schwer m<strong>ich</strong> einzuschätzen.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 41<br />

Als meine Mutter d<strong>an</strong>n <strong>das</strong> Kr<strong>an</strong>kenhaus verließ, ging sie direkt zur Polizei und erstatte<br />

Anzeige.<br />

Bei ihrem nächsten Besuch, wir hatten in regelmäßigen Abständen gemeinsame<br />

Gesprächsrunden, teilte sie mir mit, was sie get<strong>an</strong> hatte.<br />

Ich war n<strong>ich</strong>t überrascht, es traf m<strong>ich</strong> dennoch bis ins Mark. Sie sah die einmalige<br />

Ch<strong>an</strong>ce <strong>das</strong> "eingebildete" B<strong>an</strong>d zwischen meinem Vater und mir zu zerstören. Ich hatte<br />

damit gerechnet, dennoch sollte <strong>ich</strong> ein letzte Mal von ihr böse überrascht werden. Sie<br />

zw<strong>an</strong>g m<strong>ich</strong>, eine Aussage gegen meinen Vater und seine Frau zu schreiben. Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

weigerte, wurde massiver Druck auf m<strong>ich</strong> ausgeübt.<br />

Ich ahnte die Tage darauf, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> dem nachgeben musste, und fügte m<strong>ich</strong> zunächst<br />

widerwillig. Ich schrieb Aussagen, in denen <strong>ich</strong> klar formulierte, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

freiwillig schreibe. Ich habe es innerhalb des Textes immer wieder hingeschrieben, n<strong>ich</strong>t<br />

<strong>das</strong>s meine Mutter Teile der Aussage einfach abreißen und meine relativierende<br />

Aussage so auslöschen könnte. Meine Mutter wurde sauer, sie ahnte, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> mit ihr<br />

spielte. Vielle<strong>ich</strong>t ahnte sie auch spätestens da, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> inzwischen klüger war als sie.<br />

Auf eine Thematik wie über den "Hindukusch" <strong>an</strong>gesprochen, hätte sie "Gesundheit"<br />

ge<strong>an</strong>twortet. Zudem ist sie meiner Meinung nach, ein Mensch, der spont<strong>an</strong> und<br />

unüberlegt in ihr unbek<strong>an</strong>nten Situationen h<strong>an</strong>delt. Dem gegenüber konnte <strong>ich</strong> bereits<br />

über den Tellerr<strong>an</strong>d schauen und auch sämtl<strong>ich</strong>e Eventualitäten mit in meine<br />

Überlegungen einbeziehen, zumindest so weit wie der Horizont eines Kindes re<strong>ich</strong>t.<br />

Sie drohte mir mit S<strong>an</strong>ktionen, doch <strong>ich</strong> fühlte m<strong>ich</strong> im Kr<strong>an</strong>kenhaus inzwischen mehr zu<br />

Hause, so <strong>das</strong>s ihre Drohung erfolglos blieb. Also versuchte sie es mit versprochenen<br />

Vergünstigungen, doch <strong>ich</strong> war n<strong>ich</strong>t blöd und wusste, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> davon nie etwas sehen<br />

würde. Zumal <strong>ich</strong> einen Menschen n<strong>ich</strong>t für Süßigkeiten oder Heftchen verraten würde.<br />

Mit jedem Tag, den <strong>ich</strong> die neue Aussage n<strong>ich</strong>t schrieb, wurde mir immer bewusster,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t mehr länger heraus zögern könnte. Zwischenzeitl<strong>ich</strong> sprach m<strong>ich</strong> auch<br />

die Ärztin in den Einzelgesprächen immer wieder darauf <strong>an</strong>.<br />

Ich hatte mir daraufhin überlegt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meiner Mutter sage, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> die Aussage<br />

schreiben werde. Ich wollte mir d<strong>an</strong>n einen Briefumschlag und eine Briefmarke<br />

besorgen, so <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meine korrekte Aussage <strong>an</strong> die Polizei schicken könnte. Die<br />

Briefmarke wollte <strong>ich</strong> mir von meiner Mutter besorgen, sie hatte den Tick, <strong>das</strong>s sie für<br />

Notizen, Kritzeleien und Einkaufszettel immer auf gebrauchte Briefumschläge schrieb.<br />

Ich sagte meiner Mutter also, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> die Aussage schreiben würde. Ich bat sie d<strong>an</strong>n um<br />

einen Briefumschlag. Blind und völlig ohne Nachfrage willigte sie ein und gab mir einen


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Briefumschlag den sie dabei hatte. Es war ein Schreiben der Kr<strong>an</strong>kenkasse und damals<br />

vers<strong>an</strong>dten viele Unternehmen ihre Schreiben noch mit r<strong>ich</strong>tigen Briefmarken.<br />

Geblendet vom Ziel die Aussage gle<strong>ich</strong> der Polizei aushändigen zu können, bemerkte sie<br />

n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s die Briefmarke nur am R<strong>an</strong>d gestempelt wurde.<br />

Auf die Frage der Ärztin, warum <strong>ich</strong> einen Briefumschlag haben möchte, gab <strong>ich</strong><br />

glaubhaft <strong>an</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> dort meine ausgeschnittenen Fußballer aus Zeitschriften sammeln<br />

wollte, die <strong>ich</strong> zum spielen mit mir selbst benutzte. Ich war ein Kind <strong>das</strong> ausschließl<strong>ich</strong><br />

ein Parallelspieler war, <strong>das</strong> bedeutet <strong>ich</strong> spielte zwar mit mir allein, aber die gewählte<br />

Aktivität in der Nähe von <strong>an</strong>deren. Dabei wird kein Versuch unternommen, <strong>an</strong>dere<br />

Kinder neben s<strong>ich</strong> zu beeinflussen oder mit ihnen zu interagieren.<br />

Hätte sie <strong>an</strong> dem Tag keinen Briefumschlag mit einer Briefmarke dabei gehabt, hätte <strong>ich</strong><br />

sie nach einem Euro gefragt und hätte mir d<strong>an</strong>n von einem Mitpatienten eine<br />

Briefmarke aus dem Ort mitbringen lassen.<br />

Ich brachte den Briefumschlag auf mein Zimmer und holte ihnen meine vorbereitete<br />

Aussage. Meine Mutter erwähnte, <strong>das</strong>s sie sofort zur Polizei fahren würde, um die<br />

Aussage abzugeben. Daher war <strong>das</strong> Gespräch sehr schnell beendet und <strong>ich</strong> konnte m<strong>ich</strong><br />

um den Vers<strong>an</strong>d meiner r<strong>ich</strong>tigen Aussage kümmern. Ich ging also wieder in mein<br />

Zimmer, nahm meinen selbstgebastelten Briefumschlag, löste die Briefmarke vom<br />

<strong>an</strong>deren Umschlag und entfernte den Stempel mit Tintenkiller, Clerasil und Essig aus der<br />

Stationsküche. Ich k<strong>an</strong>nte dieses Verfahren bereits von gestempelten Fahrkarten. Es war<br />

n<strong>ich</strong>t meine beste Arbeit, aber es re<strong>ich</strong>te, <strong>das</strong>s der Stempel n<strong>ich</strong>t mehr zu erkennen war.<br />

Ich erinnerte m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> den Namen des Revierleiters des Polizeireviers Sehnde durch den<br />

Diebstahl bei V-Markt und <strong>an</strong> ihn adressierte <strong>ich</strong> den Brief. Ich warf den Brief d<strong>an</strong>n in<br />

den Postkasten innerhalb der KJP ein.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n bekam meine Mutter <strong>das</strong> Schreiben, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Verfahren eingestellt wurde.<br />

Aber <strong>ich</strong> frage m<strong>ich</strong>, welches Kind sollte gezwungen sein, solche Ged<strong>an</strong>kengänge und<br />

solch ein Vorgehen zu wählen. Mein Hirn muss schon da auf völliger Höchstleistung<br />

gelaufen sein. Zu vergle<strong>ich</strong>en mit einem Computer, 16 Fenster sind offen, 7 reagieren<br />

n<strong>ich</strong>t mehr und die restl<strong>ich</strong>en 9 funktionieren auch eher schlecht als recht und m<strong>an</strong><br />

versucht dennoch lustige Katzenvideos bei YouTube zu öffnen. M<strong>an</strong> muss kein Hellseher<br />

sein, um voraus sagen zu können, was irgendw<strong>an</strong>n passieren würde. Klar ist mir einige<br />

Male aufgefallen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> auf außergewöhnl<strong>ich</strong>e Dinge achte und es sind auch schon<br />

von zwei Ärzten die Worte "niedrige latente Inhibition" in Form einer Vermutung<br />

gefallen, doch <strong>ich</strong> be<strong>an</strong>twortete mir die Frage d<strong>an</strong>ach, mit meinem über Jahre


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Wie aus einem wem ein was wurde


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aufgebauten Überlebensinstinkt. Andererseits würde es auch die beiden IQ-Tests<br />

erklären, die <strong>ich</strong> machen musste.<br />

Einen Tag später, nach der Aushändigung der Aussage <strong>an</strong> meine Mutter, wurde <strong>ich</strong> von<br />

der Ärztin, in Absprache mit meiner Mutter, in den Isolationsraum gebracht. Der Raum<br />

wurde in der Klinik als der "Drachenraum" beze<strong>ich</strong>net. M<strong>an</strong> wollte mit mir jetzt einen<br />

"Verhaltensstufenpl<strong>an</strong>" machen.<br />

Eigentl<strong>ich</strong> kamen nur gewalttätige Kinder in den Drachenraum, bis sie s<strong>ich</strong> beruhigt<br />

haben. Der Verhaltensstufenpl<strong>an</strong> sah vor, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> die ersten drei Stufen, nur mit einer<br />

Matratze und meinem Bettzeug dort drin sein darf. Kein Stift oder sonst was. Bei der<br />

wöchentl<strong>ich</strong>en Visite wurde d<strong>an</strong>n beschlossen, ob <strong>ich</strong> eine Stufe hoch komme oder<br />

n<strong>ich</strong>t. Klopfen weil m<strong>an</strong> raus wollte, wurde als Provokation aufgefasst und war somit ein<br />

Regelverstoß, der bedeuten konnte, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> die nächste Stufe n<strong>ich</strong>t schafft.<br />

Von der Außenwelt bekam <strong>ich</strong> nur etwas mit, wenn m<strong>an</strong> mir <strong>das</strong> Essen rein re<strong>ich</strong>te oder<br />

<strong>ich</strong> auf Toilette durfte. Oftmals hörte <strong>ich</strong> aber die <strong>an</strong>deren Kinder auf dem Flur entl<strong>an</strong>g<br />

laufen. Das Essen war für meinen Geschmack lieblos <strong>an</strong>ger<strong>ich</strong>tet worden und gab mir<br />

eher <strong>das</strong> Gefühl eines Hundes, dem sein Tablett auf den Boden gestellt worden war.<br />

Anh<strong>an</strong>d der Mahlzeiten, erk<strong>an</strong>nte <strong>ich</strong> die ungefähre Tageszeit. Der Raum hatte zwar ein<br />

Fenster, aber er lag so schattig, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Ablesen der Tageszeit damit kaum mögl<strong>ich</strong> war.<br />

Es war <strong>das</strong> letzte Mal, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> bitterl<strong>ich</strong>e Tränen vergossen habe. Es war eine Erfahrung,<br />

die mein Vertrauen und Gefühle gegenüber <strong>an</strong>deren Menschen drastisch verringerte.<br />

Benjamin, ein Mitpatient, mit dem <strong>ich</strong> heute noch Kontakt habe, weil <strong>ich</strong> ihm immer<br />

noch d<strong>an</strong>kbar bin, schob mir ab und <strong>an</strong> ein Stück Schokolade durch den Türschlitz und<br />

unterhielt s<strong>ich</strong> mit mir, wenn die Betreuer m<strong>ich</strong> mal n<strong>ich</strong>t beobachteten. Dies war wohl<br />

dafür ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verzweifelte.<br />

Die W<strong>an</strong>d mit den darauf gemalten Drachen, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> irgendw<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t mehr sehen.<br />

Der Anblick macht einen verrückt, aggressiv und mürbe. Ich weiß n<strong>ich</strong>t wie es mir ohne<br />

die Hilfe von Benjamin erg<strong>an</strong>gen wäre.<br />

Als <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n endl<strong>ich</strong> den Isolationsraum verlassen durfte, da der Verhaltensstufenpl<strong>an</strong><br />

nun so etwas wie Stubenerrest vorsah, war <strong>ich</strong> zittrig, als wäre <strong>ich</strong> nach l<strong>an</strong>ger Zeit <strong>das</strong><br />

erste Mal wieder geg<strong>an</strong>gen. Die Umwelt stürzte mit ihren Eindrücken nahezu nur auf<br />

m<strong>ich</strong> ein. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n von einer Reizüberflutung sprechen.<br />

Das Erste was <strong>ich</strong> sah, war wie meine Mutter in den Besucherraum gebeten worden ist.<br />

Zu diesem sollte <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n auch kommen und dieser Termin sollte s<strong>ich</strong> als Geduldsprobe


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Wie aus einem wem ein was wurde


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herausstellen. Während meine Mutter davon redet, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> eine Babykatze holten,<br />

wo sie Ausflüge hin machten und wie toll es ihr gehen würde, wollte <strong>ich</strong> nur um jeden<br />

Preis, <strong>das</strong>s sie schweigt. Wirkl<strong>ich</strong> jeden Preis! Ich war irgendwo isoliert und sie lebte<br />

einfach ihr Leben weiter. Die Wut stieg in mir völlig unbek<strong>an</strong>nte Regionen, die mir selber<br />

Sorgen machten. Irgendw<strong>an</strong>n bemerkte <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s meine Mutter ihre Erzählungen<br />

überspielte und somit entsp<strong>an</strong>nte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>. Ich wusste jetzt, <strong>das</strong> sie m<strong>ich</strong> provozieren<br />

wollte. Die Gesprächszeit war vorbei. Ich hatte es überst<strong>an</strong>den. Sie hätte es schaffen<br />

können, unserer Beziehung eine neue R<strong>ich</strong>tung zu geben, doch sie zerstörte alles.<br />

Tage darauf merkte <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s mein Fluchtinstinkt noch ausgeprägter wurde. Obwohl <strong>ich</strong><br />

alle Patienten vorher auch k<strong>an</strong>nte, waren sie mir mit einem Mal alle fremd. Ich fühlte<br />

m<strong>ich</strong> ihnen n<strong>ich</strong>t mehr ebenbürtig sondern unterlegen. Durch <strong>das</strong> gewachsene<br />

Misstrauen <strong>an</strong>deren Menschen gegenüber hinterfragte <strong>ich</strong> einfach alles. Konnte m<strong>an</strong> es<br />

mir für meine Begriffe n<strong>ich</strong>t ausre<strong>ich</strong>end erklären, tat <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts mehr. Doch trotz dieser<br />

schlimmen Zeit dort, wollte <strong>ich</strong>, als über die Entlassung gesprochen wurde, lieber da<br />

bleiben als nach Hause zu gehen.<br />

Nach meiner Entlassung aus der KJP Hildesheim, wechselte <strong>ich</strong> auf die Realschule nach<br />

Lehrte, wo die Gewalt in der Schule ein Ende f<strong>an</strong>d. Leider musste <strong>ich</strong> genau dort in einen<br />

<strong>an</strong>deren Bus steigen, wo s<strong>ich</strong> meine Mobber aus der alten Schule morgens immer<br />

versammelten.Sie hatten jetzt sogar noch mehr Munition gegen m<strong>ich</strong>, da s<strong>ich</strong> <strong>das</strong><br />

Gerücht hielt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> in der Psychiatrie war.<br />

Ich machte mir n<strong>ich</strong>ts daraus, denn auf der Realschule Lehrte sollten mir <strong>an</strong>dere<br />

Probleme gegenüber stehen. Mir ging, g<strong>an</strong>z einfach gesagt, die Kraft aus. Die mentale<br />

Müdigkeit war nun fast ein tägl<strong>ich</strong>er Begleiter. Ich wurde in meiner Mentalität,<br />

kämpferischen Art und Persönl<strong>ich</strong>keit in der KJP sowie der letzten Jahre fast gebrochen.<br />

Es fehlte nur noch ein kleiner Stupser und <strong>ich</strong> wäre gefallen. Ich rasselte, in n<strong>ich</strong>t mal<br />

einem halben Jahr, so zieml<strong>ich</strong> in allem durch, wo <strong>ich</strong> vor kurzem noch brillierte und<br />

wurde kurzer H<strong>an</strong>d auf die Hauptschule Lehrte geschickt.<br />

Ich spürte bereits zu dieser Zeit, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> viele tiefe und m<strong>an</strong>che zu tiefe Wunden auf<br />

meiner Seele hatte. Ich zeigte es nach außen, den Menschen die mir emotional zu nah<br />

kamen, in dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> misstrauisch, hart mir und <strong>an</strong>deren gegenüber, dist<strong>an</strong>ziert und<br />

vielle<strong>ich</strong>t auf <strong>an</strong>dere unabs<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> herablassend wirkend, verhielt. Dabei wollte <strong>ich</strong><br />

eigentl<strong>ich</strong> nur signalisieren, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t "fertig" machen soll und mir Luft geben<br />

soll, mal eben durchatmen zu können.<br />

Mein Einfühlungsvermögen für die Gefühle <strong>an</strong>derer, war n<strong>ich</strong>t mehr vorh<strong>an</strong>den. Auch<br />

mein Selbstwertgefühl war n<strong>ich</strong>t mehr intakt oder fast gar n<strong>ich</strong>t mehr vorh<strong>an</strong>den.


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Meine Erschöpfungszustände nahmen immer weiter zu, so <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sogar um den<br />

Hauptschulabschluss fürchten musste.<br />

Auf dem Weg nach Hause hatte <strong>ich</strong> nur noch 2 Minuten Zeit, um den letzten Bus nach<br />

Klein Lobke zu erre<strong>ich</strong>en. Ich habe den Bus sehr oft verpasst, weil s<strong>ich</strong> der Bus aus<br />

Lehrte verspätete. D<strong>an</strong>n hatte <strong>ich</strong> nur noch die Mögl<strong>ich</strong>keit die knapp 6 km nach Hause<br />

zu laufen oder zu Hause <strong>an</strong>zurufen, ob m<strong>ich</strong> jem<strong>an</strong>d abholen würde. Es gab zwar<br />

Ruftaxis die als Busersatz stündl<strong>ich</strong> fahren sollten, doch oft kamen sie gar n<strong>ich</strong>t.<br />

Viele Mittage ging <strong>ich</strong> zu Fuß, da <strong>ich</strong> mir oft <strong>an</strong>hören musste, <strong>das</strong>s meine Familie kein<br />

Taxiunternehmen sei. Oftmals rief <strong>ich</strong> schon gar n<strong>ich</strong>t mehr <strong>an</strong>, um mir die Diskussion zu<br />

ersparen. So kam <strong>ich</strong> immer erst nachmittags zu Hause <strong>an</strong>. Ich hatte d<strong>an</strong>n weder meine<br />

Hausaufgaben noch meine häusl<strong>ich</strong>en Pfl<strong>ich</strong>ten erledigt. Außerdem war n<strong>ich</strong>t klar, was<br />

m<strong>ich</strong> zu Hause erwarten würde. Es war wie russisches Roulette, es k<strong>an</strong>n gutgehen, soll<br />

aber n<strong>ich</strong>t.<br />

Ich mobilisierte meine letzten Kräfte, dies als 15-16-jähriger zu sagen, klingt absurd,<br />

doch genau so war es. In der Schule nahm <strong>ich</strong> freiwillig Nachsitzstunden wahr, um mir<br />

von den Lehrern noch etwas erklären zu lassen. Ich wollte ja eigentl<strong>ich</strong> sowieso n<strong>ich</strong>t<br />

nach Hause, es war eine WinWin-Situation.<br />

Ich setzte alles auf eine Karte, schummelte in den Fächern, in denen es r<strong>ich</strong>tig düster<br />

aussah, um da wenigstens etwas Luft zu bekommen. Meine Lehrer und ein Mitschüler<br />

namens Igor erk<strong>an</strong>nten meine Probleme und halfen mir beim Hauptschulabschluss.<br />

Letztendl<strong>ich</strong> schaffte <strong>ich</strong> den Abschluss ungefährdet, doch auch <strong>das</strong> forderte seinen<br />

Tribut.<br />

Ich f<strong>an</strong>d in Igor meinen ersten r<strong>ich</strong>tigen Freund. Es gab Tage, wo wir uns auch mal<br />

gegenseitig aufregten und aufzogen, jedoch bes<strong>an</strong>nen wir uns kurze Zeit später immer<br />

wieder. So einige Mittage und auch Abende verbrachten wir <strong>an</strong> einem See in Lehrte und<br />

spielten Gitarre und s<strong>an</strong>gen oder lernten ein wenig. Es war ein tolles beisammen sein,<br />

denn wir lagen auf der gle<strong>ich</strong>en Wellenlänge.<br />

Spätestens ein gemeinsamer Skiurlaub hatte uns noch enger zusammen geschweißt. Es<br />

schien mit meinem Leben endl<strong>ich</strong> aufwärts zu gehen, als <strong>ich</strong> zudem noch weitere<br />

Weggefährten aus meiner Schule f<strong>an</strong>d. Wir verbrachten gemeinsam schöne Zeiten, war<br />

es mir doch durch den Wohnort Klein Lobke n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> mögl<strong>ich</strong> Hobbies<br />

nachzugehen.<br />

Ich hatte aber immer wieder <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meine Kindheit nachholen müsste.<br />

Genauso hatte <strong>ich</strong> fort<strong>an</strong> mit autoritären Personen meine Probleme, da <strong>ich</strong> diese in der


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Verg<strong>an</strong>genheit stets mit Demütigung und Unterdrückung kennenlernte. Ich verhielt<br />

m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n immer sehr abwehrend. Mein Verhalten änderte s<strong>ich</strong> aber nach und nach<br />

wieder und verschw<strong>an</strong>d mit meinem Eintritt in die Bundeswehr völlig.<br />

Doch irgendw<strong>an</strong>n stellte s<strong>ich</strong> ein neuer Mitschüler vor und es drohte alles wieder kaputt<br />

zu gehen. Dieser neue Schüler, war aus meiner alten Schule, einer der Hauptmobber. Ich<br />

registrierte seine Vorstellung n<strong>ich</strong>t mit P<strong>an</strong>ik, aber <strong>ich</strong> fragte <strong>das</strong> Universum in dem<br />

Moment: "Echt jetzt?! <strong>das</strong> ist doch ein schlechter Witz?!".<br />

Da er ausgeze<strong>ich</strong>net aussah, entst<strong>an</strong>d sofort der Kontakt zu den Mädchen unserer<br />

Klasse. Sofort kam zur Sprache, <strong>das</strong>s wir uns kennen und es folgten die ersten<br />

Seitenhiebe in meine R<strong>ich</strong>tung. Ich suchte sofort mit meinem Klassenlehrer den Dialog<br />

um festzustellen, ob eine Versetzung in die Parallelklasse, für ihn oder m<strong>ich</strong> mögl<strong>ich</strong><br />

wäre. Jedoch verneinte er dieses und versuchte m<strong>ich</strong> damit zu trösten, <strong>das</strong>s er s<strong>ich</strong> ja<br />

vielle<strong>ich</strong>t geändert hätte. Die darauf folgenden Tage zeigten, <strong>das</strong>s er s<strong>ich</strong> irrte.<br />

Als <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n mal die Mögl<strong>ich</strong>keit hatte, ihn alleine zu sprechen, sagte <strong>ich</strong> ihm, <strong>das</strong>s wir<br />

<strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t nochmal, wie in der alten Schule, durchleben müssten. Wir könnten g<strong>an</strong>z von<br />

vorne <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen ohne jedes Problem, jedoch erwiderte er: "so würde es ihm aber mehr<br />

Spaß machen".<br />

Umso länger er in unserer Klasse war, umso mehr nahmen die Nickligkeiten zu. Auch<br />

einige Mitschüler ließen s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>stecken und stimmten mit ein. Es war ein Déjà-vu. Ich<br />

war aber n<strong>ich</strong>t bereit, dies alles wieder über m<strong>ich</strong> ergehen zu lassen. Die Schulleitung<br />

der KGS Sehnde machte m<strong>ich</strong> damals für die Prügelei mitver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>. Dies führte ja<br />

auch zu meiner Suspendierung. Ich wollte m<strong>ich</strong> also n<strong>ich</strong>t mehr prügeln und beg<strong>an</strong>n<br />

schon in meiner Zeit in der KJP mit Experimenten, wie m<strong>an</strong> so etwas vermeiden k<strong>an</strong>n<br />

und s<strong>ich</strong> dennoch verteidigen k<strong>an</strong>n. Nachdem er <strong>an</strong>fing m<strong>ich</strong> nun auch wieder körperl<strong>ich</strong><br />

<strong>an</strong>zugehen, musste <strong>ich</strong> reagieren.<br />

Er hatte meine drei bis vier Schl<strong>ich</strong>tungsversuche, u.a. auch mit einem Lehrer, ignoriert.<br />

Ich sagte ihm, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> wehren werde, wenn er n<strong>ich</strong>t aufhört und <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n keinen<br />

Einfluss mehr auf die Dynamik nehmen könnte und er damit d<strong>an</strong>n würde leben müssen.<br />

Es war ihm egal.<br />

Ich verpasste ihm einen Spitznamen, es war kein geistre<strong>ich</strong>er Spitzname, aber auch<br />

keiner die Eltern beleidigt oder sowas. Immer wenn er m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>ging, nutzte <strong>ich</strong> ihn,<br />

<strong>an</strong>statt m<strong>ich</strong> zurückzuziehen.<br />

Das Thema Sexualität war in meiner Jugendzeit ein sehr sensibles und die Reaktionen<br />

auf sexuelle Themen k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> besten<strong>falls</strong> als unreif beze<strong>ich</strong>nen. Auch er hatte seine


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Probleme mit diesem Thema. Ich hatte durch Beobachtung gelernt, <strong>das</strong>s er dort einen<br />

wunden Punkt hat. Hätte <strong>ich</strong> sonst mein Wissen dafür eingesetzt, ihm zu helfen, die<br />

tatsache zu ignorieren oder beizustehen, nutzte <strong>ich</strong> es jetzt, um ihn zu treffen. Um es<br />

von meiner Seite n<strong>ich</strong>t überzustrapazieren, sagte <strong>ich</strong> ihm, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ihn nur so nennen<br />

würde, wenn er wieder <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen würde m<strong>ich</strong> zu ärgern. Sein Spitzname verbreitete s<strong>ich</strong><br />

wie ein Lauffeuer, innerhalb eines halben Tages wusste die g<strong>an</strong>ze Schule von diesem<br />

Spitznamen, auch wenn die Mehrzahl zunächst n<strong>ich</strong>t wusste, wer zu diesem Spitznamen<br />

gehöre. Doch <strong>das</strong> änderte s<strong>ich</strong>.<br />

Er beschwerte s<strong>ich</strong> bei den Lehrern, aber <strong>das</strong> hatte nur zur Folge, <strong>das</strong>s die<br />

Gerüchteküche weiterbrodelte. Es kamen Gerüchte auf, <strong>das</strong>s er wirkl<strong>ich</strong> so sei.<br />

Im Rektorzimmer oder auch im Klassenraum vor der gesamten Klasse darauf<br />

<strong>an</strong>gesprochen, konnte s<strong>ich</strong> mein eigentl<strong>ich</strong> sehr cooler Klassenlehrer ein kurzes Lachen<br />

n<strong>ich</strong>t verkneifen. Doch was oder wen wollte m<strong>an</strong> da bestrafen? M<strong>ich</strong>, weil <strong>ich</strong> es einmal<br />

sagte? Die <strong>an</strong>deren, die den Spitznamen verwendeten und darüber sprachen? Es<br />

best<strong>an</strong>d einfach keine Mögl<strong>ich</strong>keit dazu, da es n<strong>ich</strong>t mal eine r<strong>ich</strong>tige Beleidigung war.<br />

Er hatte nun diesen Spitznamen und dieser wirkte s<strong>ich</strong> auch auf seine Attraktivität<br />

gegenüber den Mädchen aus. M<strong>an</strong> merkte plötzl<strong>ich</strong> <strong>das</strong> er s<strong>ich</strong> sein Selbstwertgefühl<br />

und Selbstvertrauen sonst aus dem Zuspruch holte. Da dieser immer weniger wurde,<br />

rückte er mehr in den Fokus, da er versuchte von s<strong>ich</strong> abzulenken, indem er <strong>an</strong>dere<br />

Schüler <strong>an</strong>ging. Dies fiel natürl<strong>ich</strong> besonders negativ auf. Doch auch diese Schüler<br />

nutzten seinen Spitznamen um ihn schachmatt zu setzen. Ich hatte meine Ruhe, denn<br />

normalerweise war <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr sein bevorzugtes Ziel, auch wenn er es m<strong>an</strong>chmal<br />

noch im Ansatz versuchte.<br />

Der negative Höhepunkt war s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> als mein Klassenlehrer ihn auch einmal mit dem<br />

Spitznamen <strong>an</strong>sprach. Mir ist n<strong>ich</strong>t klar, ob es s<strong>ich</strong> um Abs<strong>ich</strong>t oder ein Versehen meines<br />

Klassenlehrers h<strong>an</strong>delte. Aber für meinen Kontrahenten muss es s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>gefühlt haben,<br />

als sei er jetzt Freiwild, wenn selbst eine hohe Schutzinst<strong>an</strong>z ihn lächerl<strong>ich</strong> machte.<br />

Genauso fühlte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> während meiner Zeit in der KGS Sehnde.<br />

Während alle nach diesem Malheur lachten und s<strong>ich</strong> kaum wieder beruhigen konnten,<br />

fühlte <strong>ich</strong> nur einen hohlen Triumph. Ich hatte m<strong>ich</strong> aus der Opferrolle in die Täterrolle<br />

begeben müssen und <strong>das</strong> hasse <strong>ich</strong>. Ich war dafür ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> erlebt, was<br />

<strong>ich</strong> auch schon erlebte.<br />

Die Lage beruhigte s<strong>ich</strong> mit der Zeit etwas, aber sein Spitzname hielt s<strong>ich</strong> und er bekam<br />

sogar m<strong>an</strong>chmal ein entsprechendes Utensil <strong>an</strong>geboten bzw. zugeworfen. Er musste<br />

d<strong>an</strong>n aber die Schule verlassen, weil er gewalttätig gegenüber einem Lehrer wurde.


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Vor einiger Zeit begegneten wir uns auf einer Ver<strong>an</strong>staltung, er kam auf m<strong>ich</strong> zu und<br />

entschuldigte s<strong>ich</strong> für alles, was er damals get<strong>an</strong> hatte. Wir sprachen uns aus und<br />

begruben im Nachg<strong>an</strong>g, ohne Freunde zu werden, <strong>das</strong> Kriegsbeil.<br />

Rückblickend bin <strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er, <strong>das</strong>s mein Wunsch niemals so zu werden wie meine Familie,<br />

mir geholfen hat, nach außen mental stark zu bleiben und <strong>an</strong>dere Wege als Gewalt zu<br />

finden, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Stattdessen versuche <strong>ich</strong> mit<br />

meiner Empathie diese problematischen Situationen aufzulösen oder zumindestens<br />

n<strong>ich</strong>t eiskalt konsequent durchzuziehen.<br />

Blicke <strong>ich</strong> jetzt wieder auf meine Familie zu der Zeit zurück, kommt mir nur ein Ged<strong>an</strong>ke<br />

von früher wieder in den Sinn. Meine größten Feinde essen mit mir <strong>an</strong> einem Tisch!<br />

Meine Familie war keine Familie, sie waren Fremde und Feinde. Ich k<strong>an</strong>n m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> kein<br />

einziges "Ich liebe d<strong>ich</strong>", "hab d<strong>ich</strong> lieb" oder ähnl<strong>ich</strong>es erinnern. Es mag sein, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es<br />

vergessen habe, allerdings ist es doch seltsam, wenn m<strong>an</strong> so etwas vergessen sollte.<br />

Ich selber konnte es n<strong>ich</strong>t sagen, <strong>ich</strong> hatte es nie gelernt und war irgendw<strong>an</strong>n sowieso<br />

der Meinung, <strong>das</strong>s wir nur eine Gruppe von fremden Menschen sind, die ihre Zeit<br />

mitein<strong>an</strong>der absitzen müssen. Mit jeder Gewalttat reifte meine Überzeugung, m<strong>ich</strong><br />

eines Tages zu rächen. Ich wollte ihnen 1-1 zurückgeben, was sie mir <strong>an</strong>taten.<br />

Bevor <strong>ich</strong> nun ausziehen konnte, kam meine Mutter auf die Idee noch einmal<br />

umzuziehen. Irgendwie scheint sie aber eine Ader für schlechte Ideen zu haben, hätte<br />

sie sie n<strong>ich</strong>t, würde es m<strong>ich</strong> und meine Geschwister wohl n<strong>ich</strong>t geben. In Klein Lobke<br />

waren wir verteilt auf Küche, Wohnzimmer, 3 Badezimmer, 2 Kellerräume, 5 Zimmer<br />

und einen großen Flur und trafen dort schon ständig aufein<strong>an</strong>der. Die neue Wohnung in<br />

der Stadt hatte eine Küche, eine Abstellkammer, ein Badezimmer und 3 Zimmer. Wir<br />

sollten dort mit 6 Personen, einem Hund, einer Katze, einem Aquarium und Hamstern<br />

einziehen. Jeder wird <strong>das</strong> Konfliktpotential erkennen, selbst wenn wir uns alle<br />

verst<strong>an</strong>den hätten. Mir war klar, <strong>das</strong>s die Situation nur eskalieren k<strong>an</strong>n, wenn s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

etwas Grundlegendes änderte. Das wollte meine Mutter <strong>an</strong>stoßen, in dem sie mit mir<br />

nochmal zu einem Vorgespräch zur KJP fuhr. Ihr Ziel war, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> dort wieder<br />

aufgenommen werde. Doch dieses Mal sprachen wir mit einem <strong>an</strong>deren Mitarbeiter, als<br />

früher. Zum Abschluss des Vorgespräches erklärte er ihr, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ein g<strong>an</strong>z normaler<br />

Junge wäre und kein Auto, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> in regelmäßigen Abständen zur Werkstatt bringt.<br />

Sie sollte, um in der Metapher zu bleiben, ihren Fahrstil überdenken und den Rest der<br />

Familie mal beleuchten.<br />

Meine Mutter konnte schon damals n<strong>ich</strong>t gut mit Kritik umgehen oder eine <strong>an</strong>dere<br />

S<strong>ich</strong>tweise akzeptieren. Sie ist daraufhin mit mir aus der KJP gestampft. Ich hätte den


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 57<br />

Mitarbeiter gerne mit einem High five abgeklatscht, weil s<strong>ich</strong> selten jem<strong>an</strong>d traute, s<strong>ich</strong><br />

gegen meine Mutter zu stellen.<br />

In der Wohnung wurden d<strong>an</strong>n bei zwei von den drei Zimmern hauchdünne Trennwände<br />

gezogen, so <strong>das</strong>s jeder sein eigenes Zimmer hatte. Doch wir konnten uns dadurch bei<br />

stille Atmen hören und 3 Zimmer bleiben 3 Zimmer.<br />

Ich wollte mit 18 endl<strong>ich</strong> ausziehen, doch da wir vom Staat unterstützt wurden, musste<br />

<strong>ich</strong> bis 21 bei meiner Mutter wohnen bleiben, sol<strong>an</strong>ge m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> eine eigene Wohnung<br />

n<strong>ich</strong>t leisten k<strong>an</strong>n. Es war ein schwarzer Tag für m<strong>ich</strong>, als diese Gesetzesänderung<br />

bek<strong>an</strong>ntgegeben wurde!<br />

Als <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n endl<strong>ich</strong> ausziehen konnte, weil sie m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> Heiligabend aus dem Haus<br />

schmissen und es eine Härtefallentscheidung gab, versuchte <strong>ich</strong> einen mögl<strong>ich</strong>st großen<br />

Abst<strong>an</strong>d zwischen uns zu bringen. Meine Mutter würde vermutl<strong>ich</strong> <strong>an</strong>dere Worte dafür<br />

finden, wie: „die Lebensbedingungen und Wohnungssituation bef<strong>an</strong>den s<strong>ich</strong> in<br />

umstrukturierung“.<br />

Am liebsten wäre <strong>ich</strong> aus Niedersachsen in ein <strong>an</strong>deres Bundesl<strong>an</strong>d "geflohen". Ich<br />

wollte einfach alles hinter mir lassen, m<strong>ich</strong> einfach n<strong>ich</strong>t mehr umdrehen müssen, aus<br />

Angst, was da kommen könnte. Ich wollte eine eigene Familie, mit allem was dazu<br />

gehört, gründen. Ich wollte endl<strong>ich</strong> frei atmen können!<br />

Doch die Bundeswehr hatte <strong>an</strong>dere Pläne mit mir und stationierte m<strong>ich</strong> ausgerechnet in<br />

H<strong>an</strong>nover.<br />

Ich konnte also Niedersachsen n<strong>ich</strong>t verlassen, dennoch verbesserte s<strong>ich</strong> seit dem<br />

Auszug bei meiner Mutter, meine Lebensqualität deutl<strong>ich</strong>. Ich beg<strong>an</strong>n wieder Fußball zu<br />

spielen. Beim TSV Obershagen lernte <strong>ich</strong> viele neue Leute kennen, mit denen <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n<br />

auch meine Freizeit verbrachte. Leider kühlte mein Kontakt zu Igor in dieser Zeit deutl<strong>ich</strong><br />

ab, durch die Berufl<strong>ich</strong>en Wege die m<strong>an</strong> ging. Ich hatte mir für uns etwas <strong>an</strong>deres<br />

gewünscht, denn er ist und bleibt mein bester Freund. Heute sind wir wieder ein Herz<br />

und eine Seele.<br />

Einen Tag vor Ende der Wechselfrist, holten 16 Spieler der 1. M<strong>an</strong>nschaft ihren<br />

Spielerpass ab und verließen den TSV. Die verbliebenen Spieler re<strong>ich</strong>ten n<strong>ich</strong>t aus, um<br />

mit 2 M<strong>an</strong>nschaften zu spielen, so wurde also die 2. M<strong>an</strong>nschaft aufgelöst und die<br />

Spieler mussten plötzl<strong>ich</strong> 4 Klassen höher spielen. Ich, der s<strong>ich</strong> gerade neu <strong>an</strong>gemeldet<br />

hatte, dachte noch am ersten Tag, <strong>das</strong>s dies lustig werden könnte. Das wurde es in der<br />

Tat.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 59<br />

Wir wurden in fast jedem Spiel zweistellig abgeschossen, doch <strong>ich</strong> konnte stets<br />

beobachten wie jeder für den <strong>an</strong>deren alles gab und die Stimmung stets positiv und<br />

motiviert war. Selbst die gegnerischen Trainer lobten uns oft nach dem Spiel, für unsere<br />

kämpferische Mentalität. Obwohl wir eine Tordifferenz von über -100 schon in der<br />

Hinrunde hatten, re<strong>ich</strong>te uns stets nur ein Punkt, um den Abstiegsplatz zu verlassen.<br />

D<strong>an</strong>n gab es dieses eine Spiel gegen den SuS Sehnde. Ich war motiviert bis in die<br />

Haarspitzen. Es war jener Ort mit dem <strong>ich</strong> so viel Schmerz verbinde. Die Spieler des SuS,<br />

wovon <strong>ich</strong> die meisten aus der Kinheit k<strong>an</strong>nte, unterhielten s<strong>ich</strong> darüber, wie hoch sie<br />

heute gewinnen würden, ob es 2- oder doch eher 3-stellig wird. Meine M<strong>an</strong>nschaft hat<br />

es mitbekommen und <strong>das</strong> motivierte sie umso mehr. Nach 2 Minuten passierte es, wir<br />

trafen <strong>das</strong> Tor.<br />

Doch wir trafen ins eigene.<br />

Sebasti<strong>an</strong>, mit dem <strong>ich</strong> echt dick befreundet war, schoss dieses Eigentor. Ich interessiere<br />

m<strong>ich</strong> seit über 25 Jahren für Fußball und habe auch sehr viel gesehen, doch <strong>das</strong> Eigentor<br />

von ihm ist für m<strong>ich</strong> eines der spektakulärsten Eigentore gewesen. Fast jede M<strong>an</strong>nschaft<br />

würde s<strong>ich</strong> nun <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen <strong>an</strong>zupflaumen und hängen zu lassen, doch diese M<strong>an</strong>nschaft<br />

war <strong>an</strong>ders. Wir lachten, n<strong>ich</strong>t weil es uns egal war, was wir da machten, sondern weil<br />

es einfach zu Sebasti<strong>an</strong> passte.<br />

Ich lernte viel für mein bevorstehendes Leben von dieser M<strong>an</strong>nschaft. Und wisst ihr<br />

was? Wir holten in diesem Spiel den Rückst<strong>an</strong>d auf und gingen sogar in Führung, zum<br />

allerersten Mal in der Saison und hielten Sehnde l<strong>an</strong>ge am R<strong>an</strong>d der Niederlage. Am<br />

Ende st<strong>an</strong>d es 4:4 gegen den Tabellenführer aus Sehnde.<br />

Ich war so stolz auf meine M<strong>an</strong>nschaft, so sehr wie <strong>ich</strong> es vorher nie verspürte. An diese<br />

Zeit erinnere <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> trotz des Abstieges immer wieder gerne. Ich habe viel erlebt und<br />

echten Zusammenhalt erfahren.<br />

Letztl<strong>ich</strong> erfüllte mir die Bundeswehr, leider zum falschen Zeitpunkt, doch noch meinen<br />

großen Wunsch und versetzte m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>s <strong>an</strong>dere Ende Deutschl<strong>an</strong>ds.<br />

In Regensburg <strong>an</strong>gekommen, trainierte <strong>ich</strong> mit einem Kameraden wochenl<strong>an</strong>g<br />

Kampfsport. Ich wollte m<strong>ich</strong>, sollte <strong>ich</strong> zurück nach Sehnde oder Lehrte kommen,<br />

rächen. Diesen Ged<strong>an</strong>ken hatte <strong>ich</strong> bereits als <strong>ich</strong> noch in Niedersachsen war, jedoch<br />

fehlte mir hierfür <strong>das</strong> Training, was <strong>ich</strong> nun aber in Regensburg bekam. Er brachte mir<br />

auf meinen Wunsch auch Techniken bei, die jem<strong>an</strong>den schnell kampfunfähig machen<br />

können. Er betonte stets, <strong>das</strong>s diese n<strong>ich</strong>t nur schmerzhaft wären, sondern auch<br />

Folgeschäden entstehen könnten. Das nahm <strong>ich</strong> in Kauf, <strong>ich</strong> begrüßte es sogar.


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Wie aus einem wem ein was wurde


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Irgendw<strong>an</strong>n war <strong>ich</strong> so fit und stark wie noch nie zuvor. Das war für m<strong>ich</strong>, <strong>das</strong> Ze<strong>ich</strong>en<br />

nun los zu fahren. Ich bin d<strong>an</strong>n aus Regensburg losgefahren, mit dem klaren Ziel, m<strong>ich</strong><br />

nun für alles was <strong>ich</strong> erlebte zu rächen. In Lehrte traf <strong>ich</strong> zufällig eine meiner<br />

Schwestern. Sie brachte m<strong>ich</strong> unbewusst auf den neuesten St<strong>an</strong>d und sagte mir wo <strong>ich</strong><br />

die Leute nun finde. In den Monaten meiner Abwesenheit hatte s<strong>ich</strong> eine Menge<br />

verändert.<br />

Ich bin d<strong>an</strong>n zuerst zu "ihm" gefahren. Durch die Informationen wusste <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s er und<br />

meine Mutter s<strong>ich</strong> getrennt hatten. Ich fuhr auf den Hof seines neuen Domizils und<br />

saugte jeden Eindruck des Geländes in m<strong>ich</strong> auf. Ich stieg aus und klingelte <strong>an</strong> seiner<br />

Tür. Der M<strong>an</strong>n, der mir die Tür öffnete war der M<strong>an</strong>n, den <strong>ich</strong> suchte, aber er war es<br />

eigentl<strong>ich</strong> doch n<strong>ich</strong>t mehr. Er sah schlimmer aus als zu seinen schlimmsten Tagen,<br />

bevor er in mein Leben kam. Er war ein Wrack und mir war sofort klar, <strong>das</strong>s dies meine<br />

letzte Ch<strong>an</strong>ce war, m<strong>ich</strong> zu rächen. Er bat m<strong>ich</strong> hinein und der Zust<strong>an</strong>d seiner<br />

Behausung war weiß Gott n<strong>ich</strong>t schön. Während <strong>ich</strong> versuchte meine Hemmungen zu<br />

überwinden um ihm endl<strong>ich</strong> seine Taten zu vergelten, erzählte er mir, was meine Mutter<br />

ihm <strong>an</strong>get<strong>an</strong> hätte. Während er eine Faust in seine H<strong>an</strong>dfläche schlug und im Ton lauter<br />

und aggressiver wurde, erzählte er etwas von einem Ehrenmord den er vorhabe.<br />

Sie hatte ihn für meine Begriffe auf die widerl<strong>ich</strong>ste Art und Weise abgeschossen. Doch<br />

zum ersten Mal empf<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> abs<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> keine Empathie für einen <strong>an</strong>deren Menschen.<br />

Ich sagte ihm, <strong>das</strong>s m<strong>ich</strong> <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t wundern würde und es m<strong>ich</strong> innerl<strong>ich</strong> schon ein<br />

wenig zum Grinsen bringt. Mit diesem Schwung wollte <strong>ich</strong> ihm zunächst erklären<br />

weshalb <strong>ich</strong> da sei und d<strong>an</strong>ach auf ihn los gehen. Doch der Wille n<strong>ich</strong>t so zu sein wie sie<br />

und somit die Empathie, ploppten plötzl<strong>ich</strong> auf.<br />

Plötzl<strong>ich</strong> hatte <strong>ich</strong> mit demjenigen Mitleid, der <strong>das</strong> Lebensmotto: "La Le Lu, schlag<br />

einfach zu" hatte?!<br />

Aber <strong>ich</strong> sah m<strong>ich</strong> in Bruchteilen in ihm, denn <strong>ich</strong> war derjenige der jetzt vor ihm st<strong>an</strong>d,<br />

um s<strong>ich</strong> zu rächen, wie er es mit einer Verzweiflungstat bei meiner Mutter vorhatte. Ich<br />

sah <strong>das</strong> Werk eines kleinen Menschen und n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> eines großen gefühlvollens. Ich<br />

verschw<strong>an</strong>d ohne jedes weitere Wort, denn <strong>ich</strong> war nun restlos überzeugt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

Leben keinen Spaß mehr macht und m<strong>an</strong> nur verbittert, wenn m<strong>an</strong> blind vor Rache ist.<br />

Es macht auch keinen Sinn s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> irgendwem zu rächen oder böses Blut zu vergießen.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t mag <strong>ich</strong> auch Gefallen <strong>an</strong> dem Ged<strong>an</strong>ken gefunden haben, wie sie s<strong>ich</strong> jetzt<br />

nun selber, gegenseitig fertig machen würden und <strong>ich</strong> dabei keine aktive Rolle spielen<br />

würde.<br />

.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 63<br />

Aus der s<strong>ich</strong>eren Dist<strong>an</strong>z der Gegenwart gebe <strong>ich</strong> euch also mein Versprechen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> euch rächen werde. Aber dennoch ist n<strong>ich</strong>ts vergeben und vergessen,<br />

denn wie m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> bettet, so liegt m<strong>an</strong>. Dies ist/war kein Geschenk vom Herzen,<br />

sondern ein Ergebnis rationaler Überlegung! Ich will den Kopf von euch allen frei<br />

bekommen! In der Verg<strong>an</strong>genheit zu leben, bedeutet in der Gegenwart zu sterben. Eines<br />

Tages werde <strong>ich</strong> auf meine Kindheit zurückblicken können und ihr werdet auf meinem<br />

Ges<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>ts <strong>an</strong>deres als ein hämisches Lächeln sehen.<br />

Ich möchte auf gar keinen Fall behaupten, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ein Superkind war und auch n<strong>ich</strong>t,<br />

<strong>das</strong>s meine Mutter keinerlei Pfl<strong>ich</strong>ten für m<strong>ich</strong> übernahm. Das tat sie näml<strong>ich</strong>. Genauso<br />

gab es auch mal Momente wo m<strong>an</strong> gemeinsam lachte. Aber jedes Mal wenn m<strong>ich</strong> einer<br />

gegen meinen Willen <strong>an</strong>fasste, war <strong>das</strong> Gute n<strong>ich</strong>ts mehr wert.<br />

Gegenüber meinen Stiefvätern hatte <strong>ich</strong> abseits der Schläge eine gewisse<br />

Grundablehnung, denn <strong>ich</strong> verlor meinen Vater und die waren auf einmal da, um ihn zu<br />

ersetzen. Genau <strong>das</strong> hat niem<strong>an</strong>d verst<strong>an</strong>den. Jedoch würde <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t sagen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ein<br />

schlimmes Kind war. Aber wenn m<strong>an</strong> m<strong>ich</strong> fragen würde, ob sie eine gute Mutter war,<br />

muss <strong>ich</strong> aus emotionaler S<strong>ich</strong>t "Nein" sagen.<br />

Ich bekam die Zusage von der Bundeswehr als Zeitsoldat, obwohl es mir alle aus der<br />

Familie n<strong>ich</strong>t zugetraut hatten in die Bundeswehr zurückzukommen. Ich bekam also<br />

gutes Geld und ihre ersten Worte waren, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sie jetzt fin<strong>an</strong>ziell unterstützen müsse.<br />

Drei Tage nach meinem Dienst<strong>an</strong>tritt erhielt <strong>ich</strong> eine SMS von ihr. Sie forderte Geld von<br />

mir, wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zahlen würde, würde sie m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>zeigen. Im letzten Absatz st<strong>an</strong>d,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> mit dem damaligen Tage n<strong>ich</strong>t mehr ihr Sohn sei. Damit kam sie mir, aber Jahre<br />

zu spät!<br />

Also eindeutig "Nein!".<br />

Diese Antwort würde auch auf meinen Vater und Co. zutreffen. Wenn m<strong>an</strong> aus den<br />

charakterl<strong>ich</strong>en Eigenschaften meiner Mutter und meinem Vater einen Menschen formt<br />

und jem<strong>an</strong>den sucht, der diesem ähnelt, kommt für m<strong>ich</strong> und <strong>das</strong> mag hart klingen<br />

gefühlt Adolf Hitler in Frage.<br />

Während mein Vater ein exzellenter Redner, Visionist und Lügner war, hatte meine<br />

Mutter eher <strong>das</strong> Autoritäre, Gewalt und machthaberisches Verhalten. Trotz der Gewalt<br />

behielt sie zunächst immer eine weiße Weste. Empathie fehlte ihnen <strong>an</strong>scheinend<br />

beiden, dennoch konnten sie immer bewirken, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>dere loyal ihnen gegenüber<br />

verhielten.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 65<br />

Ich k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t so viel über meinen Vater sagen, er nahm kaum <strong>an</strong> meinem Leben teil. Er<br />

schlug m<strong>ich</strong> - meines Wissens nach - nie. War <strong>ich</strong> aber mal ein Wochenende bei ihm,<br />

durfte, konnte oder musste <strong>ich</strong> auf irgendwelchen Baustellen mithelfen. Ich war wohl<br />

eigentl<strong>ich</strong> nur ein "Nutztier" für ihn. So war es eigentl<strong>ich</strong> immer, wenn wir Zeit<br />

mitein<strong>an</strong>der verbrachten. Wieso <strong>ich</strong> als Kind immer wieder zu ihm ging? Das ist le<strong>ich</strong>t zu<br />

be<strong>an</strong>tworten. Besser n<strong>ich</strong>t wahrgenommen werden, als dauerhafter Gewalt ausgesetzt<br />

zu sein.<br />

Es war aber auch eine Auszeit von meinen Geschwistern, denn diese wurden zu Hause<br />

wie Lieblinge beh<strong>an</strong>delt. Mein Bruder wurde bemuttert und überbeschützt, so <strong>das</strong>s er<br />

s<strong>ich</strong> selber als König sah und s<strong>ich</strong> auch so selber beze<strong>ich</strong>nete. Uns <strong>an</strong>deren Geschwistern<br />

machte er klar, <strong>das</strong>s wir tun müssen was er will.<br />

Meine kleinste Schwester wurde vom ersten Stiefvater wie eine Prinzessin beh<strong>an</strong>delt,<br />

die ja so süß sei, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>ts Böses machen würde. Auch meine <strong>an</strong>dere Schwester<br />

wurde vom zweiten Stiefvater quasi auf Händen getragen, da sie viele Gemeinsamkeiten<br />

hatten, wie z.B. den Familienhund. Da meine Geschwister n<strong>ich</strong>t zu unseren leibl<strong>ich</strong>en<br />

Vater wollten und ihn als Monster definierten, hatte <strong>ich</strong> die Hoffnung, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

zumindest von meinem Vater geschätzt oder zumindestnes gesehen werde. Doch<br />

Fehl<strong>an</strong>zeige. Jedes Mal, wenn <strong>ich</strong> bei ihm war, durfte <strong>ich</strong> zwar essen und trinken was <strong>ich</strong><br />

wollte und auch sol<strong>an</strong>ge fernsehen wie meine Augen auf waren.<br />

Was s<strong>ich</strong> hier als verwöhnen, verziehen oder als der Kindertraum schlechthin, <strong>an</strong>hören<br />

mag, habe <strong>ich</strong> damals als unbedingt lebensnotwendig <strong>an</strong>gesehen. Essen und auch<br />

Trinken waren in diesen Momenten meine Freunde und Familie. Diejenigen, die mir<br />

keine Vorwürfe machten oder m<strong>ich</strong> gar beleidigten, sondern m<strong>ich</strong> liebten. Es ging ihnen<br />

um mein kleines Kinderwohl. Sie machten diese Welt wieder etwas süß und<br />

verschlossen oberflächl<strong>ich</strong>, wie ein Placebo, einige emotionale Wunden. Sie konnten<br />

m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t beschützen, sie sind leise geblieben, wenn ein Unrecht geschah, aber für<br />

einen klitzekleinen Moment machten sie <strong>das</strong> Leben doch wieder lebenswert.<br />

Damals bahnte s<strong>ich</strong> m<strong>an</strong>chmal beim fernsehen und Süßigkeiten essen, nach turbolenten<br />

Zeiten, eine Träne den Weg die W<strong>an</strong>ge herunter. Während <strong>ich</strong> diese Zeilen hier<br />

schreibe, habe <strong>ich</strong> mehr als einen Flashback, denn <strong>ich</strong> verspüre plötzl<strong>ich</strong> wieder diese<br />

Gefühle des kleinen Flo`s.<br />

Nach Jahren des Suchens nach meinem Vater, da <strong>ich</strong> einfach n<strong>ich</strong>t glauben wollte, <strong>das</strong>s<br />

er verstorben sein soll und den Spuren misstraute, wurde er Anf<strong>an</strong>g 2018 gefunden.<br />

Nach unzähligen Behördengängen, Flyer verteilen, selbst nach ihm suchen und einer<br />

Detektei wurde er durch einen Wechsel meiner Strategie von mir gefunden.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 67<br />

Die g<strong>an</strong>ze Zeit überlegte <strong>ich</strong> logisch und ging daher chronologisch vor, wo er jetzt sein<br />

könnte. War er in einem Obdachlosenheim, Tod oder doch bei Freunden. Als <strong>ich</strong><br />

versuchte seine Freunde zu erre<strong>ich</strong>en, ließen sie s<strong>ich</strong> von ihrer Sekretärin entschuldigen<br />

oder legten gle<strong>ich</strong> auf, nach dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> vorgestellt hatte. Sie k<strong>an</strong>nten m<strong>ich</strong> g<strong>an</strong>z<br />

genau. Ob sie wirkl<strong>ich</strong> Freunde waren, möchte <strong>ich</strong> bezweifeln, sie machten Karriere,<br />

während er schwarz für sie arbeitete und nennen s<strong>ich</strong> heute Bürgermeister und 1. stellv.<br />

Ortsbürgermeister.<br />

Ich besuchte eine Freundin meines Vaters, sie k<strong>an</strong>nten s<strong>ich</strong> schon seit der Schulzeit und<br />

<strong>ich</strong> hoffte von ihr einige Informationen zu bekommen. Nach dem Besuch war <strong>ich</strong><br />

felsenfest überzeugt, <strong>das</strong>s mein Vater noch lebt. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n einem Menschen zwar die<br />

Worte, die er sagen soll, in den Mund legen. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n aber keinen Menschen dazu<br />

bringen, deine Lüge emotional rüber zu bringen.<br />

Sie ist eine Kr<strong>an</strong>kenschwester und erzählte mir etwas über einen Patienten, worauf sie<br />

äußerst emotional reagierte. Als sie d<strong>an</strong>n über ihren besten Freund, also meinem Vater<br />

redet, <strong>das</strong>s er <strong>an</strong>gebl<strong>ich</strong> <strong>an</strong> Leberversagen irgendwo auf der Straße alleine und <strong>an</strong>onym<br />

verstorben sei, verzog sie n<strong>ich</strong>t eine Miene. Ich konnte ihr n<strong>ich</strong>t glauben.<br />

Als Reaktion auf meine Flyer bekam <strong>ich</strong> Tage darauf einige Schreckensmeldungen, sie<br />

stellten s<strong>ich</strong> jedoch als falsche Spur heraus. Ich änderte d<strong>an</strong>n meine Strategie von<br />

logisch zu pragmatisch. Ich weiß n<strong>ich</strong>t warum <strong>ich</strong> dar<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t vorher dachte, denn wer<br />

meinen Vater k<strong>an</strong>nte, wusste <strong>das</strong>s er es weder schön noch logisch brauchte und machte,<br />

sondern ausschließl<strong>ich</strong> pragmatisch. Wie habe <strong>ich</strong> <strong>das</strong> also gemacht? Ich bin zu seinen<br />

alten Baustellen, wo er Auffahrten pflasterte und Gärten <strong>an</strong>legte, geg<strong>an</strong>gen und fragte<br />

bei den Personen nach seiner Telefonnummer. Natürl<strong>ich</strong> hatte sie niem<strong>an</strong>d mehr, aber<br />

er hat die Leute stets darüber informiert, wo seine <strong>an</strong>deren Baustellen waren, <strong>falls</strong> sie<br />

Rückfragen hatten. Der Nachteil der Schwarzarbeit ist natürl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t für s<strong>ich</strong><br />

werben k<strong>an</strong>n und auch n<strong>ich</strong>t im Telefonbuch steht. M<strong>an</strong> war also darauf <strong>an</strong>gewiesen,<br />

<strong>das</strong>s die Kunden einen weiterempfehlen. Durch dieses Netz kam <strong>ich</strong> bis zu einer<br />

Baustelle, die er gemacht hatte, nachdem er als Tod galt. Das war der endgültige Beweis<br />

für m<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verrückt bin, sondern die g<strong>an</strong>ze Zeit über r<strong>ich</strong>tig lag. Irgendw<strong>an</strong>n<br />

kam <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n zu einer relativ neuen abgeschlossenen Baustelle. Die Dame hatte sowohl<br />

Telefonnummer, als auch ein Anliegen <strong>an</strong> ihn. Da <strong>ich</strong> vermutet hatte, <strong>das</strong>s er bei meiner<br />

Stimme, direkt auflegen würde, rief die Dame ihn <strong>an</strong> und bestellte ihn für eine<br />

verbesserungswürdige Stelle. Ich musste ihn einfach sehen, denn auf der Suche nach<br />

ihm stieß <strong>ich</strong> schonmal auf einen Namensvetter von ihm, was für längere Irritationen<br />

sorgte.<br />

Warum versteckt s<strong>ich</strong> jem<strong>an</strong>d und macht s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>onym?


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 69<br />

Als <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n zum besagten Termin fuhr, sah <strong>ich</strong> den M<strong>an</strong>n, der für jede Behörde seit<br />

vielen Jahren als Tod galt. Seitdem weiß <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr, was echt oder falsch war, in<br />

meinem Leben.<br />

Er war es, zweifelsohne und <strong>ich</strong> r<strong>an</strong>g l<strong>an</strong>ge mit mir, ob <strong>ich</strong> zu ihm gehen sollte. Doch<br />

vermutl<strong>ich</strong> hätte <strong>ich</strong> ihm eine aufs Maul gehauen. Nach dem traumatischen Erlebnis mit<br />

der Spritze seiner Frau hat er s<strong>ich</strong> nie wieder nach mir erkundigt oder Kontakt zu mir<br />

aufgenommen. Er ließ m<strong>ich</strong> einfach los. Dieses Mal ließ <strong>ich</strong> ihn los und begrub jeden<br />

Ged<strong>an</strong>ken <strong>an</strong> ihn, sowie den Rest meiner Familie, als wären sie alle Tod.<br />

Es gab aber immer einen Menschen aus meiner Familie, näml<strong>ich</strong> meine zweite T<strong>an</strong>te<br />

D<strong>an</strong>ny, die <strong>an</strong>ders war, sie schien völlig <strong>an</strong>ders zu sein. Sie war/ist knapp, lasst m<strong>ich</strong><br />

lügen, 10-12 Jahre älter als <strong>ich</strong>, jedoch zeigte sie mir unabs<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, eine Seite von ihrem<br />

Leben, auf die <strong>ich</strong> hoffen konnte. Leider hatten wir zu wenig Berührungspunkte, da sie<br />

irgendw<strong>an</strong>n, s<strong>ich</strong> den Unmut der Familie zuzog, weil sie ihr Leben n<strong>ich</strong>t so lebte wie alle<br />

in der Familie es für r<strong>ich</strong>tig halten würden. Sie zog weg und machte <strong>das</strong> einzig r<strong>ich</strong>tige,<br />

näml<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nochmal umzudrehen.<br />

Ich schaute stets zu ihr auf, denn sie war in meiner gesamten Kindheit mein heiml<strong>ich</strong>es<br />

Vorbild. Sie war smart, charismatisch, schlagfertig, lieb, authentisch, kämpferisch und sie<br />

hatte einen Blick für die Bedürfnisse <strong>an</strong>derer. Sie war diejenige, die mir einst ihre<br />

Wohnung zur Verfügung stellte, um mein erstes letztes Date mit der f<strong>an</strong>tastischsten<br />

Frau der Welt zu haben. Zu dem Zeitpunkt konnte niem<strong>an</strong>d ahnen, <strong>das</strong>s sie damit<br />

erhebl<strong>ich</strong> mein Leben beeinflussen würde und auf ewig mehr sein wird als nur eine<br />

R<strong>an</strong>dnotiz im Buch meines Lebens.<br />

Sie war der Grundstein für meine Liebe, meine Gesch<strong>ich</strong>te und mein Leben.<br />

An dieser Stelle möchte <strong>ich</strong> ihr einfach d<strong>an</strong>ken. Ich merke, wie tief dieser D<strong>an</strong>k in<br />

meinem Herzen verwurzelt ist, denn <strong>ich</strong> kämpfe gerade mit meinen Emotionen. Ich<br />

erinnere m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> die KJP-Zeit, als <strong>ich</strong> von ihr ein Harry Potter Hörbuch auf CD bekam. Es<br />

war der Teil "Gef<strong>an</strong>gener von Askab<strong>an</strong>", gelesen von Rufus Beck. Die Ironie hierbei, ist<br />

mir heute durchaus bewusst. Ich hörte sie mir so zieml<strong>ich</strong> jeden Tag <strong>an</strong> und nachts zum<br />

besseren einschlafen. So ist es heute noch. Es war der Beginn meiner "Liebe" zur<br />

Harry-Potter-Saga.<br />

So viele Jahre habe <strong>ich</strong> schweigend mit diesen Sachen gelebt, die <strong>ich</strong> damals schon n<strong>ich</strong>t<br />

verkraftet habe und habe mir sogar eingeredet, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> alleine dar<strong>an</strong> schuld sei.<br />

Doch mit meinen Selbstvorwürfen versuche <strong>ich</strong> nun Schluss zu machen, denn wie soll <strong>ich</strong><br />

<strong>das</strong> denn auch sein?


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 71<br />

Ich habe niemals gesagt, <strong>das</strong>s Mutti für Vati, die Beine breit machen soll und daraus<br />

dummerweise vier Kinder entstehen. Für eure Karrieren und euren Lebensentwurf seit<br />

nur ihr ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> lasse mir <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t mehr <strong>an</strong>kreiden. Ich bin auch n<strong>ich</strong>t eure<br />

Ausrede, <strong>das</strong> es zu Hause n<strong>ich</strong>t lief und <strong>das</strong> ihr zu solchen Mitteln greifen musstet. Denn<br />

es lief auch ohne m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t rund und <strong>das</strong> wisst ihr auch. Zudem gibt es für Gewalt keine<br />

Rechtfertigung!<br />

Ich war der Junge, der versucht hat ein wenig Menschl<strong>ich</strong>keit, Anerkennung und Liebe<br />

zu bekommen. Wisst ihr wie es ist, einen dreifachen Widerspruch in s<strong>ich</strong> zu tragen,<br />

indem m<strong>an</strong> Heimweh, Fernweh und Sehnsucht gle<strong>ich</strong>zeitig verspürt. Alle Taten, alle<br />

Worte, jedes Datum und alle Verachtung die ihr mir entgegen brachtet, sind wie ein<br />

Br<strong>an</strong>ding in meiner Seele eingebr<strong>an</strong>nt.<br />

Also hört euch, verflixt noch mal, zumindest jetzt, meine Worte <strong>an</strong> und versucht mir<br />

n<strong>ich</strong>t zu diktieren, wie <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> aus eurer S<strong>ich</strong>t damals fühlte.<br />

Vor der Wahrheit, k<strong>an</strong>n niem<strong>an</strong>d Fliehen und ihr solltet euch eine Frage stellen! Wenn<br />

es so wäre, <strong>das</strong>s du alles zurück bekommst, was du <strong>an</strong>deren Menschen <strong>an</strong>get<strong>an</strong> hast,<br />

bist du erle<strong>ich</strong>tert oder hast du Angst?<br />

Im hier und jetzt habe <strong>ich</strong> durch zwei g<strong>an</strong>z tolle Menschen aus der Nachbarschaft eine<br />

Ahnung davon bekommen, wie Familie sein könnte. Während Kirstin eher meine<br />

emotionale Seite abdeckt, nimmt Jens eine Art Vaterrolle ein. Er erklärt und bringt mir<br />

Dinge bei, er ist geduldig und nimmt s<strong>ich</strong> auch jede Zeit dafür. Er diskutiert und<br />

erweitert meine S<strong>ich</strong>tweise von der Welt. Ich k<strong>an</strong>n mit jedem Problem zu ihnen<br />

kommen und weiß, sie würden mir die Welt niemals schöner oder schlechter reden als<br />

sie ist. Sie verbessern m<strong>ich</strong> und mein Leben. Mir ist sehr wohl bewusst, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t<br />

meine Eltern sind, jedoch vermitteln mir beide <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> willkommen bin.<br />

Dieses Gefühl nach so vielen Jahren zu haben, ist so überwältigend, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>an</strong>chmal<br />

n<strong>ich</strong>t weiß, wie <strong>ich</strong> damit umgehen soll. Ich ziehe m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n lieber zurück und auch <strong>das</strong><br />

wird durch sie akzeptiert. Egal wie viele Freunde <strong>ich</strong> hatte, sie können n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> Gefühl<br />

einer Familie ersetzen. Eine Birne ist nun mal kein Apfel, auch wenn Freunde ein großer<br />

Best<strong>an</strong>dteil deines Lebens sind.<br />

Es stellen s<strong>ich</strong> mir sämtl<strong>ich</strong>e Härchen auf, weil <strong>ich</strong> <strong>das</strong> wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t gut k<strong>an</strong>n, aber <strong>ich</strong><br />

möchte euch sagen: "Ich habe euch lieb"!<br />

Springen wir noch mal einige Jahre zurück. Ich setzte alle meine Träume, weit weg von<br />

Niedersachsen nahezu in die Tat um, jedoch schlug <strong>das</strong> Schicksal erneut erbarmungslos<br />

zu.


Seite 72<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 73<br />

Meine Frau und meine Tochter starben bei einem Verkehrsunfall.<br />

Im Vergle<strong>ich</strong> zu diesem Schmerz, war meine Kindheit <strong>das</strong> reinste Paradies. Das Leben,<br />

<strong>das</strong> <strong>ich</strong> zuvor k<strong>an</strong>nte und Stück für Stück mit harter Arbeit und Hilfe aufbaute, gab es auf<br />

einmal n<strong>ich</strong>t mehr und mit meinen jungen Jahren erk<strong>an</strong>nte <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s um m<strong>ich</strong> herum nur<br />

Illusionen waren und keine tragenden Säulen. Ich war am Ende und bereit zu sterben.<br />

Was s<strong>ich</strong> jetzt hier <strong>an</strong>hören mag, wie ein Theaterstück, ist die bittere Realität. Ich wollte<br />

tot sein und <strong>das</strong> am besten gestern als heute und wenn <strong>ich</strong> ehrl<strong>ich</strong> zu mir selber bin, ist<br />

dies in schlimmen Episoden, der Depression auch heute noch so.<br />

Der Tag <strong>an</strong> dem d<strong>ich</strong> so ein Ereignis erwischt und der darauffolgende Tag ist hart, aber<br />

du hast Personen um d<strong>ich</strong>, die d<strong>ich</strong> auf keinen Fall alleine lassen. Im Vergle<strong>ich</strong> zu der<br />

Zeit, in der du d<strong>an</strong>n alleine mit deiner Trauer bist, sind diese Tage ein Kinderspiel. In der<br />

Woche darauf, beginnt die schlimmste Zeit deines Lebens, es gibt n<strong>ich</strong>ts mehr als Stille.<br />

Nach ihrem Tod, gab es Momente, die <strong>ich</strong> vor Trauer fast n<strong>ich</strong>t aushielt, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

weinen konnte. Es lief keine Träne, bis heute n<strong>ich</strong>t und <strong>das</strong> frustrierte m<strong>ich</strong>. Viele<br />

nahmen immer <strong>an</strong> <strong>ich</strong> wäre wütend, aber <strong>das</strong> war <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, denn <strong>ich</strong> war außer mir. In<br />

dem Moment hatte <strong>ich</strong> die Kontrolle verloren. Alles was <strong>ich</strong>, tief in mir, aus der Kindheit<br />

vergraben hatte, schoss auf einmal <strong>an</strong> die Oberfläche. Ich war einfach n<strong>ich</strong>t in der Lage,<br />

dieser Emotion zu widerstehen.Wie konnte sie es wagen, m<strong>ich</strong> alleine zu lassen? Warum<br />

sind sie einfach gestorben und haben m<strong>ich</strong> alleine zurück gelassen?<br />

Jedes "bitte kommt zurück"-geflehe brachte n<strong>ich</strong>ts. Also habe <strong>ich</strong> mir gewünscht, <strong>das</strong>s<br />

<strong>ich</strong> <strong>an</strong> ihrer Stelle gestorben wäre. Sie sollte <strong>an</strong> meiner Stelle leben, sie hat <strong>das</strong> Leben<br />

genossen, während <strong>ich</strong> nur darauf achtete, wie <strong>an</strong>dere mein Leben beurteilten. Mit<br />

jedem Tag mehr weiß <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t zurückkommt und mir wird bewusster, wer <strong>ich</strong><br />

ohne sie eigentl<strong>ich</strong> bin.<br />

Die ersten Jahre, konnte <strong>ich</strong> die Namen der Beiden n<strong>ich</strong>t nennen, es war wie eine<br />

Blockade. Es wäre wie ein letztes Eingeständnis, <strong>das</strong>s es sie wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr gibt. Ich<br />

verstummte immer mehr und sprach mit der Zeit garn<strong>ich</strong>t mehr. Das Reden tat so weh,<br />

sogar <strong>das</strong> Atmen tat weh und sol<strong>an</strong>ge keiner wusste wie wir sie zurückholen konnten,<br />

sah <strong>ich</strong> keinen Sinn darin, zu reden.<br />

Ich war noch nie, meinem Traum so nah wie mit ihr. Wir gingen stets bei jedem<br />

Problem, immer zusammen weiter, aber dieses Mal kamen wir nie gemeinsam <strong>an</strong>. Weil<br />

uns nun Welten trennen, wurde unser Glück beendet. Wieso hat uns Gott so viel<br />

durchmachen lassen, wenn es doch n<strong>ich</strong>t als Happy-End hätte enden sollen? Das k<strong>an</strong>n<br />

doch für uns n<strong>ich</strong>t so gepl<strong>an</strong>t gewesen sein. Ich komme, egal wie <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> bemühe und<br />

dagegen sträube, immer wieder, <strong>an</strong> derselben depressiven Stelle <strong>an</strong>.


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 75<br />

Ich sah die verschiedenen Jahreszeiten, <strong>an</strong> mir vorbei ziehen, eine nach der <strong>an</strong>deren,<br />

während <strong>ich</strong> suchte. Viel Zeit verbrachte <strong>ich</strong> damit, Gründe und Antworten zu suchen,<br />

warum sie mir genommen wurde, aber m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>ts finden, wenn es niem<strong>an</strong>den<br />

gibt der dir eine Antwort geben k<strong>an</strong>n. Aber im grunde brauchte <strong>ich</strong> bereits <strong>an</strong> dieser<br />

Stelle Hilfe.<br />

Meine damaligen Freunde waren überwiegend jünger als <strong>ich</strong> und eher mit s<strong>ich</strong> selbst<br />

beschäftigt. Diejenigen, die mir hätten helfen können, trauerten selber oder waren<br />

eigentl<strong>ich</strong> keine Freunde. Einzig und allein meine Schwiegereltern waren für m<strong>ich</strong> da. Ich<br />

sah aber, wie sie litten.<br />

Zudem verspürte <strong>ich</strong> eine solche Scham ihnen gegenüber, weil <strong>ich</strong> sie - meiner Meinung<br />

nach - enttäuscht hatte. Als <strong>ich</strong> bei meinem Schwiegervater um die H<strong>an</strong>d seiner Tochter<br />

<strong>an</strong>hielt, habe <strong>ich</strong> ihm versprochen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> seine Tochter immer beschützen werde und<br />

sie bei mir s<strong>ich</strong>er ist. D<strong>an</strong>n stirbt sie mit meiner Tochter und <strong>ich</strong> habe sie n<strong>ich</strong>t<br />

beschützen können. Das k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> mir bis heute n<strong>ich</strong>t verzeihen. Tief im Innern weiß <strong>ich</strong>,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t hätte verhindern können, doch mein Gefühl ist ein <strong>an</strong>deres.<br />

Nachts komme <strong>ich</strong> so schwer in den Schlaf und wenn es mir d<strong>an</strong>n mal gelingt, wühle und<br />

erwache <strong>ich</strong> immer wieder, sogar schweißgebadet, da <strong>ich</strong> wieder diesen schreckl<strong>ich</strong>en<br />

Traum hatte. Sobald <strong>ich</strong> erwache, muss <strong>ich</strong> erstmal herausfinden, in welcher Realität <strong>ich</strong><br />

m<strong>ich</strong> gerade befinde. Der Traum ist jedes Mal intensiv und fühlt s<strong>ich</strong> so echt <strong>an</strong>.<br />

Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> vor 2 Jahren (2016) "geoutet" habe, schwere Depressionen zu haben,<br />

konnten <strong>das</strong> rund 95 % meines Umfeldes n<strong>ich</strong>t glauben und schauten wie ein sparsamer<br />

Tretroller, denn <strong>ich</strong> wäre ja der Letzte, dem sie sowas zugetraut hätten. Plötzl<strong>ich</strong> hat der<br />

Mensch der für <strong>an</strong>dere so stark, so lieb, so lustig, immer da war und der beim Spiel<br />

"N<strong>ich</strong>t Lachen" auch mal über <strong>das</strong> simple kleine Wort Penis lachte, Depressionen.<br />

Ufff<br />

Bei den <strong>an</strong>deren 5 % war es so, <strong>das</strong>s sie ab und <strong>an</strong> mal was ahnten. Sie konnten es<br />

jedoch n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> greifen, kamen d<strong>an</strong>n doch wieder <strong>an</strong>dere Momente, die eine<br />

<strong>an</strong>dere Sprache sprachen. So legten sie ihre Vermutungen ad acta.<br />

Erst nach dem Aufzeigen einiger Situationen öffnete s<strong>ich</strong> der Vorh<strong>an</strong>g. Sie sahen es jetzt<br />

selber und fragten s<strong>ich</strong>: "Warum sah <strong>ich</strong> <strong>das</strong> einfach n<strong>ich</strong>t?". Wenn einige ehrl<strong>ich</strong> zu s<strong>ich</strong><br />

sind, lautet die Antwort, <strong>das</strong>s es sie nie interessiert hat. Kaum jem<strong>an</strong>d fragte m<strong>ich</strong> nach


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Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 77<br />

dem Tod dieser beiden tollsten Menschen in meinem Leben, ob <strong>ich</strong> Hilfe brauche oder<br />

ob es mir gut gehen würde. M<strong>an</strong> nahm es einfach so <strong>an</strong> und ging nur 4 Tage später in<br />

den Alltag über. M<strong>an</strong> zw<strong>an</strong>g m<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong>zeitig dem irgendwie Folge zu leisten.<br />

Ich durfte mir Sachen wie "Sie hätte gewollt, <strong>das</strong>s du weiter machst" <strong>an</strong>hören. Wie sollte<br />

<strong>das</strong> gehen? Meine Frau und <strong>ich</strong> waren uns s<strong>ich</strong>er, <strong>das</strong>s wir n<strong>ich</strong>t wüssten, wie wir ohne<br />

den <strong>an</strong>deren weiterleben könnten. Mag s<strong>ich</strong> für viele wie ein naives Teenager<br />

Gequatsche <strong>an</strong>hören, aber es steckt viel mehr dahinter. Jetzt sollte <strong>ich</strong> es dennoch<br />

können, ohne eine Ahnung wie <strong>das</strong> überhaupt gehen soll. Wenn wir schon bei dem<br />

Thema sind, was sie gewollt hätte, d<strong>an</strong>n wäre es 100% leben gewesen, daher machen<br />

m<strong>ich</strong> die Aussagen, was sie gewollt hätte, fassungslos.<br />

Je länger es her ist, umso weniger werden die Leute Verständnis für die Trauer haben –<br />

diesen Satz finde <strong>ich</strong> so Mega traurig, denn jeder Mensch egal was er betrauert, braucht<br />

seine eigene Zeit. M<strong>an</strong>che Menschen, brauchen vielle<strong>ich</strong>t ein halbes Leben, m<strong>an</strong>che ein<br />

Leben l<strong>an</strong>g.<br />

Ist m<strong>an</strong> frisch verliebt, scheint die Welt stillzustehen. Trauert m<strong>an</strong>, macht die Welt n<strong>ich</strong>t<br />

halt. Sie dreht s<strong>ich</strong> einfach weiter. Es wirkt so respektlos, so eiskalt, so bedeutungslos in<br />

diesen Momenten. Alle <strong>an</strong>deren können n<strong>ich</strong>t verstehen, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mit drehen<br />

möchte. M<strong>an</strong> fühlt den Unmut der <strong>an</strong>deren. Irgendw<strong>an</strong>n geht einem die Kraft aus, um<br />

gegen die s<strong>ich</strong> weiterdrehende Welt <strong>an</strong>zukämpfen und geht irgendwie doch in den<br />

Alltag über. Doch <strong>das</strong> ist kein Alltag! Es ist der Beginn einer nie mehr endenden<br />

Dunkelheit.<br />

In dieser Zeit schaute <strong>ich</strong> mir unsere Bilder immer wieder <strong>an</strong>. Irgendwas in mir sagte,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sie wegwerfen sollte ,wie beim Liebeskummer, doch <strong>das</strong> konnte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Es ist<br />

egal was von beidem m<strong>an</strong> macht, es ist wie als nehme m<strong>an</strong> ein Messer, schneidet s<strong>ich</strong><br />

und schaue s<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>gsam beim Sterben zu. Ich war so verzweifelt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sogar<br />

halluzinogene Pilze nahm, um sie wiederzusehen. Einige Tage hat es funktioniert und<br />

d<strong>an</strong>n wurde daraus ein Horrortrip. D<strong>an</strong>ach fasste <strong>ich</strong> keine Drogen mehr <strong>an</strong>.<br />

Was nun? Wie soll es weitergehen?<br />

Ich lag eigentl<strong>ich</strong> die g<strong>an</strong>ze Zeit auf meinem Bett, in der Hoffnung, <strong>das</strong>s die Geräusche<br />

um m<strong>ich</strong> herum n<strong>ich</strong>t verstummen würden und eine Art von Tod, Emotionslosigkeit oder<br />

eine Besserung der Situation eintreten würde. Aber während <strong>ich</strong> schlief, veränderte s<strong>ich</strong><br />

meine Welt. Das Paradies im Kopf wurde zu unfruchtbaren Boden, wo es weder Farben<br />

noch Leben gab. Ich konnte auf einmal <strong>das</strong> Gras, die Blumen und die Sterne n<strong>ich</strong>t mehr<br />

sehen. Versteht m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t falsch, sehen konnte <strong>ich</strong> sie, aber n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong><br />

wahrnehmen.


Seite 78<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 79<br />

Wahrnehmen mit diesem Gl<strong>an</strong>z, den Düften aber auch den Erinnerungen. Die ersten<br />

Sekunden fühlten s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> wie ein Krieg, wo der Frieden n<strong>ich</strong>t mehr gehalten werden<br />

konnte.<br />

Ihr müsst euch <strong>das</strong> so vorstellen: tiefe, schwarze Nacht. Es schimmerte weder ein<br />

Lämpchen in der Ferne noch sorgte ein heller Stern am Himmel für Orientierung. Keine<br />

Kriegsschauplätze. Es war diese unheiml<strong>ich</strong>e Stille, wo jeder auf den ersten Schlag der<br />

<strong>an</strong>deren Seite wartete. Ich hatte nie eine solche Dunkelheit erfahren. Ich war<br />

<strong>an</strong>scheinend gef<strong>an</strong>gen im eigenen N<strong>ich</strong>ts. Jegl<strong>ich</strong>e Versuche diesem N<strong>ich</strong>ts zu<br />

entkommen waren hoffnungslos. Ich hatte <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> nur auf einem Fleck<br />

bewegte und n<strong>ich</strong>t mehr vorwärts kam.<br />

Es war mit einem Mal nirgends ein Anhaltspunkt vorh<strong>an</strong>den, nach dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> hätte<br />

r<strong>ich</strong>ten können. In mir war nur noch diese umfassende Leere. Mein Herz fühlte s<strong>ich</strong><br />

schwer und gle<strong>ich</strong>zeitig leer <strong>an</strong>. Ich wusste mir würde von nun <strong>an</strong> etwas fehlen. Etwas,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> zum Leben brauchte. Mein Gefühl vermittelte mir deutl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> früher oder<br />

später sterben werde, wenn <strong>ich</strong> <strong>das</strong>, was <strong>ich</strong> brauche, n<strong>ich</strong>t finde. Ich sah alles so<br />

verschleiert und neblig vor mir. Doch die Botschaft war klar, der Tod ist hinter mir her.<br />

Ich konnte n<strong>ich</strong>t fliehen, egal in welche R<strong>ich</strong>tung <strong>ich</strong> lief. Das schien nun mein Schicksal<br />

zu sein.<br />

Ich war nie gläubig, mir war dennoch <strong>das</strong> Lebensprinzip klar. Menschen werden<br />

geboren, werden älter und d<strong>an</strong>n irgendw<strong>an</strong>n sterben sie. Das ist die Welt in der wir<br />

noch leben. Aber sie waren noch so jung, welcher Pl<strong>an</strong> oder Glaube könnte mir <strong>das</strong> je<br />

rechtfertigen oder erklären?<br />

Hatte <strong>ich</strong> einen heftigen depressiven Schub, der in eine P<strong>an</strong>ikattacke überging, so <strong>das</strong>s<br />

<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, um die Ruhe zu bewahren, auf den Boden knien musste, kniete s<strong>ich</strong> meine<br />

Frau neben m<strong>ich</strong>, nahm meine H<strong>an</strong>d und sagte mir stets einen Satz. "Flo, habe mehr<br />

Träume, als die Realität zerstören k<strong>an</strong>n!"<br />

Diese Worte habe <strong>ich</strong> heute noch in Erinnerung, wenn <strong>ich</strong> in eine solche Situation<br />

komme. Doch heute scheinen sie m<strong>ich</strong> zu verhöhnen, musste <strong>ich</strong> doch tatenlos mit<br />

<strong>an</strong>sehen, wie alles zerstört wurde.<br />

Ich vermisse wie sie lacht, weint, ihre Hände, ihren Geruch und wie sie schläft.<br />

Vermissen heißt geliebt zu haben und deswegen werde <strong>ich</strong> diese Erinnerungen <strong>an</strong> uns<br />

immer bewahren. Alles was mir geblieben ist und auch immer bleiben wird, sind diese<br />

Sachen und meine leuchtenden Augen, wenn <strong>ich</strong> von ihnen erzähle. Heute, Morgen,<br />

einfach immer. Sol<strong>an</strong>ge <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> sie erinnere, werden sie leben. Sie leben in meinen<br />

Worten, in meinen Ged<strong>an</strong>ken und in meinen Taten. Dies wird mir keine Depression


Seite 80<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Wie aus einem wem ein was wurde Seite 81<br />

dieser Welt kaputt machen können. Jedes einzelne "Ich liebe d<strong>ich</strong>", <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ihr sagte,<br />

war eine Prophezeiung ohne Mindesthaltbarkeitsdatum.<br />

Die Welt scheint ein wenig l<strong>an</strong>gsamer zu sein, wenn es regnet. Ich gehe d<strong>an</strong>n gerne raus<br />

und fühle m<strong>ich</strong> ihr nah. Jeder Tropfen fühlt s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>, als würde sie gerade <strong>an</strong> m<strong>ich</strong><br />

denken. Ich gehe gerne zu einem kleinen Wasserfall im Park der Sinne in Laatzen und <strong>an</strong><br />

m<strong>an</strong>chen Tagen lässt der Regen den Wasserfall verstummen. Dies fasziniert m<strong>ich</strong>, denn<br />

<strong>das</strong> bin <strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> verstummte auch mit der Zeit und den <strong>an</strong>deren fiel es durch die<br />

Lautstärke der Umwelt n<strong>ich</strong>t auf.<br />

Heute habe <strong>ich</strong> zum Teil wieder Hobbies. Pokerturniere, Schach und gelegentl<strong>ich</strong> auf<br />

dem PC, Fußball M<strong>an</strong>ager, sind erste Schritte zurück ins Leben. Ich scheine <strong>das</strong> auch<br />

g<strong>an</strong>z gut zu können, wenn <strong>ich</strong> mir die Pokale auf meinem Kamin <strong>an</strong>schaue. Betrachtet<br />

m<strong>an</strong> es genauer, erkennt m<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s es Dinge sind, bei denen m<strong>an</strong> <strong>an</strong>dere Menschen<br />

r<strong>ich</strong>tig einschätzen und ihre Züge vorausahnen muss. Irgendwie scheint dies der rote<br />

Faden zu sein, der s<strong>ich</strong> durch mein Leben zieht.<br />

Ihr werdet euch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch fragen, wie <strong>ich</strong> leben k<strong>an</strong>n, wenn <strong>ich</strong> doch eigentl<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t mehr leben wollte. Die Antwort verbirgt s<strong>ich</strong> in diesem Buch. Sie ist vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t<br />

für jeden offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, daher gebe <strong>ich</strong> euch einen Tipp.<br />

Achtet auf die verborgene Schönheit!


Seite 82<br />

Wie aus einem wem ein was wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 83<br />

ALS MEINE SEELE VON ALLEINE DUNKEL WURDE<br />

Schon alleine <strong>das</strong> Wort "Depression", löst bei mir einen solchen "Ged<strong>an</strong>kensmog" aus,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> kaum Worte dafür finde. Eben hatte <strong>ich</strong> die Worte noch, doch kaum muss <strong>ich</strong><br />

darüber reden oder schreiben, entfallen sie mir wieder. Ich bekomme diese eine<br />

bestimmte Formulierung n<strong>ich</strong>t hin, die es am besten beschreibt.<br />

Deshalb schrieb <strong>ich</strong> mein Buch auch in drei Phasen:<br />

1. erst mal alles auf Papier bringen, so wie es gerade formuliert werden k<strong>an</strong>n<br />

2. alles ordnen und korrigieren<br />

3. es r<strong>ich</strong>tig machen lassen.<br />

Warum? Das Wort Depression ist ein Sammelbecken für Störungen, Ängste und Begriffe,<br />

mit fließenden Übergängen. Dabei ist dieser Begriff selber auch nur ein Name in einem<br />

viel größeren Sammelbecken. M<strong>an</strong> fängt einmal <strong>an</strong>, darüber zu ber<strong>ich</strong>ten und muss<br />

d<strong>an</strong>n r<strong>ich</strong>tig weit ausholen, um alles mit reinzunehmen und sei es auf den ersten Blick<br />

noch so unbedeutend.<br />

M<strong>an</strong> beginnt, über <strong>das</strong> große G<strong>an</strong>ze nachzudenken, wie den Sinn des Lebens, Glauben,<br />

Krieg, Hunger, Leid, Veränderung der Werte, W<strong>an</strong>del der Zeit und die eigene Position in<br />

der Gesellschaft. "Depressive sehen die Welt tendenziell klarer, mehr so wie sie ist",<br />

schrieb mal ein Psychiatrieprofessor aus Boston. Ich k<strong>an</strong>n ihm nur Recht geben, aber es<br />

ist natürl<strong>ich</strong> eine gewagte These, die bestimmt n<strong>ich</strong>t in jedem Fall zutrifft, aber sie zeigt<br />

auch, <strong>das</strong>s Menschen mit Depressionen durch die festgefahrenen Vorstellungen in<br />

unserer Leistungsgesellschaft oft unterschätzt werden.<br />

Kennt ihr <strong>das</strong> auch?<br />

Ein komisches Gefühl, <strong>das</strong> s<strong>ich</strong> immer mehr in einen rein frisst. M<strong>an</strong>chmal ist es so, als<br />

spüre m<strong>an</strong> eine Gefahr, eine Unruhe, einen aufziehenden Sturm, aber irgendwie fehlt<br />

die klare S<strong>ich</strong>t. M<strong>an</strong> weiß n<strong>ich</strong>t genau, was es ist. Mit einem Mal fühlt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> so leer<br />

und doch gle<strong>ich</strong>zeitig so voll! Wir Menschen warten mit einigen Dingen so l<strong>an</strong>ge, als<br />

hätten wir noch ein zweites Leben. Daher denkt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts weiter dabei und<br />

unterdrückt dieses oberflächl<strong>ich</strong>e Gefühl, doch es kommt immer häufiger, wird<br />

ungemütl<strong>ich</strong>er und wuchtiger. Dieses Gefühl entwickelt s<strong>ich</strong> und wird auch immer<br />

persönl<strong>ich</strong>er. Wer spätestens jetzt, keine Zeit für seine Gesundheit aufbringt, wird<br />

später viel Zeit für seine Kr<strong>an</strong>kheiten brauchen. Keine Zeit ist keine Tatsache sondern<br />

deine Entscheidung. Wir können die Ged<strong>an</strong>ken drehen und wenden wie wir wollen, es


Seite 84<br />

Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 85<br />

führt einfach ins spr<strong>ich</strong>wörtl<strong>ich</strong>e N<strong>ich</strong>ts. Mit der Zeit bekommt ihr eine Ahnung, was ihr<br />

haben könntet, doch ihr wollt es n<strong>ich</strong>t wahrhaben und auf keinen Fall aussprechen. Das<br />

falsche Vorurteil vieler Menschen über den Depressionsablauf spr<strong>ich</strong>t für s<strong>ich</strong> selber,<br />

denkt m<strong>an</strong>: Blei, Stille, Angst, endl<strong>ich</strong> verrückt und Weg. Ihr habt somit Angst dem<br />

Klischee "Depressiver" unterworfen zu werden. Aber die "Angst vor einem Namen<br />

macht nur noch größere Angst vor der Sache selbst" (Harry Potter und die Kammer des<br />

Schreckens) trifft es zieml<strong>ich</strong> genau.<br />

Stellt euch vor, ihr seid <strong>das</strong> x-te Mal beim Arzt, nach dem ihr endl<strong>ich</strong> akzeptieren<br />

konntet, <strong>das</strong>s ihr n<strong>ich</strong>t gesund seid und ihr <strong>das</strong> mal genauer beleuchten lassen wollt. Es<br />

ist n<strong>ich</strong>t mehr die Rede davon, <strong>das</strong>s ihr "nur" einen "Winterblues" habt oder er euch -<br />

ohne euch genauer zu begutachten – wegschickt. Egal ob mit gelbem Schein oder ohne.<br />

Endl<strong>ich</strong> habt ihr eure Gefühle, Schmerzen und Ängste einem Arzt verkaufen können.<br />

Verkaufen in dem Sinne, weil ihr n<strong>ich</strong>ts vorweisen könnt, um eure These zu<br />

untermauern, bis auf euer eigenes Wort. Ihr werdet schon hier dermaßen<br />

Schwierigkeiten haben, die r<strong>ich</strong>tigen Worte für euren Zust<strong>an</strong>d zu finden.<br />

Ihr bekommt die Diagnose "Depression", mit ihrem zugehörigen, auf euch<br />

zugeschnittenen Schweregrad. Ihr erfahrt, was ihr habt oder haben könntet, doch nach<br />

dem Fachchinesisch des Arztes habt ihr nur eine Frage: "hä? Was?".<br />

Er versucht es euch einfacher zu erklären, doch es bleibt eine medizinisch abgehobene<br />

Erklärung. Zudem seid ihr ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong>, seit der Diagnose mit dem Signalwort Depression<br />

g<strong>an</strong>z wo<strong>an</strong>ders und folgt dem Gespräch n<strong>ich</strong>t mehr aufmerksam, in dem er euch, wenn<br />

es ein ums<strong>ich</strong>tiger Arzt ist, erklärt was ihr für nächste Schritte zu gehen habt. Doch ist es<br />

ein Allgemeinmediziner, kommt es schon recht häufig vor, <strong>das</strong>s er euch n<strong>ich</strong>t sagen<br />

k<strong>an</strong>n, was ihr machen sollt, außer zu einem Psychologen zu gehen, ohne einen aber<br />

selber empfehlen zu können. Folgt ihr diesem Rat, bekommt ihr häufig nur noch den<br />

Anrufbe<strong>an</strong>tworter <strong>an</strong>s Ohr oder direkt eine Absage oder eine Warteliste mit dutzenden<br />

Leuten vor euch, weil die Ärzte völlig überlastet sind. Natürl<strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch Glück<br />

haben, <strong>das</strong> m<strong>an</strong> zur r<strong>ich</strong>tigen Zeit am r<strong>ich</strong>tigen Ort <strong>an</strong>ruft.<br />

Ihr verlasst die Arztpraxis in einem "Schockzust<strong>an</strong>d", ihr habt eine Diagnose! Immer<br />

wieder schaut ihr auf diesen Diagnosenzettel, sofern ihr einen bekommen habt oder<br />

eurem Notizzettel und es stehen eine oder mehrere Diagnosen darauf. Ungläubig,<br />

unwissend, mit einem Hauch von Angst aber auch irgendwie mit "Freude" betrachtet ihr<br />

diesen Zettel immer wieder.<br />

Es gelingt euch einfach n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong> alles einzuordnen. Eine Google-Suche über die<br />

Bedeutung der Diagnosen, da ihr da mal nachschauen wollt, was <strong>das</strong> auf Laiensprache


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 87<br />

zu bedeuten hat und ihr jetzt wieder aufnahmefähig seid, beruhigt euch n<strong>ich</strong>t.<br />

Stattdessen tauchen bei den Suchergebnissen Dinge wie Schizophrenie o.ä. auf. Ihr lest<br />

Erfahrungsber<strong>ich</strong>te, die euch arg zurückschrecken lassen, in die ihr so viel Hoffnung<br />

gesteckt habt, um einen Pl<strong>an</strong> auf die Beine zu stellen.<br />

Warum ihr da so m<strong>an</strong>che Horrorgesch<strong>ich</strong>te lesen werdet, liegt dar<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s die<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten kategorisiert werden und somit eure Kr<strong>an</strong>kheit auch mit <strong>an</strong>deren in einer<br />

Spalte zusammengefasst ist, die ihr nie bekommen werdet. Bei Google ist es aber auch<br />

so, <strong>das</strong>s vieles <strong>an</strong>gezeigt wird wonach m<strong>an</strong> garn<strong>ich</strong>t gesucht hat. Zudem gibt es ja auch<br />

Leute die einfach aus Spaß irgendwelche Sachen in Foren schreiben, bestes Beispiel sind<br />

die immer wieder verfälschten Wikipedia-Seiten. Eure Ged<strong>an</strong>ken spielen verrückt und<br />

ihr denkt: "Da fehlen nur noch Flöhe, d<strong>an</strong>n habe <strong>ich</strong> echt alles!".<br />

Was kommt d<strong>an</strong>n?<br />

Ihr geht nach Hause, <strong>falls</strong> ihr <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t längst seid und versucht irgendwie "normal" am<br />

Alltag teilzunehmen, doch die Ged<strong>an</strong>ken lassen euch n<strong>ich</strong>t los.<br />

Ein paar Tage später kommt d<strong>an</strong>n so etwas wie ein Aufheller. Ihr habt einfach ein paar<br />

gute Tage. M<strong>an</strong> fühlt s<strong>ich</strong> gut und k<strong>an</strong>n endl<strong>ich</strong> mal wieder ein wenig durchatmen.<br />

Ihr denkt, alles n<strong>ich</strong>t so schlimm, alles wieder gut bei mir. In diesem Zeitraum, hebt ihr<br />

die Kr<strong>an</strong>kheit aber in die nächste Phase, nennen wir sie "Leugnungsphase". In dieser Zeit<br />

versucht ihr euch einzureden, <strong>das</strong>s es vielle<strong>ich</strong>t doch nur ein "Winterblues" war. Es ist<br />

alles gut und so dist<strong>an</strong>ziert ihr euch von den Diagnosen, über die ihr euch vor n<strong>ich</strong>t allzu<br />

l<strong>an</strong>ger Zeit unter <strong>an</strong>derem "gefreut" habt. Euer Verst<strong>an</strong>d ist bereit diese tröstl<strong>ich</strong>e Lüge<br />

zu Glauben, obwohl er die schmerzhafte Wahrheit kennt, die die Lüge notwendig<br />

machte. Euer Verst<strong>an</strong>d wird euch dafür bestrafen, <strong>das</strong>s ihr beides geglaubt habt. Auch<br />

nach einigen schlechteren Tagen, nennen wir sie einfach "Smokey Days", versucht ihr<br />

euch selbst zu überzeugen, <strong>das</strong>s einfach alles gut ist.<br />

Eurem Umfeld und euch zeigt ihr eine Maske und versucht euch so zu verhalten, als sei<br />

alles super. Da <strong>das</strong> Leben euch schon l<strong>an</strong>ge wie ein Maskenball erscheint, bei dem kaum<br />

einer sein wahres Ges<strong>ich</strong>t zeigt, redet ihr euch auch ein positives Gefühl ein. Doch in<br />

Wahrheit bereitet ihr euch morgens, während ihr noch im Bett liegt, mental auf die Welt<br />

"da draußen" vor, um mit den Menschen klarzukommen.<br />

M<strong>an</strong> würde so gerne unbeschwert rausgehen, aber m<strong>an</strong> traut s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ohne<br />

„Vorbereitung“ hinaus. Vorbereitung bedeutet, <strong>das</strong>s ihr auf den Mut und die Ruhe<br />

wartet, so als würdet ihr mit Höhen<strong>an</strong>gst zum ersten mal vom Dreier springen wollen


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 89<br />

Dabei steckt die g<strong>an</strong>ze Zeit schon Mut in uns. Auf ein "guten Morgen", würde m<strong>an</strong> sonst<br />

"etwas n<strong>ich</strong>t gesellschaftl<strong>ich</strong> akzeptiertes" als Antwort geben, gerade <strong>an</strong> Tagen <strong>an</strong> denen<br />

m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> mal wieder wie eine Stuhlprobe fühlt. Wenn m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n doch draußen ist, weil<br />

m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> von niem<strong>an</strong>dem den Mut nehmen lassen will, hofft m<strong>an</strong> auf mögl<strong>ich</strong>st wenig<br />

Menschen und keine Aufmerksamkeit. Doch genau da klingelte bei mir zum Beispiel der<br />

Alarm der Kasse bei Lidl oder <strong>ich</strong> verschluckte m<strong>ich</strong> in einer Bar <strong>an</strong> einem Cocktail, so<br />

<strong>das</strong>s er in die Nase stieg und mein Aufhusten für <strong>das</strong> Highlight in der gesamten Bar<br />

sorgte. Plötzl<strong>ich</strong> bist du auch 100%-tollpatschiger und egal was du wo machst, es sind<br />

immer riesige Menschenmengen dort.<br />

Zugegeben, <strong>ich</strong> hatte m<strong>ich</strong>, bevor <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> als Depressiver geoutet hatte, furchtbar<br />

geirrt. Ich dachte, <strong>ich</strong> könnte ein Lächeln aufsetzen und so tun, als wäre alles in<br />

Ordnung. Aber so einfach ist <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t. Die schlimmen Dinge bleiben dir erhalten, sie<br />

verfolgen d<strong>ich</strong>, egal wohin. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t dadurch schützen, indem m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> und<br />

den <strong>an</strong>deren ständig eine schöne Fassade zeigt. Wir leugnen alles so l<strong>an</strong>ge bis wir die<br />

Wahrheit n<strong>ich</strong>t mehr erkennen, auch wenn sie s<strong>ich</strong> direkt vor unserer Nase befindet.<br />

Wir haben alle versucht, stark zu bleiben, doch wir werden müde, wir haben Angst.<br />

M<strong>an</strong>chmal möchte m<strong>an</strong> einfach nur schlafen. Schlafen bis alles wieder gut ist. Es fällt<br />

aber so verdammt schwer einzuschlafen, wenn der Kopf n<strong>ich</strong>t aufhören k<strong>an</strong>n zu denken.<br />

Doch egal ob <strong>ich</strong> 8 oder 12 Stunden schlafe, die Müdigkeit geht n<strong>ich</strong>t weg. M<strong>an</strong> ist müde<br />

vom "Leben", müde vom "Kämpfen", müde vom "Nachdenken", müde vom<br />

"Durchhalten". Tiefschlafphasen, die erst für Erholung sorgen, gibt es nur noch selten.<br />

M<strong>an</strong> döst eher und pendelt zwischen wachsein und schlafen.<br />

Dies zu leugnen ändert n<strong>ich</strong>ts <strong>an</strong> der Wirkl<strong>ich</strong>keit. Dein Spiegel zeigt dir, <strong>das</strong>s der Schlaf<br />

zu kurz war und du <strong>an</strong> diesem Tag eher auf die inneren Werte setzen solltest und du<br />

hoffst selbstironisch, die Umwelt würde <strong>das</strong> auch tun. Doch weder du noch die Umwelt<br />

wird dieses tun. In diesem Moment beginnt dein Herz leise zu flüstern: "können wir kurz<br />

aufhören, stark sein zu wollen? Ich k<strong>an</strong>n gerade echt n<strong>ich</strong>t mehr".<br />

Diese Signale zu verstehen, ist etwas völlig <strong>an</strong>deres als auch darauf reagieren zu können.<br />

M<strong>an</strong>chen steht, wie eing<strong>an</strong>gs schon <strong>an</strong>gedeutet, ihr eigenes Ego, falscher Stolz oder die<br />

Geschlechterrolle im Weg. Damit meine <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s Männer noch immer als <strong>das</strong> stärkere<br />

Geschlecht <strong>an</strong>gesehen und auch so beh<strong>an</strong>delt werden. Diese S<strong>ich</strong>tweise erhöht den<br />

Druck, s<strong>ich</strong> diese verschrieene Schwäche einzugestehen. Übertrieben diese These?<br />

Keineswegs! Die Stimme deines Herzens muss immer lauter sein als die Stimme deines<br />

Egos. Achte darauf, denn unsere Zeit ist begrenzt. Verschwendet eure Zeit n<strong>ich</strong>t damit<br />

euer Leben nach der Meinung <strong>an</strong>derer auszur<strong>ich</strong>ten. <strong>Lass</strong>t euch n<strong>ich</strong>t von den


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 91<br />

vermeintl<strong>ich</strong> feststehenden Definitionen, die <strong>das</strong> Ergebnis von Ged<strong>an</strong>ken <strong>an</strong>derer sind,<br />

beherrschen.<br />

W<strong>an</strong>n hast du <strong>das</strong> letzte Mal geweint und <strong>das</strong> vor Lachen oder Freude?<br />

Diese Frage ist gar n<strong>ich</strong>t so einfach zu be<strong>an</strong>tworten, je länger m<strong>an</strong> diese Fassade<br />

aufrecht erhält. M<strong>an</strong>chmal weiß m<strong>an</strong> schon gar n<strong>ich</strong>t mehr was echt oder nur eigene<br />

Fassade ist.<br />

Wir lügen uns selber so l<strong>an</strong>ge etwas vor, bis uns nach einer Weile, die Lügen der<br />

Fassade, wie die Wahrheit vorkommen. Um diese Fassade aufrecht zu erhalten, benötigt<br />

m<strong>an</strong> sehr viel Kraft, mehr Kraft als wir zu diesem Zeitpunkt erahnen. Deswegen ist es<br />

der Kr<strong>an</strong>kheit w<strong>ich</strong>tig, <strong>das</strong>s du sie zunächst leugnest und eine Fassade aufsetzt. Sie<br />

möchte, <strong>das</strong>s du deine Stärken und somit d<strong>ich</strong> selber verfälscht, so <strong>das</strong>s du n<strong>ich</strong>t mehr<br />

nennenswert auf diese Stärke zurückgreifen k<strong>an</strong>nst. Egal wo m<strong>an</strong> ist, egal mit wem m<strong>an</strong><br />

zusammen ist, immer muss diese Fassade funktionieren. Das wird plötzl<strong>ich</strong> zu deinem<br />

eigenen Anspruch! Du musst dem gerecht werden und darfst der Umwelt keine<br />

Schwäche zeigen!<br />

Warum?<br />

In einer Welt, in der Perfektionismus immer mehr die Hauptrolle spielt, sei es auf der<br />

Arbeit, dem eigenen Anspruch gegenüber oder aber auch in der Liebe und dem<br />

Freundeskreis, ist für Schwächen wenig Platz. Das ist die Kr<strong>an</strong>kheit unserer Zeit! Dieses<br />

"<strong>ich</strong> muss perfekt sein" findet g<strong>an</strong>z klar in deinem Kopf statt, doch <strong>das</strong> heißt n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s<br />

es n<strong>ich</strong>t stimmt. Die Realität bestätigt <strong>das</strong> immer wieder, vielle<strong>ich</strong>t sogar in deinem<br />

eigenen Umfeld.<br />

Wie soll s<strong>ich</strong> also ein gläserner Mensch, in einer gläserner Welt, in der jeder Mensch<br />

Steine wirft, vor den <strong>an</strong>deren schützen?Es re<strong>ich</strong>t ein einziger Stein in Form eines Wortes<br />

und dieser Mensch wird in Sekunden zu Scherben zerfallen.<br />

Wenn jedes Wort zu viel ist, weil du keines mehr erträgst und du d<strong>ich</strong> förml<strong>ich</strong> durch die<br />

Tage schleppst, in denen du <strong>das</strong> Gefühl hast, ein Erste-Hilfe-Dummy hätte mehr vom Tag<br />

als du, d<strong>an</strong>n bist du mitten drin in der Depression.<br />

Zunächst, bevor du deinen Freundeskreis verlierst oder er s<strong>ich</strong> reduziert, setzt du also<br />

diese Fassade auf. Für d<strong>ich</strong> spielt es keine Rolle, ob es d<strong>an</strong>n r<strong>ich</strong>tige Freunde wären,<br />

wenn sie d<strong>ich</strong> nach der Veröffentl<strong>ich</strong>ung fallen lassen. Du denkst natürl<strong>ich</strong> dar<strong>an</strong>, aber<br />

wenn die Einsamkeit/Dunkelheit/Kälte s<strong>ich</strong> deutl<strong>ich</strong>er in dir ausbreitet, siehst du die


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 93<br />

Gefahr neben dem tieferen Abrutschen, d<strong>ich</strong> noch wertloser sowie hilfloser zu fühlen,<br />

als du es so schon tust.<br />

Aber vielle<strong>ich</strong>t verspürst du die Einsamkeit bereits, obwohl alle um d<strong>ich</strong> herum sind.<br />

Trotz Familie, Partner und Freunden merkt m<strong>an</strong> m<strong>an</strong>chmal wie alleine m<strong>an</strong> in vielen<br />

Dingen sein k<strong>an</strong>n oder <strong>das</strong>s es dir auf einmal n<strong>ich</strong>t mehr so gut in den Armen deines<br />

Partners geht. Eigentl<strong>ich</strong> fehlt niem<strong>an</strong>d und doch alles. Sie scheinen dir auf einmal<br />

emotional völlig fremd zu sein, obwohl du diese Menschen so liebst. Es wird Tage geben,<br />

da würdest du am liebsten sagen: "k<strong>an</strong>nst du bitte bei mir bleiben", "leg d<strong>ich</strong> zu mir"<br />

oder "alles was <strong>ich</strong> brauche, bist du", doch genau diese Worte wirst du n<strong>ich</strong>t<br />

aussprechen können. Wie ein Anruf, den du ohne Guthaben auf dem H<strong>an</strong>dy tätigen<br />

willst.<br />

Wie oft sitzt Du zu Hause und wünschst Dir, jem<strong>an</strong>d würde D<strong>ich</strong> <strong>an</strong>rufen und Dir<br />

vorschlagen, etwas <strong>an</strong>deres zu tun als diese 4 Wände <strong>an</strong>zustarren? Wie viele von Euch<br />

haben einen gepl<strong>an</strong>ten Abend, oder Kaffee mit Freunden arr<strong>an</strong>giert und d<strong>an</strong>n abgesagt.<br />

Denn plötzl<strong>ich</strong> scheinen "diese 4 Wände" der einzige s<strong>ich</strong>ere Hafen zu sein, scheinbar<br />

der einzige Ort, <strong>an</strong> dem Du n<strong>ich</strong>t so tun musst, als ob du in Ordnung bist. Oder wenn Du<br />

eingeladen wirst, erzählst Du ihnen, wie schreckl<strong>ich</strong> es Dir leid tut, aber du bist <strong>an</strong><br />

diesem Wochenende schon ausgebucht, wenn du gerade wirkl<strong>ich</strong> damit beschäftigt bist,<br />

D<strong>ich</strong> in Deinem "Safe" aufzuhalten. Und so beginnt <strong>das</strong> erste Problem g<strong>an</strong>z von selbst.<br />

Die Leute hören auf, D<strong>ich</strong> zu fragen, und die Isolation, die zuerst n<strong>ich</strong>t wahr war, wird<br />

Deine einzige Wahrheit.<br />

Bitte gib Deine Freunde n<strong>ich</strong>t auf. Rufe sie <strong>an</strong>, besuche sie, auch wenn sie D<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

einladen wollen. Weil sie es in Wirkl<strong>ich</strong>keit wollen, Sie wissen einfach nur n<strong>ich</strong>t, wie m<strong>an</strong><br />

es sagt.<br />

Hast du erst einmal gelernt, deine Einsamkeit zu akzeptieren oder ihr verfallen bist,<br />

werden es <strong>an</strong>dere Menschen viel schwerer haben, <strong>an</strong> d<strong>ich</strong> her<strong>an</strong> zu kommen.<br />

Beziehungen scheitern, weil m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t mehr weiß, wie m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t ehrl<strong>ich</strong> zu s<strong>ich</strong> sein<br />

k<strong>an</strong>n und den <strong>an</strong>deren lieben soll oder weil m<strong>an</strong> dem Anderen einfach etwas Besseres<br />

wünscht. Die halbe Welt dreht s<strong>ich</strong> um Beziehungen und dabei spielt es keine Rolle ob<br />

Liebe oder Freundschaft. Männer/Frauen die s<strong>ich</strong> darüber austauschen, diskutieren,<br />

Bücher rausbringen, Musik produzieren, Filme drehen. Irgendwie scheint uns <strong>das</strong> Thema<br />

Beziehung ja g<strong>an</strong>z schön zu beschäftigen und zieml<strong>ich</strong> auf Trab zu halten.<br />

Aber <strong>an</strong> einem gewissen Punkt - und nun merkt euch meine Worte und vergesst sie<br />

n<strong>ich</strong>t - muss m<strong>an</strong> eine Entscheidung bezügl<strong>ich</strong> des Alleinseins treffen.<br />

Grenzen halten n<strong>ich</strong>t nur <strong>an</strong>dere Leute von einem fern, sie sperren einen selbst auch ein<br />

bzw. aus. Wir genießen es, alleine zu sein, wenn wir es können. Wir verzweifeln, wenn


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 95<br />

wir alleine sein müssen. Dieses eigenartige Phänomen muss dir bewusst sein, denn es<br />

wird dir s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch passieren.<br />

Je nachdem wie weit die Depression vor<strong>an</strong>geschritten ist, schätzt du für d<strong>ich</strong> ab, wofür<br />

du noch wie viel Kraft hast. Diese Berechnung wird zu einem falschen Ergebnis führen<br />

und so wirst du sie später als fatal einsortieren.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n bekommt deine 24/7-Fassade hier und da Risse und du versuchst nun mit<br />

Ausreden, Terminabsagen oder durch Ablenkung von deiner Person, diese zu kitten.<br />

M<strong>an</strong>chmal wird gelegentl<strong>ich</strong>e Traurigkeit mit Depression verwechselt. Jedoch ist <strong>das</strong><br />

n<strong>ich</strong>t mitein<strong>an</strong>der zu vergle<strong>ich</strong>en, denn nur weil du gerne sitzt, heißt <strong>das</strong> ja n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s<br />

du Rollstuhlfahrer sein willst.<br />

Prof. Dr. Joachim Bauer (Internist, Psychiater und Psychosomatischer Mediziner)<br />

erklärte es recht simpel in einem seiner Beiträge. Zwischen Trauer und Depression ist<br />

der gravierendste Unterschied, der Verlust des Selbstwertgefühls.<br />

Was m<strong>an</strong> aber sagen k<strong>an</strong>n, ist, <strong>das</strong>s jede Traurigkeit einen Nährboden für die Depression<br />

darstellt, jedoch muss daraus n<strong>ich</strong>ts entstehen. Es ist wie mit Tomaten-Samen, die<br />

k<strong>an</strong>nst du auch einpfl<strong>an</strong>zen bis zum abwinken, ohne Wasser würde dort n<strong>ich</strong>ts wachsen.<br />

Die Depression ist daher eine Art von Traurigkeit, bei der du n<strong>ich</strong>t mal unbedingt weinst,<br />

sondern einfach still ins Leere schaust, weil du in diesem Moment genau weißt, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>ts ändern wird. Kurz gesagt, wenn die Seele weint, sieht m<strong>an</strong> unter Umständen<br />

keine Tränen.<br />

Auch wenn es Unbeteiligte n<strong>ich</strong>t fassen können, aber ein Depressiver k<strong>an</strong>n auch mal<br />

lachen oder gut drauf sein. Auch auf Feiern, Konzerten, in der Disco, etc. k<strong>an</strong>n er s<strong>ich</strong><br />

mal sehen lassen. Bei einem Besuch in einer Karaoke Bar, schnappte <strong>ich</strong> mir trotz dieser<br />

Kr<strong>an</strong>kheit <strong>das</strong> Mikro und gab mit "Barbie Girl" von Aqua die Perform<strong>an</strong>ce meines<br />

Lebens, n<strong>ich</strong>t! Diese Aktion war völlig untypisch für m<strong>ich</strong> und dementsprechend st<strong>an</strong>den<br />

auch die Münder meiner Freunde offen, als <strong>ich</strong> die g<strong>an</strong>ze Bar dazu brachte mitzugrölen.<br />

Anschließend gingen wir noch in eine Disco und bei einem meiner Lieblingslieder "What<br />

is love" von Haddaway lief meine Rhythmusmaschine auf Hochtouren und <strong>ich</strong> gab auf<br />

der T<strong>an</strong>zfläche vollgas. Zwei Tage d<strong>an</strong>ach war <strong>ich</strong> wieder in mir selber gef<strong>an</strong>gen und es<br />

schien n<strong>ich</strong>ts zu gehen.<br />

Es gibt sogar Depressive, die nach wie vor Schlagfertigkeit, Witz und Charme haben.<br />

Hierbei vertrat bereits Sigmund Freud (Neurologe, Tiefenpsychologe und Begründer der


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 97<br />

Psycho<strong>an</strong>alyse) die Ans<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s psychologische Merkmale immer zwei Ebenen<br />

umfassen, eine bewusste und eine unbewusste.<br />

Wenn m<strong>an</strong> es genauer betrachtet, ist <strong>das</strong> sogar positiv zu sehen, wenn s<strong>ich</strong> Depressive<br />

noch auf Ver<strong>an</strong>staltungen zeigen oder sympathisch bzw. normal auf die <strong>an</strong>deren<br />

Menschen wirken. Es ist ein Ze<strong>ich</strong>en von Stärke, ein Ze<strong>ich</strong>en ihres Kampfes. Sie wollen<br />

dafür aber n<strong>ich</strong>t gelobt werden, denn jede Lobeshymne wird ihnen wie eine große<br />

Verarschung vorkommen.<br />

Ihr könnt mir glauben, diese Leute werden s<strong>ich</strong> zum Beispiel auf Feiern innerl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

wohlfühlen, auch wenn sie s<strong>ich</strong> teilweise amüsieren werden. Sie filtern den Schmerz<br />

durch <strong>das</strong> Prisma des Humors. Über die lauten Töne versucht ein Depressiver, durch sein<br />

Meer <strong>an</strong> innerl<strong>ich</strong>en Tränen, gemacht aus Erinnerungen und Zweifeln, hinweg zu sehen<br />

bzw. zu hören.<br />

Die tiefen Narben pochen dennoch auch inmitten einer t<strong>an</strong>zenden Menschenmenge im<br />

farbenfrohem <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>schein, umhüllt vom Rauch vieler stinkender Zigaretten, Alkohol,<br />

aufgesetzter Fassaden und schwitzender Körper. M<strong>an</strong>chmal stelle <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in solchen<br />

Momenten ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong> abseits und m<strong>an</strong>chmal auch körperl<strong>ich</strong>. Ich schließe meine<br />

Augen, den Kopf zu Boden gesenkt. Es fühlt s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>, als ob Nebel aufsteigt, m<strong>ich</strong> umhüllt<br />

und m<strong>ich</strong> nach unten zieht. Das Grau verw<strong>an</strong>delt s<strong>ich</strong> in ein tiefdunkles grau, wird fast<br />

schwarz und <strong>ich</strong> habe <strong>das</strong> Gefühl, als würde mein innerer Schmerz wie Blut aus mir<br />

herauslaufen, während <strong>ich</strong> nach außen nett lächele und versuche m<strong>ich</strong> der Umgebung<br />

<strong>an</strong>zupassen.<br />

Du siehst wie sie alle lachen, trinken, knutschen und n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> Heute oder Morgen und<br />

schon gar n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> gestern denken, während du selber <strong>an</strong> jeden Tag der Verg<strong>an</strong>genheit<br />

und die Gegenwart denkst. Nur <strong>an</strong> eine hoffnungsvolle Zukunft denkst du n<strong>ich</strong>t und du<br />

fängst <strong>an</strong>, die Menschen ein wenig für ihr Verhalten zu hassen. Das Grau dieses<br />

Ged<strong>an</strong>kensmogs sorgt dafür, <strong>das</strong>s die Musik und Stimmung n<strong>ich</strong>t auf d<strong>ich</strong> übergehen. Du<br />

kommst dir isoliert vor. Du bist verstimmt, weil die Musik so weit von deinem eigenen<br />

Empfinden entfernt ist.<br />

Je stiller dieser Mensch wird, desto lauter wird es in ihm. Er wird s<strong>ich</strong> zur Conten<strong>an</strong>ce<br />

rufen, aber der Taktruf ist wie "Ich atme ein, <strong>ich</strong> raste aus". In solchen Situationen wird<br />

dir aber noch einmal mehr bewusst, <strong>das</strong>s es in der Depression, keine Formel zum<br />

glückl<strong>ich</strong> sein gibt. Die Depression hat ihre eigenen Gesetze. Mit diesem Ged<strong>an</strong>ken<br />

greifen viele zum Alkohol, um ihre Gefühle zumindest für diesen Abend abzuschalten.<br />

Während du damals vielle<strong>ich</strong>t, als du die Depression noch n<strong>ich</strong>t hattest und jünger


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 99<br />

warst, n<strong>ich</strong>t wolltest, <strong>das</strong>s die Feierl<strong>ich</strong>keiten enden, zählst du in diesem Zust<strong>an</strong>d die Zeit<br />

nur noch herunter.<br />

Es gibt auch <strong>an</strong>dere Situationen. Viele werden <strong>das</strong> kennen. M<strong>an</strong> freut s<strong>ich</strong> seit Wochen<br />

auf eine Feier oder ein Konzert. Doch kaum ist es soweit, spielen die Ged<strong>an</strong>ken verrückt.<br />

Die Kr<strong>an</strong>kheit spielt dir vor, <strong>das</strong>s du zu ersticken drohst und du bist dir s<strong>ich</strong>er, <strong>das</strong>s du<br />

der Menschenmenge n<strong>ich</strong>t st<strong>an</strong>dhalten k<strong>an</strong>nst. Als sei <strong>das</strong> alles noch n<strong>ich</strong>t genug, macht<br />

d<strong>an</strong>n auch m<strong>an</strong>chmal dein Körper schlapp. Es ist wieder ein Traum, ein Wunsch, den<br />

m<strong>an</strong> erst einmal begraben oder zumindest hinten<strong>an</strong> stellen muss.<br />

Wieso müssen mir mein Körper und meine Psyche einen reinwürgen?<br />

Die Kr<strong>an</strong>kheit scheint wie ein selbst denkender Org<strong>an</strong>ismus zu sein, der genau weiß wie<br />

du denkst, fühlst und vor allem leidest. Er wird immer zum falschen Zeitpunkt<br />

zuschlagen und hat m<strong>an</strong>chmal auch seinen Kumpel "Demütigung" dabei. Wenn sie d<strong>an</strong>n<br />

mal wieder so extrem sind, meldet m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> kr<strong>an</strong>k von der Welt ab.<br />

Die Gesellschaft verknüpft mit dem Wort "kr<strong>an</strong>k" <strong>das</strong> Bild, wie jem<strong>an</strong>d im Bett liegen<br />

muss und n<strong>ich</strong>ts mehr machen k<strong>an</strong>n. Vielle<strong>ich</strong>t liegt es aber dar<strong>an</strong>, wie die Depression<br />

stets beschrieben wird. N<strong>ich</strong>t wenige sehen die Depression als "am Boden liegen".<br />

Ich möchte euch eine <strong>an</strong>dere Denkweise vorstellen. Seht die Depression n<strong>ich</strong>t als <strong>das</strong><br />

"am Boden liegen", sondern als den Fall selber. Nehmen wir <strong>an</strong>, ihr wart vor der<br />

Depression auf einem Hochhaus, die Anzahl der Stockwerke spielt da keine Rolle.<br />

Plötzl<strong>ich</strong> bekommt ihr die Depression und stürzt durch die Decke und ihr fallt, immer<br />

weiter, immer weiter, immer weiter und ihr fallt immer noch durch die verschiedenen<br />

Stockwerke.<br />

Was könnt ihr während dieses Fallens tun? N<strong>ich</strong>ts, wie es euch scheint. Ihr versucht<br />

euch <strong>an</strong> etwas greifbarem festzuhalten, aber ihr reißt alles mit.<br />

Und wie ist es bei der Depression? Da kommt es euch auch vor, als könntet ihr n<strong>ich</strong>ts<br />

tun und ihr würdet alles und jeden mit runterziehen.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n wird einer der Böden der Stockwerke stark genug sein, um euch wieder zu<br />

tragen. Dieser Boden ist eure Hoffnung! Eure Stärke! Das seid IHR! Von dort könnt ihr<br />

euch wieder etwas aufbauen. Oftmals reden alle immer von Neubeginn. M<strong>an</strong>che<br />

können es schon selbst n<strong>ich</strong>t mehr hören und glauben. So erging es auch mir. Ich sagte<br />

mir: Ich f<strong>an</strong>ge jetzt g<strong>an</strong>z neu <strong>an</strong>! Doch nach gefühlten 5 Sekunden, konnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in<br />

herrl<strong>ich</strong>er Selbstironie, weil schon wieder irgendein Mist passierte, auf dem Boden<br />

ringeln vor lachen. Diese vielen Tiefpunkte waren aber zugle<strong>ich</strong> der Grundstein, auf dem<br />

<strong>ich</strong> mein jetziges Leben aufgebaut habe, denn irgendw<strong>an</strong>n kam mir ein Ged<strong>an</strong>ke.


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 101<br />

Warum alles zerstören, wo es <strong>an</strong>scheinend auch Gutes gibt. Freunde / Familie / Partner<br />

sind doch was Gutes, wenn m<strong>an</strong> diese noch in seinem Leben hat, warum also diese<br />

verbal opfern, für den Ausruf eines Neubeginns.<br />

Ich schaute, was wirkl<strong>ich</strong> gut war und beschloss <strong>das</strong> alte, n<strong>ich</strong>t mehr intakte, abzureißen<br />

und wieder neu aufzubauen. Das Wort "Wiederaufbau" war für m<strong>ich</strong> glaubhaft, denn es<br />

verkraftet auch mal Rückschläge und drastische Umstrukturierungen.<br />

Wo Wiederaufbau betrieben wird, ist es nur eine Frage der Zeit, w<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> über die<br />

Thematik Beziehung stößt. Hierbei wird immer wieder darüber diskutiert, ob s<strong>ich</strong><br />

jem<strong>an</strong>d mit Depression verlieben k<strong>an</strong>n, darf oder ob er überhaupt beziehungsfähig sei.<br />

Viele sind der Auffassung, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber lieben können muss, um jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>deres<br />

lieben zu können.<br />

Hierbei gibt es n<strong>ich</strong>t die eine r<strong>ich</strong>tige Antwort, sondern muss individuell von der Person<br />

selbst entschieden werden, die diese Kr<strong>an</strong>kheit hat. Den <strong>an</strong>deren Punkt muss <strong>ich</strong><br />

verneinen. Dieser Satz ist einfach eine dieser immer aufs neue aufkommenden<br />

wiederholten "Lebensweisheiten", die in ihrer Einfachheit vielle<strong>ich</strong>t oftmals sogar<br />

zutreffend sind, aber bestimmt keine universellen Wahrheiten darstellt. Und wie könnte<br />

s<strong>ich</strong> ein Außenstehender eine Meinung über <strong>an</strong>dere <strong>an</strong>maßen?<br />

Es gibt durchaus Menschen, die s<strong>ich</strong> von Beziehung zu Beziehung h<strong>an</strong>geln, nur um n<strong>ich</strong>t<br />

allein zu sein. Diese Menschen haben mittlerweile auch einen spezifischen Namen<br />

bekommen "Вeziehungshopper". Hierbei ist es aber auch so, <strong>das</strong>s die Personen einfach<br />

noch n<strong>ich</strong>t bereit sind für den Schmerz, der auf sie zukommen wird. Diese Menschen<br />

spielen n<strong>ich</strong>t mit den Gefühlen <strong>an</strong>derer, sondern sie glauben und leben wirkl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s sie<br />

so schnell neue Gefühle für jem<strong>an</strong>den neues haben. Ihr Herz knüpft quasi aus Sympathie<br />

den Ged<strong>an</strong>ken der Liebe. Sie putschen s<strong>ich</strong> mit Schmetterlingen oder Flugzeugen im<br />

Bauch (sorry, <strong>ich</strong> hörte vor kurzem Oli P) auf. Doch jeder weiß, wie es mit dem<br />

Aufputschen ist, irgendw<strong>an</strong>n hat m<strong>an</strong> den Punkt erre<strong>ich</strong>t, <strong>an</strong> dem die Formkurve steil<br />

nach unten zeigt. Die Höhe der Hypothek wird immer größer und irgendw<strong>an</strong>n ist sie<br />

d<strong>an</strong>n so hoch, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> sie n<strong>ich</strong>t mehr begle<strong>ich</strong>en k<strong>an</strong>n. Klingt irgendwie unlogisch,<br />

jedoch hat die Kr<strong>an</strong>kheit n<strong>ich</strong>ts mit Logik zu tun. In den Momenten, in denen m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong><br />

entscheidet, den Schmerz jetzt n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> s<strong>ich</strong> r<strong>an</strong>kommen lassen zu wollen, baut m<strong>an</strong> die<br />

Hypothek auf, doch irgendw<strong>an</strong>n versucht m<strong>an</strong> den Schmerz immer zu unterdrücken.<br />

Dahinter versteckt s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er auch die Angst vor dem Alleinsein, fin<strong>an</strong>zielle Not,<br />

Minderwertigkeitsgefühle, emotionale Abhängigkeit, Statusverlust (weil: d<strong>an</strong>n ist m<strong>an</strong><br />

n<strong>ich</strong>t länger Frau/M<strong>an</strong>n/Freundin/Freund von…) oder Zukunfts<strong>an</strong>gst (was ist, wenn <strong>ich</strong><br />

nie mehr einen so attraktiven/re<strong>ich</strong>en/jungen Partner finde? Was ist, mit den Kindern?).


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 103<br />

Die Liste k<strong>an</strong>n beliebig erweitert werden, denn jeder Mensch fürchtet etwas.<br />

Die Liebe k<strong>an</strong>n zweifelsohne <strong>das</strong> wunderschönste auf dieser Welt bedeuten, aber selbst<br />

sie ist n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> Heil aller Probleme. M<strong>an</strong>chmal re<strong>ich</strong>t "nur" Liebe eben n<strong>ich</strong>t aus. Aber<br />

heute ist <strong>das</strong> Argument der Liebe schon oft schl<strong>ich</strong>tweg entfremdet. Ein weiteres<br />

Beispiel ist <strong>das</strong> Internet.. Es heißt nur noch: H<strong>an</strong>dy raus, Lovoo oder was auch immer <strong>an</strong>,<br />

matchen, warten. Match erhalten, beide schauen, keiner schreibt, weiter matchen.<br />

Match erhalten, einer schreibt, der <strong>an</strong>dere schaut.... Ges<strong>ich</strong>t ok, Größe ok, 1 Jahr zu alt,<br />

keine Antwort. Matchen doof! Umkreissuche starten, Leute abchecken, Größe passt,<br />

Alter passt, Vorlieben nur 4 von 8 , Nächster bitte. Ges<strong>ich</strong>t passt, 2cm zu klein, Nächster<br />

bitte. 43792 Bilder und 298 Stunden später..... Kontakt erfolgre<strong>ich</strong>, Date ausgemacht,<br />

Frage und Antwort Spiel im Cafe. Eine falsche Antwort, nächster bitte.....zurück zu Lovoo<br />

und weiter wie gehabt.<br />

Liest m<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s ein Mensch nach einem "gut" verlaufenen Date n<strong>ich</strong>t nur als potentieller<br />

Partner aussortiert wurde, sondern sogar als Mensch, weil er ohne Erklärung auf einer<br />

Blockierliste l<strong>an</strong>det, finde <strong>ich</strong> <strong>das</strong> g<strong>an</strong>ze wirkl<strong>ich</strong> schlimm. Ich k<strong>an</strong>n nachvollziehen, wenn<br />

einige deswegen zw<strong>an</strong>gsläufig Komplexe und Ängste bekommen und eine deutl<strong>ich</strong>e<br />

Verzweiflung spüren.<br />

Zudem darf m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t vergessen, kommt jeder mit einem gewissen Gepäck aus seinem<br />

bisherigen Leben und die Kunst liegt vielle<strong>ich</strong>t darin, jem<strong>an</strong>den zu finden oder zu haben,<br />

der einen genug liebt, um beim Auspacken zu helfen und n<strong>ich</strong>t beim Aussortieren.<br />

L<strong>an</strong>ge Zeit war <strong>ich</strong> überzeugt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t bereit für eine Beziehung wäre. D<strong>an</strong>n lernte<br />

<strong>ich</strong> durch Zufall Tati kennen. Jahrel<strong>an</strong>g schaffte es keine Frau, meine Aufmerksamkeit<br />

nennenswert auf s<strong>ich</strong> zu lenken. Sie schaffte es mit der ersten Sekunde. Es war wie eine<br />

vertraute Begegnung, der <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t entziehen konnte und <strong>ich</strong> hab es weiß Gott<br />

versucht. Wir beide k<strong>an</strong>nten uns vorher n<strong>ich</strong>t. Aber sie brachte m<strong>ich</strong> dazu, über <strong>das</strong><br />

Konzept der Beziehung nach Jahren zumindest wieder nachzudenken, ohne es zunächst<br />

einzufordern.<br />

Als sie erfuhr, was mein Gepäck war, machte sie n<strong>ich</strong>t nur einige Schritte zurück,<br />

sondern fing mit emotionalen Spielchen <strong>an</strong>, wie es schien.<br />

"Weißt du noch, wie du mir sagtest, <strong>das</strong>s du kämpfst? Doch ein paar Minuten später<br />

warst du weg und n<strong>ich</strong>t mehr präsent!"<br />

Doch ab und <strong>an</strong> kam d<strong>an</strong>n doch nochmal was von ihr. Umso länger wir Kontakt hatten,<br />

erk<strong>an</strong>nte <strong>ich</strong>, sie war nur in <strong>das</strong> "Verliebt-Sein" verliebt, und mein Gepäck war dafür ein<br />

zu großer Dämpfer, vielle<strong>ich</strong>t auch eine zu große moralische Frage.


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 105<br />

Jedoch kam sie d<strong>an</strong>n mit ihrer Intensität m<strong>ich</strong> haben zu wollen, immer mehr zurück. Das<br />

Schlimmste für m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> der Situation war aber n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s sie irgendw<strong>an</strong>n <strong>an</strong>fing, m<strong>ich</strong><br />

verbal fertig zu machen, als <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so springen konnte wie sie wollte und zwischen<br />

ihren cholerischen Wut<strong>an</strong>fällen und tränenre<strong>ich</strong>en Nervenzusammenbrüchen m<strong>an</strong>chmal<br />

nur wenige Minuten lagen. Das Schlimmste war, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es immer wieder zuließ, <strong>das</strong>s<br />

sie m<strong>ich</strong> da mit rein zog. Dadurch brachte sie m<strong>ich</strong> und meine Tagesform zieml<strong>ich</strong> oft ins<br />

Straucheln.<br />

Also<br />

"nehme endl<strong>ich</strong> diese bescheuerte rosarote Brille ab, die du aus Sympathie ihr gegenüber<br />

hast"<br />

sagte <strong>ich</strong> mir. Denn sobald Emotionen oder Sympathie ins Spiel kommen, tendieren viele<br />

Menschen dazu, blind für ihre eigene Intuition zu werden. Aber völlig egal, wie du es dir<br />

hindrehen und wenden magst, wie sehr du d<strong>ich</strong> blenden lässt und eine verzerrte S<strong>ich</strong>t<br />

<strong>an</strong>nimmst: ES IST KEINE LIEBE.<br />

Schlussendl<strong>ich</strong> fiel ihr Fazit aber nach all dem Schmerz, ihren durchheulten Nächten, den<br />

emotionalen Eruptionen und dem reuevollen Zurückrudern, die "Erkenntnis", <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />

wohl Liebe sein musste. Sonst würde m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> ja n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>tun.<br />

Daraus k<strong>an</strong>n aber niemals etwas Positives entstehen. Eine negative Energie k<strong>an</strong>n keine<br />

S<strong>ich</strong>erheit als Resultat haben, genauso eine wütende Gefühlslage keinen Frieden. Ist<br />

dies die tatsächl<strong>ich</strong>e Basis der Beziehung, k<strong>an</strong>n daraus niemals etwas Gutes entstehen,<br />

egal wie sehr m<strong>an</strong> <strong>das</strong> will.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n sagte sie mir überraschend, mit Tränen in den Augen, Riesenkloß im Hals<br />

und zittriger Stimme die drei magischen Worte. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen,<br />

<strong>das</strong>s sie mir <strong>das</strong> gesagt hat, denn <strong>ich</strong> weiß, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> in diesem Moment die Augen<br />

schloss, es war wie ein Moment ohne Zeit. Ich spürte wie einige wenige Betonklötze um<br />

mein Herz herum abfielen und ein Stück des Herzens freisetzen. Was s<strong>ich</strong> hier erfreul<strong>ich</strong><br />

<strong>an</strong>hört und auch in der Tat ist, war der Beginn von Angst, P<strong>an</strong>ik und Rückzug bei mir.<br />

Genau diese Reaktionen waren es, die mir weh taten, aber schlussendl<strong>ich</strong> innerl<strong>ich</strong><br />

beschützten.<br />

Ich hatte mir gesagt, <strong>ich</strong> sollte aufgeben und n<strong>ich</strong>ts riskieren, alles so lassen, wie es ist –<br />

bloß keine Probleme, da es zu früh zu sein schien. Meine Gründe waren aber eigentl<strong>ich</strong><br />

keine, sondern nur Ausreden um die Angst zu vermeiden. Angst davor, wenn <strong>ich</strong> mir<br />

erlaube wieder glückl<strong>ich</strong> zu sein und sei es nur für einen winzigen Moment, <strong>das</strong>s d<strong>an</strong>n<br />

die Welt wieder zusammenbr<strong>ich</strong>t und <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t weiß, ob <strong>ich</strong> <strong>das</strong> nochmal überlebe. Ich<br />

möchte nie wieder so leiden müssen und mein Herz so verlieren. Ich wollte m<strong>ich</strong> in


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 107<br />

diesem Moment auch n<strong>ich</strong>t noch mal der Ver<strong>an</strong>twortung stellen, einen Menschen<br />

verlieren zu können.<br />

Offens<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, hatte s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts geändert mit ihren drei Worten, egal ob sie ernst<br />

gemeint waren oder n<strong>ich</strong>t. Doch für m<strong>ich</strong> war es ein Weltenwechsel. Sie gab unserer<br />

Situation einen gew<strong>ich</strong>tigen Namen und somit auch einen gewissen Wert (Schatz). Ich<br />

hörte diese Worte <strong>das</strong> erste Mal nachdem meine Frau gestorben war. Ich wusste sehr<br />

wohl, wie unsere Situation war, aber bis dahin, gab es keinen genauen ausgesprochenen<br />

Stellenwert dafür und es erschien n<strong>ich</strong>t alles so überstürzt und zweckdienl<strong>ich</strong>.<br />

Dieses nahezu perfekte Bild, was wir uns beide <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs fürein<strong>an</strong>der noch gaben, hatte<br />

längst Risse. Wir versuchten, soviel wie mögl<strong>ich</strong> von den positiven Eindrücken<br />

vonein<strong>an</strong>der zu retten, indem wir über viele Dinge hinweg sahen. Jedes Gespräch, hat<br />

unseren Abend aller Tage eigentl<strong>ich</strong> nur verlängert, da immer wieder behauptet wurde,<br />

<strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> jetzt vieles ändern würde. Aber jeder Neustart endete im alten Muster. Trotz<br />

dieser Anziehung zuein<strong>an</strong>der, versemmelten wir es jeden Tag ein wenig mehr. Wir<br />

zickten uns <strong>an</strong> oder stellten auf stur, verloren dabei jedoch völlig aus den Augen, was<br />

unser Herz eigentl<strong>ich</strong> versuchte, uns mitzuteilen. Wir h<strong>an</strong>delten getreu dem Motto des<br />

FDP-Chefs Christi<strong>an</strong> Linder "Es ist besser, n<strong>ich</strong>t zu regieren, als falsch zu regieren".<br />

Wir bekamen keinen Fuß mehr auf den Boden. Wir haben es so oft zerredet, zerdacht,<br />

so oft vergebens versucht alles zu verändern, um uns den Weg zu bahnen, der uns doch<br />

noch <strong>an</strong>s Ziel führen könnte.<br />

Seither ist eine Menge Zeit verg<strong>an</strong>gen, aber die Träume, Hoffnungen, Wünsche und<br />

tollen Worte, k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> in Form von Schutt und Asche noch vor mir sehen, wenn <strong>ich</strong> sie<br />

sehen will. Ich k<strong>an</strong>n es n<strong>ich</strong>t eben mal so abschütteln, denn dafür war <strong>ich</strong> nie der Typ.<br />

Zudem hat sie mir schon etwas bedeutet und hauchte mir in Sachen Liebe neues Leben<br />

ein.<br />

Wie k<strong>an</strong>n etwas, was s<strong>ich</strong> einst so gut <strong>an</strong>fühlte, so falsch sein?<br />

Heute führen wir grundsätzl<strong>ich</strong> verschiedene Leben, sie ist vergeben und arbeitet<br />

überspitzt gesagt so zieml<strong>ich</strong> den g<strong>an</strong>zen Tag und zudem hat sie ja noch ihre kleine<br />

wunderbare Tochter. Ich denke oft <strong>an</strong> sie, zumal unser gemeinsames Lied "Feuerwerk"<br />

seit Jahren rauf und runter gespielt wird, egal wo <strong>ich</strong> bin, als würde mir der Kosmos was<br />

sagen wollen.<br />

Ich fragte m<strong>ich</strong> nun immer mal wieder, wie <strong>das</strong> grundsätzl<strong>ich</strong> mit uns hätte<br />

funktionieren sollen, denn sie hatte und hat keine Zeit für einen Partner, der n<strong>ich</strong>t aus<br />

ihrer Nähe kommt und n<strong>ich</strong>t stets nur zu ihr fährt.


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 109<br />

Lautet <strong>das</strong> Fazit jetzt, <strong>das</strong>s es gut ist, wie es kam?<br />

Einerseits eine Beziehung mit zu wenig Zeit, solchen Problemen und einer solchen Kälte,<br />

die sie zeigte. Tati würde es wohl n<strong>ich</strong>t kalt, sondern sachl<strong>ich</strong> nennen. Ich hätte innerl<strong>ich</strong><br />

mehr gelitten. Liebe sollte der Ort sein, <strong>an</strong> dem m<strong>an</strong> die Waffen fallen lassen k<strong>an</strong>n.<br />

Andererseits fehlen mir die Gespräche, <strong>das</strong> Lächeln, die Rehkitzaugen und ihre Videos,<br />

bei denen m<strong>an</strong> es wegen ihres Charismas n<strong>ich</strong>t schaffte, n<strong>ich</strong>t zu lächeln.<br />

Bei Grays Anatomy, Vampire Diaries, usw. ist dies meist der Wendepunkt einer großen<br />

Liebe, bei dem der Schmerz zuvor quasi Bedingung ist, doch im echten Leben sollte<br />

Liebe pure, ungebrochene Euphorie sein. Klar gibt es bei jeder Beziehung auch mal<br />

dunklere Zeiten, jedoch sollte <strong>das</strong> Gute <strong>das</strong> Schlechte immer überwiegen.<br />

Sie wollte m<strong>ich</strong>, aber sie wollte m<strong>ich</strong> in perfekt, makellos, gesteuert, ihren Traumprinzen<br />

genauso wie sie <strong>das</strong> möchte, doch all <strong>das</strong> bin <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>ich</strong> habe meine Fehler und bin<br />

schon gar n<strong>ich</strong>t perfekt. Ich brauchte Zeit, Zeit die sie mir nie geben konnte, weil wir in<br />

einer Welt zu leben scheinen, in der alles sofort und unverzügl<strong>ich</strong> erwartet wird.<br />

Ich ertr<strong>an</strong>k in den Schmerzen und verdurstete bei ihr, so würde <strong>ich</strong> die Momente mit ihr<br />

beschreiben.<br />

Aber wenn <strong>ich</strong> zu ihr sagte, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t k<strong>an</strong>n, hieß es aber n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wollte.<br />

Ich war damals n<strong>ich</strong>t bereit genug, da der Funke "s<strong>ich</strong> trauen" n<strong>ich</strong>t da war und sie<br />

jem<strong>an</strong>d war, der bildl<strong>ich</strong> gesprochen auf die Uhr ihres H<strong>an</strong>dgelenks tippte, als Symbol<br />

<strong>das</strong>s m<strong>an</strong> keine Zeit hätte. Sie war einfach n<strong>ich</strong>t bereit für m<strong>ich</strong> zu kämpfen, sondern<br />

sortierte m<strong>ich</strong> lieber als "defekt" aus und suchte s<strong>ich</strong> umgehend jem<strong>an</strong>den besseres, als<br />

<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so spr<strong>an</strong>g, wie sie es für r<strong>ich</strong>tig hielt. Dabei hätte es vermutl<strong>ich</strong> einfach<br />

ausgere<strong>ich</strong>t, vor mir zu stehen und s<strong>ich</strong> klar zu positionieren. Aber vielle<strong>ich</strong>t, wobei m<strong>an</strong><br />

dieses Schutzwort stre<strong>ich</strong>en k<strong>an</strong>n, war mein Herz noch mit all der Liebe in Rehburg<br />

Loccum, <strong>das</strong> irgendwie noch naiv auf ein Weltwunder hoffte. Auch wenn <strong>ich</strong> immer<br />

wissen werde, <strong>das</strong>s dieses ausbleiben wird.<br />

Im letzten Jahr, entschied <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n, ohne <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> erstaunl<strong>ich</strong>er Weise etwas in<br />

meinem Leben änderte, nun soweit zu sein. Es ist n<strong>ich</strong>t so, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> einfach aufst<strong>an</strong>d und<br />

sagte, nun lass es uns packen, sondern es war ein Gefühl.<br />

Das Gefühl reifte während der Hochzeit von Bek<strong>an</strong>nten, Nicole & Carsten. Sie war<br />

zweifelsohne eine wunderschöne Braut und auch der Bräutigam war ein Hingucker, aber<br />

<strong>das</strong> Schönste war es, den Gl<strong>an</strong>z in ihren Augen zu sehen. Mir wurde bewusst, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

vor vielen Jahren genauso ausgesehen haben muss. Und was ist aus dem geworden? Wo


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 111<br />

ist der M<strong>an</strong>n hin, der Rom<strong>an</strong>tik liebte und sie allgegenwärtig besaß, der Gentlem<strong>an</strong>, der<br />

unverbesserl<strong>ich</strong>e Liebesoptimist? Wo ist <strong>das</strong> alles hin? Gestorben? NEIN! Alles <strong>das</strong> war<br />

weg, <strong>ich</strong> w<strong>an</strong>delte m<strong>ich</strong> zu einem Zyniker.<br />

Sarah, die m<strong>ich</strong> seit der Jugend kennt und für m<strong>ich</strong> eine Seelengefährtin ist, schwärmte<br />

in einer Erzählung bei ihrer Frau über m<strong>ich</strong>, davon wie <strong>ich</strong> einst war und <strong>das</strong>s sie jeder<br />

Frau quasi gratulieren hätte können, m<strong>ich</strong> bekommen zu haben. Leider sieht sie davon<br />

kaum noch etwas. Recht hatte sie! Aus diesem Grund, beschloss <strong>ich</strong>, ab dem<br />

kommenden Jahr (2017) den Zyniker in mir sein zu lassen und m<strong>ich</strong> wieder darauf zu<br />

besinnen, was m<strong>ich</strong> einst aus- und so stark machte.<br />

Ich werde nun endl<strong>ich</strong> nach vielen Jahren wieder bereit sein, <strong>das</strong> Leben, die Liebe, mit<br />

teilweise offenen Armen zu empf<strong>an</strong>gen. Anlässl<strong>ich</strong> meines Vorsatzes ging <strong>ich</strong> mit Sarah<br />

Shoppen. Der Auftrag war klar, näml<strong>ich</strong> ein Outfit zu finden, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> für ein besonderes<br />

Date - sofern <strong>ich</strong> es eingehe -, tragen k<strong>an</strong>n und gle<strong>ich</strong>zeitig setzte <strong>ich</strong> die Bedingung ein<br />

Stück von mir aus der Verg<strong>an</strong>genheit zurück zu holen. Mit einem Foto von mir in diesem<br />

Outfit benachr<strong>ich</strong>tigte <strong>ich</strong> alle meine Lieben per Facebook, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> zu diesem<br />

Schritt nun bereit erkläre. Ich hatte mit ein paar Likes oder ähnl<strong>ich</strong>em gerechnet, jedoch<br />

überwältigte m<strong>ich</strong> diese Reson<strong>an</strong>z. S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> schme<strong>ich</strong>elte es mir bestimmt auch und<br />

verhalf auch über m<strong>an</strong>che depressive Stelle hinweg zu sehen. Von Willkommen zurück<br />

im Leben, über wow, bis hin zu <strong>ich</strong> bin stolz auf d<strong>ich</strong>, war alles dabei. Seither, ergab s<strong>ich</strong><br />

kein Date und zugegebenermaßen, bin <strong>ich</strong> auch zieml<strong>ich</strong> erle<strong>ich</strong>tert darüber. Denn<br />

schon alleine eine Kontaktaufnahme, ist für m<strong>ich</strong> irre schwer und <strong>ich</strong> habe echt keine<br />

Ahnung, was <strong>ich</strong> da machen soll. Das sind die Nebenwirkungen der jahrel<strong>an</strong>gen<br />

Isolation, fernab von Gesellschaft. Aber gerade dadurch, lernte <strong>ich</strong> von mir, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> in<br />

einer Gesprächseröffnung und Gesprächsgestaltung, n<strong>ich</strong>t meine Stärken habe, es sei<br />

denn, bei Dingen auf die <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> akribisch wochenl<strong>an</strong>g vorbereiten konnte.<br />

Die Depression nahm mir so zieml<strong>ich</strong> alles, doch die eigentl<strong>ich</strong>e Rom<strong>an</strong>tik in mir, wie <strong>ich</strong><br />

mir die Liebe vorstelle, konnte sie mir n<strong>ich</strong>t nehmen, denn dafür habe <strong>ich</strong> die Liebe auf<br />

einer zu wunderschönen Art und Weise kennengelernt.<br />

Auch als <strong>ich</strong> mir einredete, <strong>das</strong>s Liebe jetzt für m<strong>ich</strong> so funktionieren muss, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sie<br />

n<strong>ich</strong>t mehr verspüre, sondern mir jeden Tag aufs Neue einreden muss und daher mit<br />

einer Kristina zusammen war. Ich dachte, <strong>ich</strong> würde nur noch eine Beziehung wie die der<br />

Lombardis führen, näml<strong>ich</strong> aus Statuszwecken. N<strong>ich</strong>t mal sie konnte <strong>das</strong> Fundament von<br />

der bedingungslosen Liebe erschüttern, als sie m<strong>ich</strong> mit ihrem leibl<strong>ich</strong>en Bruder, ihrem<br />

Ex und einer Freundin von mir betrog oder m<strong>ich</strong> in den Selbstmord treiben wollte. Bei<br />

dieser Aktion erhoffte <strong>ich</strong> mir, wie m<strong>an</strong> es im Fernsehen stets sieht, <strong>das</strong> bei den


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Als meine Seele von alleine dunkel wurde Seite 113<br />

unglückl<strong>ich</strong>sten Beziehungen immer irgendetwas Schönes dr<strong>an</strong> wäre, <strong>das</strong> einen<br />

vielle<strong>ich</strong>t naiv hoffen lässt (St<strong>ich</strong>punkt Disney) - und sei es nur der zum perfekten<br />

Zeitpunkt einsetzende Song, den m<strong>an</strong> noch während des Absp<strong>an</strong>ns googlen muss, da er<br />

schl<strong>ich</strong>tweg geil ist. Doch die Wahrheit sah <strong>an</strong>ders aus. Mein Selbstwertgefühl und<br />

Selbstvertrauen waren so vermindert, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meiner Freundin den Seitensprung mit<br />

Kristina nach nur 3 Stunden verziehen habe. Ich war sogar so weit, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> am<br />

liebsten bei ihr dafür entschuldigt hätte.<br />

Im echten Leben ist es nunmal so, <strong>das</strong>s du d<strong>ich</strong> selbst, in für d<strong>ich</strong> perfekten Momenten<br />

um den Soundtrack kümmern musst. Lieder die <strong>das</strong> Leben schreiben, sind nun mal<br />

Schicksalsmelodien und die lassen s<strong>ich</strong> herbei n<strong>ich</strong>t m<strong>an</strong>ipulieren. Wer nun lacht und<br />

abwinkt und keine tieftraurige Playlist irgendwo auf seinem Rechner versteckt hat oder<br />

tagel<strong>an</strong>g <strong>das</strong>selbe Lied in Schleife hört, werfe jetzt, den ersten Stein.<br />

Im Leben passiert so viel, so schnell. M<strong>an</strong>chmal hat m<strong>an</strong> vielle<strong>ich</strong>t den Eindruck, <strong>das</strong>s die<br />

Liebe nur Schmerz bringt, doch <strong>das</strong> stimmt n<strong>ich</strong>t. Das k<strong>an</strong>n und will <strong>ich</strong> einfach n<strong>ich</strong>t<br />

glauben. Daher, warte auf jem<strong>an</strong>den der d<strong>ich</strong> sieht. Der mit einem Blick in die Tiefen<br />

deiner Seele schaut, egal ob als Freund oder Partner, so <strong>das</strong>s du d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr<br />

verstecken brauchst. Er wird dir höllisch Angst machen, aber am Ende wirst du Zuhause<br />

sein.<br />

Anh<strong>an</strong>d meiner Gesch<strong>ich</strong>te möchte <strong>ich</strong> euch verdeutl<strong>ich</strong>en, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> damals mit meinem<br />

Gefühl r<strong>ich</strong>tig lag. Ich war wirkl<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t so weit und <strong>das</strong> m<strong>an</strong>chmal kleinste<br />

Nu<strong>an</strong>cen schon ausre<strong>ich</strong>en, um den Unterschied, zwischen bereit und n<strong>ich</strong>t bereit sein,<br />

auszumachen. Hierbei spielt eine r<strong>ich</strong>tige Selbsteinschätzung (St<strong>ich</strong>wort<br />

Selbstüberschätzung und -unterschätzung), Timing und Beständigkeit eine erhebl<strong>ich</strong>e<br />

Rolle. Zudem darf m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t vergessen <strong>das</strong> immer zwei Personen beteiligt sind.<br />

Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, <strong>das</strong>s viele von denen, die sagen sie<br />

wären noch n<strong>ich</strong>t so weit, diese Antwort aus Angst und Schutz geben, dabei wären sie<br />

bereit. Aber g<strong>an</strong>z genauso ist es auch umgekehrt. Hierbei muss m<strong>an</strong> einen ehrl<strong>ich</strong>en<br />

Blick hinter seine eigene Fassade wagen. Dies wird aber nur selten gemacht, da es<br />

natürl<strong>ich</strong> ein Kraft- Gefühls und Konzentrationsakt ist.


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Als meine Seele von alleine dunkel wurde


Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug Seite 115<br />

DER NICHT KALKULIERTE RÜCKZUG<br />

Irgendw<strong>an</strong>n kommt die Zeit, da droht dein Geheimnis "Depression" aufzufliegen. Je<br />

knapper es wird, desto mehr ziehst du d<strong>ich</strong> zurück. Du denkst, so könntest du Kräfte<br />

sparen und d<strong>ich</strong> der Gefahr der Entdeckung entziehen.<br />

Du willst d<strong>ich</strong> schützen, indem du alle verbliebenen Kräfte und Stärken dazu verwendest,<br />

d<strong>ich</strong> nach innen zu s<strong>ich</strong>ern. Du gibst <strong>das</strong> Komm<strong>an</strong>do "beschütz m<strong>ich</strong>". Du ziehst d<strong>ich</strong> also<br />

immer mehr zurück und damit eventuell den Unmut deiner Umgebung auf d<strong>ich</strong>, weil<br />

m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t mehr mit dir pl<strong>an</strong>en k<strong>an</strong>n und m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t versteht, warum du d<strong>ich</strong> auf einmal<br />

so verändert hast. Die Unwissenheit ist oft schlimmer als die Wahrheit.<br />

Du wirst s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> dadurch Freunde verlieren und auch <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nte Verhältnisse<br />

schaffen. Du wirst immer unflexibler und Spont<strong>an</strong>ität wird fast gänzl<strong>ich</strong> aus deinem<br />

Wortschatz gestr<strong>ich</strong>en. Komischerweise wirst du dennoch deine erlernte Fassade<br />

aufrecht erhalten, auch wenn du alleine mit dir bist. Das was d<strong>ich</strong> beschützen sollte,<br />

wendet s<strong>ich</strong> gegen d<strong>ich</strong> und die nächste Phase der Depression ist erre<strong>ich</strong>t.<br />

Warum sagt m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t einfach, was los ist?<br />

Heutzutage gehen die meisten Menschen sorgfältiger mit ihrem H<strong>an</strong>dy um, als mit den<br />

Gefühlen <strong>an</strong>derer Menschen. Das ist n<strong>ich</strong>t nur Fakt, sondern auch beängstigend.<br />

Depression hat, wie bereits erwähnt, absolut n<strong>ich</strong>ts mit klarem Menschenverst<strong>an</strong>d zu<br />

tun. Davon muss m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> definitiv frei machen. Für d<strong>ich</strong> - aber auch für Außenstehende<br />

- wird die Theorie so simpel aussehen, doch in der Praxis wirst du es n<strong>ich</strong>t schaffen,<br />

etwas davon umzusetzen. Du sagst zum Beispiel 10 Termine bei deinen Freunden ab,<br />

weil du merkst, <strong>das</strong>s du <strong>das</strong> gerade „Gesundheitl<strong>ich</strong>“n<strong>ich</strong>t schaffst. Doch wenn es Tage<br />

gibt, wo du es geschafft hättest und dir wird abgesagt, fühlt s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> <strong>an</strong>, als wärst du den<br />

<strong>an</strong>deren Menschen n<strong>ich</strong>t w<strong>ich</strong>tig. Einige werden nun denken, was beschwert er s<strong>ich</strong>,<br />

wenn er 10-mal absagt und die Freunde ihm einmal.<br />

M<strong>an</strong>che Menschen, die fest in einer Depression stecken, haben diesen emotionalen<br />

Denkfehler, selbst wenn sie den Vergle<strong>ich</strong> 10 zu 1 selber sehen und verstehen.<br />

M<strong>an</strong>chmal reagieren sie bei den kleinsten Sachen total über und werden enttäuscht,<br />

traurig, sauer, zickig oder ged<strong>an</strong>kenversunken, dies k<strong>an</strong>n in Sekundenschnelle mit einem<br />

Fingerschnips umschlagen.<br />

Auf die obligatorischste aller obligatorischen Fragen "wie geht es dir" wird ein auswendig<br />

gelerntes, schnelles "gut" verwendet. Kein Satz wird so oft gelogen wie: "Es geht mir<br />

gut!" Die wahre Antwort wäre wohl eine Komma- bzw. eine Bruchzahl, wenn n<strong>ich</strong>t sogar,


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Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug


Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug Seite 117<br />

<strong>das</strong>s m<strong>an</strong> die Antwort minütl<strong>ich</strong>/sekündl<strong>ich</strong> korrigieren müsste. Hierbei geht es n<strong>ich</strong>t<br />

darum, die <strong>an</strong>dere Person zu belügen oder abzuspeisen perse, m<strong>an</strong> mag in diesem<br />

Moment gar n<strong>ich</strong>t darüber nachdenken. Jedes Nachdenken birgt die Gefahr, wieder in<br />

eine Ged<strong>an</strong>kenschleife reingezogen zu werden.<br />

M<strong>an</strong> möchte weinen, m<strong>an</strong> möchte der Person alles erklären, m<strong>an</strong> möchte so vieles<br />

rausschreien. Alles was m<strong>an</strong> hinbekommt ist ein müdes Lächeln und ein leises "es geht<br />

mir gut!". Die Antwort "gut" ist wie ein Code, der einem übermittelt wird. Denn hinter<br />

einem "gut", steckt auch m<strong>an</strong>chmal ein "du fehlst mir" oder "<strong>ich</strong> brauche deine Hilfe".<br />

"Hast du n<strong>ich</strong>t in all meinen Nachr<strong>ich</strong>ten, in denen <strong>ich</strong> gut schrieb, herausgehört wie es<br />

mir wirkl<strong>ich</strong> geht und <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ohne d<strong>ich</strong> draufgehe?"<br />

Zu allem Überfluss kommt d<strong>an</strong>n natürl<strong>ich</strong> auch noch, die Person n<strong>ich</strong>t nerven zu wollen<br />

mit seinem "Zeug". Aber was wir natürl<strong>ich</strong> auch betrachten müssen, ist, <strong>das</strong>s sehr oft<br />

d<strong>an</strong>ach gefragt wird, obwohl es die Person n<strong>ich</strong>t interessiert. Egal ob es aus Reflex oder<br />

Höfl<strong>ich</strong>keit gefragt wird, wenn der Grund n<strong>ich</strong>t du bist, ist es für die Katz.<br />

Also sagt m<strong>an</strong> höfl<strong>ich</strong> mit einem Lächeln und mögl<strong>ich</strong>st überzeugend seinen Text auf,<br />

damit s<strong>ich</strong> alle wohl bei der Sache fühlen. Denn es gibt kaum etwas Traurigeres, als<br />

jem<strong>an</strong>den dabei zu sehen, wie er beim Versuch zu lächeln und "gut" zu sagen, <strong>an</strong>fängt zu<br />

weinen.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t bemerkt ihr bei euch oder bei <strong>an</strong>deren eine gewisse Überschwängl<strong>ich</strong>keit,<br />

wenn nach dutzenden Smokey Days, plötzl<strong>ich</strong> mal ein <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>blick da ist. Ihr wollt dieses<br />

kleine Fenster nutzen, um euch mal kurz wieder der Welt zu zeigen, Kräfte aufzufüllen<br />

oder schöne Erinnerungen, für folgende schlechte Tage die jeden Moment<br />

<strong>wiederkomme</strong>n könnten, zu schaffen. Da m<strong>an</strong> selber nie weiß, w<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Fenster<br />

wieder schließen wird. Würde m<strong>an</strong> diese Fenster n<strong>ich</strong>t so ausnutzen, könnte m<strong>an</strong> beim<br />

ersten kleinen Schüben wenn m<strong>an</strong> Genervtheit in Schweregrade bezahlt bekäme um 12<br />

Uhr in Rente gehen.<br />

Nach endlosen Tagen, in denen einem die Welt und m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber auf den Keks ging,<br />

genügt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> wieder ein wenig. Aus der Dunkelheit und den Scherben<br />

entsteht ein neues, nur für d<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>tbares Weltbild. Daher werdet ihr die Depression<br />

hier in diesem Buch auch unterschiedl<strong>ich</strong> beschrieben bekommen, mit völlig neuen<br />

Ges<strong>ich</strong>tern und Gestalten.<br />

Wisst ihr, die Depression ist n<strong>ich</strong>t nur clever, sondern sie wird dir - wie erwähnt - mit der<br />

Zeit als selbstdenkender Org<strong>an</strong>ismus vorkommen, der dir immer ein Schritt voraus ist.


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Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug


Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug Seite 119<br />

Sie baut Stück für Stück eine Mauer, bestehend aus Rauch/Nebel mit negativer Energie,<br />

auf, die m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t sofort bemerkt, bis sie zu groß geworden ist und l<strong>an</strong>gsam einstürzt.<br />

M<strong>an</strong>chmal beißt s<strong>ich</strong> die Negativität so fest in den Schädel, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> glaubt, er platzt<br />

jeden Moment. Zehn positive Dinge, sind d<strong>an</strong>n niemals so stark wie ein negatives.<br />

Denken wir hierbei mal <strong>an</strong> Tetris, Fehler stapeln s<strong>ich</strong> und Erfolge verschwinden im<br />

N<strong>ich</strong>ts. M<strong>an</strong> reagiert d<strong>an</strong>n wie in Tr<strong>an</strong>ce, abwesend und kalt, obwohl m<strong>an</strong> eigentl<strong>ich</strong> ein<br />

sehr einfühlsamer und hilfsbereiter Mensch ist und sein will. M<strong>an</strong> ist plötzl<strong>ich</strong> jem<strong>an</strong>d,<br />

dessen Hirn keine Filterfunktion mehr kennt, es gibt keinen Hintergrund, alles ist vorne.<br />

D<strong>an</strong>ach sind die Schuldgefühle jedes Mal eine Flutwelle, in der m<strong>an</strong> fast ertrinkt.<br />

"Meine Mitmenschen leiden durch m<strong>ich</strong> mit" ist ein quälender Ged<strong>an</strong>ke, der immer<br />

wieder groß im Kopf auftaucht und s<strong>ich</strong> dort festsaugt wie ein <strong>an</strong>geschalteter<br />

Staubsauger, dessen Rohr m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> zu nah <strong>an</strong> die Haut hält. Niem<strong>an</strong>d soll mir den Dreck<br />

<strong>an</strong>sehen und schon gar n<strong>ich</strong>t da mit reingezogen werden. Doch <strong>das</strong> erscheint unmögl<strong>ich</strong>,<br />

egal ob m<strong>an</strong> schweigt oder redet.<br />

M<strong>an</strong> liest immer wieder darüber, <strong>das</strong>s depressive Menschen deshalb häufig mit<br />

Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Obwohl m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> wegen der Kr<strong>an</strong>kheit n<strong>ich</strong>t zu<br />

schämen oder schuldig zu fühlen braucht, leiden dennoch viele Betroffene darunter. Es<br />

bringt n<strong>ich</strong>ts, diese Tatsache einfach zu ignorieren. Ich hatte vor dem Ausbruch meiner<br />

Depressionen noch nie so starke Schuldgefühle. Sie ließen meinen Selbsthass ins<br />

Unermessl<strong>ich</strong>e steigen. Ich hatte unter <strong>an</strong>derem ein schlechtes Gewissen, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

zur Arbeit ging, weil <strong>ich</strong> zwischenzeitl<strong>ich</strong> auf Sozialleistungen <strong>an</strong>gewiesen war, weil <strong>ich</strong><br />

meinen Aufgaben im Haushalt n<strong>ich</strong>t ordentl<strong>ich</strong> nachkam, weil <strong>ich</strong> keine l<strong>an</strong>gen<br />

Spaziergänge machte, weil <strong>ich</strong> kein Interesse mehr <strong>an</strong> Sex hatte, weil <strong>ich</strong> wie eben<br />

erwähnt dafür ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong> war, <strong>das</strong>s meine Angehörigen traurig waren und s<strong>ich</strong><br />

Sorgen machten. Ich fühlte m<strong>ich</strong> schuldig, weil <strong>ich</strong> immer nur im Bett lag, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts<br />

mit Freunden unternahm, weil <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr ehrenamtl<strong>ich</strong> betätigte und weil <strong>ich</strong><br />

kein Essen mehr für m<strong>ich</strong> kochte, sondern nur bestellte.<br />

Und wenn <strong>ich</strong> ehrl<strong>ich</strong> bin, hatte <strong>ich</strong> auch ein schlechtes Gewissen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> überhaupt<br />

am Leben war und <strong>das</strong>s <strong>an</strong>dere mir deshalb dabei zusehen mussten, wie <strong>ich</strong> immer<br />

mehr zu einem Schatten meiner Selbst wurde.<br />

S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> kennt ihr doch alle Harry Potter?! Mensch, was haben uns diese Filme und<br />

Bücher begeistert. Mit großem Genuss als Leser und Filmzuschauer verschl<strong>an</strong>g <strong>ich</strong> diese<br />

Werke. Als Hermine mit dem Zauberspruch "Oblivate" die Gedächtnisse ihrer Eltern so<br />

veränderte, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> für ein kinderloses Ehepaar hielten, war es eine der traurigsten<br />

Szenen für m<strong>ich</strong>. Sie verschw<strong>an</strong>d n<strong>ich</strong>t nur aus dem Gedächtnis ihrer Eltern, sondern<br />

auch auf den Fotos <strong>an</strong> der W<strong>an</strong>d. Es fiel ihr s<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> schwer, aber wenn sie ihre Eltern


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Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug


Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug Seite 121<br />

beschützen wollte, musste sie diesen Weg gehen. Sie fragte ihre Eltern n<strong>ich</strong>t, sondern<br />

h<strong>an</strong>delte einfach, ohne sie einzubeziehen. Sie wusste s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s ihre Eltern damit<br />

n<strong>ich</strong>t einverst<strong>an</strong>den gewesen wären.<br />

Wir haben n<strong>ich</strong>t die Mögl<strong>ich</strong>keiten, einen solchen Zauberspruch zu wirken, doch wir<br />

versuchen irgendw<strong>an</strong>n bei Freunden, Familie oder Partnern doch in Vergessenheit zu<br />

geraten.<br />

Aus dem N<strong>ich</strong>ts wird eine solche Bindung beendet, ohne <strong>das</strong>s es einen für die <strong>an</strong>deren<br />

ers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>en Grund gibt. M<strong>an</strong> zieht s<strong>ich</strong> von ihnen einfach zurück. M<strong>an</strong> löscht vielle<strong>ich</strong>t<br />

alle seine Bek<strong>an</strong>nten bei Facebook, aus dem Telefon, <strong>an</strong>twortet n<strong>ich</strong>t mehr auf Anrufe<br />

und Nachr<strong>ich</strong>ten und verbarrikadiert s<strong>ich</strong> wie ein Einsiedler in seinem Haus. Niem<strong>an</strong>d<br />

könnte so wissen, was da passiert, denkt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> in dem Moment. Das Freunde s<strong>ich</strong><br />

unterein<strong>an</strong>der fragen: "Hast du X gesehen? Geht es X gut? Sollten wir mal bei X<br />

vorbeischauen?", dieser Ged<strong>an</strong>ke kommt dir n<strong>ich</strong>t in den Sinn.<br />

Meiner Erfahrung nach, k<strong>an</strong>n d<strong>ich</strong> die Kr<strong>an</strong>kheit so sehr von deiner eigenen<br />

Scheußl<strong>ich</strong>keit überzeugen, <strong>das</strong>s du es sogar als eine Art Gefallen ihnen gegenüber<br />

<strong>an</strong>siehst, wenn du d<strong>ich</strong> von ihnen abkapselst oder die Beziehungen "plötzl<strong>ich</strong>" beendest.<br />

Mit dem Grundged<strong>an</strong>ken, geliebte Personen wie diese, die dir gegenüber Frohmut,<br />

Mitgefühl und Sorge <strong>an</strong> den Tag legen, unentwegt zu zermürben, entfernst du d<strong>ich</strong>.<br />

Dieses Gefühl und zum Teil auch Wissen, haben wir alle.<br />

Die unbequeme Wahrheit sieht so aus, <strong>das</strong>s Depressionen alleine niem<strong>an</strong>den<br />

verschwinden lässt, sondern wir dem schon nachhelfen (müssten). Wer den Rest der<br />

Welt so vor seiner Kr<strong>an</strong>kheit schützt, tut dies n<strong>ich</strong>t überwiegend, um die Wahrheit zu<br />

verschweigen. Diese Menschen, die ihre Depressionen lieber für s<strong>ich</strong> behalten, tun dies,<br />

um s<strong>ich</strong>, ihre Herzen, die Menschen in ihrem Umfeld und ihre gefühlt letzten Träume zu<br />

schützen. So wie es früher mal war, wird es n<strong>ich</strong>t mehr sein. Während du am Anf<strong>an</strong>g<br />

noch geschwiegen hast, um deine Weggefährten n<strong>ich</strong>t abzustoßen, versuchst du nun sie<br />

zu schützen, indem du d<strong>ich</strong> von ihnen abkapselst. M<strong>an</strong> redet s<strong>ich</strong> ein, <strong>das</strong>s es dem<br />

Umfeld n<strong>ich</strong>t schwerfällt, einen ständig komplizierten, egozentrischen, fiesen und<br />

bewusst "<strong>an</strong>deren" Freund abzusägen. Vor allem d<strong>an</strong>n, wenn s<strong>ich</strong> dieser Freund vorher<br />

selbst absägt. Dieser Glaube ist der perfekte Nährboden für Depressionen.<br />

Ein paar "letzte" Zeilen einem geliebten Menschen zu schreiben, <strong>das</strong> hat n<strong>ich</strong>ts mit<br />

einem Trick oder Show zu tun, sondern <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> versucht, mit so viel Respekt wie<br />

mögl<strong>ich</strong> ein letztes Mal "bye" zu sagen, denn eventuell ist <strong>das</strong> die letzte Mögl<strong>ich</strong>keit für<br />

Worte. M<strong>an</strong> möchte, <strong>das</strong>s uns keine Träne nachgetrauert wird, damit es ihnen noch


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einfacher fällt, uns zu vergessen. Dennoch hofft m<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> die Tür für ein "später"<br />

vielle<strong>ich</strong>t doch n<strong>ich</strong>t g<strong>an</strong>z zugeschlagen hat. Der Depressionsverlauf würde es näml<strong>ich</strong><br />

wesentl<strong>ich</strong> radikaler machen.<br />

An solchen Tagen, <strong>an</strong> denen m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> zum einsamsten Menschen gemacht hat, würde<br />

m<strong>an</strong> am liebsten eine Knarre nehmen, gegen s<strong>ich</strong> r<strong>ich</strong>ten und alles <strong>an</strong> Ort und Stelle<br />

beenden. Menschen, die deine Seele berührt haben, k<strong>an</strong>nst du schreiben was du willst,<br />

aber weder dein Verst<strong>an</strong>d noch dein Herz wird sie "löschen" können.<br />

Letztes Jahr rutschte <strong>ich</strong> wieder in meinen Depressionstrott ab. Ich isolierte m<strong>ich</strong> von der<br />

Außenwelt und legte so zieml<strong>ich</strong> alles in Schutt und Asche. Das Resultat: Nach sechs<br />

Monaten hatte <strong>ich</strong> mehr Freunde verloren als jem<strong>an</strong>d, der plötzl<strong>ich</strong> offen mit<br />

Rechtspopulisten sympathisiert.<br />

Weißt du denn noch, wer du warst, bevor dir die Kr<strong>an</strong>kheit sagte, wie du zu sein hast?<br />

Dies ist eine berechtigte Frage, denn bei der Depression verliert m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber, m<strong>an</strong><br />

hat gefühlt keine Identität mehr. Wir haben vergessen, wer wir gestern noch waren, m<strong>an</strong><br />

erkennt s<strong>ich</strong> selber, aus verg<strong>an</strong>genen Tagen einfach n<strong>ich</strong>t mehr wieder. M<strong>an</strong> weiß n<strong>ich</strong>t<br />

mehr, wer m<strong>an</strong> ist, wer m<strong>an</strong> war, wohin m<strong>an</strong> gehört und wem m<strong>an</strong> gehört. Gerade der<br />

letzte Punkt wird einige aufhorchen lassen und die simpelste Antwort wäre wohl, <strong>das</strong>s<br />

m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber gehört. Jedoch fühlt m<strong>an</strong> genau dieses n<strong>ich</strong>t, sondern m<strong>an</strong> fühlt s<strong>ich</strong> wie<br />

eine Marionette.<br />

Als Kind wusste <strong>ich</strong> zum Beispiel, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> meinen Eltern gehöre und d<strong>an</strong>ach verschrieb<br />

<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> freiwillig - und weil <strong>ich</strong> es nie <strong>an</strong>ders in meinem Leben kennenlernte - meiner<br />

Frau. Doch jetzt weiß <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr, wem <strong>ich</strong> gehöre. Ich will damit keineswegs sagen,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t eigenständig bin, sondern einfach <strong>das</strong> <strong>ich</strong> keine Wurzeln habe und<br />

irgendwie der Kr<strong>an</strong>kheit zu gehören scheine.<br />

M<strong>an</strong> will endl<strong>ich</strong> FREI sein!!! Die FREIHEIT verspüren!!!<br />

Einmal möchte m<strong>an</strong> <strong>das</strong> Gefühl verspüren, als wäre jetzt, wieder oder endl<strong>ich</strong> für einen<br />

alles mögl<strong>ich</strong>, ohne aber, wenn, irgendw<strong>an</strong>n, jemals, vielle<strong>ich</strong>t, eigentl<strong>ich</strong>, eventuell. Ich<br />

möchte lachen, ohne <strong>das</strong>s es einen Grund gibt. Leben, ohne <strong>das</strong>s es einen Morgen mit<br />

einem bösen Erwachen gibt. Schlafen, ohne <strong>das</strong>s mir etwas Sorgen bereitet. Ich möchte<br />

FREI sein. Doch <strong>das</strong> alles erscheint so unrealistisch, da m<strong>an</strong> jetzt in dieser Kr<strong>an</strong>kheit<br />

steckt.<br />

Doch <strong>das</strong> ist eventuell ein falscher Ged<strong>an</strong>ke, denn dieser Wunsch oder Glaube könnte für<br />

d<strong>ich</strong>, die größte Täuschung der Menschheit darstellen, denn sie ist womögl<strong>ich</strong> eine Lüge.


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Fakt ist, es gibt n<strong>ich</strong>ts, was in der Menschheitsgesch<strong>ich</strong>te mehr Leid, Zerstörung,<br />

Unterdrückung und Gewalt verursacht hat, als der Glaube <strong>an</strong> und der Kampf um die<br />

Freiheit. Denn selbst wenn du die Kr<strong>an</strong>kheit wieder vernünftig in den Alltag integrierst,<br />

wirst du d<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t frei fühlen.<br />

Warum?<br />

Als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> mit der Sammlung von Informationen für dieses Buch beschäftigte, habe <strong>ich</strong><br />

viele ehemalige Patienten getroffen, die mir davon ber<strong>ich</strong>teten, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> - auch nach<br />

der erfolgre<strong>ich</strong>en Beh<strong>an</strong>dlung der Depression - nie wirkl<strong>ich</strong> frei fühlten. Sie hatten <strong>das</strong><br />

Gefühl, <strong>das</strong>s sie ein Leben mit <strong>an</strong>gezogener H<strong>an</strong>dbremse führten. Jedes Glück, <strong>das</strong> sie<br />

verspürten, konnten sie teilweise n<strong>ich</strong>t vollkommen genießen, weil sie auf den Haken <strong>an</strong><br />

der Sache warteten. So hatten sie es bisher erlebt und damit "erlernt". Zudem heißt<br />

vernünftig in den Alltag integrieren n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s es keine schlechten Tage gibt, denn die<br />

gibt es trotzdem noch.<br />

Was <strong>ich</strong> aber glaubhaft vers<strong>ich</strong>ern k<strong>an</strong>n, ist, <strong>das</strong>s du freier sein wirst, als in dem Moment<br />

mit der unbeh<strong>an</strong>delten Kr<strong>an</strong>kheit. Natürl<strong>ich</strong> gab es aber auch von diesen ehemaligen<br />

Patienten Leute, die <strong>das</strong> Gegenteil sagten. Dar<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> wieder erkennen, <strong>das</strong>s die<br />

Depression keine eindeutige Lösung wie in der Mathematik hat.<br />

Freiheit ist wie die Liebe: ein Wort, was für jeden <strong>an</strong>ders, in der Definition, Auffassung<br />

und Empfindung ist. Das erk<strong>an</strong>nte <strong>ich</strong> eben<strong>falls</strong> in einer kontroversen Diskussion.<br />

Während für m<strong>ich</strong> bei einem sonnigen Tag n<strong>ich</strong>t rausgehen zu können, weil die<br />

Depression m<strong>ich</strong> dar<strong>an</strong> hindert, schon mein Freiheitsgefühl arg einschränkt, war dies<br />

n<strong>ich</strong>t die Meinung aller in der Gesprächsrunde.<br />

Ich k<strong>an</strong>n für m<strong>ich</strong> aktuell mit dieser Kr<strong>an</strong>kheit nur beim Schreiben vollkommen frei sein.<br />

Doch die Frage, die <strong>ich</strong> mir hierbei stelle, ist: "re<strong>ich</strong>t mir ein Blatt weißes Papier, dazu<br />

aus"? Als <strong>ich</strong> mit dem Buch <strong>an</strong>fing, lag vor mir <strong>das</strong> weiße Blatt Papier und der Stift<br />

schrieb fast von selber. Mir ist bewusst, <strong>das</strong>s jede Zeile, die <strong>ich</strong> auf <strong>das</strong> Blatt Papier<br />

schrieb und euch präsentiere, heute meine We<strong>ich</strong>en für eine Reise ohne Ziel legt.<br />

Schreiben ist gefährl<strong>ich</strong>, m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t s<strong>ich</strong>er sein, ob die Worte so verst<strong>an</strong>den<br />

werden, wie m<strong>an</strong> sie meinte.<br />

Ich habe Heimweh nach einem Gefühl, von dem <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t einmal weiß, ob es existiert.<br />

Ein Gefühl, wo mein Herz erfüllt, mein Körper geliebt, und meine Seele verst<strong>an</strong>den ist.<br />

Ich schreibe diese Worte und würde mir am liebsten aus der Ferne zuschreien:"oh Gott<br />

klingt <strong>das</strong> naiv!".


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Es gibt viele Tage, da ist m<strong>an</strong> es leid und genervt, denn m<strong>an</strong> läuft ohne Pause diesem<br />

Wunsch oder Glauben hinterher, ohne eine Gar<strong>an</strong>tie zu haben, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> auch<br />

lohnen würde. Die Füße sind längst taub und <strong>das</strong> Herz fühlt s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> als würde es noch<br />

immer Meilen gehen, obwohl es völlig entkräftet ist. Wir versuchen, eigentl<strong>ich</strong> nur<br />

unsere Gegenwart zu retten, weil wir n<strong>ich</strong>t wissen, ob die Zukunft etwas für uns<br />

bereithält. Um uns davon zu überzeugen, <strong>das</strong>s es s<strong>ich</strong> lohnt, gehen wir immer wieder in<br />

der Zeit zurück, <strong>an</strong> die Stelle bevor <strong>das</strong> Übel uns überm<strong>an</strong>nte. Je mehr Ärger/Trauer/Wut<br />

wir über die Verg<strong>an</strong>genheit in unseren Herzen tragen, desto weniger sind wir fähig in der<br />

Gegenwart aufzuleben.<br />

Wir fallen ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong> rückwärts durch die Zeit, bis kurz vor den Augenblick, in dem unser<br />

Blick leer und unser Kopf zu voll wurde. Auf dem Weg dorthin ist jeder Stein wie ein Berg<br />

und ein Berg wie ein Gebirge. Nur durch den bloßen Anblick überkommt uns wieder die<br />

P<strong>an</strong>ik und m<strong>an</strong> ist äußerl<strong>ich</strong> gef<strong>an</strong>gen in einer Fassade aus Beton. "Versuch so zu sein,<br />

wie du d<strong>ich</strong> zeigst" ist unser einziger Ansatz um diese Zeit zu überstehen. Warum es so<br />

ist, k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t sagen. Ob es r<strong>ich</strong>tig oder falsch ist, erst recht n<strong>ich</strong>t. Ich weiß nur eins,<br />

"Zeig d<strong>ich</strong>, wie du bist/fühlst" ist eine Option die es in dem Moment einfach n<strong>ich</strong>t gibt.<br />

Als wäre <strong>das</strong> alles n<strong>ich</strong>t genug, kommen in einem selber immer mal wieder Fragen auf,<br />

wie m<strong>an</strong> am besten alternativ sein soll, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.<br />

Denn nach und nach fühlt m<strong>an</strong> die N<strong>ich</strong>takzept<strong>an</strong>z. Dabei verlieren wir immer mehr den<br />

Aspekt, <strong>das</strong>s wir vielle<strong>ich</strong>t genau so gut sind, wie wir am natürl<strong>ich</strong>sten sind und <strong>das</strong> wir<br />

n<strong>ich</strong>ts drauf geben sollten, was <strong>an</strong>dere von uns denken könnten, die <strong>das</strong> eben n<strong>ich</strong>t<br />

durchleben.<br />

Dies führt uns zum nächsten Punkt, der bei Depressionen oftmals zu beobachten ist,<br />

näml<strong>ich</strong> die drastische Abnahme oder Zunahme <strong>an</strong> Gew<strong>ich</strong>t. Dies muss n<strong>ich</strong>t<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig zu Beginn der Erkr<strong>an</strong>kung passieren. Es k<strong>an</strong>n auch erst nach Jahren<br />

auftreten. Dies k<strong>an</strong>n entweder <strong>an</strong> der Medikation oder <strong>an</strong> der Kr<strong>an</strong>kheit selber liegen.<br />

Aber <strong>das</strong> muss n<strong>ich</strong>t eintreffen!<br />

Bei vorherigem gemindertem Selbstvertrauen, sowie Selbstwertgefühl, passiert es bei<br />

drastischer Zunahme, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> noch mehr schämt und s<strong>ich</strong> hasst. Dies k<strong>an</strong>n in<br />

einen, wie <strong>ich</strong> es gerne nenne "Futterkreislauf" führen, denn <strong>das</strong> ist der mögl<strong>ich</strong>e Beginn<br />

einer Essstörung. Während du zunächst aufgrund einer depressiven Stimmung heraus<br />

gegessen hast, damit es dir besser geht, so ist es irgendw<strong>an</strong>n so, <strong>das</strong>s du sobald du isst,<br />

depressiv wirst.


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Die Portionen werden größer und die Uhrzeiten immer später, während du d<strong>ich</strong><br />

gle<strong>ich</strong>zeitig weniger bewegst. Der Glaube <strong>an</strong> den Ged<strong>an</strong>ken, n<strong>ich</strong>t gut genug für die<br />

Gesellschaft zu sein, fängt vielle<strong>ich</strong>t damit <strong>an</strong>, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> morgens skeptisch in den<br />

Spiegel schaut und endet damit, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> abends Schoki als Nervennahrung isst. Aber<br />

selbst wunderschöne Frauen und Männer die n<strong>ich</strong>t zunehmen und für ihren Körper<br />

beneidet werden, können s<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> für s<strong>ich</strong> schämen, da sie s<strong>ich</strong> als zu dick oder<br />

hässl<strong>ich</strong> empfinden. Aufgefasst wird <strong>das</strong> immer als "jammern auf aller höchstem<br />

Niveau". Es ist kein Jammern, denn einige haben diesen Ged<strong>an</strong>ken, durch jahrel<strong>an</strong>ges<br />

Mobbing zum Beispiel. Diese Menschen sehen s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr mit ihren eigenen Augen,<br />

sondern mit denen der Depression. Die Depression will dir schließl<strong>ich</strong> kein schönes Bild<br />

mehr zeigen.<br />

Als <strong>ich</strong> deutl<strong>ich</strong> <strong>an</strong> Gew<strong>ich</strong>t verloren hatte, tat <strong>ich</strong> <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t für m<strong>ich</strong>, sondern für die<br />

Akzept<strong>an</strong>z der Gesellschaft. Es macht für m<strong>ich</strong> keinen Sinn, hierbei um den heißen Brei<br />

zu reden. Mir ist klar, <strong>das</strong>s nun viele aufschreien werden, <strong>das</strong>s dies <strong>das</strong> falsche Motiv sei<br />

und m<strong>an</strong> dies aus gesundheitl<strong>ich</strong>en Gründen oder für s<strong>ich</strong> machen sollte. Doch <strong>das</strong> wäre<br />

einfach n<strong>ich</strong>t die Wahrheit, den gesundheitl<strong>ich</strong>en Aspekt k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> <strong>an</strong> dieser Stelle nur<br />

wegschmunzeln. Mir ist sehr wohl bewusst gewesen, <strong>das</strong>s Übergew<strong>ich</strong>t immer ein<br />

gesundheitl<strong>ich</strong>es Risiko darstellt. Jedoch k<strong>an</strong>nst du heute auf dieser Welt bei den<br />

Schadstoffen in der Luft n<strong>ich</strong>t mal einatmen, ohne deiner Gesundheit einen Tritt zu<br />

geben. Und für s<strong>ich</strong>? Naja, der Ged<strong>an</strong>ke des Abnehmens entsteht doch zum großen Teil,<br />

wenn viele ehrl<strong>ich</strong> zu s<strong>ich</strong> sind, durch die Ablehnung und den Spott der Gesellschaft. Ich<br />

rede hier n<strong>ich</strong>t von 1000 Kilo, sondern von einem solchen Übergew<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong> einen noch<br />

normal am Alltag teilnehmen lässt. Ich muss <strong>das</strong> hier extra erwähnen, da <strong>ich</strong> schon oft<br />

ein 1000 Kilo Beispiel als Gegenargument hörte.<br />

Ich habe es <strong>an</strong> mir gesehen, mit vielen Kilos weniger wurde <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> "menschl<strong>ich</strong>"<br />

beh<strong>an</strong>delt. Nein, sogar besser! Ich war nur noch darauf fokussiert abzunehmen, den<br />

g<strong>an</strong>zen Tag drehte s<strong>ich</strong> alles um mein Gew<strong>ich</strong>t. Ich war fälschl<strong>ich</strong>erweise der Meinung,<br />

<strong>das</strong>s es w<strong>ich</strong>tig für m<strong>ich</strong> wäre, auf diese Art und Weise akzeptiert zu werden. Ich wurde<br />

d<strong>an</strong>n sogar von Menschen begrüßt und verabschiedet, die es jahrel<strong>an</strong>g n<strong>ich</strong>t taten. Diese<br />

g<strong>an</strong>zen plötzl<strong>ich</strong>en Nettigkeiten führten aber dazu, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> genau davor geekelt<br />

habe. Ich erschauerte und hatte <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> öfters am Tag duschen<br />

musste.<br />

Durch <strong>das</strong> Gew<strong>ich</strong>t, dem fehlenden Selbstwertgefühl und der Depression bekommt m<strong>an</strong><br />

nach und nach eine sehr niedrige Hemmschwelle, s<strong>ich</strong> selber zu verletzen. Denn es gibt<br />

ja auch Menschen, die s<strong>ich</strong> ritzen um s<strong>ich</strong> von diesen elenden Ged<strong>an</strong>ken fortzubringen.<br />

Der Schmerz, sowie die Erkenntnis der für ewig s<strong>ich</strong>tbaren Narben, ist ihnen in dem


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Moment egal. Hauptsache, m<strong>an</strong> ist frei von seinen negativen Ged<strong>an</strong>ken. Doch wenn<br />

diese aufhören sollen, müssen sie mehr tun als die Ged<strong>an</strong>ken, um den Körper wieder<br />

über den Geist zu stellen.<br />

M<strong>an</strong> bemerkt besonders in solchen Momenten wie fein säuberl<strong>ich</strong> die schlechten<br />

Ged<strong>an</strong>ken von uns und die schlechten Äußerungen von einem Teil eines Blendervolkes in<br />

unser Bewusstsein geflochten sind und die guten Komplimente währenddessen n<strong>ich</strong>t<br />

haften und sogar für peinl<strong>ich</strong>e Irritation sorgen.<br />

Die Depression ist n<strong>ich</strong>t von heute auf Morgen wieder weg, sie wird eine gefühlte<br />

Ewigkeit ein prägn<strong>an</strong>ter Best<strong>an</strong>dteil deines Lebens sein. Während m<strong>an</strong> damit kämpft,<br />

sieht m<strong>an</strong> <strong>das</strong> eigene Umfeld einen quasi überholen. Egal ob im Beruf, bei dem Gew<strong>ich</strong>t,<br />

der jeweiligen Familie, nur m<strong>an</strong> selber verspürt gar keinen Fortschritt. Es scheint immer<br />

wieder nur Rückschläge zu geben. Das sorgt für gewisse Eifersucht. Diese Kr<strong>an</strong>kheit ist<br />

aber kein Wettkampf und m<strong>an</strong> sollte s<strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t mit <strong>an</strong>deren vergle<strong>ich</strong>en, denn jeder<br />

Charakter und jedes Leben ist so verschieden und auch unterschiedl<strong>ich</strong> sensibel. Le<strong>ich</strong>t<br />

gesagt, jedoch schwer in solchen Situationen zu akzeptieren.<br />

Auch mir passierte <strong>das</strong> vor einiger Zeit, als eine Freundin innerhalb eines Jahres einen<br />

neuen Partner f<strong>an</strong>d, umzog, heiratete und nun Mutter wurde. Für Außenstehende mag<br />

<strong>das</strong> sehr ambitioniert oder eine Welle des Glücks sein. Doch <strong>ich</strong> werde <strong>das</strong> Gefühl n<strong>ich</strong>t<br />

los, <strong>das</strong>s sie vor etwas flieht. G<strong>an</strong>z kurz vor diesem ereignisre<strong>ich</strong>en Jahr, sagte sie mir,<br />

<strong>das</strong>s sie auch Depressionen habe. Es scheint als versuche sie, die Leere zu füllen, <strong>an</strong>statt<br />

s<strong>ich</strong> ihr zu stellen. Egal wie es sein mag, <strong>ich</strong> freue m<strong>ich</strong> für sie! Irgendw<strong>an</strong>n macht m<strong>an</strong><br />

<strong>das</strong> Glück seiner Freunde zu seinem und die Eifersucht ist kein Thema mehr. Du scheinst<br />

d<strong>ich</strong> damit etwas weniger von deinem eigenen Glück zu entfernen. Dafür, <strong>das</strong>s es<br />

<strong>an</strong>deren gut geht, würde m<strong>an</strong> auch gegebenen<strong>falls</strong> selber zurückstecken.<br />

Du k<strong>an</strong>nst Depressionen aus den unterschiedl<strong>ich</strong>sten Gründen bekommen, sei es durch<br />

Schicksalsschläge, Kindheitserinnerungen, Mobbing, Gewalt, gescheiterte Beziehungen,<br />

falsche Ernährung, Nebenwirkung von Medikamenten, defekte am Körper (Schilddrüse)<br />

oder genetisch bedingt und die Liste k<strong>an</strong>n noch so viel länger werden.<br />

Doch einen Grund für Depressionen oder einem erneuten Schub, möchte <strong>ich</strong> hier<br />

nochmal herausstellen, näml<strong>ich</strong> den des Glücks. Auch <strong>an</strong>haltende, positive Ereignisse<br />

können in eine Depression führen. Plötzl<strong>ich</strong> hat m<strong>an</strong> vielle<strong>ich</strong>t geheiratet, einen neuen<br />

Job, wurde Vater/Mutter oder es lief grundsätzl<strong>ich</strong> einfach zieml<strong>ich</strong> gut und dennoch<br />

k<strong>an</strong>nst du damit in eine Depression stürzen. Das muss m<strong>an</strong> erst mal sacken lassen. Für<br />

m<strong>ich</strong> ist die Tatsache, <strong>das</strong>s aus zu vielen guten Dingen auch Depressionen entstehen


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können, der schlimmste Weg in die Kr<strong>an</strong>kheit, denn d<strong>an</strong>n muss irgendwie eine Art von<br />

Bewusstseinsverwirrung vorliegen, k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> mir denken. Wo m<strong>an</strong> sonst einem<br />

Depressiven erzählt, er soll positiv denken, was sagt m<strong>an</strong> diesem Menschen d<strong>an</strong>n?<br />

Jeden Tag aufs Neue wird d<strong>ich</strong> dieses Kr<strong>an</strong>kheitsbild "Depression" begleiten, in dieser<br />

Zeit wird es d<strong>ich</strong> Kraft, Gefühle, Momente, Zeit und Menschen kosten und vor allem wird<br />

sie d<strong>ich</strong> demütigen. Auf Dauer wird es d<strong>ich</strong> demoralisieren und sämtl<strong>ich</strong>e Hoffnung<br />

zun<strong>ich</strong>temachen, so <strong>das</strong>s ein Suizid irgendw<strong>an</strong>n eine vernünftige Alternative zu sein<br />

scheint. "Fehlgeschlagene" Suizidversuche oder <strong>das</strong> Ritzen werden oftmals als Schrei<br />

nach Aufmerksamkeit betitelt. Ich möchte weder dieser These komplett widersprechen,<br />

noch ihr zustimmen, da <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t alle Menschen auf dieser Welt kenne und es auch hier<br />

s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> Besonderheiten gibt. Dieser Effekt einer Aufmerksamkeit bei einem<br />

fehlgeschlagenem Suizidversuch wird von jem<strong>an</strong>den der es wirkl<strong>ich</strong> ernst meint, gar<br />

n<strong>ich</strong>t bedacht. Der Tod wirkt n<strong>ich</strong>t selten nach einiger Zeit in schweren Depressionen,<br />

wie ein vertrauter Freund.<br />

Vertrauter Freund?<br />

Ja! L<strong>an</strong>ge bevor m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> für diesen Schritt entscheidet, kommt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber bereits<br />

emotional tot vor. Das Ende der Schmerzen und Zweifel durch den Tod scheint dir die<br />

Patentlösung zu sein.<br />

Jem<strong>an</strong>d hat mal gesagt, <strong>das</strong>s der Tod n<strong>ich</strong>t der größte Verlust im Leben sei. Der größte<br />

Verlust ist, <strong>das</strong>s etwas in uns stirbt, während wir noch leben. Die größten Optimisten<br />

begegnen dir meist mit: "Wir können n<strong>ich</strong>t leben, wenn wir n<strong>ich</strong>t ein wenig gestorben<br />

sind". Wie nah der Tod dir dir wirkl<strong>ich</strong> bereits ist, erkennst du eventuell <strong>an</strong> Vorboten in<br />

nächtl<strong>ich</strong>en sowie Tagträumen, in denen m<strong>an</strong> wie eine Art Vision stets vor Augen geführt<br />

bekommt, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> auf verschiedene Arten stirbt.<br />

Ich träume seit über einem Jahr von 10 - 20 verschiedenen Toden in einer Nacht. Egal ob<br />

es einfach ein Traum ist, in dem <strong>ich</strong> vom Hochhaus springe oder aus einem Flugzeug<br />

falle. Bei jedem dieser Tode mache <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>ts, <strong>ich</strong> wehre m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>ich</strong> reagiere<br />

n<strong>ich</strong>t mal. Wenn m<strong>an</strong> <strong>an</strong> so einem Punkt ist, fungiert der Körper quasi nur noch als<br />

Gefäß. Einzig und allein die Angst/der Respekt hält einen vom letzten Schritt in der<br />

Wirkl<strong>ich</strong>keit noch ab. Um diese Schwelle zu brechen ist es keine Seltenheit, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong><br />

s<strong>ich</strong> mit gepl<strong>an</strong>ten fehlgeschlagenen Suizidversuchen, dieser nähert und irgendw<strong>an</strong>n<br />

durchbr<strong>ich</strong>t.<br />

Die Seelen, die s<strong>ich</strong> bereits auf dieser Ebene wiederfinden, haben ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t<br />

bereits abgeschlossen, vielle<strong>ich</strong>t sogar letzte Worte irgendwo im Haus verstaut für<br />

Hinterbliebene. Es geht hier um mehr als Erlösung und s<strong>ich</strong> vor der Einsamkeit oder


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Dunkelheit zu retten. Ein Selbstmord fühlt s<strong>ich</strong> für die Person n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> wie ein<br />

Selbstmord, sondern als würdest sie s<strong>ich</strong> mit einer Waffe vor einem Eindringling<br />

schützen wollen und wenn sie schießt, trifft sie s<strong>ich</strong>, weil sie selber der Eindringling ist.<br />

Mein Reizwort ist für diese Verbildl<strong>ich</strong>ung, wieder "Harry Potter". Erinnern wir uns <strong>an</strong><br />

den 4. Teil der Harry Potter Reihe. In diesem musste Harry in ein Labyrinth. Habt ihr <strong>das</strong><br />

alle vor Augen? Nun stellt euch vor, ihr wärt Harry in diesem Moment. Es gibt mehrere<br />

Mögl<strong>ich</strong>keiten, wie <strong>das</strong> für euch ausgehen k<strong>an</strong>n. Da wäre, s<strong>ich</strong> verlaufen, gewinnen und<br />

natürl<strong>ich</strong> der Tod. Doch es gab noch eine <strong>an</strong>dere Mögl<strong>ich</strong>keit, einen Sog, der d<strong>ich</strong> erneut<br />

in eine neue <strong>an</strong>dere Welt entführen will. Erneut aus dem Grund, weil Harrys im Vergle<strong>ich</strong><br />

unbeschwerte, normale Welt mit den alltägl<strong>ich</strong>en Problemen, ja schon mal ersetzt<br />

wurde, durch die Zauberwelt und ihre Angriffe auf ihn. Bei uns im "wahren" Leben ist es<br />

der Wechsel von der normalen Welt in die Welt der Depression und nun von der<br />

Depressionswelt in die dritte Ged<strong>an</strong>kenwelt.<br />

In der Gesch<strong>ich</strong>te von Harry Potter war es der Pokal in Form der Teleportation, der die<br />

beiden Welten verbindet.(Depressionswelt und dritte Ged<strong>an</strong>kenwelt)<br />

Bei dieser Kr<strong>an</strong>kheit ist es wie eine Schwelle, die diese Welten trennt. Die neue Welt<br />

wäre ein Ort, <strong>an</strong> dem du alleine bist, in dem du in deiner eigenen Welt leben würdest. In<br />

dieser Welt würdest du zwischen Gut und Schlecht n<strong>ich</strong>t mehr unterscheiden können,<br />

ohne Empathie und es ist, als würdest du die Tore für härtere psychische Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

weit aufreißen, die noch in g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren Formen, Namen und Gestalten auftreten. Sie<br />

wird dir den Anschein einer Demokratie machen und dabei ist es die perfekte Diktatur.<br />

Sie wird ein Gefängnis ohne Mauern sein, in dem die Gef<strong>an</strong>genen n<strong>ich</strong>t einmal davon<br />

träumen auszubrechen. Es ist ein System der Unterwerfung, bei dem der Unterworfende<br />

d<strong>an</strong>k einer endl<strong>ich</strong> festen Position und mentaler Schwächung ihre Abhängigkeit dazu<br />

entwickeln. Du nimmst die Depression plötzl<strong>ich</strong> <strong>an</strong>ders war, n<strong>ich</strong>t mehr als Gegner<br />

sondern als Weg.<br />

Harry dachte, mit dem Erre<strong>ich</strong>en des Pokals, hätte er den Erfolg und es wäre vorbei.<br />

Doch dabei war es nur ein Trugbild von etwas Schlimmeren als dem Tod, wenn m<strong>an</strong> m<strong>ich</strong><br />

fragen würde. Er verhalf mit seinem Blut dem Gegner zu einer Gestalt. Er hatte nach<br />

seinem Kampf im Labyrinth nur den Pokal als sein Ziel im Blick, doch dieser Pokal<br />

tr<strong>an</strong>sportierte ihn in seinen schlimmsten Albtraum.<br />

Im Leben suchst du unentwegt den Weg aus der Depression und der führt d<strong>ich</strong><br />

ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong> vorbei <strong>an</strong> grauen, leeren Ruinen, über Berge aus Schutt und Asche und<br />

verwitterten Gebäuden. Vereinzelt hallt ein leises Echo zwischen grauem Beton und<br />

stummer Hoffnung zwischen den Straßen und verliert s<strong>ich</strong> in bröckelnden Fassaden. Aus


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der Ferne siehst du etwas, was im Vergle<strong>ich</strong> zu dem, was s<strong>ich</strong> deinen Augen hier bietet,<br />

wünschenswertes. Es strahlt wie der Pokal. Du darfst deinen Augen n<strong>ich</strong>t trauen, denn<br />

sie lügen d<strong>ich</strong> hierbei wieder <strong>an</strong>. Du hast näml<strong>ich</strong> Depressionsaugen.<br />

Dieses Jahr erschütterte unter <strong>an</strong>derem der Unfall/Anschlag in Münster Deutschl<strong>an</strong>d.<br />

Der Vater des Täters beschrieb, <strong>das</strong>s sein Sohn innerl<strong>ich</strong> Höllenqualen durchlebt haben<br />

muss und <strong>das</strong>s er in seiner eigenen Welt gelebt habe. Zudem ber<strong>ich</strong>tete er über die<br />

plötzl<strong>ich</strong>e drastische Veränderung von der gewöhnl<strong>ich</strong>en Depression zu seinem letzten<br />

Zust<strong>an</strong>d.<br />

Das Unrecht, <strong>das</strong> er den Menschen in Münster <strong>an</strong>tat, ist genau <strong>das</strong>, was <strong>ich</strong> meine: er<br />

konnte n<strong>ich</strong>t mehr zwischen gut/böse, recht/unrecht unterscheiden und wollte diesen<br />

Schmerzen einfach nur entkommen und folgte dem Weltbild und Leitfaden in seinem<br />

Kopf.<br />

Hierzu gibt es wieder eine Parallele zu der Harry Potter Saga, die <strong>ich</strong> euch als Kontext mal<br />

aus dem 5. Teil Harry Potter und der Orden des Phönix raus gesucht habe:<br />

Harry: "Was ist, wenn nach allem, was <strong>ich</strong> durchmachen musste, etwas schief läuft in<br />

meinem Inneren. Was ist, wenn <strong>ich</strong> böse werde?"<br />

Sirius: "Ich möchte, <strong>das</strong>s du mir aufmerksam zuhörst, Harry. Du bist kein böser Mensch.<br />

Du bist ein sehr guter Mensch, dem Böses widerfahren ist. Außerdem teilt s<strong>ich</strong> die Welt<br />

n<strong>ich</strong>t in gute Menschen und Todesser [Böse Menschen]. Wir haben alle sowohl eine<br />

helle als auch eine dunkle Seite in uns. Es kommt darauf <strong>an</strong>, welche Seite wir für unser<br />

H<strong>an</strong>deln aussuchen. Das macht uns wirkl<strong>ich</strong> aus."<br />

Der Täter aus Münster, war wie ferngesteuert von dieser Kr<strong>an</strong>kheit, die ihn aber nur als<br />

Brutstätte benutzte. Denn die Saat, die er heute streut, können die Früchte von morgen<br />

sein.<br />

Dies ist auf gar kein Fall eine Entschuldigung für seine Tat, aber es soll auch aufzeigen,<br />

<strong>das</strong>s es auch n<strong>ich</strong>t so einfach ist, wie m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> gerne macht, in dem m<strong>an</strong>, dem allem<br />

eine Alibiüberschrift verpasst und s<strong>ich</strong> denkt "passt schon". Etwas, <strong>das</strong> gerne vergessen<br />

wird, kommt ja noch erschwerend hinzu, näml<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Depressive, unabhängig von ihrer<br />

Kr<strong>an</strong>kheit noch ab und <strong>an</strong> h<strong>an</strong>deln können und daher ist n<strong>ich</strong>t jede Aktion darauf zu<br />

schieben.<br />

Woher <strong>ich</strong> <strong>das</strong> alles weiß? Für meine Begriffe st<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> genau <strong>an</strong> dieser Schwelle zu<br />

dieser dritten Ged<strong>an</strong>kenwelt.


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„Verschwinde endl<strong>ich</strong> aus meinem Kopf, <strong>ich</strong> werde n<strong>ich</strong>t mit dir gehen. Ich glaube n<strong>ich</strong>t<br />

mal <strong>an</strong> Gott, somit werde <strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> d<strong>ich</strong> glauben. Du hast kein Herz und wenn<br />

doch, d<strong>an</strong>n schlägt es n<strong>ich</strong>t.“<br />

Doch diese Welt ist n<strong>ich</strong>t wie die Depressionswelt, denn die Depressionswelt überfiel<br />

m<strong>ich</strong>. Sie nutzte quasi den Überraschungsmoment. Die <strong>an</strong>dere kommt über den Prozess.<br />

Das Gefühl, der Depression zu entrinnen, ist so dermaßen prägn<strong>an</strong>t <strong>an</strong> dieser Stelle, <strong>das</strong>s<br />

m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> von den Gefühlen leiten lässt und s<strong>ich</strong> blind hingibt.<br />

Doch <strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n eines jedem raten, verlasst euch endl<strong>ich</strong> einmal wieder auf eure Intuition<br />

und dreht euch verflixt nochmal um. Denn d<strong>an</strong>n werdet ihr wissen, <strong>das</strong>s der Weg n<strong>ich</strong>t<br />

r<strong>ich</strong>tig sein k<strong>an</strong>n. Ihr werdet beim Zurückschauen eure Freunde, euren Partner und eure<br />

Familie sehen, die s<strong>ich</strong> für euch einsetzen und wie gut k<strong>an</strong>n eine neue Welt sein ohne<br />

die eignen Freunde/Familie/Partner? Ich würde jetzt sagen wollen, ihr seid es ihnen<br />

schuldig zu kämpfen. Doch es ist der Wert der Überzeugungen, der den Erfolg ausmacht.<br />

Das Gefühl, <strong>das</strong> <strong>ich</strong> der <strong>an</strong>deren Welt entnehmen konnte, war Zerstörung, Einsamkeit,<br />

Wut, Schmerz und etwas, was <strong>ich</strong> als den Tod definieren würde. Zudem war es wie eine<br />

Einbahnstraße die ihr niemals wieder verlassen könnt, wenn ihr sie einmal betreten<br />

habt.<br />

Jede Sekunde mit dieser Kr<strong>an</strong>kheit gibt, euch/mir/uns verdammt nochmal jedes Recht,<br />

wütend zu sein! Euch/Mir/Uns wird <strong>das</strong> Leben weggenommen und dabei ist es völlig<br />

egal, ob du in der Depressionswelt oder in der dritten Ged<strong>an</strong>kenwelt bist. Sagt ruhig,<br />

<strong>das</strong>s euer Herz oder eure Seele vor Zorn schreit. Du darfst schreien, du darfst weinen,<br />

aber du darfst dennoch niemals aufgeben.<br />

Gerade in sehr jungen Jahren <strong>an</strong> einer Depression zu erkr<strong>an</strong>ken, ist dermaßen scheiße,<br />

weil m<strong>an</strong> viele aufregende Dinge wie Partys, die erste große Liebe, Roadtrips<br />

(Rucksacktouren) und vieles mehr verpasst oder n<strong>ich</strong>t ausgiebig genießen k<strong>an</strong>n.<br />

Ich wollte immer mal so eine Spring Break Party in C<strong>an</strong>cun mitmachen, doch mit der<br />

Depression ist sowas unmögl<strong>ich</strong> und mit 50 Jahren oder jenseits einer bestimmten<br />

Altersgrenze wirkt <strong>das</strong> doch eher wie eine Midlife-Krise. Vieles passt nur noch in dieses<br />

Alter, m<strong>an</strong> ist in der Regel vitaler und darf auch etwas kindisch sein. Aber der wohl<br />

emotionalste Grund dafür ist, <strong>das</strong>s euch/mir/uns die Welt, n<strong>ich</strong>t vorher in seiner<br />

Schönheit gezeigt wird und uns damit Mut für unser gesamtes Leben macht.<br />

Systematisch geht die Depression weiter vor und ermögl<strong>ich</strong>t den Betroffenen ihre<br />

schlimmsten Tragödien zu schildern, doch viele normale oder schöne Dinge vergessen<br />

sie, da sie diese scheinbar aus dem Gedächtnis gestr<strong>ich</strong>en haben.


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Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug


Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug Seite 141<br />

Keine Sorge, <strong>das</strong> ist kein Alzheimer und kommt auch n<strong>ich</strong>t vom älter werden. Alle über<br />

30-jährigen können nun also wieder durchatmen.<br />

Bei depressiven Ged<strong>an</strong>kengängen findet eine Reduktion im Gedächtnis statt. Das ist mit<br />

den Notstromaggregaten in einem Kr<strong>an</strong>kenhaus zu vergle<strong>ich</strong>en. Dort wird bei einem<br />

Stromausfall alles Notwendige versorgt, da ist es völlig egal, ob d<strong>an</strong>n <strong>das</strong> Lämpchen am<br />

Süßigkeitenautomaten leuchtet. Die Erinnerungen verschwinden für unbestimmte Zeit<br />

aus dem Gedächtnis und können auch mit Erzählungen oder Erinnerungsstücken n<strong>ich</strong>t<br />

hervorgerufen werden. Beispiele sind Gespräche mit deinen Freunden oder Familie,<br />

Unternehmungen, Reisen, Personen die du kennenlerntest, etc. Bei dem Versuch, d<strong>ich</strong><br />

dar<strong>an</strong> zu erinnern kommt eventuell die Angst, etwas vergessen zu können, was dir<br />

maßgebl<strong>ich</strong> am Herzen liegt und alles bedeutet.<br />

Obwohl m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t erinnern k<strong>an</strong>n, erzählen die Ze<strong>ich</strong>en auf dem Körper und der<br />

Seele <strong>an</strong>dere Gesch<strong>ich</strong>ten als die schwammige Erinnerung. Dieses Phänomen traf auch<br />

auf m<strong>ich</strong> zu. In meinem Fall, bekam <strong>ich</strong> vor 2 Jahren neue Nachbarn. Sie sprachen m<strong>ich</strong><br />

direkt mit meinem Vornamen <strong>an</strong> und veruns<strong>ich</strong>erten m<strong>ich</strong> völlig, da <strong>ich</strong> diese Menschen<br />

n<strong>ich</strong>t zu kennen schien. Jedoch kennen sie m<strong>ich</strong>, seitdem <strong>ich</strong> ein Kind war und wohnten<br />

fast ein halbes Leben l<strong>an</strong>g neben meiner Familie. Sie konnten mir über meine Familie<br />

und Stiefvater Nr. 1 alles sagen. Mit jeder Information, die n<strong>ich</strong>t dazu beitrug, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

wusste wer sie waren, fühlte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> merkl<strong>ich</strong> unwohler. Nach 2 Jahren sind sie mir<br />

immer noch fremd, aber inzwischen kommen mir Erinnerungsfetzen ins Bewusstsein, die<br />

m<strong>ich</strong> ahnen lassen, <strong>das</strong>s wir uns tatsächl<strong>ich</strong> damals k<strong>an</strong>nten.<br />

Wenn einige vorher gewusst hätten, wie <strong>das</strong> Leben als Erwachsener für sie mit dieser<br />

Kr<strong>an</strong>kheit läuft, wären sie wohl lieber als Kind im S<strong>an</strong>dkasten sitzen geblieben. Es steht<br />

doch bis heute 17340 zu null für die Depression, <strong>das</strong> Leben und <strong>das</strong> Schicksal. Aber was<br />

ist d<strong>an</strong>n der Grund warum <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t aufgeben sollte?<br />

Jeder macht irgendw<strong>an</strong>n seinen ersten Punkt, kein volles Leben endet zu 0.<br />

Das verspreche <strong>ich</strong> euch!


Seite 142<br />

Der n<strong>ich</strong>t kalkulierte Rückzug


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 143<br />

DAS TABUTHEMA IM FALSCHEN LICHT<br />

Es kommt mir m<strong>an</strong>chmal so vor, als ob die Gesellschaft eine festgefahrene Vorstellung<br />

über <strong>das</strong> Kr<strong>an</strong>kheitsbild "Depression" hat. Es gibt durchaus Leute die denken, <strong>das</strong>s<br />

jem<strong>an</strong>d völlig durchdreht und eine halbe Schule niederschießt oder <strong>an</strong>dere<br />

Horrorszenarien, nur weil derjenige <strong>an</strong> Depressionen leidet. S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> ist dar<strong>an</strong> auch die<br />

öffentl<strong>ich</strong>e Ber<strong>ich</strong>terstattung schuld.<br />

Erinnern wir uns <strong>an</strong> den Co-Piloten Andreas Lubitz, der <strong>das</strong> Flugzeug samt 150<br />

Passagieren tragisch in den Tod lenkte. Was war dort fett in den Zeitungen zu lesen oder<br />

in den Nachr<strong>ich</strong>ten zu hören? Seine Depressionen waren ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>. Es stellte s<strong>ich</strong><br />

später zwar als falsch heraus, dennoch entsteht daraus eine aus meiner S<strong>ich</strong>t gefährl<strong>ich</strong>e<br />

Halbwahrheit. Natürl<strong>ich</strong> verkauft s<strong>ich</strong> eine so drastische Schlagzeile besser. Diese<br />

Schlagezeile bleibt aber im Gedächtnis vieler Leute und m<strong>an</strong>ifestiert s<strong>ich</strong> so als ihre<br />

Meinung über Depressionen. Dies umso mehr, wenn sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t selbständig weiter<br />

informieren und so n<strong>ich</strong>t mitbekommen, <strong>das</strong>s die Depressionen n<strong>ich</strong>t für den<br />

Flugzeugabsturz ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong> waren.<br />

Ich habe eine Umfrage zum Thema "Depressionen" in der Facebookgruppe "Singles in<br />

Niedersachsen" gemacht, einfach um zu erfahren, was die Mitglieder über Depression<br />

denken bzw. wissen.<br />

Die Antwort "alles stille Killer" hat m<strong>ich</strong> auf so vielen Ebenen verstört und gle<strong>ich</strong>zeitig<br />

noch mehr bestärkt, dieses Buch zu schreiben. Laut Duden ist es ein Killer, ein Mörder,<br />

jem<strong>an</strong>d, der einen <strong>an</strong>deren ohne Skrupel umbringt. Für m<strong>ich</strong> eine völlig deplatzierte<br />

Bemerkung und so falsch!<br />

Da sieht m<strong>an</strong> wie verschroben die Ans<strong>ich</strong>t von einigen zu Depressionen ist. In solchen<br />

Momenten wünschte <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s genau diese Menschen in unsere Fußstapfen treten<br />

könnten, um ein paar Meter unseres Weges zu gehen. D<strong>an</strong>ach würden sie sehr<br />

wahrscheinl<strong>ich</strong> <strong>an</strong>ders denken. Auf der <strong>an</strong>deren Seite wünsche <strong>ich</strong> keinem <strong>an</strong>deren<br />

Menschen so etwas erleben zu müssen.<br />

Ich stellte die Frage in dieser Gruppe, weil sie oftmals mit absoluter Oberflächl<strong>ich</strong>keit<br />

brilliert und letztl<strong>ich</strong> weil einige dieses Thema schon bei s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>deutenden.<br />

Ich erlebe dieses Verhalten und komme mir so oft vor, als wäre meine Seele im falschen<br />

Körper, damit meine <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> lieber eine Frau wäre, sondern <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

irgendwie <strong>das</strong> falsche Zeitalter erwischt habe.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 145<br />

Ich würde als junger Erwachsener, in Bezug auf meinen Musik- und Filmgeschmack,<br />

bestens in die späten 80er und 90er passen. Aber natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t nur deswegen, sondern<br />

auch wegen den Menschen, wie <strong>ich</strong> sie damals wahrnahm.<br />

Damals kam mir die Welt n<strong>ich</strong>t so kalt vor, wie sie heute zu sein scheint. Und nein, <strong>das</strong><br />

hat ausnahmsweise n<strong>ich</strong>ts mit dem Klimaw<strong>an</strong>del zu tun. Die Menschen waren herzl<strong>ich</strong>er<br />

und kümmerten s<strong>ich</strong> irgendwie noch umein<strong>an</strong>der. Es wurde s<strong>ich</strong> sogar jeden Tag<br />

gegrüßt, Wahnsinn!<br />

Heute ist s<strong>ich</strong> fast jeder selbst der Nächste. M<strong>an</strong> wird heute quasi nur noch kategorisiert<br />

(Schubladendenken), als Freak, Nerd oder Psycho, egal ob es einem gefällt oder n<strong>ich</strong>t.<br />

Doch wisst ihr, wie m<strong>an</strong> diese Gruppierungen damals noch n<strong>an</strong>nte? M<strong>an</strong> n<strong>an</strong>nte sie<br />

Mitmenschen. Jede neue Kategorie bedeutet neue Grenzen zwischen den Menschen.<br />

Damals riss m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> für einen Menschen noch förml<strong>ich</strong> den Arsch auf und heute muss<br />

m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> fast schon mit einem <strong>an</strong>stupsen in den sozialen Netzwerken zufrieden geben<br />

und glückl<strong>ich</strong> schätzen. Das damit unweigerl<strong>ich</strong> eine Lücke klafft, wo m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

gewürdigt oder gar geliebt fühlt, ist selbstverständl<strong>ich</strong>.<br />

Wobei <strong>ich</strong> die Worte "soziale Netzwerke" näher betrachten möchte, denn heute ist da<br />

kaum noch etwas sozial. Ich weiß <strong>das</strong> Wort "sozial" in sozialen Netzwerken hat n<strong>ich</strong>t<br />

diese Bedeutung von Hilfsbereitschaft und so.<br />

Heutzutage scheinen solche Plattformen mit all ihren vielfältigen Gruppen dem<br />

traditionellen "old-school-kennenlernen" den R<strong>an</strong>g abzulaufen. Irgendwie ist diese<br />

Entwicklung auch völlig normal bei den perfektionistischen Ansprüchen, Weltoffenheit,<br />

Em<strong>an</strong>zipation und der immer mehr verlorenen Werte. Bevor <strong>ich</strong> mit dem schlechteren<br />

Teil weiter mache, möchte <strong>ich</strong> aber mal eine Gruppe bei Facebook benennen die r<strong>ich</strong>tig<br />

super ist und in der mehr steckt als der Titel vielle<strong>ich</strong>t vermuten lässt.<br />

Die Gruppe "Liebe deine Kurven-Wir tuns auch!" ist toll! Sie ist Anlaufstelle n<strong>ich</strong>t nur für<br />

Menschen mit Kurven sondern dort sind g<strong>an</strong>z viele tolle unterschiedl<strong>ich</strong>e Menschen. Die<br />

Admins dieser Gruppen, die jeden Tag ihr Herzblut geben, wollen vielen Seelen einfach<br />

ein "Überg<strong>an</strong>gszuhause" geben, <strong>das</strong> sieht m<strong>an</strong> <strong>an</strong> den liebevollen Details. Verirrt s<strong>ich</strong><br />

jem<strong>an</strong>d, der nur auf Krawall aus ist, in diese Gruppen, setzen sie s<strong>ich</strong> wie Löwinnen und<br />

die Männer natürl<strong>ich</strong> wie Löwen für die <strong>an</strong>deren Mitglieder ein. Absolut jeder ist in<br />

dieser Gruppe Willkommen.<br />

So nun wieder zum schlechteren Part. Es ist n<strong>ich</strong>t l<strong>an</strong>ge her, da sah <strong>ich</strong> eine Frau<br />

mittleren Alters, die ein Bild von s<strong>ich</strong> in der besagten "Single in Niedersachsen" Gruppe<br />

gepostet hat und <strong>an</strong>schließend die LIVE Mögl<strong>ich</strong>keit nutzte.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 147<br />

Soweit so gut. Sie versuchte, mit dem Bild gewisse Reize zu setzen, mit ein bisschen<br />

Ausschnitt, was <strong>an</strong>dere bereits viel aufreizender zeigten. Sie wurde direkt beleidigt und<br />

<strong>an</strong>gefeindet, es wäre ja unmögl<strong>ich</strong> mit ihrem Aussehen so etwas zu posten.<br />

Ihr müsst wissen, sie hat eine kräftige Statur. Es kamen so viele Kommentare und in<br />

einem Ausmaß gegen sie, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Wort Menschl<strong>ich</strong>keit mit Füßen getreten wurde.<br />

N<strong>ich</strong>t einmal der Gründer der Gruppe konnte s<strong>ich</strong> seinen Kommentar ersparen. Mir<br />

stockte der Atem als <strong>ich</strong> <strong>das</strong> sah, weil <strong>das</strong> aus meiner S<strong>ich</strong>t ein Armutszeugnis ist.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n spr<strong>an</strong>gen die ersten Menschen ihr zur Seite. Ich sah es leider zu spät, sonst<br />

wäre <strong>ich</strong> eben<strong>falls</strong> eingeschritten, denn <strong>ich</strong> finde so etwas arm. Jedes Mal, wenn eine<br />

attraktive Frau so etwas macht, sabbern genau diese Leute so sehr, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> einen<br />

Monat die Wasserkosten spart.<br />

Als wäre <strong>das</strong> alles noch n<strong>ich</strong>t schlimm genug, argumentierten diese Menschen mit: Jede<br />

"R<strong>an</strong>dgruppe" hat ein Recht darauf, diskriminiert zu werden. Genau dazu sage <strong>ich</strong> NEIN!<br />

Dies war so und wird auch immer so bleiben, einer dieser Tage, <strong>an</strong> dem <strong>ich</strong> abends<br />

Muskelkater im Mittelfinger habe.<br />

Aber <strong>das</strong> ist ja kein Einzelfall, <strong>an</strong>dauernd wird jem<strong>an</strong>d niedergemacht und sei es "nur"<br />

<strong>das</strong> <strong>an</strong>dere Geschlecht. Es ist so le<strong>ich</strong>t geworden jem<strong>an</strong>den <strong>an</strong>onym zu beleidigen. M<strong>an</strong><br />

sollte s<strong>ich</strong> aber überlegen, welche Wellen dies schlagen k<strong>an</strong>n. Es ist Mobbing! Es ist<br />

Gewalt! Auch wenn sie "nur" verbal ist.<br />

Heutzutage wird uns Gewaltverherrl<strong>ich</strong>ung - egal ob körperl<strong>ich</strong> oder seelisch - zum<br />

Beispiel in Liedern vorgelebt und schmackhaft gemacht. Menschen bekommen dafür<br />

sogar noch einen Preis, wie z.B. den Echo. Worte können sowohl etwas im positiven als<br />

auch im negativen Sinne <strong>an</strong>r<strong>ich</strong>ten, wie <strong>ich</strong> es bereits am Anf<strong>an</strong>g des Buches zitierte.<br />

Wie wir wissen, k<strong>an</strong>n Mobbing eben<strong>falls</strong> zu Depressionen führen! Hat m<strong>an</strong> sie bereits,<br />

so sind schlimmere Folgen n<strong>ich</strong>t ausgeschlossen.<br />

Einige unter euch werden doch s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> Carsten Stahl von RTL2 kennen, der s<strong>ich</strong> seit<br />

einiger Zeit gegen Mobbing in Schulen einsetzt. Er ber<strong>ich</strong>tete von Alex<strong>an</strong>der einem 18<br />

Jährigen Schüler, der s<strong>ich</strong> am 12.6.2018 in Deutschl<strong>an</strong>d vor Verzweiflung und<br />

Hilflosigkeit <strong>das</strong> Leben nahm, indem er aus dem Fenster spr<strong>an</strong>g. Der Grund war<br />

Mobbing!<br />

Das ist kein Einzelfall. Jeden zweiten Tag bringt s<strong>ich</strong> ein Kind wegen Mobbing um. Doch<br />

damit n<strong>ich</strong>t genug. Die Täter aus der Kindheit, von der Arbeit oder aus dem Netz gehen<br />

nach ihren Taten wieder nach Hause. Irgendw<strong>an</strong>n gründen sie vielle<strong>ich</strong>t eine Familie.<br />

Nun vermitteln sie aber ihren Kindern, etwas über Werte und Moral. Sie mögen zwar<br />

reifer geworden sein, sie sind aber immer noch Täter.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 149<br />

Ich frage m<strong>ich</strong> hierbei auch immer, wie viele Menschen müssen dabei weg gesehen<br />

haben, als ein einzelner gemobbt wurde?! Ich meine diese Menschen sind n<strong>ich</strong>t<br />

zusammengebrochen, weil m<strong>an</strong> einmal eine Bemerkung machte, sondern weil m<strong>an</strong> sie<br />

ständig fertig machte. Eine Botschaft <strong>an</strong> die Menschen die wegschauen, wenn ein<br />

solches Übel passiert, ihr seid in dem Moment genauso wie die Mobber. Genau so<br />

schuldig! Stellt euch mal vor, <strong>das</strong> wäre euer Kind! Würdet ihr wollen, <strong>das</strong>s weggeschaut<br />

wird? Nein, s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t! Ihr wollt Schutz für euer Kind und würdet dazwischen<br />

gehen. Warum könnt ihr <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t für jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>deren? Die Antwort steckt bereits in<br />

diesem Kapitel, wenn ihr ehrl<strong>ich</strong> zu euch seid.<br />

Was aber ist mit denen, die aufgrund des Mobbings unter Depressionen leiden? Kaum<br />

jem<strong>an</strong>d wird s<strong>ich</strong> dafür entschuldigt haben, <strong>das</strong>s er d<strong>ich</strong> demütigte, <strong>das</strong>s er dir vielle<strong>ich</strong>t<br />

körperl<strong>ich</strong>e und n<strong>ich</strong>t zu vergessene seelische Schmerzen zufügte. N<strong>ich</strong>t selten wird es<br />

als "<strong>das</strong> war doch nur Spaß" abget<strong>an</strong>. Ach "wir waren noch Kinder" hört noch m<strong>an</strong> auch<br />

recht häufig.<br />

Diese Menschen sollten jedoch mal bedenken, auf welcher Seite sie beim Mobbing<br />

st<strong>an</strong>den, wenn sie deutl<strong>ich</strong> in der Überzahl oder einem besseren Gesundheitszust<strong>an</strong>d<br />

auf einen <strong>an</strong>deren losgingen. Hierfür gibt es ein Spruch den <strong>ich</strong> immer mal wieder<br />

gelesen oder auch gehört habe: "9 von 10 Personen finden Mobbing gut". M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n gut<br />

über den Spruch lachen, jedoch trifft es genau <strong>das</strong> Problem mit Mobbing. Wie wäre es<br />

jetzt, wo ihr erwachsen seid und über die eine oder <strong>an</strong>dere Sache nochmal nachdenken<br />

konntet, mit einer Entschuldigung? Denn es gibt wahrscheinl<strong>ich</strong> noch Menschen, die<br />

heute noch darunter leiden. Auch wenn eure Entschuldigung n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>genommen wird<br />

und auch n<strong>ich</strong>t die Heilung ist, so könntet ihr aber eventuell euren Kindern mit gutem<br />

Gewissen, diese Tugenden vermitteln. Daher finde <strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s bereits in der Schule <strong>das</strong><br />

Thema Mobbing und dessen Folgen eine viel stärkere und präsentere Rolle einnehmen<br />

muss, gerade in Bezug auf die mögl<strong>ich</strong>e Entstehung einer Depression. Unwissenheit<br />

schützt niem<strong>an</strong>den! Entsprechend der Aussage "Unwissenheit schützt vor Strafe n<strong>ich</strong>t",<br />

denn auch vor einem Ger<strong>ich</strong>t, werdet ihr n<strong>ich</strong>t damit durchkommen, einfach zu sagen,<br />

<strong>ich</strong> wusste es n<strong>ich</strong>t.<br />

Eigentl<strong>ich</strong> wollte <strong>ich</strong> euch mit Zahlen weitestgehend verschonen, doch m<strong>an</strong>che finde <strong>ich</strong><br />

doch einfach <strong>an</strong>gebracht.<br />

In Deutschl<strong>an</strong>d versterben jährl<strong>ich</strong> rund 10.000 <strong>an</strong> Depressionen erkr<strong>an</strong>kte Menschen<br />

aufgrund eines Suizids. Wusste irgendjem<strong>an</strong>d, <strong>das</strong>s die Zahl so hoch ist? Als <strong>ich</strong> diese<br />

Zahl herausf<strong>an</strong>d, musste <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> geschockt in meinen Stuhl zurücklehnen. Ich fühlte<br />

m<strong>ich</strong> mies, so r<strong>ich</strong>tig elend. All diese Seelen, waren wohl verzweifelt, ängstl<strong>ich</strong>, hilflos<br />

und unverst<strong>an</strong>den.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 151<br />

Klar werden nun einige sagen, sie hätten was sagen können, aber wem denn? Vielle<strong>ich</strong>t<br />

denen aus dem Umfeld, von denen m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t wusste ob sie einen d<strong>an</strong>n fallen lassen?<br />

Was viele Freunde vielle<strong>ich</strong>t vergessen oder n<strong>ich</strong>t bedenken ist, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> dieses<br />

sensible Thema n<strong>ich</strong>t zwischen Tür und Angel bespr<strong>ich</strong>t und auch n<strong>ich</strong>t beim Vorglühen<br />

eines Discoabends. Hierzu bedarf es einer vertrauensvollen und ruhigen Umgebung.<br />

Aber selbst, wenn diese gegeben ist, heißt <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s die Person unbedingt<br />

sprechen wird. Dies hat n<strong>ich</strong>ts damit zu tun, <strong>das</strong>s die Person dir misstraut, sondern ihr<br />

einfach gerade die innere Ruhe dafür fehlt. Dies ist aber n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> einzige Problem, m<strong>an</strong><br />

weiß einfach n<strong>ich</strong>t, wie m<strong>an</strong> es seinem Gegenüber erklären soll. M<strong>an</strong> hat einfach keine<br />

Worte dafür. Umso erstaunl<strong>ich</strong>er ist es aber, wenn derjenige weiß, wie m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> fühlt,<br />

obwohl m<strong>an</strong> es n<strong>ich</strong>t beschrieben hat und sie dieses in der Form nie bei s<strong>ich</strong> erlebten.<br />

Dabei bräuchte m<strong>an</strong> einfach nur einen wirkl<strong>ich</strong> guten Freund und keinen "Experten".<br />

Vielle<strong>ich</strong>t sollte jeder einmal in seinem Freundeskreis ged<strong>an</strong>kl<strong>ich</strong> herumgehen und<br />

schauen, ob m<strong>an</strong> jedem seiner Freunde wirkl<strong>ich</strong> eine solche Plattform bietet. Einigen<br />

wird es vielle<strong>ich</strong>t auffallen, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> mit m<strong>an</strong>chen Freunden noch nie ein ruhiges Wort<br />

wechselte, sondern die g<strong>an</strong>ze Zeit nur mit ihnen spaßiges Halli-Galli hatte. Sollte m<strong>an</strong> es<br />

Leuten, die euch d<strong>an</strong>n zu eurem Schutz eingewiesen hätten, <strong>an</strong>vertrauen? Oder den<br />

Menschen, die denken Depression sei nur ein Marketing-Trick für die Leute, die n<strong>ich</strong>t<br />

arbeiten gehen wollen oder Aufmerksamkeit brauchen? Dabei ist <strong>das</strong> totaler Bullshit,<br />

denn depressive Menschen stehen gar n<strong>ich</strong>t auf Aufmerksamkeit und versuchen durch<br />

die Fassade alles zu verbergen. Ist <strong>das</strong> wirkl<strong>ich</strong> nur Mode oder Einbildung?<br />

Ich meine, die Kr<strong>an</strong>kheit wurde ja oft als Modekr<strong>an</strong>kheit verschrien, wie einst der<br />

Burnout. Können so viele Menschen eine solche Erkr<strong>an</strong>kung vorspielen?<br />

Welt wach auf! Die Menschheit wurde unterw<strong>an</strong>dert!<br />

Jetzt heißt es, auch gegen Kr<strong>an</strong>kheiten zu kämpfen, die kein körperl<strong>ich</strong>es Gebrechen<br />

aufweisen. Im Zeitraum November bis Dezember 2017 verze<strong>ich</strong>nete Google einen neuen<br />

Höchstwert bei dem Suchbegriff "Depression".<br />

Warnung? Ach, wo denkst du hin.<br />

Bereits 1997 warnte die Weltgesundheitsorg<strong>an</strong>isation (WHO) davor, die Bedeutung der<br />

Depression in den Industrienationen wie Deutschl<strong>an</strong>d, n<strong>ich</strong>t zu unterschätzen. Sie liegt<br />

vor allen <strong>an</strong>deren körperl<strong>ich</strong>en und psychischen Volkskr<strong>an</strong>kheiten, was die Schwere der<br />

Beeinträchtigung und die Dauer der Erkr<strong>an</strong>kung betrifft. Nun, 21 Jahre später, haben wir<br />

immer noch n<strong>ich</strong>ts dazugelernt. Unsere Gesellschaft wird stattdessen immer kälter und<br />

der zwischenmenschl<strong>ich</strong>e Aspekt gerät immer mehr in den Hintergrund.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> Seite 153<br />

M<strong>an</strong> reagiert wohl doch wirkl<strong>ich</strong> erst, wenn es mal so r<strong>ich</strong>tig knallt. Ich beobachte die<br />

Menschen auf den Straßen und es hat m<strong>an</strong>chmal den Anschein, als wäre die Welt in<br />

einer kollektiven Depression. Alles erscheint so trist, unfreundl<strong>ich</strong> und unpersönl<strong>ich</strong>.


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Das Tabuthema im falschen <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>


Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte Seite 155<br />

WESEN, DIE ICH VORHER NIE KANNTE<br />

Depression k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t einfach erklären und sagen "<strong>das</strong> ist es". M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n nur<br />

versuchen Vergle<strong>ich</strong>e zu finden, die es soweit mögl<strong>ich</strong> beschreiben. Die körperl<strong>ich</strong>en<br />

Auswirkungen einer Depression k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> biologisch erklären, aber was im Innern eines<br />

Betroffenen passiert, erklärt dies n<strong>ich</strong>t.<br />

Mein bestes Beispiel für die Depression, ihrer Gestalt und ihrem Naturell, ist ein<br />

Dementoren<strong>an</strong>griff. Ja, wir sind wieder bei Harry Potter <strong>an</strong>gel<strong>an</strong>gt.<br />

"Dementoren gehören zu den übelsten Wesen, die es gibt. Sie entstehen, ohne s<strong>ich</strong> zu<br />

paaren. Auf dem Nährboden des Ver<strong>falls</strong>, gedeihen sie wie Pilze. Sie entziehen ihren<br />

Opfern alle Empfindungen. In der Gesellschaft sind sie sehr gefürchtet. Allein ihre<br />

Anwesenheit macht es für Menschen zu einem besonders schreckl<strong>ich</strong>en Ort. Die großen,<br />

g<strong>an</strong>z in einen schwarzen Kapuzenm<strong>an</strong>tel gehüllten Gestalten, der Dementoren wirken<br />

unheiml<strong>ich</strong>. Wenn sie ohne Schrittgeräusche her<strong>an</strong> gleiten, verbreiten sie eine klamme<br />

Kälte und Nebel um s<strong>ich</strong> und alles wird düster. Die Kapuzen der Mäntel verhüllen auch<br />

den Schlund, mit dem die Dementoren gierig rasselnd einatmen. Dabei holen sie n<strong>ich</strong>t<br />

nur Luft, sondern entziehen gle<strong>ich</strong>zeitig Menschen in ihrer Nähe alle glückl<strong>ich</strong>en<br />

Erinnerungen. Ihren Opfern bleiben d<strong>an</strong>n nur schreckl<strong>ich</strong>e und quälende Ged<strong>an</strong>ken und<br />

Erfahrungen. Sie werden depressiv, verlieren ihre Kräfte und ihren Lebensmut. Die<br />

Dementoren wittern, wie viel Glück und Kraft die Menschen in ihrer Nähe für sie zu<br />

bieten haben. Umso mehr Tragödien/Tiefschläge ein Mensch erlebte, so beliebter ist er<br />

für Angriffe der Dementoren." (Harry Potter Wiki)<br />

Es ist wie ein Schatten, der, seitdem er einmal aufgetaucht ist, ein Leben l<strong>an</strong>g da sein<br />

wird. M<strong>an</strong> lebt in Angst, <strong>das</strong> frisst einen irgendw<strong>an</strong>n unweigerl<strong>ich</strong> auf. Am Abend, wenn<br />

s<strong>ich</strong> die Sonne am Horizont neigt, kommt die Angst. M<strong>an</strong> weiß, <strong>das</strong>s die Nacht <strong>das</strong><br />

Dunkle bringt. Zu Anf<strong>an</strong>g dachte m<strong>an</strong>, m<strong>an</strong> wäre zumindest tagsüber s<strong>ich</strong>er, doch die<br />

Dementoren verw<strong>an</strong>deln mit der Zeit, einen Tag zur Nacht, so<strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> nirgends<br />

s<strong>ich</strong>er fühlt. Dennoch hängt m<strong>an</strong> <strong>an</strong> m<strong>an</strong>chen Tagen mehr <strong>an</strong> diesem Dementor, als <strong>an</strong><br />

allem <strong>an</strong>deren. M<strong>an</strong> denkt, m<strong>an</strong> könne ohne ihn n<strong>ich</strong>t leben. Wenn m<strong>an</strong> reflektiert<br />

darüber nachdenkt, hat es für einen selber und auch für Außenstehende fast schon<br />

etwas vom Stockholm-Syndrom. Unter dem Stockholm-Syndrom versteht m<strong>an</strong> <strong>das</strong><br />

psychologische Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales<br />

Verhältnis zu ihrem Entführer aufbauen. Dies k<strong>an</strong>n dazu führen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Opfer mit dem<br />

Täter in gewisser Weise kooperiert. Kommt uns <strong>das</strong> irgendwie aus der Depression<br />

bek<strong>an</strong>nt vor? Mit einem Ges<strong>ich</strong>t oder einem Namen geben viele dieser Kr<strong>an</strong>kheit eine<br />

Gestalt, damit sie ihren Gegner quasi äußerl<strong>ich</strong> kennen, wir personalisieren sie. Durch


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte Seite 157<br />

<strong>das</strong> personalisieren bekommen wir allerdings neben dem Gefühl, eventuell ein<br />

Mitgefühl. Es hat keinen direkten Vorteil, aber es hilft eventuell beim kennenlernen und<br />

einschätzen dieser Kr<strong>an</strong>kheit. Wie bei Communitygruppen, du weißt ja auch gerne mit<br />

wem du schreibst, oder?<br />

Harry Potter ist meiner Meinung nach n<strong>ich</strong>t nur ein Meisterwerk, sondern ein<br />

Lebenswerk, <strong>ich</strong> schaue und lese die Exemplare seit 15 Jahren in jeder Lebenslage.<br />

Das ist bei mir schon so sehr verinnerl<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> nachts die Texte des Hörbuches<br />

mitspreche während <strong>ich</strong> schlafe. Ihr müsst mir vertrauen, mir wurde es bereits mehrfach<br />

erzählt.<br />

Ich finde, m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n aus der Harry Potter Saga, auch für <strong>das</strong> reale Leben - gerade mit<br />

dieser Kr<strong>an</strong>kheit - eine Menge ziehen. In meinem Buch wird es einige Male dargestellt<br />

und darüber hinaus wird es noch viel mehr Beispiele geben als <strong>ich</strong> zusammentragen<br />

konnte.<br />

Was einige von euch vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t wissen, ist, <strong>das</strong>s die Autorin J.K. Rowling, bevor sie<br />

die Bücher schrieb, auch <strong>an</strong> Depression erkr<strong>an</strong>kt war. Die Depression wirst du niemals<br />

los, sie bleibt ein Teil von dir, und vermutl<strong>ich</strong> k<strong>an</strong>alisierte sie <strong>das</strong> in ihren Büchern.<br />

Es ist der Kampf zwischen Gut und Böse, Schatten und <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>, Leben und Tod.<br />

Rowling erschuf neben Harry viele Charaktere, die als Depressionsbeispiele dienen<br />

können. Da ist zum Beispiel Albus Dumbledore, Harry Potters Mentor, so sagte er in<br />

Ihren Büchern und Filmen, die folgenden Zitate:<br />

"Glück k<strong>an</strong>n sogar in der dunkelsten Stunde gefunden werden, wenn m<strong>an</strong> dar<strong>an</strong> denkt,<br />

<strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> <strong>an</strong>zumachen."<br />

(Harry Potter und der Gef<strong>an</strong>gene von Askab<strong>an</strong>).<br />

"Es sind n<strong>ich</strong>t unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir sind - sondern unsere<br />

Entscheidungen."<br />

(Harry Potter und die Kammer des Schreckens)<br />

"Harry, bedaure n<strong>ich</strong>t die Toten. Bedaure die Lebenden und besonders diejenigen, die<br />

ohne Liebe leben."<br />

(Harry Potter und die Heiligtümer es Todes)<br />

"Vor uns liegen dunkle, schwere Zeiten. Schon bald müssen wir uns entscheiden<br />

zwischen dem r<strong>ich</strong>tigen Weg und dem le<strong>ich</strong>ten."<br />

(Harry Potter und der Feuerkelch)


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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Immer wieder tritt Dumbledore mit solchen Weisheiten in den Filmen und Büchern auf<br />

und inspiriert für große Taten, n<strong>ich</strong>t nur seine Mit-Charaktere, sondern bestimmt auch<br />

viele Menschen im realen Leben. Und n<strong>ich</strong>t nur Dumbledore, ist ein exemplarisches<br />

Beispiel, sondern auch Hermine, Professor Lupin, Harry Potter und viele mehr.<br />

Hermine:<br />

"Angst vor einem Namen macht nur noch größere Angst vor der Sache selbst."<br />

(Harry Potter und die Kammer des Schreckens)<br />

"Ist doch irgendwie aufregend, sämtl<strong>ich</strong>e Regeln zu brechen." Ron: "Wer bist du und<br />

was hast du mit Hermine <strong>an</strong>gestellt?"<br />

(Harry Potter und der Orden des Phönix)<br />

Harry Potter:<br />

"Du bist der, der schwach ist. Du wirst nie wissen, was Liebe ist. Oder Freundschaft. Und<br />

deswegen k<strong>an</strong>nst du mir nur leidtun."<br />

(Harry Potter und der Orden des Phönix)<br />

"S<strong>ich</strong> <strong>an</strong>zustrengen ist w<strong>ich</strong>tig, aber es gibt etwas, <strong>das</strong> noch w<strong>ich</strong>tiger ist: Ihr müsst<br />

immer <strong>an</strong> euch glauben. Ihr müsst es mal so betrachten: Sämtl<strong>ich</strong>e großen Zauberer der<br />

Gesch<strong>ich</strong>te waren am Anf<strong>an</strong>g n<strong>ich</strong>ts <strong>an</strong>deres als <strong>das</strong>, was wir heute sind - Schüler. Und<br />

wenn die es schaffen konnten, können wir <strong>das</strong> auch."<br />

(Harry Potter und der Orden des Phönix)<br />

In der g<strong>an</strong>zen Gesch<strong>ich</strong>te, der Harry Potter Reihe, wurde auch eine versteckte Botschaft<br />

<strong>an</strong> die n<strong>ich</strong>t depressiven Menschen, näml<strong>ich</strong> der Freunde, ges<strong>an</strong>dt. Und wieder war es<br />

Dumbledore in folgendem Zitat, <strong>das</strong> dazu <strong>an</strong>stoßen sollte:<br />

"Es verl<strong>an</strong>gt sehr viel Tapferkeit, s<strong>ich</strong> seinen Feinden in den Weg zu stellen, aber<br />

wesentl<strong>ich</strong> mehr noch, s<strong>ich</strong> seinen Freunden in den Weg zu stellen."<br />

(Harry Potter und der Stein der Weisen)<br />

Hierbei steht <strong>das</strong> "s<strong>ich</strong> in den Weg zu stellen", für etwas positives, wenn m<strong>an</strong> jem<strong>an</strong>den<br />

<strong>an</strong>deren zu schützen vermag. Wenn der Depressive, der Kr<strong>an</strong>kheit folgt und eine<br />

Freundschaft beendet, d<strong>an</strong>n muss m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> dem in den Weg stellen und eine Botschaft<br />

"<strong>ich</strong> lasse <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t zu" versenden.<br />

M<strong>ich</strong> verwunderte es, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> im Internet kaum Beiträge f<strong>an</strong>d, denen auch aufgefallen<br />

ist, <strong>das</strong>s die Harry Potter Saga <strong>das</strong> Sinnbild der Depression widerspiegelt. Gehen wir alle<br />

Titel durch, würden wir schon alleine da, die Phasen der Depressionen erkennen.


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Harry Potter und der Stein der Weisen:<br />

- Das Böse hat keinen eigenen Körper<br />

- Der Troll ist die Form eines Ablenkungsm<strong>an</strong>övers vom Bösen und ein Vorbote<br />

Harry Potter und die Kammer des Schreckens:<br />

- Das Übel kommt über die Verg<strong>an</strong>genheit in die Gegenwart, mit Ziel in die Zukunft zu<br />

gel<strong>an</strong>gen.<br />

- Gilderoy Lockhart spiegelt <strong>das</strong> falsche Ego/Stolz wider<br />

- Andeutungen, <strong>das</strong>s du <strong>an</strong>ders bist als <strong>an</strong>dere, isoliert d<strong>ich</strong> von den <strong>an</strong>deren<br />

Harry Potter und der Gef<strong>an</strong>gene von Askab<strong>an</strong>:<br />

- Erste drohende Verluste, wenn m<strong>an</strong> die Zeit n<strong>ich</strong>t zurückdrehen k<strong>an</strong>n.<br />

- Vorverurteilung ohne den <strong>an</strong>deren wirkl<strong>ich</strong> zu kennen... nur davon auszugehen, was<br />

<strong>an</strong>dere behaupten/sagen<br />

- M<strong>an</strong> sucht keinen Ärger/Probleme, oftmals findet er/sie einen<br />

Harry Potter und der Feuerkelch:<br />

- <strong>das</strong> betreten einer <strong>an</strong>deren Welt<br />

Harry Potter und der Orden des Phönix:<br />

- Die Prophezeiung, die besagt <strong>das</strong> keiner von beiden leben k<strong>an</strong>n, während der <strong>an</strong>dere<br />

überlebt. Das bedeutet, am Ende muss einer von uns den <strong>an</strong>deren töten.<br />

- Die Zusammenstellung eines Teams<br />

- Bis hierhin wusste oder glaubte niem<strong>an</strong>d <strong>das</strong> <strong>das</strong> Böse da ist, bis sie es selber bei<br />

<strong>an</strong>deren sahen. (Unterschätzung)<br />

Harry Potter und der Halbblutprinz:<br />

- Wer steht einem wirkl<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n zur Seite, wenn es drauf <strong>an</strong>kommt<br />

Harry Potter und die Heiligtümer des Todes:<br />

- Der Kampf um Leben und Tod<br />

Seht euch nach diesem Buch, erstmals oder erneut die Harry Potter Filme <strong>an</strong> oder lest<br />

die Bücher und wenn ihr nur etwas euren Geist öffnet, werdet ihr es sehen. Als <strong>ich</strong> eine<br />

Kurzfassung meines Buches Anf<strong>an</strong>g des Jahres herausbrachte, schrieben mir so viele<br />

Leute, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>ach alle Harry Potter Folgen <strong>an</strong>schauten und diese jetzt mit<br />

<strong>an</strong>deren Augen sehen. Sogar Leute, die sonst n<strong>ich</strong>ts mit den Filmen <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen konnten,<br />

waren mit einmal im Fieber.<br />

Hut ab Frau Rowling!


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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Die Frau war am Boden, hatte ein Kind, lebte von Sozialhilfe und litt <strong>an</strong> Depressionen<br />

und als sie eines Tages mit dem Schreiben <strong>an</strong>fing, hatte sie wohl selber nie mit einem<br />

solchen Erfolg gerechnet. Sie schickte ihre M<strong>an</strong>uskripte zu vielen Verlagen, doch sie<br />

wurde immer abgelehnt. Irgendw<strong>an</strong>n sagte einer zu und der Rest der Gesch<strong>ich</strong>te ist<br />

bek<strong>an</strong>nt. Sie gab also n<strong>ich</strong>t beim ersten, zweiten oder dritten Mal auf, nein auch n<strong>ich</strong>t<br />

beim vierten Mal, sondern sie machte immer weiter. Neben ihrem fin<strong>an</strong>ziellen Erfolg,<br />

hat sie meiner Meinung nach noch einen viel w<strong>ich</strong>tigeren Erfolg errungen, sie hat s<strong>ich</strong><br />

und auch unzähligen <strong>an</strong>deren Depressiven die Welt erklärt. Doch die Depressionen<br />

waren ja n<strong>ich</strong>t kontrolliert, nur weil sie nun Geld hatte, vielle<strong>ich</strong>t mehr als sie im Leben<br />

ausgeben könnte. Nein! Sie begab s<strong>ich</strong> unter <strong>an</strong>derem in Therapie, aber vielle<strong>ich</strong>t<br />

verhalf ihr letztl<strong>ich</strong> auch <strong>das</strong> Schreiben der Bücher, alles einmal loszuwerden oder<br />

zumindest ins Rollen zu bringen. Ich selber habe es mit meinem jetzigen Buch gesehen,<br />

es war emotional, ätzend, mühsam, schön und eine gewisse Erle<strong>ich</strong>terung. Vielle<strong>ich</strong>t<br />

n<strong>ich</strong>t in dieser Reihenfolge, aber es war jeder Gefühlswechsel spürbar.<br />

S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> mag <strong>das</strong> nun überraschen, aber <strong>ich</strong> bin ein riesen Harry Potter F<strong>an</strong>. Obwohl<br />

<strong>das</strong> "F<strong>an</strong>herz" nach Fortsetzung der Harry Potter Saga schreit, finde <strong>ich</strong> es aber aus<br />

menschl<strong>ich</strong>er S<strong>ich</strong>t in Ordnung, <strong>das</strong>s es vorbei ist. Ich war im Kino, als der Absp<strong>an</strong>n des<br />

letzten Teils lief, den Tränen nah. Ich spürte einen deutl<strong>ich</strong>en Verlust, m<strong>an</strong> könnte fast<br />

von einer Niedergeschlagenheit sprechen. Ich war mit Harry Potter aufgewachsen und<br />

nun war es einfach vorbei. Sie erzählte ihre Gesch<strong>ich</strong>te mit einem packenden Endkampf,<br />

bei dem <strong>das</strong> Gute gew<strong>an</strong>n. Es kostete viel, bis <strong>das</strong> Gute <strong>das</strong> Böse in die Schr<strong>an</strong>ken wies.<br />

Familien, Freunde, Bek<strong>an</strong>nte, Schule/Arbeit wurden verloren aber auch irgendwie neu<br />

gefunden.<br />

Ich schreibe hier g<strong>an</strong>z bewusst n<strong>ich</strong>ts von besiegen, denn <strong>das</strong> klingt so nach Heilung.<br />

Eine Heilung ist bei der Depression, wie wir bereits zuvor gesehen haben, n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong>.<br />

Du k<strong>an</strong>nst sie im besten Fall nur wieder in die Schr<strong>an</strong>ken weisen und in den Alltag<br />

vernünftig integrieren. Heilung ist auch eher ein laienhafter Begriff, den Ärzte und<br />

Psychologen gerne meiden wollen. Dies tun sie n<strong>ich</strong>t, weil es ihr "Geschäft" kaputt<br />

macht sondern weil sie einfach ehrl<strong>ich</strong> und realistisch sind. Gle<strong>ich</strong>zeitig nehmen sie dem<br />

Patienten auch einen gewissen Erfolgsdruck ab. Enttäuschung ist <strong>das</strong> Ergebnis falscher<br />

Erwartungen. Ich hatte l<strong>an</strong>ge Zeit auch falsche Erwartungen, denn <strong>ich</strong> glaubte immer, es<br />

gäbe Hoffnung, <strong>das</strong>s irgendwo tief im Inneren irgendein Teil von der Depression<br />

menschl<strong>ich</strong> sei, normal. Aber es ist n<strong>ich</strong>t so. In ihr steckt n<strong>ich</strong>ts Menschl<strong>ich</strong>es, keine<br />

Güte, keine Freundl<strong>ich</strong>keit, keine Liebe, keine Gnade. Es ist eine Kreatur, die aufgehalten<br />

werden muss.


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Aber wie k<strong>an</strong>nst du d<strong>ich</strong> vor deinen Dementoren schützen?<br />

Einige Mögl<strong>ich</strong>keiten haben wir bis hierhin s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> bereits zu genüge <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt. Wir<br />

sind weglaufen, haben uns versteckt und versucht auszuharren. Wir selber fühlen uns<br />

n<strong>ich</strong>t im St<strong>an</strong>de, diese Kreaturen zurückzudrängen.<br />

Aber was wäre, wenn von irgendwoher ein Patronus käme?<br />

Ich möchte die Freunde, die Familie und die Partner der betreffenden Personen<br />

<strong>an</strong>sprechen.<br />

Ein Patronus ist wie ein Schutzschild, der <strong>das</strong> Böse vertreiben soll oder zumindest für<br />

einen Moment von einem fernhalten soll.<br />

Stellt euch vor, <strong>das</strong>s die Menschen die <strong>an</strong> Depression erkr<strong>an</strong>kten, zwar einen Patronus<br />

gegen den Dementor hinbekommen, jedoch ohne Gestalt. Dieser Patronus ist d<strong>an</strong>n<br />

einfach n<strong>ich</strong>t stark genug um die Dementoren<strong>an</strong>griffe abzuwehren. Zu vergle<strong>ich</strong>en wie<br />

die Glut nach einem Feuer. Das Schutzschild besteht normalerweise aus der Kraft<br />

glückl<strong>ich</strong>er Momente der Verg<strong>an</strong>genheit. Aber Wünsche, Sehnsüchte und Freuden auf<br />

die Zukunft können einen solchen Zauber auch auslösen, nur er muss sie in s<strong>ich</strong> tragen.<br />

Je glückl<strong>ich</strong>er und stärker der Moment ist, <strong>an</strong> den m<strong>an</strong> während des Patronus denkt,<br />

umso heller und kräftiger ist er.<br />

Die Gestalt ist immer von Mensch zu Mensch verschieden, da sie <strong>das</strong> innerste<br />

verborgene Selbst repräsentieren. Nun werden s<strong>ich</strong> einige denken:"hmm, d<strong>an</strong>n ist mein<br />

Patronus wohl ein Schweinehund". Aber <strong>das</strong> ist nur euer Gefühl, denn in euch, steckt so<br />

viel mehr Stärke, als ihr gerade oder seit längerem verspürt.<br />

Jeder Mensch ist im St<strong>an</strong>de, seinen eigenen Patronus für jem<strong>an</strong>den <strong>an</strong>deren zu<br />

sprechen, um ihn n<strong>ich</strong>t nur zu schützen, sondern vielle<strong>ich</strong>t auch zu retten.<br />

Es bleibt die Frage, wie wir einen solchen Patronus erschaffen können.<br />

Zunächst müssen wir folgenden Grundsatz festhalten: Der Patronus ist kein Held,<br />

sondern ein stiller Wächter, ein wachsamer Beschützer, eine leuchtende Hoffnung.<br />

Ein Patronus, hat eine w<strong>ich</strong>tige Voraussetzung, näml<strong>ich</strong> den Willen jem<strong>an</strong>den nachhaltig<br />

helfen zu wollen. M<strong>an</strong> muss bereit sein, seine Hände in die Tiefe des Morastes zu<br />

stecken und darf s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t davon abschrecken lassen, was m<strong>an</strong> darin findet. M<strong>an</strong> muss<br />

nach der hellsten Stelle in diesem Menschen suchen und diese heraufholen. Mit ihr setzt<br />

m<strong>an</strong> die Kräfte frei, die es benötigt um den Kopf wieder aufzur<strong>ich</strong>ten. In jedem von uns


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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steckt diese Kraft, denn unser Herz ist unsere stärkste Waffe. Der Glaube ist die Macht<br />

und diesen braucht es wieder. Gebt diesen Menschen ihren Herzschlag wieder.<br />

Einen Menschen zu retten, verändert n<strong>ich</strong>t die Welt, aber die g<strong>an</strong>ze Welt verändert s<strong>ich</strong><br />

für diesen einen Menschen. Es ist der schönste Lohn einem Menschen dabei zuzusehen,<br />

wie es in den Augen plötzl<strong>ich</strong> durch deine Hilfe hell wird. Das ist n<strong>ich</strong>t nur so<br />

dahingesagt, sondern die Augen haben wirkl<strong>ich</strong> diese Mögl<strong>ich</strong>keit zu leuchten, wenn<br />

s<strong>ich</strong> der Mensch glückl<strong>ich</strong> fühlt. Beispiele, sind Verliebte oder Kinder zu Weihnachten,<br />

denen m<strong>an</strong> ja nachsagt <strong>das</strong> ihre Augen besonders hell leuchten.<br />

Für die, die s<strong>ich</strong> in dem Moment einfach n<strong>ich</strong>t stark oder willig genug fühlen, um einen<br />

Patronus für jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>deren zu sprechen, m<strong>an</strong>chmal re<strong>ich</strong>t auch etwas b<strong>an</strong>ales, wie<br />

den Zauberspruch "Lumos", um für <strong>an</strong>dere wieder <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> ins Dunkle zu bringen. Kennt ihr<br />

alle den Schlüsselmoment als Dumbledore starb? Die Menschen hoben plötzl<strong>ich</strong> ihre<br />

Zauberstäbe und <strong>an</strong> ihren Spitzen leuchtete es auf und ging hoch <strong>an</strong> den dunklen<br />

Himmel. Der Himmel war pechschwarz, erhellte s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> einer Stelle, doch er wurde kurz<br />

d<strong>an</strong>ach wieder vom Dunklen geschluckt. Innerl<strong>ich</strong> sterben wir jeden Tag irgendwie ein<br />

wenig, daher ist diese Szene aus meiner S<strong>ich</strong>t für <strong>das</strong> Kapitel und <strong>das</strong> Verständnis so<br />

w<strong>ich</strong>tig. Es soll aufzeigen, <strong>das</strong>s selbst euer Zutun n<strong>ich</strong>t automatisch Linderung,<br />

Besserung oder Helligkeit bedeutet und <strong>das</strong>s ihr dafür Geduld braucht. Stellt euch mal<br />

vor, die Leute hätten, nachdem die Helligkeit vom Dunkel verschluckt wurde, ihre<br />

Zauberstäbe eingepackt und wären Heim geg<strong>an</strong>gen. Lumos bedeutet <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> und steht in<br />

der Metapher einfach dafür, etwas Le<strong>ich</strong>tes zu machen, z.B. einfach jem<strong>an</strong>den<br />

zuzuhören. Dieses <strong>L<strong>ich</strong>t</strong> ist eine wärmende Geste, als würde m<strong>an</strong> eine H<strong>an</strong>d gere<strong>ich</strong>t<br />

bekommen, die es dir nach all der Zeit ermögl<strong>ich</strong>en möchte, alles hinter dir zu lassen<br />

und in die "gesunde" Welt zurückzukehren. Deine Wärme diesem Menschen gegenüber,<br />

bleibt so s<strong>ich</strong>er wie auf die Nacht der Tag folgt.<br />

Auch wenn es m<strong>an</strong>chmal n<strong>ich</strong>t so wirken mag, weil Depressive euch gegenüber<br />

und<strong>an</strong>kbar erscheinen. Diese Menschen werden euch auf ewig d<strong>an</strong>kbar sein. Während<br />

eines depressiven Schubes hält m<strong>an</strong> immer Ausschau nach einer H<strong>an</strong>d, die einem<br />

entgegenstreckt wird, um gemeinsam einen neuen Anf<strong>an</strong>g zu finden. Jedes "D<strong>an</strong>ke" von<br />

einem Depressiven ist <strong>das</strong> Eingeständnis, n<strong>ich</strong>ts auf die Reihe zu bekommen und damit<br />

eine Herabstufung gegenüber dem Helfer. Genau in solchen Momenten werden die<br />

Dementoren den Verst<strong>an</strong>d vernebeln. M<strong>an</strong> taucht aus dem Nebel der Depression auf<br />

und denkt, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>ts wert und erst recht n<strong>ich</strong>t liebenswert ist. Genau diese<br />

Ged<strong>an</strong>ken werden s<strong>ich</strong> in den Kopf eines Depressiven pfl<strong>an</strong>zen. Oft wird m<strong>an</strong> den<br />

Dementoren glauben und nur m<strong>an</strong>chmal den Menschen um s<strong>ich</strong> herum.


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Ich weiß, alle bevorzugen die guten Tage, wenn m<strong>an</strong> "gut drauf" ist und n<strong>ich</strong>t nervös,<br />

lustlos, <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nt, <strong>an</strong>triebslos und kurz <strong>an</strong>gebunden. M<strong>an</strong> wünschte selber, m<strong>an</strong><br />

könnte immer diese Tage haben, aber <strong>das</strong> geht n<strong>ich</strong>t. Sobald m<strong>an</strong> merkt, <strong>das</strong>s die<br />

Dementoren in der Nähe sind, tritt eine Art Lähmung ein.<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>ts sagen, obwohl m<strong>an</strong> am liebsten schreien würde. Ich bin plötzl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

der, der <strong>ich</strong> sein will und k<strong>an</strong>n auf gar keinen Fall der sein, der <strong>ich</strong> zu sein scheine. Diese<br />

Momente werden n<strong>ich</strong>t von einem selber entschieden. Bemerkt m<strong>an</strong> die Dementoren<br />

eines <strong>an</strong>deren, bevor er sie selber sehen k<strong>an</strong>n, biete der Person deine Umarmung <strong>an</strong>,<br />

einfach in dem du die Arme ausbreitest und sie d<strong>an</strong>n fest <strong>an</strong> d<strong>ich</strong> drückst. Nimmt<br />

derjenige es <strong>an</strong>, d<strong>an</strong>n sage ihr etwas wie "Wir machen <strong>das</strong> zusammen!". <strong>Lass</strong> d<strong>ich</strong> dabei<br />

auch n<strong>ich</strong>t von dem gequälten Ges<strong>ich</strong>tsausdruck abschrecken, der die vielle<strong>ich</strong>t gezeigt<br />

wird. Bitte sag auf keinen Fall sowas wie "lächel mal". Damit erzeugst du eine<br />

Drucksituation. Deine Umarmung wird vielle<strong>ich</strong>t wie der eben beschriebene Patronus<br />

auf die Dementoren wirken.<br />

Hat eine Freundin von mir einen extremen Schub, möchte sie am liebsten schreiend im<br />

Kreis laufen. Ich mache d<strong>an</strong>n Musik <strong>an</strong>, nehme sie <strong>an</strong> die H<strong>an</strong>d und t<strong>an</strong>ze mit ihr, bis sie<br />

s<strong>ich</strong> beruhigen k<strong>an</strong>n. Es kein Wunderheilmittel, aber es hilft ihr, wenn wir zur Melodie<br />

im Takt t<strong>an</strong>zen. Natürl<strong>ich</strong> wählt m<strong>an</strong> ruhigere Musik, würde m<strong>an</strong> die "Atzen – Disco<br />

pogo" auflegen, würde es wohl bei weitem n<strong>ich</strong>t so gut funktionieren.<br />

Aber Moment mal? Wie k<strong>an</strong>n Flo einen Patronus für jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>deren erschaffen,<br />

obwohl er für s<strong>ich</strong> selber keinen hinbekommt? Durch die Hilfe für einen <strong>an</strong>deren<br />

Menschen, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> von seinen eigenen Problemen teilweise lösen. Doch damit<br />

schlittern wir in eine g<strong>an</strong>z neue Baustelle, näml<strong>ich</strong> der fehlenden Abgrenzung.<br />

Depressive haben oft <strong>das</strong> Problem s<strong>ich</strong> bei Themen, die für sie schwierig werden, n<strong>ich</strong>t<br />

abgrenzen zu können und d<strong>an</strong>n zu sagen: Stopp, mehr möchte <strong>ich</strong> im Moment n<strong>ich</strong>t<br />

hören. Während "gesunde" Menschen dafür "Spidersensoren" haben. Plötzl<strong>ich</strong> werden<br />

die Sorgen <strong>an</strong>derer auch noch zu unseren und wir leiden mit ihnen mit.<br />

Bitte frage n<strong>ich</strong>t, ob sie okay seien, denn die automatische Antwort wird "Ja" oder wie<br />

wir wissen, dieses "mir geht es gut" sein. Die Fassade und <strong>das</strong> Verhaltensmuster<br />

trainierten sie zuvor.<br />

"Sag mir einfach, <strong>das</strong>s du m<strong>ich</strong> liebst, magst oder was auch immer und gib mir Zeit, m<strong>ich</strong><br />

zu beruhigen und dir zu glauben."<br />

Und nochmal, seid euch auch dessen bewusst: egal, wie oft du sagst, <strong>das</strong>s sie es wert<br />

sind, <strong>an</strong> Tagen, <strong>an</strong> denen der Himmel voller Dementoren ist, werden sie es euch n<strong>ich</strong>t


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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glauben. Stell dir einfach jedes Mal vor, sie sind in einem Raum gef<strong>an</strong>gen mit der von<br />

ihnen meist gehassten Person. Diese zählt die g<strong>an</strong>ze Zeit auf, wie nutzlos, schlecht,<br />

hässl<strong>ich</strong> und wie dumm sie seien. Stell dir vor, sie haben <strong>das</strong> Gefühl dort für immer sein<br />

zu müssen und diese Person, die sie hassen, ist n<strong>ich</strong>t der oder die Ex sondern, <strong>das</strong> sind<br />

sie selber. In solchen Situationen hat m<strong>an</strong> den Eindruck m<strong>an</strong> sei mittlerweile sein<br />

eigener Dementor. M<strong>an</strong> wurde quasi nur von einem <strong>an</strong>deren infiziert. Daher hört bitte<br />

nie auf es zu sagen. Niemals! Der Kampf zwischen Mensch und Dementor fühlt s<strong>ich</strong> für<br />

Depressive <strong>an</strong>, als würdest du Luft, Rauch oder Nebel mit bloßen Händen zu fassen<br />

versuchen. Es will dir n<strong>ich</strong>t gelingen. Egal welche "Fortschritte" m<strong>an</strong> macht, es fühlt s<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t wie Erfolg <strong>an</strong>, sondern im besten Fall nur als etwas, <strong>das</strong>s du dir zurückholst. Der<br />

Depression ist es egal ob du Erfolg hast, denn sie k<strong>an</strong>n sie dir n<strong>ich</strong>t wegnehmen. Sie<br />

verändert einfach deine Bedeutung vom Erfolg. Ein Beispiel: Wie toll wäre es denn bei<br />

einem Marathon zu gewinnen für den m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> l<strong>an</strong>ge und intensiv vorbereitet hat?<br />

Riesig! Aber wie wunderbar wäre es noch, wenn du der einzigste warst der gelaufen ist,<br />

bei einem Rennen <strong>das</strong> es nie gab? Er ist bedeutungslos!<br />

Diese "Erfolge" sind für diese Menschen so, als würdest du ein Stück Schokolade essen.<br />

Für eine kurze Zeit k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> es genießen, d<strong>an</strong>ach ist es weg. Es bleibt <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s<br />

m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t genug bekommen hat.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n wird s<strong>ich</strong> die Welt wieder in die falsche R<strong>ich</strong>tung drehen und der Wind dir<br />

die falschen Worte zuwehen. D<strong>an</strong>n wirst du so m<strong>an</strong>ches, was du dir gerade zurückgeholt<br />

hast, wieder verlieren. Nach einem Schritt vorwärts wirst du auch wieder einen zurück<br />

machen müssen. Das ist frustrierend, doch Nachhaltigkeit ist der Schlüssel zur<br />

Bearbeitung dieser Kr<strong>an</strong>kheit.<br />

Im Stadium einer n<strong>ich</strong>t lebensbedrohl<strong>ich</strong>en Depression können Depressive entgegen des<br />

verbreiteten Irrtums, <strong>das</strong>s alle Depressiven n<strong>ich</strong>t arbeiten, auch normal arbeiten gehen.<br />

Dies ist aber kein Gesetz, denn es ist n<strong>ich</strong>t selten, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> den Beruf wechseln muss,<br />

arbeitsunfähig oder gar erwerbsunfähig wird, da m<strong>an</strong> <strong>das</strong> Haus <strong>an</strong> m<strong>an</strong>chen Tagen so gut<br />

wie gar n<strong>ich</strong>t verlassen k<strong>an</strong>n oder s<strong>ich</strong> regelmäßig P<strong>an</strong>ikattacken und Stress ausgesetzt<br />

sieht.<br />

Wie soll m<strong>an</strong> von dem Punkt <strong>an</strong> dem m<strong>an</strong> jetzt ist, sein Leben fortsetzen können?<br />

Ist <strong>das</strong> eine Frage die s<strong>ich</strong> auftut? Ja gewiss! Doch egal wie oft m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> in dem Moment<br />

die Frage stellt, eine Antwort wirst du n<strong>ich</strong>t finden!<br />

Weder <strong>ich</strong>, noch jem<strong>an</strong>d mit dem <strong>ich</strong> sprach, konnte sagen, wie m<strong>an</strong> mit ihm in diesen<br />

Momenten umgehen sollte. Wir wissen es einfach selber n<strong>ich</strong>t. Heute k<strong>an</strong>n es bei einem


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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depressiven Schub so sein, aber morgen ist es wieder g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders. M<strong>an</strong>chmal ändert<br />

s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> sogar stündl<strong>ich</strong>, minütl<strong>ich</strong> oder sekündl<strong>ich</strong>.<br />

Es ist eine Sp<strong>an</strong>nbreite, zwischen St<strong>an</strong>ding-Ovations und Reklamation, die bei einem<br />

Fingerschnippen umschlägt. Ich weiß, <strong>das</strong>s es schwierig ist, jem<strong>an</strong>dem mit Depressionen<br />

zu helfen, wenn m<strong>an</strong> sie selbst nie erleiden musste. Es gibt so viele Mögl<strong>ich</strong>keiten, was<br />

helfen k<strong>an</strong>n und was schadet, denn jede Depression und ihre Ausprägung unterscheidet<br />

s<strong>ich</strong>.<br />

Ich verstehe <strong>das</strong> total!<br />

Ich glaube, <strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n aber für alle sprechen, wenn <strong>ich</strong> sage, <strong>das</strong>s wir uns zumindest<br />

wünschten, <strong>das</strong>s die Leute uns g<strong>an</strong>z normal beh<strong>an</strong>deln und n<strong>ich</strong>t wie ein rohes Ei.<br />

Bezieht m<strong>an</strong> uns n<strong>ich</strong>t mehr ein, lässt uns n<strong>ich</strong>t teilhaben, werden wir uns isoliert fühlen<br />

und es entsteht <strong>das</strong> nächste Problem. Bitte habt Geduld mit diesem Menschen.<br />

M<strong>an</strong>chmal, wenn er still ist, d<strong>an</strong>n ist <strong>das</strong> nur, weil er mit s<strong>ich</strong> selbst und seiner<br />

Ged<strong>an</strong>kenwelt klar kommen muss. Es ist n<strong>ich</strong>t, weil er n<strong>ich</strong>t reden will, sondern es gibt<br />

derzeit keine Worte für ihn, die seine Ged<strong>an</strong>ken beschreiben könnten. Er braucht<br />

einfach m<strong>an</strong>chmal Zeit für und von s<strong>ich</strong> selbst. Das ist schon alles. Denn eines muss<br />

jedem klar sein: wir sind und waren schon immer mehr, als nur die Narben in uns. Wenn<br />

wir wieder in einer Ged<strong>an</strong>kenschleife hängen geblieben sind, bedarf es einfach<br />

jem<strong>an</strong>den, der ohne Zeitlimit unsere H<strong>an</strong>d nimmt, sie in den r<strong>ich</strong>tigen Momenten führt<br />

und mit uns zur Not auch fünfmal um denselben Block geht.<br />

Sätze wie "Sei doch froh, <strong>das</strong>s du einen gesunden Körper hast", "Reiß d<strong>ich</strong> mal<br />

zusammen", "Du musst nur wollen", "so schlimm k<strong>an</strong>n es doch gar n<strong>ich</strong>t sein", "du<br />

k<strong>an</strong>nst, Ende der Gesch<strong>ich</strong>te", "wie l<strong>an</strong>g dauert es denn noch, bis es dir wieder besser<br />

geht?" "warum stehst du n<strong>ich</strong>t einfach auf und gehst spazieren", "schau dir einen<br />

lustigen Film <strong>an</strong>", "komm am Wochenende mit zum Feiern, d<strong>an</strong>n sind die Depressionen<br />

d<strong>an</strong>ach weg", "du brauchst einen M<strong>an</strong>n (oder eine Frau)", "du musst dir dringend Hilfe<br />

holen", oder "Zerbr<strong>ich</strong> dir n<strong>ich</strong>t über alles und jeden den Kopf, auf m<strong>an</strong>che Sachen im<br />

Leben, gibt es einfach keine Antwort" fallen immer wieder gegenüber einem<br />

Depressiven. Doch <strong>das</strong> sind keine Lösungs<strong>an</strong>sätze, sondern übermittelt eher <strong>das</strong> Gefühl,<br />

<strong>das</strong>s m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t ernst genommen, sondern einfach abgespeist wird. Zudem reibt m<strong>an</strong><br />

den Betroffenen nochmal unter die Nase, <strong>das</strong>s sie gerade n<strong>ich</strong>t funktionieren. Sie<br />

würden ihren Zust<strong>an</strong>d ändern, wenn sie es denn könnten.<br />

Diese Aussagen führen nur dazu, <strong>das</strong>s es ihnen noch schlechter geht. In dem Fall wird<br />

ein gutgemeinter Rat zu einer bösen Tat.


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte Seite 175<br />

Wir wissen, <strong>das</strong>s es n<strong>ich</strong>t böse gemeint ist und sind den Menschen auch dafür irgendwie<br />

d<strong>an</strong>kbar. Es mag hart klingen, doch <strong>das</strong> Gegenteil von gut, ist gut gemeint.<br />

Selbst wenn m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> Hilfe holt, heißt es n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> bereit ist, s<strong>ich</strong> helfen zu lassen.<br />

Wir können vor einem Psychologen sitzen und unsere Fassade würde ihm erzählen, <strong>das</strong>s<br />

es uns gut geht. Innerl<strong>ich</strong>: Ich bin müde, kaputt, verletzt und k<strong>an</strong>n einfach n<strong>ich</strong>t mehr.<br />

Äußerl<strong>ich</strong>: Ich kämpfe und lache weiter, damit niem<strong>an</strong>d merkt wie es mir wirkl<strong>ich</strong> geht.<br />

So k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> aber n<strong>ich</strong>t dar<strong>an</strong> arbeiten. Die Fassade muss Sch<strong>ich</strong>t für Sch<strong>ich</strong>t abgebaut<br />

werden und die erste Sch<strong>ich</strong>t ist die entscheidende Sch<strong>ich</strong>t. Ihr wollt wissen, welche die<br />

erste Sch<strong>ich</strong>t eures P<strong>an</strong>zers ist? Ihr müsst euch eingestehen, <strong>das</strong>s ihr Hilfe braucht!<br />

Vielle<strong>ich</strong>t braucht es ein wenig von dem Le<strong>ich</strong>tsinn, Mut oder der gewissen Naivität<br />

dieser Menschen, die dir stets die obigen Sätze sagen, um als Depressiver den Kampf<br />

gegen diese Kr<strong>an</strong>kheit aufzunehmen. M<strong>an</strong> sollte daher n<strong>ich</strong>t zu hart mit ihnen ins<br />

Ger<strong>ich</strong>t gehen. Glaube aber nie, <strong>das</strong>s du es allen recht machen musst. Selbst wenn du<br />

übers Wasser läufst, kommt s<strong>ich</strong>er einer <strong>an</strong> und fragt, ob du zu blöd zum schwimmen<br />

bist.<br />

Einige glauben - und mit dem Buch werden es n<strong>ich</strong>t gerade weniger -, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> stark bin<br />

und weiß, wie alles geht und somit den Weg aus der Depression kenne. Doch <strong>ich</strong> bin<br />

selber noch auf der Suche. Alles was <strong>ich</strong> hier schreibe, ist kein Lösungsweg. Es ist ein<br />

Zust<strong>an</strong>d mit einem Blick darauf, was vor EUCH - vor MIR - vor UNS - liegt. Ich weiß, die<br />

Auss<strong>ich</strong>t ist n<strong>ich</strong>t schön. Aber vielle<strong>ich</strong>t ist es dieses Problem, <strong>das</strong>s dem Leben Sinn und<br />

Aufgabe verleiht. S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> viel D<strong>an</strong>kbareres vorstellen, was der Sinn im<br />

Leben sein könnte, doch wir sind, was wir sind. Vielle<strong>ich</strong>t sind wir einfach n<strong>ich</strong>t dazu<br />

bestimmt glückl<strong>ich</strong> zu sein. Über diese These wird s<strong>ich</strong> jeder Depressive mit der Zeit,<br />

s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> so mal seine Ged<strong>an</strong>ken gemacht haben. Zu Recht!<br />

Einige Seelen finden für s<strong>ich</strong> noch einen <strong>an</strong>deren Schutz. Das können zum Beispiel<br />

Depressionsselbsthilfegruppen sein. Diese findet m<strong>an</strong> unter <strong>an</strong>derem auch bei<br />

Facebook. Sie alle vereinen s<strong>ich</strong>, um ihre Welten zu retten. In diesen Gruppen wirst du<br />

ein Gefühl bekommen, als wären eure Schicksale schon immer mitein<strong>an</strong>der verbunden<br />

gewesen, obwohl s<strong>ich</strong> erst jetzt eure Welten zu einer verbinden. Jedoch bergen diese<br />

Gruppen auch ein potenzielles Risiko, da dort in der Regel keine Ärzte oder<br />

irgendwelche Moderatoren sind. Egal welchen Weg du auch letztl<strong>ich</strong> gehen magst, jeder<br />

k<strong>an</strong>n der Held in seinem eigenen oder im Leben eines <strong>an</strong>deren sein. Wirkl<strong>ich</strong> jeder<br />

einzelne, wenn er nur mutig genug ist, es zu versuchen s<strong>ich</strong> gegen die Kr<strong>an</strong>kheit<br />

aufzulehnen. Und sagt euch ruhig: Du wirst n<strong>ich</strong>t gewinnen, weil <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t verlieren<br />

werde! Das ist doch ein starker Satz, denn in jedem Actionstreifen wird, noch bevor m<strong>an</strong>


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Wesen, die <strong>ich</strong> vorher nie k<strong>an</strong>nte


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zur Tat schreitet, erst mal ein lässiger oder draufgängerischer Satz gebracht. Also<br />

versucht es doch mal mit einem "yippie-ya-yeah, Schweinebacke".


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WENN ALLES VERLOREN SCHEINT, DURCH DAS BÖSE IN DEN EIGENEN REIHEN<br />

Natürl<strong>ich</strong> - und da dürfen wir uns auch n<strong>ich</strong>ts vormachen - gibt es Menschen, die d<strong>ich</strong><br />

fallen sehen wollen.<br />

Das "WARUM" ist n<strong>ich</strong>t immer ers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> und entscheidend, aber m<strong>an</strong>chmal ist es<br />

einfach so, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> dadurch besser fühlen. Vielle<strong>ich</strong>t, weil sie schon viel tiefer<br />

hingen als du. Menschen sind seltsam, Menschen sind auch feige, sie zerstören aus<br />

Frust, L<strong>an</strong>geweile und Spaß. Seitdem einige wissen, <strong>das</strong>s wir schweigen und uns den<br />

Tatsachen, die s<strong>ich</strong> uns bieten beugen, betrachten sie uns als den einfachsten Weg, s<strong>ich</strong><br />

etwas stärker zu fühlen und die Natur doch noch zu regieren. Aus dunklen Schicksalen<br />

<strong>an</strong>derer, bauen Sie s<strong>ich</strong> selbst noch ein Denkmal, wenn sie d<strong>ich</strong> unterdrücken können.<br />

Sie f<strong>an</strong>gen Gespräche über <strong>das</strong> Wetter <strong>an</strong>, weil sie Gespräche über Dinge mögen, <strong>an</strong><br />

denen m<strong>an</strong> eh n<strong>ich</strong>ts ändern k<strong>an</strong>n. Auch <strong>an</strong> Tagen, <strong>an</strong> denen der Dementor vor dir steht,<br />

vertraue darauf, <strong>das</strong>s es immer auch gute Menschen gibt. Denn auch wenn die<br />

Depression dir weismachen will, es gäbe nur schwarz und weiß, gibt es g<strong>an</strong>z viele<br />

verschiedene Farbtöne. Gibt es etwas Gutes am Fallen? Ich sage ja, denn ihr gebt euren<br />

Freunden die Mögl<strong>ich</strong>keit euch aufzuf<strong>an</strong>gen und ihr seht wer von ihnen tatsächl<strong>ich</strong> zu<br />

euren Freunden zählt.<br />

Bevor ihr bei euch selber eine schwere Depression oder Antriebsschwäche<br />

diagnostiziert, stellt s<strong>ich</strong>er, <strong>das</strong>s ihr n<strong>ich</strong>t komplett von Arschlöchern umgeben seid.<br />

(Sigmund Freud)<br />

Es gab eine Zeit, in der <strong>ich</strong> dachte, was habe <strong>ich</strong> nur zum Teil für widerl<strong>ich</strong>e Individuen<br />

um m<strong>ich</strong> herum, da viele m<strong>ich</strong> als Pl<strong>an</strong> B sahen, mies beh<strong>an</strong>delten, s<strong>ich</strong> nie meldeten,<br />

außer sie wollten irgendwas oder obwohl sie 10.000 mal am Tag online waren, stunden-,<br />

tage- oder wochenl<strong>an</strong>g n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>tworteten. Trotzdem kam <strong>ich</strong> immer wieder <strong>an</strong>, kämpfte<br />

um ihr Ansehen und n<strong>an</strong>nte sie Freunde oder wie im Fall Beate, einer Freundin, n<strong>an</strong>nte<br />

<strong>ich</strong> sie Familie. Ich wusste, <strong>das</strong>s es falsch war, jedoch zeigten mir die Dementoren, die<br />

Alternative. Ich dachte <strong>ich</strong> würde in Vergessenheit geraten und sah nur Einsamkeit für<br />

m<strong>ich</strong>. Ich war emotional erpressbar und l<strong>an</strong>ge Zeit konnte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Gefühl n<strong>ich</strong>t<br />

zuordnen, wer m<strong>ich</strong> denn gerade erpresst. Ob es <strong>an</strong> der Kr<strong>an</strong>kheit lag oder doch <strong>an</strong> den<br />

Menschen? Doch eines Tages saß <strong>ich</strong> wie übl<strong>ich</strong> beim Poker spielen und blickte in die<br />

Runde und dieses Gefühl, wie <strong>ich</strong> es tief im Inneren sonst nur le<strong>ich</strong>t verspürte "ob du<br />

nun diese Leute hast oder ob du allein bist" wurde zu meinem Hauptged<strong>an</strong>ken. Ich<br />

durchschaute ihr Pokerface im Spiel und ihre Fassade im Leben. Also nahm <strong>ich</strong> die Kraft<br />

die mir verblieb und beendete alles, was mir nie gut tat und nie gut tun wird. Ich, aber<br />

auch die Leute, war überrascht, woher <strong>ich</strong> auf einmal die Kraft nahm und vor allem die


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


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Überzeugung. Irgendw<strong>an</strong>n fing es aber <strong>an</strong> irgendwie "Spaß" (ist vielle<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> falsche<br />

Wort) zu machen, Leute aus dem Leben zu verb<strong>an</strong>nen und m<strong>an</strong> kam in einen, Vors<strong>ich</strong>t<br />

Wortspiel, "flo-w". Mit einem Mal fiel mir so viel Frust von den Schultern, denn <strong>ich</strong> fing<br />

<strong>an</strong>, m<strong>ich</strong> gegen diese Menschen zu wehren. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte <strong>ich</strong> noch,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t die Kraft dafür hätte. Aber es kommt einfach eine Zeit, da steigst du aus<br />

dem g<strong>an</strong>zen Drama aus und trennst d<strong>ich</strong> von all den Menschen, die zusätzl<strong>ich</strong>es Chaos in<br />

deinem Leben verursachen. Das ist der Beginn von allem was du in dem Moment<br />

möchtest! Die Kraft erkläre <strong>ich</strong> mir wie folgt: Jede Aktion ist wie ein Tropfen in eine<br />

Regentonne. Drehst du die Tonne nach jedem Tropfen um, wirst du davon n<strong>ich</strong>t viel<br />

sehen. Aber wenn ein Tropfen <strong>das</strong> Fass zum Überlaufen brachte und du drehst es d<strong>an</strong>n<br />

um, d<strong>an</strong>n ist da Druck auf dem Kessel. Und s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> weiß noch jeder, aus seiner<br />

Schulzeit, <strong>das</strong>s bei der Physik, Druck und Kraft verbunden sind.<br />

Noch heute bekomme <strong>ich</strong> vereinzelt Nachr<strong>ich</strong>ten von Beate, Virginia, V<strong>an</strong>essa, Pia,<br />

Najette, Mike und Ulrike in denen zum Teil drin steht, <strong>das</strong>s sie damit n<strong>ich</strong>t gerechnet<br />

hätten und dachten, es würde so laufen wie immer. Einige baten m<strong>ich</strong> um eine<br />

tausendste Ch<strong>an</strong>ce oder Erklärung, doch <strong>ich</strong> war einfach mental zu müde dafür, um m<strong>ich</strong><br />

damit noch einmal ausein<strong>an</strong>der zu setzen. Sorry, aber <strong>ich</strong> habe auch n<strong>ich</strong>t immer Bock,<br />

m<strong>ich</strong> zuerst bei Menschen zu melden, denen <strong>ich</strong> es n<strong>ich</strong>t mal Wert war, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong> mal<br />

zuerst melden. Natürl<strong>ich</strong> denkt m<strong>an</strong> m<strong>an</strong>chmal über die vielen unterbrochenen<br />

Unterhaltungen nach, doch lasst niem<strong>an</strong>den durch euren Geist spazieren, der dreckige<br />

Schuhe hat, ist ein Rat den <strong>ich</strong> euch mitgeben k<strong>an</strong>n! Bis heute sind diese Leute für m<strong>ich</strong><br />

Gesch<strong>ich</strong>te, denn sie nahmen m<strong>ich</strong> für zu selbstverständl<strong>ich</strong>. Und d<strong>an</strong>n gibt es ja auch<br />

noch die Sorte Mensch, die einfach trotz Ansage, s<strong>ich</strong> so melden als wäre nie was<br />

gewesen. Quasi stumpf ist Trumpf. Zudem beweisen sie schon mit ihren Nachr<strong>ich</strong>ten<br />

keinerlei Nachhaltigkeit, sie schreiben sie vereinzelt verstreut und hoffen, so die<br />

Gegenseite wieder ins Boot zu bekommen. Würde ihnen auch nur <strong>an</strong>nähernd etwas <strong>an</strong><br />

mir liegen, wären sie <strong>an</strong>ders, sie wären sogar bereit zu kämpfen. Bei einigen re<strong>ich</strong>t auch<br />

ein Blick aufs Profil um zu sehen, warum sie s<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> melden. Sie haben s<strong>ich</strong> gerade<br />

getrennt und fühlen s<strong>ich</strong> einsam.<br />

Um den Schritt, s<strong>ich</strong> von diesen Menschen lösen zu können, zu gehen, muss m<strong>an</strong> ehrl<strong>ich</strong><br />

zu s<strong>ich</strong> selber sein und darf n<strong>ich</strong>t irgendwelche nostalgischen Erinnerungen als Grund<br />

nehmen, um <strong>an</strong> der Person festzuhalten.<br />

Sei dabei n<strong>ich</strong>t wie ein laues Lüftchen <strong>an</strong> einem Sommertag, <strong>das</strong> <strong>an</strong>deren kaum eine<br />

Haarregung abfordert, sondern sei wie ein Hurrik<strong>an</strong>, denn nur so bringst du die Leute<br />

zum nachdenken. In jedem Moment, in dem du einem <strong>an</strong>deren Menschen <strong>das</strong> Recht<br />

gibst/gabst, deinen Normalzust<strong>an</strong>d (was dieser auch immer sein mag) zu ändern, lässt


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen Seite 183<br />

du ihn in deine Persönl<strong>ich</strong>keit eingreifen. Indem du n<strong>ich</strong>t aufstehst, und sofort klärst,<br />

<strong>das</strong>s diese Sache n<strong>ich</strong>t für d<strong>ich</strong> funktioniert, gibst du ihm <strong>das</strong> Einverständnis dazu. Ich<br />

weiß n<strong>ich</strong>t wer einst sagte, <strong>das</strong>s Schweigen Zustimmung bedeutet, aber so ist es heute<br />

verbreitet. Damit ordnest du d<strong>ich</strong> den <strong>an</strong>deren unter. Also wird mit der Zeit aus dir eine<br />

schwache, untergeordnete Persönl<strong>ich</strong>keit. Jem<strong>an</strong>d, der s<strong>ich</strong> womögl<strong>ich</strong> belügen,<br />

versetzen, beleidigen und <strong>an</strong>schreien lässt, du stellst d<strong>ich</strong> selber in diese Position. Gibt<br />

es eine Lösung für dieses Problem? Ja, mit 100%-iger S<strong>ich</strong>erheit. Und es fängt mit dir <strong>an</strong>!<br />

Das ist auf jeden Fall eine großartige Nachr<strong>ich</strong>t!<br />

Du k<strong>an</strong>nst jederzeit, in jeder Sekunde aufstehen und etwas ändern. Egal, ob du gerade<br />

erst einen gemeinsamen Urlaub gebucht oder ein Haus gekauft hast, ihr beste Freunde<br />

oder ihr 13 Jahre verheiratet seid. Denn dieses Prinzip lässt s<strong>ich</strong> auch auf den Partner<br />

<strong>an</strong>wenden.<br />

Wenn du wieder weißt, was du wert bist, d<strong>an</strong>n geh hin und hol es dir zurück. Aber nur,<br />

wenn du bereit bist, auf Gegenwehr zu stoßen. Aber zeig n<strong>ich</strong>t mit den Finger auf<br />

<strong>an</strong>dere und sag, <strong>das</strong>s du wegen dem <strong>an</strong>deren Menschen n<strong>ich</strong>t dort bist wo du gerne<br />

wärst. Das wäre näml<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t die Wahrheit, du k<strong>an</strong>nst durch eine oder mehrere<br />

Personen Rückschläge erleiden, doch wenn du so etwas jem<strong>an</strong>den vorwerfen musst,<br />

musst du den Fehler bei dir suchen. Dennoch k<strong>an</strong>nst du etwas dar<strong>an</strong> ändern und zwar<br />

genau jetzt.<br />

Okay, schön und gut. Und wie?<br />

Hierfür musst du dir folgende Dinge be<strong>an</strong>tworten:<br />

Was für eine Rolle spiele <strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong> in meinem Leben? Was wünsche <strong>ich</strong> mir, wie<br />

genau soll es um m<strong>ich</strong> herum aussehen? Wie möchte <strong>ich</strong> beh<strong>an</strong>delt werden?<br />

Sei erneut ehrl<strong>ich</strong> zu dir selber und werde dir bewusst, was dir eigentl<strong>ich</strong> schon die<br />

g<strong>an</strong>ze Zeit zusteht. Mach dir bewusst, wie du dein Leben führen willst und gestalte dein<br />

Umfeld d<strong>an</strong>ach. Du bist auf diese Welt gekommen, um alles um d<strong>ich</strong> herum mit Freude<br />

zu erfüllen.<br />

Jeder Tag soll für d<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Maximum <strong>an</strong> Schönheit, Liebe und Freiheit ausschöpfen.<br />

Klingt <strong>das</strong> zu hochgesteckt? Zu Egoistisch? Eben n<strong>ich</strong>t! N<strong>ich</strong>t weniger sollte d<strong>ich</strong><br />

zufrieden stellen. Denn gibst du d<strong>ich</strong> schon in Ged<strong>an</strong>ken mit weniger zufrieden, so wird<br />

es niemals für mehr in der Realität re<strong>ich</strong>en.<br />

Wenn du d<strong>ich</strong> für diesen eigentl<strong>ich</strong>en "Normalzust<strong>an</strong>d" entscheidest, wird plötzl<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>ts mehr Platz haben, <strong>das</strong> d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t hochhebt, inspiriert und weiterbringt. Das mag


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


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vielle<strong>ich</strong>t oberflächl<strong>ich</strong> klingen, doch <strong>das</strong> ist es gar n<strong>ich</strong>t, es ist nur <strong>das</strong> Recht eines jeden<br />

Menschen. Niem<strong>an</strong>d passt hier rein, der deine Persönl<strong>ich</strong>keit n<strong>ich</strong>t respektiert. Ab<br />

diesem Zeitpunkt weißt du zieml<strong>ich</strong> genau, was dir gut tut und was n<strong>ich</strong>t. Höre genau<br />

hin und du wirst erkennen, was hinter jedem deiner und der Sätze jedes Menschen, der<br />

dein Leben schneidet, steckt. Völlig egal wie gut erzogen, talentiert, re<strong>ich</strong> oder cool er zu<br />

sein glaubt. Wie m<strong>an</strong> <strong>an</strong>dere Menschen beh<strong>an</strong>delt, sagt alles über denjenigen aus.<br />

Dieses Verfahren ist natürl<strong>ich</strong> kein depressives Privileg. Auch n<strong>ich</strong>t-depressive Menschen<br />

sollten/können/dürfen s<strong>ich</strong> Ged<strong>an</strong>ken zu ihren Freundschaften machen. Vielle<strong>ich</strong>t<br />

werden sie auch einen solchen Entschluss fassen (müssen).<br />

Nachdem <strong>ich</strong> genau dieses Verfahren <strong>an</strong>w<strong>an</strong>dte, gab es Freundschaften, wie meine<br />

ehemalige Freundin Sarah, bei der <strong>ich</strong> es nie für mögl<strong>ich</strong> hielt, <strong>das</strong>s unsere Bindung so<br />

gefährdet ist/war. Sie tat jedoch n<strong>ich</strong>ts, um unsere Freundschaft zu retten. Ich sprach es<br />

mehrfach <strong>an</strong>, doch sie war n<strong>ich</strong>t bereit eine Änderung herbeizuführen.<br />

"Am Ende werden wir uns n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> die Worte unserer Feinde erinnern, sondern <strong>an</strong> <strong>das</strong><br />

Schweigen unserer Freunde". (Martin Luther King).<br />

In meinem Herzen bleiben mir aber auch weiterhin die wundervollen Taten dieser<br />

ehemaligen Begleiter meines Lebens, die <strong>ich</strong> nie vergessen werde. Sehe <strong>ich</strong> auf Fotos<br />

ihre Ges<strong>ich</strong>ter, denke <strong>ich</strong> <strong>an</strong> die vielen gemeinsamen Erinnerungen. Sie bringen m<strong>ich</strong><br />

immer noch zum Schmunzeln. Dennoch wird es kein Zurück mehr geben. Es tat weh,<br />

m<strong>ich</strong> von einigen wie eben Sarah und Beate zu lösen. Dennoch fühlte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, als<br />

würde <strong>ich</strong> schweres Gepäck loswerden.<br />

M<strong>an</strong> mag ja über Karma denken was m<strong>an</strong> möchte. Ja, es ist eine kleine launische<br />

Schlampe, aber früher oder später wird es genau diese Leute heimsuchen. Darauf<br />

vertraue <strong>ich</strong>.<br />

Bleibt die Frage "Gibt es Hoffnung?".<br />

Horcht m<strong>an</strong> in s<strong>ich</strong> hinein, lautet die Antwort "nein". Die Kr<strong>an</strong>kheit wird dir hunderte<br />

Gründe geben, um zusammenzubrechen und hoffnungslos zu weinen. Kämpfen deine<br />

wirkl<strong>ich</strong>en Freunde und deine Familie für d<strong>ich</strong>, ist der Krieg noch l<strong>an</strong>ge n<strong>ich</strong>t verloren. Ja,<br />

es wird Schlachten geben, die du n<strong>ich</strong>t gewinnen wirst, aber eine einzelne Schlacht<br />

entscheidet n<strong>ich</strong>t den Krieg. In diesen Momenten können und müssen wir der Kr<strong>an</strong>kheit<br />

Millionen Gründe zeigen, warum wir immer noch lächeln können und n<strong>ich</strong>t aufgeben<br />

werden.


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


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J.K. Rowling hat eine entsprechende Szene in ihren Rom<strong>an</strong>en ver<strong>an</strong>kert. Dumbledore<br />

teilt Harry mit, <strong>das</strong>s ein Krieg bevorstehen würde. M<strong>an</strong> hätte aber einen Vorteil<br />

gegenüber dem Bösen. M<strong>an</strong> hat etwas, für <strong>das</strong> es s<strong>ich</strong> zu kämpfen lohnt. Die<br />

entsprechende Antwort lieferte Harry Potter d<strong>an</strong>n im fünften Teil, als er sagte: "Du bist<br />

der, der schwach ist, du wirst niemals wissen was Liebe oder Freundschaft sind und<br />

deshalb k<strong>an</strong>nst du mir nur leid tun.".<br />

Nun betrachte d<strong>ich</strong> doch mal selber. Trotz all der Rückschläge und der schwierigen und<br />

traurigen Momente, haben wir gelernt, wieder vom Boden aufzustehen und<br />

weiterzumachen. Plötzl<strong>ich</strong> und immer wieder, musstest du d<strong>ich</strong> der Welt stellen und du<br />

hast es get<strong>an</strong>, aber irgendwo unterwegs hast du d<strong>ich</strong> verändert oder verloren. D<strong>an</strong>ach<br />

hast du es zugelassen, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> auf d<strong>ich</strong> zeigt und dir sagt, <strong>das</strong>s du zu n<strong>ich</strong>ts taugst. Du<br />

sagst es dir sogar selber.<br />

Die Welt besteht n<strong>ich</strong>t nur aus Regen und Sonnenschein, Schwarz und Weiß, Gut und<br />

Böse. Zugegeben die Welt ist oft ein gemeiner und hässl<strong>ich</strong>er Ort. Wie hart die Welt, <strong>das</strong><br />

Leben oder die Depression zuschlägt, ist n<strong>ich</strong>t entscheidend. Es ist unw<strong>ich</strong>tig, ob du<br />

zurückschlagen konntest. Entscheidend ist, wie viel du einstecken und dabei normal<br />

weitermachen k<strong>an</strong>nst. Es ist Quatsch, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Gröbste hinter uns liegt und <strong>das</strong>s der Blitz<br />

nie <strong>an</strong> derselben Stelle zweimal einschlägt. Das Leben ist zu l<strong>an</strong>g, um jetzt schon ein<br />

solches Fazit zu ziehen. In all den Zeiten voller Lachen, wenn es uns gut ging und voller<br />

Tränen, wenn es uns gar n<strong>ich</strong>t gut ging, waren wir immer eines - mutig!<br />

Mut ist n<strong>ich</strong>t immer brüllend laut, m<strong>an</strong>chmal ist es die leise Stimme am Ende eines<br />

Tages, die dir sagt, es morgen wieder zu versuchen. Es k<strong>an</strong>n auch die Stimme von für<br />

d<strong>ich</strong> w<strong>ich</strong>tigen Menschen sein, die plötzl<strong>ich</strong> aus dem N<strong>ich</strong>ts auftauchen, als wären sie<br />

wie in einem Hollywood-Actionfilm geschickt worden. Es sind die Menschen, die<br />

aufopferungsvoll versuchen alles zu retten, was dir lieb ist. Sie beleben deinen Körper,<br />

deinen Geist und deine Seele, passen zu deinen Wertvorstellungen und haben in deinem<br />

Herzen einen Platz. De facto wird euch die Wertvorstellung eines Menschen durch die<br />

Depression sehr w<strong>ich</strong>tig werden, sie wird die Schlüsselposition einnehmen.<br />

Diese Menschen k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> <strong>an</strong> einer H<strong>an</strong>d abzählen. Ich bestaune sie, sie bere<strong>ich</strong>ern<br />

m<strong>ich</strong>. Sie machen jeden Tag erträgl<strong>ich</strong>er, ohne <strong>das</strong>s sie wirkl<strong>ich</strong> etwas tun.<br />

Es fällt ihnen wahrscheinl<strong>ich</strong> auch deshalb n<strong>ich</strong>t auf, weil sie n<strong>ich</strong>t denken, <strong>das</strong>s sie<br />

etwas Außergewöhnl<strong>ich</strong>es tun. Sie ahnen n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s wir sie als Helden sehen, während<br />

sie die Welt für uns drehen und retten. Die besten Menschen passieren unerwartet und<br />

sind n<strong>ich</strong>t nur für einen da, wenn Holl<strong>an</strong>d in Not ist, sondern auch, wenn m<strong>an</strong> gute<br />

Phasen hat, in denen m<strong>an</strong> auch beim Kacken die Schlagerhits zum Besten gibt.


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Es gab einen solchen Menschen namens Aileen in meinem Leben. Sie war n<strong>ich</strong>t<br />

irgendeine Freundin, sie war meine beste Freundin. Sie kam zu einem Zeitpunkt in mein<br />

Leben, als alles verloren schien. In meiner dunkelsten Stunde lernte sie m<strong>ich</strong> kennen<br />

und wurde für m<strong>ich</strong> zu jener <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>gestalt. Das schönste Geschenk ist deine Zeit. Damit<br />

schenkst du diesem Menschen ein Stück von deinem Leben. Das tat Sie!<br />

Ich war in einem Kr<strong>an</strong>kenhaus und sie besuchte m<strong>ich</strong> in den 12 Wochen mindestens<br />

einmal in der Woche. Sie nahm die 260 km auf s<strong>ich</strong> und <strong>das</strong> obwohl sie arbeitete,<br />

Freunde, Familie und ein eigenes Leben hatte. In m<strong>an</strong>chen Wochen besuchte sie m<strong>ich</strong><br />

sogar zweimal. Sie war für m<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Highlight einer jeden Woche. In der g<strong>an</strong>zen Zeit,<br />

sprachen wir n<strong>ich</strong>t einmal emotional tiefgründig, weil sie ahnte wie hart die Woche für<br />

m<strong>ich</strong> gewesen sein muss. Das zeigt ihr ausgeze<strong>ich</strong>netes Fingerspitzengefühl, denn in<br />

einer Woche in der m<strong>an</strong> intensiv sein Innerstes bearbeiten musste, braucht m<strong>an</strong> auch<br />

mal Pausen. Wir waren so zieml<strong>ich</strong> jedes Mal im Kino, weil es auch der Zeitpunkt war, in<br />

dem viele gute Filme im Kino liefen. Das hört s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> für einige l<strong>an</strong>gweilig <strong>an</strong>,<br />

doch <strong>das</strong> war es n<strong>ich</strong>t. Denn schließl<strong>ich</strong> war sie bei mir. Außerdem hatte sie viele<br />

Situationen über ihre Schusseligkeiten parat. Sei es die Wassermelone auf dem Rücksitz,<br />

die bei einer Vollbremsung im Auto verteilt wurde oder <strong>das</strong>s sie in Parkhäusern<br />

gefürchtet war, weil sie beim Einparken ein schlechtes Augenmaß hat. Sie heiterte m<strong>ich</strong><br />

mit ihrer Anwesenheit und diesen Gesch<strong>ich</strong>te auf.<br />

Nach meinem Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt brach der Kontakt nie ab, wir ergänzten uns so<br />

perfekt. Es kamen daher auch <strong>an</strong>dauernd Gerüchte auf, <strong>das</strong>s da mehr zwischen uns<br />

wäre. Irgendwelche Kleingeister konnten s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vorstellen, <strong>das</strong>s Frau und M<strong>an</strong>n auch<br />

"nur" befreundet sein können. Die schönsten Momente in den Fängen dieser Kr<strong>an</strong>kheit,<br />

habe <strong>ich</strong> mit ihr erlebt. Doch leider hielt diese Freundschaft n<strong>ich</strong>t. Ich erk<strong>an</strong>nte während<br />

eines <strong>an</strong>deren Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalts, <strong>das</strong>s, wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t melden würde bei<br />

den Leuten, <strong>ich</strong> über 90% Kontakteinbußen habe. Ich schaute in den Verläufen einiger<br />

und sah, <strong>das</strong>s sie mir noch nie von s<strong>ich</strong> aus geschrieben haben. Mit dieser Erkenntnis<br />

sprach <strong>ich</strong> mit ihr, jedoch erklärte sie mir, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t der Typ dafür sei. Es entst<strong>an</strong>d<br />

ein n<strong>ich</strong>t mehr zu kittender Riss. Ich sah es <strong>an</strong>ders als sie. Was für ein Typ muss m<strong>an</strong><br />

denn sein, um jem<strong>an</strong>d <strong>an</strong>derem zu schreiben? Denn ein "hey" zur Gesprächseröffnung<br />

bedarf doch keines bestimmten Typs. Irgendw<strong>an</strong>n zog <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n zurück. Ich wollte<br />

schauen, wer s<strong>ich</strong> denn bei mir meldet, wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t kümmere. Es dauerte<br />

etwas, d<strong>an</strong>n kamen die ersten Nachr<strong>ich</strong>ten und darin auch Beschwerden warum m<strong>an</strong><br />

s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr melden würde. Was auf m<strong>ich</strong> schon zieml<strong>ich</strong> schizophren wirkt. Dies war<br />

letztl<strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t der Grund, warum die Freundschaft in die Brüche ging. Sie scheiterte<br />

viel mehr <strong>an</strong> dem Stellenwert, den m<strong>an</strong> dem <strong>an</strong>dere


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bemessen hatte. Sie schrieb mir irgendw<strong>an</strong>n, <strong>das</strong>s eine der Bek<strong>an</strong>ntschaften, die sie zu<br />

der Zeit hatte (nein, <strong>ich</strong> rede hier n<strong>ich</strong>t von 5, 10 oder mehr, denn sie ist keine<br />

Schlampe), auf m<strong>ich</strong> eifersüchtig wäre. Dabei k<strong>an</strong>nte er m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mal. Sie bat m<strong>ich</strong><br />

daraufhin, alles etwas zu minimieren, da sie den Kontakt zu ihm n<strong>ich</strong>t gefährden wollte.<br />

Ich habe ihr daraus nie einen Vorwurf gemacht, denn jeder dürfte es kennen, wenn m<strong>an</strong><br />

aus Liebe unvernünftige Entscheidungen trifft. Als ihr Freund schrieb <strong>ich</strong> ihr nur einen<br />

Text, <strong>das</strong>s sie auf s<strong>ich</strong> aufpassen soll, s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zu sehr von ihm abhängig zu machen.<br />

Doch mit der Zeit wurde der Kontakt immer sporadischer, damit meine <strong>ich</strong>, es wurde zu<br />

einem dieser Kontakte, die mental <strong>an</strong>strengend sind. Aber noch immer hielt <strong>ich</strong> zu ihr<br />

und mir.<br />

Meinen 30. Geburtstag wollte <strong>ich</strong> groß feiern. Ich kündigte also meinen Ehrentag 2-3<br />

Monate mit schriftl<strong>ich</strong>er Einladung per Post <strong>an</strong>. Ich hatte im Dezember 2017 Geburtstag<br />

und bis heute (August 2018) habe <strong>ich</strong> noch keine Absage von ihr erhalten. Auch in der<br />

extra einger<strong>ich</strong>teten WhatsApp-Gruppe hat sie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t geäußert.<br />

Ich ließ die Freundschaft d<strong>an</strong>ach schweigend los, ohne letzte Worte. Ich war enttäuscht<br />

und hätte die Zeilen mit zu viel Zorn und Enttäuschung geschrieben. Was war aus uns<br />

geworden? Ich hätte sie bestimmt mit Vorwürfen überschüttet, obwohl <strong>ich</strong> die Zeit<br />

<strong>an</strong>ders in Erinnerung habe und behalten werde. Ich glaube, sie wird s<strong>ich</strong> irgendw<strong>an</strong>n bei<br />

mir melden, warum <strong>ich</strong> sie schweigend gehen ließ oder was los sei. Aileen, daher sind<br />

diese Worte nun für d<strong>ich</strong>. Ich hoffe, wir können uns damit die Quälerei ersparen, uns<br />

durch <strong>das</strong> Mysterium der Vorwürfe zu arbeiten.<br />

Ich hatte etwas länger über die Worte hier nachgedacht, wie <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> und unsere Zeit<br />

beschreiben würde. G<strong>an</strong>z zu schweigen von dem, was <strong>ich</strong> dir überhaupt sagen möchte.<br />

Treffen s<strong>ich</strong> zwei und tun s<strong>ich</strong> gut. Fertig! Denn es bedarf ja n<strong>ich</strong>t immer einer großen<br />

Gesch<strong>ich</strong>te, doch irgendwie konnte <strong>ich</strong> die Bedeutung n<strong>ich</strong>t mit zwei Sätzen<br />

zusammenfassen.<br />

Viel zu l<strong>an</strong>ge schon trage <strong>ich</strong> es mit mir herum, viel zu l<strong>an</strong>ge schon warte <strong>ich</strong> auf die<br />

passende Gelegenheit, die doch nie kommen wird. Meine Gefühle ignorieren und<br />

verdrängen konnte <strong>ich</strong> schon l<strong>an</strong>ge in Perfektion, deshalb kratze <strong>ich</strong> jetzt meinen g<strong>an</strong>zen<br />

Mut zusammen und schreibe dir diese Zeilen.<br />

Zunächst ist es mir w<strong>ich</strong>tig dir zu erklären, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> die Freundschaft aus keinem<br />

depressiven Aspekt beendet habe. Vielle<strong>ich</strong>t habe <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> härter bewertet als <strong>an</strong>dere,<br />

sogar g<strong>an</strong>z bestimmt, doch <strong>das</strong> tat <strong>ich</strong> aus dem Grund, weil du meine beste Freundin<br />

warst. Du warst Aileen. Du warst Einzigartig!


Seite 192<br />

Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen Seite 193<br />

Ich traf mit dir jem<strong>an</strong>den, der alles von meiner Verg<strong>an</strong>genheit wissen wollte. N<strong>ich</strong>t um<br />

m<strong>ich</strong> zu verletzen oder zu bestrafen, sondern um zu verstehen, wie <strong>ich</strong> geliebt werden<br />

müsste. Bevor <strong>ich</strong> auf d<strong>ich</strong> traf, war mein größter Wunsch, nur einmal einen Menschen<br />

in meinem Leben zu haben, der genauso viel Angst hat m<strong>ich</strong> zu verlieren, wie <strong>ich</strong> Angst<br />

habe ihn zu verlieren. Ich denke, du verdienst die g<strong>an</strong>ze Welt zu deinen Füßen, aber <strong>ich</strong><br />

glaube n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s du <strong>das</strong> immer so für d<strong>ich</strong> siehst. Ich möchte, <strong>das</strong>s du weißt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

m<strong>ich</strong> oft selbst fragte, was <strong>ich</strong> gemacht haben muss, um d<strong>ich</strong> zu verdienen.<br />

Du hast m<strong>ich</strong> gelehrt, was ein Seelenfreund wirkl<strong>ich</strong> ist und ohne d<strong>ich</strong> hätte <strong>ich</strong> einige<br />

Zeiten n<strong>ich</strong>t überleben können. Du kamst mit einem Zweck in mein Leben und hast es<br />

durchweg positiv verändert. Ich glaube, <strong>das</strong> tust du mit vielen Leben, in deiner<br />

Umgebung. Du machst jede einzelne Person um d<strong>ich</strong> herum besser, ohne es auch nur zu<br />

merken.<br />

Du bist eine Person, auf die jem<strong>an</strong>d nur d<strong>an</strong>n verz<strong>ich</strong>ten k<strong>an</strong>n, wenn er nie zuvor mit dir<br />

gelebt hat. Du beleuchtest jeden Raum, weil du eben wirkst wie diese von mir<br />

beschriebene <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>gestalt und greifst jedem, der es braucht, unter die Arme. Mein erster<br />

Impuls eben, war zu schreiben, <strong>das</strong>s du wohl Schicksal bist, aber als Schicksal wird aus<br />

meiner S<strong>ich</strong>t oft <strong>das</strong> beze<strong>ich</strong>net, was die Leute, dem Zufall n<strong>ich</strong>t zutrauen. Aber wenn<br />

Leute dar<strong>an</strong> glauben, <strong>das</strong>s die w<strong>ich</strong>tigsten Begegnungen von den Seelen abgemacht<br />

sind, noch bevor die Körper s<strong>ich</strong> sehen, d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n <strong>das</strong> sehr wohl auch r<strong>ich</strong>tig sein.<br />

Du hältst fest, wahrst Dist<strong>an</strong>z, weinst mit. Doch bist du 10 Minuten später auch bereit,<br />

die Person die einem weh tat, zur Not verbal in die Schr<strong>an</strong>ken zu weisen. Freunde sind<br />

jene Menschen, die uns Dinge ins Ges<strong>ich</strong>t sagen und uns hinter unserem Rücken<br />

verteidigen. Du hast gefühlt für alles <strong>das</strong> r<strong>ich</strong>tige Feeling, die r<strong>ich</strong>tige H<strong>an</strong>dlung in petto.<br />

Du brachtest m<strong>ich</strong> zum Lachen, auch wenn <strong>ich</strong> traurig war und vergabst mir, was <strong>ich</strong><br />

sagte, als <strong>ich</strong> wütend war. Ich konnte mit dir die g<strong>an</strong>ze Nacht durch die Gegend fahren,<br />

Musik hören, McDonalds Burger auf einem Parkplatz mitten in der Bremer City<br />

verdrücken, über <strong>das</strong> Leben philosophieren und war äußerst zufrieden mit dieser Nacht.<br />

Du glaubtest <strong>an</strong> m<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> die Hoffnung für m<strong>ich</strong> längst begraben hatte. In diesen<br />

Momenten, wenn s<strong>ich</strong> die dunkle Wolke der Depression mal wieder vor den letzten<br />

Funken Hoffnung schob. Du bist für jeden da, auch wenn einzelne n<strong>ich</strong>t immer für d<strong>ich</strong><br />

da waren. Du kümmerst d<strong>ich</strong> um jeden <strong>an</strong>deren, bevor du d<strong>ich</strong> überhaupt um d<strong>ich</strong><br />

selbst kümmerst.<br />

Du lerntest m<strong>ich</strong> bis ins Innerste kennen, auch wenn dieses Kennenlernen schwierig für<br />

d<strong>ich</strong> war. Der Weg zu meinem Herzen ist im Laufe meines Lebens zum reinsten<br />

Labyrinth geworden. N<strong>ich</strong>t viele finden den r<strong>ich</strong>tigen Weg. M<strong>an</strong> benötigt viel Zeit und


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen Seite 195<br />

Geduld um dorthin zu gel<strong>an</strong>gen. Ist m<strong>an</strong> aber einmal dort <strong>an</strong>gekommen, bleibt für<br />

immer da. Die Liebe für Freunde ist keine Option für d<strong>ich</strong>, sondern vielmehr eine<br />

Einstellung. So bist du eben und <strong>das</strong> macht d<strong>ich</strong> zur wunderschönsten Seele, die <strong>ich</strong> je<br />

kennengelernt habe. Deine Liebe war weder ängstl<strong>ich</strong> noch schwach. Ich konnte <strong>an</strong><br />

deinem Geburtstag beobachten, wie du mit deinen Freunden umgeg<strong>an</strong>gen bist! G<strong>an</strong>z im<br />

Gegenteil, deine Liebe ist die mächtigste Kraft, die <strong>ich</strong> jemals in einer Freundschaft<br />

gesehen und empfunden habe, gewissermaßen unverwüstl<strong>ich</strong> und bedingungslos. Ich<br />

meine du riefst m<strong>ich</strong> sogar mitten in der Nacht, sturzbetrunken <strong>an</strong>, nur um mir<br />

mitzuteilen wie gern du m<strong>ich</strong> hast, und wie sehr es bei dir abgeht.<br />

Aber du bist n<strong>ich</strong>t nur <strong>das</strong>, was alle <strong>an</strong>deren um d<strong>ich</strong> herum brauchen. Du bist auch<br />

alles, was du für d<strong>ich</strong> brauchst. Auch du hattest schwere Zeiten und <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t nur wegen<br />

den Prüfungen. Daher, vertrau meinen Worten, gerade in Momenten wo es <strong>an</strong><br />

Schieflage n<strong>ich</strong>t m<strong>an</strong>gelt, versuche d<strong>ich</strong> <strong>an</strong> meine Worte zu erinnern. Du bist so viel<br />

stärker, als du dir überhaupt bewusst bist. Du bist ehrl<strong>ich</strong> und fürsorgl<strong>ich</strong>. Du bist witzig<br />

und intelligent. Du bist stark und mitfühlend. Du bist wunderschön vom Charakter her<br />

und nochmal, du bist verdammt mächtig. Und <strong>ich</strong> weiß, <strong>das</strong>s du d<strong>ich</strong> aus<br />

Bescheidenheit, nie so sehen wirst, wie <strong>ich</strong> es hier geschrieben habe. Aber du sollst nur<br />

wissen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es jeden Tag in dir gesehen habe, in der wir Zeit mitein<strong>an</strong>der<br />

verbrachten. Es gibt Menschen, die sagen so viel ohne es zu meinen, tun so viel ohne es<br />

zu fühlen und zerstören dabei so viel ohne es zu merken, doch du bist <strong>an</strong>ders. Darum<br />

hast du die Welt verdient. Weil du sie stets positiv veränderst. Und <strong>das</strong> sagt dir, eines<br />

der vielen Leben, die du gerettet hattest!<br />

Von dieser Persönl<strong>ich</strong>keit sollten wir uns alle vielle<strong>ich</strong>t eine Scheibe abschneiden. Wir<br />

sollten uns alle viel mehr Zeit nehmen. Für gute Gespräche, liebe Freunde, gutes Essen,<br />

l<strong>an</strong>ge Nächte und unvergessl<strong>ich</strong>e Augenblicke. Es sind die kleinen Dinge, die die Seele<br />

heilen. Genau <strong>das</strong> sind die Tugenden, die mir Aileen vermittelte und die <strong>ich</strong> nun<br />

versuche <strong>an</strong> <strong>an</strong>dere weiterzugeben. Dar<strong>an</strong> erkennt m<strong>an</strong> einmal mehr, welche deutl<strong>ich</strong>en<br />

Spuren ein Mensch im Leben eines Anderen hinterlassen k<strong>an</strong>n.<br />

Ich lernte vor kurzem H<strong>an</strong>na kennen. Es war eine dieser Zu<strong>falls</strong>begegnungen, die<br />

zunächst so unscheinbar und beiläufig erscheinen, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> sie kaum wahrnimmt.<br />

Obwohl sie kompliziert, <strong>an</strong> einigen Stellen wortkarg und le<strong>ich</strong>t störrisch ist, hatte sie<br />

neben ihrer lieben, <strong>an</strong> <strong>an</strong>deren Stellen wortfreudigen und kämpferischen Art, eine<br />

ungeheuerl<strong>ich</strong>e Portion Charisma.<br />

Das alles rückte in die zweite Reihe, weil sie vor einiger Zeit ihren M<strong>an</strong>n verloren hat. Sie<br />

erinnerte m<strong>ich</strong>, mit jeder Aktion, Reaktion, Rückzug und gezwungenem Schritt vorwärts,


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen Seite 197<br />

<strong>an</strong> m<strong>ich</strong>. Niem<strong>an</strong>d hat m<strong>ich</strong> je darum gebeten und sie schon gar n<strong>ich</strong>t, aber <strong>ich</strong> wollte<br />

für sie da sein. Ich sagte ihr, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> dieses Gefühl kenne und weiß wie es s<strong>ich</strong> <strong>an</strong>fühlt,<br />

dieser Schmerz als ob jem<strong>an</strong>d dir durch die Brust greift und <strong>das</strong> Herz umschließt, damit<br />

es aufhört zu schlagen. Wenn niem<strong>an</strong>d d<strong>ich</strong> verstehen k<strong>an</strong>n, k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> verstehen<br />

und wenn alle Stricke reißen, werde <strong>ich</strong> da sein. Wie gesagt, sie erinnert m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> m<strong>ich</strong><br />

selber und <strong>ich</strong> habe mir damals gewünscht, ohne es einmal zu sagen, <strong>das</strong>s jem<strong>an</strong>d für<br />

m<strong>ich</strong> da wäre, der m<strong>ich</strong> verstehen k<strong>an</strong>n. Genau diese Antwort bekam sie bisher stets,<br />

wenn sie m<strong>ich</strong> fragte, warum <strong>ich</strong> so nett zu ihr sei. Ich habe ihr gesagt, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sie n<strong>ich</strong>t<br />

vor den Fehlern auf ihrem Weg beschützen k<strong>an</strong>n, aber für sie da sein werde, wenn sie<br />

ins Schw<strong>an</strong>ken gerät. Es gibt nur einen Weg, der r<strong>ich</strong>tig für sie, m<strong>ich</strong> und jeden<br />

Depressiven ist und <strong>das</strong> ist der EIGENE. Du musst deinen Weg gehen, aber auch den Mut<br />

haben, die R<strong>ich</strong>tung zu ändern. Ich werde versuchen, sie aus ihrer Isolation zu reißen.<br />

Auch wenn <strong>ich</strong> sie dafür immer wieder fragen muss. Es ist mir egal, wenn sie immer<br />

ablehnt. Irgendw<strong>an</strong>n kommt ein Ja und bis dahin fühlen s<strong>ich</strong> die Neins n<strong>ich</strong>t so alleine.<br />

Natürl<strong>ich</strong> fragt sie m<strong>ich</strong> auch immer mal wieder ob es besser wird, dieser Schmerz und<br />

über verschiedene Situationen, dabei <strong>an</strong>tworte <strong>ich</strong> ihr aus der S<strong>ich</strong>t des Depressiven,<br />

aber mit einem ungeheurem Schuss realistischer Hoffnung. Gib jetzt n<strong>ich</strong>t auf. Geh<br />

weiter. Es wird besser. Vertraue dir. Ich tue es. Als unser Kontakt <strong>an</strong>fing, war sie noch<br />

davon überzeugt, n<strong>ich</strong>t depressiv zu sein, geschweige denn, depressiv zu werden. Doch<br />

<strong>ich</strong> ahnte bei so vielen ihrer Verhaltensmuster, in welcher Phase sie gerade ist. Vor<br />

kurzem schrieb sie mir, <strong>das</strong>s sie seit einigen Tagen hinterein<strong>an</strong>der einen durchgängigen<br />

depressiven Schub hat. Es war ihr erstes Eingeständnis zu dieser Kr<strong>an</strong>kheit. Da <strong>ich</strong> einer<br />

Freundin damals, als die Depression noch n<strong>ich</strong>t als "schwer" diagnostiziert wurde, mit<br />

einem Trick rausholen konnte, w<strong>an</strong>dte <strong>ich</strong> diesen auch bei ihr <strong>an</strong>. Und siehe da, es hat<br />

funktioniert. Ich schaffte es innerhalb wenigen Minuten, <strong>ich</strong> glaube es waren 3 Minuten,<br />

sie aus diesem Tief heraus zu holen. Es hat nun n<strong>ich</strong>t dazu geführt <strong>das</strong> sie Flic-Flacs in<br />

der Wohnung schlug, aber sie konnte am Leben wieder teilnehmen. Was habe <strong>ich</strong><br />

gemacht?<br />

Ich habe sie mental provoziert. Es geht hierbei n<strong>ich</strong>t darum, jem<strong>an</strong>den so sehr zu<br />

provozieren, <strong>das</strong>s er Schaum vor dem Mund bekommt. Mentale Provokation ist eine<br />

Kreativitätstechnik, bei der <strong>ich</strong> eine Aussage mache, die die <strong>an</strong>dere Person für n<strong>ich</strong>t<br />

realisierbar hält. Sie steht im Widerspruch zu Erfahrungen und Überzeugungen, <strong>das</strong><br />

genaue Gegenteil von dem aussagt, wovon m<strong>an</strong> überzeugt ist und als "verrückt"<br />

empfunden wird. Das Gehirn wird damit im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf<br />

gestellt, um s<strong>ich</strong> im besten Fall aus dem herkömml<strong>ich</strong>en Wahrnehmungsmuster lösen zu<br />

können. Mit scheinbar widersprüchl<strong>ich</strong>en Aussagen wird eine Instabilität der starren<br />

Position erzeugt und somit die Mögl<strong>ich</strong>keit geschaffen, eine neue Betrachtungsweise


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Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen Seite 199<br />

einnehmen zu können. Das Problem rückt in die Ferne und gibt Raum für ungewöhnl<strong>ich</strong>e<br />

Lösungen. Ist die Hoffnung daher m<strong>an</strong>chmal w<strong>ich</strong>tiger, als die Wahrheit?<br />

Zunächst müssen wir uns aber selber fragen, ist Hoffnung eher eine zwar ausdauernde<br />

aber eigentl<strong>ich</strong> zurückhaltende Haltung, die auf positive Veränderungen und Hilfe von<br />

außen wartet oder eine eigenver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong>e Hoffnung als Selbstkompetenz der<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt eigener großer Anstrengungen. Hierbei würde <strong>ich</strong> sogar 50/50 sagen,<br />

denn Hoffnung ist ein Pfad. Wir r<strong>ich</strong>ten uns d<strong>an</strong>ach. Gle<strong>ich</strong>zeitig aber auch immer eine<br />

Erinnerung, nach der wir h<strong>an</strong>deln sollten. Wir müssen glauben/hoffen, <strong>das</strong>s die R<strong>ich</strong>tung<br />

und dieser Weg ein gutes Ende nimmt, <strong>das</strong>s uns vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t immer alles sofort, aber<br />

am Ende der große Erfolg gelingt. Das uns dieser Weg in R<strong>ich</strong>tung "nirgendwo" zurück<br />

<strong>an</strong> unseren Anf<strong>an</strong>g bringt, daraus lässt s<strong>ich</strong> mit Hoffnung eventuell Kraft ziehen. Die<br />

Wahrheit k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong>chmal so niederschmetternd sein, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>ach aufgibt.<br />

Jedoch gibt es auch Menschen, die daraus ihre "jetzt erst recht-Haltung” herausziehen.<br />

Daher würde <strong>ich</strong> sagen, <strong>das</strong>s die Frage eine individuelle Frage darstellt. Aber <strong>ich</strong> würde<br />

zu dieser Kr<strong>an</strong>kheit sagen, <strong>das</strong>s Hoffnung w<strong>ich</strong>tiger ist als die Wahrheit, sol<strong>an</strong>ge diese<br />

undosiert auf uns eiprasselt.


Seite 200<br />

Wenn alles verloren scheint, durch <strong>das</strong> Böse in den eigenen Reihen


Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt Seite 201<br />

WENN DIE HILFE ZUNÄCHST AUSBLEIBT<br />

Jeder Mensch möchte im besten Fall Leben/Überleben. Bekommt m<strong>an</strong> für sein Gefühl<br />

zu wenig Hilfe, da m<strong>an</strong> vielle<strong>ich</strong>t selber noch n<strong>ich</strong>t bereit ist oder n<strong>ich</strong>ts f<strong>an</strong>d für den<br />

Moment, versucht m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> selber zu helfen. Mehrere Misserfolge erwecken oftmals bei<br />

Außenstehenden den Eindruck einer Verzweiflungstat. Die Methoden, s<strong>ich</strong> selber zu<br />

helfen, können auch mal völlig unnormal wirken, doch in der Gesch<strong>ich</strong>te der Menschheit<br />

gab es so einige völlig außergewöhnl<strong>ich</strong>e Sachen, die aber zum Überleben verhalfen. So<br />

erinnere <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gern <strong>an</strong> die Notwasserung eines Passagierflugzeuges, <strong>das</strong> im Hudson<br />

River l<strong>an</strong>dete. Wahrscheinl<strong>ich</strong> hätten 10 von 10 Piloten gesagt, <strong>das</strong>s dies völlig verrückt<br />

sei und hätten einen <strong>an</strong>deren Weg genommen. Aber der 11. Pilot hat den Mut der<br />

Verzweiflung gehabt und hat den 155 Menschen <strong>das</strong> Leben gerettet. Was <strong>ich</strong> damit<br />

sagen möchte ist, <strong>das</strong>s wir selber n<strong>ich</strong>t wissen, worin die Lösung steckt und es wäre<br />

fahrlässig, n<strong>ich</strong>t jeden Weg zu gehen, der s<strong>ich</strong> uns bietet. Denn schließl<strong>ich</strong> geht m<strong>an</strong> bei<br />

Windows ja auch über den Startknopf, um den Computer herunter zu fahren.<br />

Ich k<strong>an</strong>n euch Sachen vorschlagen, um eventuell etwas zu bewegen, wenn <strong>das</strong> Leben<br />

wieder wie festgefahren wirkt.<br />

R<strong>ich</strong>tet euch zum Beispiel einen "Notfallkoffer" ein. Dort legt ihr Sachen wie Amoniakstifte,<br />

Bonbons, Knetbälle, Schokolade, Kl<strong>an</strong>gkugeln, Zitrone und Duftöle hinein.<br />

Immer, wenn ihr kurz vor einem Schub seid oder runterkommen müsst, greift ihr in die<br />

Kiste und holt euch etwas heraus und probiert es. Sie sollen euch von den Ged<strong>an</strong>ken<br />

ablenken.<br />

Wie sollen Bonbons und Schokolade mir bei einem Depressiven Schub helfen?<br />

Bestimmte Schokolade hilft uns ja nachweisl<strong>ich</strong> wieder besser drauf zu sein, doch darauf<br />

möchte <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>t eingehen. Ich möchte darauf hinaus, <strong>das</strong>s ihr eines davon in den<br />

Mund nehmt und n<strong>ich</strong>t wie gewöhnl<strong>ich</strong> esst, sondern es in eurem Mund erforscht.<br />

Konzentriert euch nur darauf, wie es schmilzt, wie es auf den verschiedenen Bere<strong>ich</strong>en<br />

eurer Zunge schmeckt. Heute schlingen wir unser Essen fast nur herunter und<br />

unterscheiden nur zwischen hat geschmeckt und bähh auf keinen Fall.<br />

Bei jedem einzelnen Produkte müsst ihr euren Fokus darauf lenken. Es gibt auch sowas<br />

wie Aufmerksamkeitsspaziergänge. In dem Fall wäre der Notfallkoffer die Natur. Anstatt<br />

Bällen, Bonbons und Co. sind es Blätter, Gras, Himmel, Insekten, Bäume und Pfl<strong>an</strong>zen.


Seite 202<br />

Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt


Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt Seite 203<br />

Zusätzl<strong>ich</strong> gibt es natürl<strong>ich</strong> auch die Mögl<strong>ich</strong>keit, ein Gummib<strong>an</strong>d ums H<strong>an</strong>dgelenk zu<br />

tragen und s<strong>ich</strong> dies d<strong>an</strong>n <strong>an</strong> die Haut zu schnipsen. Diese Reizimpulse sollen die<br />

Ablenkung von deinen Ged<strong>an</strong>ken sein.<br />

Was tatsächl<strong>ich</strong> auch helfen k<strong>an</strong>n, zeigen die wissenschaftl<strong>ich</strong>en Studien. Durch<br />

wohlklingende Musik (hören und auch singen) wird eine gesteigerte Freisetzung von<br />

Endorphinen (körpereigenes Aufputschmittel) ausgelöst. Das Singen hat eine physiologisch<br />

positive Wirkung und ist deshalb eine der effektivsten, günstigsten und spaßigsten<br />

Aktivitäten um Depressionen vorzubeugen und aktiv zu beh<strong>an</strong>deln. Es ist gut für<br />

die Psyche und entfaltet seine positive Wirkung schon nach wenigen Minuten. Beim<br />

Singen wird <strong>das</strong> Gehirn mit viel größeren Mengen <strong>an</strong> Sauerstoff versorgt. Dies führt zur<br />

Ausschüttung von Endorphinen. Daraus resultiert eine Stimmungsaufhellung bis hin zur<br />

Euphorie, außerdem wird <strong>das</strong> Schmerzempfinden vermindert. Es geht uns besser.<br />

Singen hilft also gegen Depressionen. Dabei ist es egal, ob m<strong>an</strong> singen k<strong>an</strong>n oder n<strong>ich</strong>t.<br />

Es spielt keine Rolle, was m<strong>an</strong> singt, <strong>das</strong> ist jedem selbst überlassen. W<strong>ich</strong>tig ist nur, <strong>das</strong>s<br />

einem die Musik gefällt und Spaß macht. Und <strong>das</strong> Beste dar<strong>an</strong> ist: Singen k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> so<br />

gut wie überall. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n unter der Dusche, im Auto, auf der Straße oder im eigenen<br />

Wohnzimmer singen, m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n alleine oder auch mit <strong>an</strong>deren zusammen singen. Du<br />

entscheidest w<strong>an</strong>n und mit wem du singen möchtest. Hat m<strong>an</strong> gerade <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s<br />

m<strong>an</strong> die Wohnung n<strong>ich</strong>t verlassen k<strong>an</strong>n, na d<strong>an</strong>n bleibt und singt dort!<br />

Wer n<strong>ich</strong>t singen mag, baut s<strong>ich</strong> oder mit seinen Kindern ausgefallene Butzen. Das Kind<br />

trägt jeder von uns noch in s<strong>ich</strong>. Als Kind waren wir im Kopf viel klarer und n<strong>ich</strong>t<br />

gef<strong>an</strong>gen in irgendwelchen Meinungen, Ans<strong>ich</strong>ten und Verpfl<strong>ich</strong>tungen. Nehmt ein Kind<br />

<strong>an</strong> die H<strong>an</strong>d und lasst euch von ihm führen. Betrachtet die Steine, die es aufhebt und<br />

hört zu, was es erzählt. Als Belohnung zeigt es euch eine Welt, die ihr längst vergessen<br />

habt. Vielle<strong>ich</strong>t versucht ihr es auch mit dem folgenden Lifehack. Kein Psychiater der<br />

Welt k<strong>an</strong>n es mit einem Hund aufnehmen, der dir durchs Ges<strong>ich</strong>t leckt.<br />

Hört Musik aus der Kindheit und Jugend, wie die Schlümpfe, Rolf Zuckowski, Blümchen<br />

oder Fr<strong>an</strong>k Z<strong>an</strong>der, ach und viele mehr. In einer Zeit wie heute, da die Etikette <strong>das</strong><br />

W<strong>ich</strong>tigste zu sein scheint, klingt <strong>das</strong> unausführbar. Doch was hat m<strong>an</strong> zu verlieren?!<br />

Ich erinnere m<strong>ich</strong> <strong>an</strong> die Zeit der 90er, als uns damals Techno und die g<strong>an</strong>ze<br />

Euro-D<strong>an</strong>ce-Welle erre<strong>ich</strong>te und m<strong>an</strong> viele empört sagen hörte: "Das ist ja keine Musik!"<br />

oder " oh Gott, <strong>ich</strong> bin zu alt für den Scheiß".<br />

Beschäftigen wir uns nun aber mal mehr mit der Musik. Was ist Musik denn überhaupt?<br />

Als Erstes ist wohl zu sagen, <strong>das</strong>s Musik wenig mit einer bestimmten Musikr<strong>ich</strong>tung zu<br />

tun hat. Eine einheitl<strong>ich</strong>e Definition gibt es n<strong>ich</strong>t. Musik ist ein Wort wie Kunst, mit so


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Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt


Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt Seite 205<br />

vielen Bedeutungen, wie es wohl Menschen auf dieser von Gott erschaffenen Erde gibt.<br />

Aber <strong>ich</strong> glaube, am ehesten trifft der Ausdruck bei dieser Situation, musikalische<br />

Apotheke. Musik kommt in allen Kulturen vor und es gibt sie, wie Instrumentenfunde<br />

eindeutig belegen, spätestens seit der Jungsteinzeit. Sie wird bereits, seit der<br />

Gesch<strong>ich</strong>tsschreibung als Heilmittel erwähnt und <strong>an</strong>gewendet. Musik ist ein<br />

elementares, n<strong>ich</strong>t wegzudenkendes Muss bei Ritualen, Festen, religiösen<br />

Versammlungen oder Heilungszeremonien. Ich habe für dieses Buch sogar in der Bibel<br />

nachgeschlagen und dort wird ber<strong>ich</strong>tet, um 1000 vor Christus, von König Saul der des<br />

Öfteren von einem bösen Geist, der ihn ängstigte, überfallen wurde (in <strong>an</strong>deren<br />

Übersetzungen ist auch von Schwermut die Rede, was als die damalige Beze<strong>ich</strong>nung von<br />

Depression gesehen werden k<strong>an</strong>n). Genau steht in der Bibel:<br />

"Immer wenn der böse Geist über Saul herfiel, griff David zur Harfe und beg<strong>an</strong>n zu<br />

spielen. Und immer wieder brachte die Musik Saul Erle<strong>ich</strong>terung. Er fühlte s<strong>ich</strong> besser<br />

und der böse Geist ließ ihn in Ruhe." (1. Samuel 16, 23).<br />

Musik bewegt den Menschen also spr<strong>ich</strong>wörtl<strong>ich</strong>. Sei es beim T<strong>an</strong>zen, Marschieren, aber<br />

auch auf der emotionalen Ebene wirkt s<strong>ich</strong> Musik auf <strong>das</strong> Innere aus.<br />

In Begleitung mit Musik heiraten wir und werden beerdigt, wir freuen uns und trauern<br />

"mit ihr". Musik leistet einen w<strong>ich</strong>tigen Beitrag zu unserem heutigen St<strong>an</strong>d der Entwicklung<br />

und Kultur. Die Wissenschaft macht jährl<strong>ich</strong> Meilensprünge, die<br />

Untersuchungen werden immer genauer und die Mögl<strong>ich</strong>keiten vielseitiger. Aber die<br />

Erforschung der Musik und ihre Auswirkung auf unseren Körper ist ein vergle<strong>ich</strong>bar<br />

junges Gebiet. Es ist eigentl<strong>ich</strong> sehr verwunderl<strong>ich</strong>, da Musik und speziell ihre<br />

Auswirkung schon l<strong>an</strong>ge bek<strong>an</strong>nt sind. Durch die Entwicklung der modernen Medizin<br />

hatte die Musiktherapie ihre traditionelle Akzept<strong>an</strong>z bei Ärzten verloren. Erst in den<br />

verg<strong>an</strong>genen Jahren hat sie aufgrund ihrer magisch-mystischen Wurzeln als alternative<br />

unkonventionelle Heilmethode quasi eine Wiedergeburt erfahren.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t lag es aber auch <strong>an</strong> den empörten Stimmen, weshalb diese Forschung noch in<br />

den sogen<strong>an</strong>nten Kinderschuhen steckt, die behaupten <strong>das</strong> Musik n<strong>ich</strong>t erforscht<br />

gehöre, da sie eine intime und individuelle Angelegenheit sei, die niem<strong>an</strong>den etwas<br />

<strong>an</strong>gehe. Doch einem Depressiven, der einen Seelenstriptease hinlegen muss, damit m<strong>an</strong><br />

<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen k<strong>an</strong>n ihm zu helfen, wird dieser Umst<strong>an</strong>d wohl kaum noch etwas ausmachen.<br />

Ich vermute ja, <strong>das</strong>s die Behauptung der Verletzung der Intimität bei Musik während<br />

einer Erforschung, ein bisschen der Aussage des Philosophen Plato geschuldet ist. Dieser<br />

sagte mal:


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Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt


Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt Seite 207<br />

"Musik ist ein moralisches Gesetz. Sie verleiht dem Universum eine Seele, dem Geist<br />

Flügel, der Ph<strong>an</strong>tasie Flugkraft, der Traurigkeit einen Zauber und allen Dingen Freude<br />

und Leben. Sie ist der Inbegriff der Ordnung und führt zu allem, was gut, gerecht und<br />

schön ist."<br />

Heute gibt es je nach Therapiephilosophie der Kr<strong>an</strong>kenhäuser auch Musiktherapien. Als<br />

besondere Form der Psychotherapie hat die Musiktherapie vor allem bei seelischen<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen einen sehr hohen Stellenwert. Der Hörsinn, der der sensibelste unter den<br />

Sinnen ist, ist eng mit dem Gefühl dadurch verbunden, <strong>das</strong>s eine direkte <strong>an</strong>atomische<br />

Verbindung zwischen den Ohren und dem limbischen System, einer Art Gefühlszentrum<br />

unseres Gehirns, besteht. Musik ruft selbst bei sehr verschlossenen und apathischen<br />

Personen eine emotionale Reaktion hervor. Aber keine Art von Musik besitzt bei allen<br />

Menschen immer und überall die gle<strong>ich</strong>e wirksame und heilende Kraft. Schließl<strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n<br />

Musik <strong>das</strong> Bewusstsein verändern oder/und <strong>das</strong> Unterbewusstsein beeinflussen. Bei der<br />

Beh<strong>an</strong>dlung depressiver Patienten, stellt die Musiktherapie ein wertvolles<br />

Beh<strong>an</strong>dlungskonzept dar. Bei der Musiktherapie im Rahmen einer<br />

Depressionsbeh<strong>an</strong>dlung sollten aber traurige Werke vermieden werden. Trotz aller<br />

Erfolge der Musiktherapie stellt diese jedoch nur einen Baustein im Kontext der<br />

Gesamtbeh<strong>an</strong>dlung dar. Sie sollte deshalb n<strong>ich</strong>t als alternatives, sondern als zusätzl<strong>ich</strong>es<br />

Beh<strong>an</strong>dlungsverfahren <strong>an</strong>gesehen werden.<br />

Musiktherapie hilft Menschen dabei, ihre Gefühle auch ohne Worte auszudrücken.<br />

Musik spielt in meinem Leben und <strong>ich</strong> glaube in so zieml<strong>ich</strong> jedem Leben, eine sehr<br />

w<strong>ich</strong>tige Rolle. Ich hatte es oben schon le<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>gedeutet, wo uns Musik im Leben<br />

begleitet und jetzt möchte <strong>ich</strong> genauer darauf eingehen. Musik ist etwas so tolles und<br />

besonderes, jedoch ist ihr größter Vorteil auch gle<strong>ich</strong>zeitig ihr größter Nachteil. Durch<br />

die Musik wird eine bestimmte Stimmung ausgelöst: freudig-erwartungsvoll, aber auch<br />

versunken-nachdenkl<strong>ich</strong> oder demütig. Wir verbinden mit einzelnen Liedern, bestimmte<br />

Geschehnisse und dies k<strong>an</strong>n durchaus auch negativ behaftet sein. Ein Lied, <strong>das</strong> zum<br />

Beispiel auf einer Beerdigung eines geliebten Menschen gespielt wurde, stellt von nun<br />

<strong>an</strong> eine negative Verknüpfung dar, der m<strong>an</strong> wohlmögl<strong>ich</strong> durchgängig aus dem Weg<br />

gehen will. So können negative traumatische Erlebnisse eines Menschen gezielt mit<br />

Klängen, Melodien und Rhythmen wiederbelebt werden. Es gibt sogar Menschen die aus<br />

zu großer Angst, einen Akkord, Melodie oder eben dieses Lied zu hören, Radio oder<br />

ähnl<strong>ich</strong>es meiden.<br />

Wie unterschiedl<strong>ich</strong> die Menschen sind, wird auch bei der Wahl des Musikgenres<br />

während depressiven Schüben deutl<strong>ich</strong>.


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Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt


Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt Seite 209<br />

M<strong>an</strong>chen hilft es, wenn es ihnen schlecht geht, sog. "Gute-Laune-Musik" zu hören,<br />

damit s<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Positive der Musik auf sie überträgt. Andere kommen s<strong>ich</strong> dabei verarscht<br />

vor, sie fühlen s<strong>ich</strong> von der Musik unverst<strong>an</strong>den und hören d<strong>an</strong>n lieber<br />

mel<strong>an</strong>cholische/traurige Musik. Halten wir also fest, Musik k<strong>an</strong>n helfen, wenn m<strong>an</strong><br />

weinen möchte, es aber – warum auch immer – in diesem Moment n<strong>ich</strong>t k<strong>an</strong>n oder<br />

wenn m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> ein bisschen aus dem Tief holen möchte.


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Wenn die Hilfe zunächst ausbleibt


Seelenteilung Seite 211<br />

SEELENTEILUNG<br />

Jeder der die Kapitelüberschrift liest, wird s<strong>ich</strong> s<strong>ich</strong>er erst mal denken, was soll denn<br />

<strong>das</strong>?<br />

Ich bin mir aber s<strong>ich</strong>er, <strong>das</strong>s es einige geben wird, die meinen Ged<strong>an</strong>keng<strong>an</strong>g und auch<br />

<strong>das</strong> Wort Seelenteilung nach diesem Kapitel nachvollziehen können oder gar feststellen,<br />

<strong>das</strong>s sie in gle<strong>ich</strong>er Weise h<strong>an</strong>deln.<br />

Bei einer neuen Liebe gibt m<strong>an</strong> ja dem Anderen n<strong>ich</strong>t nur ein Stück seines Herzen,<br />

sondern m<strong>an</strong> "platziert" in diesem Menschen Hoffnung, Liebe und Vertrauen. Denkt<br />

m<strong>an</strong> jetzt <strong>an</strong> einen Depressiven, ist es ein Schutzzauber. Er wird <strong>an</strong>gewendet, wenn m<strong>an</strong><br />

keine Freunde oder Familie hat, die für ihn einen Patronus sprechen oder <strong>das</strong> <strong>L<strong>ich</strong>t</strong><br />

<strong>an</strong>machen.<br />

Schauen wir uns die Harry Potter Gesch<strong>ich</strong>te <strong>an</strong>, wird dort ein Horkrux vom Bösen<br />

erschaffen, um Unsterbl<strong>ich</strong>keit zu erre<strong>ich</strong>en. Lord Voldemort spaltet seine Seele durch<br />

einen Mord und dem entsprechenden Zauberspruch. Er teilt seine Seele und jeder<br />

Seelensplitter wird in einem Artefakt versteckt. Erst wenn alle Seelenteile vern<strong>ich</strong>tet<br />

sind, k<strong>an</strong>n er getötet werden.<br />

Stellt euch vor, <strong>das</strong>s für die Erstellung eines Horkruxes kein Mord erforderl<strong>ich</strong> ist. Stellt<br />

euch vor, ihr könntet ihn einfach so machen.<br />

Ich habe mir einen Horkrux gemacht. Nein, <strong>ich</strong> brachte niem<strong>an</strong>den dafür um! Ich tat es,<br />

weil <strong>ich</strong> als Depressiver einfach äußerst verwundbar war.<br />

Irgendw<strong>an</strong>n teilte <strong>ich</strong> bewusst oder unbewusst meine Seele, <strong>ich</strong> steckte die Seelenteile<br />

in verschiedene Dinge. Das können Sachen wie z.B. alte Gebäude, Freunde,<br />

Familienmitglieder, Infrastruktur, Erinnerungsstücke, Haustiere, TV-Serien,<br />

Kleidungsstücke, ehemalige Klassenkameraden, Harry Potter Saga oder Fotos sein,<br />

eigentl<strong>ich</strong> ist dem keine Grenze gesetzt. So versuchte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> zu schützen. Wurde ein<br />

Haus abgerissen oder als die Harry Potter Saga zu Ende war, spürte <strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> einen<br />

Verlust, als würde mir ein Stück Seele weggerissen werden.<br />

Fahre <strong>ich</strong> durch die Orte meiner Kindheit und sehe, was s<strong>ich</strong> dort alles verändert, nimmt<br />

m<strong>ich</strong> <strong>das</strong> sehr mit. Die Veränderung muss noch n<strong>ich</strong>t einmal schlecht sein, es geht nur<br />

um den Verlust des Alten.<br />

Letztens fuhr <strong>ich</strong> mal wieder durch die Gegend und während <strong>ich</strong> durch die mir einstmals<br />

so vertrauten und mit Erinnerungen geschmückten Straßen kam, war es diesmal


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Seelenteilung


Seelenteilung Seite 213<br />

irgendwie niederschmetternd. Es war, als würde m<strong>an</strong> meine Verg<strong>an</strong>genheit auslöschen,<br />

weil einige Häuser und Bere<strong>ich</strong>e nun völlig <strong>an</strong>ders aussehen.<br />

Als <strong>ich</strong> kürzl<strong>ich</strong> einkaufen war, habe <strong>ich</strong> eine Flasche Mezzo-Mix gesehen. Gut<br />

zugegeben, <strong>das</strong> ist nun n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> bahnbrechend, als <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es hier erwähnen<br />

müsste. Allerdings bemerkte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> neue "Old School Logo" der Flasche. Es war ein<br />

Gefühl, als hätte <strong>ich</strong> etwas aus der alten Zeit zurückgewonnen. Ich meine, Flasche bleibt<br />

Flasche, aber es flammten damit Erinnerungen der Verg<strong>an</strong>genheit auf, die durchaus<br />

positiv waren. Irgendwie fühlte es s<strong>ich</strong> wie ein zurückgewonnener Horkrux <strong>an</strong>.<br />

Egal welche Methode wir für uns auch <strong>an</strong>wenden, sie ähneln s<strong>ich</strong> im Kern einer Sache.<br />

Wir müssen unsere Welten wieder aufbauen und zusammenhalten, wenn wir überleben<br />

wollen und hier und da bekommen wir einen Helfer.


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Seelenteilung


Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> Seite 215<br />

FREMDE MACHT FÜR DAS IMMER FREMDER WERDENDE ICH<br />

"Mach sie n<strong>ich</strong>t schlechter als sie sind", wozu sollte diese Aussage mehr passen, als zu<br />

dem Thema Medikamente.<br />

Medikamente genießen insgesamt einen durchwachsenen Ruf bei der Thematik<br />

Depression und dies n<strong>ich</strong>t zuletzt wegen ihren komplizierten Namen, den sie der<br />

Zusammensetzung der verschiedenen Stoffe verd<strong>an</strong>ken. Die Endung des Namens ist die<br />

einzelne Kategorie in der <strong>das</strong> Heilmittel beheimatet ist. Ich bin überzeugt, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong><br />

ihnen vielle<strong>ich</strong>t einfachere Namen, wie z.B. "Durchbruch-direkt-Pille" oder<br />

"Sorglos-Pille", geben sollte.<br />

Es gibt in erster Linie Antidepressiva zur Stärkung stabiler Gefühlslagen. Jedoch muss<br />

m<strong>an</strong> auch g<strong>an</strong>z klar sagen, <strong>das</strong>s eine Nebenwirkung der Antidepressiva unter <strong>an</strong>derem<br />

auch Depressionen oder ein verstärkter Ged<strong>an</strong>ke <strong>an</strong> Selbstmord sein können. Aber wer<br />

liest s<strong>ich</strong> denn schon den Beipackzettel durch? Klar gibt es einige, keine Frage, aber es<br />

ist n<strong>ich</strong>t der St<strong>an</strong>dard. Fairerweise muss m<strong>an</strong> sagen, <strong>das</strong>s auch Antibiotika und die "Pille"<br />

als Nebenwirkung zu Depressionen führen können.<br />

Ich möchte hier gar n<strong>ich</strong>t genauer auf die Wirkung und den Prozess der jeweiligen<br />

Medikamente eingehen, denn damit würde <strong>ich</strong> in einen wissenschaftl<strong>ich</strong>en Schreibstil<br />

wechseln und <strong>das</strong> ist ja n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> Ziel dieses Buches.<br />

Die Betroffenen haben die Sorge, <strong>das</strong>s sie durch die Einnahme der Antidepressiva in eine<br />

gewisse Abhängigkeit oder Entmündigung geraten. Beim Antidepressivum spr<strong>ich</strong>t der<br />

Arzt n<strong>ich</strong>t von einer Tablettenabhängigkeit. Das stimmt. Aber meiner Meinung nach ist<br />

<strong>das</strong> nur eine Seite der Medaille, denn es gibt auch den Ged<strong>an</strong>ken, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

mehr traut, den Tag ohne diese Dinger zu bewältigen. Ist <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t auch eine gewisse<br />

Abhängigkeit?!<br />

Kennt ihr es auch, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> erste Medikament n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> r<strong>ich</strong>tige für euch war? Es hatte<br />

deutl<strong>ich</strong>e Nebenwirkungen oder schlug gar n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>, obwohl es euer<br />

Hauptnahrungsmittel war. Ihr fühlt euch ein wenig wie ein Versuchsk<strong>an</strong>inchen. Aber <strong>ich</strong><br />

k<strong>an</strong>n euch da beruhigen, <strong>das</strong> ist völlig normal. Es braucht einfach Zeit, <strong>das</strong> für euch<br />

passende Medikament zu finden.<br />

Bei schwereren Fällen der Depression, die nahezu in Angst- oder P<strong>an</strong>ikzustände<br />

übergehen, werden zusätzl<strong>ich</strong>e Beruhigungsmittel wie Atosil und Tavor verordnet. Ich<br />

nenne auch nur die beiden, weil <strong>ich</strong> sie kenne. Aus meiner Erfahrung mit einer höheren<br />

Tavor Dosis k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> euch sagen, <strong>das</strong>s es, je nach Dosis, ein Gefühl ist, als könntet ihr<br />

euren eigenen Sabber n<strong>ich</strong>t stoppen und ihr spürt quasi n<strong>ich</strong>ts. Irgendwie seid ihr


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> Seite 217<br />

abgeschaltet. Bei Atosil wurde mir hingegen gesagt, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> einen Fressflash haben<br />

k<strong>an</strong>n. Zudem macht Tavor auch recht schnell abhängig, daher wird es nur in Notfällen<br />

vereinzelt eingesetzt. Im Gegensatz zu Antidepressiva braucht es keinen<br />

Wirkungszeitraum von Tagen oder Wochen sondern wirkt sofort.<br />

Bei einigen Menschen löst die Einnahme eines Medikaments ein psychologisches<br />

Grundproblem aus. Mit der Verwendung von Arzneimitteln pfuscht m<strong>an</strong> der Natur<br />

zweifelsohne ins H<strong>an</strong>dwerk und holt s<strong>ich</strong> "fremde Mächte" zu Hilfe, die ein Eigenleben<br />

entwickeln. Die Folgen sind wie oben schon <strong>an</strong>fängl<strong>ich</strong> beschrieben, Schuldgefühle,<br />

Ängste, Nebenwirkungen. Solltet ihr euch mal dazu entschließen, die Tabletten<br />

abzusetzen, so lasst sie l<strong>an</strong>gsam ausschle<strong>ich</strong>en und nur unter ärztl<strong>ich</strong>er Kontrolle, denn<br />

m<strong>an</strong> ahnt ja gar n<strong>ich</strong>t, was da alles schief gehen könnte. Es ist schließl<strong>ich</strong> eine drastische<br />

Umstellung für den Körper.<br />

Liest m<strong>an</strong> diesen Text, könnte m<strong>an</strong> zu der Überzeugung kommen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> davon abrate,<br />

Medikamente zu nehmen. Dem ist aber g<strong>an</strong>z und gar n<strong>ich</strong>t so. Antidepressiva sowie<br />

Beruhigungsmittel haben die Aufgabe, d<strong>ich</strong> aus dem Ged<strong>an</strong>kenkarussell aussteigen zu<br />

lassen. Ohne sie hast du die gefühlsmäßige Stabilität einer Pusteblume, sonst wärst du<br />

jetzt n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> diesem Punkt. Ein gutes Gefühl bei der Einnahme von Medikamenten ist<br />

kein zu unterschätzender w<strong>ich</strong>tiger Baustein für die weitere Therapie. Die Medikamente<br />

dienen als Unterstützer für die Arbeit der Ärzte, Psychologen und Psychiater. Doch es<br />

wird niem<strong>an</strong>d gezwungen etwas einzunehmen, <strong>das</strong> sollte m<strong>an</strong> nie vergessen.<br />

Jedem Depressiven dürfte <strong>das</strong> Gefühl "<strong>ich</strong> schaffe es heute n<strong>ich</strong>t zum Arzt” bek<strong>an</strong>nt<br />

vorkommen. Um weiter kr<strong>an</strong>kgeschrieben zu werden oder Medikamente zu bekommen,<br />

muss m<strong>an</strong> hin. Es k<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t jeder d<strong>an</strong>n aufrappeln und schon wird er vom System<br />

quasi geschluckt und ausgespuckt, weil er es versäumt hat, der Kr<strong>an</strong>kenkasse rechtzeitig<br />

eine Kr<strong>an</strong>kmeldung vorzulegen. Natürl<strong>ich</strong> gibt es auch kul<strong>an</strong>te Kr<strong>an</strong>kenkassen, die<br />

hierbei die Augen zudrücken, doch <strong>das</strong> Gesetz würde ihnen Recht geben. Profitgier ist in<br />

diesem Fall <strong>das</strong> Zauberwort, sie sind n<strong>ich</strong>t mehr verpfl<strong>ich</strong>tet, Kr<strong>an</strong>kengeld zu zahlen. Auf<br />

der Arbeit ist es in den meisten Fällen auch so, <strong>das</strong>s eine verspätete Kr<strong>an</strong>kmeldung eine<br />

Abmahnung bedeutet. Die Betroffenen machen <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t mit Abs<strong>ich</strong>t, sie haben so<br />

schon stets <strong>das</strong> Gefühl, s<strong>ich</strong> bei der g<strong>an</strong>zen Welt entschuldigen zu müssen. Sie sind<br />

einfach n<strong>ich</strong>t in der Lage zum Arzt zu gehen.<br />

Am Anf<strong>an</strong>g meines Buches habe <strong>ich</strong> ja geschrieben, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> dem Arzt endl<strong>ich</strong> seine<br />

Kr<strong>an</strong>kheit verkaufen konnte, doch wenn m<strong>an</strong> noch keinen Psychologen hat, sondern nur<br />

einen "stinknormalen" Hausarzt, ist es jedes Mal eine Verkaufsshow. Menschen mit<br />

Depressionen sind n<strong>ich</strong>t verrückt - zumindest n<strong>ich</strong>t verrückter als normale Menschen.<br />

Sie haben es aber bedeutend schwerer. Bei jeder körperl<strong>ich</strong>en Kr<strong>an</strong>kheit ist es ein


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> Seite 219<br />

Le<strong>ich</strong>tes, s<strong>ich</strong> für ein paar Tage kr<strong>an</strong>k zu melden. Aber habt ihr schon mal versucht, euch<br />

wegen Depressionen "freizunehmen"?<br />

Genau.<br />

M<strong>an</strong> schämt s<strong>ich</strong>, immer wieder <strong>an</strong>kommen zu müssen und ber<strong>ich</strong>ten zu müssen, <strong>das</strong>s<br />

die Tage/Wochen/ Monate zuvor n<strong>ich</strong>t ausre<strong>ich</strong>ten und m<strong>an</strong> immer noch keinen neuen<br />

St<strong>an</strong>d beim Spezialarzt hat. Irgendw<strong>an</strong>n ist auch deren Verständnis aufgebraucht und<br />

<strong>das</strong> ist der Punkt, vor dem m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> so fürchtet. Wenn der Arzt näml<strong>ich</strong> sagt: "Nein, <strong>ich</strong><br />

schreibe sie n<strong>ich</strong>t weiter kr<strong>an</strong>k" und m<strong>an</strong> selber genau fühlt, <strong>das</strong>s ein normaler<br />

Arbeitstag n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong> ist. Leider erholt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> von seinen Depressionen n<strong>ich</strong>t<br />

einfach so von heute auf morgen. Gerade bei einer schweren Depression muss m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong><br />

erst einmal wieder <strong>an</strong> grundlegende Dinge gewöhnen und sein Durchhaltevermögen<br />

g<strong>an</strong>z neu aufbauen. Es ist keine Übertreibung, wenn <strong>ich</strong> sage, <strong>das</strong>s es bereits unglaubl<strong>ich</strong><br />

schwer ist, einfach nur eine Dose Ravioli aufzumachen und s<strong>ich</strong> damit "durchzufüttern".<br />

Die Stärken nach und nach wieder aufbauen zu müssen, wird einer der frustrierendsten<br />

Prozesse, die m<strong>an</strong> durchmachen muss. Ich höre jetzt schon alle Depressiven aufseufzen,<br />

aufgrund der Auss<strong>ich</strong>t, was vor ihnen liegt, denn so reagierte bisher jeder.<br />

Ich kämpfe m<strong>an</strong>chmal auch heute noch mit völlig alltägl<strong>ich</strong>en Dingen, obwohl <strong>ich</strong> bereits<br />

vor mehr als einem Jahr aus dem Kr<strong>an</strong>kenhaus entlassen worden bin. Es fällt mir des<br />

Öfteren noch immer schwer zu kochen, Kontakt via WhatsApp zu halten, m<strong>ich</strong> um m<strong>ich</strong><br />

selbst zu kümmern, Sport zu machen, m<strong>ich</strong> mit <strong>an</strong>deren Menschen zu treffen oder<br />

etwas zu unternehmen. Es sind auch so einfache Dinge wie Haare waschen, Haare<br />

kämmen, Müll raus bringen und rasieren, die m<strong>an</strong>ch ein depressiver Mensch auf einmal<br />

n<strong>ich</strong>t mehr hinbekommt. Nun auch mal Butter bei die Fische, es sind auch hygienische<br />

Sachen dabei, die du mal einen Zeitraum n<strong>ich</strong>t hinbekommst wie Duschen, Zähneputzen<br />

oder M<strong>an</strong>iküre. Es ist unglaubl<strong>ich</strong> nervig. Warum k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> diese Aufgaben n<strong>ich</strong>t einfach<br />

erledigen, so wie alle <strong>an</strong>deren auch? M<strong>an</strong>che Sachen sind in Sekunden erledigt, aber<br />

dein Körper scheint s<strong>ich</strong> dem schwachen Signal des Gehirns zu widersetzen. Es ist als<br />

würde er Sperren err<strong>ich</strong>ten. Selbst wenn du dar<strong>an</strong> vorbei gehen k<strong>an</strong>nst, sobald du den<br />

Fokus darauf r<strong>ich</strong>test, setzt es bei dir aus. Jeder von uns hatte doch bereits eine Grippe.<br />

M<strong>an</strong> hat Fieber und Gliederschmerzen. M<strong>an</strong> möchte etwas tun und k<strong>an</strong>n es n<strong>ich</strong>t, weil<br />

alles weh tut oder m<strong>an</strong> seine Ged<strong>an</strong>ken n<strong>ich</strong>t l<strong>an</strong>ge genug auf die Umgebung lenken<br />

k<strong>an</strong>n. So ähnl<strong>ich</strong> fühlt es s<strong>ich</strong> bei einer Depression <strong>an</strong>.<br />

Ich habe keine Probleme damit, m<strong>ich</strong> zum Aufräumen aufzuraffen. Ich habe mir<br />

jahrel<strong>an</strong>g eingeimpft, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ja n<strong>ich</strong>t weiß, ob <strong>ich</strong> Morgen noch lebe und <strong>ich</strong> will n<strong>ich</strong>t,<br />

<strong>das</strong>s die Menschen, die m<strong>ich</strong> finden, in eine dreckige Wohnung gehen müssen. Gle<strong>ich</strong>es<br />

gilt auch für <strong>das</strong> Einkaufen. Ich gehe jeden Tag einkaufen, damit <strong>ich</strong> keine Lebensmittel


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> Seite 221<br />

verschwende und die, die meine Wohnung irgendw<strong>an</strong>n ausräumen müssen, n<strong>ich</strong>t so viel<br />

zum wegschmeißen haben.<br />

Stehe <strong>ich</strong> morgens vor dem Spiegel, sehe <strong>ich</strong> die Falten, sehe <strong>ich</strong> meinen viel zu l<strong>an</strong>gen,<br />

ungepflegten Bart und meine zu l<strong>an</strong>gen Haare. Es ist wie eine körperl<strong>ich</strong>e Resignation,<br />

aber vom Geist hervorgerufen. Das werden wohl einige kennen. Du gehst aber so<br />

zunächst auch n<strong>ich</strong>t vor die Tür. Aber <strong>das</strong> ist wie mit dem "Jogginghosen Radius". Ich<br />

habe damals nur Zuhause Jogginghose <strong>an</strong>gehabt und konnte mir n<strong>ich</strong>t vorstellen, weiter<br />

damit zu gehen. Irgendw<strong>an</strong>n ging <strong>ich</strong> so zum Briefkasten, darauf zum Kiosk/Bäcker um<br />

die Ecke, d<strong>an</strong>ach zum spazieren und schlussendl<strong>ich</strong> ging <strong>ich</strong> damit auch einkaufen und<br />

erledigte auch alltägl<strong>ich</strong>e Dinge darin. Die Frage nach dem Warum ist schnell<br />

be<strong>an</strong>twortet, denn in einer Jogginghose fühlt m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> le<strong>ich</strong>ter, lockerer und wohler,<br />

und so ein Tag mit Menschen, der perm<strong>an</strong>ent <strong>an</strong>strengend ist, bedarf genau so etwas.<br />

Jedes Aufbrezzeln, Alltagstaugl<strong>ich</strong>, ja meinetwegen auch S<strong>an</strong>ierung, kommen einem wie<br />

eine aufgelegte Fassade vor, dem d<strong>an</strong>n ein Lächeln und etc. folgen muss. G<strong>an</strong>z<br />

abgesehen vom diesem Gezuppel, damit die guten Klamotten auch perfekt sitzen.<br />

Die Depression isoliert einen Menschen, dies k<strong>an</strong>n s<strong>ich</strong> sogar zu einer Kontaktphobie<br />

ausweiten. Selbst ein Anruf ist in d<strong>an</strong>n m<strong>an</strong>chen Momenten einfach zu viel. Neben dem<br />

persönl<strong>ich</strong>en Umfeld ist es s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch deswegen eine schwierige Situation für den<br />

Arbeitgeber und sorgt eventuell bei den <strong>an</strong>deren Angestellten für schlechtes Klima. Die<br />

beste Lösung erscheint aus der S<strong>ich</strong>t des Arbeitgebers nach Abmahnungen, die Person<br />

zu kündigen und s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t genauer zu erkundigen, wieso die Person mit einem Mal so<br />

reagiert. M<strong>an</strong> muss s<strong>ich</strong> doch nur die Zahlen <strong>an</strong>schauen und schon wird einem<br />

irgendwie klar, m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n durch die Kündigung dieses eine Problem lösen, aber es wird<br />

zukünftig immer mehr Menschen mit Depressionen geben. Vielle<strong>ich</strong>t wäre es für viele<br />

Arbeitgeber hilfre<strong>ich</strong> und interess<strong>an</strong>t s<strong>ich</strong> bei den Kr<strong>an</strong>kenkassen oder gar auf der Seite<br />

der Robert Enke Stiftung zu informieren. So könnten sie in Erfahrung bringen, wie m<strong>an</strong><br />

sinnvoll mit der Kr<strong>an</strong>kheit umgeht. Es wäre eine Investition in die Zukunft.<br />

Auf den Internetseiten der Kr<strong>an</strong>kenkassen und der Robert-Enke-Stiftung finden s<strong>ich</strong><br />

Telefonnummern, die m<strong>an</strong> nutzen k<strong>an</strong>n um weitere Informationen zur Depression zu<br />

erhalten.<br />

Menschen, die den Verdacht haben, sie könnten unter Depressionen leiden, können auf<br />

der Seite der Robert-Enke-Stiftung auch einen kostenlosen Selbsttest machen. Dieser<br />

zeigt grob auf, ob du eine depressive Neigung hast und wie stark diese ausgeprägt ist.<br />

Wird bei dem Test festgestellt, <strong>das</strong>s eine depressive Neigung vorh<strong>an</strong>den ist, werden<br />

einem gle<strong>ich</strong> Vorschläge gemacht, wohin m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> wenden k<strong>an</strong>n. Im Jahr 2020, spr<strong>ich</strong> in


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


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n<strong>ich</strong>t mal 2 Jahren, soll Depression die häufigste Erkr<strong>an</strong>kung auf der Welt sein. Jeder 5.<br />

Mensch so heißt es, soll aktuell bereits einmal im Leben <strong>an</strong> Depressionen erkr<strong>an</strong>kt sein.<br />

Derzeit sind ca. 350 Millionen Menschen weltweit <strong>an</strong> Depressionen erkr<strong>an</strong>kt und <strong>das</strong><br />

von ca. 7,5 Milliarden Menschen. Hierbei muss m<strong>an</strong> zwei folgende Sachen bedenken,<br />

näml<strong>ich</strong> <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> bei der Zahl nur von den gemeldeten Kr<strong>an</strong>kheitsfällen spr<strong>ich</strong>t, denn es<br />

gibt Menschen, die noch immer alleine mit s<strong>ich</strong> ringen und von diesen 7,5 Milliarden<br />

muss m<strong>an</strong> Babys und Kleinkinder abziehen.<br />

Ein Blick auf Deutschl<strong>an</strong>d re<strong>ich</strong>t schon, denn es ist kaum mögl<strong>ich</strong> schnell einen<br />

Psychologen oder Psychiater zu finden. Stattdessen kommt m<strong>an</strong> im besten Fall auf eine<br />

Warteliste. Die Depressiven haben einen l<strong>an</strong>gen Leidensweg hinter s<strong>ich</strong>, bevor sie d<strong>an</strong>n<br />

also wirkl<strong>ich</strong> Hilfe bekommen könnten. Klar gibt es Einr<strong>ich</strong>tungen, die bei Notfällen da<br />

wären, doch die Scham, s<strong>ich</strong> als Notfall zu beze<strong>ich</strong>nen, ist zu groß. Auch diese<br />

Anlaufstellen weisen m<strong>an</strong>chmal eine zu geringe Kapazität auf, um neue Erkr<strong>an</strong>kte ohne<br />

Wartezeit zu betreuen. Von Jahr zu Jahr wird es schwieriger, es gibt immer mehr<br />

Depressive. Versteht m<strong>ich</strong> bitte n<strong>ich</strong>t falsch.... <strong>das</strong> ist kein Shitstorm auf die Politik und<br />

<strong>das</strong> Gesundheitswesen, denn im Jahr 2008 wurden 5,2 Milliarden Euro zur Bekämpfung<br />

der Kr<strong>an</strong>kheit Depression ausgegeben. Wie eine Analyse der Bertelsm<strong>an</strong>n–Stiftung zeigt,<br />

werden viele allerdings dennoch unzure<strong>ich</strong>end beh<strong>an</strong>delt – und ja <strong>ich</strong> rede hier immer<br />

noch von Deutschl<strong>an</strong>d. Die Analyse besagt, drei von vier Patienten in Deutschl<strong>an</strong>d, die<br />

<strong>an</strong> einer schweren Depression erkr<strong>an</strong>kt sind, erhalten keine <strong>an</strong>gemessene Therapie.<br />

Mehr als die Hälfte der schwer Depressiven werden unzure<strong>ich</strong>end, 18 Prozent sogar gar<br />

n<strong>ich</strong>t beh<strong>an</strong>delt. Wie hoch die Ch<strong>an</strong>ce auf eine <strong>an</strong>gemessene Therapie ist, hängt n<strong>ich</strong>t<br />

zuletzt vom Wohnort ab. Im Bundesländervergle<strong>ich</strong> erre<strong>ich</strong>en Nordrhein-Westfalen (30<br />

Prozent) und Hessen (29 Prozent) die besten Versorgungsquoten. Schlussl<strong>ich</strong>ter sind<br />

Sachsen-Anhalt (22 Prozent), Thüringen (20 Prozent) und <strong>das</strong> Saarl<strong>an</strong>d (20 Prozent).<br />

Die Menschen mit der Kr<strong>an</strong>kheit fühlen s<strong>ich</strong> daher oft allein gelassen und n<strong>ich</strong>t<br />

verst<strong>an</strong>den. Ich rede hierbei n<strong>ich</strong>t in erster Linie von Freunden, Familie oder so, sondern<br />

viel mehr vom Gesundheitswesen. Es fängt bei der Beschaffung von Medikamenten <strong>an</strong><br />

und geht mit fehlender Ber<strong>ich</strong>terstattung über die Kr<strong>an</strong>kheit Depression weiter. Vor<br />

kurzem habe <strong>ich</strong> bei Pro7 zum ersten Mal einen Spot zum Thema Depression gesehen,<br />

doch seitdem n<strong>ich</strong>t wieder.<br />

Die Beschaffung der Medikamente ist ein besonderes Thema. Was passiert, wenn m<strong>an</strong><br />

s<strong>ich</strong> die Medikamente einfach n<strong>ich</strong>t leisten k<strong>an</strong>n. Das klingt absurd bei 5 Euro<br />

Rezeptgebühr? M<strong>an</strong> darf dabei aber n<strong>ich</strong>t vergessen, <strong>das</strong>s die Depression auch weitere<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen aufblühen lässt. Beispiele sind Essstörungen, Suchterkr<strong>an</strong>kungen oder<br />

<strong>an</strong>dere Fehlfunktionen des Körpers. So werden aus 5 Euro schnell 15 Euro oder mehr.


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


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Hinzu kommt, <strong>das</strong>s bei Essstörungen und Suchterkr<strong>an</strong>kungen <strong>das</strong> Geld sehr knapp wird.<br />

Suchterkr<strong>an</strong>kungen sind n<strong>ich</strong>t auf die Alkohol- oder Drogensucht beschränkt. Ich war<br />

Coca Cola abhängig. R<strong>ich</strong>tig gelesen! So etwas gibt es. Unter 7 Liter am Tag kam es auch<br />

mal vor, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> Entzugserscheinungen hatte. Es gab auch Tage, da war <strong>das</strong> Verl<strong>an</strong>gen<br />

größer, als der Körper es überhaupt vertrug. Es kam aufgrund des vielen Trinkens zum<br />

Erbrechen. Bei Entzug, gab es die typischen körperl<strong>ich</strong>en Anze<strong>ich</strong>en wie kalter Schweiß,<br />

zittrige Hände und extreme Reizbarkeit. Bedenkt m<strong>an</strong> die Kosten, die erforderl<strong>ich</strong> sind,<br />

die Sucht zu befriedigen, klingt es mit einem Mal plausibel, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t <strong>das</strong> Geld hat,<br />

die Rezeptgebühr zu bezahlen.<br />

S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> ist <strong>das</strong> zweifelsohne selbstverschuldet, jedoch weiß jeder, der in einer Sucht<br />

steckt, wie schwer es ist, dieser zu widerstehen. Könnte m<strong>an</strong> widerstehen, wäre es keine<br />

Sucht!<br />

Eine Verbesserung könnte so aussehen, <strong>das</strong>s die Medikamente mit den<br />

Kr<strong>an</strong>kassenbeiträgen gedeckt werden und somit jeder seine Medikamente "kostenlos"<br />

aus den Apotheken abholen k<strong>an</strong>n. Gegebenen<strong>falls</strong> könnte m<strong>an</strong> die<br />

Kr<strong>an</strong>kenkassenbeiträge um ein paar Euro erhöhen und Leuten, die keine Medikamente<br />

im Jahr brauchten, eine <strong>an</strong>teilige Beitragsrückerstattung gewähren.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t muss ein generelles Umdenken stattfinden und <strong>das</strong> Geld <strong>an</strong>ders ausgegeben<br />

werden. Es wird schon viel Geld für den Kampf gegen die Kr<strong>an</strong>kheit investiert, aber es<br />

heißt ja oftmals in der Medizin "viel hilft n<strong>ich</strong>t immer viel”, gerade d<strong>an</strong>n wenn es falsch<br />

<strong>an</strong>gelegt wird.<br />

Ein Vorschlag der den Patienten, die einen stationären Aufenthalt benötigen, entgegen<br />

kommt. Die Kr<strong>an</strong>kenkassen sollten n<strong>ich</strong>t nur eine festgelegte Dauer des<br />

Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalts zahlen, sondern eben so l<strong>an</strong>ge wie es dauert. Es gibt Fälle, die<br />

nur etwas länger gebraucht hätten, als die Genehmigung gere<strong>ich</strong>t hat. Dennoch wurde<br />

die Beh<strong>an</strong>dlung unterbrochen und so mussten sie d<strong>an</strong>n beim nächsten Mal in einem<br />

Kr<strong>an</strong>kenhaus oder mit ihrem Arzt zu Hause weitermachen. Einige mussten d<strong>an</strong>n von<br />

vorne <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen, vor allem, wenn sie zu Hause keinen Arzt hatten. M<strong>an</strong> sollte hier mehr<br />

auf die Kompetenz der Kr<strong>an</strong>kenhäuser vertrauen, dort sind die Fachleute, während die<br />

Sachbearbeiter der Kr<strong>an</strong>kenkasse im besten Fall die Theoretiker sind. Eine bessere und<br />

präsentere Aufklärung zum Thema Depression wäre eben<strong>falls</strong> vom Vorteil. So könnte<br />

m<strong>an</strong> auch über entsprechende Hilfs<strong>an</strong>gebote ber<strong>ich</strong>ten, wenn m<strong>an</strong> dringend Hilfe<br />

benötigt. Viele wissen n<strong>ich</strong>t, wohin sie gehen oder was sie machen sollen und wenden<br />

s<strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n <strong>an</strong> Google. Dort findet m<strong>an</strong> alles zwischen himmelhochjauchzend, zu Tode<br />

betrübt, Wahrheit und Lüge.


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong> Seite 227<br />

Daher mein Appell <strong>an</strong> die Kr<strong>an</strong>kenkassen und den Gesetzgeber, nehmt die Kr<strong>an</strong>kheit<br />

Depression endl<strong>ich</strong> ernst. Helft den Betroffenen durch Informationen und versucht n<strong>ich</strong>t<br />

die Beh<strong>an</strong>dlung der Depression in ein zeitl<strong>ich</strong>es Korsett zu pressen.


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Fremde Macht für <strong>das</strong> immer fremder werdende <strong>ich</strong>


Die Unbelehrbaren Seite 229<br />

BESEITIGUNG VON HORRORSZENARIEN<br />

Ich habe bereits mehrere Kr<strong>an</strong>kenhäuser als Patient und Besucher kennengelernt. Als<br />

Patient war <strong>ich</strong> unter <strong>an</strong>derem in einer psychosomatischen Fachklinik im Norden<br />

Deutschl<strong>an</strong>ds.<br />

Es ist wirkl<strong>ich</strong> ein komisches Gefühl eine Klinik zu empfehlen, denn <strong>das</strong> ist n<strong>ich</strong>t wie mit<br />

einem Film, in dem m<strong>an</strong> es verträumt sagt und es kaum abwarten k<strong>an</strong>n, <strong>das</strong>s derjenige<br />

ihn mal <strong>an</strong>schaut. Aber diese Klinik ist eine Perle und daher k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> sie euch mit reinem<br />

Gewissen empfehlen. Ihr müsst aber wissen, <strong>das</strong>s es dort nur Doppelzimmer gibt. Das<br />

hört s<strong>ich</strong> erstmal n<strong>ich</strong>t gut <strong>an</strong> und so dachte <strong>ich</strong> zunächst auch, es zeigte s<strong>ich</strong> aber, <strong>das</strong>s<br />

es wirkl<strong>ich</strong> gut war, mit einem <strong>an</strong>deren Patienten <strong>das</strong> Zimmer zu teilen.<br />

Die Klinik nimmt ihre Patienten ortsunabhängig auf. So konnte auch <strong>ich</strong> als<br />

H<strong>an</strong>nover<strong>an</strong>er dort hin.<br />

Der Ort <strong>an</strong> s<strong>ich</strong> ist ein Dorf, keine Einkaufsmögl<strong>ich</strong>keiten, keine Straßenbahn, kein Kiosk<br />

sondern nur ein Bus, der stündl<strong>ich</strong> in die Stadt fährt.<br />

Die Anlage best<strong>ich</strong>t mit ihrer einzigartigen charismatischen Erscheinung. Die<br />

W<strong>an</strong>derwege laden auch Bewegungsmuffel jeden Tag aufs Neue zu einem Spazierg<strong>an</strong>g<br />

ein. Klar gibt es dort Einkaufsläden, jedoch befinden sie s<strong>ich</strong> ein Dorf weiter und <strong>das</strong> ist<br />

ca. 4 Kilometer entfernt. Also r<strong>ich</strong>tig schön abgelegen, um einfach mal zur Ruhe zu<br />

kommen. Gerade wenn m<strong>an</strong> in einer lauten Stadt lebt, ist <strong>das</strong> wirkl<strong>ich</strong> mal schön. Die<br />

Mitarbeiter, Therapie<strong>an</strong>gebote und die Vernetzung der Mitarbeiter geben einem <strong>das</strong><br />

Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Die Vernetzung bezieht s<strong>ich</strong> aber n<strong>ich</strong>t nur auf darauf,<br />

<strong>das</strong>s die linke H<strong>an</strong>d weiß, was die rechte H<strong>an</strong>d macht, m<strong>an</strong> verfügt dort auch über gute<br />

Kontakte, die m<strong>an</strong> für die Zeit nach der Klinik gut gebrauchen k<strong>an</strong>n. Die Mitarbeiter<br />

taten mehr, als in ihrem Arbeitsvertrag st<strong>an</strong>d. Das beginnt bei den Empf<strong>an</strong>gsdamen und<br />

ging über <strong>das</strong> Reinigung-/Küchenpersonal bis zu den Pflegekräften so weiter. Sie blieben<br />

auch nach Feierabend, um dem Patienten zu helfen, den sie gerade betreuten. Sie<br />

signalisieren dir "mir k<strong>an</strong>nst du vertrauen, <strong>ich</strong> bin da, sol<strong>an</strong>ge es dauert und werde<br />

versuchen dir zu helfen". Es gab kaum Ausnahmen, es war die Regel! Ich habe also sehr<br />

positive Erfahrungen mit dem Personal gemacht. Meine volle Hochachtung für diese<br />

Menschen!<br />

Ich erwähne dies, weil <strong>ich</strong> es in einem Kr<strong>an</strong>kenhaus in L<strong>an</strong>genhagen bereits <strong>an</strong>ders<br />

erlebte. M<strong>an</strong> fühlte s<strong>ich</strong> dort als Nummer und <strong>das</strong> herunter gekommene Gebäude<br />

bestätigte dies noch mehr. Auch der Inneneinr<strong>ich</strong>tung konnte m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>ts Positives


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abgewinnen. Ich bin kein pingeliger Mensch, doch da wurden selbst meine Grenzen<br />

überschritten. In diesem Kr<strong>an</strong>kenhaus fielen auch viele Therapien aus. Mitpatienten<br />

rechneten <strong>das</strong> mal vor Ort aus und es war ein Schnitt von fast 70% ausgefallener<br />

Angebote. Nach 4 Wochen hatte m<strong>an</strong> eher den Eindruck Rückschritte gemacht zu<br />

haben. Auf der <strong>an</strong>deren Seite sorgte diese freie Zeit dafür, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> mehr Zeit mit den<br />

Mitpatienten verbrachte und egal in welchen Kr<strong>an</strong>kenhaus, m<strong>an</strong> sollte nie die Magie, die<br />

Wirkung und den Effekt von Mitpatienten auf einen selber außer Acht lassen.<br />

In meiner Anf<strong>an</strong>gszeit in diesem Kr<strong>an</strong>kenhaus sprach <strong>ich</strong>, wie schon l<strong>an</strong>ge zuvor, kein<br />

Wort. Anfängl<strong>ich</strong> nahm <strong>ich</strong> auch <strong>an</strong> keine Phase 10-, Skipbo- oder Uno-Runde teil. Ich<br />

saß verschlossen und abseits am Tisch, während m<strong>ich</strong> Musik aus meinen Kopfhörern<br />

berieselte, und habe geschrieben. Diese Zeilen, die ihr hier gerade lest, wurden von mir<br />

in diesem Moment verfasst. Es kommt mir vor wie gestern und dabei ist es schon eine<br />

l<strong>an</strong>ge Zeit her. Den Mitpatienten schien <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t unbedingt aufzufallen, außer <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

der Neue war, von dem m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>ts wusste, weil m<strong>ich</strong> keiner <strong>an</strong>sprach, <strong>ich</strong> keinen<br />

<strong>an</strong>sprach und m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> nur beiläufig grüßte. Aber da mache <strong>ich</strong> ihnen keinen Vorwurf,<br />

denn <strong>ich</strong> schaute kaum hoch und gab keine Signale, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ein Gespräch führen<br />

möchte. Irgendw<strong>an</strong>n kam Celine, eine Patientin um die Ecke und grüßte m<strong>ich</strong> mit den<br />

Worten: "Hey <strong>ich</strong> bin Celine" als Erste in diesem Gebäude. Ich begegnete ihr nur mit<br />

einem Kopfnicken und einem gequältem verschmitztem Lächeln. Aber diese Person<br />

hatte definitiv einen bleibenden Eindruck auf m<strong>ich</strong> gemacht. Abgesehen davon, <strong>das</strong>s sie<br />

mit der Begrüßung die mit weitem Abst<strong>an</strong>d Freundl<strong>ich</strong>ste war, hatte sie auch ein<br />

strahlendes Lächeln. Ein Lächeln, <strong>das</strong>s d<strong>ich</strong> fasziniert und daher hatte sie von diesem<br />

Moment <strong>an</strong> den Namen Sunny weg.<br />

An einem regnerischen Tag im Oktober, <strong>ich</strong> bin bei Regenwetter immer ein wenig besser<br />

drauf, sah <strong>ich</strong> sie bedrückt aus dem Einzelgesprächsraum kommen. Sie setzte s<strong>ich</strong> <strong>an</strong><br />

einen Tisch und <strong>ich</strong> sah ihre Tränen laufen. Jeder im Aufenthaltsraum sah es, doch<br />

keiner reagierte. Ich habe mit mir gerungen, ob <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t den Aufenthaltsraum verlassen<br />

sollte. Ich k<strong>an</strong>n einfach niem<strong>an</strong>den weinen sehen. Doch d<strong>an</strong>n wäre <strong>ich</strong> genau wie diese<br />

Menschen, die immer wegschauen. Ich appelliere mit meinem Buch zu mehr Hilfe und<br />

gegenseitiger Unterstützung und <strong>ich</strong> bin d<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t bereit zu helfen? In<br />

Sekundenschnelle spielte <strong>ich</strong> in meinem Kopf sämtl<strong>ich</strong>e Szenarien durch, die eintreffen<br />

könnten, wenn <strong>ich</strong> zu ihr ginge. Alle hatten diesen peinl<strong>ich</strong>en Punkt <strong>an</strong> dem <strong>ich</strong> im<br />

Erdboden versinken möchte, weil <strong>ich</strong> eben n<strong>ich</strong>ts sagen konnte und nur schweigend vor<br />

ihr stehen würde. Dennoch setzte s<strong>ich</strong> mein Körper in Bewegung. Intuitiv nahm <strong>ich</strong> noch<br />

einen Kinder Happy Hippo Snack aus meiner Schachtel und ging auf direkten Weg auf sie<br />

zu. Je näher <strong>ich</strong> ihr kam, umso kürzer wurden meine Schritte. Es fehlte nur noch, <strong>das</strong>s


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Die Unbelehrbaren


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<strong>ich</strong> <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen würde in Tippelschritten zu gehen. Irgendw<strong>an</strong>n st<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> d<strong>an</strong>n vor ihr und<br />

<strong>ich</strong> sagte mir immer wieder, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> eine saublöde Idee war. Als <strong>ich</strong> einen Rückzieher<br />

machen wollte, blickte sie auf. Mit einer Mischung aus hoffen, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> ihr den Schmerz<br />

des Moments nehmen k<strong>an</strong>n und einem le<strong>ich</strong>t aggressiven Touch fragte sie m<strong>ich</strong>: "ja?".<br />

Meine Lippen bibberten und m<strong>an</strong> sah mir <strong>an</strong>, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> sprechen wollte, nur n<strong>ich</strong>t wusste<br />

welche Worte <strong>ich</strong> benutzen sollte. Die Aufregung stieg ins unermessl<strong>ich</strong>e und mit einem<br />

Mal hielt <strong>ich</strong> ihr den Snack entgegen und fragte: "möchtest du einen Kinder Happy<br />

Hippo Snack?". Mit einem Mal wurde es still im Saal, denn sie hörten m<strong>ich</strong> <strong>das</strong> erste Mal<br />

reden und auch <strong>ich</strong> war erschrocken, denn <strong>ich</strong> hatte meine Stimme g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders in<br />

Erinnerung.<br />

Sie sah zieml<strong>ich</strong> ernst aus, da <strong>ich</strong> die Situation und was nun passieren würde n<strong>ich</strong>t r<strong>ich</strong>tig<br />

einschätzen konnte, sagte <strong>ich</strong> ihr "Nach einem Regen kommt ein Sonnenschein". Mit<br />

einem Mal fängt sie <strong>an</strong> zu lächeln und sagt mir wie süß <strong>das</strong> sei von mir. D<strong>an</strong>ach umarmte<br />

sie m<strong>ich</strong> und sie erk<strong>an</strong>nte sofort, <strong>das</strong>s dies auf jeden Fall eine Quälerei für m<strong>ich</strong> war. Sie<br />

sagte mir, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> jetzt jeden Tag mindestens eine Umarmung von ihr bekäme, damit<br />

<strong>ich</strong> Nähe wieder lerne, akzeptiere und vielle<strong>ich</strong>t irgendw<strong>an</strong>n auch wieder liebe.<br />

In der darauffolgenden Zeit nahmen meine Worte pro Tag stetig zu und damit<br />

entst<strong>an</strong>den auch weitere Kontakte. Dennoch konnten diese positiven Kontakte zu<br />

meinen Mitpatienten n<strong>ich</strong>t über die Schwächen des Kr<strong>an</strong>kenhauses hinwegtäuschen.<br />

Medikamente wurden dort n<strong>ich</strong>t ausführl<strong>ich</strong> besprochen, sondern eher als<br />

"alternativlos" kommuniziert, dabei hatte <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mal eine Therapiestunde. Ich habe<br />

die Medikamenteneinnahme verweigert, n<strong>ich</strong>t weil <strong>ich</strong> den Medikamenten kritisch<br />

gegenüber stehe, sondern weil <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t r<strong>ich</strong>tig informiert fühlte. Dieses Problem<br />

hatten auch einige <strong>an</strong>dere Patienten. So etwas ist mir in keiner <strong>an</strong>deren Klinik passiert.<br />

Die Mitarbeiter ließen ihren Frust in Form verbaler Ergüsse <strong>an</strong> den Patienten aus und<br />

zerstörten so nach und nach Grundlage für eine vertrauensvolle Arbeit <strong>an</strong> der<br />

Erkr<strong>an</strong>kung.<br />

Aufgrund dieser Erfahrungen konnte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in der Fachklinik zunächst n<strong>ich</strong>t auf <strong>das</strong><br />

Therapie<strong>an</strong>gebot und auch die Mitpatienten einlassen.<br />

Das Therapie<strong>an</strong>gebot war zu meiner Überraschung sehr ausgewogen und durchdacht.<br />

Die Überraschung stammt eben aus den Eindrücken aus L<strong>an</strong>genhagen. Haupt<strong>an</strong>gebote,<br />

die zum "Pfl<strong>ich</strong>tprogramm" gehörten, waren in der Woche: 2-mal Gruppentherapie,<br />

einmal Visite, 2-mal Patientenversammlung, 2-mal Kunsttherapie, 2-mal Frühsport,<br />

3-mal Einzelgespräch, einmal PMR (Progressiv-Muskelentsp<strong>an</strong>nung), einmal Qigong<br />

(Meditations-, Konzentrationsform zur Kultivierung von Körper und


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Geist), einmal therapeutisches Boxen, einmal Gruppenkochdienst (sofern m<strong>an</strong> laut Pl<strong>an</strong><br />

dr<strong>an</strong> war), einmal autogenes Training (Entsp<strong>an</strong>nungsverfahren), einmal<br />

Bezugsschwestern-Gespräch und ein- bis 2-mal physikalische Therapie (Massagen,<br />

F<strong>an</strong>gopackung, Entsp<strong>an</strong>nungsbad). Dazu konnte m<strong>an</strong> auf freiwilliger Basis auch noch<br />

viele zusätzl<strong>ich</strong>e Therapie<strong>an</strong>gebote wahrnehmen. Beispielhaft gen<strong>an</strong>nt Fitness<br />

le<strong>ich</strong>t/mittel/schwer, Walken, heilsames Singen, Ergometer fahren,<br />

Ernährungsberatung, offene Werkstatt, Kulturabend (Ausflüge, teambildende<br />

Maßnahmen mit einer Anzahl freiwilliger Patienten).<br />

Ich möchte euch auch davon erzählen, was es heißt, in ein Kr<strong>an</strong>kenhaus zu gehen, um<br />

einfach mal Horrorvisionen zu korrigieren, denn viele sind der Meinung, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong><br />

eingesperrt oder <strong>an</strong>s Bett geschnallt wird. Das ist falsch! Du k<strong>an</strong>nst jederzeit die Klinik<br />

verlassen, du wirst n<strong>ich</strong>t entmündigt und musst n<strong>ich</strong>ts einnehmen was du n<strong>ich</strong>t willst.<br />

Du suchst dir eine Klinik aus dem Netz oder du lässt dir eine von deinem Arzt oder der<br />

Kr<strong>an</strong>kenkasse vorschlagen. Meistens werden dir d<strong>an</strong>n Kr<strong>an</strong>kenhäuser aus deinem<br />

Einzugsgebiet <strong>an</strong>geboten. Je weiter die Klinik von meinem Wohnort entfernt ist, desto<br />

besser fühlt es s<strong>ich</strong> für m<strong>ich</strong> <strong>an</strong>. M<strong>an</strong> hat einfach keinen Heimvor- oder Nachteil.<br />

Nachdem m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> grundsätzl<strong>ich</strong> für eine Klinik entschieden hat, ruft m<strong>an</strong> in der Klinik<br />

<strong>an</strong> und erbittet die Zusendung der Anmeldeformulare. Werden sie schon Online<br />

<strong>an</strong>geboten, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> sie ausdrucken und d<strong>an</strong>n ausfüllen. Nach dem Ausfüllen schickst<br />

du diese <strong>an</strong> <strong>das</strong> Kr<strong>an</strong>kenhaus zurück und wartest bis dir die Klinik einen Termin nennt.<br />

Dieser Termin bedeutet n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s du d<strong>an</strong>n gle<strong>ich</strong> in die Klinik kommst, sondern du<br />

fährst zu einem Kennenlern-Termin hin. Du lernst meistens die ersten Mitarbeiter<br />

kennen, auf die du stoßen wirst. Ihr redet zunächst ein wenig. Wenn m<strong>an</strong> m<strong>ich</strong> fragt ist<br />

die erste Frage eigentl<strong>ich</strong> immer die schwierigste. Sie lautet zu meist weswegen sind sie<br />

hier?! Das Arschloch in mir, würde am liebsten <strong>an</strong> der Stelle immer wieder sagen, Urlaub<br />

und Essen aus der K<strong>an</strong>tine. Doch dafür ist der Moment und du selber einfach zu<br />

<strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nt, als <strong>das</strong>s du Witz und Charme mit einbauen könntest. Es folgen noch <strong>an</strong>dere<br />

Fragen, wo sie nach der Ursache fragen, was dein Ziel sei nach und mit der Klinik, nach<br />

Suizid, und natürl<strong>ich</strong> nach den allgemeinen Sachen wie Name, Vorname etc.<br />

M<strong>an</strong>che Kr<strong>an</strong>kenhausmitarbeiter führen d<strong>ich</strong> noch einmal herum und zeigen dir<br />

Essenssaal, Cafeteria, Bücherei und sonstige Örtl<strong>ich</strong>keiten die für d<strong>ich</strong> w<strong>ich</strong>tig sind. G<strong>an</strong>z<br />

w<strong>ich</strong>tig! Das positive Wohlbefinden jedes Einzelnen sollte durch eine <strong>an</strong>genehme<br />

optische Atmosphäre gegeben sein, damit <strong>das</strong> überzeugte Gefühl zur Therapie n<strong>ich</strong>t<br />

verloren geht.


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Leider findet m<strong>an</strong> auch mal Kr<strong>an</strong>kenhäuser, wie <strong>das</strong> von mir beschriebene, in einem<br />

schlechten Zust<strong>an</strong>d vor, <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s die Möbel zum Beispiel zieml<strong>ich</strong> ramponiert sind<br />

und alles so veraltet, vergilbt und versifft ist, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> einfach n<strong>ich</strong>t wohl fühlt.<br />

Auch mit einem überragendem Therapie<strong>an</strong>gebote könntest du einfach n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>kommen.<br />

Gerade <strong>das</strong> zu Anf<strong>an</strong>g vorh<strong>an</strong>dene Gefühl "hier weg zu müssen", wird dadurch nochmal<br />

verstärkt.<br />

Bei dem Rundg<strong>an</strong>g, wird dir kein Kr<strong>an</strong>kenhaus ein Zimmer zeigen, da dieses ein Eingriff<br />

in die Privatsphäre der <strong>an</strong>deren Patienten wäre. M<strong>an</strong> muss bedenken, <strong>das</strong>s jeder Patient<br />

sein Zimmer und die Station als s<strong>ich</strong>ere Zone sehen muss, die er kontrollieren k<strong>an</strong>n und<br />

mit einem fremden Besuch, ist dies n<strong>ich</strong>t mehr gegeben. Jeder Fremde oder gar der<br />

eigene Besuch wäre ein Eindringling. Nach dem Rundg<strong>an</strong>g hast du und die Klinik die<br />

Wahl, ob du auf eine Warteliste willst. 1 bis 2 Wochen bevor die Therapie beginnen<br />

würde, bekommst du einen Anruf aus der Klinik. Nach dem eben beschriebenen<br />

"Vorgespräch" könnte s<strong>ich</strong> bei dir innerl<strong>ich</strong> etwas auftun, was du schon l<strong>an</strong>ge n<strong>ich</strong>t mehr<br />

k<strong>an</strong>ntest, näml<strong>ich</strong> eine Art von Aufbruchsstimmung. Genieß diese!<br />

Aber r<strong>ich</strong>te d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>gsam den Blick auf die Vorbereitung. Was k<strong>an</strong>nst du als zukünftiger<br />

Patient zwischen dem Vorgespräch und der tatsächl<strong>ich</strong>en Aufnahme tun? Du k<strong>an</strong>nst dir<br />

Personen suchen, die Blumen gießen, Tiere versorgen und nach der Post schauen, wenn<br />

du n<strong>ich</strong>t da bist. Auch wenn die Wartezeit bei 4 bis 6 Monaten liegt, erledige <strong>ich</strong> <strong>das</strong> am<br />

liebsten immer sofort, denn wer weiß was da alles zwischen kommen k<strong>an</strong>n. Zudem<br />

k<strong>an</strong>nst du zu deiner Kr<strong>an</strong>kenkasse gehen und einen Antrag auf Zuzahlungsbefreiung<br />

stellen. Dies hat den Vorteil, <strong>das</strong>s du keine Zuzahlung für den Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt<br />

zahlen musst. Die Zuzahlung beträgt 10 Euro pro Tag für maximal 28 Tage, spr<strong>ich</strong> 280<br />

Euro. Durch die Zuzahlungsbefreiung k<strong>an</strong>nst du also Geld sparen.<br />

Vielle<strong>ich</strong>t ist es auch w<strong>ich</strong>tig, dein Umfeld darauf vorzubereiten und nochmal vorher zu<br />

versammeln, um mögl<strong>ich</strong>st mit einem guten Gefühl dorthin zu gehen. Mach ihnen klar,<br />

<strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t erwarten sollten, <strong>das</strong>s du irgendw<strong>an</strong>n wieder kommst und alles ist gut,<br />

denn so ersparst du dir den zusätzl<strong>ich</strong>en Druck.<br />

Ich erzähle euch mal, wie es war als <strong>ich</strong> den Anruf und den Brief aus der Klinik bekam,<br />

<strong>das</strong>s <strong>ich</strong> nun einen festen Termin, <strong>an</strong> dem <strong>ich</strong> stationär aufgenommen werde, hatte.<br />

Endl<strong>ich</strong> ist dieser ersehnte Brief und Anruf gekommen, doch irgendwie rede <strong>ich</strong> mir<br />

gerade selber ein, <strong>das</strong>s es zu einem ungünstigen Zeitpunkt kommt. Ich habe gerade zu<br />

irgendwelchen Terminen zugestimmt und außerdem geht es mir doch gerade recht gut.<br />

Ich spielte in dem Moment sogar mit dem Ged<strong>an</strong>ken den Termin zu verschieben, doch<br />

wenn <strong>ich</strong> die Situation <strong>an</strong>alysiere, wird mir bewusst, <strong>das</strong>s es beim nächsten Mal


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wieder so sein könnte. Ich überlege mir also, was in diesem Moment w<strong>ich</strong>tig für m<strong>ich</strong> ist<br />

und was m<strong>ich</strong> weiterbringt. Niem<strong>an</strong>d aus dem Kr<strong>an</strong>kenhaus wird dir hinterherlaufen und<br />

d<strong>ich</strong> <strong>an</strong>flehen ins Kr<strong>an</strong>kenhaus zu kommen. Daher ist die Entscheidung d<strong>an</strong>n für m<strong>ich</strong><br />

klar. Ich werde ins Kr<strong>an</strong>kenhaus gehen und wenn <strong>ich</strong> einige Termine n<strong>ich</strong>t einhalte,<br />

werden es die betreffenden Personen verstehen.<br />

Ist der Tag X mal gekommen, wirst du zieml<strong>ich</strong> aufgeregt sein. Eine Mischung aus Angst,<br />

Freude und Ungewissheit treibt d<strong>ich</strong> dorthin. Dort <strong>an</strong>gekommen, stehst du vor diesem<br />

recht überschaubaren Komplex und denkst dir sowas wie: "<strong>das</strong> ist es nun also". Dieser<br />

Kommentar dreht s<strong>ich</strong> weniger um <strong>das</strong> Aussehen des Gebäudes, sondern eher um den<br />

Ged<strong>an</strong>ken eine gewisse Zeit dort zu verbringen.<br />

So gehst du ins Gebäude und wirst d<strong>an</strong>n erst mal am Empf<strong>an</strong>g begrüßt. Du musst alle<br />

mitgebrachten Unterlagen abgeben und bekommst einen Berg von Unterlagen, die du<br />

ausfüllen musst. Dir wird <strong>das</strong> wie eine Episode aus "und tägl<strong>ich</strong> grüßt <strong>das</strong> Murmeltier"<br />

vorkommen, denn du hast m<strong>an</strong>che Fragen schon mehrfach be<strong>an</strong>twortet. D<strong>an</strong>ach<br />

wartest du auf jem<strong>an</strong>den der jeweiligen Station, der d<strong>ich</strong> abholt.<br />

Die Stationen sind in verschiedene Altersgruppen unterteilt, so <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> auf ungefähr<br />

gle<strong>ich</strong>altrige trifft. M<strong>an</strong> wird dir d<strong>an</strong>n dein Zimmer zeigen, wo du deine Koffer hinstellen<br />

k<strong>an</strong>nst. Meistens bleibt n<strong>ich</strong>t viel Zeit, da es schon Essen gibt, ein org<strong>an</strong>isatorischer<br />

Termin oder dein Pate wartet. Keine Sorge, der Pate hat n<strong>ich</strong>ts mit Betonfüßen und<br />

irgendeinem tiefen Wasser zu tun. Es ist ein Mitpatient, der gewählt wurde oder s<strong>ich</strong><br />

meldete, um d<strong>ich</strong> herumzuführen und dir verschiedene Abläufe erklärt. Dabei betreibt<br />

ihr meist etwas Smalltalk und die Neugier des Paten ist natürl<strong>ich</strong> riesig, warum du da<br />

bist. Dir bleibt es natürl<strong>ich</strong> selber überlassen, was du erzählen möchtest. Er wird auch<br />

derjenige sein, der d<strong>ich</strong> beim Essen den Mitpatienten vorstellen wird. Sei n<strong>ich</strong>t irritiert<br />

von einer eventuellen niedergeschlagenen Stimmung und Tränen die fließen könnten.<br />

Das liegt n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> dir, kurz bevor du <strong>an</strong>kamst, verließ ein <strong>an</strong>derer Patient <strong>das</strong><br />

Kr<strong>an</strong>kenhaus. Du wirst bei deiner Vorstellung so viele Namen gen<strong>an</strong>nt bekommen und<br />

so zieml<strong>ich</strong> keinen davon behalten. Das wissen sie und du kurze Zeit später d<strong>an</strong>n auch.<br />

In der Fachklinik war es so, <strong>das</strong>s jede Station ihren eigenen Speisesaal hatte, somit<br />

wären es mit dir "nur" um die 30 Menschen beim Essen. In <strong>an</strong>deren Kr<strong>an</strong>kenhäusern wie<br />

in Bad Münder sind Hunderte in einem Speisesaal. Das Kr<strong>an</strong>kenhaus im Norden ist auch<br />

für meine Begriffe eher familiär gehalten. Für diese These sprechen unter <strong>an</strong>derem die<br />

Patienten<strong>an</strong>zahl und Atmosphäre. Nach dem Essen hast du die Mögl<strong>ich</strong>keit deine<br />

Sachen auszupacken, wenn <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t schon passiert ist. Du schle<strong>ich</strong>st umher um eine<br />

Struktur in der Klinik, dem Tagesablauf und der Mitpatienten zu erkennen. Alternativ<br />

und <strong>das</strong> wird am wahrscheinl<strong>ich</strong>sten sein, wirst du


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<strong>an</strong> dem Tag <strong>das</strong> Gefühl haben, hauptsächl<strong>ich</strong> erst mal im Zimmer bleiben zu wollen und<br />

<strong>das</strong> ist völlig normal. Irgendw<strong>an</strong>n klopft es <strong>an</strong> der Tür und du wirst zum Arzt gebeten. Dir<br />

wird Blut abgenommen, mit diesem Gummihammer auf den Knien rumgehauen (tut<br />

n<strong>ich</strong>t weh, ist dennoch eklig), Orientierungsübungen gemacht und dir werden Fragen<br />

gestellt, ob du Drogen nimmst, rauchst oder trinkst usw. Kurz gesagt eine Anamnese.<br />

Eigentl<strong>ich</strong> genau <strong>das</strong>, was du so unzählige Male vorher auch in den Fragebögen<br />

be<strong>an</strong>twortet hast.<br />

D<strong>an</strong>ach ist es eigentl<strong>ich</strong> so, <strong>das</strong>s du mit dem dir zugewiesenen Psychologen ein Gespräch<br />

hast. Es ist mögl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s du ihn bereits im Vorgespräch kennengelernt hast.<br />

Nach diesem Gespräch hast du den Rest des Tages "frei". S<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> wirst du d<strong>an</strong>n erst<br />

mal ein Nickerchen machen. So erging es jeden den <strong>ich</strong> bisher fragte, einschließl<strong>ich</strong> mir.<br />

Du wirst wahrscheinl<strong>ich</strong> die ersten Tage tagsüber viel schlafen oder besser gesagt dösen.<br />

Nachts wirst du wie gewohnt trotz Müdigkeit n<strong>ich</strong>t in den Schlaf finden.<br />

In der ersten Woche nimmst du n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> Therapien teil, weil du erst mal <strong>an</strong>kommen<br />

sollst. Was dir in den ersten Stunden und Tagen so fremd erscheint, wird in paar<br />

Wochen wie ein zu Hause für d<strong>ich</strong> sein. R<strong>ich</strong>tig gehört, ein zu Hause. Ich glaube, m<strong>an</strong><br />

k<strong>an</strong>n sagen, <strong>das</strong>s es jedem Patienten irgendw<strong>an</strong>n passiert, <strong>das</strong>s er davon spr<strong>ich</strong>t nach<br />

Hause zu fahren und meint aber <strong>das</strong> Kr<strong>an</strong>kenhaus. Sagst du es vor deinen Mitpatienten,<br />

werden d<strong>ich</strong> gerade die, die schon länger da sind größtenteils <strong>an</strong>lächeln, weil sie wissen,<br />

<strong>das</strong>s dieses Gefühl wieder zugeschlagen hat.<br />

Du wirst deine Mitpatienten auf eine Art und Weise kennenlernen, wie du es noch nie<br />

vorher erlebt hast. So intensiv, verletzl<strong>ich</strong>, authentisch, abwechslungsre<strong>ich</strong>, so<br />

gemeinschaftl<strong>ich</strong> und so menschl<strong>ich</strong>. Dies führt dazu, <strong>das</strong>s du ein weiteres Gefühl<br />

kennenlernen wirst, wenn ein beliebter und/oder prägender Patient entlassen wird. Es<br />

kommt zu tränenre<strong>ich</strong>en Abschieden und m<strong>an</strong> ist für einige Momente mel<strong>an</strong>cholisch. Du<br />

hast die Stimmung gespürt, als du <strong>an</strong>kamst und jetzt erfährst du, warum es so ist und dir<br />

wird klar, <strong>das</strong>s es n<strong>ich</strong>ts mit dem Neuen zu tun hat, es liegt einfach am Abschied.<br />

Dennoch gehört auch dieses Abschiednehmen dazu und du lernst dadurch mit der<br />

Mel<strong>an</strong>cholie umzugehen und sie zu steuern, da du jederzeit Hilfestellungen bekommst.<br />

Es ist immer noch ein Abschied, denn der Alltag in der Klinik verändert s<strong>ich</strong> nun und<br />

Veränderungen sind einfach in dem Moment n<strong>ich</strong>t toll. Aber so rom<strong>an</strong>tisch s<strong>ich</strong> dieser<br />

zusammen gefundener Zusammenhalt auch <strong>an</strong>hört, muss <strong>ich</strong> es im folgenden Satz<br />

wieder zerstören. Nach meinen Erfahrungen, die immer wieder bestätigt wurden, halten<br />

über 80% der Kontakte aus der Klinik n<strong>ich</strong>t im Alltag. Ich habe mal einen Satz in einer<br />

Gruppentherapie gesagt: "Mitpatienten sind nur Werkzeuge um vor<strong>an</strong> zu kommen,


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n<strong>ich</strong>t mehr". Ich sagte diesen Satz zu einem Zeitpunkt wo es mir n<strong>ich</strong>t gut ging, <strong>ich</strong><br />

selber unzufrieden mit mir war und m<strong>ich</strong> strikt dagegen gewährt habe, mit den<br />

Mitpatienten zwischenmenschl<strong>ich</strong> zu interagieren, da die Kontakte mit den ehemaligen<br />

Patienten aus L<strong>an</strong>genhagen ein emotionales Fiasko war. Diese Aussage war und ist hart,<br />

zweifelsohne war der Ort ebenso un<strong>an</strong>gemessen. Denn jeder <strong>an</strong>wesende Patient fragte<br />

s<strong>ich</strong> nun, was ist <strong>an</strong> der Aussage dr<strong>an</strong>, für wen bin <strong>ich</strong> nur ein Werkzeug, was ist wahr<br />

und was ist nur Fiktion und natürl<strong>ich</strong> stieß <strong>ich</strong> damit einige ab, die m<strong>ich</strong> eigentl<strong>ich</strong><br />

mochten. In der Aussage steckt ein kleiner wahrer Kern, dennoch sind Mitpatienten<br />

mehr, als nur ein Werkzeug. Sie sind so viel und vor allem ein Teil deines Lebens.<br />

Mit diesem Geschehen verbinde <strong>ich</strong> auch immer ein Wort. Das Wort "Triggern" ist mein<br />

meist gehasstes Wort bei einem Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt. Dieses Wort bedeutet<br />

Auslöser. Normalerweise k<strong>an</strong>n dieses sowohl positiv als auch negativ verwendet<br />

werden. In der Klinik ist dieser Begriff hauptsächl<strong>ich</strong> negativ behaftet. Die Folge ist<br />

womögl<strong>ich</strong> ein depressiver Schub. Ich hasste es n<strong>ich</strong>t aufgrund der Bedeutung, sondern<br />

<strong>ich</strong> hasste es aufgrund seiner Wirkung. Egal, ob es ein Wort, ein Satz, ein Geruch, ein<br />

Geschmack, ein Geräusch, ein Bild, eine Person, ein Lachen, ein Name oder eine Stimme<br />

war, es konnte einfach alles zu einem Auslöser führen. Getriggert werden k<strong>an</strong>nst du<br />

auch als gesunder Mensch. Wenn du zum Beispiel einen fremden Menschen siehst und<br />

der d<strong>ich</strong> <strong>an</strong> jem<strong>an</strong>den aus deinem Umfeld erinnert, wurdest du soeben auch getriggert.<br />

In der Klinik wirst du n<strong>ich</strong>t nur <strong>an</strong>dauernd Erfolge feiern, es wird auch dort mal Tiefs<br />

geben. Ich glaube <strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n sogar sagen, <strong>das</strong>s diese weniger sein werden als daheim. Als<br />

es mir während des Aufenthalts n<strong>ich</strong>t gut ging und <strong>ich</strong> hart gegen den Ged<strong>an</strong>ken <strong>an</strong><br />

meinen Suizid kämpfte war meine Oberärztin im Urlaub. Das gesamte Personal sorgte<br />

s<strong>ich</strong> um m<strong>ich</strong>, weil deutl<strong>ich</strong> auffiel, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> in mir versackte. Sie gaben m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t auf,<br />

wiesen m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t als selbstmordgefährdet irgendwo ein. Nein! Sie haben mit mir<br />

gearbeitet und auch irgendwie vertraut. Dennoch war es eine durchaus prekäre<br />

Situation in der wir uns bef<strong>an</strong>den und somit wurde kurzer H<strong>an</strong>d die Vertretung ins<br />

Vertrauen gezogen. Er als leitender Oberarzt sollte die Situation einfach einschätzen.<br />

Unsere Gespräche waren von Vertrauen und in der letzten Sitzung von Hoffnung<br />

geprägt. Er schaffte es innerhalb weniger Sekunden hinter meine Mauer zu kommen<br />

und meinen wunden Punkt wie mit einer Feder s<strong>an</strong>ft zu berühren. Er drückte n<strong>ich</strong>t drauf<br />

herum, sondern ging quasi wieder aus mir heraus. Mit seinen darauffolgenden Worten,<br />

konnte <strong>ich</strong> erst vor einigen Monaten vollständig etwas <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gen. Er sagte etwas wie:<br />

"Hab keine Angst dir wird niem<strong>an</strong>d mehr etwas tun, du musst uns helfen" und "Es gibt<br />

keine großen tollen Entdeckungen und Fortschritte in der Zukunft für Sie als<br />

Erwachsener, sol<strong>an</strong>ge es noch ein unglückl<strong>ich</strong>es Kind/Jugendl<strong>ich</strong>en in ihnen gibt". Bei<br />

dem ersten Teil, wusste <strong>ich</strong> zunächst n<strong>ich</strong>t mit wem er sprach und hatte


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fragte m<strong>ich</strong> auch, ob <strong>ich</strong> gerade einen Blackout hatte. Doch nachfragen wollte <strong>ich</strong> auch<br />

n<strong>ich</strong>t, denn der zweite Teil war mir d<strong>an</strong>n durchaus plausibel. Das war für m<strong>ich</strong> der<br />

entscheidende Moment, als <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr von Neubeginn sprach, sondern von einem<br />

Wiederaufbau. Irgendw<strong>an</strong>n kam d<strong>an</strong>n meine etatmäßige Oberärztin wieder, so <strong>das</strong>s <strong>ich</strong><br />

bei ihm keine Termine mehr hatte, zumal s<strong>ich</strong> meine Situation auch wieder entschärfte.<br />

Als mit mir meine bevorstehende Entlassung besprochen wurde, versuchte <strong>ich</strong> wie jeder<br />

Patient ein Fazit zu ziehen. Denn die Frage bleibt natürl<strong>ich</strong> bestehen, auch wenn es von<br />

Seiten der Ärzte "Ja" heißen würde, ob ein Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt etwas brachte. Ich<br />

habe zwei Wochen vor meiner Entlassung förml<strong>ich</strong> nach diesem Fazit gesucht, doch f<strong>an</strong>d<br />

keines, welches m<strong>ich</strong> zufrieden stellte. Am drittletzten Abend d<strong>an</strong>n, wurde mir die<br />

Antwort offenbart. Ich ging wie jeden Tag mit einer Mitpatientin spazieren und es war<br />

zu einer Jahreszeit in der es früh dunkel wurde. Also stampften wir mit Taschenlampen<br />

durch die Feldmark. Auf einmal erschien mir alles so hell zu sein und im ersten Reflex<br />

ging mein Blick natürl<strong>ich</strong> gen Himmel. Dort konnte <strong>ich</strong> es sehen! Die Sterne! Diese<br />

funkelnden Sterne, die <strong>ich</strong> seit Jahren n<strong>ich</strong>t mehr sehen konnte, glänzten wie in meinen<br />

Erinnerungen. Das war emotional, <strong>ich</strong> Weiß viele können <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t verstehen, doch für<br />

m<strong>ich</strong> war es wie ein Ze<strong>ich</strong>en. Auch als am nächsten Tag die Sterne auf einmal wieder<br />

verschwunden waren, konnte dies meine Grundstimmung n<strong>ich</strong>t trüben. Ich k<strong>an</strong>n euch<br />

nur den Tipp geben, achtet auf die kleinen Ze<strong>ich</strong>en.<br />

An meinem vorletzten Tag habe <strong>ich</strong> es doch noch geschafft, bei dem Oberarzt einen<br />

Termin zu bekommen, denn <strong>ich</strong> wollte m<strong>ich</strong> bei ihm bed<strong>an</strong>ken und <strong>das</strong> war mir wirkl<strong>ich</strong><br />

sehr w<strong>ich</strong>tig. M<strong>an</strong> weiß ja n<strong>ich</strong>t ob m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> noch ein zweites Mal im Leben<br />

trifft.<br />

In den letzten Minuten des Gespräches stellte er mir d<strong>an</strong>n eine Frage, deren Antwort<br />

sämtl<strong>ich</strong>e meiner Restzweifel, ob mir dieses Kr<strong>an</strong>kenhaus etwas gebracht hatte,<br />

ausräumte. Was haben sie denn in ihrem Leben schon groß auf die Beine gestellt, fragte<br />

er m<strong>ich</strong>. Meine Antwort war nach so unzähligen Jahren <strong>das</strong> erste Mal so etwas wie<br />

selbsts<strong>ich</strong>er. M<strong>ich</strong>! Immer wieder! Während die einen <strong>das</strong> erste Mal stolperten, bin <strong>ich</strong><br />

schon acht Mal wieder aufgest<strong>an</strong>den.<br />

Er st<strong>an</strong>d auf, re<strong>ich</strong>te mir die H<strong>an</strong>d und wünschte mir befreit lächelnd alles Gute.<br />

Ich, wie viele <strong>an</strong>dere, wollte nach dem Kr<strong>an</strong>kenhaus Wiedergutmachung betreiben,<br />

wofür <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> schuldig f<strong>an</strong>d und überstürzte vieles, doch dabei st<strong>an</strong>d <strong>das</strong> aufgebaute<br />

Fundament aus dem Kr<strong>an</strong>kenhaus nur auf Zahnstöchern.


Seite 246<br />

Die Unbelehrbaren


Die Unbelehrbaren Seite 247<br />

In der Klinik erhältst du mit der Zeit und viel Arbeit <strong>an</strong> dir und deinen Problemen <strong>das</strong><br />

"passende Werkzeug", um erst mal wieder am Leben teilnehmen zu können. Um dieses<br />

n<strong>ich</strong>t zu gefährden, stoßen viele, nach der Entlassung, erst einmal jede Erinnerung <strong>an</strong><br />

den Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt von s<strong>ich</strong> ab. Sie sehen darin eine Art Schutz, um eventuell<br />

n<strong>ich</strong>t runtergezogen zu werden. Ob m<strong>an</strong> es verstehen k<strong>an</strong>n oder n<strong>ich</strong>t, m<strong>an</strong> muss es<br />

akzeptieren! Klar ist es im ersten Moment traurig, die Personen zu verlieren, mit denen<br />

m<strong>an</strong> so unwahrscheinl<strong>ich</strong> viel erlebte, jedoch gibt es einfach Menschen in deinem<br />

Leben, die d<strong>ich</strong> nur eine Zeit l<strong>an</strong>g begleiten. Dieses bittere Eingeständnis musste <strong>ich</strong> mir<br />

im Jahr 2017 in einem Kr<strong>an</strong>kenhaus in Bad Münder noch einmal machen. Dort wollte <strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t mit dem selben Fehler wie in der Fachklinik beginnen. Es wird n<strong>ich</strong>t immer diese<br />

Menschen geben, die s<strong>ich</strong> immer wieder um d<strong>ich</strong> bemühen und unermüdl<strong>ich</strong> versuchen<br />

<strong>an</strong> d<strong>ich</strong> her<strong>an</strong>zukommen. In Bad Münder, sollte <strong>ich</strong> mit der Erfahrung von 3<br />

Kr<strong>an</strong>kenhausbesuchen eigentl<strong>ich</strong> ein alter Hase sein und wissen wie es läuft, doch so ist<br />

es n<strong>ich</strong>t. In wenigen Punkten konnte m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> durch Erfahrungen orientieren, doch<br />

jedes Kr<strong>an</strong>kenhaus weist sein eigenes Schema auf. Ich versuchte mögl<strong>ich</strong>st offen<br />

gegenüber der Thematik mit Patienten in Kontakt zu kommen. Hüftsteif und<br />

verschlossen wie <strong>ich</strong> bin, gel<strong>an</strong>g mir direkt nach wenigen Stunden die ersten Kontakte.<br />

Ich habe keine Ahnung wie <strong>ich</strong> <strong>das</strong> hinbekommen habe, aber irgendwie lief es. N<strong>ich</strong>t<br />

jeder Kontakt, den <strong>ich</strong> dort knüpfte, war nachhaltig, sondern eigentl<strong>ich</strong> nur zwei. Da ist<br />

zum Beispiel Hazim, der Cevapcici-grillende mit einem deutl<strong>ich</strong>en<br />

Migrationshintergrund, den <strong>ich</strong> heute noch zu meinen Freunden zählen darf. Darüber<br />

bin <strong>ich</strong> dermaßen froh. Keine Sorge, <strong>das</strong> mit dem Migrationshintergrund ist n<strong>ich</strong>t<br />

ausländerfeindl<strong>ich</strong>, sondern so preist er s<strong>ich</strong> selber <strong>an</strong>. Dies ist einfach mit einem<br />

Augenzwinkern zu sehen. Die zweite Person war eine Mitpatientin, mit der <strong>ich</strong> jeden Tag<br />

abseits der Therapie etwas unternahm. Dieses bittere Eingeständnis, <strong>das</strong>s es m<strong>an</strong>che<br />

Menschen gibt, die nur eine Zeitl<strong>an</strong>g in deinem Leben sind und d<strong>an</strong>n verschwinden, traf<br />

auf sie zu. Bitter, aus dem Grund, weil wir so unzertrennl<strong>ich</strong> erschienen und weil <strong>ich</strong> sie<br />

sehr mochte. Selbst meine damaligen Mitpatienten waren im Nachhinein verblüfft, sie<br />

hätten darauf gewettet, <strong>das</strong>s wir auch nach dem Kr<strong>an</strong>kenhausaufenthalt Kontakt halten<br />

würden. Ich n<strong>an</strong>nte sie einige Male Speedy, weil sie so schnell sprechen konnte, <strong>das</strong><br />

m<strong>an</strong> immer noch eine Minute da st<strong>an</strong>d nach dem sie fertig gesprochen hat, weil erst<br />

d<strong>an</strong>n alles Gesagte im Gehirn <strong>an</strong>kam. Sie war mit Abst<strong>an</strong>d der klügste Mensch in<br />

meinem Alter den <strong>ich</strong> bis heute kennengelernt habe. Sie konnte m<strong>ich</strong> intellektuell<br />

fordern, doch m<strong>an</strong> konnte s<strong>ich</strong> auch mit ihr über Kopfdurchfall unterhalten. Schon<br />

teilweise morgens um Sieben diskutierten wir über die absurdesten Dinge und <strong>das</strong> ging<br />

m<strong>an</strong>chmal über Tage, da wir m<strong>an</strong>chmal einfach in <strong>das</strong> nächste Thema spr<strong>an</strong>gen oder<br />

wieder ernst wurden. Mit unserer Art motivierten wir uns n<strong>ich</strong>t nur gegenseitig sondern<br />

hoben auch stellenweise die Moral unsere Gruppe. Wir nutzten unser gemeinsames


Seite 248<br />

Die Unbelehrbaren


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Potenzial und gaben eine Sonntagslesung für <strong>an</strong>dere Patienten. In dieser Lesung gaben<br />

wir etwas von unserer Gefühlswelt preis. Wir lasen aus Texten die wir irgendw<strong>an</strong>n mal<br />

verfassten und m<strong>an</strong> kam den Menschen die diese Lesung besuchten doch irgendwo<br />

näher. Sie war nun n<strong>ich</strong>t dafür bek<strong>an</strong>nt gefühlsbetont zu sein, sondern eher dist<strong>an</strong>ziert,<br />

kühl und praktisch stragtegisch. Dennoch schrieb sie mir, als <strong>ich</strong> einen Zettelkasten<br />

auslegte um von Mitpatienten zu erfahren, wie sie m<strong>ich</strong> wahrnehmen um mein<br />

Selbstbild vielle<strong>ich</strong>t etwas korrigieren zu können, einen 13-seitigen eng beschriebenen<br />

Brief. In diesem Moment habe <strong>ich</strong> zum erstenmal in meinem Leben einen Brief in der<br />

H<strong>an</strong>d gehabt, bei dem <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Gefühl hatte, der kommt nur r<strong>ich</strong>tig zur Geltung und m<strong>an</strong><br />

k<strong>an</strong>n ihn auch nur d<strong>an</strong>n verstehen, wenn m<strong>an</strong> ihn schnell liest. In jeder Zeile merkte<br />

m<strong>an</strong>, <strong>das</strong>s ihr <strong>das</strong> w<strong>ich</strong>tig war und wie <strong>ich</strong> <strong>das</strong> nie mündl<strong>ich</strong> aussprechen könnte, was sie<br />

schrieb. Sie hat auch zum Schluss erwähnt, <strong>das</strong>s sie eine <strong>an</strong>dere Mitpatientin nur mit<br />

ihren 12 Seiten, die diese mir schrieb, überbieten wollte. Der Hintergund war, <strong>das</strong>s diese<br />

Mitpatientin die g<strong>an</strong>ze Zeit damit <strong>an</strong>gab und auch in diesen Seiten sehr beleidigend war,<br />

jedoch erhielten auch <strong>an</strong>dere von ihr solche Post. Ich mochte Speedy genau so wie sie<br />

war, denn wir konnten Sachen knallhart besprechen und auch mal deftige Worte für den<br />

<strong>an</strong>deren finden und niem<strong>an</strong>d war auch nur <strong>an</strong>nähernd beledigt, da es nie auch nur<br />

<strong>an</strong>satzweise unter der Gürtellinie war. Aber wer sie ein wenig besser kennenlernte,<br />

wusste, <strong>das</strong>s sie sehr wohl ein totaler Gefühlsmensch war, es aber n<strong>ich</strong>t gern zeigte. Ich<br />

bin froh über diesen Menschen "gestolpert" zu sein und <strong>ich</strong> wünsche ihr, <strong>das</strong>s sie ihren<br />

Weg findet und <strong>das</strong>s sie ihren sarkastischen Frohmut niemals verliert.


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Die Unbelehrbaren


Die Unbelehrbaren Seite 251<br />

DIE UNBELEHRBAREN<br />

Für die, die noch immer der Meinung sind, <strong>das</strong>s dies alles Einbildung ist und weniger<br />

Jammern bei dieser Kr<strong>an</strong>kheit hilft, da m<strong>an</strong> als Depressiver ja zieml<strong>ich</strong> nervig ist, k<strong>an</strong>n<br />

<strong>ich</strong> <strong>an</strong> dieser Stelle sagen: ihr habt keine Ahnung und davon eine Menge.<br />

Zwei Dinge sind in diesen Momenten für m<strong>ich</strong> stets unendl<strong>ich</strong>: <strong>das</strong> Universum und die<br />

menschl<strong>ich</strong>e Dummheit, aber bei dem Universum bin <strong>ich</strong> mir noch n<strong>ich</strong>t g<strong>an</strong>z s<strong>ich</strong>er.<br />

M<strong>an</strong>che Menschen hört m<strong>an</strong> sprechen und es wird einem sofort klar, die haben ihre<br />

Schnürsenkel n<strong>ich</strong>t selber gebunden! Natürl<strong>ich</strong> ist der Umg<strong>an</strong>g mit dieser Kr<strong>an</strong>kheit<br />

n<strong>ich</strong>t immer einfach, aber <strong>das</strong> ist es bei einer Männergrippe ja auch n<strong>ich</strong>t. Bevor du also<br />

urteilst, vermutest, redest oder verletzt, verstehe, frage, denke und fühle d<strong>ich</strong> in diesen<br />

Menschen hinein. Geh mit diesem Menschen mit oder beiseite!<br />

Euch ist <strong>das</strong> zu viel Gejammer? D<strong>an</strong>n hört doch auf mit der Hetzjagd! Dadurch, <strong>das</strong>s ihr<br />

so abfällig über diese Kr<strong>an</strong>kheit und die Betroffenen redet, gibt es Menschen, die s<strong>ich</strong><br />

gar n<strong>ich</strong>t trauen, fremde Hilfe <strong>an</strong>zunehmen. Es fällt ja vielle<strong>ich</strong>t auf, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> Hilfe<br />

holt, m<strong>an</strong> trifft dort vielle<strong>ich</strong>t sogar Bek<strong>an</strong>nte und es ist natürl<strong>ich</strong> eine sehr emotionale<br />

Situation und s<strong>ich</strong> damit auf die Tagesform auswirkt. Vielle<strong>ich</strong>t ist es auch die Angst,<br />

<strong>das</strong>s m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> Außenstehenden gegenüber verplappern könnte.<br />

Mike, eine Bek<strong>an</strong>ntschaft aus meiner Verg<strong>an</strong>genheit, ist äußerst korpulent und dadurch<br />

äußerl<strong>ich</strong> eine gest<strong>an</strong>dene und aufsehenerregende Person. Er äußerte s<strong>ich</strong> stets abfällig<br />

über diese Kr<strong>an</strong>kheit und die Menschen, die sie haben. Es kamen Sätze wie: "Ausrede<br />

für die, die n<strong>ich</strong>t arbeiten gehen wollen" oder " We<strong>ich</strong>eier". Dennoch hatte <strong>ich</strong> den Mut,<br />

ihm von meiner Erkr<strong>an</strong>kung zu erzählen als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> outete. Klar machte er noch hier<br />

und da ein paar Sprüche, jedoch nahmen die immer mehr ab. Aber es lag n<strong>ich</strong>t <strong>an</strong> mir,<br />

sondern er erkr<strong>an</strong>kte selber dar<strong>an</strong>. Plötzl<strong>ich</strong> drehte s<strong>ich</strong> alles bei ihm darum, <strong>das</strong>s dies ja<br />

was <strong>an</strong>deres sei als bei <strong>an</strong>deren. Aber <strong>ich</strong> glaube er weiß selber, <strong>das</strong> dies n<strong>ich</strong>t seine<br />

klügste Ausrede war und er damit auch n<strong>ich</strong>t durchkam.<br />

Nun hatte er aber <strong>das</strong> Problem, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> jeder erinnern konnte, was er einst bezügl<strong>ich</strong><br />

der Kr<strong>an</strong>kheit absonderte. Natürl<strong>ich</strong> muss er damit rechnen, <strong>das</strong>s zu Anf<strong>an</strong>g<br />

diesbezügl<strong>ich</strong> Kommentare kommen konnten. Aber auf solche Sachen reagierte er stets<br />

aggressiv und sprach von "ins Maul hauen" etc., seine Statur verhalf ihm natürl<strong>ich</strong><br />

hierbei, <strong>das</strong> relativ glaubhaft rüberzubringen. Heute ist er vielle<strong>ich</strong>t geläutert, hat<br />

eventuell etwas daraus gelernt und geht offen mit dieser Kr<strong>an</strong>kheit um. Jedoch weiß <strong>ich</strong><br />

es n<strong>ich</strong>t, da <strong>ich</strong> diesen Menschen, mit diesen Werten n<strong>ich</strong>t weiter in meinem Leben<br />

halten konnte. Ich k<strong>an</strong>n es verstehen, wenn m<strong>an</strong>che Menschen keinen Draht zu dieser<br />

Kr<strong>an</strong>kheit finden, denn Außenstehenden fällt es häufig schwer, die vielsch<strong>ich</strong>tigen


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Die Unbelehrbaren


Die Unbelehrbaren Seite 253<br />

Dimensionen und vor allem die Realität der Kr<strong>an</strong>kheit "Depression" zu erkennen. Jedoch<br />

heißt <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s ihr sie deswegen runtermachen oder ihre Existenz in Frage stellen<br />

dürft. Wir reden hier näml<strong>ich</strong> immer noch von einem Menschen, oftmals kommt es mir<br />

vor, als würde <strong>das</strong> als erstes vergessen werden. Für euch ist diese Kr<strong>an</strong>kheit eine Art<br />

Sch<strong>an</strong>de, doch für die <strong>an</strong>deren ist es ein Leid. Ich möchte euch ein Beispiel in Erinnerung<br />

rufen, was jeder kennt oder kennen dürfte. Die Liebe. Sie ist <strong>das</strong> schönste Gefühl, <strong>das</strong><br />

wir erleben dürfen - aber leider gibt es wie überall im Leben eine Kehrseite der Medaille.<br />

Praktisch jeder von uns muss und musste mindestens einmal im Leben so eine Phase<br />

durchmachen und überwinden, die s<strong>ich</strong> "Liebeskummer" nennt. Liebeskummer ist mehr<br />

als ein Teenie-Problem, <strong>das</strong> von Schokolade aus der Welt geschafft wird. Ob unglückl<strong>ich</strong><br />

verliebt, Pech bei der Partnersuche, aktuelle Beziehungsprobleme (z.B. Fremdgehen)<br />

oder Trennungskrise, wir leiden aus verschiedenen Gründen. Warum wir den<br />

Liebesschmerz erleben, sagt aber n<strong>ich</strong>ts über die Intensität des Kummers aus. Eine<br />

unerfüllte Liebe k<strong>an</strong>n genauso wehtun wie eine Trennung nach 20 Jahren Ehe. Es wäre<br />

also falsch, den Schmerz von vornherein von der Dauer der Liebe abzuleiten. Wenn ihr<br />

Liebeskummer verspürt, fühlt ihr euch irgendwie gelähmt, neben der Spur und eure<br />

Ged<strong>an</strong>ken scheinen s<strong>ich</strong> aufgehängt zu haben. M<strong>an</strong>che fühlen s<strong>ich</strong> dadurch sogar n<strong>ich</strong>t<br />

arbeitsfähig. Ihr würdet am liebsten zum Arzt um euch helfen zu lassen, doch dieser<br />

wird auch n<strong>ich</strong>ts finden, auch wenn ihr euch fühlt, als hätte m<strong>an</strong> euch <strong>das</strong> Herz<br />

herausgerissen. Ihr müsst plötzl<strong>ich</strong> einfach weiter machen können und müsst die Trauer<br />

schlucken, während um euch herum plötzl<strong>ich</strong> nur noch Pärchen zu sehen sind und der<br />

g<strong>an</strong>zen Welt außer euch die Sonne aus dem Arsch schien.<br />

Einfach weiter machen, ist d<strong>an</strong>n gar n<strong>ich</strong>t so einfach, wie es ausgesprochen wird. Der<br />

Spruch "Die Zeit heilt alle Wunden" ist zwar meistens zutreffend, dar<strong>an</strong> zu glauben und<br />

n<strong>ich</strong>t gle<strong>ich</strong> die Augen zu verdrehen, fällt aber in einer Krise zieml<strong>ich</strong> schwer. Sind wir<br />

ehrl<strong>ich</strong> zu uns, d<strong>an</strong>n wissen wir, <strong>das</strong>s Liebeskummer immer schlimm war. Dieses ging<br />

vielle<strong>ich</strong>t eine Woche oder so. Generell lässt s<strong>ich</strong> der Liebeskummer in bestimmte<br />

Phasen einteilen:<br />

1. Phase: N<strong>ich</strong>t-Wahrhaben-Wollen<br />

2. Phase: Aufbrechende Gefühle<br />

3. Phase: Neuorientierung und<br />

4. Phase: Neues Lebenskonzept.<br />

Wenn m<strong>an</strong> also die negativen Gefühle und Empfindungen durchlebt hat, kommt<br />

irgendw<strong>an</strong>n der Punkt, <strong>an</strong> dem m<strong>an</strong> s<strong>ich</strong> mit dem Verlust der Liebe abgefunden hat -<br />

m<strong>an</strong> fängt <strong>an</strong>, in die Zukunft zu schauen und neue Pläne zu schmieden.


Seite 254<br />

Die Unbelehrbaren


Die Unbelehrbaren Seite 255<br />

Nun stellt euch mal vor, ihr hättet <strong>das</strong> über Jahre hinweg, jeden Tag, nur etwas<br />

intensiver, düsterer und mit einer Stimme die dir sagt, <strong>das</strong>s du den Schmerz verdient<br />

hast, weil du n<strong>ich</strong>ts wert bist. Würdet ihr diesem mit Freude gegenüber stehen oder<br />

doch mit einer eher depressiven Haltung? Was <strong>ich</strong> auf gar keinen Fall sagen will, ist <strong>das</strong><br />

Liebeskummer Depression bedeutet. Ich habe nur ein letztes Mal versucht, euch <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

eines Beispieles zu verdeutl<strong>ich</strong>en, wie Depression im Inneren unter <strong>an</strong>derem aussehen<br />

könnte.<br />

Braucht ihr jem<strong>an</strong>den, den ihr fertig machen könnt, um euch besser zu fühlen? D<strong>an</strong>n<br />

nehmt doch m<strong>ich</strong> als Feindbild. Mit meinem Buch und meiner Seite biete <strong>ich</strong> euch doch<br />

die perfekte Plattform dazu, aber lasst <strong>an</strong>dere depressive Menschen in Ruhe.


Seite 256<br />

Die Unbelehrbaren


was würdest du sagen… Seite 257<br />

WAS WÜRDEST DU SAGEN…<br />

Ihr schlagt gle<strong>ich</strong> <strong>das</strong> Buch zu und stellt es vielle<strong>ich</strong>t zu den <strong>an</strong>deren in ein Regal. Kein<br />

Bestseller, aber voller schöner Gesch<strong>ich</strong>ten, Begegnungen, Erfahrungen und einem<br />

guten Ende?!<br />

Bücher sind für Autoren wie Kinder. Dieses Buch ist in meinen Augen ein Glückskind. Es<br />

gibt viele Bücher über Depression, aber nur wenige beschreiben diese Kr<strong>an</strong>kheit, mit so<br />

viel Witz, Charm und versuchter betörender Poesie. Es hat dadurch schnell seinen Weg<br />

in die Herzen einiger Leser gefunden. Es ist wirkl<strong>ich</strong> hautnah und menschl<strong>ich</strong><br />

geschrieben. Es ist n<strong>ich</strong>t perfekt, unfertig und vielle<strong>ich</strong>t sogar <strong>an</strong> m<strong>an</strong>chen Stellen<br />

stümperhaft, aber es besitzt Herz, Leidenschaft, Schmerz wie die Menschen.<br />

Viele von denen, die <strong>das</strong> Buch vorab gelesen haben, haben mir Mails oder Videos<br />

geschickt. Ich scheine die Depression, und wie sie s<strong>ich</strong> auswirken k<strong>an</strong>n, gut erklären zu<br />

können. Ich will versuchen, ihnen allen mit herzl<strong>ich</strong>en Antworten zu begegnen.<br />

Mein Buch hat gegen die Tabusierung in der Gesellschaft Stellung bezogen. Viele Leser<br />

haben mit ihren Korrekturen und Änderungsvorschlägen zur Verbesserung meines<br />

Buches beigetragen. Da es unmögl<strong>ich</strong> ist, alle zu nennen, möchte <strong>ich</strong> einmal D<strong>an</strong>ke <strong>an</strong><br />

alle sagen. Ein g<strong>an</strong>z besonderer D<strong>an</strong>k geht <strong>an</strong> meinen Lektor Jens.<br />

Einige werden s<strong>ich</strong> nun, da s<strong>ich</strong> mein Buch dem Ende neigt, fragen, warum ist es bloß so<br />

düster geschrieben, warum so wenige <strong>L<strong>ich</strong>t</strong>blicke. Die Depression muss ja n<strong>ich</strong>t<br />

unbedingt eine Schwächung sein, sondern fordert unsere Stärken, starke Menschen<br />

haben nie eine einfache Verg<strong>an</strong>genheit, habe <strong>ich</strong> so oft gesagt bekommen. Hierbei muss<br />

m<strong>an</strong> jedoch bedenken, <strong>das</strong>s dieses Buch von einem Depressiven geschrieben wurde. Die<br />

Kr<strong>an</strong>kheit, überspitzt gesagt, als eine Euphorie mit einem Kribbeln im Bauch zu<br />

beschreiben, liegt mir so dermaßen fern.<br />

Ich werde m<strong>ich</strong> der Kr<strong>an</strong>kheit n<strong>ich</strong>t ergeben, sondern weiter <strong>an</strong> dem Thema und mir<br />

arbeiten. Ich sagte mir <strong>das</strong> immer wieder, denn <strong>ich</strong> hatte immer wieder größere<br />

Schaffenskrisen. Ich war so weit, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr weiterschreiben wollte. Ich wollte<br />

einfach aufgeben.<br />

Diese Krisen haben mir aber <strong>das</strong> eigentl<strong>ich</strong>e Problem der Kr<strong>an</strong>kheit nochmal aufgezeigt,<br />

näml<strong>ich</strong> die der Ideenlosigkeit, Kraftlosigkeit und Leere. Aber sie zeigten mir noch etwas<br />

<strong>an</strong>deres, näml<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s meine Zeit abläuft. Eine Art Vorsehung. Stets erschien <strong>das</strong> Buch<br />

daher n<strong>ich</strong>t perfekt zu sein und auch n<strong>ich</strong>t vollständig, doch mir wurde bewusst, <strong>das</strong>s es<br />

<strong>das</strong> gar n<strong>ich</strong>t sein musste, konnte und sollte. Denn <strong>ich</strong> versprach schließl<strong>ich</strong> hautnah und


Seite 258<br />

was würdest du sagen…


was würdest du sagen… Seite 259<br />

menschl<strong>ich</strong> zu schreiben. Zudem wirkl<strong>ich</strong> alle Aspekte, Blickwinkel, Eventualitäten,<br />

Fortschreitungen und Stadien der Kr<strong>an</strong>kheit mit reinzubringen, würde ein g<strong>an</strong>zes Regal<br />

füllen. Ich will und wollte mit dem Buch keine F<strong>an</strong>s, Follower, Facebook-Liker, Geld,<br />

Berühmtheit oder was es auch sonst noch gibt, gewinnen, sondern mit diesem Buch,<br />

welches mein Vermächtnis sein wird, Menschen helfen.<br />

Wir neigen dazu, Erfolg eher nach der Höhe unserer Gehälter oder nach der Größe<br />

unserer Autos zu bestimmen als nach dem Grad unserer Hilfsbereitschaft und dem Maß<br />

unserer Menschl<strong>ich</strong>keit.<br />

Mit meinem Scharfblick für menschl<strong>ich</strong>e Eigenheiten und Kreativität nutzte <strong>ich</strong> die<br />

Fähigkeit, einige Leser zu begeistern. Geholfen denke <strong>ich</strong> mir, habe <strong>ich</strong>, denn nun wissen<br />

die stillen Menschen mit dieser Kr<strong>an</strong>kheit, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t alleine waren und sind. Und<br />

vielle<strong>ich</strong>t habe <strong>ich</strong> ihnen eine Stimme mit meinem Buch verliehen.<br />

Meine Zeit als Autor wird vermutl<strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t enden, denn <strong>ich</strong> arbeite <strong>an</strong> meinem<br />

zweiten Buch. Der Titel lautet:<br />

"Welche Frage hättest du <strong>an</strong>s Leben, die Liebe und den Tod?"<br />

Ich verspreche euch n<strong>ich</strong>t, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> es zu Ende schreibe und veröffentl<strong>ich</strong>e, <strong>ich</strong> k<strong>an</strong>n auch<br />

noch garn<strong>ich</strong>t absehen, w<strong>an</strong>n es veröffentl<strong>ich</strong>ungswürdig sein wird.<br />

An dieser Stelle k<strong>an</strong>n <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> nur für eure Aufmerksamkeit bed<strong>an</strong>ken und euch um<br />

eines bitten. Die Welt können wir in nur einer Sekunde verändern, lasst uns also die<br />

Gegenwart verbessern. <strong>Lass</strong>t uns reden und all <strong>das</strong> Schweigen hier zu Ende bringen. Es<br />

wurde Zeit, <strong>das</strong>s es endl<strong>ich</strong> jem<strong>an</strong>d ausspr<strong>ich</strong>t, denn bis hierher, kehrten es alle unter<br />

den Tepp<strong>ich</strong>, doch <strong>ich</strong> traue m<strong>ich</strong>, es <strong>an</strong>zusprechen und wer weiß, wen ihr später damit<br />

retten könnt.<br />

Bleibt d<strong>an</strong>n nur die Frage:<br />

Was würdest du nun sagen, wenn dir jem<strong>an</strong>d aus deinem Umfeld sagt, er/sie habe<br />

Depressionen und <strong>das</strong>s er/sie d<strong>ich</strong> braucht?


Seite 260<br />

was würdest du sagen…


Ein Nachwort Seite 261<br />

EIN NACHWORT<br />

Als Flo m<strong>ich</strong> fragte, ob <strong>ich</strong> bereit sei, sein Buch <strong>an</strong>zuschauen und vielle<strong>ich</strong>t ein paar<br />

Anpassungen <strong>an</strong> seinen Sätzen zu machen, erklärte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> sehr schnell dazu bereit.<br />

Jeder der jetzt denkt, na da ist doch n<strong>ich</strong>ts dabei, hat Recht. Dennoch ahnte <strong>ich</strong>, was<br />

m<strong>ich</strong> erwarten würde. Flo hat seine Ged<strong>an</strong>ken niedergeschrieben und so m<strong>an</strong>ches Mal<br />

hatte <strong>ich</strong> <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s er s<strong>ich</strong> einfach ausgekotzt hat. Er hatte es in s<strong>ich</strong> und fühlte<br />

es, doch es konnte einfach nur hervorbrechen. Es war für ihn s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong>,<br />

seine Ged<strong>an</strong>ken in einem steten, kontrollierten Fluss niederzuschreiben.<br />

Da st<strong>an</strong>d <strong>ich</strong> nun… Ich habe versucht, seinen Worten Gestalt zu geben. Ihr werdet<br />

s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> feststellen, <strong>das</strong>s s<strong>ich</strong> einige Passagen immer noch ungeschliffen und rau<br />

<strong>an</strong>hören. Hätte <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> darüber hergemacht und <strong>das</strong> alles geglättet, wäre es n<strong>ich</strong>t<br />

mehr Flo's Werk gewesen. Ich habe m<strong>ich</strong> stattdessen bemüht, n<strong>ich</strong>t nur den Kern seiner<br />

Aussagen zu übernehmen, sondern auch die Gefühle, die Flo beim Schreiben bewegten,<br />

zu tr<strong>an</strong>sportieren. Ich hoffe es ist mir gelungen!<br />

Ich gebe zu, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> <strong>an</strong> m<strong>an</strong>chen Stellen "gefühlt" (Flo weiß, was <strong>ich</strong> damit meine)<br />

verzweifelt bin. Dennoch habe <strong>ich</strong> es gerne für ihn gemacht. Denn Flo hat n<strong>ich</strong>t nur<br />

etwas zu sagen, er ist es einfach Wert, <strong>das</strong>s m<strong>an</strong> ihm hilft.<br />

Bei einigen Sätzen saß <strong>ich</strong> einen g<strong>an</strong>zen Tag vor meinem Bildschirm und versuchte in<br />

den "Flow" zu kommen, damit <strong>ich</strong> seine Aussagen entsprechend tr<strong>an</strong>sportieren k<strong>an</strong>n.<br />

Dies gel<strong>an</strong>g mir letztl<strong>ich</strong> immer, aber meistens nur, wenn <strong>ich</strong> nebenbei Alice Merton mit<br />

ihrem Album "No Roots" (https://de.wikipedia.org/wiki/No_Roots_(EP)) hörte. Es ist für<br />

m<strong>ich</strong> der Soundtrack zum Buch. Ihr werdet es s<strong>ich</strong>er kennen, <strong>das</strong>s wenn ihr etwas lest<br />

und Musik dazu hört, ihr jedes Mal, wenn ihr diese Musik wieder hört, <strong>an</strong> <strong>das</strong> Buch<br />

denken müsst. Vielle<strong>ich</strong>t geht es aber auch nur mir so. Ist es auch eure Musik zu diesem<br />

Buch?<br />

Ich habe den größten Respekt für Flo's Werk. Es ist seine S<strong>ich</strong>t auf die Depression und<br />

ein mögl<strong>ich</strong>er Weg damit umzugehen. Ich k<strong>an</strong>n n<strong>ich</strong>t alle Aussagen nachempfinden und<br />

stimme mit ihm bestimmt n<strong>ich</strong>t in allen Punkten überein. Darum geht es aber auch<br />

n<strong>ich</strong>t! Es ist viel w<strong>ich</strong>tiger s<strong>ich</strong> offen auf <strong>das</strong> Thema einzulassen und auch mit den<br />

Betroffenen darüber zu reden.<br />

Es bleibt mir nur zu sagen:<br />

D<strong>an</strong>ke Flo, <strong>das</strong>s <strong>ich</strong> DIR helfen durfte!


Seite 262<br />

was würdest du sagen…


Quellen Seite 263<br />

QUELLEN<br />

robert-enke-stiftung.de/stiftung/stiftungszweck<br />

www.zentrum-der-gesundheit.de/medikamente-depressionen-ia.html<br />

www.depression-heute.de/presse/gerd-glaeske-in-psychologie-heute-ueber-unglueck-auf-rezept<br />

impulsdialog.de/ueber_uns/blog/10-fakten-depression-kr<strong>an</strong>kheit-gefuehle-glueckl<strong>ich</strong>-sein-aufmerksamke<br />

it-umg<strong>an</strong>g-mit-betroffenen-ursachen-symptome-therapie-heilung?page=4<br />

www.zentrum-der-gesundheit.de/medikamente-depressionen-ia.html<br />

www.duden.de/rechtschreibung/Killer<br />

www.khbg.at/r<strong>an</strong>kweil/schule/morscher/FBA08-11/FBA-Dreier.pdf<br />

trends.google.com/trends/explore?geo=DE&q=Depression<br />

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