Ultraläufer Holger Boller

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Erlebnis
UTMB
Widrige Wetterverhältnisse und
die Dunkelheit bei Nacht sind
zusätzliche Herausforderungen
für die Athleten.
und haben etwa 125 Kilometer und knapp 7.000 Höhenmeter
hinter sich. Seit knapp 22 Stunden fahren wir Holger nun
schon hinterher. Von VP zu VP, durch die Nacht hindurch.
Und wie es aussieht, wird es auch in der kommenden Nacht
keinen Schlaf geben – solange Holger nicht im Ziel ist, ist
die Crew für ihn da, ohne Wenn und Aber. Dann sehen
wir ihn in der Ferne. „Schwarze Jacke, schwarze Hose –
das perfekte Outfit um unentdeckt zu bleiben“, scherzt
Jörg. Er rennt
zurück ins Zelt,
um sich auf den
„Pitstop“ vorzubereiten.
Ich
warte auf unseren
Läufer. Es
heißt, man soll
einen Ultraläufer während eines Wettkampfs nicht nach
seinem Befinden fragen. Das muss ich auch gar nicht.
„Der Tank ist leer …“, sagt Holger schwer atmend und
mit gezeichnetem Gesicht.
Etwa vier Wochen vor Chamonix treffen wir uns
allesamt in einem Café im rheinland-pfälzischen Bendorf.
Holger erzählt bei einem alkoholfreien Hefeweizen von
seiner Teilnahme an diversen Ultraläufen. Die Läufe nennen
sich Junut, Hexenstieg, WiBoLT oder TorTour de Ruhr,
alles Läufe mit einer Länge von über 200 Kilometern und
häufig tausenden Höhenmetern. Wer diese vier Läufe
UTMB
Hard Facts
Länge
171 Kilometer
Höhenmeter
10.000 Meter
Zeitlimit
46 ½ Stunden
Starter/Finisher 2018
2.561/1.771
Nationalitäten 2018
76
Sieger 2018
Männer: Xavier Thevernard
(FR), 20:44:16
Frauen: Francesca Canepa
(ITA), 26:03:48
innerhalb von zwei Jahren gelaufen ist, der hat die sogenannte
„Millenium Quest“ vollendet. Seitdem trägt der
Ultraläufer mit den hellblauen Augen den Spitznamen
„Wolf“, ein Erkennungsmerkmal der nur sehr wenigen
Finisher dieser anspruchsvollen Laufserie. Das Laufen
von sehr langen Distanzen in hügeligen und bergigen
Landschaften, das ist Leidenschaft des „Wolfs“. Was das
Höhenprofil angeht, zählt der UTMB allerdings zu den
anspruchsvollsten
Ultramarathons, die
Unter diesen Bedingungen war das
mein bislang härtester Lauf.
Holger Boller
man so machen
kann: Über 10.000
Höhenmeter im
Auf- und Abstieg
sind zu bewältigen.
Das wäre so, als
wenn man rund 26 Mal die Treppen des Empire State
Buildings emporsteigen würde. Nur ohne Geländer und
auf teilweise matschigen, steinigen und alpinen Pfaden.
Zurück im Zelt des VPs. Hier herrscht Gewusel und
eine laute Atmosphäre. Man hört Französisch, Englisch
und Deutsch, aber auch Russisch, Chinesisch oder Spanisch.
Nicht zu Unrecht wird der UTMB in der Trailszene auch
als Weltmeisterschaft des Sports bezeichnet. Die ganze
Trailwelt ist in diesen Tagen zu Gast in der Region rund
um den Mont-Blanc. Es riecht nach nasser Erde, Schweißfüßen
und Fritteusenfett von dem Stand, der Bratwurst
aktivLaufen
Getty Images (5), Privat (1), UTMB (1)
und Pommes verkauft. Das Zelt ist zweigeteilt. Eine
Hälfe gehört den Athleten und einem vorher bestimmten
Betreuer, der dem Läufer assistieren darf. Freunden,
Familie und Schaulustigen gehört die andere Hälfte des
Zeltes. Der „Wolf“ sitzt mit hängendem Kopf auf einer
Bank, während Jörg seine Wasserflaschen befüllt und ihm
gut zuredet. Es sind diese Momente, die entscheidend
sind. Schafft es der erschöpfte Läufer, den immer stärker
werden Impuls aufzuhören und alles hinzuschmeißen, zu
überwinden? Wird Holger die Willenskraft aufbringen
können? Jörg flüstert ihm etwas ins Ohr und klopft ihm
auf die Schulter. Ein kleines Lächeln huscht über Holgers
Miene. Er sieht zu uns rüber. Und dann steht er auf. Am
Ende des etwa 15 minütigen Stopps verlässt Holger das
Zelt und es geht weiter. In wenigen Stunden wird es
wieder dunkel werden und die zweite Nacht wird bald
anbrechen. Es sind manchmal nur Fragmente, kleine
Bilder, die einen große Geschichte erzählen können, und
für diesen UTMB bleibt mir folgende Szene im Gedächtnis:
Draußen vor dem Zelt greift Petra Holgers Hand. Hand
in Hand gehen die beiden ein paar Meter des Weges
gemeinsam. Eine Geste, die Holger Kraft geben wird. Der
Lauf zerrt auch an ihren Nerven. „Ich habe mitgelitten,
habe mit Angst gehabt“, sagt sie anschließend im Auto,
als wir schon wieder zum nächsten VP nach Trient unterwegs
sind.
Minusgrade und Bergpässe
Das Besondere, ja das Reizvolle an dem Ultralaufen ist der
Abenteueraspekt. Auf einer solchen Distanz, wenn man
Stunden, Tage am Stück läuft, da kann, nein, da wird mit
Sicherheit sehr viel Unvorhersehbares passieren. Holger
hat bereits am Anfang mit einer defekten Trinkblase zu
kämpfen und ist darüber hinaus zu warm angezogen.
Seine Kleidung ist schnell komplett nassgeschwitzt und die
Wasservorräte reichen nicht aus um, den Flüssigkeitsverlust
zu kompensieren. Ebenfalls im Columbia-Sportswear-Team
ist der Franzose Sébastien Camus. Auch er hat Probleme.
Die kräftezehrende Überquerung des Grand Col Ferret,
ein Pass auf 2.500 Metern Höhe, setzt ihm zu. „Es waren
um die minus 10 Grad da oben, ich war völlig unterkühlt“,
berichtet Camus. Das Wetter ist schlecht. Auch die
Eliteläufer leiden. Viele steigen aus. 2018 wird als das Jahr
des Favoritensterbens in die UTMB-Geschichte eingehen.
Der „Wolf“ aber beißt sich durch, macht Plätze gut und
läuft um 4 Uhr morgens in Chamonix nach 34 Stunden,
7 Minuten und 29 Sekunden über die Ziellinie. Holger
hat alles gegeben. Vielleicht so viel wie noch nie zuvor.
Überglücklich und erleichtert reißt er seine Hände in
den Himmel. Es ist sein wahrscheinlich schwerster Lauf
gewesen. „Ich habe schon unheimlich viele Wettkämpfe
gemacht, auch alpiner Natur, aber keinen, bei dem ich mit
solchen Wetterbedingungen konfrontiert wurde“, sagt er
und wischt sich den Schweiß des Zielsprints von der Stirn.
Am nächsten Tag sitzen wir mittags in einem Café.
Es kommen noch immer Läufer ins Ziel. Holger hat gut
geschlafen und sieht erholt aus. „So wie der Wettkampf
gelaufen ist, bin ich mit dem Ergebnis super zufrieden“,
sagt er, während er sich auf seinen Eisbecher stürzt. Sein
großes Ziel, unter 32 Stunden zu laufen, hätte er zwar
nicht erreicht, aber der Finish sei extrem wichtig gewesen.
Die Analyse ist bereits in vollem Gange. „Es waren
am Ende des Tages die Versorgungsprobleme und mein
Magen. Im Prinzip bin ich ab Courmayeur mit leerem
aktivLaufen
Tank gefahren“, bercihtet der Columbia-Athlet. „Eigentlich
unvorstellbar“, schmunzelt er daraufhin. Ob er wiederkommen
wolle, frage ich ihn. Er blickt kurz hinüber zu
Petra. Beide schauen sich für ein paar Sekunden in die
Augen. Dann dreht er sich zu mir. „Ich glaube schon.“ Der
„Wolf“ ist noch nicht fertig, der Hunger nach einem weiteren
Abenteuer am Mont-Blanc ist bereits in ihm. All das
schwere Training, die Anstrengungen und Entbehrungen
im Vorfeld, das Leiden im Wettkampf, das alles macht
Holger am Ende des Tages vor allem zu einem glücklichen
und zufriedenen Menschen. Zugegeben, mit einem klitzekleinen
Laufproblem vielleicht. Aber damit ist er nicht
allein. Zumindest nicht hier, hier an diesen Tagen in
Chamonix.
Der Fokus der Läufer verschiebt
sich im Laufe des
UTMB. Schwinden die Kräfte,
ist ein Schälchen heiße
Brühe reizvoller als ein
schöner Ausblick auf das
Bergpanorama.
Holger Boller
Alter: 48
Team: Columbia Sportswear
Sportliche Erfolge:
u.a. Millenium Quest-Finisher,
UTMB 2016 (33:06:14),
UTMB 2018 (34:07:29)
Beten und meditieren: Für
die große Herausforderung
ersucht so mancher Läufer
Hilfe von oben.
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