LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, schaut man sich um, so gewinnt man in den unterschiedlichsten Bereichen den Eindruck, dass Maß und Mitte abhandenkommen. Wetterextreme künden von der Klimakrise. Kinderarmut kündet von der Schere zwischen arm und reich. Der Brexit kündet vom Auseinanderdriften Europas. Verbale Ausfälle in Politik und Medien künden von der Erosion bisher stabil geglaubter Werte. Oder Menschen befällt das Gefühl, im täglichen Spagat der Anforderungen die eigene Mitte zu verlieren. Die Passions- und Osterzeit erinnert uns daran, wie Maß und Mitte verloren gehen und wiedergefunden werden können. Jesus gibt sich bis zum Äußersten hin, um denen nahe zu sein, denen die Mitte abhandenkommt, um mitten ins Leben zu führen, was von vielen Seiten bedroht ist. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das verspricht er und Sie sind dazu eingeladen in den vielfältigen Gottesdiensten, Konzerten und Veranstaltungen der kommenden Zeit. Ihr Pfarrer Helmut Gottschling 2 Das Markenzeichen von <strong>St</strong>. <strong>Lukas</strong> ist seine zentrale Kuppel. Mit ihr hat der Erbauer Albert Schmidt nicht nur ein Bauwerk mit imposanter Außenwirkung, sondern auch im Inneren einen Raum mit besonderer Ausstrahlung und Kraft geschaffen. Wer die Kirche durch das Hauptportal betritt, erlebt eine klare Ausrichtung über die Mitte zum Altar und zur Kanzel hin. Wer den Blick von der Empore aus im Raum schweifen lässt, erlebt dagegen einen zentralen Raum. Der Blick wird dabei unweigerlich nach oben in die hohe Kuppel gezogen. Sie wird von den vier mächtigsten Pfeilern getragen, die die sogenannte Vierung bilden. Das ist der Raum, der beim Zusammentreffen von Längs- und Querschiff entsteht. Damit bildet der Kirchenraum das zentrale Motiv des christlichen Glaubens ab, das Kreuz. Die Vierung ist gleichsam die Mitte des Kreuzes, die Verbindung von vertikalem und horizontalem Balken. Es ist der geerdetste und himmlischste Raum in <strong>St</strong>. <strong>Lukas</strong>, denn die Pfeiler gehen unter dem Erdboden mehr als dreimal so weit in die Breite, wie im sichtbaren Bereich und sie streben zugleich 42 Meter in die Höhe zum höchsten Punkt des ganzen Raumes. Als <strong>St</strong>. <strong>Lukas</strong> gebaut wurde – die dritte evangelische Kirche Münchens – war der Bedarf an Sitzplätzen hoch. Es gab damals rund 70.000 Protestanten in der <strong>St</strong>adt. Albert Schmidt musste deshalb so viele Bänke wie möglich in die Kirche einbauen. Das führte u.a. dazu, dass sich Plätze unmittelbar hinter den großen Pfeilern befinden und man außer imposantem <strong>St</strong>ein rein gar nichts sieht. Karl Valentin soll als regelmäßiger <strong>Lukas</strong>-Besucher an so aussichtloser <strong>St</strong>elle seinen <strong>St</strong>ammplatz gehabt haben. Diese Sichtweise würden heutige Zeitgenossen eher weniger teilen. Der Predigtgottesdienst war in den Anfängen der <strong>Lukas</strong>kirche die zentrale liturgische Feier. Die Predigt, das Herzstück protestantischen AUS DER MITTE LEBEN Gottesdienstverständnisses, war dabei gerahmt vom Gemeindegesang und liturgischen Wechselgesängen. Abendmahl feierte die Gemeinde zweimal im Jahr, Gründonnerstag und Buß- und Bettag. An dieser <strong>St</strong>elle ist der Wandel in unserer Gottesdienstkultur am deutlichsten zu bemerken. <strong>St</strong>. <strong>Lukas</strong> feiert heute in jedem Gottesdienst Abendmahl. Die Predigt spielt nach wie vor eine sehr bedeutende und unverzichtbare Rolle. Nach urevangelischem Verständnis (nachzulesen in der Confessio Augustana Artikel 7 im Evangelischen Gesangbuch unter Nr. 906) ist Kirche bzw. christliche Gemeinde freilich da, wo sich die Gläubigen um Wort und Sakrament versammeln. Sinnliche Eindrücke spielen in der heutigen Gottesdienstkultur eine stärkere Rolle. So tritt zum Hören auf das Wort das Sehen und Schmecken, „wie freundlich der Herr ist“. In den letzten Jahrzehnten wurde der Reichtum liturgischer Vielfalt über konfessionelle Grenzen hinaus entdeckt und weiterentwickelt. Elemente wie liturgischer Tanz oder persönliche Segnung haben Einzug im Gottesdienst gehalten. Kinder- und Jugendgottesdienste mit Spielelementen und Bandmusik gehören heute zum gängigen Repertoire. Dieser Kulturwandel stößt im weiten Raum der <strong>Lukas</strong>kirche an Barrieren, nicht nur für ältere Gemeindemitglieder, die sich schwertun die Altarstufen zu erklimmen, wenn es zur Abendmahlsausteilung geht. Der Zukunftsraum <strong>Lukas</strong>kirche soll diesem Wandel gerecht werden und zugleich die sonntägliche Gottesdienstgemeinde in den licht- und kraftvollen Raum in der Vierung der Zentralkuppel holen. Dazu braucht es neue Principalia, die Predigt und Gebet, Taufe und Abendmahl, Singen und Feiern auch für eine kleinere Gemeinde und barrierefrei ermöglichen und eine flexible Bestuhlung, die sich unterschiedlichen Gottesdienstformen anpassen kann. 3