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Mit Gesicht oder ohne?

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Die hätten mich gleich woanders hin packen sollen.<br />

Auch gegen meinen Willen.<br />

Morgens hatten wir immer eine Runde, in der<br />

jeder sagen sollte, wie es ihm ging. Es tat mir nicht<br />

gut, mir das anzuhören. Ich habe andere verbal<br />

attackiert und Streit gesucht. Der Arzt hätte mich<br />

eigentlich rausschmeißen müssen. Aber das war<br />

ein sehr netter Arzt, der viel für mich getan hat.<br />

Er hat es dann zustande gebracht, dass ich innerhalb<br />

einer Woche in die stationäre Klinik gehen<br />

konnte. Andere warten Wochen <strong>oder</strong> Monate auf<br />

diese Plätze.<br />

Als ich dann endlich in der stationären Psychiatrie<br />

war, war alles ganz anders. Da ist alles von<br />

mir abgefallen. Die Aggressionen. Plötzlich klapp-<br />

<br />

anders. Erst kam es mir vor wie in einem Straflager.<br />

Du darfst nicht rausgehen <strong>ohne</strong> Bescheid<br />

zu sagen. Es werden Strafpunkte verteilt, wenn<br />

man sich nicht an die Regeln hält. Bei drei Straf-<br />

<br />

Am Anfang darfst du auch am Wochenende nicht<br />

chenende.<br />

Nach und nach erhälst du mehr Freiheiten<br />

und es wird getestet, ob du im normalen<br />

Leben wieder funktionierst.<br />

<br />

Dann wirst du auch gefragt, wie es dir geht. Aber<br />

man wird dazu angehalten, um sich gegenseitig<br />

zu schützen, nicht mit den anderen Patienten über<br />

seine Krankheiten zu reden. Es hat mir gutgetan,<br />

nicht die ganzen Geschichten der anderen hören<br />

zu müssen. Es gibt ja auch Leute, die wer weiß<br />

was erlebt haben. Es war alles auf Abstand bedacht.<br />

Ich wollte eigentlich nicht dort sein. Aber<br />

irgendwie muss Psychotherapie auch Quälerei<br />

sein, damit es einem hinterher wieder besser geht.<br />

Wenn alles glatt läuft, stimmt irgendwas nicht.<br />

Als ich dann irgendwann akzeptiert hatte, dort<br />

zu sein, gab es auch schöne Zeiten. Das ganze<br />

Klinikgelände ist wie ein eigenes Dorf. Wie eine<br />

andere Welt. Ich hatte viel freie Zeit für mich. Ich<br />

habe dann stundenweise für vier Wochen eine<br />

kurze Wiedereingliederung in meine Arbeit gemacht.<br />

Andere Leute haben sich für die Wiedereingliederung<br />

wesentlich mehr Zeit gelassen. Ich<br />

war wieder ziemlich schnell drin. Das war wieder<br />

<br />

obwohl ich 3 Monate weg vom Arbeitsalltag war.<br />

Mein Chef und meine Teamleiterin wissen Bescheid<br />

über meine Erkrankung. Seitdem ich wieder<br />

arbeite, treffe ich mich regelmäßig mit meiner<br />

Teamleiterin, um meine Arbeit zu besprechen.<br />

Vor dem Klinikaufenthalt haben wir das nicht<br />

<br />

meinem Chef gegenüber und habe Vereinbarungen<br />

nicht eingehalten. Ich kann echt froh sein,<br />

dass ich dort nicht rausgeschmissen wurde.<br />

niere<br />

mich sehr stark über meinen Beruf. Das ist<br />

auch den Therapeuten aufgefallen. Immer wenn<br />

ich über meinen Job rede, bin ich sehr selbstbewusst.<br />

Als ob das eine Säule ist, die mich sehr<br />

trägt im Leben. Ich habe Leute erlebt, die gar<br />

nem<br />

Alter, die schon mit dem Gedanken spielen,<br />

sich einen Schwerbehinderten-Ausweis zu holen.<br />

Das ist für mich undenkbar. Das hört sich vielleicht<br />

etwas ausgelutscht an, aber für mich ist<br />

Arbeit gesellschaftliche Teilhabe. Wenn ich nicht<br />

arbeite, gehöre ich nicht dazu.<br />

Ich war ein einziges Mal bei einer Borderline-<br />

Selbsthilfegruppe. Am Ende der Stunde drehte<br />

<br />

wo man welche Beihilfen beantragen kann. Die<br />

Leute waren teilweise in meinem Alter. Ich dach-<br />

<br />

<br />

traurig zu sehen, wie Leute sich in jungen Jahren<br />

in dieser sozial prekären Situation so einrichten.<br />

Vielleicht waren die aber auch einfach stärker<br />

krank als ich. Ich hab‘s vielleicht noch ganz gut<br />

getroffen. Ich bin danach nie wieder hingegangen.<br />

Ich hatte Glück, nach dem Klinikaufenthalt in<br />

ein intaktes Leben zurückkehren zu können, in<br />

mein Berufsleben, meine Wohnung.

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