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Mit Gesicht oder ohne?

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Wie geht‘s dir ?<br />

Geht so. Psychotisch halt.<br />

Darf ich ein Foto von dir machen ?<br />

Ja, ist mir egal.<br />

<strong>Mit</strong> <strong>Gesicht</strong> <strong>oder</strong> <strong>ohne</strong> ?<br />

Mich kennt eh keiner.<br />

#1


Warstein 2010


Auszug eines Briefwechsels


Arthur, Warstein 2011


Wohngruppe 9, Warstein


Tagesklinik, Warstein


Als ich krank wurde, steckte ich gerade mitten in<br />

meinem Studium. Meine Leistungen und mein<br />

<br />

nicht mehr. Ich versuche mich jetzt darauf zu<br />

konzentrieren, was ich möchte und wer ich als<br />

Mensch bin.<br />

Während meines Praxissemesters kam ich in die<br />

Klinik. Wie es schlussendlich dazu kam, weiß ich<br />

auch nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich Alpträume<br />

von meiner Kindheit hatte und nicht mehr<br />

so gut schlafen konnte. Ich habe so schlecht geschlafen,<br />

dass ich nicht mehr leistungsfähig war.<br />

Ich fühlte mich total überarbeitet und konnte<br />

nicht mehr aufstehen. Ich fühlte mich traurig – so<br />

traurig wie ich mich zuvor noch nicht gefühlt<br />

hatte.<br />

Mona, Essen 2011<br />

Ich konnte das überhaupt nicht einordnen. Als<br />

ich in die Klinik kam, habe ich mich total gewehrt.<br />

Ich meinte, ich wäre nicht krank – ich<br />

wollte anfangs auch mit niemandem etwas zu tun


haben. Für mich waren die alle bescheuert und<br />

drehten völlig am Rad. Sie erzählten, ein Gespräch<br />

mit dem Oberarzt hätte ihr Leben verändert.<br />

Ich stand dem Ganzen da eher skeptisch<br />

gegenüber und habe mich auch ab und zu mit<br />

den Ärzten gestritten. Ich habe mich auch lange<br />

gefragt, ob es mir wirklich hilft in der Klinik zu<br />

sein. Ich hatte das Gefühl, dass mich das eher<br />

ausbremst und dass ich ein bisschen entmündigt<br />

werde.<br />

Nach einer Weile konnte ich mich auf die Klinik<br />

einlassen und habe auch nette Leute von meiner<br />

Station kennengelernt. Der Klinikaufenthalt bot<br />

mir einen Schutzraum; man hatte die Gelegenheit<br />

depressiv zu sein, was im Alltag kaum geht, weil<br />

ständig Dinge zu erledigen sind. Als ich entlassen<br />

-<br />

<br />

haben mich eher gestresst, Bahnfahren auch. Es<br />

hat mir oft geholfen zu stricken – das habe ich<br />

von einer <strong>Mit</strong>patientin in der Klinik gelernt.<br />

Nach dem Klinikaufenthalt ging es mir noch<br />

<br />

aushalten konnte. Das war schlimm, da ich das<br />

Gefühl hatte versagt zu haben. Ich habe mich<br />

<br />

schwer, Dinge zu unternehmen, gerade mit vielen<br />

Menschen, aber auch mit den Menschen, die ich<br />

in der Klinik kennengelernt und mit denen ich<br />

mich angefreundet habe.<br />

Irgendwie war ich wohl die Einzige, der es immer<br />

noch nicht gut ging. Allen Anderen ging es schon<br />

wieder besser und ich konnte nicht mithalten. Ich<br />

wollte auch nicht immer jammern und allen sagen,<br />

dass es mir immer noch schlecht geht. Es<br />

fällt mir sowieso eher schwer Schwäche zuzulassen<br />

und ich musste das langsam lernen, jemandem<br />

offen zu sagen: „mir geht`s nicht gut“. Ich hab gar<br />

nicht gemerkt, dass das auch Freundschaften zer-<br />

<br />

eigentlich völlig verloren.Nachdem ich mich von<br />

meinem Freund getrennt habe, wurde es noch<br />

schlimmer.<br />

Mona, Düsseldorf 2009


Ich bin aus der gemeinsamen Wohnung raus und<br />

hatte meine Wohnung verloren. Ich hatte zwar<br />

einen neuen Freund, aber es gab Schwierigkeiten<br />

mit seinen Eltern, bei denen er immer noch wohnte,<br />

und ich war mit einem Schlag obdachlos. In<br />

dem Obdachlosenheim arbeitete eine <strong>Mit</strong>studentin<br />

von mir als Betreuerin. Dass jemand, der dich<br />

kennt, dich so sieht, ist natürlich schlimm. Sie hat<br />

mich gefragt, was passiert sei,und ich hab ihr die<br />

ganze Geschichte erzählt. Sie meinte, ich soll so<br />

schnell, wie es geht, versuchen da rauszukommen.<br />

<br />

und Drogensüchtige. Wenn ich mich in dem Obdachlosenheim<br />

abends nicht zurück gemeldet<br />

habe, konnte es sein, dass mein Zimmer am nächsten<br />

Tag an jemand Anderen vergeben war.<br />

Da es zu der Zeit Winter war, konnte niemand<br />

draußen schlafen, wie das im Sommer öfter vorkommt,<br />

also waren die Zimmer sehr begehrt. Ich<br />

war insgesamt zweieinhalb Monate dort.<br />

<br />

besucht und sich dann auch eine eigene Wohnung<br />

gesucht. Als sie eingerichtet war, hat er mich mit<br />

Sack und Pack abgeholt und ich konnte bei ihm<br />

w<strong>ohne</strong>n. Nach kurzer Zeit haben wir uns eine<br />

Wohnung für mich angeschaut, die ich dann auch<br />

nung<br />

nie schön fand, denke ich mir ‚hauptsache<br />

eine Wohnung haben‘ – man muss sich ja auch<br />

irgendwo zuhause fühlen.<br />

<br />

krank war. Ich musste aufstehen und mit ihm raus<br />

gehen. Ich hatte eine Verantwortung ihm gegenüber<br />

und habe sie auch erfüllt, was nicht selbstverständlich<br />

während einer Depression ist. Es gab<br />

keinen Tag, an dem ich nicht mit ihr vor die Tür<br />

gegangen bin.<br />

Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, bin ich glücklich,<br />

sie zu haben – das war die beste Entscheidung,<br />

die ich damals getroffen habe. Als ich mich<br />

dann von meinem Freund getrennt habe, war<br />

nische<br />

Behandlung ins Krankenhaus und hatte<br />

sie zu Angehörigen gebracht.<br />

Das war schlimm, es ist nichts mehr passiert und<br />

ich lag nur noch im Bett. Ich wollte nichts mehr<br />

machen. Ich bekam haufenweise Rechnungen,<br />

u.a. die Rückzahlungen meines Studienkredits.<br />

Ich konnte das alles nicht regeln.<br />

Zum Glück kam dann meine Tante zu Besuch.<br />

Meine Familie hat immer ein bisschen gedacht,<br />

ich spinne und würde übertreiben. Keiner hat<br />

gesehen, dass es wirklich ernst ist.<br />

Meine Tante hat durch die Rechnungen, Arztbriefe<br />

und den Zustand der Wohnung erkannt,<br />

wie schlecht es mir wirklich ging. Sie erkannte,<br />

dass es nicht daran liegt, dass ich keine Lust habe,<br />

sondern dass ich nicht kann. Sie hat dann angefangen<br />

mein Leben etwas zu ordnen. Seitdem<br />

habe ich auch eine Betreutes-W<strong>ohne</strong>n-Betreuerin<br />

und neue Möbel, damit ich mich hier einigermaßen<br />

wohlfühlen kann. Sie hat als einzige in meiner<br />

Familie verstanden, was hier eigentlich los ist,<br />

<br />

es tatsächlich nicht als Phase wahrgenommen,<br />

sondern als Krankheit, aus der ich alleine nicht<br />

mehr raus komme.<br />

Nachdem die Rahmenbedingungen besser geworden<br />

sind, ging es ganz plötzlich wieder berg-<br />

<br />

ihm schrittweise die Medikamente abgesetzt. Erst<br />

halbiert, dann geviertelt. Ich hatte Entzugserscheinungen,<br />

das war auch schlimm. Der Arzt<br />

meinte, wenn das nicht bald aufhört, müssen wir<br />

wieder mit den Tabletten anfangen. Eine Woche<br />

später hörte es auf und danach hatte ich nie wieder<br />

ein Tief bzw. nicht stärker als andere Menschen<br />

das auch haben in schwierigen Situationen.<br />

Ich wusste selber nicht, was gehört zu meiner<br />

Krankheit, was bin ich selbst? Was machen die<br />

Medikamente? Wie ist das <strong>ohne</strong>? Ich hatte vier<br />

Jahre lang Medikamente genommen, auch Beruhigungsmedikamente,<br />

Schlafmedikamente, Stimmungsstabilisatoren,<br />

Antidepressiva, das war die<br />

komplette Palette durch. Die machen dich so<br />

<br />

mehr weiß, was man ist und was man nicht ist.<br />

Mona, Essen 2010


Ich habe auch versucht einen Psychotherapeuten<br />

gespräch<br />

sagte der Therapeut, er wisse noch nicht,<br />

ob er sich vorstellen könne, mit mir zu arbeiten.<br />

Er wollte es sich überlegen und meinte, er würde<br />

sich wegen eines Termins melden. Das einzige,<br />

was ich dann aber von ihm gehört habe, war ein<br />

Brief, mit der Aufforderung die Praxisgebühr zu<br />

überweisen.<br />

Zur Zeit brauche ich keine Therapie. Das heisst<br />

zwar nicht, dass ich alles verarbeitet habe. Aber<br />

ich kann damit umgehen. Ich hab jetzt auch nicht<br />

aus allem, was falsch gelaufen ist, irgendeine Lebensweisheit<br />

gezogen.<br />

Wer behauptet immer aus schlechten Erfahrungen<br />

zu lernen, ist meiner Meinung nach nicht ehrlich<br />

zu sich selbst.<br />

Es gibt charakterliche Eigenschaften, die nichts<br />

mit der Krankheit zu tun haben, die gerne aber<br />

mal als Teil der Krankheit gedeutet werden. Ich<br />

muss mich doch nicht jedes Mal drei Tage damit<br />

auseinandersetzen, warum ich jetzt in dem Moment<br />

so reagiert habe. Es hat auch nicht alles<br />

einen Grund. Manches ist Veranlagung. Ich war<br />

schon immer sehr laut und war schon immer auch<br />

im Streit laut, und das war auch nie ein Problem.<br />

Ich war auch immer kritisch mit dem, was in der<br />

Klinik gesagt wurde.<br />

<br />

es gerne „entstätigen“ lassen. Wenn ich wegen<br />

meiner körperlichen Krankheit im Krankenhaus<br />

bin, kann jeder in meinem Arztbrief sehen, dass<br />

<br />

so behandelt wie einer. Überall steht eben drauf:<br />

Borderline-Syndrom. Ich hab mich mit meiner<br />

Sozialpädagogin unterhalten, und sie meinte, sie<br />

kann sich das bei mir nicht vorstellen.<br />

Ich bin total umgänglich und es ist auch nicht so,<br />

dass ich ständig meine Kontakte wechseln würde.<br />

Ich sehe mich schon eher als beständige Person.<br />

Ich hab auch keine ständig wechselnden Geschlechtspartner.<br />

Ich verletze mich nicht selbst.<br />

Ich bin nicht manipulativ. Ich bin natürlich laut<br />

und lasse auch nicht alles mit mir machen, das<br />

war bevor ich krank wurde auch so und da hatte<br />

ich nicht gleich Borderline.<br />

Gerade fehlt mir eine Aufgabe und ich würde<br />

gerne wieder arbeiten. Ich fühle mich manchmal<br />

etwas wertlos, wenn ich erzählen muss, dass ich<br />

nichts mache. „Was machst du?“ gehört ja zu den<br />

gängigen Fragen. Dann muss ich entweder antworten,<br />

dass ich nichts mache, weil ich krank bin<br />

<strong>oder</strong> war <strong>oder</strong> ich sage einfach „ich mache nichts“.<br />

Dann sieht es so aus, als sei ich froh darüber, dass<br />

<br />

so ist.<br />

In ein paar Tagen habe ich ein Bewerbungsgespräch.<br />

Letztes Jahr hätte ich mir gar nicht vorstellen<br />

können, dass alles wieder gut wird, dass<br />

ich mich wieder leistungsfähig fühle und wieder<br />

Wünsche habe. Jetzt bin ich nur noch ab und zu<br />

traurig, nicht mehr depressiv. Ohne Medikamente<br />

fühle ich mich viel lebendiger als mit. Durch<br />

die Medikamente war ich zwar stabil, konnte aber<br />

weder fröhlich noch traurig sein. Es ist schwierig<br />

<br />

kenne viele, die sich darauf ausruhen, die sagen,<br />

sie sind krank und fertig. Das wollte ich nicht für<br />

mich. Ich wollte Veränderung.<br />

Hund Nala, Essen 2011


Rudi und Walter, Warstein 2010


Ich kann vom 1-Meter-Brett, vom Dreier, vom Fünfer, vom<br />

Zehner. Aber den mach ich nicht mehr, das ist zu gefährlich.<br />

<br />

zwölf Euro, für heute habe ich noch fünf Euro übrig. Abhauen<br />

bringt gar nix!<br />

Ich heisse Schimanski, so wie der Tatort Komissar, aber wir sind<br />

nicht verwandt. Sonst hätte ich viel mehr Geld, wenn ich einen<br />

Krimi-Komissar spielen würde.<br />

Rauchen Sie? Es gibt ausländische Zigarettenpackungen, die<br />

haben 19 Stück drin und die anderen haben 17. Sind sie Patient<br />

<br />

#2


Walter #2


Tagesklink Warstein, Kunsttherapie


Georg #3


Volière auf dem Klinikgelände Warstein


Aus dem „Eingangsfragebogen zur Ambulanten Psychotherapie“ eines Düsseldorfer Psychotherapeuten


wurde alles schlimmer. Ich hatte Depressionen<br />

und bei meiner Arbeit gab es einige Vorfälle, wegen<br />

denen ich nervlich zusammenbrach.<br />

Daraufhin war ich in psychiatrischer Behandlung<br />

und habe erst einmal Tabletten bekommen. Der<br />

Psychiater hat mich aber auch gefragt, ob ich mir<br />

vorstellen könne, mich in eine Behandlung zu<br />

begeben. Ich habe sofort ja gesagt.<br />

Zuerst bin ich für ein paar Wochen in die Tagesklinik<br />

gekommen.<br />

Die Tagesklinik hat mir, im Nachhinein betrachtet,<br />

gar nichts gebracht, da sie nicht auf mich<br />

zugeschnitten war. Aber ich wusste das nicht und<br />

hatte ein bisschen Scheu vor einer vollstationären<br />

Behandlung. Ich dachte, da sind nur die ganz<br />

Verrückten. Ich hatte gar kein Gefühl dafür, wie<br />

krank ich war. Ich dachte immer noch, ich funktioniere<br />

doch ganz gut. Mein Zustand verschlechterte<br />

sich aber in der Tagesklinik.<br />

<br />

wurde dann eine unklare Stelle in meinem Gehirn<br />

<br />

sofort in eine neurologische Klinik – raus aus dem<br />

<br />

Klinik. Dort wurde man nicht mehr mit Samthandschuhen<br />

angefasst.<br />

chungen<br />

und verbrachte die meiste Zeit in den<br />

<br />

stellte sich dann heraus, dass es kein bösartiger<br />

Tumor ist. Es hat sich nicht mehr verändert, was<br />

auch immer es ist.<br />

Als ich wieder in der Tagesklinik war, eskalierte<br />

eine Situation mit einer <strong>Mit</strong>patientin und ich habe<br />

eine ihrer Malereien kaputt gemacht. Ich hab in<br />

die Leinwand rein gestochen und sie aus dem<br />

Fenster geschmissen. Die Patientin hat mich<br />

immer so gereizt. Alles war furchtbar in der<br />

Tagesklinik. Es war falsch für mich da zu sein.


MRT, Sibylle


Die hätten mich gleich woanders hin packen sollen.<br />

Auch gegen meinen Willen.<br />

Morgens hatten wir immer eine Runde, in der<br />

jeder sagen sollte, wie es ihm ging. Es tat mir nicht<br />

gut, mir das anzuhören. Ich habe andere verbal<br />

attackiert und Streit gesucht. Der Arzt hätte mich<br />

eigentlich rausschmeißen müssen. Aber das war<br />

ein sehr netter Arzt, der viel für mich getan hat.<br />

Er hat es dann zustande gebracht, dass ich innerhalb<br />

einer Woche in die stationäre Klinik gehen<br />

konnte. Andere warten Wochen <strong>oder</strong> Monate auf<br />

diese Plätze.<br />

Als ich dann endlich in der stationären Psychiatrie<br />

war, war alles ganz anders. Da ist alles von<br />

mir abgefallen. Die Aggressionen. Plötzlich klapp-<br />

<br />

anders. Erst kam es mir vor wie in einem Straflager.<br />

Du darfst nicht rausgehen <strong>ohne</strong> Bescheid<br />

zu sagen. Es werden Strafpunkte verteilt, wenn<br />

man sich nicht an die Regeln hält. Bei drei Straf-<br />

<br />

Am Anfang darfst du auch am Wochenende nicht<br />

chenende.<br />

Nach und nach erhälst du mehr Freiheiten<br />

und es wird getestet, ob du im normalen<br />

Leben wieder funktionierst.<br />

<br />

Dann wirst du auch gefragt, wie es dir geht. Aber<br />

man wird dazu angehalten, um sich gegenseitig<br />

zu schützen, nicht mit den anderen Patienten über<br />

seine Krankheiten zu reden. Es hat mir gutgetan,<br />

nicht die ganzen Geschichten der anderen hören<br />

zu müssen. Es gibt ja auch Leute, die wer weiß<br />

was erlebt haben. Es war alles auf Abstand bedacht.<br />

Ich wollte eigentlich nicht dort sein. Aber<br />

irgendwie muss Psychotherapie auch Quälerei<br />

sein, damit es einem hinterher wieder besser geht.<br />

Wenn alles glatt läuft, stimmt irgendwas nicht.<br />

Als ich dann irgendwann akzeptiert hatte, dort<br />

zu sein, gab es auch schöne Zeiten. Das ganze<br />

Klinikgelände ist wie ein eigenes Dorf. Wie eine<br />

andere Welt. Ich hatte viel freie Zeit für mich. Ich<br />

habe dann stundenweise für vier Wochen eine<br />

kurze Wiedereingliederung in meine Arbeit gemacht.<br />

Andere Leute haben sich für die Wiedereingliederung<br />

wesentlich mehr Zeit gelassen. Ich<br />

war wieder ziemlich schnell drin. Das war wieder<br />

<br />

obwohl ich 3 Monate weg vom Arbeitsalltag war.<br />

Mein Chef und meine Teamleiterin wissen Bescheid<br />

über meine Erkrankung. Seitdem ich wieder<br />

arbeite, treffe ich mich regelmäßig mit meiner<br />

Teamleiterin, um meine Arbeit zu besprechen.<br />

Vor dem Klinikaufenthalt haben wir das nicht<br />

<br />

meinem Chef gegenüber und habe Vereinbarungen<br />

nicht eingehalten. Ich kann echt froh sein,<br />

dass ich dort nicht rausgeschmissen wurde.<br />

niere<br />

mich sehr stark über meinen Beruf. Das ist<br />

auch den Therapeuten aufgefallen. Immer wenn<br />

ich über meinen Job rede, bin ich sehr selbstbewusst.<br />

Als ob das eine Säule ist, die mich sehr<br />

trägt im Leben. Ich habe Leute erlebt, die gar<br />

nem<br />

Alter, die schon mit dem Gedanken spielen,<br />

sich einen Schwerbehinderten-Ausweis zu holen.<br />

Das ist für mich undenkbar. Das hört sich vielleicht<br />

etwas ausgelutscht an, aber für mich ist<br />

Arbeit gesellschaftliche Teilhabe. Wenn ich nicht<br />

arbeite, gehöre ich nicht dazu.<br />

Ich war ein einziges Mal bei einer Borderline-<br />

Selbsthilfegruppe. Am Ende der Stunde drehte<br />

<br />

wo man welche Beihilfen beantragen kann. Die<br />

Leute waren teilweise in meinem Alter. Ich dach-<br />

<br />

<br />

traurig zu sehen, wie Leute sich in jungen Jahren<br />

in dieser sozial prekären Situation so einrichten.<br />

Vielleicht waren die aber auch einfach stärker<br />

krank als ich. Ich hab‘s vielleicht noch ganz gut<br />

getroffen. Ich bin danach nie wieder hingegangen.<br />

Ich hatte Glück, nach dem Klinikaufenthalt in<br />

ein intaktes Leben zurückkehren zu können, in<br />

mein Berufsleben, meine Wohnung.


Die Medikamente haben mich schon verändert.<br />

Durch sie bin ich ruhiger und gelassener geworden.<br />

Ich bin nicht mehr so draufgängerisch, vielleicht<br />

bin ich langweiliger geworden, aber auch<br />

überlegter. Ich glaube nicht, dass ich durch die<br />

Medikamente ein anderer Mensch geworden bin.<br />

Vielleicht bin ich sogar mehr ich selbst. Das liegt<br />

aber nicht nur an den Medikamenten. Jetzt versuche<br />

ich einen Teil abzusetzen. Aber ich würde<br />

nicht alle absetzen. Es ist wichtig, dass ich etwas<br />

Stabilisierendes nehme. Ich muss schauen, dass<br />

nicht wieder etwas passiert. Ich glaube schon, dass<br />

<br />

muss ich darauf achten, Alarmsignale rechtzeitig<br />

zu erkennen...<br />

Ich fange gerade eine Psychotherapie an und lerne<br />

einen Therapeuten kennen. Ich hoffe sehr, dass<br />

ich meinen Therapeuten schätzen und respektieren<br />

kann und das, was er sagt, annehmen kann.<br />

<br />

da ich sehr anspruchsvoll bin. Wenn ich das Gefühl<br />

habe, dass mein Therapeut mich nicht versteht,<br />

kann ich sehr schnell umschlagen. Ich<br />

hoffe, dass ich nicht abbreche. Interessanterweise<br />

möchte ich lieber zu einem männlichen Therapeuten,<br />

als zu einer Frau. Vielleicht suche ich eine<br />

Art Vater-Figur, die mir den richtigen Weg zeigt,<br />

einen Mentor.<br />

Ich habe gerade angefangen, mich mit der Diagnose<br />

„Borderline“ auseinanderzusetzen und<br />

habe endlich ein Wort und einen Sinn in allem<br />

gefunden, was in den letzten Jahren so mit mir<br />

los war. Jetzt hat mein Therapeut gesagt, dass<br />

Borderline nur ein Sammelbegriff ist und er eher<br />

nur von einer Anpassungsstörung sprechen würde.<br />

Das mag nett gemeint sein, aber es hat mich<br />

enttäuscht, weil er mir damit wieder den Sinn<br />

entzogen und alles relativiert hat.<br />

Borderline gibt’s gar nicht. Da fühle ich mich<br />

nicht ernst genommen.<br />

Ich brauchte das am Anfang, um in dem ganzen<br />

Chaos einen Sinn zu sehen. Ich kann das aber<br />

auch wieder hinter mir lassen. Die ganzen Bücher<br />

über Borderline rühre ich jetzt nicht mehr an.<br />

Das ist doch auch ein gutes Zeichen.<br />

Vor der Behandlung hatte ich das Gefühl, da ist<br />

eine ganz große Leerstelle, die ich füllen muss,<br />

mit irgendwas, mit irgendwelchen Aktivitäten.<br />

Ich glaube auch, dass ich ein bisschen was von<br />

einer Manie hatte, weil ich in bestimmten Dingen<br />

aufgegangen bin, nur um eine Leere zu füllen.<br />

Das hat mich aber irgendwie krank gemacht. Das<br />

ganze letzte Jahr war wie eine Achterbahn und<br />

irgendwann ging gar nichts mehr. Es hat mich<br />

krank gemacht, weil ich irgendwas gesucht habe<br />

und andere das vielleicht ausgenutzt haben. Ich<br />

habe Liebe und Geborgenheit gesucht. Das ist<br />

ganz klar eine meiner psychischen Schwierigkeiten,<br />

weswegen ich auch eine Therapie brauche:<br />

sich verlieben und Beziehungen zu führen. Ich<br />

habe lange keine Partnerschaft gehabt. Wenn<br />

man einen Partner hat, erhält man immer ein<br />

Feedback darüber, wer man ist. Man spiegelt sich<br />

immer im Partner und man bekommt auch etwas<br />

von sich zurück gespiegelt.<br />

Aber eigentlich, wenn ich mich mal ganz freimache,<br />

von allem was man üblicherweise erreicht<br />

haben sollte in meinem Alter – einen festen Part-<br />

<br />

gar nicht so schlecht. Ich habe viele Freiheiten<br />

und viel Zeit für mich, verdiene mein eigenes Geld<br />

und kann machen was ich will. So schlecht geht<br />

es mir gar nicht.<br />

Ich brauche einen Begriff, an dem ich mich festhalten<br />

kann. Ich habe mich auch eindeutig darin<br />

wiedergesehen, wenn ich Bücher darüber gelesen<br />

habe und war erleichtert, dass ich endlich herausgefunden<br />

habe, was mit mir los ist. Dann kommt<br />

ein Therapeut an, relativiert das Ganze und sagt,


Weisser Raum, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Klangraum, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Entspannungszimmer der Tagesklinik, Warstein


Vor dem Wasserbett, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Vor dem Wasserbett, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Vor dem Wasserbett, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Blick auf Warstein, Aussicht Haus 12


Kannst du mir einen Abzug von dem Foto mitbringen, ich würde<br />

es gerne meiner Familie in Polen zeigen. Die glauben mir nämlich<br />

nicht, dass ich hier arbeite.<br />

<br />

zeige ich dir Fotos von früher.<br />

#3


Brief einer Patientin an den Geliebten


Kannst du mir einen Abzug von dem Foto mitbringen, ich würde<br />

es gerne meiner Familie in Polen zeigen. Die glauben mir nämlich<br />

nicht, dass ich hier arbeite.<br />

<br />

zeige ich dir Fotos von früher.<br />

#3


Klinikpark, Lippstadt


Klinikpark, Warstein


Klinikpark, Warstein<br />

Notiz für eine E-Mail an den Vorgesetzten


Teich mit Vogelhaus, Klinikpark, Warstein


Brief aus der Zeit einer postpsychotischen Depression


Teich mit Vogelhaus, Klinikpark, Warstein


Ich habe mit 15 zweimal Ecstasy genommen. Auf der ersten<br />

Pille war eine Katze abgebildet. Die war gut, ich hatte einen<br />

schönen Trip. Auf der zweiten war ein Pfennigstück. Kurz nachdem<br />

ich die zweite genommen hatte, fühlte ich mich komisch.<br />

Ich bin nicht umgekippt, <strong>oder</strong> so. Aber ganz plötzlich habe ich<br />

mich sehr, sehr traurig gefühlt. Meine Freunde um mich herum<br />

haben davon nichts mitbekommen. Die haben weitergefeiert.<br />

Am nächsten Morgen war das Gefühl immer noch da. Später<br />

habe ich von den Ärzten gehört, dass ich wahrscheinlich eine<br />

<br />

heute an. Ich bin zurzeit psychotisch. Ich habe auch eine Sozialphobie<br />

und lebe sehr zurückgezogen. Deswegen langweile ich<br />

mich auch sehr hier in der Klinik. Nachmittags gehe ich raus<br />

<br />

<br />

kontrolliert werden. Bist du denn noch nie in deinem Leben nach<br />

irgendwas süchtig gewesen?<br />

#4


Jan-William #1


Brief an einen Freund


Jan-William #1


Jan-William #4


Fliegenfänger, Parkgruppe, Warstein


Weihnachtskarte an einen Bew<strong>ohne</strong>r einer Wohngruppe


Fliegenfänger, Parkgruppe, Warstein


Alex #5


Ich habe das Modul hier abgebrochen, es bringt einfach nichts.<br />

Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, bekomme nichts mehr<br />

in meinen Kopf rein. Meine Eltern freuen sich nicht gerade,<br />

wenn ich frühzeitig wieder zuhause bin. Sie haben wahrscheinlich<br />

Angst, dass ich wieder etwas anstelle, dass ich mich andauernd<br />

betrinke, und so. Was denken die eigentlich? Ich bin hier<br />

neben dem Borderline-Modul einmal in der Woche in einer<br />

Suchtgruppe. In meinem Leben habe ich schon ziemlich viel<br />

ausprobiert: Klebstoff- und Benzinschnüffeln, Nikotin, Alkohol.<br />

Wenn du etwas ausprobierst und die positiven Erfahrungen<br />

überwiegen – also du machst vielleicht nur ein-, zweimal negative<br />

Trips und hast ansonsten einen schönen Rausch – dann ist<br />

es doch kein Wunder, wenn das süchtig macht. Wenn mich einer<br />

von den Therapeuten hier aufklären will, dann frage ich mich<br />

manchmal: Was weiß der eigentlich schon? Der hat doch noch<br />

<br />

erzählen?<br />

#5


Ich habe das Modul hier abgebrochen, es bringt einfach nichts.<br />

Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, bekomme nichts mehr<br />

in meinen Kopf rein. Meine Eltern freuen sich nicht gerade,<br />

wenn ich frühzeitig wieder zuhause bin. Sie haben wahrscheinlich<br />

Angst, dass ich wieder etwas anstelle, dass ich mich andauernd<br />

betrinke, und so. Was denken die eigentlich? Ich bin hier<br />

neben dem Borderline-Modul einmal in der Woche in einer<br />

Suchtgruppe. In meinem Leben habe ich schon ziemlich viel<br />

ausprobiert: Klebstoff- und Benzinschnüffeln, Nikotin, Alkohol.<br />

Wenn du etwas ausprobierst und die positiven Erfahrungen<br />

überwiegen – also du machst vielleicht nur ein-, zweimal negative<br />

Trips und hast ansonsten einen schönen Rausch – dann ist<br />

es doch kein Wunder, wenn das süchtig macht. Wenn mich einer<br />

von den Therapeuten hier aufklären will, dann frage ich mich<br />

manchmal: Was weiß der eigentlich schon? Der hat doch noch<br />

<br />

erzählen?<br />

#5<br />

Brief an eine ehemalige Kollegin, geschrieben nach einer Psychose


Das Bällebad, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Die Glaubenswirklichkeit: Du spürst, dass er da<br />

ist, <strong>oder</strong> sie, <strong>oder</strong> was weiß ich. Deine Sehnsucht<br />

ist die Antwort auf sein Rufen, er ruft uns ständig.<br />

Ein anderer gleitet in der Suche in Tabletten ab,<br />

in Alkohol, in Kaufrausch, und was weiß ich,<br />

Fußballplatz.<br />

Ich gebe Ikonen-Kurse, nicht Malen, wir schreiben,<br />

eine andere Sicht, der Mensch der heutigen<br />

Zeit sagt „Malen“ dazu.<br />

Man muss es mal erfahren und nicht im Kopf<br />

<br />

mir?<br />

will mich hervortun. Je nachdem wie sehr ich<br />

mich dann zurücknehmen kann, umso mehr<br />

kommen die Ikonen durch.<br />

Ich sammle zurzeit Kreuze, im Fotoapparat hab<br />

ich schon einige drin, aus Maastricht, aus Ton-<br />

den,<br />

er hängt da, <strong>ohne</strong> Kreuz, das ist mir lieber.<br />

Viele Katholiken bleiben am Kreuz hängen, es<br />

ging ja auch um die Auferstehung, diesen Weg<br />

müssen wir – jeder einzelne – auch durchschreiten,<br />

sich zurücknehmen, möglichst weit, und wenn<br />

es geht, sogar sterben. Aber er stirbt nicht, er ist<br />

nicht tot!<br />

Ein ganz berühmter Künstler, ein evangelischer<br />

Pfarrer, der nachher als Einsiedler lebte und Ikonen<br />

aus Metall machte, aus vier verschiedenen<br />

Stoffen, die sich eigentlich nicht vertragen. Er hat<br />

einen Weg gefunden dass sie sich doch vertragen,<br />

wunderbare neue Ikonen. Da sagt jeder orthodoxe<br />

Priester „das sind keine Ikonen“. Weil sie aus<br />

<br />

Natürlich durch meinen Filter des kleinen Ichs,<br />

ich will mich produzieren, ich will glänzen, ich<br />

Ich habe Lyrica genommen, gegen die Angst,<br />

dann abgesetzt. Das Citalopram gegen Depressionen<br />

will ich ausschleichen, das hab ich jetzt ein<br />

halbes Jahr lang genommen. <strong>Mit</strong> meinem Arzt<br />

habe ich schon gesprochen und ich möchte es<br />

absetzen. Mein Seelenbegleiter sagt mir, ich soll<br />

es noch ein Jahr nehmen, der traut dem Braten<br />

nicht. Aber ich bin jetzt so stark, vielleicht bin ich<br />

auch etwas übermütig, aber ich werde es absetzen<br />

<br />

Hans-Jürgen


Ich war evangelisch, aber längere Zeit als Ingenieur<br />

auch vermeintlicher Atheist gewesen. Durch<br />

schwere Depressionen und durch Stimmen, die<br />

ich hörte, „Werde Wasser, werde Klang“ – und<br />

noch so einige, bin ich auf den Weg gegangen.<br />

<strong>Mit</strong> Sechsundreissig war ich am Ende mit meinem<br />

Latein, als tobender Bauleiter, immer auf Terminjagd.<br />

Ich war am Ende.<br />

Ich habe eine Kur gemacht, bei der auch die psychologische<br />

Seite betrachtet wurde, da ging mir<br />

ein Licht auf. Ein Psychologe hat nach der Arbeit<br />

Meditations-Kurse gegeben. Da bin ich zu Wort<br />

gekommen, Mantra, aus Asien – Omahum – und<br />

<br />

in einen Vulkan rein und merkte richtig wie die<br />

<br />

ich immer wieder meine Augen aufgerissen.<br />

Ich bin ja Techniker, daher versuche ich mal, es<br />

in meiner Sprache zu erklären:<br />

Die Festplatte des Kopfes in Gigabyte – <strong>oder</strong> was<br />

weiß ich – ist begrenzt. Alle Wissenschaftler haben<br />

irgendwann begriffen: Es geht nicht weiter,<br />

alles schon gedacht, immer neue Tore, immer<br />

neue Wege. Soviel kann ich gar nicht denken!<br />

Soviel Zeit habe ich gar nicht!<br />

<br />

<br />

bereits da ist.<br />

Entschuldigung das ist schwerer Tobak. Das sind<br />

<br />

nicht in einer halben Stunde verclickert. Es kann<br />

nur neugierig machen – den Weg muss jeder alleine<br />

gehen. Ende letzten Jahres hatte ich meine<br />

rigen<br />

Meditations-Erfahrung alles vergessen. Ich<br />

konnte noch nicht mal erklären, was Kontemplation<br />

bedeutet.<br />

<br />

<br />

wälzen und nur Ängste; und schlimme Gedanken.<br />

Dann vom Bett zur Couch und wieder zurück.<br />

<br />

Verrückt.<br />

<br />

sich dann ein bisschen. Ich konnte dann wieder<br />

ein bisschen leben, nach ein paar Flaschen Bier.<br />

Aber dann wurde es immer mehr und immer<br />

schlimmer und hoffentlich bin ich jetzt raus.<br />

Jetzt geschieht wieder ein Wunder nach dem anderen.<br />

Ich bin gespannt was noch kommt.<br />

Hans-Jürgen


Früher hab ich zu mir gesagt: „Du wirst jetzt ein<br />

großer Künstler. Auch wenn du schizophren wirst,<br />

gehörst du zu einem Milieu dazu und machst das<br />

Beste draus.“<br />

In der Schule habe ich viele Drogen ausprobiert:<br />

<br />

<br />

einigen Monaten wurde in einer Psychiatrie eine<br />

Schizophrenie diagnostiziert.<br />

Zuerst wollte ich noch Künstler werden. Ich wollte<br />

normal sein, bzw. mich einem Milieu anschließen,<br />

in dem so eine Krankheit akzeptiert ist. Oder<br />

wo es nicht auffällt. Ich dachte, ich könnte es<br />

schaffen ein Künstler zu werden.<br />

<br />

mich nicht mehr so sehr über die Krankheit. Meine<br />

Psychosen sind sehr religiös geprägt. Dann<br />

sehe ich mich nicht als einen kranken, sondern<br />

als einen normalen Menschen, der sehr religiös<br />

ist. Während meiner Psychosen kommuniziere<br />

ich mit Gott, er gibt mir immer wieder Zeichen.<br />

Auch während meiner ersten Psychose gab es<br />

diese göttlichen Zeichen, aber ich war noch nicht<br />

religiös und konnte sie nicht deuten. Damals wusste<br />

ich noch nicht, was in der Bibel steht.<br />

Erst später habe ich mich auf Gott eingelassen<br />

und ihn während meiner Visionen kennengelernt.<br />

Manchmal habe ich Wolkenbilder gesehen und<br />

versuchte auch die Wolken zu verschieben. Ich<br />

hatte noch keine Ahnung von Gott, aber ich wusste,<br />

dass dort etwas war, das ich nicht kannte. Irgendwie<br />

wusste ich, dass er mir diese Zeichen<br />

gibt. Ich habe mit ihm gesprochen und er hat mir<br />

geantwortet. Gott hat sich mir vorgestellt. Ich<br />

sehe die Zeichen auch, wenn ich nicht psychotisch<br />

bin. Wenn ich es jedoch bin, dann sind es mehr.<br />

Dann bin ich religiöser als sonst, rede mit Leuten<br />

und gebe die Botschaft weiter. Sonst würde ich<br />

das wohl nicht machen. Da habe ich mich gefragt,<br />

was eine Psychose überhaupt ist.<br />

Für mich sind die Psychosen wie Träume, wobei<br />

<br />

wollen. Vielleicht ist es ein Zustand, in dem Gott<br />

sich mir vorstellt, wo ich ihn kennenlernen kann.<br />

Die Psychose kommt von Gott, <strong>oder</strong>?<br />

Seitdem ich religiös bin, fühle ich mich oft wohl,<br />

wenn ich psychotisch bin. Ich mache schöne Erfahrungen<br />

und verstehe die Psychose nicht als<br />

schlimme Phase. Dann wäre es auch keine Krankheit.<br />

Natürlich gibt es auch missverständliche<br />

Zeichen. Der Teufel versucht sich einzuschleichen<br />

Thomas


und einen auf Irrwege zu bringen. Dann nimmt<br />

das Böse überhand und man hat Wahnvorstellungen.<br />

Wenn man sich da hinein steigert, dann<br />

gerät man wirklich in eine Psychose. Ich habe<br />

mich auch schon fehlleiten lassen, als ich noch<br />

unerfahren war. Manchmal ist es nicht so leicht<br />

zu wissen, was von Gott kommt. Aber man muss<br />

sich für das Richtige entscheiden. Gott hat zwar<br />

alles vorbestimmt und weiß auch, wohin mein<br />

Leben geht, aber man hat noch seinen freien Willen<br />

für die Entscheidungen. <strong>Mit</strong>tlerweile höre ich<br />

<br />

Geist erfüllt. Ich kann die richtigen Entscheidungen<br />

treffen.<br />

Einmal war ich mit meiner Ente am Rhein unterwegs<br />

und plötzlich war im Rückspiegel eine<br />

seltsame Limousine zu sehen. Ich hatte Angst, die<br />

Kirche schickt Schwadronen aus. Ritter der Kirche,<br />

die den Auftrag haben alle Sünder zu eliminieren.<br />

Ich fuhr auf einen Parkplatz. Das Auto<br />

ebenfalls und es stiegen zwei Männer in schwarzem<br />

Leder aus. Als sie den Kofferraum aufmachten,<br />

dachte ich: „Jetzt holen die ihre Gewehre<br />

<br />

stehen geblieben!<br />

Da hab ich Gas gegeben, bin so schnell ich konnte<br />

davongefahren. Dann kam mir ein hellblauer<br />

Ford entgegen mit einer unheimlichen schönen<br />

Frau am Steuer. Für mich war das ein Zeichen,<br />

dass ich richtig gehandelt habe. Ich dachte auch,<br />

andere können meine Gedanken lesen. Auf der<br />

Autobahn gaben sich die Fahrer Geheimzeichen<br />

mit dem Blinker. Ich dachte auch, dass die Farben<br />

der anderen Autos meine Gedanken widerspiegeln<br />

und bewerten. Wenn ein himmelblaues Auto zu<br />

sehen war, hatte ich christliche Gedanken. Bei<br />

einem roten Auto waren es liebevolle Gedanken.<br />

Ein gelbes Auto zeigte mir, dass ich Neidgefühle<br />

hatte. Ein schwarzes Auto? Vielleicht vom Gericht<br />

mer<br />

zuzutreffen und die Masse an Autos zeigte<br />

mir im Nachhinein die Masse der Gedanken in<br />

meinem Kopf.<br />

Zuhause wollte ich Jesus nachfolgen und gab meine<br />

komplette Wohnungseinrichtung auf. Meine<br />

<br />

<br />

und brachte es zum Sperrmüll. Ich war frei vom<br />

Mammon, Markenkleidung, sowieso alles unnüt-<br />

<br />

kochte und zeigte mir beim Beten den Weg auf<br />

die Knie. Er stellte mir Mahlzeiten zusammen.<br />

Das Kochen machte mir großen Spaß. Aus Zwiebeln<br />

wurde ein Zwiebelwasser für den Körper<br />

und ein super Putzmittel. Alles wurde verwendet,<br />

ich hatte kaum noch Müll in der Küche. Alles<br />

wurde getrennt und recycelt. Noch heute bin ich<br />

der Meinung, ein Großteil meiner Gedanken sind<br />

Visionen und Eingaben, die von Gott stammen.<br />

<br />

Seitdem weiß ich aber eigentlich gar nicht mehr,<br />

wer ich bin. Ich kann nur beurteilen, wie ich mich<br />

fühle, wenn ich mit anderen Menschen zusammen<br />

bin. Wenn ich mit Studierten zusammen bin,<br />

fühle ich mich meist als ein Mensch unterer Kategorie<br />

und versuche dem mit Demut zu begegnen,<br />

muss dann bescheiden sein und zurückstecken,<br />

weil ich nicht so gebildet bin und nicht so<br />

viel Geld verdiene.<br />

Wenn du krank bist, bist du neidisch auf Gesunde,<br />

die voll belastbar sind. Andere haben Karriere<br />

gemacht und sind reich geworden und was<br />

machst du eigentlich, Thomas? Rauchst Zigaretten<br />

und denkst darüber nach, was das Leben noch<br />

für dich bringt.<br />

<br />

<br />

auch nicht so interessant, wenn ich ehrlich bin.<br />

Ich habe ein bisschen Ahnung von Computern,<br />

das habe ich mir selber beigebracht. Da merke<br />

ich, dass ich manchmal anderen überlegen bin,<br />

das sollte man aber nicht ausnutzen.<br />

Rochuskirche, Düsseldorf


Weisser Raum, Snoezelen-Zentrum, Lippstadt


Bernd, Wohngruppe 9 Warstein


Bernd, Wohngruppe 9 Warstein


Selbstportrait, 2010


„There’s only a thin line between the sane and the mad“<br />

Old Middlewestern Saying<br />

<br />

Stunden vorher von ihrem Freund verlassen worden war. Am folgenden Morgen<br />

wurde sie auf eigenen Wunsch in die Psychiatrie gebracht. Ich versuchte<br />

<br />

An welchem Punkt hat man sein eigenes Leben so sehr verloren, dass die Einweisung<br />

in eine Psychiatrie der einzig denkbare Weg ist? Wie weit bin ich selbst<br />

davon entfernt?<br />

<br />

auf Visionen, Verschwörungstheorien und auf Patienten, die sich für Queen<br />

Elizabeth hielten. Stattdessen begegnete ich Menschen, die sich nicht sehr von<br />

mir unterscheiden. Menschen mit dem gleichen Musikgeschmack, dem gleichen<br />

Leistungs- und Erfolgsdruck und den gleichen Ängsten.<br />

Menschen, deren Leben an einem bestimmten Punkt aus der Balance geraten<br />

ist. Drogenmissbrauch <strong>oder</strong> auch nur Pech, Überforderung im Beruf, Liebeskummer<br />

– meist kommt Mehreres zusammen.<br />

Wie gehen Menschen mit dieser Situation um? Wohin werfen sie ihre Rettungsanker?<br />

An welchen Aufgaben sind sie im Alltag gescheitert? Welche neuen<br />

Aufgaben suchen sie sich?<br />

Von Beginn an habe ich Briefe und E-Mails gesammelt. Texte, die Patienten<br />

von Ämtern, Freunden, Bekannten bekommen <strong>oder</strong> selbst versendet haben.<br />

Eine Patientin schrieb mir dazu: „Ich glaub nicht, dass man so ein Schreiben<br />

<br />

drin steckt. Nicht mal ich selber könnte so einen Brief nachschreiben.<br />

Eine Darstellung in der Art kann nützlich sein, um Gesunden ein Bild davon<br />

zu geben, wie es ist, wenn man gottverlassen ist und von der Bürokratie zerfressen<br />

wird.“<br />

Ich danke allen, die mich unterstützt haben.


Fotografie: Michael Englert, Buchgestaltung: Eva Wernet<br />

Text-Redaktion: Michael Englert, Victoria Oberkoch<br />

Zeichnung (links): Ben Mathis<br />

Druckerei: Orange Office, Düsseldorf<br />

Herzlichen Dank<br />

für die Betreuung meines Projekts gilt<br />

Prof. Susanne Brügger und Dirk Gebhardt<br />

Victoria Oberkoch, Eva Wernet,<br />

Andreas Fechner, Elisabeth Giers<br />

Anja Schürmann, Ute Klein,<br />

Semra Babal-Kuruogullari, Anja Hepp<br />

und meinen Eltern<br />

Dr. Lessmann, Eva Brinkmann, Armin Mues und allen <strong>Mit</strong>arbeitern<br />

der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt, die mich unterstützt haben,<br />

sowie allen Menschen, die den Mut hatten, sich fotografieren zu lassen.

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