Welt am Sonntag | kompakt 05.05.2019
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Kind und Smartphone<br />
So halten Sie den<br />
Konsum in Grenzen S. 22<br />
Sozialistische Ideen<br />
Kevin Kühnert folgt nur<br />
einer gefährlichen Mode S. 4<br />
DEUTSCHLANDS GROSSE SONNTAGSZEITUNG GEGRÜNDET 2010<br />
5. MAI 2019 NR. 18 3,00 € W<br />
Tonne?<br />
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as gehört in die<br />
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Die Deutschen sind<br />
<strong>Welt</strong>meister im Mülltrennen.<br />
Und dabei ahnungslos. In der<br />
Gelben Tonne landen zur<br />
Hälfte Dinge, die da nicht<br />
reindürfen. Ein Ratgeber<br />
Seiten 18 und 19<br />
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2 AUS ALLER WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
LESEN SIE IN DIESER AUSGABE<br />
Deutschland & die <strong>Welt</strong><br />
• Sozialismus: Geht’s wieder los? 4<br />
• Gauland: Wohin steuert die AfD? 8<br />
• Mülltrennung: Was läuft schief?<br />
18<br />
Wirtschaft & Finanzen<br />
• Handystreit: Eltern vs. Kinder 22<br />
• Mietfaktor: Hohe Nebenkosten 24<br />
• Expertenrat: Kluge Geldanlage 29<br />
Kultur<br />
• „Tatort“-Kommissarin: Almila Bagricik 32<br />
• „Matrix“-Tüftler: John Gaeta 34<br />
• Musik-Frauen: Clara Schumann & Co. 36<br />
Stil & Reisen<br />
• Statt Spargel: Erbsen essen! 40<br />
• Allein sein: Breitmachen im Zugabteil 46<br />
• Schlösser: Tour durch Niederschlesien 48<br />
Sport<br />
• Franz, wie war das d<strong>am</strong>als? Wie geht’s dir<br />
heute? <strong>Welt</strong>meister fragen den „Kaiser“ 56<br />
• Die Königin der Rhein-Neckar Löwen 60<br />
ZITATE<br />
„Am Ende ist es aber nur<br />
Fernsehen. Ich musste keine<br />
Fabrik schließen und 500 Leute<br />
in die Arbeitslosigkeit schicken“<br />
Steffen Henssler<br />
Der TV-Koch in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ über sein Scheitern<br />
mit der Show „Schlag den Henssler“<br />
„Die Erde s<strong>am</strong>melt wie ein<br />
Wischmopp kleine Reste des<br />
Kometen auf“<br />
Sven Melchert<br />
Der Vorsitzende der Vereinigung der Sternfreunde erklärt, warum im<br />
Mai besonders viele Sternschnuppen zu sehen sind: Die Erde kreuzt die<br />
Bahn des Kometen Halley. Höhepunkt des Spektakels ist die Zeit um<br />
den 6. Mai<br />
ZAHLEN<br />
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TITEL: GETTY IMAGES (10); GETTY IMAGES/MASKOT; DPA PICTURE-ALLIANCE/GREGOR FISCHER<br />
So rinnt die Zeit<br />
Parken Anderswo wird mit<br />
dem Smartphone bezahlt.<br />
Die Stadt Cloppenburg setzt<br />
auf die Sanduhr – allerdings<br />
will sie d<strong>am</strong>it auch nicht<br />
abkassieren, sondern ge-<br />
währt Autofahrern freie<br />
Parkzeit. Wer seinen Wagen<br />
auf einem öffentlichen, ge-<br />
bührenpflichtigen Platz<br />
abstellt, darf dort 15 Minuten<br />
umsonst stehen, sofern er<br />
eine Sanduhr an die Windschutzscheibe<br />
pappt. Und<br />
während man bei der Post<br />
auf Päckchen wartet, rieselt<br />
der Sand durch. Gültig sind<br />
nur Uhren, die die Stadt für<br />
drei Euro das Stück ausgibt.<br />
Am ersten Tag waren schon<br />
300 verkauft.<br />
Anspruch und Alltag: So isst Deutschland<br />
Angaben* in Prozent<br />
85<br />
Prozent der Deutschen sind<br />
mit der eigenen Ernährung<br />
nicht zufrieden,<br />
und werfen sich u.a. vor:<br />
abendliche Heißhungerattacken<br />
zu wenig Obst und Gemüse<br />
zu viel Fett<br />
zu wenig Zeit zum Essen<br />
Ernährung spielt eine große Rolle für mich, sagen:<br />
Insges<strong>am</strong>t<br />
höhere soziale Schichten<br />
niedrigere soziale Schichten<br />
Um Ernährung wird zu viel Wirbel gemacht:<br />
Insges<strong>am</strong>t<br />
niedrigere soziale Schichten<br />
<br />
()<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
()<br />
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()<br />
()<br />
* Umfrage unter 1636 Menschen in Deutschland zwischen 14 und 84 Jahren;<br />
Quelle: Nestlé-Studie 2019 „So is(s)t Deutschland“<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 AUS ALLER WELT 3<br />
NACHRICHTEN<br />
GEGEN EINSAMKEIT<br />
SPD fordert Regierungsbeauftragten<br />
Die SPD fordert einen Regierungsbeauftragten, der sich um<br />
Eins<strong>am</strong>keit und Eins<strong>am</strong>keitsschäden in der Gesellschaft kümmert.<br />
„Bisher wurde die Zahl der Krankheiten, die durch Eins<strong>am</strong>keit<br />
ausgelöst werden, unterschätzt“, sagte SPD-Gesundheitsexperte<br />
Karl Lauterbach der WELT AM SONNTAG. Auch<br />
Marcus Weinberg, F<strong>am</strong>ilienexperte der CDU/CSU-Fraktion,<br />
sprach sich für mehr Angebote für eins<strong>am</strong>e Menschen aus.<br />
BILDER DER WOCHE<br />
Ein Herz und<br />
eine Krone<br />
Ein N<strong>am</strong>e, den man sich merken muss<br />
Maha Vajiralongkorn Bodindradebayavarangkun<br />
ist nun das gekrönte Oberhaupt der Thailänder.<br />
Man kann sich aber auch R<strong>am</strong>a X einprägen,<br />
so sein offizieller N<strong>am</strong>e. Am S<strong>am</strong>stag<br />
setzte er sich die 7,3 Kilo schwere „Krone des<br />
Großen Sieges“ auf. Vajiralongkorn, 66, tritt die<br />
Nachfolge seines Vater an; König Bhumibol, der<br />
2016 starb, hatte das Land 70 Jahre regiert.<br />
Sein Sohn, ein ausgebildeter K<strong>am</strong>pfpilot, galt<br />
als Playboy. Königin Suthida, 40 (gr. Foto), ist<br />
seine vierte Ehefrau. Die beiden leben seit<br />
Jahren zus<strong>am</strong>men, haben aber haben erst wenige<br />
Tage vor der Krönung geheiratet. Es freuten<br />
sich übrigens auch die Bayern: „Unser Thai-<br />
Kini“, wie der „Merkur“ titelte, weilt oft <strong>am</strong><br />
Starnberger See und hat dort eine Villa.<br />
KONFLIKT MIT SÜDKOREA<br />
Nordkorea feuert Geschosse ab<br />
Südkorea zeigt sich beunruhigt über ein neues Säbelrasseln<br />
des nördlichen Nachbarn. Nach Angaben des südkoreanischen<br />
Militärs feuerte der Norden mehrere „unidentifizierte Kurzstreckengeschosse“<br />
vor dessen Ostküste ins Meer. Nordkorea<br />
ist wegen seines Atom- und Raketenprogr<strong>am</strong>ms international<br />
mit Sanktionen belegt. Ein Gipfeltreffen von Machthaber Kim<br />
Jong-un mit US-Präsident Donald Trump zur Lösung des<br />
Konflikts wurde im Februar ergebnislos abgebrochen. Die<br />
Spannungen verschärfen sich seitdem wieder.<br />
NEUE INITIATIVE<br />
Organspende-Entwurf <strong>am</strong> Montag<br />
Eine Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock<br />
will <strong>am</strong> Montag einen Organspende-Gesetzentwurf<br />
vorlegen. „Unser Vorschlag sieht vor, dass der Hausarzt seine<br />
Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über die Organ- und<br />
Gewebespende berät und sie zur Eintragung in das Onlineregister<br />
ermutigt“, sagte Baerbock der Funke-Gruppe. Mit ihr<br />
werden Karin Maag (CDU), Hilde Mattheis (SPD), Katja Kipping<br />
(Linke) und Otto Fricke (FDP) das Papier präsentieren.<br />
BRUCHLANDUNG IN USA<br />
Boeing 737 rutscht von Landebahn<br />
Bei einer spektakulären Bruchlandung in Florida sind die 143<br />
Insassen einer Boeing 737 mit dem Schrecken davongekommen:<br />
Die Maschine k<strong>am</strong> bei der Landung während eines Gewitters<br />
von der Fahrbahn ab und rutschte in einen Fluss. Die<br />
136 Passagiere und sieben Crew-Mitglieder konnten die Maschine<br />
über die Tragflächen verlassen. Der befehlshabende<br />
Offizier <strong>am</strong> Flughafen Jacksonville, sprach von einem „Wunder“,<br />
dass es keine Schwerverletzten oder Todesopfer gegeben<br />
habe. Die Ursache des Unglücks war zunächst unklar. Die<br />
US-Luftsicherheitsbehörde NTSB untersucht den Fall.<br />
38<br />
Wen will ich? Wer Entscheidungshilfe für die Europawahl<br />
braucht, kann ab sofort den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale<br />
für politische Bildung nutzen. Unter www.wahl-o-mat.de/<br />
europawahl2019 kann man 38 Thesen zu Feldern der EU-<br />
Politik bewerten. Die Antworten zeigen, mit welcher von acht<br />
Parteien man <strong>am</strong> ehesten übereinstimmt.<br />
1/2<br />
BRÜCKE<br />
THESEN<br />
Autobahnneubau Mithilfe einer<br />
Bahn aus Spüli oder Fett wollen<br />
Ingenieure im Sauerland eine<br />
halbe Autobahnbrücke verschieben.<br />
Der 100.000 Tonnen schwere<br />
Abschnitt der A45-Brücke von<br />
Wilnsdorf soll auf Schiebebahnen<br />
bewegt werden. Losgehen<br />
soll es im Jahr 2022.<br />
Zu freundlich<br />
Lesen hilft Gleich mehrere<br />
Briefe hat der Energieversorger<br />
NEW einer Kundin<br />
geschickt und zum Umzug<br />
in ein neues Zuhause gratuliert<br />
– die 94-Jährige war<br />
aber kurz zuvor verstorben.<br />
Nachdem ihr Sohn dem<br />
Versorger die Sterbeurkunde<br />
zugesandt und um Umstellung<br />
des Stromanschlusses<br />
gebeten hatte, trafen<br />
Schreiben an seine Mutter<br />
ein. „Danke, dass Sie uns<br />
über Ihren Auszug informiert<br />
haben“, begann einer<br />
und riet zum 24-Stunden-<br />
Online-Service. Der Sachbearbeiter<br />
habe wohl vergessen,<br />
Textbausteine zu<br />
löschen, erklärte die Firma.<br />
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Danke, M<strong>am</strong>a!<br />
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Das ist kein Ring - sondern eine der schönsten Liebeserklärungen<br />
zum Muttertag.
Hoffnungen zerstört<br />
Venezuela nach einer<br />
dr<strong>am</strong>atischen Woche S. 6<br />
Aktive Kämpferinnen<br />
IS-Frauen waren häufig<br />
<strong>am</strong> Terror beteiligt S. 10<br />
LINKSRUCK<br />
Populisten<br />
aller Länder<br />
A<br />
Als im November 1989 die <strong>Welt</strong> des Kalten Krieges unterging,<br />
da betete jeder, der sich für gebildet oder gar<br />
für einen Intellektuellen hielt, Francis Fukuy<strong>am</strong>as<br />
These vom „Ende der Geschichte“ nach. Der <strong>am</strong>erikanische<br />
Politikwissenschaftler hatte sie im Sommer<br />
desselben Jahres in der Zeitschrift „National Interest“<br />
dargelegt und angesichts des gewaltigen Widerhalls<br />
bald ein Buch vom Umfang eines Ziegelsteins nachgereicht.<br />
Alle glaubten Fukuy<strong>am</strong>a und sahen mit dem<br />
Sieg des freien Marktes und des Liberalismus das Ende<br />
des hegelschen <strong>Welt</strong>enlaufes gekommen: paradiesische<br />
Zustände.<br />
VON JACQUES SCHUSTER<br />
Spätestens nach dem 11. September 2001 – den Terroranschlägen<br />
in den Vereinigten Staaten – sprachen<br />
dieselben Zeitgenossen, die Fuky<strong>am</strong>a eben noch gepriesen<br />
hatten, von seinem Werk wie von einem jählings<br />
abgestürzten Aktienpaket, dessen Wert nur Einfaltspinsel<br />
nach oben getrieben haben. Wie konnte die<br />
<strong>Welt</strong> so naiv sein zu glauben, der Liberalismus sei<br />
künftig auf ewig vor totalitären Angriffen gefeit, fragten<br />
sich viele mit demselben überheblichen Blick, mit<br />
dem sie Fukuy<strong>am</strong>a zuvor bewundert hatten.<br />
Ähnlich ergeht es einem anderen Zitat, das weniger<br />
bekannt ist und dennoch seine Verbreitung fand. Es<br />
st<strong>am</strong>mt von Leszek Kolakowski. Mit Blick auf die Zukunft<br />
des Kommunismus stellte der in Oxford lehrende<br />
Philosoph fest: „Dieser Totenkopf wird nie wieder<br />
lächeln.“<br />
Heute weiß man: Der Schädel grinst wieder. War<br />
noch vor Jahren die Mehrheit der Menschen im Westen<br />
davon überzeugt, dass sowohl der Kommunismus<br />
als auch der Sozialismus nach den historischen Irrtümern<br />
und Verbrechen <strong>am</strong> Ende sei, so gewinnen einige<br />
seiner Ideen gegenwärtig erneut an Kraft. Der Sozialismus<br />
ist zurück – nicht oder noch nicht als große<br />
Bewegung, als das altbekannte Abrakadabra vom<br />
Klassenk<strong>am</strong>pf und schon gar nicht als Sowjet-Bolschewismus.<br />
Eher als ein diffus-dumpfes Verlangen nach frischem,<br />
warmem Wind, nach Gerechtigkeit, Wandel<br />
und Systemveränderung, kurzum, nach dem Abschied<br />
vom ach, so kalten Kapitalismus und mit ihm auch<br />
von einigen Säulen der repräsentativen Demokratie.<br />
Plötzlich wird die Enteignung zum Schlagwort der<br />
Stunde, gefolgt von dem Gedanken, der Parl<strong>am</strong>entarismus<br />
sei nur bedingt demokratisch, weil er nicht<br />
den wahren Volkswillen widerspiegele. Aus diesem<br />
Grund müsse er durch die direkte Demokratie, durch<br />
eine Gender-Ständevertretung und organisierte Genossenschaften<br />
ersetzt werden.<br />
Dabei allein bleibt es nicht. Die westliche <strong>Welt</strong> lebt<br />
nicht nur <strong>am</strong> „Ende des liberalen Zyklus“, wie der<br />
französische Politikwissenschaftler Jacques Rupnik<br />
feststellte, sie wandert auch durch das Zeitalter des<br />
Populismus. Starrte die Mehrheit der Deutschen trotz<br />
des Sieges der Syriza-Partei in Griechenland, des überraschenden<br />
Erfolgs der spanischen Podemos, des demokratischen<br />
Präsidentschaftsbewerbers in den Vereinigten<br />
Staaten Bernie Sanders und des zeitweiligen<br />
Aufwinds des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn<br />
vor allem auf die Rechtspopulisten in Frankreich und<br />
hierzulande, so nimmt sie nun allmählich wahr: Der<br />
Populismus kann auch links und deutsch sein.<br />
Die Reaktionen auf Kevin Kühnerts Gespräch in der<br />
„Zeit“ belegen es. Dort sprach der Juso-Chef in dieser<br />
Woche von seinen sozialistischen Träumen, beklagte<br />
Aktien- und Immobilienbesitz und verstieg sich zu<br />
dem Wunsch, große Unternehmen wie Siemens oder<br />
BMW zu verstaatlichen. „Was unser Leben bestimmt,<br />
soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch<br />
von ihr bestimmt werden“, sagt Kühnert. Ein<br />
Satz, den auch Rechtspopulisten unterschreiben könnten,<br />
zieht man den Gedanken der Vergesellschaftung<br />
ab, den einige, aber nicht alle Rechten teilen. Wie sie<br />
wischt Kühnert die Tatsache vom Tisch, dass „unser<br />
Leben“ bereits demokratisch bestimmt wird – durch<br />
einen in freier, gleicher und geheimer Wahl gewählten<br />
Bundestag, der wiederum eine durch und durch demokratische<br />
Regierung wählt – und das seit siebzig Jahren,<br />
jedenfalls wenn es um die Bundesrepublik geht.<br />
WAS KÜMMERT ES KÜHNERT? Offenbar glaubt<br />
Kühnert, nicht nur Google, Apple und Amazon bestimmten<br />
uns fremd, sondern auch die heimischen<br />
Großunternehmen, die aus diesem Grund in kollektivistisch-genossenschaftliche<br />
Hand gelegt werden<br />
müssten. Dass wir mit Blick auf die Internetgiganten<br />
erst <strong>am</strong> Anfang eines neuen technologischen Zeitalters<br />
stehen und Gesetze für diese Ära erst allmählich geschaffen<br />
werden können, kümmert ihn genauso wenig<br />
wie die Erfolge der EU-Kommission, den Großfirmen<br />
Regeln und Strafen aufzuerlegen; von den vielen Gesetzen<br />
zur Eindämmung der Macht traditioneller Kon-<br />
Frankreich<br />
Jean-Luc Mélenchon ist ein linkes Urgestein. Als er<br />
2016 La France Insoumise gründet, sind ihm viele<br />
enttäuschte Sozialisten gefolgt. Der 67-Jährige<br />
predigt einen antikapitalistischen Links-Souveränismus,<br />
wie er das nennt, und überzeugt mit seinem<br />
Mix aus sozialer Gerechtigkeit und Ökologie vor<br />
allem junge Wähler. Mélenchon träumt von einem<br />
Höchststeuersatz von 90 Prozent, enteignen will er<br />
aber nur die Rüstungsindustrie.<br />
Spanien<br />
Bei der TV-Debatte vor der Parl<strong>am</strong>entswahl beschimpften<br />
sich alle anderen aufs Übelste. Ausgerechnet<br />
Podemos-Chef Pablo Iglesias, 40, gab<br />
den Elder Statesman. Seit ihrer Gründung 2014 hat<br />
die linkspopulistische Partei an Radikalität verloren,<br />
an Popularität allerdings auch. Nichts ist mehr zu<br />
hören von der Verfemung Brüssels und der Forderung<br />
nach einem Systembruch. Rhetorisch bedient<br />
sie weiter antikapitalistische Sehnsüchte.<br />
Großbritannien<br />
Der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn<br />
war lange ein unbedeutender, linksradikaler Labour-<br />
Abgeordneter, den niemand richtig ernst nahm.<br />
Nach der Ära von Tony Blair und Gordon Brown, die<br />
an der Basis die Sehnsucht nach einem Linksrutsch<br />
aufkommen ließ, nutzte Corbyn 2015 die Gunst der<br />
Stunde. Er steht für die Verstaatlichung des Bahnsystems<br />
und der Energiewirtschaft, konnte d<strong>am</strong>it<br />
bisher aber noch keine Wahl gewinnen.<br />
USA<br />
Als Alexandria Ocasio-Cortez im Juni die Vorwahlen<br />
der Demokraten in einem Kongressbezirk in<br />
New York gewann, hatte sie kaum jemand auf dem<br />
Schirm. Inzwischen ist sie eines der bekanntesten<br />
Gesichter der Partei. Die 29-Jährige bezeichnet sich<br />
als „demokratische Sozialistin“. Sie gehört der Millennium-Generation<br />
an, die in den USA weniger<br />
Berührungsängste mit dem Sozialismus hat als die<br />
Älteren, weil sie den Kalten Krieg nicht erlebt haben.<br />
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DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
Nach den Kollektivierungsund<br />
Verstaatlichungsthesen<br />
des Juso-Vorsitzenden Kevin<br />
Kühnert ist eine neue, absurde<br />
Debatte über den Sozialismus<br />
entbrannt – Populismus von<br />
links. Die liberale Gesellschaft<br />
muss darauf antworten<br />
MONTAGE WELT AM SONNTAG/ TOM UECKER<br />
zerne zu schweigen. Ein Fanatiker ist eben ein<br />
Mensch, der nur bis eins zählen kann.<br />
Kühnerts Kapriolen mögen in der Tradition der<br />
Jungsozialisten stehen und den Altvorderen nur ein<br />
Lächeln abringen. Alles war schon einmal da: das Eiapopeia<br />
des Neomarxismus genauso wie der Ruf nach<br />
der Vergesellschaftung der Banken und Schlüsselindustrien.<br />
Bisher waren die Parteivorsitzenden allerdings<br />
stark genug, die Jusos als das darzustellen, was<br />
sie waren: radikale Milchbärte, die sich <strong>am</strong> Klang des<br />
eigenen Echos erfreuten, aber keine Wahlen gewannen.<br />
Heute ist die Lage anders.<br />
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VERZAGTER ZEITGEIST Die SPD ist geschwächt,<br />
dümpelt im J<strong>am</strong>mertal mickriger Umfrageergebnisse<br />
herum und hadert mit ihrer Rolle als Regierungspartei.<br />
Sie wird mit Andrea Nahles von einer Vorsitzenden geführt,<br />
der die Kraft fehlt, die Unbotmäßigen im Zaum<br />
zu halten. Die Sozialdemokratie fühlt sich in weiten<br />
Teilen überdies wie die beste CDU aller Zeiten, nur<br />
dass sie eigentlich die SPD ist, geistig leer und ausgelaugt.<br />
Schon vor Jahren schrieb der Parteienforscher<br />
Franz Walter über das Dilemma der Sozialdemokratie<br />
frei nach Henrik Ibsen: „Die alte Schönheit ist nicht<br />
mehr wahr, und die neue Wahrheit ist nicht mehr<br />
schön.“<br />
Das Gefühl hat sich bis zur Depression verstärkt. Es<br />
führt zu einer zermürbenden Trübsal und lässt die alte<br />
Progr<strong>am</strong>mpartei mit ihrer von den Idealen der Rechthaberei<br />
angetriebenen Mitgliedschaft von verwitterten<br />
sozialistischen Ideen träumen, die Kevin Kühnert<br />
nun gewitzt in die Debatte bringt.<br />
Von Andrea Nahles und einigen anderen SPD-Granden<br />
abgesehen, sind es plötzlich fast nur noch die Seeheimer,<br />
jener pragmatische Teil der SPD um den Bundestagsabgeordneten<br />
Johannes Kahrs, die Kühnert widersprechen.<br />
Viele andere Genossen bejubeln ihn. Sie<br />
fordern allen Ernstes, die Debatte um die Enteignung<br />
deutscher Schlüsselindustrien aufzunehmen, vom<br />
Chef des mitgliederstärksten SPD-Verbandes in Nordrhein-Westfalen,<br />
Sebastian Hartmann, über den Berliner<br />
Innensenator Andreas Geisel bis zum Ostbeauftragten<br />
der SPD, Martin Dulig.<br />
Der Zeitgeist hilft ihnen dabei. Er ist erfüllt von einer<br />
Furcht vor dem wirtschaftlichen Niedergang und<br />
Zweifeln <strong>am</strong> kapitalistischen System. Paradoxerweise<br />
äußern sich die meisten Bürger gleichzeitig zufrieden<br />
über die Wirtschaftslage. „Amerikaner, Europäer und<br />
Japaner haben eine positivere Sicht der aktuellen ökonomischen<br />
Situation ihres Landes als zu jedem anderen<br />
Zeitpunkt seit 2002“, stellten die Meinungsforscher<br />
des <strong>am</strong>erikanischen Pew Research Center 2018<br />
fest. Trotzdem suche man die Hoffnung in den Industrieländern<br />
vergebens, das wirtschaftliche Glück werde<br />
sich fortsetzen.<br />
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6 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Pew Research hat 30.133 Menschen in 27 Staaten<br />
befragt. Das Ergebnis ist ernüchternd. In<br />
Deutschland rechnen nur 37 Prozent der Bürger<br />
d<strong>am</strong>it, dass es den Kindern finanziell besser gehen<br />
wird, obwohl das Bruttoinlandsprodukt pro<br />
Kopf seit 1998 um 84 Prozent gestiegen ist.<br />
Über Deutschland hinaus belegen die <strong>Welt</strong>bank<br />
und der Internationale Währungsfonds seit<br />
Jahren, dass die Globalisierung und ihre Folgen<br />
nicht zu immer mehr, sondern zu weniger Armut,<br />
weniger Krankheiten und besserer Schulbildung<br />
führen. Doch wie sagt Alexandria Ocasio-Cortez,<br />
die frisch gewählte Abgeordnete der<br />
Demokraten im US-Repräsentantenhaus und<br />
Frontfrau des dortigen Linkspopulismus?<br />
„Emotionen sind wichtiger als Fakten.“<br />
VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN VON LINKS<br />
UND RECHTS Wie im rechten Spektrum des<br />
Populismus nimmt es auch die linke Flanke mit<br />
den Tatsachen nicht so genau. Überdies pflegt<br />
auch sie einen paranoiden politischen Stil, der<br />
ohne Verschwörungstheorien nicht auskommt.<br />
Ist es auf der rechten Seite die vermeintliche<br />
Macht der Lügenpresse, so beschwört der<br />
Linkspopulismus die globale Herrschaft der<br />
Großkonzerne.<br />
Wenn es um den Klimawandel geht, tritt der<br />
demokratische Präsidentschaftsbewerber von<br />
2016, Bernie Sanders, bis heute in Townhall-<br />
Meetings vor die Massen und ruft: „Diese Veranstaltung<br />
wird nicht von Exxon Mobil gesponsert.“<br />
Stets wirft sich der 77-jährige Sanders mit<br />
einem Ruck in seine Reden wie ein Schwimmer<br />
in die vertraute Flut. Dann geht es Schlag auf<br />
Schlag: Suggestivfragen schallen durch den<br />
Raum, die schlichter kaum sein könnten.<br />
Schließlich attackiert der „demokratische Sozialist“<br />
die Medien, die angeblich nie über Amerikas<br />
Drogenkrise, den Alkoholmissbrauch und<br />
die Selbstmordrate berichteten.<br />
Ob Sanders oder Ocasio-Cortez, ob die rechte<br />
Marine Le Pen oder der linke Jean-Luc Mélenchon,<br />
ob Links- und Rechtspopulisten in Italien<br />
oder Großbritanniens Labour-Chef Jeremy<br />
Corbyn: Es sind stets ähnliche Mittel, mit denen<br />
die Gladiatoren um Stimmen kämpfen.<br />
Suchen Rechtspopulisten Andersdenkende<br />
häufig mithilfe windiger völkischer Vokabeln<br />
vom demokratischen Diskurs auszuschließen,<br />
so sperrt die populistische Linke ihre Meinungsgegner<br />
nicht selten im N<strong>am</strong>en einer höheren<br />
Moral aus. Zuweilen benutzen Linkspopulisten<br />
sogar die Waffen, die ursprünglich auf<br />
der rechten Seite zu finden waren. So ist Corbyns<br />
Labour nicht vor Antisemitismus gefeit.<br />
Und auch der ehemalige Chef der Linkspartei,<br />
Oskar Lafontaine, scheut sich nicht, zum „Wörterbuch<br />
des Unmenschen“ zu greifen und mit<br />
Blick auf rechte Wähler von „Fremdarbeitern“<br />
zu raunen, die braven F<strong>am</strong>ilienvätern „Arbeitsplätze<br />
wegnehmen“.<br />
Kühnert ist von Lafontaine und Corbyn weit<br />
entfernt. Doch auch er wittert die Chance, mithilfe<br />
des Populismus und des gefühlten Bedürfnisses,<br />
sich von der freien Marktwirtschaft zu<br />
verabschieden, der SPD wieder neue Kraft zu<br />
verleihen. Die Schwäche der liberalen Eliten<br />
kommt Populisten wie ihm dabei zugute.<br />
Ihre mangelnde Bereitschaft, überall in der<br />
westlichen <strong>Welt</strong> die Migration und deren Folgen<br />
zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung<br />
zu machen, wie auch die Behauptung<br />
einiger ihrer wortmächtigen Vertreter, ein<br />
von allen Fesseln befreiter Kapitalismus sei für<br />
ausnahmslos alle Bürger von Vorteil, haben dazu<br />
geführt, dass das liberale System in den Augen<br />
vieler Menschen als Heuchelei empfunden<br />
wird. Auf ebendiese Menschen stürzen sich Populisten<br />
von links wie rechts. Was wir also erleben,<br />
ist die Rückkehr des ideologischen Zeitalters<br />
und des K<strong>am</strong>pfs um die offene Gesellschaft.<br />
Er muss geführt werden.<br />
Venezolaner auf der Simón-Bolívar-Brücke zu Kolumbien Hyperinflation, Wirtschaftskrise – sogar Toilettenpapier ist<br />
„Und dann bricht<br />
der Deich“<br />
Langs<strong>am</strong> füllt sich der Platz auf der Avenida<br />
Vollmer in der Gemeinde San Bernardino<br />
in Caracas. Flaggen, Mützen und<br />
Hemden in den venezolanischen Nationalfarben<br />
bestimmen das Straßenbild. Ein<br />
paar Straßen weiter schickt die Staatsmacht ihre Sicherheitskräfte<br />
auf Motorrädern in die nächste Auseinandersetzung.<br />
Bewaffnet mit Gewehren, Schlagstöcken<br />
und Pistolen fährt die Nationalgarde zu den von<br />
der Opposition angekündigten Demonstrationen vor<br />
den Militärbasen. In Caracas haben sich <strong>am</strong> S<strong>am</strong>stagmorgen<br />
die ersten Gegner des sozialistischen Regimes<br />
eingefunden. „Ich bin hier, weil wir ein besseres, geeintes<br />
Venezuela brauchen. Wir müssen alle zus<strong>am</strong>menstehen.<br />
Die Streitkräfte und die Venezolaner“,<br />
sagt eine Hausfrau dem Sender VPI.<br />
VON TOBIAS KÄUFER UND CRISTIAN HERNANDEZ<br />
Zwar ist der Aufstand gegen das Regime nach einer<br />
dr<strong>am</strong>atischen Woche erst einmal gescheitert. Doch<br />
aufatmen kann Venezuelas sozialistischer Präsident<br />
Nicolás Maduro nicht. Mit dem befreiten Oppositionsführer<br />
Leopoldo López, 48, kehrt die zweite große<br />
Führungsfigur neben Parl<strong>am</strong>entspräsident Juan Guaidó,<br />
35, auf die politische Bühne zurück. Die Erosion<br />
von Maduros Machtapparat schreitet langs<strong>am</strong>, aber<br />
unaufhalts<strong>am</strong> voran. „Wir dürfen keine Sekunde die<br />
Hoffnung verlieren“, sagt Leopoldo López <strong>am</strong> Freitag<br />
auf dem Gelände der Residenz des spanischen Botschafters,<br />
in die er sich geflüchtet hat. Es ist eine<br />
kämpferische Rede, was López da behauptet, ist ein<br />
Angriff auf die offene Flanke des Regimes Maduro.<br />
„Während der letzten drei Wochen habe ich mich mit<br />
Kommandanten, Generälen und verschiedenen Repräsentanten<br />
der Streitkräfte getroffen“, sagt er. Die letzten<br />
drei Wochen – das war zu der Zeit, da er noch in<br />
Hausarrest saß. Da sollen ihn also Generäle besucht<br />
haben, wo doch die Sicherheitskräfte die Einzigen<br />
sind, die Maduros Regime noch aufrechterhalten?<br />
López Auftritt entfaltet Sprengkraft. Allein auf seinem<br />
Twitter-Account schauen sich innerhalb weniger<br />
Stunden rund 200.000 Menschen diesen Auftritt an.<br />
Der Mann, der Maduro schon 2014 herausforderte, hat<br />
seine digitale Armee von acht Millionen Followern geweckt,<br />
die seine Frau Lilian Tintori und er selbst dort<br />
erreichen. Das ist ein entscheidender Trumpf. „Spanien<br />
wird nicht zulassen, dass eine Botschaft sich in<br />
ein Zentrum des politischen Aktivismus verwandelt“,<br />
warnt zwar Außenminister Josep Borrell. López könne<br />
in der Botschaft bleiben, aber er dürfe sie nicht zur<br />
Parteizentrale machen. Doch verhindern, dass López<br />
seine Twitter-Armee nutzt, können die Spanier nicht.<br />
Er gilt als der aussichtsreichste Kandidat der Opposition,<br />
sollte es zu freien Wahlen kommen.<br />
López ist der Gründer der Oppositionspartei Voluntad<br />
Popular, der auch Parl<strong>am</strong>entspräsident Juan Guaidó<br />
angehört. Beide sorgten <strong>am</strong> Dienstagmorgen um<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 7<br />
5.46 Uhr für eine Überraschung: „Das Ende der Usurpation<br />
beginnt heute“, sagte Guaidó. Ein paar Meter<br />
abseits steht López. Er trägt eine graue Sportjacke mit<br />
einer venezolanischen Flagge auf der Brusttasche und<br />
wirkt wie ein Mann, der mit der neu gewonnen Freiheit<br />
noch nicht richtig umzugehen weiß. In den folgenden<br />
20 Stunden entwickelt sich der Machtk<strong>am</strong>pf<br />
zwischen der Opposition und dem Regime. Eine Zerreißprobe<br />
für beide Seiten, bei der auch <strong>am</strong> Ende der<br />
Woche noch nicht klar ist, wer Sieger sein wird. Klar<br />
aber ist, dass die Opposition um einen bedeutenden<br />
Mann stärker geworden ist. López st<strong>am</strong>mt wie Guaidó<br />
aus der sogenannten „Generation 2007“. Ihr gelang es,<br />
dem d<strong>am</strong>als noch sehr populären Revolutionsführer<br />
Hugo Chávez bei einem Verfassungsreferendum eine<br />
Schlappe beizubringen. Es sollte die einzige Wahlniederlage<br />
des 2013 verstorbenen „Comandante“ werden.<br />
López, der aus einer wohlsituierten bildungsbürgerlichen<br />
F<strong>am</strong>ilie in Caracas st<strong>am</strong>mt, hat Wirtschaft studiert<br />
und in Harvard einen Politik-Master gemacht.<br />
Als Bürgermeister von Chacao, einem Viertel von Caracas,<br />
begann er seine politische Karriere, die ihn 2014<br />
an die Spitze der Massenproteste gegen Maduro<br />
brachte. Maduros Wahlsieg 2013 war bereits umstritten,<br />
die Opposition hatte Tausende Hinweise auf<br />
Wahlmanipulation ges<strong>am</strong>melt. Weil es bei ihren Protesten<br />
zu Gewalt k<strong>am</strong>, machte Maduro den populären<br />
López verantwortlich. Unterstützt von Tausenden Anhängern<br />
stellte sich López der Justiz, „um zu beweisen,<br />
wie korrupt das venezolanische Justizsystem ist“.<br />
López wurde trotz scharfer Kritik von Menschenrechtsorganisationen<br />
zu einer langen Haftstrafe verurteilt,<br />
saß erst im Militärgefängnis R<strong>am</strong>o Verde ein,<br />
um dann in Hausarrest überführt zu werden. Dass ihm<br />
nun die Befreiung gelang, zeigt, wie brüchig die Linien<br />
der Sicherheitskräfte inzwischen sind. Wenn der größte<br />
Rivale des Präsidenten so einfach seinen Hausarrest<br />
verlassen und wenig später vor dem Militärstützpunkt<br />
„La Carlota“ auftauchen kann, dann kann es um den<br />
Machtapparat Maduros nicht allzu gut bestellt sein.<br />
Dennoch läuft an jenem Dienstag einiges schief für<br />
die Opposition: Guaidó und López vertrauen zu sehr<br />
auf den Überraschungseffekt und scheinen tatsächlich<br />
überzeugt, dass ein Teil des Militärs auf ihre Seite gewechselt<br />
ist. Guaidó fordert von den Bürgern, auf die<br />
Straße zu gehen und „die letzte Phase der Operation<br />
Freiheit“ einzuläuten. Schon Minuten später s<strong>am</strong>melt<br />
sich vor der Militärbasis „La Carlota“ eine Menschenmenge.<br />
Sie wird im Laufe des Vormittags so groß, dass<br />
jemand die Türen der Basis öffnet, um die Menschen<br />
hereinzulassen. Die Demonstranten jubeln, sie glauben,<br />
die Militärs stellen sich auf ihre Seite. Ein Trugschluss.<br />
Die Spitze des Militärs bekennt sich weiter zu<br />
Maduro. Offenbar hat das Duo Guaidó/López seinen<br />
Einfluss in der Armee überschätzt. Oder sie bek<strong>am</strong>en<br />
– mit Absicht? – falsche Informationen zugespielt.<br />
Vom Präsidenten ist lange nichts zu sehen, dann reaktiviert<br />
Nicolás Maduro seinen gefürchteten Inlandsgeheimdienstchef<br />
Gustavo Gonzalez López, den Human<br />
Rights Watch für Folterpraktiken verantwortlich<br />
macht. Vier Menschen sterben bei den Protesten.<br />
EINFLUSSVERSUCHE DER USA Verlassen kann sich<br />
Maduro auf seinen Machtapparat nicht mehr. Offenbar<br />
haben die Amerikaner versucht, ranghohe Militärs<br />
zu überreden, abtrünnig zu werden. Verteidigungsminister<br />
Padrino López räumt indirekt solche Kontaktversuche<br />
ein; die Amerikaner würden versuchen, sie<br />
einzukaufen wie Söldner, sagt Maduros wichtigster<br />
Verbündeter vor Soldaten. Maduro verfolgt die Rede<br />
des neben ihm stehenden Ministers sichtlich nervös.<br />
Während Guaidó <strong>am</strong> Freitag Arbeitern des staatlichen<br />
Ölkonzerns PDVSA sein Konzept für den Weg aus der<br />
Krise vorstellt, versucht López den Massen Mut zu<br />
machen: Es soll gestaffelte Arbeitsniederlegungen geben<br />
und schließlich einen Generalstreik. Das Volk soll<br />
weiter versuchen, die Militärs zu überzeugen, die Seiten<br />
zu wechseln. López zog in seinem Auftritt vor der<br />
spanischen Botschaft Bilanz: Was mit einem feinen<br />
Riss begonnen habe, werde sich zu einem Spalt ausweiten,<br />
„und <strong>am</strong> Ende bricht der ganze Deich“.<br />
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kfw.de<br />
in Venezuela Mangelware<br />
AFP/LUIS ROBAYO<br />
Am Ende einer dr<strong>am</strong>atischen<br />
Woche in Venezuela steht die<br />
Opposition mit<br />
zerschlagenen Hoffnungen<br />
da. Und ist dennoch gestärkt<br />
Weiterdenker bekämpfen<br />
künstliche Feinde:<br />
Tüten, Becher, Folien.<br />
Mehr zum nachhaltigen<br />
Engagement der KfW:<br />
kfw.de/stories/plastik<br />
Die KfW fördert nachhaltige Projekte zur Reduzierung von Plastikmüll. Durch die<br />
Finanzierung von Meeresschutzzonen und innovativem Abfallmanagement leistet die<br />
KfW einen wichtigen Beitrag gegen die Verschmutzung der Meere. Schließlich bieten sie<br />
Nahrung für zwei Milliarden Menschen und sind von elementarer Bedeutung für unser<br />
Klima und die Artenvielfalt. Plastik gefährdet dieses sensible Ökosystem – und d<strong>am</strong>it<br />
uns alle. Als nachhaltige und moderne Förderbank unterstützt die KfW Weiterdenker,<br />
die zukunftsweisende Lösungen zur Abfallvermeidung, -verwertung und -entsorgung in<br />
die Tat umsetzen. Weitere Informationen unter kfw.de/stories/plastik<br />
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8 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
„Bei uns hat<br />
niemand<br />
gelogen“<br />
AfD-Chef Alexander Gauland<br />
über die Spendenaffäre seiner<br />
Partei und das Problem mit den<br />
Rechtsextremen. Die EU will er<br />
doch nicht abschaffen, sagt er.<br />
Jedenfalls nicht jetzt und auch<br />
nicht allein<br />
B<br />
eim Besuch in Alexander Gaulands Bundestagsbüro<br />
kommt das Gespräch auch auf die Erfolge der AfD bei<br />
Twitter und Facebook. Das interessiere ihn nicht, sagt<br />
Gauland. Er lese nur Zeitung. Er lasse sich aber jeden<br />
Morgen die Tweets ausdrucken, die ihn interessieren.<br />
VON JOHANNES BOIE, MATTHIAS KAMANN<br />
UND JACQUES SCHUSTER<br />
WELT AM SONNTAG: Herr Gauland, die AfD will einen<br />
EU-Austritt in Erwägung ziehen, wenn die EU<br />
nicht „in angemessener Zeit“ reformiert wird. Stände<br />
dann für Sie der „Dexit“ an?<br />
ALEXANDER GAULAND: Nach der Europawahl in diesem<br />
Mai werden wir im Verbund mit anderen europäischen<br />
Parteien versuchen, grundlegende Reformen<br />
der EU anzugehen. Ich wage zu bezweifeln, dass wir<br />
das in fünf Jahren schaffen werden.<br />
Wollen Sie denn raus aus der EU?<br />
Ich war immer der Meinung, dass ein alleiniger Austritt<br />
Deutschlands aus der EU falsch wäre. Wenn es<br />
keine Möglichkeit gibt, die EU so zu verändern, wie<br />
es nötig ist, dann müssen wir und andere Parteien eine<br />
Neugründung versuchen. Das würde für Deutschland<br />
einen Austritt aus der jetzigen EU bedeuten,<br />
aber nicht allein, sondern gemeins<strong>am</strong> mit anderen<br />
Staaten.<br />
Wie sähe Ihr Ideal-Europa aus?<br />
Wir wollen zurück zum gemeins<strong>am</strong>en Markt und weg<br />
von allen Versuchen, aus der EU einen Bundesstaat zu<br />
machen. Wir wollen zurück zum Europa von Adenauer<br />
und de Gaulle. Auf jeden Fall wollen wir jegliche weitere<br />
Vergemeinschaftung stoppen. Außerdem wollen<br />
wir die Souveränität der europäischen Staaten so bewahren,<br />
wie sie in den Römischen Verträgen von 1957<br />
festgehalten wurde: Gemeins<strong>am</strong>keit im Markt, aber<br />
nicht auf anderen Politikfeldern.<br />
Der gemeins<strong>am</strong>e Markt wird schwierig, wenn es<br />
nach Parteien geht, mit denen die AfD im EU-Parl<strong>am</strong>ent<br />
kooperieren will. Die italienische Lega etwa<br />
setzt auf Schuldenpolitik.<br />
Wir müssen im Europarl<strong>am</strong>ent mit Parteien zus<strong>am</strong>menarbeiten,<br />
die uns ähnlich sind. So sehe ich bei der<br />
Lega das Problem, dass ihre Finanzpolitik uns so lange<br />
schadet, wie wir den Euro haben. Hingegen ist die<br />
Grenzabschottung der Lega richtig. Es gibt eben Politikfelder,<br />
auf denen wir gemeins<strong>am</strong> streiten, und Felder,<br />
auf denen wir eine andere Haltung vertreten.<br />
Hat die Lega recht, wenn sie sagt, die italienische<br />
Wirtschaftsmisere liege vor allem an Deutschland?<br />
Nein. Diese Misere liegt einzig an den italienischen<br />
Problemen: der Teilung des Landes in Nord und Süd<br />
sowie gesellschaftlichem Reformbedarf. Wäre die<br />
deutsche Politik verantwortlich für die italienische<br />
Misere, dann wäre sie auch der Grund des dänischen<br />
Wohlstands.<br />
Was unternehmen Sie gegen rechtsextreme Tendenzen<br />
in der AfD?<br />
Es gibt keine rechtsextremen Tendenzen in der<br />
AfD. Es gibt einige Personen, die wir alle gern draußen<br />
sehen würden, zum Beispiel Doris von Sayn-<br />
Wittgenstein oder Wolfgang Gedeon. Aber Sie wissen,<br />
wie schwierig Ausschlussverfahren für Parteien<br />
sind.<br />
Sie könnten ein Machtwort gegen die Unterstützer<br />
dieser Kandidaten sprechen. Das tun Sie aber nicht.<br />
Das ist falsch. Wir haben uns ganz klar gegen Rechtsextreme,<br />
Reichsbürger oder die Identitäre Bewegung<br />
gestellt.<br />
Warum war dann Daniel Fiß, Bundesvorstand der<br />
Identitären, beim AfD-Abgeordneten Siegbert<br />
Droese als Mitarbeiter beschäftigt?<br />
Fiß ist von Droese gekündigt worden. Droese hat ihn<br />
für einige Monate beschäftigt, da er nicht gewusst habe,<br />
welche Rolle Fiß spielt.<br />
Dennis Augustin, einer der AfD-Landeschefs in<br />
Mecklenburg-Vorpommern, ließ Fiß auch für sich<br />
arbeiten.<br />
Dennis Augustin ist in der AfD offensichtlich ein Problem.<br />
Ich kenne ihn nicht, weiß aber, dass der andere<br />
dortige Landesvorsitzende Leif-Erik Holm mit ihm<br />
Schwierigkeiten hat. Ja, unter Umständen muss man<br />
sich politisch von Menschen trennen, aber nicht immer<br />
mit Parteiausschlussverfahren.<br />
Judenhass und Antisemitismus sind weltweit auf<br />
einem Höhepunkt, auch in Deutschland. Junge Juden<br />
verlassen das Land. Attacken auf Muslime nehmen<br />
zu. Wie stehen Sie dazu?<br />
Antisemitismus ist absolut inakzeptabel, weltweit, in<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 9<br />
der AfD, in Deutschland, weil wir das Erbe von sechs<br />
Millionen ermordeten Juden tragen.<br />
Haben Sie mit Äußerungen wie der über die NS-Zeit<br />
als „Vogelschiss“ judenfeindlichen Tendenzen Vorschub<br />
geleistet? Und gilt das nicht auch für isl<strong>am</strong>feindliche<br />
Ausfälle und Aggression gegen Muslime?<br />
Mein „Vogelschiss“-Satz war ein Fehler, für den ich<br />
mich schon oft entschuldigt habe. Wenn Sie meine d<strong>am</strong>alige<br />
Rede vor der Jungen Alternative lesen, werden<br />
Sie feststellen, dass mit dem „Vogelschiss“ keine Bagatellisierung<br />
der NS-Verbrechen gemeint war, sondern<br />
nur die Länge des Zeitraums des Dritten Reiches im<br />
Vergleich zu der großen deutsch-jüdischen Tradition,<br />
die ich vor den jungen Leuten breit gewürdigt habe.<br />
Dann habe ich leider einen Begriff gebraucht – was ein<br />
großer Fehler war –, der ganz anders aufgefasst werden<br />
konnte.<br />
Gefragt haben wir Sie auch nach Ausfällen gegen<br />
Muslime.<br />
Unser Problem ist, dass jeder individuelle Muslim natürlich<br />
seinen Glauben leben kann, wir aber die Organisation<br />
des muslimischen Glaubens für nicht mit<br />
dem Grundgesetz vereinbar halten.<br />
Sind Sie etwa der Meinung, die „Organisation“ des<br />
Zentralrats der Muslime ist grundgesetzwidrig?<br />
Ich meine nicht den Zentralrat der Muslime, sondern<br />
den verfassten Isl<strong>am</strong>, also die Ges<strong>am</strong>theit der Glaubensregeln,<br />
die Muslime befolgen sollen. Ich weiß,<br />
dass viele Muslime einen Teil dieser Glaubensregeln<br />
nicht befolgen und nach dem Grundgesetz leben. Aber<br />
der verfasste Isl<strong>am</strong> ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar,<br />
denn zu ihm gehört die Scharia.<br />
Alles Einzelfälle „Es gibt<br />
keine rechtsextremen Tendenzen<br />
in der AfD“, sagt Alexander<br />
Gauland. Nur einige Personen<br />
sähe er lieber draußen<br />
AUSBLENDEN.DE/MARLENE GAWRISCH(2)<br />
Alexander Segert. Wann machen Reil und Meuthen<br />
reinen Tisch?<br />
Jörg Meuthen hat alles öffentlich gemacht, was ihm<br />
Segert über jene Wahlk<strong>am</strong>pfunterstützung jemals mitgeteilt<br />
hat.<br />
Meuthen erteilte Segert die Erlaubnis für Unterstützerleistungen<br />
im baden-württembergischen<br />
Landtagswahlk<strong>am</strong>pf 2016. Der Ges<strong>am</strong>twert betrug<br />
89.000 Euro. Davon soll er nichts gewusst haben?<br />
Das konnte Jörg Meuthen auch nicht wissen. Von der<br />
Höhe jener Summe hat er erst 2018 erfahren. Ich weiß,<br />
dass jene Plakate d<strong>am</strong>als auftauchten. Wir fanden sie<br />
völlig daneben. Wir fanden auch die Flyer völlig daneben.<br />
Ja, da hätte man sagen müssen, „Schluss d<strong>am</strong>it“.<br />
Sprachen Sie Meuthen darauf an?<br />
Ich habe mit Meuthen nicht darüber gesprochen. Das<br />
Thema ist aber von irgendjemandem aufgebracht worden,<br />
und da wusste Meuthen, dass sein Freund Segert<br />
sich um etwas gekümmert hatte. Aber Meuthen wusste<br />
nicht, in welchem Umfang und mit welchen Summen.<br />
Daher beruft sich Meuthen völlig zu Recht auf<br />
ein Berliner Verwaltungsgerichtsurteil, wonach keine<br />
Parteispende vorliegt, wenn irgendjemand ohne Wissen<br />
und Mitwirkung der Partei Dinge zugunsten der<br />
Partei macht.<br />
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Was ist Ihr, wie Sie sagten, „Problem“ beim Unterschied<br />
zwischen Muslimen und dem „verfassten Isl<strong>am</strong>“?<br />
Lesen Sie „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq.<br />
Das ist kein Glaubenstext des Isl<strong>am</strong>.<br />
Darum geht es nicht. Es ist die Darstellung, wie die<br />
Übernahme einer Gesellschaft durch Muslime zum<br />
Ende der bürgerlichen Freiheit führt.<br />
Es ist ein fiktiver Roman.<br />
Eine Fiktion mit sehr viel Wahrheitsgehalt für die Zukunft.<br />
Das ist unsere Sorge: die schleichende Veränderung<br />
einer Gesellschaft, bis nur noch der Isl<strong>am</strong> die Regeln<br />
bestimmt. Ich werde das nicht mehr erleben.<br />
Aber eine Gefahr ist das. Wie kommt es denn, dass in<br />
allen muslimischen Ländern die Freiheiten für andere<br />
Religionen außer Kraft gesetzt sind?<br />
Die AfD hat eine Spendenaffäre. Wie viel Strafe<br />
müssen Sie zahlen?<br />
Das kann ich nicht voraussagen. Wir haben eine Rücklage<br />
in Höhe von einer Million Euro für den schlimmsten<br />
möglichen Fall gebildet, werden uns aber mit allen<br />
juristischen Mitteln wehren. Die Rückstellungen sind<br />
reine Vorsorge, weil die Bundestagsverwaltung die<br />
von ihr festgesetzten Strafzahlungen erst einmal einbehält<br />
und ein Urteil dann lange auf sich warten lassen<br />
kann.<br />
Wurde die Bundestagsverwaltung über die Spenden<br />
zugunsten von Alice Weidel belogen? Die N<strong>am</strong>en<br />
der Spender, von denen mehr als 130.000 Euro an<br />
Weidels AfD-Kreisverband flossen, waren offenbar<br />
zum Teil falsch.<br />
Bei uns hat niemand gelogen. Unsere Bundesgeschäftsstelle,<br />
die die N<strong>am</strong>ensliste an die Bundestagsverwaltung<br />
übermittelt hat, konnte nicht wissen, dass<br />
jene N<strong>am</strong>en möglicherweise falsch waren. Alice Weidel<br />
kann man allenfalls den Vorhalt machen, dass es zu<br />
lange dauerte, bis das Geld an den Absender aus der<br />
Schweiz zurücküberwiesen wurde. Ihre Schatzmeisterin<br />
hätte das Geld sofort zurücküberweisen müssen.<br />
Für AfD-Vorstandsmitglied Guido Reil und Ihren<br />
Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen gab es Wahlk<strong>am</strong>pfhilfe<br />
der Schweizer Goal AG mit Geschäftsführer<br />
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10 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Keine Opfer.<br />
Täterinnen<br />
Immer mehr IS-Frauen kehren aus Syrien<br />
zurück. Und es stellt sich immer deutlicher<br />
heraus, wie sehr sie das Terrorsystem<br />
unterstützt haben – auch an der Waffe<br />
Omaima A. mit ihrem zweiten Mann Denis Cuspert alias Deso Dogg in Syrien Inzwischen lebt die<br />
reitagmorgen erzählt Dschihadistin Sabine<br />
S. in einem Stuttgarter Gerichtssaal die Geschichte<br />
ihres Lebens. Die 32 Jahre alte<br />
vierfache Mutter liest vor, stundenlang, 150<br />
handbeschriebene Seiten. Sie sei ein Scheidungskind,<br />
katholisch getauft. Von klein auf habe der<br />
Stiefvater sie verprügelt, später ihr Mann. In der Schule<br />
sei sie gemobbt, auf der Straße mit Müll beworfen<br />
worden. Zweifel. Depressionen. Selbstmordversuch.<br />
Sie sagt: „Ich wollte nicht mehr leben.“ Die Angeklagte,<br />
blasses Gesicht, beigefarbenes Kopftuch, spricht<br />
leise, doch ihre Worte klingen wie ein lauter Appell:<br />
Schaut her, ich bin hier das Opfer.<br />
VON IBRAHIM NABER<br />
Sabine S. ist zum Prozessauftakt aber nicht das Opfer,<br />
sondern Angeklagte. Mit 22 konvertierte sie zum<br />
Isl<strong>am</strong>, Ende 2013 ging sie nach Syrien und blieb bis August<br />
2017. Sie ist eine von bislang vier Frauen, die die<br />
Terrormiliz „Isl<strong>am</strong>ischer Staat“ (IS) verlassen haben –<br />
und gegen die der Generalbundesanwalt Anklage erhoben<br />
hat. Sie habe eine Schießausbildung in Nordsyrien<br />
erhalten. Sie wurde – laut Anklage – mit der Zündung<br />
von Sprengstoffgürteln beauftragt. Zudem verbreitete<br />
sie im Internet IS-Propaganda. Ein Beitrag<br />
trug den Titel: „Das Köpfchen ab“. Darin berichtet sie<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 11<br />
DIE WOCHE<br />
Frau wieder in H<strong>am</strong>burg, offenbar unbehelligt<br />
von öffentlichen Hinrichtungen angeblich Ungläubiger,<br />
bei denen sie und ihr Mann zusahen.<br />
Rückkehrerinnen skizzierten oft das Bild unschuldiger<br />
Ehefrauen. Jetzt offenbaren erste Anklagen aber,<br />
wie stark Dschihadistinnen mitunter im System der<br />
Terrormiliz eingebunden waren. Sie patrouillierten<br />
für die Sittenpolizei bewaffnet durch die Gassen, warben<br />
andere Frauen im Netz für den Dschihad und verübten<br />
Gräueltaten. Ein Beispiel: Jennifer W., deren<br />
Prozess in München verhandelt wird. Die 27-Jährige<br />
soll laut Anklage ein fünf Jahre altes jesidisches Mädchen<br />
mit ihrem Mann als Sklavin gehalten haben – und<br />
im Sommer 2015 „bei sengender Hitze qualvoll verdursten“<br />
lassen.<br />
Nach Informationen von WELT AM SONNTAG liegen<br />
den deutschen Behörden Bilder kämpfender<br />
IS-Anhängerinnen vor. Ermittler sagen, dass sich manche<br />
Deutsche besonders skrupellos in das Terrorsystem<br />
eingebracht hätten, um als Ausländer Anerkennung<br />
zu erhalten. Zugleich haben Strafverfolger in vielen<br />
Fällen Probleme, genügend Beweismaterial für eine<br />
Anklage zu s<strong>am</strong>meln. Die Hürde ist hoch: Der Bundesgerichtshof<br />
hat im Mai 2018 klargemacht, dass es<br />
für den Nachweis der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation<br />
nicht ausreicht, als Ehe- oder Hausfrau<br />
von Kämpfern tätig gewesen zu sein.<br />
Hans Matheis, Abteilungsleiter Staatsschutz beim<br />
Landeskriminal<strong>am</strong>t (LKA) in Baden-Württemberg, beschreibt<br />
den Ermittlungsstand so: Sicher sei, dass viele<br />
aus Deutschland ausgereiste Frauen IS-Kämpfer<br />
nach isl<strong>am</strong>ischem Recht geheiratet hätten. Viele Frauen<br />
hätten wohl auch eine Schussausbildung erhalten.<br />
„Oft“, sagt Matheis, „fehlt es bislang aber an stichhaltigen<br />
Beweisen.“<br />
Rund 1050 Männer und Frauen sind nach offiziellen<br />
Angaben seit 2013 aus Deutschland in syrische oder<br />
irakische Kriegsgebiete ausgereist. Jeder Dritte kehrte<br />
bereits zurück, wohl jeder Fünfte k<strong>am</strong> ums Leben.<br />
Rund 300 Personen sind noch auf freiem Fuß. Von<br />
deutschen Frauen sollen sich etwa 50 noch in Haft<br />
oder in Flüchtlingsc<strong>am</strong>ps in den Kriegsgebieten befinden.<br />
Ähnlich viele sind bereits zurück. Die kurdischen<br />
Einheiten in Syrien, die im März letzte Bastionen des<br />
IS zum Einsturz brachten, pochen darauf, dass die<br />
Bundesregierung die derzeit inhaftierten deutschen<br />
IS-Mitglieder endlich zurückholt. Sie werden vom US-<br />
Präsidenten unterstützt. Hierzulande wächst in Sicherheitskreisen<br />
die Sorge, dass manche Rückkehrer<br />
gefährlicher sind als angenommen, dass manche<br />
Dschihadisten bereits unbehelligt zurück sind – besonders<br />
Frauen.<br />
Die libanesische Reporterin Jenan Moussa ist im Besitz<br />
des Handys einer deutschen Dschihadistin, Omaima<br />
A. Darauf gespeichert: Hunderte Bilder und Videos<br />
aus den Kriegsgebieten. Die Dateien helfen dabei, die<br />
AL AAN TV/<br />
MERKELS AFRIKAREISE<br />
Mehr Hilfe für<br />
Sahel-Staaten<br />
Kanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU) fordert dringlich eine<br />
internationale Unterstützung<br />
für die von isl<strong>am</strong>istischem<br />
Terrorismus und<br />
Instabilität bedrohten Sahel-<br />
Staaten. Zum Abschluss ihrer<br />
Westafrikareise betonte sie<br />
in Ni<strong>am</strong>ey (Niger), dass eine<br />
Hilfe zügig umgesetzt werden<br />
müsse, „denn kriminelle<br />
Aktivitäten laufen hier in<br />
allen Bereichen“. Merkel<br />
besuchte die EUCAP Sahel<br />
Niger Mission, eine Unterstützung<br />
der EU zur Ausbildung<br />
von Sicherheitskräften,<br />
zudem eine Frauenrechtsorganisation.<br />
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IN UNGARN<br />
Hunger als Druck<br />
gegen Migranten<br />
Ungarn verweigert abgelehnten<br />
Asylbewerbern nach<br />
UN-Angaben gezielt die<br />
Versorgung mit Lebensmitteln.<br />
Für den Zeitraum<br />
seit August 2018 gebe es<br />
direkte Informationen zu<br />
mindestens 21 betroffenen<br />
Migranten, erklärte das UN-<br />
Menschenrechtsbüro <strong>am</strong><br />
Freitag in Genf. Die auf Abschiebung<br />
wartenden Flüchtlinge<br />
hätten bis zu fünf Tage<br />
kein Essen erhalten, was<br />
gegen internationales Recht<br />
verstoße. Das rechtskonservativ<br />
regierte Ungarn stellt<br />
es Migranten indes frei, nach<br />
Serbien auszureisen.<br />
RECHTSEXTREME<br />
Jeder zweite<br />
bereit zu Gewalt<br />
Mehr als jeder zweite<br />
Rechtsextremist in Deutschland<br />
ist nach Angaben des<br />
Bundesinnenministeriums<br />
gewaltorientiert. 2017 waren<br />
es demnach 12.700 von<br />
24.000 Personen, wie zunächst<br />
die „Neue Osnabrücker<br />
Zeitung“ berichtete. Die<br />
FDP-Bundestagsfraktion<br />
forderte vor diesem Hintergrund<br />
ein „neues Konzept<br />
gegen Radikalisierung im<br />
Internet“. Nach dem martialischen<br />
Auftritt von Neonazis<br />
in Plauen <strong>am</strong> 1. Mai<br />
warnte auch Außenminister<br />
Heiko Maas (SPD) eindringlich<br />
vor der Szene.<br />
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FORTSETZUNG AUF SEITE 12<br />
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12 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 10<br />
IS-Karriere der 34-Jährigen detailliert<br />
zu rekonstruieren. Die aber lebt jetzt in<br />
einem H<strong>am</strong>burger Stadtteil. Ganz so,<br />
als wäre nichts gewesen.<br />
Omaima A. heiratete im Frühling<br />
2012 den Frankfurter Salafisten Nadir<br />
Hadra. 2015 reiste das Ehepaar mit<br />
seinen drei Kindern nach Syrien.<br />
Das registrierten auch die deutschen<br />
Behörden. Das Jobcenter<br />
strich Zuwendungen, Grund:<br />
„Ausreise ins Ausland (Syrien)“.<br />
Bilder auf dem Handy zeigen, dass<br />
nicht nur Omaima A. selbst mit<br />
Pistolen posierte, sondern auch<br />
ihre Kinder. Die Tochter trug mit<br />
acht Jahren einen Nikab-Ganzkörperschleier.<br />
A. warb im Internet<br />
für den IS. Als ihr Mann kurz nach<br />
der Einreise bei Kämpfen um Kobane<br />
starb, heiratete die deutsche<br />
Dschihadistin in Syrien einen<br />
Kumpel ihres Mannes: Ex-Rapper<br />
Deso Dogg (Denis Cuspert), der<br />
wohl bekannteste deutsche IS-<br />
Kämpfer. Er tauchte auch in einem<br />
Propagandavideo auf, in dem<br />
Männer geköpft werden. Mittlerweile<br />
soll Deso Dogg ums Leben<br />
gekommen sein.<br />
ALS WÄRE NICHTS GEWESEN<br />
Bis Ende 2015 war Omaima A. in<br />
Syrien, das belegen die Fotos. Anschließend<br />
kehrte sie zurück. Laut<br />
einem Profil auf einer Karriereplattform<br />
im Netz arbeitete A. zuletzt<br />
in H<strong>am</strong>burg als Übersetzerin<br />
und Event-Managerin. Offen ist,<br />
was deutsche Behörden von der<br />
Rückkehr von Omaima A. wussten.<br />
Ob sie unentdeckt bleiben sollte,<br />
um über sie an Informationen<br />
über andere Dschihadisten zu<br />
kommen. Auf Anfragen teilt die<br />
Staatsanwaltschaft in H<strong>am</strong>burg<br />
mit, dass sie zum Fall nichts sagen<br />
könne – „wegen einer möglichen Gefährdung<br />
der Ermittlungen“. Das Innenministerium<br />
lässt einen Fragenkatalog<br />
von WELT AM SONNTAG unbeantwortet.<br />
Eine Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft<br />
(GBA) teilt telefonisch mit,<br />
dass man nichts sagen könne. Aus einer<br />
aktuellen Anfrage der Linken in der<br />
H<strong>am</strong>burgischen Bürgerschaft geht hervor,<br />
dass A. nach ihrer Rückreise nicht<br />
als Gefährderin eingestuft wurde.<br />
In jedem Einzelfall muss strafrechtlich<br />
nachgewiesen werden, dass deutsche<br />
IS-Frauen an Verbrechen beteiligt<br />
waren. Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes<br />
sind für Befragungen<br />
bereits in die Kriegsgebiete gereist. Die<br />
Bundesländer schickten mitunter Be<strong>am</strong>te<br />
mit. Der GBA scheint in den ersten<br />
Anklagen einen Kniff gefunden zu<br />
haben: Sabine S. wie auch die in Düsseldorf<br />
angeklagte Mine K., 47, sollen<br />
durch Plünderungen gegen das Völkerstrafrecht<br />
verstoßen haben. Das bezieht<br />
sich darauf, dass die Deutschen in Häuser<br />
zogen, die anderen mit Gewalt genommen<br />
wurden.<br />
Von 2013 bis 2017 in Syrien und im Irak Sabine S. <strong>am</strong> Freitag vor dem OLG Stuttgart<br />
Manche Dschihadistinnen gerieten<br />
auch im Irak in Gefangenschaft. Dort<br />
wurden etwa L<strong>am</strong>ia K., 51, und ihre 22<br />
Jahre alte Tochter Nadia aus Mannheim<br />
zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.<br />
Die Mutter, eine Deutschmarokkanerin,<br />
erhielt zunächst sogar die Todesstrafe.<br />
Ein irakischer Richter sprach sie<br />
schuldig, den IS auch militärisch unterstützt<br />
zu haben. Erst eine Beschwerde<br />
des deutschen Botschafters sorgte dafür,<br />
dass die Todesstrafe nicht vollzogen<br />
wurde. Deutsche Ermittler sagen zu<br />
Fällen wie diesen: Einerseits werde man<br />
ein Problem los, andererseits gebe es<br />
bei Festnahmen im Irak keine Chance,<br />
das Umfeld des Beschuldigten auszuhorchen.<br />
Für Hans Matheis vom LKA in<br />
Baden-Württemberg spielt es keine große<br />
Rolle, ob Dschihadisten für ein Jahr<br />
oder fünf Jahre ins Gefängnis kommen.<br />
„Entscheidend ist, wie wir mit ihnen<br />
umgehen, wenn sie wieder in<br />
Freiheit sind.“ In Niedersachsen<br />
gibt es seit 2016 die Kom-<br />
DPA/SEBASTIAN GOLLNOW<br />
petenzstelle Isl<strong>am</strong>ismusprävention.<br />
Dort kümmern sich<br />
Mitarbeiter derzeit um fünf<br />
Frauen, die als Rückkehrerinnen<br />
mit isl<strong>am</strong>istischer Gesinnung<br />
gelten. Das Progr<strong>am</strong>m<br />
setzt auch auf Fallkonferenzen<br />
mit dem Verfassungsschutz<br />
und etwa Jugendämtern,<br />
um Maßnahmen zu besprechen.<br />
„Es ist schon viel erreicht,<br />
wenn von den Isl<strong>am</strong>istinnen<br />
keine Eigen- oder Fremdgefährdung<br />
mehr ausgeht“, sagt<br />
Andreas Schwegel vom LKA<br />
Niedersachsen im Gespräch.<br />
Es gebe hochradikalisierte<br />
Rückkehrerinnen, aber auch<br />
Frauen, bei denen Besserungschancen<br />
bestünden. Vermehrt<br />
nehmen die Be<strong>am</strong>ten<br />
laut Schwegel Fälle von Mehrfachradikalisierung<br />
in F<strong>am</strong>ilien<br />
wahr. Dort seien Aussteigerprogr<strong>am</strong>me<br />
kaum möglich.<br />
Sabine S. wird in der Anklage<br />
unter anderem von ihrer<br />
Schwester und ihrem Exmann<br />
belastet. Im Juni soll das Urteil<br />
fallen. Der Anwalt von S.<br />
beteuerte <strong>am</strong> Freitag, dass seine<br />
Mandantin sich vom radikalen<br />
Isl<strong>am</strong> losgesagt hätte.<br />
Sie sei geläutert und wolle einfach<br />
nur einen Neustart. S.<br />
klagte beim Prozess, dass der<br />
Krieg und die Hitze „schrecklich“<br />
gewesen seien, ständig habe<br />
sie geweint und gebetet. Sie wüsste heute,<br />
dass der IS nur alles schöngeredet<br />
habe. Ein erstaunlicher Sinneswandel.<br />
2016 schrieb Sabine S. auf ihrem Blog<br />
noch, dass der IS der beste Staat der<br />
<strong>Welt</strong> sei. In ihrem Gottesstaat gebe es<br />
schließlich keinen Alkohol, keine Drogen,<br />
keine Sünden. Im IS müsste kein<br />
Kind mit dem „Müll der westlichen<br />
<strong>Welt</strong>“ aufwachsen.<br />
Mine K., angeklagt in<br />
Düsseldorf<br />
Jennifer W., angeklagt in<br />
München<br />
Sarah O., angeklagt in<br />
Düsseldorf<br />
Sabine S., angeklagt in<br />
Stuttgart<br />
Die Kölnerin, 47, soll sich spätestens<br />
Ende 2014 dem IS in Syrien<br />
angeschlossen haben. Ihren<br />
Mann heiratete sie über ein<br />
Videotelefonat. Als er Ende 2015<br />
starb, erhielt sie 1000 Dollar. Mit<br />
ihrem Sohn zog sie im Mai 2016<br />
nach Rakka. Bei ihrer Einreise<br />
nach Deutschland im Oktober<br />
2018 wurde sie festgenommen.<br />
Angeklagt ist Mine K. wegen<br />
eines Völkerrechtsbruchs. Einfach<br />
gesagt: Plünderung. Sie soll<br />
„Sachen der gegnerischen Partei<br />
in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig“<br />
angeeignet haben.<br />
Hat die Anklage Erfolg, könnte es<br />
zum Präzedenzfall werden.<br />
Im August 2014 schloss sich die<br />
heute 27-Jährige dem IS im Irak<br />
an und war in die Befehlsstruktur<br />
des Kalifats eingebunden. Als<br />
Sittenpolizistin soll sie in Falludscha<br />
und Mossul mit Gewehr und<br />
Sprengstoffweste durch Parks<br />
patrouilliert sein. Mit ihrem Ehemann<br />
soll Jennifer W. 2015 eine<br />
Fünfjährige als Haushaltssklavin<br />
gehalten und „graus<strong>am</strong> getötet“<br />
haben. Anfang 2016 wurde sie in<br />
der Türkei festgenommen und<br />
nach Deutschland abgeschoben.<br />
Als sie im Juni 2018 erneut nach<br />
Syrien reisen wollte, tappte sie in<br />
die Falle eines FBI-Informanten.<br />
Sie wurde festgenommen.<br />
Die aus Konstanz st<strong>am</strong>mende<br />
Deutschalgerierin reiste Ende<br />
Oktober 2013 allein nach Syrien.<br />
D<strong>am</strong>als war sie 15. Ermittler<br />
stießen durch Beiträge in sozialen<br />
Medien auf sie. Sie soll Fotos ihrer<br />
Schussausbildung verschickt<br />
haben. Mit ihrem Ehemann soll<br />
sie Wach- und Polizeidienste im<br />
Kalifat übernommen haben. Das<br />
Ehepaar erhielt vom IS 118 Dollar<br />
monatlich. Bis Ende 2017 hielten<br />
sie drei jesidische Frauen als<br />
Sklavinnen. Im September 2018<br />
wurde Sarah O. von der Türkei<br />
nach Deutschland abgeschoben.<br />
Die 21-Jährige sitzt seitdem in<br />
Untersuchungshaft.<br />
Ende 2013 ließ die Frau ihre zwei<br />
Kinder in Berlin zurück, um in<br />
Syrien einen IS-Kämpfer aus<br />
Aserbaidschan zu heiraten. Als er<br />
2016 starb, k<strong>am</strong> sie in ein Frauenhaus<br />
in Rakka. 2017 wurde sie<br />
von kurdischen Sicherheitskräften<br />
festgenommen. Verhaftet<br />
wurde die aus Baden-Baden<br />
st<strong>am</strong>mende Sabine S. im Juli<br />
2018 in Karlsruhe. Der Generalbundesanwalt<br />
legt ihr ein Kriegsverbrechen<br />
und einen Verstoß<br />
gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz<br />
zur Last. Sie wurde Zeuge<br />
von öffentlichen Hinrichtungen<br />
der IS-Henker und rechtfertigte<br />
die Taten auf Internetblogs.<br />
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Co-Founder & CEO<br />
13-14<br />
JUNE<br />
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT <strong>am</strong> SONNTAG KOMPAKT-2019-05-05-ad_rom-20 d303819bfe5e76bd858c8f6bd6d14bdc
14 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Ein drei Monate<br />
altes Baby<br />
erhält eine<br />
Schluckimpfung<br />
GETTY IMAGES/WESTEND61<br />
Gefährliche Skepsis<br />
Bevor sie Mutter wurde, habe sie keine Angst<br />
vor Impfungen gehabt, sagt Melanie Lukas.<br />
Erst als ihr Baby auf der <strong>Welt</strong> war, sei sie<br />
unsicher geworden. Ihre Heb<strong>am</strong>me sagte<br />
ihr, es sei nicht nötig, Babys zu impfen. Sie<br />
vertraute der Frau in den Wochen nach der Geburt wie<br />
kaum einem anderen Menschen. Die Heb<strong>am</strong>me empfahl<br />
ihr einen anthroposophischen Kinderarzt, der Immunisierungen<br />
ebenfalls für nicht zwingend notwendig<br />
hielt. Das Baby blieb ungeimpft. Melanie Lukas<br />
heißt eigentlich anders, sie möchte nicht mit echtem<br />
N<strong>am</strong>en genannt werden, weil sie in einem Ort lebt, in<br />
dem viele Menschen Impfkritiker sind.<br />
VON ANOUSCH MUELLER<br />
Die Zahl der Maserninfektionen nimmt zu. Nur 92,8<br />
Prozent der Schulanfänger sind zweimal gegen die<br />
Krankheit geimpft und d<strong>am</strong>it ausreichend geschützt.<br />
Die Zahl gab das Robert-Koch-Institut in dieser Woche<br />
bekannt. Auch bei Keuchhusten-, Rotavirus- und<br />
Windpockenerkrankungen werden steigende Zahlen<br />
gemeldet. Es wird darüber diskutiert, ob man Eltern<br />
zwingen kann, ihre Kinder impfen zu lassen. Oder<br />
muss man dafür sorgen, dass jede Mutter und jeder<br />
Vater über die nötigen Impfungen besser informiert<br />
ist? Dabei wird häufig eine Gruppe übersehen, die viel<br />
Einfluss auf die Eltern hat: die Heb<strong>am</strong>men.<br />
Oft sind sie die engsten Vertrauten von Eltern in einer<br />
hochsensiblen Lebensphase. Ihr Wort hat Gewicht.<br />
Doch viele Heb<strong>am</strong>men scheinen der Immunisierung<br />
von Babys kritisch gegenüber zu stehen. Das<br />
berichten Eltern und Kinderärzte, das kann man in Foren<br />
im Internet verfolgen. Vor zwölf Jahren hat das<br />
Robert-Koch-Institut eine Studie veröffentlicht, die<br />
diese Beobachtungen mit Zahlen untermauerte. Die<br />
Behörde wollte wissen, wie Heb<strong>am</strong>men zum Impfen<br />
Heb<strong>am</strong>men gehören zu<br />
den wichtigsten<br />
Ansprechpartnern junger<br />
Eltern. Umso fataler,<br />
dass etliche von ihnen<br />
Impfkritikerinnen sind<br />
und andere gefährliches<br />
Halbwissen verbreiten<br />
stehen, das Ergebnis war niederschmetternd: Jede<br />
vierte Befragte lehnte die Immunisierung gegen Masern,<br />
Mumps und Röteln (MMR) ab. Bei anderen Impfungen<br />
sah es nicht viel besser aus. Der Deutsche Heb<strong>am</strong>menverband<br />
erklärte d<strong>am</strong>als, es seien nur drei Prozent<br />
aller Heb<strong>am</strong>men befragt worden, das Ergebnis sei<br />
unseriös. Dass der Verband das Impfen befürwortet,<br />
stand nicht in der Mitteilung. Auch heute bekommt<br />
man nur knappe Antworten auf Fragen zum Thema:<br />
Eine verbreitete Impfskepsis unter Heb<strong>am</strong>men sei<br />
„ein Vorurteil, das nicht bewiesen ist“. Eine offizielle<br />
Stellungnahme zum Impfen gebe es nicht.<br />
Das Thema scheint in der Heb<strong>am</strong>menschaft heikel.<br />
Eine Heb<strong>am</strong>me, die in der Öffentlichkeit steht, bezeichnet<br />
sich als Impfbefürworterin, will aber nicht<br />
n<strong>am</strong>entlich genannt werden. Eine andere sagt, wenn<br />
man „auch nur einen Hauch“ von den Empfehlungen<br />
der Ständigen Impfkommission abweiche, die zum<br />
RKI gehört, werde man als Impfgegnerin bezeichnet.<br />
„Es ist ein Dr<strong>am</strong>a“, sagt Sabine Kroh. Sie arbeitet in<br />
Berlin seit 30 Jahren als Heb<strong>am</strong>me und hat den Onlineberatungsservice<br />
„call a midwife“ gegründet. Unter<br />
Heb<strong>am</strong>men werde sehr polemisch über das Impfen<br />
gestritten, viele Kolleginnen glänzten „mit gefährlichem<br />
Halbwissen“. Impfkritik sei sehr verbreitet, „vor<br />
allem unter den freiberuflichen Heb<strong>am</strong>men“. Warum<br />
das so sei, könne sie sich nicht erklären. Es könne jedoch<br />
gefährlich werden, wenn Heb<strong>am</strong>men nicht nur<br />
Impfungen bei Babys skeptisch sehen, sondern auch<br />
den eigenen Impfschutz vernachlässigen, und sei es<br />
aus Vergesslichkeit. Ein ungeimpfter Kinderarzt sei<br />
undenkbar. Heb<strong>am</strong>men jedoch, die von Haus zu Haus<br />
zögen und Babys betreuten, hätten oft Impflücken.<br />
Melanie Lukas hat ihr Kind inzwischen doch impfen<br />
lassen, von einem neuen Kinderarzt. Aber sie erinnert<br />
sich an die Argumente, die ihre Heb<strong>am</strong>me gegen das<br />
Impfen anführte: „Der Nestschutz gegen Masern würde<br />
lange wirken und durch das Stillen noch verstärkt.<br />
Die Keuchhustenimpfung sei wirkungslos, und Windpocken<br />
seien nicht gefährlich. Im Gegensatz zur Impfung<br />
gegen Hepatitis B, die könne Multiple Sklerose<br />
anlösen.“ Mit Nestschutz ist gemeint, dass ein Neugeborenes<br />
einige Monate lang gegen Infektionskrankheiten<br />
geschützt ist, gegen die seine Mutter immun ist.<br />
Doch gegen Keuchhusten gibt es keinen Nestschutz.<br />
BOTSCHAFTERIN DER ESOTERIK Im Dezember<br />
2018 wurde die Berliner Heb<strong>am</strong>me Sissi Rasche auf<br />
Instagr<strong>am</strong> gefragt, ob man ein Baby mit zwei Monaten<br />
impfen solle. Rasche tritt im Netz als Botschafterin ihrer<br />
Berufsgruppe auf, gibt auf YouTube „Tipps für entspanntes<br />
Wickeln“ und wirbt für Babykleidung. Sie<br />
empfahl die Impfvorträge eines anthroposophischen<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 15<br />
Krankenhauses in Berlin sowie ein Buch mit dem Titel<br />
„Impfen Pro & Contra“. Die Anthroposophie gilt als<br />
Pseudowissenschaft mit esoterischem Inhalt. In einer<br />
online verfügbaren „Leitlinie Masern und Masern-<br />
Impfung“ der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte<br />
in Deutschland heißt es, dass Eltern „die Masern ihres<br />
Kindes als sinnhaft erleben, als eine Auseinandersetzung<br />
mit dem eigenen Leib, aus der das Kind gestärkt<br />
hervorgehen kann“. Eltern wird zu einer „individuellen<br />
Impfentscheidung“ geraten, die ein verspätetes<br />
Impfen mit Einzelimpfstoffen beinhaltet.<br />
Diese Taktik verfolgt auch Martin Hirte, der Autor<br />
des Buchs „Impfen Pro & Contra“, das auf zahllosen<br />
Heb<strong>am</strong>men-Webseiten verlinkt ist, in Foren von Heb<strong>am</strong>men<br />
empfohlen und in Geburtsvorbereitungskursen<br />
herumgereicht wird. Hirte führt in München eine<br />
Privatpraxis für Kinderheilkunde. Sein Buch ist ein<br />
Longseller in der 17. Auflage. Nach der Lektüre dürfte<br />
man nicht mehr ruhigen Gewissens impfen. Hirte zufolge<br />
sind Impfungen Giftcocktails, die Leib und Leben<br />
von Kindern gefährden können. Viele dieser Untersuchungen,<br />
die Hirte zitiert, sind veraltet, widerlegt<br />
und halten dem aktuellen wissenschaftlichen<br />
Konsens nicht stand.<br />
Impfen: Mythen und Wahrheiten<br />
Warum sollen Babys ab der 8. Woche geimpft<br />
werden?<br />
Babys bekommen über die Plazenta mütterliche<br />
Antikörper übertragen, die sie vor bestimmten<br />
Krankheiten schützen. Allerdings verliert sich<br />
dieser Nestschutz nach einigen Wochen bis<br />
Monaten. Gegen Keuchhusten gibt es keinen<br />
Nestschutz. Bei Babys besteht eine erhöhte<br />
Gefahr schwerer Krankheitsverläufe. Einige<br />
Impfstoffe müssen mehrfach verabreicht werden,<br />
d<strong>am</strong>it sich vollständiger Schutz aufbaut.<br />
Belasten Mehrfachimpfungen das Immunsystem<br />
des Babys?<br />
Heutzutage befinden sich in einer Sechsfach-<br />
Impfdosis weit weniger Antigene als vor Jahrzehnten<br />
in einer Einmaldosis. Für den Impfschutz<br />
werden B-Lymphozyten benötigt. Ein<br />
Säugling hat 1,2 Millionen B-Lymphozyten in<br />
einem Milliliter Blut. Das würde reichen, um mit<br />
1000 Impfungen gleichzeitig fertig zu werden.<br />
Ab der Geburt muss sich der Körper täglich mit<br />
einer Vielzahl an Fremdstoffen und Keimen<br />
auseinandersetzen. Diese Vorgänge sowie Impfungen<br />
trainieren das Immunsystem.<br />
Können Impfungen Allergien, Autismus, Diabetes<br />
oder Multiple Sklerose auslösen?<br />
Der Mythos, dass Impfungen Krankheiten verursachen<br />
können, hält sich hartnäckig. Eine<br />
große Studie hat gerade zum wiederholten Mal<br />
den Zus<strong>am</strong>menhang zwischen der Dreifach-<br />
Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln und<br />
Autismus widerlegt. In Deutschland wacht das<br />
Paul-Ehrlich-Institut über die Impfstoffsicherheit.<br />
Die Datenbank des Instituts ist mit Meldesystemen<br />
in aller <strong>Welt</strong> verknüpft. Impfnebenwirkungen<br />
werden so erfasst. Schlecht verträgliche<br />
Impfstoffe wie z. B. gegen Tuberkulose<br />
wurden aus dem Verkehr gezogen.<br />
GEBRIEFTE ELTERN BEIM KINDERARZT Es ist die<br />
Aufgabe von Kinderärzten, Eltern über mögliche Nebenwirkungen<br />
von Impfungen aufzuklären. Doch viele<br />
haben längst mit der Heb<strong>am</strong>me über das Thema gesprochen,<br />
wenn sie zu ihm kommen, sagt Jens-Uwe<br />
Köhler, der in Erkner bei Berlin eine Kinderarztpraxis<br />
führt. Seit Jahren erkundigen sich bei ihm Eltern, ob<br />
man die Kinder nicht später impfen könnte, als empfohlen<br />
ist, oder sie fragen nach Teilimpfungen. Wie<br />
kommen sie darauf? „Auf Nachfrage wird immer wieder<br />
geantwortet: Die Heb<strong>am</strong>me hat es nicht direkt so<br />
gesagt, aber sie meinte, bei ihrem Kind würde sie erst<br />
mit einem Jahr impfen lassen.“ Gelegentlich legen die<br />
Eltern Köhler die sogenannten „33 Fragen an den<br />
Impfarzt“ vor, „ein Fragenkatalog aus der Impfgegnerschaft,<br />
der den Impfarzt kompromittieren soll“, sagt<br />
er. „Die Beratungs- und Aufklärungsarbeit ist in aller<br />
Regel sehr intensiv, wenn die Heb<strong>am</strong>me das Thema<br />
Impfung bereits angesprochen hat.“<br />
Impfkritische Heb<strong>am</strong>men können Argumente in der<br />
„Deutschen Heb<strong>am</strong>men Zeitschrift“ finden. In einem<br />
Artikel von 2014, der online abrufbar ist, wird ein<br />
Impfmythos nach dem anderen aufgetischt. Die Heb<strong>am</strong>me<br />
Frauke Lippens aus H<strong>am</strong>burg hat den Beitrag<br />
verfasst. Sie schreibt, die Impfberatung der Ärzte habe<br />
„den Charakter eines Verkaufsgesprächs“, auch sie behauptet,<br />
dass Infektionskrankheiten „eine wichtige<br />
Funktion in der Entwicklung von Kindern“ haben und<br />
es einen Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Impfungen und<br />
schweren Krankheiten wie Diabetes, Autismus und<br />
Multipler Sklerose gebe. Unter dem Artikel finden sich<br />
Links zu Seiten von radikalen Impfgegnern.<br />
Die Querschnittstudie des RKI zu den Einstellungen<br />
der Heb<strong>am</strong>men zu Impfungen vor zwölf Jahren ergab,<br />
dass jede zweite dem Glauben anhing, die Masern<br />
seien wichtig für die Entwicklung von Kindern. Dass<br />
moderne Impfstoffe gut verträglich, sicher und wirks<strong>am</strong><br />
sind – davon war nur die Hälfte der Befragten<br />
überzeugt. Jede fünfte Heb<strong>am</strong>me glaubte, eine homöopathische<br />
Behandlung könne Impfungen überflüssig<br />
machen. Immerhin befürworteten 80 bis 90<br />
Prozent der Befragten eine Impfung gegen Tetanus,<br />
Poliomyelitis und Diphtherie. Bei den Impfungen gegen<br />
Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ B, Hepatitis<br />
A und B sowie gegen Rotavirus zeigte sich die<br />
Mehrheit unentschlossen. Nur 20 bis 30 Prozent hielten<br />
die Impfung gegen Varizellen, Pneumokokken und<br />
Meningokokken C für sinnvoll. Auch der Impfstatus<br />
der Heb<strong>am</strong>men selbst war bedenklich: Einzig gegen<br />
Tetanus waren 75 Prozent immunisiert, gegen Keuchhusten<br />
nur 18 Prozent.<br />
Man könnte nun hoffen, die Ergebnisse seien veraltet.<br />
Doch in dieser Woche wurde in einer großen Heb<strong>am</strong>mengruppe<br />
auf Facebook ein Post bejubelt, der die<br />
diskutierte Impfpflicht als „Lizenz zum Gelddrucken“<br />
bezeichnet. Eine Petition gegen die Impfpflicht, gestartet<br />
von einer Heb<strong>am</strong>me, gibt es inzwischen auch.<br />
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16 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Tschau, Chewbacca<br />
Weil der Atomkrieg mit<br />
Pakistan vorerst gottlob<br />
auf Eis gelegt war,<br />
hatte die indische Armee<br />
etwas Luft. Die<br />
wurde unter anderem dazu genutzt, die<br />
„Erste Bergexpedition der indischen Armee“<br />
zu veranstalten. 22 Teilnehmer, offensichtlich<br />
hoch dekorierte, waren dabei,<br />
als es zum Mount Makalu ging, einem<br />
8485 Meter hohen Berg im Himalaja.<br />
Von dessen Existenz hätte außerhalb<br />
des Göttergebirges wahrscheinlich niemand<br />
jemals erfahren, ja, hätten die Soldaten<br />
dort nicht den Yeti gefunden, den<br />
legendären Schneemenschen.<br />
VON PETER HUTH<br />
Also, nicht wirklich gefunden. Die Fotos<br />
zeigen lediglich den Abdruck eines<br />
rechten Fußes. Und auch den erkennt<br />
man nur mit viel gutem Willen. Außerdem<br />
– und das ist neu im Yeti-Sichtungsgeschäft<br />
– hätte der Schneemann offensichtlich<br />
einen Schuh getragen, denn<br />
das, was als Spur bezeichnet wird, ist<br />
deutlich unterteilt in einen hinteren und<br />
vorderen Bereich. Die Größe wurde auch<br />
vermessen: 32 mal 15 Inch, also 81 mal 38<br />
Zentimeter, circa Schuhgröße 120. Gibt’s<br />
auch nicht bei jedem Deichmann.<br />
Also postete das Additional Directorate<br />
General of Public Information der<br />
indischen Armee, wohl die Presseabteilung<br />
der Streitkräfte, auf ihrem Twitter-<br />
Account die Fotos von Fund und Findern<br />
sowie einen etwas ungelenken Text. In<br />
dem wird in zackigem Militärton verkündet,<br />
die Armee habe „zum ersten<br />
Mal“ die „mysteriösen Fußabdrücke des<br />
mythischen Monsters Yeti“ aufgespürt.<br />
Dazu, ganz nationalbewusst, wie um allen<br />
<strong>am</strong>erikanischen Bigfoot-Forschern<br />
den Schneid abzukaufen, die Klarstellung:<br />
Dieser „schwer fassbare Schneemann“<br />
sei natürlich nur in dieser Region<br />
überhaupt zu sichten.<br />
Ein Spaß. Was auch sonst. Man kann<br />
sich das ganz gut vorstellen, wie da der<br />
junge Social-Media-Offizier gesagt hat:<br />
Das müssen wir hier mal ganz anders machen<br />
mit der Pressearbeit, immer nur Ordensverleihung<br />
und Heldenverehrung<br />
und Ausflug in die Berge ist ja langweilig.<br />
Kein Wunder, dass wir zwar 5,99 Millionen<br />
Follower, aber gerade mal 66 Likes<br />
haben. Wir brauchen mal was Spaßiges, vielleicht so<br />
wie die Berliner Polizei, die ja immer mal für eine<br />
Waschbärenstory auf Twitter gut ist. Gesagt, getan –<br />
und reingefallen.<br />
Es mag <strong>am</strong> wenig <strong>am</strong>bitioniert humorigen Aussehen<br />
des Auftritts der Expeditionsk<strong>am</strong>eradschaft liegen,<br />
den echt miesen Fotos oder <strong>am</strong> allgemeinen Vorurteil,<br />
dass mit der Armee einer Schwellenland-Nuklearmacht<br />
nicht wirklich zu spaßen ist: Aber das Netz<br />
nahm den Tweet der Inder ernst.<br />
Rasend schnell verbreitete sich die Nachricht über<br />
die ganze <strong>Welt</strong> und ebenso schnell der Spott. Als ob es<br />
sich tatsächlich um eine offizielle Mitteilung der Armee<br />
gehandelt hätte, wurden die Inder mit allerlei Beweisen<br />
dafür, dass das keineswegs die Spuren eines Yetis, sondern<br />
maximal die eines hüpfenden Schneeschuhgängers<br />
seien, vollgetwittert. Bilder aus Yeti-Kitschfilmen von<br />
Bolly- bis Hollywood wurden in die Kommentarspalten<br />
gestellt und natürlich das berühmte Comic-Cover von<br />
„Tim in Tibet“. Zeitungen von „Aftonbladet“ bis WELT<br />
Edel sei das Monster, langhaarig<br />
und gut. Über den „Star Wars“-Star<br />
mit der Ganzkörperfrisur, den Yeti<br />
und andere Schreckenskerle<br />
Chewbacca Die mächtige Gestalt eines Yeti, das liebevolle Herz eines Hippies<br />
berichteten über die angebliche Sichtung, und schon<br />
war er tatsächlich wieder da, dieser Yeti, in den Schlagzeilen,<br />
in aller Munde, in allen Herzen. Denn – lassen<br />
wir mal die zynischen Besserwisserkommentare der<br />
Twitterer außen vor – wäre das nicht die schönste<br />
Nachricht von allen, dass es ihn wirklich gibt, den Yeti?<br />
DIE WIR DOCH GROSS UND EWIG EINSAM SIND<br />
Der Mythos vom Schneemenschen, der zottelig und –<br />
immer – eins<strong>am</strong> durch die entlegensten Gebirge<br />
streift, ist weltumspannend. Es gibt ihn im Himalaja<br />
wie in Sibirien und auch in Nord<strong>am</strong>erika, wo der weiße<br />
Wanderer Bigfoot oder Sasquatch genannt wird.<br />
Schon Alexander der Große, fast 400 Jahre vor Christus,<br />
versuchte, seiner habhaft zu werden und fand<br />
doch niemanden, der mutig genug war, den Schneemann<br />
zu jagen. Hunderte echte, ernst gemeinte Expeditionen<br />
wurden geführt, sämtliche vergeblich.<br />
All die Fellfetzen und Exkremente entpuppten sich<br />
durch ganz und gar unromantische DNA-Proben als<br />
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PROD DB/ALLPIX PRESS/PROD DB<br />
von Bären st<strong>am</strong>mend. Die verwackelten<br />
Fotos wurden als billige Fälschungen<br />
entlarvt. Und doch lässt der Mythos uns<br />
Menschen nicht los. So klar, so bewiesen<br />
es ist, dass es ihn nicht gibt. Warum nur?<br />
Die Sehnsucht des Menschen nach<br />
dem Monstrum ist unzerstörbar, weil es<br />
für den düsteren Teil der Persönlichkeit<br />
steht, für das Schaudern und die Ängste.<br />
Monster waren immer da, aber erst Mary<br />
Shelley entlarvte die Grauensgestalt in<br />
„Frankenstein“ als Teil unserer selbst.<br />
Bei allem Schrecken, die sie verbreitet,<br />
erweckt sie doch immer auch Mitleid<br />
oder sogar Mitgefühl. Man hält nicht mit<br />
den Bauerntölpeln, die die Kreatur jagen<br />
und brennen sehen wollen, sondern mit<br />
dem Monstrum, weil es eins<strong>am</strong> und unverstanden<br />
ist. Das passt zu den Erzängsten<br />
des Menschen. Kinder, die von<br />
Monstern unter ihrem Bett fantasieren,<br />
erkaufen sich so weitere Zeit der Geborgenheit<br />
mit ihren Eltern.<br />
Würde man eine Liste führen, fänden<br />
sich in Film und Literatur sicherlich genauso<br />
viele Geschichten, in denen Monster<br />
freundlich, lustig, k<strong>am</strong>eradschaftlich<br />
und lediglich missverstanden dargestellt<br />
werden, wie als tobende Grauensbringer.<br />
Die „F<strong>am</strong>ilie Monster“ ist eine verschrobene<br />
Sippe, die wie Pech und Schwefel<br />
zus<strong>am</strong>menhält. Rüdiger, der kleine V<strong>am</strong>pir,<br />
ist ein feiner Kerl. Das Land, in dem<br />
die „wilden Kerle wohnen“ ein Zauberort.<br />
In „Santa Clarita Diet“ kann sogar<br />
ein Zombie eine liebende Mutter und gute<br />
Hausfrau sein. In Pixars „Monster<br />
AG“-Filmen wird die Symbiose von<br />
Monster und Mensch zauberhaft und<br />
gleichzeitig ernst geschildert. Der Schrecken,<br />
das ist zuerst einmal das Fremdartige,<br />
aber es wird, so beten wir, überwunden,<br />
sobald wir nicht auf das Äußere,<br />
sondern das Innere blicken.<br />
In einer natürlich absolut zufälligen<br />
Koinzidenz erreichte uns <strong>am</strong> Freitag, also<br />
kurz nach der indischen Yeti-Meldung,<br />
die Nachricht vom Tode Peter Mayhews.<br />
Der Brite, ehemaliger Krankenpfleger,<br />
unfassbare zwei Meter und achtzehn<br />
Zentimeter groß, verkörperte seit 1977 die<br />
cineastische Figur, die alles, was der<br />
Mensch seit Jahrtausenden in den Yeti interpretiert,<br />
in sich trug: den Krieger<br />
Chewbacca in der „Star Wars“-Reihe.<br />
Furcht einflößend von Gestalt und Gebrüll,<br />
der N<strong>am</strong>e, <strong>am</strong> ehesten wohl „Kaubacke“,<br />
soll durchaus zittern lassen. Bei der ersten Begegnung<br />
will der rasende Riese den Menschen Han Solo<br />
töten. Erst, als dieser ihn als gleichwertig anerkennt<br />
und behandelt, wird er zum Freund, dessen Loyalität<br />
ohne Grenzen ist. Als einzige Gestalt in dem gewaltigen<br />
„Krieg der Sterne“-Epos ist Chewbacca trotz seines<br />
Jähzorns in keinem Moment der Verführung der dunklen<br />
Seite ausgesetzt. Er ist ein wahrlich edles Monster.<br />
Irritierend, wie es dem Schauspieler gelang, stets vollkommen<br />
in einem Kostüm verborgen, diese Rolle auszufüllen.<br />
Seine eigenen Lebenserfahrungen, anders zu<br />
sein, mögen ihm geholfen haben.<br />
Wir Menschen brauchen die Monster, die Chewbaccas<br />
und Yetis, denn sie sind unsere wilde, animalische,<br />
unbezähmbare, stolze und archaische Seite. Sie<br />
schlummern in unseren Seelen. Danke also, Presse<strong>am</strong>t<br />
der indischen Armee, für diese Erinnerung an den Yeti.<br />
Und forscht weiter. Denn ein altes Himalaja-Sprichwort<br />
sagt: Wer den Yeti sucht, der hat keine Zeit, einen<br />
Atomkrieg zu führen.
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18 DEUTSCHLAND & DIE WELT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Das gehört in die<br />
Gelbe Tonne<br />
Eine Übersicht, was alles in<br />
die Recyclingtonne gehört,<br />
finden Sie auch im Internet:<br />
gruener-punkt.de. Unter<br />
anderem sind das:<br />
Zahnpastatuben Konservendosen<br />
Joghurtbecher<br />
und -deckel Menüschalen<br />
Müsliverpackungen (Kunststoff)<br />
Holzschachteln<br />
Suppentüten Tierfutterverpackungen<br />
Spülmittelflaschen<br />
Spraydosen<br />
Milchbeutel Nudeltüten<br />
Styropor, z. B. von Elektroverpackungen<br />
Steingutflaschen<br />
Getränkekartons<br />
Butterpapier Milchbeutel<br />
Alufolien Schokokussverpackungen<br />
Senfeimer<br />
Arzneimittelblister<br />
Unglücklich<br />
getrennt<br />
Penibel sortieren die Deutschen<br />
ihren Müll. Doch etwa die Hälfte der<br />
Abfälle, die in der Gelben Tonne<br />
landen, gehört gar nicht hinein<br />
Regionale Ausnahmen sind<br />
möglich, wenn zum Beispiel<br />
Wertstofftonnen aufgestellt<br />
wurden. Auskunft<br />
geben die Kommunen.<br />
... und das gehört<br />
nicht hinein<br />
Diese Abfälle soll man nicht<br />
in die Gelbe Tonne werfen –<br />
hier nur eine Auswahl der<br />
Dinge, die oft falsch entsorgt<br />
werden:<br />
16.<br />
NOVEMBER<br />
Alles über Müll Vom 16. bis 24.<br />
November dauert in diesem<br />
Jahr die „Europäische Woche<br />
der Abfallvermeidung“, vorab<br />
kann man sich aber schon einmal<br />
die Broschüre „Abfälle im<br />
Haushalt“ des Umweltbundes<strong>am</strong>tes<br />
downloaden oder bestellen<br />
(kostenlos, unter umweltbundes<strong>am</strong>t.de)<br />
14<br />
PROZENT<br />
Für alle, die es genau wissen<br />
wollen Laut Bundesverband<br />
Sekundärrohstoffe und Entsorgung<br />
st<strong>am</strong>men nur 14 Prozent<br />
der in der Industrie eingesetzten<br />
Rohstoffe aus Recycling.<br />
Weitere Informationen, z.<br />
B. über die „Stoffstromorientierte<br />
Sekundärrohstoffwirtschaft“,<br />
auch unter bvse.de<br />
Altkleider Elektrogeräte<br />
Nylonstrumpfhosen Einwegrasierer<br />
Faltschachteln<br />
Essensreste CDs und<br />
Disketten Feuerzeuge<br />
Holzwolle Glas, wie z. B.<br />
Flaschen und Konservengläser<br />
Hygieneartikel Ker<strong>am</strong>ik<br />
Katzenstreu Kugelschreiber<br />
Klarsichthüllen<br />
Zahnbürsten Windeln Porzellangeschirr<br />
Pflaster<br />
Filme Kinderspielzeug<br />
Luftmatratzen Nicht geleerte<br />
Verpackungen Zelte<br />
Pappe/Karton Tapetenreste<br />
Styroporreste, z. B. von<br />
Dämmmaterial Zigarettenkippen<br />
67<br />
PROZENT<br />
Alles Müll Zwei Drittel aller<br />
Siedlungsabfälle werden in<br />
Deutschland bereits recycelt<br />
(laut Umweltbundes<strong>am</strong>t),<br />
mehr als 270.000 Beschäftigte<br />
in 11.000 Unternehmen<br />
sorgen für die Weiter- und<br />
Wiederverwendung.<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 DEUTSCHLAND & DIE WELT 19<br />
Einweg- oder Mehrwegflasche?<br />
Ö<br />
Öffnet man eine Gelbe Tonne, wird man darin alles<br />
Öffnet man eine Gelbe Tonne, wird man darin alles<br />
Mögliche finden: Kinderspielzeug, alte Putzeimer,<br />
Zahnbürsten, Plastikbecher. Man wird sich womög-<br />
lich wundern, weil all dies doch nicht in die Gelbe<br />
Tonne soll. Aber wer weiß das schon so genau? Auf<br />
40 bis 60 Prozent beziffert der Bundesverband Sekundärrohstoffe<br />
und Entsorgung die Fehlwurfquote<br />
bei der Gelben Tonne – also das, was zwar hineingeworfen<br />
wird, aber nicht hineinsoll.<br />
VON SARAH MARIA BRECH<br />
Dabei halten sich die Deutschen für gute Mülltrenner.<br />
In allen Umfragen gibt eine Mehrheit an, ihren<br />
Abfall konsequent zu sortieren. Vor allem den<br />
Kunststoff, den sie schließlich nicht als Mikroplastik<br />
im Meer oder im Magen eines toten Wals wiederfinden<br />
wollen. Und ganze 84 Prozent, so ergab eine<br />
RTL-Umfrage, wollen weniger Plastik verbrauchen.<br />
In der Realität sieht das aber anders aus: Die Deutschen<br />
produzieren immer mehr Plastikmüll. Ein<br />
großer Teil davon landet in der falschen Tonne. Ein<br />
großer Teil wird nicht recycelt, sondern verbrannt.<br />
Und nicht alles daran ist so schlimm, wie es klingt.<br />
Deutsche trennen also gar nicht gut?<br />
Ein Teil des Plastikmülls ist über das duale System<br />
organisiert. Das funktioniert so: Wer eine Verpackung<br />
in den Verkehr bringen will, lässt diese bei<br />
einem von insges<strong>am</strong>t neun Anbietern lizenzieren<br />
und zahlt dafür Geld. Dieser wiederum muss den<br />
Abfall nach gesetzlich vorgeschriebenen Recyclingquoten<br />
– bis 2022 sollen es beim Kunststoff 63 Prozent<br />
sein – weiterverwerten. Darum dürfen nur Verpackungen<br />
in den Gelben Sack, und darum muss der<br />
Verbraucher für dessen Entsorgung auch nichts zahlen.<br />
Das System hat allerdings einen Haken: Es gibt<br />
viele Plastikabfälle, die nicht in den Gelben Sack<br />
oder die Gelbe Tonne dürfen, aber aus besonders<br />
reinem oder dicken Kunststoff bestehen. „Für den<br />
Ressourcenschutz ist das unsinnig, denn hochwertige<br />
Kunststoffe wie zum Beispiel Eimer sollten recycelt<br />
werden“, sagt Gilian Gerke, Studiengangsleiterin<br />
Recycling an der Hochschule Magdeburg. Viele<br />
Gemeinden hätten darum inzwischen die Wertstofftonne<br />
eingeführt: In ihr sollen all jene Materialien<br />
ges<strong>am</strong>melt werden, die zwar denen im Gelben Sack<br />
gleichen – aber nicht hineindürfen.<br />
Viele sind ohnehin nicht über das duale System in-<br />
formiert. In der Wissenschaft gibt es den Begriff des<br />
intelligenten Fehlwurfs. „Das bedeutet, dass die Verbraucher<br />
schlauer sind als das Gesetz und zum Beispiel<br />
dicken, gut recycelbaren Kunststoff in den Gelben<br />
Sack tun, obwohl es keine Verpackung ist“, sagt<br />
Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft<br />
beim Wuppertal Institut für Klima, Energie und Umwelt.<br />
So kommt die Fehlwurfquote zustande.<br />
NUR DIE HÄLFTE WIRD RECYCELT Im Moment<br />
wird etwa die Hälfte des Mülls aus dem Gelben Sack<br />
recycelt, der Rest verbrannt oder exportiert. Recyceln<br />
ist in vielen Fällen zu kompliziert. Plastikverpackungen<br />
bestehen heutzutage häufig aus mehreren<br />
Kunststoffarten. Besonders beliebt sind die sogenannten<br />
Multilayer-Verpackungen – Folien aus mehreren<br />
verschiedenen Kunststoffen, die übereinanderliegen.<br />
Sie sind hauchdünn und äußerst stabil,<br />
aber die einzelnen Schichten lassen sich kaum wieder<br />
voneinander trennen. Und selbst wenn es möglich<br />
wäre, würde sich der Aufwand nicht lohnen. Zudem<br />
sind Kunststoff häufig Additive zugesetzt –<br />
Normalerweise ist Mehrweg besser. Doch<br />
Glas benötigt viele Ressourcen in der Herstellung<br />
und ist schwer. Mehrwegflaschen aus<br />
Glas seien in der Regel dann besser, wenn sie<br />
nicht weiter als 100 Kilometer gefahren werden,<br />
sagt Henning Wilts. Und beim Plastik?<br />
Dickere Mehrwegflaschen verbrauchen<br />
mehr Ressourcen als Einwegflaschen,<br />
werden aber häufiger verwendet.<br />
Dornack zitiert eine Studie<br />
der Trifolium Beratungsgesellschaft.<br />
Demnach<br />
sind <strong>am</strong> besten<br />
große Pfandflaschen<br />
aus Glas, die 30-mal<br />
verwendet werden,<br />
oder noch größere aus<br />
Kunststoff. Ganz<br />
schlecht seien kleine<br />
Flaschen: „Das Verhältnis<br />
zwischen Verpackung<br />
und Inhalt ist<br />
eine Katastrophe.“<br />
Plastikbeutel oder Papiertüte?<br />
Papier ist biologisch abbaubar, allerdings<br />
weniger stabil und wird darum meist nur<br />
einmal verwendet. Zudem werden für seine<br />
Herstellung mehr Rohstoffe verbraucht. Man<br />
muss sich also entscheiden, was einem wichtiger<br />
ist. Dornack hat eine Faustregel entwickelt:<br />
In Deutschland eher Plastik kaufen –<br />
hier landet es, richtig entsorgt, nicht in der<br />
Umwelt. Im außereuropäischen Ausland besser<br />
Papier. Biologisch abbaubare Plastiktüten<br />
sind nicht zu empfehlen. Gerade hat eine<br />
Studie der Universität Plymouth gezeigt, dass<br />
sie sich im Boden über Jahre nicht auflösen.<br />
Im Gelben Sack wiederum könnten sie andere<br />
Kunststoffe verschmutzen, sodass sie sich<br />
nicht mehr recyceln lassen.<br />
Am besten ist es<br />
also, mit dem<br />
Rucksack oder der<br />
Stofftasche einkaufen<br />
zu gehen.<br />
Auch diese müssen<br />
aber hergestellt<br />
werden, wozu Energie<br />
und Rohstoffe<br />
gebraucht werden.<br />
Man sollte sie möglichst<br />
lange benutzen.<br />
Gespült oder nicht?<br />
Beim Joghurtbecher reiche es völlig aus, den<br />
Becher auszukratzen, den Aludeckel abzuziehen<br />
und alles in den Gelben Sack zu<br />
werfen, sagt Gilian Gerke. Klebt aber zu viel<br />
Essen <strong>am</strong> Kunststoff, kann das das Recyceln<br />
behindern. Christina Dornack erklärt das <strong>am</strong><br />
Beispiel der Verpackung von mariniertem<br />
Grillfleisch: Der Deckel besteht aus einer Folie.<br />
„In der Sortieranlage würde das Infrarotgerät<br />
das erkennen und die Information weitergeben<br />
an Druckluftdüsen, die solche Folien<br />
wegblasen in den passenden<br />
Container.“ Die<br />
Stärke der Druckluft<br />
ist auf den Kunststoff<br />
ausgelegt. Ist die<br />
Folie aber viel schwerer,<br />
weil Marinade<br />
daran klebt, wird sie<br />
aussortiert.<br />
Weichmacher etwa, die dem Material besondere erwünschte<br />
Eigenschaften verleihen, aber verhindern,<br />
dass es sich wiederverwerten lässt. Ein besonderes<br />
Problem ist schwarzer Kunststoff. Diesen sortieren<br />
die Infrarot-Scanner der Müllsortieranlagen nämlich<br />
aus, weil sie ihn nicht als Kunststoff erkennen,<br />
erklärt Christina Dornack, Direktorin des Instituts<br />
für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Technischen<br />
Universität Dresden.<br />
Von einem kompletten Kreislauf, in dem Kunststoff<br />
vollständig wiederverwertet wird, sind wir weit<br />
entfernt. Recyceln lässt sich immer nur ein Teil des<br />
Mülls, und oft entsteht daraus Kunststoff von<br />
schlechterer Qualität. Downcycling nennt man dieses<br />
Phänomen. Zudem braucht man fürs Recycling<br />
Energie, die sowohl Geld kostet als auch irgendwie<br />
erzeugt werden muss, wobei meistens Treibhausgasemissionen<br />
entstehen.<br />
Plastik zu verbrennen ist allerdings nicht nur<br />
schlecht. Es besteht nämlich vor allem aus Erdöl,<br />
was bedeutet, dass sich daraus sehr viel Energie erzeugen<br />
lässt. Energetisch hochwertiger Kunststoff,<br />
der nicht recycelbar ist, wird darum besonders aufbereitet<br />
und dann als Ersatzbrennstoff für energieintensive<br />
Industrien wie Stahl- oder Zementwerke<br />
verwendet, die ihn mitverbrennen und so fossile<br />
Rohstoffe einsparen. „Abfall zu verbrennen hat also<br />
Vor- und Nachteile“, sagt Gerke. „Fürs Klima ist Recyceln<br />
besser, denn es entstehen weniger Treibhausgase.<br />
Andererseits spart man bei der energetischen<br />
Verwertung primäre Rohstoffe.“<br />
Die Faustregel, sagt Wilts, laute folgendermaßen:<br />
Wo möglich, sollte man Abfall vermeiden. Nur wenn<br />
das nicht geht, sollte man recyceln. Wenn das wiederum<br />
nicht geht, sollte man verbrennen. Nur der<br />
Rest sollte deponiert werden. Im Zweifelsfall muss<br />
man sich schon beim Einkaufen entscheiden, was<br />
man schützen will: das Klima oder die Umgebung.<br />
Glas und Papier sind häufig aufwendiger herzustellen<br />
oder zu transportieren als Plastik und verursachen<br />
darum mehr CO2-Emissionen, die dem Klima<br />
schaden. Plastik wiederum verrottet kaum und verbleibt<br />
darum in der Umwelt. Wird der Müll vollständig<br />
getrennt und entsorgt, passiert das zwar nicht.<br />
Allerdings wird es den Deutschen wohl kaum gelingen,<br />
jeden einzelnen Fitzel Plastik korrekt zu entsorgen.<br />
Ebenso wenig kann man Plastik vollständig<br />
verbannen. Es ist einfach zu praktisch: billig, robust<br />
und hygienisch.<br />
Technisch ließe sich vieles verbessern, sagt Wilts.<br />
Er arbeitet beispielsweise gerade mit einem Roboter<br />
mit künstlicher Intelligenz an dem Problem des<br />
schwarzen Kunststoffs: Dieser arbeitet nicht mit Infrarot,<br />
sondern vergleicht Fotos mit den echten Abfällen<br />
auf dem Band und kann so auch schwarze<br />
Plastikverpackungen erkennen. Dornack plädiert<br />
stattdessen für eine Quote: „Die Politik müsste vorgeben,<br />
dass in jeder Verpackung, die nicht für Lebensmittel<br />
oder medizinische Produkte ist, ein gewisser<br />
Anteil an recyceltem Kunststoff enthalten<br />
sein muss.“ Bislang gibt es im Verpackungsgesetz<br />
zwar eine Quote für Recycler – aber keine für Hersteller.<br />
Wenn es ganz schlecht läuft, hätten wir also<br />
irgendwann tonnenweise recycelten Kunststoff, den<br />
niemand braucht.<br />
Und die Verbraucher? Sollten weniger Plastik<br />
kaufen, überall da, wo es möglich ist und sich lohnt<br />
(siehe Kästen). Noch produziert jeder Deutsche 37,6<br />
Kilo Plastikverpackungsmüll jährlich – das ist der<br />
dritthöchste Wert in der EU.<br />
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20 FORUM<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
JUSO-PLANSPIELE<br />
Alles nur von Pappe<br />
Als Kevin Kühnerts<br />
Kollektivierungsfantasien<br />
diese<br />
Woche die Runde<br />
machten, erinnerte ich<br />
mich an eine Recherche im<br />
April 1991, wo der letzte<br />
Trabant, liebevoll-abschätzig<br />
„Pappe“ genannt, vom<br />
Band rollen sollte: in den<br />
Sachsenring-Automobilwerken<br />
Zwickau. Mit „Verfall<br />
in Ocker“ beschrieb ich<br />
meinen Eindruck von den<br />
düsteren Hallen. Schlimmer<br />
noch als das deprimierende<br />
Ambiente war die Stimmung<br />
der Arbeiter, von<br />
denen viele schon sehr<br />
genau wussten, dass dies<br />
das Ende ihrer beruflichen<br />
Laufbahn bedeuten würde.<br />
Einer sagte zu mir: „Die<br />
Kommunisten haben hier<br />
alles zur Sau gemacht.“<br />
VON OLIVER MICHALSKY<br />
Die Geschichte dieser<br />
Automobilwerke steht sinnbildlich<br />
für das, was sozialistische<br />
Ideen wie Verstaatlichung<br />
und Kollektivierung<br />
anrichten. Wo die<br />
DDR den Trabant baute,<br />
rollten vorher Horch- und<br />
Audi-Wagen vom Band. 1946<br />
erfolgte die Enteignung.<br />
Gab es in den 50er- und<br />
60er-Jahren unter Verwendung<br />
von Vorkriegs-Knowhow<br />
und mit neuem Gründergeist<br />
noch einen Aufschwung<br />
in Zwickau, so<br />
wurde dieser spätestens<br />
Ende der 60er-Jahre abgewürgt.<br />
Die Trabant-Werker<br />
hatten den Prototyp eines<br />
neuen Kompaktwagens<br />
entwickelt, doch Ulbricht<br />
und Honecker sahen keine<br />
Notwendigkeit. Entwicklungsunterlagen<br />
wurden<br />
vernichtet, Innovation verhindert,<br />
neue Absatzchancen<br />
vertan – und das Grab<br />
für die Beerdigung des Automobilbaus<br />
im Jahr 1991<br />
sehr frühzeitig geschaufelt.<br />
Wer heute der Treuhandanstalt<br />
die Schuld für die<br />
teilweise Deindustrialisierung<br />
Ostdeutschlands in die<br />
Schuhe zu schieben versucht,<br />
sollte sich eher nach<br />
dem Zustand der Wirtschaft<br />
in der DDR vor 1989 erkundigen.<br />
Zweifellos: Die<br />
Startbedingungen nach dem<br />
Zweiten <strong>Welt</strong>krieg waren<br />
durch die extremen Reparationsleistungen<br />
für die<br />
Sowjetunion deutlich<br />
schlechter als die der jungen<br />
Bundesrepublik. Aber<br />
die auf die Vergesellschaftung<br />
folgende Planwirtschaft<br />
hat das Land so richtig<br />
heruntergerockt. Das in<br />
der DDR-Propaganda viel<br />
gepriesene Prinzip der kollektiven<br />
Leitung und Planung<br />
war nichts anderes als<br />
ein Durchregieren der SED<br />
– die Partei, die Partei, die<br />
hat immer recht. Dass Demokratie<br />
und Sozialismus<br />
sich so gar nicht vertragen,<br />
konnte d<strong>am</strong>als schon jeder<br />
sehen, der es wollte. Die<br />
zentrale Lenkung machte<br />
Schluss mit all dem, was<br />
Innovation, Fortschritt und<br />
Entwicklungssprünge besonders<br />
fördert: Marktorientierung,<br />
Freiheit, Eigenverantwortung,<br />
Initiative,<br />
Gewinnstreben –<br />
auch das Träumen-Dürfen.<br />
Anstelle dessen: Gleichmacherei,<br />
die Beseitigung von<br />
Anreizen zum gesellschaftlichen<br />
Aufstieg und Entzug<br />
der Verantwortung für den<br />
Einzelnen. Warum wohl war<br />
die Arbeitsproduktivität vor<br />
allem in der Endphase der<br />
DDR so grotesk schlecht?<br />
Es hat kein sozialistisches<br />
Experiment gegeben, das<br />
von Erfolg gekrönt war.<br />
Man braucht dazu nicht<br />
einmal nach Nordkorea,<br />
Kuba oder Venezuela zu<br />
schauen, und es braucht<br />
auch keine Erinnerung an<br />
Stalins Exzesse. Wir haben<br />
hier in Deutschland erlebt,<br />
was Sozialismus bedeutet,<br />
der eine oder andere hautnah.<br />
Es gibt noch viele Zeitzeugen,<br />
und viele gute Bücher<br />
sind auf dem Markt,<br />
Herr Kühnert.<br />
Die Pointe der Trabant-<br />
Geschichte: Ende der 80er-<br />
Jahre, als in der DDR trotz<br />
Straußens Milliardenkredit<br />
gar nichts mehr ging, bek<strong>am</strong><br />
der Wagen einen schon in<br />
die Jahre gekommenen<br />
VW-Polo-Motor und ein<br />
minimales Facelifting. Der<br />
Spott kannte keine Grenzen:<br />
„Mumie mit Herzschrittmacher“.<br />
Kurz darauf<br />
kollabierte die DDR.<br />
Lernen in Löwen Auslandssemester für alle sind eine große Errungenschaft Europas<br />
Dafür steht<br />
Europa<br />
Niemand darf sich zurücklehnen: Die EU nicht, wir alle<br />
nicht. Wir sind nämlich lange nicht fertig mit diesem<br />
großartigsten aller Projekte, sagt Wolfgang Clement<br />
Wie hätten Sie<br />
es jetzt gern,<br />
so kurz vor<br />
den Wahlen<br />
zum Europäischen<br />
Parl<strong>am</strong>ent? Einen<br />
fl<strong>am</strong>menden Appell für mehr<br />
europäische Politik, für das erfolgreichste<br />
Friedensprojekt des<br />
20. Jahrhunderts? Oder für den<br />
Binnenmarkt und die Reisefreiheit<br />
auf diesem Kontinent? Oder<br />
doch eher ein paar mahnende<br />
Worte, die auf die Gefahren für<br />
Europa durch regelwütige Bürokraten<br />
oder erstarkende Populisten<br />
hinweisen? Beides ist richtig<br />
und wichtig – und ist doch<br />
zweitrangig. Europa ist für mich<br />
Emotion, es ist das Gefühl einer<br />
wahrhaftig offenen, auf Frieden<br />
und Freiheit und Wohlstand<br />
möglichst für alle verpflichteten<br />
<strong>Welt</strong> – bis heute einmalig auf<br />
dieser Erde!<br />
Es fühlte sich eben gut an, als<br />
ich zum ersten Mal über die<br />
Grenze in die Niederlande fuhr<br />
und diese Grenze nur aus ein<br />
paar Schildern und einer gedachten<br />
Linie bestand. Erfreulich war<br />
es, für eine Fernreise nicht die<br />
Preise einer einzigen Fluggesellschaft<br />
akzeptieren zu müssen,<br />
sondern aus einer Vielzahl von<br />
Angeboten das beste und günstigste<br />
auswählen zu können.<br />
Und für meine Enkel werden ein<br />
paar Auslandssemester in Bologna,<br />
Madrid oder Kopenhagen<br />
einfacher und selbstverständlicher<br />
sein als für mich der Universitätswechsel<br />
von Münster<br />
nach Marburg.<br />
All diese Fortschritte sind<br />
nicht zuletzt deshalb so großartig,<br />
weil sie uns so selbstverständlich,<br />
so natürlich und richtig<br />
vorkommen. Doch darin liegt<br />
auch eine Gefahr. Für etwas<br />
Selbstverständliches ist man<br />
REUTERS/FRANCOIS LENOIR<br />
IMPRESSUM<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 FORUM 21<br />
nicht ständig dankbar, man pflegt<br />
es nicht mehr mit Hingabe. Wer<br />
sein Handy in Amsterd<strong>am</strong> genauso<br />
selbstverständlich nutzt wie in<br />
München, Wien oder Bratislava,<br />
freut sich nicht mehr über die<br />
unkomplizierte Erreichbarkeit,<br />
sondern ärgert sich über das<br />
ständige Gebimmel.<br />
Und nun? Ist Europa fertig?<br />
Wir könnten uns doch mit<br />
schrankenlosem Reisen, Kommunikation<br />
ohne extra Ro<strong>am</strong>inggebühr<br />
und einer gemeins<strong>am</strong>en<br />
Währung zufrieden geben und<br />
das Projekt Europa für vollendet<br />
erklären. Angesichts der Herausforderungen,<br />
die auf Deutschland<br />
und Europa zukommen,<br />
wäre das fatal. Europa darf nicht<br />
den Fehler wiederholen, den<br />
Großbritannien dabei ist zu<br />
begehen. D<strong>am</strong>it meine ich nicht<br />
in erster Linie die von Populisten<br />
in die <strong>Welt</strong> gesetzten Unwahrheiten,<br />
sondern vor allem<br />
den Irrglauben, im 21. Jahrhundert<br />
als mittelgroßer Nationalstaat<br />
eine dauerhaft relevante<br />
Rolle in der <strong>Welt</strong> spielen zu<br />
können.<br />
Amerikanische Internetkonzerne<br />
mit Milliarden Nutzern<br />
ändern ihren Umgang mit persönlichen<br />
Daten nicht, nur weil<br />
eine Nation wie die unsere mit<br />
gut 80 Millionen Einwohnern es<br />
gern so hätte. Die chinesische<br />
Industrie reduziert nicht ihren<br />
CO2-Ausstoß, nur weil sich ein<br />
Land auf der anderen Seite der<br />
Erdkugel Sorgen um das Klima<br />
macht. Und wer die Arbeits- und<br />
Lebensbedingungen in Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern<br />
verbessern will, darf nicht einen<br />
Flickenteppich an Regelungen<br />
produzieren, sondern muss ihnen<br />
mit transparenten gemeins<strong>am</strong>en<br />
Zugangsregeln den Weg in unsere<br />
europäischen Märkte öffnen.<br />
Politik wirkt nicht immer gut<br />
und schön, macht aber trotzdem<br />
viel Arbeit. Die Bürgerinnen und<br />
Bürger haben das selbstverständliche<br />
Recht, vom politischen<br />
Klein-Klein der Kompromisssuche<br />
verschont zu werden.<br />
Sie wollen Lösungen für ihre<br />
Probleme und Sicherheit für sich<br />
und ihre Angehörigen. Niemand<br />
interessiert sich dafür, wie<br />
schwer es war, die Ro<strong>am</strong>inggebühren<br />
in der EU abzuschaffen.<br />
Keiner will mit einzelnen<br />
Paragrafen der Zollabkommen<br />
belästigt werden. Aber alle erwarten,<br />
dass es funktioniert. Ja,<br />
das mag aus Sicht der betroffenen<br />
Politiker undankbar erscheinen.<br />
Aber es gehört zur<br />
Berufserfahrung des Politikers,<br />
dass Wähler ziemlich viel zu<br />
kritisieren wissen, aber nur dann<br />
und wann ein wenig Schulterklopfen<br />
und (hoffentlich) ihr<br />
Kreuzchen auf Stimmzetteln<br />
verteilen.<br />
Wir müssen uns wieder mehr<br />
zuhören, statt uns immer nur<br />
widersprechen zu wollen. Das<br />
geht umso einfacher, je näher die<br />
zu lösenden Probleme bei denen<br />
sind, die sie lösen sollen. Das<br />
Subsidiaritätsprinzip, das die<br />
Verantwortlichkeiten auf die zur<br />
Problemlösung <strong>am</strong> besten geeigneten<br />
Ebenen verteilt, muss<br />
daher wieder zum zentralen<br />
Konzept für Europa werden. Das<br />
Zollabkommen wird in Brüssel<br />
verhandelt, der Einkommensteuersatz<br />
in Berlin, Bildungspolitik<br />
meist im Landtag und der neue<br />
Fahrradweg im Rathaus. Die<br />
Strompolitik muss europäischer<br />
werden, die Arbeitslosenversicherung<br />
nicht. Jedenfalls so<br />
lange nicht, wie die nationalen<br />
wirtschaftlichen Kräfte auf dem<br />
Kontinent so unterschiedlich<br />
stark und leistungsfähig sind, wie<br />
sie es heute noch immer sind.<br />
Die europäische Politik muss<br />
sich auf das für alle Staaten gemeins<strong>am</strong><br />
Wichtige beschränken,<br />
aber auch konzentrieren. Auf die<br />
Realisierung von Binnenmarkt<br />
und Währungsunion, eine Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik,<br />
ein gemeins<strong>am</strong>es Asylrecht und<br />
das Migrationsthema, auf eine<br />
grenzüberschreitende Digitalund<br />
Energiepolitik. Die wissenschaftlichen<br />
und technologischen<br />
Erfahrungen, Stärken und Kompetenzen,<br />
die auf diesem Kontinent<br />
mehr als sonst wo vers<strong>am</strong>melt<br />
sind, endlich zus<strong>am</strong>men<br />
und auf der <strong>Welt</strong> zur Geltung zu<br />
bringen. Das ist die Aufgabe.<br />
Wenn wir uns daran halten, hilft<br />
das auch dem Gefühl für Europa,<br />
weil dann klarer ist, wofür Europa<br />
steht. Wofür die EU zuständig<br />
und verantwortlich ist<br />
und wofür eben nicht. Nationales<br />
oder regionales Politikversagen<br />
kann dann nicht mehr mit diffusen<br />
Verweisen auf Brüssel kaschiert<br />
werden. Statt uns über<br />
Klein-Klein zu streiten, können<br />
wir Europäer uns dann wieder<br />
über große Erfolge freuen. Die<br />
<strong>Welt</strong>geschichte hat uns Deutschen<br />
und allen Europäern beigebracht,<br />
dass es zu Frieden und<br />
Freiheit, Demokratie und einem<br />
Wohlstand möglichst für alle<br />
keine brauchbare Alternative<br />
gibt.<br />
Deshalb fühlt es sich heute<br />
einfach gut an, Europäer zu sein.<br />
T Der Autor (79) war von 1998<br />
bis 2002 Ministerpräsident von<br />
Nordrhein-Westfalen und von<br />
2002 bis 2005 Bundesminister<br />
für Wirtschaft und Arbeit (SPD).<br />
Er ist Kuratoriumsvorsitzender<br />
der Initiative Neue Soziale<br />
Marktwirtschaft<br />
SATIRE<br />
Schlafende Wölfe geweckt<br />
Plastik ist das<br />
neue Denim.<br />
Echt jetzt?<br />
Waren Jeans nicht eigentlich aus Baumwolle?<br />
Früher schon. Aber in Zeiten schwindender Ressourcen und steigender<br />
Abfälle müssen neue Lösungen her. Wie das Recycling von Plastikmüll zu Garn.<br />
Ein Beispiel, das beweist, dass Nachhaltigkeit ein Megatrend der Zukunft ist.<br />
Und eine zukunftsweisende Investmentgelegenheit.<br />
Fidelity identifiziert und analysiert solche Chancen und bündelt sie in aktiv<br />
gemanagten Fonds. Erfahren Sie, wie nachhaltige Entwicklungen unser Leben<br />
bereichern und wie Sie mit Megatrends Ihr Portfolio zukunftsfähig gestalten.<br />
fidelity.de/echtjetzt<br />
Tausende von Wölfen<br />
sind illegal eingewandert,<br />
darunter sehr<br />
viele gewaltbereite Tiere. Der<br />
Verfassungsschutz schaut<br />
weg, Naturschützer sind vor<br />
blinder Begeisterung aus dem<br />
Häuschen und wollen nicht<br />
sehen, dass Wölfe schon ganze<br />
Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern<br />
leer gefressen<br />
haben. Ein erwachsenes<br />
Tier braucht vier Kilo<br />
Fleisch <strong>am</strong> Tag, das dem Menschen<br />
dann auf dem Grill<br />
fehlt. Dem Wolf ist es dabei<br />
egal, unter welchen Bedingungen<br />
das Tier gehalten wurde,<br />
das er auf dem Teller hat,<br />
aber er bevorzugt Fleisch aus<br />
Freilandhaltung.<br />
In vielen Landstrichen des<br />
Ostens und des Saarlands leben<br />
die Menschen in Angst<br />
und<br />
,,<br />
von Bucheckern, Eicheln<br />
und Twix. Julia Klöckner will<br />
die Bauern bewaffnen und die<br />
Bundeswehr gegen die Wölfe<br />
Die Menschen<br />
leben in Angst<br />
und von<br />
Bucheckern,<br />
Eicheln und<br />
Twix<br />
einsetzen. Das gefällt Umweltministerin<br />
Svenja Schulze<br />
nicht, die außerdem darauf<br />
hinweist, dass die Bundeswehr<br />
in ihrem jetzigen Zustand einer<br />
Wolfsattacke nicht lange<br />
standhalten könnte.<br />
Bevor sich Klöckner und<br />
Schulze zerfleischen, erklärt<br />
Angela Merkel die Wölfe zur<br />
Chefsache. Genau wie den<br />
Kohleausstieg, die Wohnungsnot<br />
und den Klimawandel<br />
will sie auch dieses Problem<br />
entschlossen angehen.<br />
Das löst in Wolfskreisen große<br />
Beunruhigung aus. Man begreift<br />
dort langs<strong>am</strong>, dass man<br />
es mit einer erfahrenen Leitwölfin<br />
zu tun hat, die zu allem<br />
fähig ist. Erste Tiere haben<br />
bereits ihre Zähne im Kanzler<strong>am</strong>t<br />
abgeliefert. Hans Zippert<br />
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Pfleger aus Albanien<br />
Wo Altenheime ihren<br />
Nachwuchs ausbilden S. 26<br />
Quo vadis, Aktie?<br />
Was Experten zu „gefallenen<br />
Engeln“ sagen S. 28<br />
HANDY-WAHN<br />
Hilfe!<br />
Spätestens als Teenies scheinen Kinder<br />
mit ihrem Smartphone zu verwachsen.<br />
Verzweifelte Eltern versuchen, den Konsum<br />
zu unterbinden. Notfalls mit Sperren.<br />
Aber auch die sind nicht immer<br />
die Lösung<br />
MASKOT/F1ONLINE; TOBIAS KAISER; MANFRED GOTTSCHALK/GETTY IMAGES<br />
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WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />
I<br />
Irgendwann wurde Charlotte Winkler* misstrauisch:<br />
Über Jahre hinweg war die halbe Stunde Fernsehen,<br />
die sie ihren Töchtern pro Tag erlaubte, das erklärte<br />
Heiligtum der Kinder gewesen. Doch plötzlich, es<br />
fing um den zwölften Geburtstag herum an, schien<br />
ihre Älteste, Karla*, nicht mehr so interessiert. Ein<br />
paar Wochen ging das so. Die Eltern wunderten sich.<br />
Eines Tages schnappte die Mutter auf, wie ihre älteste<br />
Tochter einer Freundin erzählte: „,In aller Freundschaft‘?<br />
Da habe ich mehrere Dutzend Folgen gesehen.“<br />
Wie bitte? Diese Arztserie, die sie so gut wie es<br />
eben ging limitiert hatte?<br />
Apples Bildschirmzeit<br />
Apple liefert seit 2018 mit der „Bildschirmzeit“<br />
eine weitreichende Eltern-Kontrollfunktion<br />
auf seinen iOS-Geräten mit. D<strong>am</strong>it dies funktioniert,<br />
müssen Eltern selbst ein iPhone oder<br />
iPad besitzen. Denn um das iPhone des Kindes<br />
aus der Ferne kontrollieren zu können, müssen<br />
Eltern einen Apple-Nutzeraccount für das Kind<br />
einrichten. Den dürfen in Deutschland aber nur<br />
Nutzer ab 16 Jahren anmelden – wer jünger ist,<br />
benötigt eine Elternfreigabe, die wiederum nur<br />
per iOS-Gerät erteilt werden kann.<br />
Ist das Kinderkonto an das eines Erwachsenen<br />
gekoppelt, können Eltern ferngesteuert Nutzungsdauern<br />
für jede App einzeln sowie für das<br />
ges<strong>am</strong>te Telefon festlegen und Auszeiten definieren.<br />
Zudem lassen sich Ausnahmen konfigurieren<br />
– etwa um die Nutzung von Schul-<br />
Apps freizugeben. Außerdem erlaubt Apple,<br />
Einkäufe im App Store zu sperren oder Konfigurationsoptionen<br />
festzulegen, und liefert<br />
Informationen über das Nutzungsverhalten der<br />
Kinder. Allerdings hat Apples Software auch<br />
Schwächen: Surfsperren funktionieren nur in<br />
Apples eigenem Browser Safari, nicht in Apps wie<br />
Facebook oder YouTube. Trotzdem ist Apples<br />
Lösung die beste Wahl, weil hier die Software auf<br />
das Betriebssystem abgestimmt ist und sensible<br />
Daten nicht an andere Unternehmen weitergegeben<br />
werden.<br />
Es gibt auch Alternativen, die zum Teil allerdings<br />
kostenpflichtig sind. Umfangreiche Funktionen<br />
hat etwa die App Kaspersky Safe Kids, die weitreichende<br />
Kontrollen ermöglicht – allerdings auf<br />
Kosten des Datenschutzes und der Sicherheit,<br />
denn die Daten landen bei Kaspersky. Es gibt eine<br />
kostenlose Basisversion, die weniger Funktionen<br />
hat. Der Sicherheitsexperte Symantec bietet mit<br />
Norton F<strong>am</strong>ily eine ähnliche Anwendung, die es<br />
erlaubt, Onlinezeiten festzulegen und Suchbegriffe<br />
und YouTube-Videos zu überwachen. Eltern<br />
können die Geräte ihrer Kinder hiermit auch sofort<br />
aus der Ferne sperren.<br />
VON BENEDIKT FUEST<br />
Plötzlich ging Winkler ein Licht auf: Seit Karla zu<br />
ihrem Geburtstag ein Handy bekommen hatte, hatte<br />
sie in Eigenregie ferngesehen. Statt im Wohnzimmer<br />
unter der Obhut der Eltern eben <strong>am</strong> Smartphone.<br />
Und das offenbar stundenlang, vermutlich über mehrere<br />
Nächte. „Ich fühlte mich völlig hilflos“, erinnert<br />
sich Winkler. Zur Strafe kassierte sie das Handy erst<br />
einmal ganz ein – und die Tochter rebellierte. „Was<br />
soll das? Ihr seid doch auch die ganze Zeit <strong>am</strong><br />
Handy“, beschwerte sie sich.<br />
Solche Szenen gehören in F<strong>am</strong>ilien inzwischen zur<br />
Normalität. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern<br />
ist heute oft k<strong>am</strong>eradschaftlich, viel weniger autoritär<br />
als früher. Doch spätestens wenn das Handy<br />
Einzug hält, wird es kompliziert: Kinder, die jahrelang<br />
Harry-Potter-Bücher verschlungen haben und<br />
jede Minute draußen verbringen wollten, werden<br />
plötzlich zu schweigs<strong>am</strong>en Stubenhockern. Und die<br />
Eltern müssen entscheiden, ob sie nicht härter<br />
durchgreifen sollten. „Jahrelang hatten wir das nicht<br />
nötig“, sagt Winkler. „Plötzlich droht man, sackt<br />
Handys ein, erteilt Verbote.“<br />
Einige Eltern setzen auf Vertrauen, andere auf die<br />
Hoffnung, dass sich die Anziehungskraft des Handys<br />
mit der Zeit einfach abnutzen wird. Bei wieder anderen<br />
wächst der Wunsch nach Kontrolle. Experten raten<br />
zwar, vor allem den Dialog mit dem Kind zu suchen<br />
und es so für Sucht- und andere Gefahren des<br />
Smartphones zu sensibilisieren. Doch wer voll berufstätig<br />
ist, gerät bei dem Versuch, ein Gefühl zu<br />
entwickeln für das Nutzungsverhalten des Kindes,<br />
schnell an seine Grenzen. Und freut sich über die<br />
technischen Hilfsmittel, die bei der Kontrolle helfen<br />
können.<br />
DER RENNER: PARENTAL-CONTROL-APPS Bereits<br />
ab Werk bringen sowohl Android-Geräte als auch<br />
Apple-Smartphones Sperrfunktionen mit, mit denen<br />
sich ausgewählte Seiten im Netz blockieren lassen.<br />
Zusätzlich bieten Dutzende Anbieter in den App-Stores<br />
der beiden Betriebssysteme weitere, teils kostenpflichtige<br />
Anwendungen – sogenannte Parental-Control-Apps<br />
–, mit deren Hilfe Eltern jede Bewegung auf<br />
dem Touchscreen, jede YouTube-Suche und jede<br />
Nutzung eines Chat-Progr<strong>am</strong>ms nachvollziehen können.<br />
Die Eltern bekommen von Apple täglich eine<br />
Statistik über den Handykonsum des Kindes – die<br />
den Atem schon mal stocken lässt: Laut einer aktuellen<br />
Studie im Auftrag des Bayerischen Rundfunks besitzen<br />
98 Prozent aller Jugendlichen im Alter von<br />
zwölf bis 18 Jahren in Deutschland ein eigenes<br />
Smartphone. Über 40 Prozent nutzen es mehr als<br />
shop online www.brax.com<br />
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FORTSETZUNG AUF SEITE 24<br />
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24 WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 23<br />
drei Stunden <strong>am</strong> Tag. Das ist viel. Ein Blick auf<br />
Apples Tagesstatistik beweist: Es können auch<br />
sehr viel mehr sein. Am liebsten gucken die Jugendlichen<br />
YouTube-Videos, knapp dahinter<br />
stehen Instagr<strong>am</strong> und WhatsApp. „Ich kann die<br />
berufstätigen Eltern, die angesichts ausufernder<br />
Smartphone-Nutzung zu Sperr-Apps greifen,<br />
schon verstehen“, sagt Kinderschutztrainer und<br />
Medienberater Jörg Kabierske vom Regensburger<br />
Projekt Klicksalat. „Aber die Apps sind keine<br />
alleinige Lösung – die Eltern müssen sich mit ihren<br />
Kindern zus<strong>am</strong>mensetzen und regelmäßig<br />
darüber sprechen, was die Kids auf ihren Geräten<br />
nutzen.“<br />
DIE TOTALE KONTROLLE: EINE ILLUSION<br />
Sperr-Apps suggerieren den Eltern totale Kontrolle<br />
über die Smartphones ihrer Kinder. In den<br />
App-Stores von Google und Apple werden sie zu<br />
Hunderttausenden heruntergeladen. Dass sich<br />
die Eltern mit der Installation der Smartphone-<br />
Spione nicht beliebt machen, versteht sich von<br />
selbst. Ein Blick auf die Rezensionen in Apples<br />
App Store offenbart, wie verzweifelt manche Jugendliche<br />
auf die Sperrungen ihres Lieblingsgeräts<br />
reagieren: Hinter den meisten Ein-Stern-<br />
Bewertungen stecken Wutausbrüche jugendlicher<br />
Smartphone-Nutzer: „Ihr sorgt dafür, dass<br />
meine beste Freundin depressiv wird, weil sie<br />
nicht mehr mit uns chatten kann“, kommentiert<br />
eine Jugendliche die beliebte App Qustodio.<br />
„Die App zerstört das Vertrauen zwischen Eltern<br />
und Kindern. Sie zerstört unser Leben.“<br />
Auch Jörg Kabierske vom Klicksalat übt Kritik<br />
an den Smartphone-Spionen. „Ich sehe ein Problem<br />
darin, dass die Eltern die Verantwortung<br />
über die Mediennutzung ihrer Kinder an die App<br />
delegieren.“ Ähnlich kritisch sieht das Cordula<br />
Dernbach, Computermedienpädagogin der Caritas:<br />
„Die Eltern verlassen sich auf ein Progr<strong>am</strong>m<br />
statt auf Absprachen mit den Kindern. D<strong>am</strong>it<br />
drücken sie aus, dass sie den Kindern nicht vertrauen<br />
– und bringen ihnen bei, dass sie minutiöse<br />
Überwachung okay finden und dass ihre<br />
Privatsphäre auf dem Gerät endet.“<br />
Die Kinder entwickeln dann oft eine erstaunliche<br />
Kreativität, um die Sperren zu umgehen.<br />
„Die einfachste Variante ist noch, schlicht das<br />
Gerät zu wechseln“, sagt Berater Kabierske.<br />
„Smartphones sind billig geworden, die Kinder<br />
besorgen einfach ein Zweitgerät s<strong>am</strong>t Zweitaccount<br />
ohne Sperren und verstecken es.“ Oder<br />
sie suchen den Rat der Crowd: In Internetforen<br />
wie Reddit oder 4chan tauschen Jugendliche<br />
Tipps aus, wie sich die verhassten Sperr-Apps<br />
<strong>am</strong> besten umgehen lassen: Manche Apps lassen<br />
sich per Neuinstallation des Betriebssystems<br />
aushebeln, andere per Zurücksetzen der<br />
Smartphone-Uhr verwirren. Über alternative<br />
Browser können zudem von Eltern gesperrte<br />
Websites trotzdem angesurft werden. YouTube<br />
etwa lässt sich auch über Internetfernseher oder<br />
Stre<strong>am</strong>ingboxen ansteuern.<br />
Den Beratern zufolge gibt es sogar so gewiefte<br />
Jugendliche, die ihre Geräte über PCs von<br />
Freunden digital aufbrechen und<br />
diese mit sogenannter Proxy-<br />
Software versehen, Progr<strong>am</strong>men,<br />
derer sich auch syrische<br />
Revolutionäre oder chinesische<br />
Dissidenten im K<strong>am</strong>pf<br />
gegen den Überwachungsstaat<br />
bedienen. „Immerhin<br />
bekommen die Kinder so eine<br />
hervorragende Ausbildung<br />
in IT-Sicherheit“, sagt<br />
Dernbach. „Aber im Ernst:<br />
Wenn Eltern nicht selbst IT-<br />
Experten sind, finden die<br />
Kinder meistens einen Weg.“<br />
*N<strong>am</strong>e geändert<br />
JOSEPH BRANSTON/T3 MAGAZINE/GETTY IMAGES<br />
Sperren auf Android<br />
Googles F<strong>am</strong>ily-Link-Software funktioniert<br />
ähnlich wie Apples „Bildschirmzeit“: Eltern<br />
müssen dafür sich selbst sowie ihren Kindern<br />
unter 16 Jahren ein Google-Nutzerkonto einrichten.<br />
Anders als bei Apple benötigen sie<br />
hierzu kein zweites Gerät mit Android-Software.<br />
Doch Vorsicht: Sobald Jugendliche laut<br />
eingetragenem Geburtsdatum älter als 16<br />
Jahre sind, schaltet Google die Kontrolle automatisch<br />
ab. Ist die Sperre aktiv, erlaubt sie<br />
Eltern weitgehende Kontrolle: Apps können<br />
geblockt, die Nutzung kann zeitlich begrenzt<br />
werden. Die Google-Suche kann mit Googles<br />
Jugendschutzfiltern eingeschränkt werden,<br />
sogar der ges<strong>am</strong>te Google-Play-Store oder<br />
alternativ einzelne Apps wie etwa Spiele können<br />
geblockt werden. Für seine Tochter YouTube<br />
hat Google eine eigene YouTube-Kids-Ver-<br />
sion eingerichtet, die den Zugriff auf nicht<br />
altersgerechte Videos verhindern soll. Doch das<br />
ist noch lange nicht alles: Wer möchte, kann<br />
mithilfe der Technik jederzeit den Standort<br />
seines Kindes kontrollieren und sehen, wann es<br />
wie das Smartphone nutzt. Der Haken: Eltern<br />
müssen dafür akzeptieren, dass auch Google<br />
all diese Informationen s<strong>am</strong>melt. Wer andere<br />
Apps für die Kindersicherung nutzt, gibt die<br />
Daten auch noch an den Hersteller dieser Anwendungen<br />
weiter. Das gilt für Safe Kids für<br />
Android von Kaspersky ebenso wie für Norton<br />
F<strong>am</strong>ily Android von Symantec. Wer das nicht<br />
will, sollte bei Googles F<strong>am</strong>ily Link bleiben. Eine<br />
Alternative ist die App Qustodio, die vor allem<br />
beim Surfen und der Social-Media-Nutzung<br />
weitergehende Einschränkungen erlaubt. Der<br />
Nachteil: Auf älteren Android-Smartphones<br />
mit alter Betriebssystemversion laufen neue<br />
Versionen der App nicht immer zuverlässig.<br />
Auch mit der App Eset Parental Control können<br />
Eltern Apps und Websites für ihre Kinder<br />
sperren und ein Zeitlimit festlegen. Aus der<br />
Ferne können Eltern auf Anfrage Apps auch<br />
wieder entsperren.<br />
Im Clinch mit Apple<br />
Als Apple im Herbst 2018 mit der Version 12<br />
seines Mobilbetriebssystems iOS auch die<br />
Funktion „Screentime“ lieferte, atmeten viele<br />
Eltern auf: Endlich eine Babysitter-Software,<br />
mit der sich die Bildschirmzeit der jugendlichen<br />
Smartphone-Besitzer begrenzen lässt. Endlich<br />
konnten sie auf den Handys ihrer Kinder<br />
Zeitbudgets für ausgewählte Apps einrichten,<br />
das Telefon des Nachts sperren und Nutzungsgewohnheiten<br />
überwachen. Inzwischen<br />
sind viele Eltern aber unglücklich über Apples<br />
F<strong>am</strong>ilienpolitik. Laut einem US-Medienbericht<br />
hat der Konzern seit vergangenem Jahr elf<br />
der 17 meistgenutzten Parental-Control-<br />
Apps aus dem App Store zumindest temporär<br />
entfernt.<br />
Apples Marketingchef Phil Schiller erklärte<br />
empörten Eltern persönlich per E-Mail warum:<br />
Die App-Anbieter hätten Apples Entwickleroptionen<br />
missbraucht, um weitreichende Kontrollmöglichkeiten<br />
für Anwender zu schaffen –<br />
womit sie aber nicht nur selber potenziell<br />
Zugriff auf persönliche Daten und Standorte<br />
der Kinder bek<strong>am</strong>en, sondern auch Hackern<br />
Tür und Tor öffneten. Der Konzern zwang die<br />
App-Anbieter daher dazu, ihre Angebote einzuschränken,<br />
was die Apps aus Sicht der Eltern<br />
allerdings leider auch weniger nützlich macht.<br />
Die App-Hersteller verdächtigen Apple der<br />
Wettbewerbseinschränkung – zwei Firmen<br />
haben sich nun bei der EU beschwert.<br />
Das kass<br />
Wohnen<br />
Viele Mieter und Eigentümer<br />
klagen über steigende<br />
Nebenkosten. Aber nicht<br />
überall, denn von Region zu<br />
Region sind sie sehr<br />
unterschiedlich. Und: Es gibt<br />
Wege, die Belastung zu senken<br />
Die Stuttgarter können sich freuen. Sie<br />
müssen 2019 weniger Grundsteuer zahlen.<br />
Eine dreiköpfige F<strong>am</strong>ilie in einem<br />
120-Quadratmeter-Haus <strong>am</strong> Rand der<br />
Stadt spart in diesem Jahr 128,79 Euro –<br />
nur 541,21 Euro statt zuvor 670 Euro werden ihr abgezogen.<br />
Da lässt sich verschmerzen, dass gleichzeitig<br />
die Preise für Trinkwasser und Müllabfuhr steigen.<br />
Am Ende des Jahres hat die F<strong>am</strong>ilie immer noch 100<br />
Euro mehr auf dem Konto – in keiner anderen Landeshauptstadt<br />
ist die Ersparnis größer.<br />
VON KARSTEN SEIBEL<br />
Stuttgart ist eine Ausnahme. Lediglich in drei der 16<br />
Landeshauptstädte sinken 2019 die staatlich festgelegten<br />
Wohnnebenkosten. Außer in der baden-württembergischen<br />
Landeshauptstadt ist dies noch in Düsseldorf<br />
und Potsd<strong>am</strong> der Fall. In sieben Städten müssen<br />
die Einwohner dagegen erneut mehr bezahlen als 2018.<br />
Am stärksten schlägt der Staat in Westberlin zu, <strong>am</strong><br />
sanftesten im rheinland-pfälzischen Mainz. Das zeigen<br />
Berechnungen des Bundes der Steuerzahler, die<br />
WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegen. Widerstandslos<br />
hinnehmen muss die steigenden Kosten<br />
aber niemand. Wer an der richtigen Stelle vorsorgt,<br />
hat durchaus die Chance, die Kosten zu senken.<br />
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat die staatlich<br />
veranlassten Belastungen des Wohnens betrachtet:<br />
Neben der Grundsteuer gehören dazu die Gebühren<br />
für Trink-, Schmutz- und Regenwasser, für die Abfallbeseitigung<br />
und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.<br />
In Westberlin addieren sich die Positionen für einen<br />
Drei-Personen-Haushalt im Einf<strong>am</strong>ilienhaus auf 2285<br />
Euro im Jahr, in Mainz lediglich auf 1424 Euro. „Der<br />
Staat ist ein wesentlicher Wohnkostentreiber – jetzt<br />
kommt es für die Menschen darauf an, nicht weiter belastet<br />
zu werden“, sagt BdSt-Präsident Reiner Holznagel.<br />
D<strong>am</strong>it zielt er vor allem auf die heftig diskutierte<br />
Grundsteuer ab. Hier ist die Spanne zwischen der teuersten<br />
und der günstigsten Stadt besonders groß. In<br />
Magdeburg zahlen die Bewohner eines Einf<strong>am</strong>ilienhauses<br />
mit 300 Quadratmeter Grundstücksfläche 296<br />
Euro, in H<strong>am</strong>burg 1050 Euro. „Das Kostengefälle verdeutlicht<br />
die verfassungswidrigen Verzerrungen im<br />
geltenden Grundsteuerrecht“, sagt Holznagel.<br />
Er meint die Verzerrungen zwischen West und Ost.<br />
So bezieht sich die Berechnung der Grundsteuer in den<br />
östlichen Bundesländern auf Werte des Jahres 1935, in<br />
den westlichen Bundesländern auf Werte von 1964. Besonders<br />
deutlich zeigt sich dies an Berlin: Einf<strong>am</strong>ilienhausbewohner<br />
im Osten der Stadt zahlen laut Modellrechnung<br />
in diesem Jahr 361 Euro Grundsteuer, im<br />
Westen 1041 Euro und d<strong>am</strong>it fast dreimal so viel. Wird<br />
die Bewertung vereinheitlicht, wie es das Bundesver-<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 WIRTSCHAFT & FINANZEN 25<br />
iert der Staat fürs<br />
Wohnnebenkosten-Vergleich: Ergebnisse 2016 und 2019<br />
Dem BdSt-Wohnnebenkosten-Vergleich liegen folgende Annahmen zu Grunde: Drei-Personen-Haushalt, Einf<strong>am</strong>ilienhaus (zweigeschossig), 120 m2 Wohnfläche,<br />
300 m2 Grundstücksfläche, städtische Randlage<br />
Abfallgebühren (p.a. in Euro)<br />
Bio- und Restmülltonne inkl. Grundgebühr (60-Liter-Tonne<br />
wöchentl. Leerung oder 120- Liter-Tonne zweiwöchentliche<br />
Leerung), städtische Randlage<br />
Schwerin<br />
München<br />
Wiesbaden<br />
Mainz<br />
Magdeburg<br />
Düsseldorf<br />
Berlin<br />
Saarbrücken<br />
Potsd<strong>am</strong><br />
H<strong>am</strong>burg<br />
Bremen<br />
Durchschnitt<br />
Kiel<br />
Stuttgart<br />
Dresden<br />
Erfurt<br />
Hannover<br />
0 70 140 210 280 350<br />
135,67<br />
229,52<br />
342,60<br />
Trinkwasserpreise (p.a. in Euro)<br />
inkl. Grund- bzw. Zählergebühren (inkl. Mehrwertsteuer)<br />
(Verbrauch von 132 m3/Jahr)<br />
Berlin<br />
Hannover<br />
München<br />
H<strong>am</strong>burg<br />
Bremen<br />
Potsd<strong>am</strong><br />
Kiel<br />
Magdeburg<br />
Düsseldorf<br />
Mainz<br />
Durchschnitt<br />
Wiesbaden<br />
Dresden<br />
Erfurt<br />
Stuttgart<br />
Schwerin<br />
Saarbrücken<br />
Magdeburg<br />
Erfurt<br />
Schwerin<br />
Potsd<strong>am</strong><br />
Dresden<br />
Berlin (Ost)<br />
Mainz<br />
München<br />
Stuttgart<br />
Durchschnitt<br />
Saarbrücken<br />
Düsseldorf<br />
Kiel<br />
Hannover<br />
Wiesbaden<br />
Bremen<br />
Berlin (West)<br />
H<strong>am</strong>burg<br />
0 100 200 300 400 500<br />
Grundsteuer (p.a. in Euro)<br />
Einf<strong>am</strong>ilienhaus: Baujahr 2016, 120 m2 Wohnfläche<br />
und 300 m2 Grundstücksfläche<br />
0 200 400 600 800 1000<br />
262,68<br />
fassungsgericht verlangt, zahlen die Bewohner des Os-<br />
tens der Stadt ab kommendem Jahr mehr Steuern als<br />
bislang – wie viel mehr, lässt sich noch nicht sagen. Ende<br />
kommender Woche soll es eine Expertenanhörung<br />
geben. Der Einfluss des einzelnen Bürgers auf die Höhe<br />
der Grundsteuer ist eher gering. Es sei denn, es gelingt<br />
ihm, seine Kommunalpolitiker dazu zu bringen, den<br />
Hebesatz zu senken, jenen wichtigen und je nach Stadt<br />
unterschiedlichen Multiplikator. Einfacher lassen sich<br />
die Wohnnebenkosten durch eigene Sparprogr<strong>am</strong>me<br />
senken. Bei den Rundfunkgebühren gelingt dies zwar<br />
nicht, die liegen unabhängig vom TV-Konsum bundesweit<br />
einheitlich bei 210 Euro pro Haushalt und Jahr.<br />
356,7<br />
484,32<br />
296,11<br />
559,10<br />
1050,46<br />
Wohnnebenkosten (insges<strong>am</strong>t in Euro)<br />
Jährliche Belastung für einen Drei-Personen-Haushalt bestehend aus Trinkwasserentgelten,<br />
Gebühren für Schmutzwasser, Niederschlagswasser und Abfall, Rundfunkbeitrag und Grundsteuer.<br />
2200<br />
2000<br />
1800<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
,<br />
0<br />
Mainz<br />
Schwerin<br />
München<br />
Erfurt<br />
Berlin (Ost)<br />
Magdeburg<br />
Düsseldorf<br />
BEI TRINKWASSER SPART MAN DOPPELT Doch<br />
die Kosten für Wasser und Abfall kann jeder Bürger<br />
sehr wohl drücken. Beim Wasser gibt es große Unterschiede<br />
zwischen den Städten. So zahlt die dreiköpfige<br />
Modellf<strong>am</strong>ilie in Berlin bei einem Trinkwasserverbrauch<br />
von 132 Kubikmetern im Jahr 263 Euro, in Saarbrücken<br />
484 Euro. Die Wasserwirtschaft begründet die<br />
unterschiedlichen Preise zwischen den Landeshauptstädten<br />
mit den unterschiedlichen Bedingungen vor<br />
Ort. So freut man sich bei den Berliner Wasserbetrieben<br />
darüber, dass ausreichend Grundwasser zur Verfü-<br />
gung steht, das lediglich belüftet und gefiltert werden<br />
muss. In anderen Regionen ist der Zugang zu sauberem<br />
Grundwasser begrenzt, hier müssen die Betriebe Ober-<br />
flächenwasser aufwendig s<strong>am</strong>meln und aufbereiten.<br />
Wer weniger bezahlen will, muss weniger Trinkwasser<br />
verbrauchen – wodurch dann auch die Gebühren<br />
für Schmutzwasser sinken. Verbraucht die F<strong>am</strong>ilie in<br />
Saarbrücken statt 132 Kubikmeter nur 100 Kubikmeter<br />
im Jahr, sinken die jährlichen Trinkwasserkosten um<br />
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,<br />
,<br />
Dresden<br />
Kiel<br />
Stuttgart<br />
Durchschnitt<br />
Wiesbaden<br />
Potsd<strong>am</strong><br />
Hannover<br />
Saarbrücken<br />
Bremen<br />
H<strong>am</strong>burg<br />
Berlin (West)<br />
Quelle: Bund der Steuerzahler<br />
rund 70 Euro, die Schmutzwassergebühren sogar um<br />
110 Euro. Der Haushalt spart also 180 Euro im Jahr.<br />
Eine Wissenschaft sind die Gebührentabellen der<br />
Abfallwirtschaft. Auch hier zeigt die Auswertung große<br />
Preisunterschiede. Für die Entsorgung des Inhalts<br />
einer Bio- und einer Restmülltonne zahlt der dreiköpfige<br />
Haushalt in Schwerin 136 Euro im Jahr, in Hannover<br />
343 Euro. Beim Zweckverband Abfallwirtschaft Region<br />
Hannover rechtfertigt man den hohen Preis unter<br />
anderem d<strong>am</strong>it, dass auch Sperrmüllabholung und<br />
Wertstoffhöfe d<strong>am</strong>it bezahlt sind. Auch beim Müll<br />
wird aber nach der Menge abgerechnet: Wer beispielsweise<br />
in Hannover auf eine Biotonne verzichten kann,<br />
weil er selbst kompostiert, spart 75 Euro im Jahr.<br />
Kommt die dreiköpfige F<strong>am</strong>ilie bei der 14-tägigen Leerung<br />
des Restmülls mit einer 80- statt einer 120-Liter-<br />
Tonne aus, sinken die Kosten um weitere 60 Euro.
26 WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Mangel an Inspiration<br />
Nehmen wir an, Steve Jobs sitzt<br />
auf einer Wolke und betrachtet<br />
sein Lebenswerk. Dann wird ihm<br />
wohl schwindelig: Weil das iPhone<br />
nicht mehr so läuft (minus<br />
17 Prozent im ersten Quartal),<br />
läuft’s bei Apple auch nicht<br />
mehr so. Warren Buffett (siehe<br />
unten) hat Anteile verkauft. Da<br />
muss sich Jobs langs<strong>am</strong> um eine<br />
Eingebung kümmern.<br />
Oh Telefónica!<br />
Der Humorist Rainald Grebe<br />
hat ja vor dem Bundesland<br />
Brandenburg gewarnt. Wir<br />
haben eine Vermutung, warum:<br />
Er war wohl O2-Kunde. Die<br />
Tochter der spanischen<br />
Telefónica erreicht dort nur<br />
eine Haushaltsabdeckung von<br />
55 Prozent beim schnellen<br />
LTE-Datenverkehr (bundesweit<br />
80 Prozent). Kann Strafe<br />
kosten: Die Konzerne hatten<br />
sich bei der Lizenzvergabe<br />
verpflichtet, nächstes Jahr<br />
98 Prozent zu liefern.<br />
Rettung<br />
aus Albanien<br />
Der Pflegenotstand in Deutschland hat der<br />
Dekra, eigentlich bekannt für TÜV und<br />
ASU, ein neues Geschäftsfeld beschert.<br />
Ein Besuch in der Pflege-Akademie von Tirana<br />
Geld<br />
Späte Inspiration<br />
Was Warren<br />
Buffetts Firma<br />
macht, bewegt<br />
die Finanzmärkte.<br />
Diesmal:<br />
Apple-Aktien verkaufen<br />
(siehe oben), Amazon-Aktien<br />
kaufen. Weil der Erfolgsinvestor<br />
diese Woche ein erhebliches<br />
Paket erwarb und d<strong>am</strong>it<br />
„einen Fehler“ korrigierte,<br />
stieg der Aktienkurs deutlich<br />
(plus 2,81 Prozent <strong>am</strong> Freitag,<br />
fünfmal so viel wie Apple).<br />
„Ich war ein Idiot, nicht früher<br />
gekauft zu haben.“ Mal sehen,<br />
ob es nicht zu spät ist.<br />
,,<br />
60<br />
, ,Nach<br />
,Veränderung<br />
GESAMMELT VON PETER SCHELLING<br />
sachen<br />
Loewe zahnlos<br />
Wenns nicht läuft, läuft’s halt<br />
nicht mehr: Der Nobel-Fernsehhersteller<br />
Loewe ist zum<br />
zweiten Mal nach 2013 insolvent.<br />
Das Management hofft<br />
zwar, das Unternehmen aus<br />
Kronach in Eigenverwaltung<br />
sanieren zu können, doch die<br />
Voraussetzungen sind mäßig,<br />
so gut die Geräte sind: Der<br />
Preis der Geräte verfällt, das<br />
Luxussegment ist stark rückläufig<br />
(minus 20 Prozent im<br />
Quartal). Frisches Geld und<br />
die Kooperation mit asiatischen<br />
Partnern soll die<br />
500 Arbeitsplätze retten.<br />
PROZENT<br />
... des Medianeinkommens ist der Wert, den laut „Wall Street Journal“<br />
zahlreiche westliche Ökonomien (Großbritannien, Frankreich und<br />
andere) für den Mindestlohn anstreben, um die Nachfrage zu stützten.<br />
Der deutsche Mindestlohn von 9,19 Euro liegt bei rund 50 Prozent<br />
dieses Wertes, müsste dann auf über zehn Euro steigen.<br />
rufen alle, die<br />
sich langweilen<br />
SØREN KIERKEGAARD,<br />
1813 bis 1855, dänischer Philosoph<br />
und Theologe, heute vor genau<br />
206 Jahren geboren<br />
Saurer Bauer<br />
Wenn es so weitergeht, werden<br />
wir bald wieder Bauern j<strong>am</strong>mern<br />
hören. Mit Grund: Laut Institut<br />
für Ernährungswirtschaft ist der<br />
Rohstoffwert für ein Kilo Milch<br />
ab Hof im April gesunken, auf<br />
30,6 Cent. Das ist noch<br />
deutlich über dem Tiefstwert<br />
von 2016 (rund 20<br />
Cent) aber weiter unter<br />
den guten Zeiten 2014<br />
(knapp 45 Cent). Freut<br />
nur Veganer.<br />
GETTY IMAGES/LONELY PLANET IMAGES/DAN HERRICK; JOHANNES EISELE/AFP/GETTY IAMGES; APPLE<br />
Es sind die Details, die zählen.<br />
Gerade hat Dorela Abedini<br />
ihrer Patientin eine Rückenmassage<br />
zur basalen Stimulation<br />
gegeben, die einer Lungenentzündung<br />
vorbeugen soll. Jetzt<br />
muss sie die Seniorin, die vor ihr auf einem<br />
Stuhl sitzt, zurück ins Bett bringen<br />
– eine auf den ersten Blick einfache Aufgabe,<br />
die aber Herausforderungen birgt.<br />
Als sie beginnt, die Patientin zuzudecken,<br />
fährt Flora Zyberaj dazwischen –<br />
eine Ausbilderin, die das Prozedere verfolgt<br />
hat. „Darf ich Sie zudecken?“, gibt<br />
Zyberaj in strengem Ton vor. „Darf ich<br />
Sie zudecken?“, wiederholt Abedini gehors<strong>am</strong>.<br />
Die Seniorin nickt gnädig.<br />
VON TOBIAS KAISER<br />
Die überraschend rüstige Seniorin ist<br />
tatsächlich eine Pflegeschülerin und<br />
heißt Bleona Guda. Sie und Abedini besuchen<br />
eine Pflege-Akademie in Tirana:<br />
Sie werden ausgebildet, um in deutschen<br />
Heimen zu arbeiten. In dem<br />
Lehrgang, der im Idealfall 18 Monate<br />
dauert, lernen Teilnehmer vor allem<br />
Deutsch, aber auch viel über den Pflegealltag<br />
in Deutschland.<br />
Betrieben wird die Schule von Dekra,<br />
einem Unternehmen, das viele vor allem<br />
von der Haupt- oder Abgasuntersuchung<br />
<strong>am</strong> Auto kennen. Seit einiger Zeit<br />
macht die Gesellschaft, die 1925 in Berlin<br />
als Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein<br />
gegründet wurde,<br />
auch mit dem Pflegenotstand in<br />
Deutschland gute Geschäfte: Das Unternehmen<br />
bildet in acht Ländern im<br />
Auftrag von Pflegeheimen Personal aus<br />
– und erwirtschaftet d<strong>am</strong>it bereits einen<br />
Umsatz im niedrigen zweistelligen<br />
Millionenbereich.<br />
Auch<br />
Bundesgesundheitsminister<br />
Jens Spahn (CDU) setzt im K<strong>am</strong>pf gegen<br />
die Personalnot auf Fachkräfte<br />
vom Westbalkan. In Albanien rennt er<br />
offene Türen ein: Auswandern ist unter<br />
jungen Albanern eine gängige Karriereoption,<br />
wenn nicht gar die beliebteste.<br />
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit<br />
von zuletzt 30 Prozent zwingt junge<br />
Menschen ins europäische Ausland;<br />
derzeit leben mehr Albaner außerhalb<br />
des Landes als in Albanien selbst.<br />
Nachdem Spahn seine Anwerbestrategie<br />
Mitte 2018 angekündigt hatte, setzte<br />
an der Universität Tirana ein Run<br />
auf die Studienplätze ein. „Bereits <strong>am</strong><br />
ersten Tag der Einschreibung waren alle<br />
Studienplätze komplett vergeben“,<br />
sagt Dietmar Metzger, der den Geschäftszweig<br />
Ausbildung der Dekra betreut.<br />
Das hatte es so zuvor noch nicht gegeben,<br />
auch wenn Pflege traditionell ein<br />
beliebtes Studienfach bei jungen Albanern<br />
ist. Der Grund dafür ist wohl Mutter<br />
Teresa: Die katholische Nonne, die<br />
ab 1950 in den Slums von Kalkutta einen<br />
wohltätigen Orden aufgebaut hatte, der<br />
Sterbende und Leprakranke pflegt, und<br />
dafür 1979 den Friedensnobelpreis bek<strong>am</strong>,<br />
war zwar Mazedonierin, st<strong>am</strong>mte<br />
aber aus einer albanischen F<strong>am</strong>ilie. Sie<br />
gilt als identitätsstiftendes Symbol des<br />
Landes – auch wenn die Bevölkerung<br />
vorwiegend muslimischen Glaubens ist.<br />
„Als ich ein Kind war, hat mein Vater<br />
immer gesagt, es wäre gut für mich, nach<br />
Deutschland zu gehen, wenn ich größer<br />
bin“, sagt Flavio St<strong>am</strong>bolliu. „Ich denke<br />
genauso. Das ist eine Möglichkeit, die<br />
ich nicht verstreichen lassen kann.“ Der<br />
22-Jährige ist einer der wenigen Männer<br />
in seiner Klasse. Wie die meisten seiner<br />
Kommilitonen hat er schon eine Stelle.<br />
Ein Pflegeheim in Eichenau, einem kleinen<br />
Ort zwischen München und Fürstenfeldbruck,<br />
zahlt seine Ausbildung.<br />
Zwei Freundinnen und eine Cousine<br />
lebten bereits in München, berichtet<br />
St<strong>am</strong>bolliu. Ursprünglich wollte er Medizin<br />
studieren, doch weil seine Abiturnoten<br />
nicht gut genug waren, schrieb er<br />
sich für das Pflegestudium ein. Das<br />
könnte sich jetzt auszahlen: Als Pfleger<br />
in einem bayerischen Pflegezentrum<br />
wird er künftig rund 3000 Euro brutto<br />
verdienen; weit mehr als sein Bruder,<br />
der Zahnmedizin studiert und in Albanien<br />
bleiben will. Das Durchschnittsgehalt<br />
hier im Land liegt bei gut 300 Euro.<br />
Die Ausbildung an der Dekra-Akademie,<br />
die mehrere Tausend Euro kostet, wird<br />
von den künftigen Arbeitgebern der Absolventen<br />
gezahlt.<br />
ÜBERQUALIFIZIERT Der Lehrgang<br />
zwingt die jungen Teilnehmer zum Umdenken:<br />
Praktisch alle haben wie Abedini<br />
und St<strong>am</strong>bolliu einen Bachelor oder<br />
gar einen Master in Pflege gemacht. Ihr<br />
Studium war allerdings stärker medizinisch<br />
ausgerichtet als die Ausbildung in<br />
Deutschland; Pflegekräfte übernehmen<br />
in Albanien auch Tätigkeiten, die in<br />
Deutschland Ärzten vorbehalten sind.<br />
Grundpflege hingegen werde zwar im<br />
Studium unterrichtet und sei qua Gesetz<br />
Aufgabe des Pflegepersonals, sagt<br />
Schulleiterin Jonida Bushi. Tatsächlich<br />
werde sie aber oft von den Angehörigen<br />
geleistet: „In Albanien wird traditionsbedingt<br />
erwartet, dass die F<strong>am</strong>ilie ins<br />
Krankenhaus oder Altenheim kommt,<br />
um die Patienten zu waschen, anzukleiden,<br />
zu füttern und abends ins Bett zu<br />
bringen.“ Die Schüler müssen sich des-<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 WIRTSCHAFT & FINANZEN 27<br />
halb auch darauf einstellen, dass sie für<br />
ihre künftigen Aufgaben teilweise überqualifiziert<br />
sind.<br />
Im Jahr 2015 haben Metzger und seine<br />
Kollegen die Pflegeausbildung in Albanien<br />
begonnen; inzwischen sind an<br />
elf Standorten im Land 1500 Schüler in<br />
Ausbildung, davon rund 800 in der Akademie<br />
in Tirana. Vor drei Jahren k<strong>am</strong>en<br />
die ersten Absolventen nach Deutsch-<br />
Üben an der Puppe Die Schüler<br />
lernen Deutsch, aber auch<br />
praktische Anwendungen<br />
land; im Herbst soll die 2500. Pflegekraft<br />
ihre Stelle antreten. Rund zwei<br />
Drittel der Absolventen arbeiteten heute<br />
noch beim ursprünglichen Arbeitgeber,<br />
berichtet Dekra-Manager Metzger,<br />
TOBIAS KAISER<br />
ein weiteres Drittel habe inzwischen<br />
den Arbeitgeber gewechselt. Lediglich<br />
30 Teilnehmer, also weniger als zwei<br />
Prozent, seien nach Albanien zurückgekehrt,<br />
weil die F<strong>am</strong>ilie sie brauchte<br />
oder sie sich in Deutschland nicht<br />
wohlfühlten.<br />
Die Bilanz der Akademie zeigt allerdings<br />
auch: Fachkräfte aus dem Ausland<br />
werden den Pflegenotstand nicht lösen<br />
können – bloß lindern. Die Bundesregierung<br />
geht davon aus, dass hierzulande<br />
50.000 Pflegekräfte fehlen werden;<br />
die 3000 Pflegerinnen und Pfleger, die<br />
Dekra gerade in acht Ländern von Serbien<br />
bis Mexiko ausbildet, können diese<br />
große Lücke kaum füllen. Noch dazu ist<br />
die Zahl der Länder begrenzt, aus denen<br />
Pflegepersonal angeworben werden<br />
kann: Wohlhabende Staaten wie<br />
Deutschland haben sich in einem Kodex<br />
dazu verpflichtet, nur in Ländern Gesundheitspersonal<br />
anzuwerben, deren<br />
Bevölkerungen sehr jung sind und in denen<br />
es mehr Pflegekräfte gibt, als benötigt<br />
werden.<br />
Ein Gutes hat die Entwicklung aber<br />
in jedem Fall: Der Zuzug der Albaner<br />
sorgt mitunter dafür, dass sich die Arbeitsbedingungen<br />
für ihre deutschen<br />
Kollegen verbessern: Ein Pflegeheim<br />
verlangte von einer Absolventin, auch<br />
Badewannen und Duschen zu putzen.<br />
Die meldete das der Dekra, die bei der<br />
Leitung der Einrichtung intervenierte.<br />
Nun müssen Pflegekräfte dort nicht<br />
mehr die Bäder putzen.<br />
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28 WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Kann das Gefühl der ausgleichenden<br />
Gerechtigkeit trügen?<br />
Viele Menschen gehen<br />
Geldanlagen emotional an,<br />
und wenn sie <strong>am</strong> Aktienmarkt<br />
Werte vorfinden, die weit hinter<br />
dem Index zurückgeblieben sind, dann<br />
wächst in ihnen die Empfindung heran:<br />
Diese hässlichen Entlein müssten doch<br />
bald vom Futter, das sich Boom nennt,<br />
etwas abbekommen und zu stolzen Börsenschwänen<br />
heranreifen. Genährt wird<br />
dieses Gefühl von Berichten über erfolgreiche<br />
antizyklische Investoren, die<br />
durch den beherzten Kauf steinreich geworden<br />
sind.<br />
Zugreifen oder<br />
lieber nicht?<br />
Zurzeit gibt es so viele „gefallene Engel“ wie selten <strong>am</strong> Aktienmarkt:<br />
Branchenriesen im Allzeittief. Was Experten raten<br />
VON DANIEL ECKERT UND HOLGER ZSCHÄPITZ<br />
Zwischen Absturz und Allzeithoch<br />
So weit entfernt sind die Aktien von ihrem Höchststand,<br />
Angaben in Prozent<br />
Flop<br />
Unicredit<br />
Nokia<br />
Ericsson<br />
Dt. Telekom<br />
General Electric<br />
E.on<br />
Infineon<br />
Petrochina<br />
Sony<br />
Kraft Heinz<br />
Bayer<br />
H&M<br />
BAT<br />
Continental<br />
Daimler<br />
Top<br />
% %<br />
–94 Unilever<br />
–92<br />
–89<br />
–86<br />
–82<br />
–79<br />
–75<br />
–74<br />
–69<br />
–66<br />
–59<br />
–55<br />
–47<br />
–43<br />
–40<br />
Nestlé<br />
Visa<br />
Danone<br />
Paypal<br />
McDonald's<br />
Heineken<br />
Adidas<br />
Airbus<br />
Nike<br />
SAP<br />
Walt Disney<br />
Coca-Cola<br />
Linde<br />
Endesa<br />
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen<br />
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–1<br />
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–1<br />
–2<br />
–2<br />
–3<br />
–3<br />
–3<br />
–4<br />
–4<br />
–5<br />
Zurzeit tummeln sich so viele hässliche<br />
Entlein wie selten <strong>am</strong> Markt – einem<br />
Markt, der im Rekordmodus ist:<br />
Kaum zehn Prozent trennen den Deutschen<br />
Aktienindex von seinem Allzeithoch.<br />
Doch innerhalb des Börsenbarometers<br />
finden sich gleich acht Werte,<br />
die 50 Prozent oder mehr unter ihrem<br />
Allzeithoch notieren. An den <strong>Welt</strong>börsen<br />
ist die Diskrepanz noch größer: Die<br />
globale Messlatte Bloomberg World Index<br />
steht nur knapp unterhalb ihrem<br />
Allzeithoch, doch von rund 5000 Titeln<br />
fällt fast ein Drittel in die Kategorie<br />
„hässliche Entlein“. Kapitalmarktprofis<br />
sprechen mit Blick auf abgestürzte Börsengrößen<br />
von „gefallenen Engeln“.<br />
Investmentprofis haben ihre ganz eigenen<br />
Erfahrungen d<strong>am</strong>it gemacht, ob<br />
es sinnvoll ist, auf hässliche Entlein zu<br />
setzen. Die Wette auf die Erholung abgestürzter<br />
Aktien geht nicht immer auf.<br />
Oft genug bleibt eine schlechte Aktie<br />
einfach eine schlechte Aktie. WELT AM<br />
SONNTAG verrät Ihnen, worauf Sie<br />
achten müssen.<br />
Unter den „gefallenen Engeln“ finden<br />
sich auch große N<strong>am</strong>en. Am meisten<br />
hinter dem Markt zurückgeblieben sind<br />
in den vergangenen Jahren Banken, vor<br />
allem in Europa. Die italienische Uni-<br />
Credit etwa notiert nach Bloomberg-<br />
Berechnungen 94 Prozent unter ihrem<br />
Allzeithoch, der Kurs der Deutschen<br />
Bank ist 92 Prozent vom Bestwert entfernt.<br />
Aber auch Technologieunternehmen<br />
gehören dazu: Die einst legendäre<br />
Handyfirma Nokia wartet auf ihre Erweckung,<br />
ebenso der schwedische Netzwerkausrüster<br />
Ericsson oder die japanische<br />
Ikone Sony. Dazu gesellen sich Telekommunikationskonzerne<br />
wie Deutsche<br />
Telekom oder Orange aus Frankreich<br />
und deutsche Versorger wie E.on<br />
und RWE. Bei all diesen N<strong>am</strong>en lassen<br />
sich gute Gründe finden, warum sie an<br />
Wert verloren haben. Aber möglicherweise<br />
übersehen die Marktakteure die<br />
Chance auf eine Trendwende oder eine<br />
Neuaufstellung.<br />
Bei E.on und RWE ist es zum Beispiel<br />
die deutsche Energiewende, die das frühere<br />
Witwen-und-Waisen-Papier in einen<br />
gefallenen Engel verwandelte. Die<br />
plötzliche Abschaltung der Atomkraftwerke<br />
und die Subventionierung alternativer<br />
Energien zerstörte deren Geschäftsmodell,<br />
das auch ein Quasi-Oligopol<br />
umfasste. E.on will künftig als<br />
Netzbetreiber sein Geld verdienen,<br />
während RWE sich auf Energieerzeugung<br />
mit Kohle und Erneuerbaren spezialisiert.<br />
Dass das funktionieren kann,<br />
zeigt die spanische Endesa, die an der<br />
Börse fünf Prozent unter ihrem Allzeithoch<br />
steht und d<strong>am</strong>it zu den schönen<br />
Schwänen an der Börse zählt.<br />
Auch der Lebensmittelmulti Kraft<br />
Heinz, der zum Beteiligungsimperium<br />
von Warren Buffett gehört, musste kräftig<br />
Federn lassen. Die Aktie notiert dieses<br />
Jahr 25 Prozent im Minus und hängt<br />
dem Konkurrenten Unilever auf Sicht<br />
von zwei Jahren ganze 104 Prozentpunkte<br />
hinterher. Fragwürdige Managemententscheidungen<br />
haben das Unternehmen<br />
mit Doppelsitz in Chicago und<br />
Pittsburgh viel Geld und Vertrauen gekostet.<br />
Mittlerweile senkt auch die<br />
Mehrheit der Analysten den Daumen,<br />
was Antizykliker mehr in Wallung versetzt.<br />
Fehleinschätzungen der Führung<br />
sind auch für den Absturz des deutschen<br />
Pharma- und Agrarkonzerns Bayer<br />
verantwortlich. Hier wittern unerschrockene<br />
Investoren potenziell kräftige<br />
Erholungschancen. „Ein niedergeschlagener<br />
Wert mit Sondersituation<br />
wie Bayer nach dem Kauf von Monsanto<br />
hat ein reizvolles Aufholpotenzial“, sagt<br />
GETTY IMAGES/LONELY PLANET IMAGES/MANFRED GOTTSCHALK
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 WIRTSCHAFT & FINANZEN 29<br />
Rolf Kazmaier, Geschäftsführer von SVA<br />
Vermögensverwaltung in Stuttgart. „Bei<br />
den zurückgebliebenen Aktien muss man<br />
schauen, warum sie zurückgeblieben sind,<br />
und dann für sich eine Lösung finden.“ Zum<br />
Beispiel könnte man kalkulieren, ob das<br />
Problem Monsanto für Bayer so groß sein<br />
kann, dass der Verlust von fast 35 Milliarden<br />
Euro Börsenwert gerechtfertigt ist. „Steckt<br />
da eventuell eine Übertreibung nach unten<br />
drin?“, fragt Kazmaier.<br />
Bei Anruf Rat<br />
Heute von 10 bis 12.30 Uhr stehen neun Fachleute<br />
Rede und Antwort zu allen Fragen rund ums Geld<br />
DIE HISTORIE ZÄHLT NICHT Eine Schockmeldung<br />
über hohe Lagerbestände schickte<br />
jüngst die Aktie der Bekleidungskette H&M<br />
auf Talfahrt. Mit gut 50 Prozent Abstand<br />
vom Hoch befinden sich die lange erfolgsverwöhnten<br />
Schweden heute auf der Liste<br />
der hässlichen Entlein. Optimisten setzen<br />
darauf, dass die Firma aus Stockholm mindestens<br />
das schafft, was Wettbewerber Inditex<br />
aus Spanien mit Marken wie Zara und<br />
Bershka gelingt. In den zehn Jahren vor<br />
dem Absturz hatte sich die H&M-Aktie<br />
mehr als vervierfacht.<br />
Vermögensverwalter Constantin Bolz<br />
von Portfolio Concept in Köln warnt davor,<br />
eine Aktie nur zu kaufen, weil sie im historischen<br />
Kontext billig erscheint. „Anhand<br />
von Kursverläufen Einschätzungen über die<br />
Attraktivität von Aktien zu tätigen, ist aus<br />
unserer Sicht unzureichend, besonders<br />
wenn es sich dabei um lange Zeiträume<br />
handelt“, sagt Bolz. „So kann sich beispielsweise<br />
das Geschäftsmodell einer Aktie über<br />
die Jahre grundsätzlich verändert haben,<br />
wie etwa bei Nokia.“<br />
Nokia, einst größter Handyproduzent<br />
der <strong>Welt</strong>, fokussiere sich heute auf das<br />
Netzwerkgeschäft, die Mobilfunkgerätesparte<br />
spiele nur mehr eine untergeordnete<br />
Rolle, sagt Bolz: „Grundsätzlich favorisieren<br />
wir eher Aktien, die in der Nähe ihres<br />
Allzeithochs notieren, als Titel, die deutlich<br />
darunter handeln. Wir fällen die Entscheidung<br />
jedoch immer auf Einzelbasis nach<br />
gründlicher fund<strong>am</strong>entaler Analyse.“<br />
Auf oder knapp unter dem historischen<br />
Hoch stehen zum Beispiel der Schweizer<br />
Lebensmittelriese Nestlé oder die Zahlungsdienstleister<br />
Visa und PayPal. In<br />
Deutschland sind es Adidas, SAP und Linde.<br />
„Es gibt die alte Börsenweisheit ‚The trend<br />
is your friend‘. Solange also Aktien Höchstkurse<br />
erreicht haben, heißt es noch lange<br />
nicht, dass sie verkauft werden sollten“,<br />
sagt Uwe Eilers, Geschäftsführer von<br />
Frankfurter Vermögen in Königstein. Die<br />
Wachstumsaussichten sind das Entscheidungskriterium<br />
für steigende Kurse.<br />
Andersherum könnten durchaus auch die<br />
„Fallen Angels“ interessant sein. „Dies gilt<br />
allerdings nur dann, wenn diese Unternehmen<br />
einen Turnaround schaffen und wieder<br />
ein nachhaltiges Gewinnwachstum erreichen“,<br />
sagt Eilers. Als Kandidaten dafür<br />
nennt er neben Bayer auch die Deutsche<br />
Bank. „Eine Aktie kann auch viel zu stark<br />
gefallen sein, wenn die negativen Befürchtungen<br />
völlig überzogen sind“, erklärt der<br />
Geldmanager. Uwe Zimmer, Geschäftsführer<br />
von Fund<strong>am</strong>ental Capital in Köln, rät<br />
Sparern, nur den spekulativen Teil ihres<br />
Vermögens auf gefallene Engel zu verwenden:<br />
Wenn man mit etwas Risikokapital<br />
Versuche starten will, kann man abgestürzte<br />
oder fallende Aktien kaufen. Aber auch<br />
zu dem Thema gibt es einen alten Spruch:<br />
„Never catch a falling knife.“ Zu Deutsch:<br />
Greife nie in ein fallendes Messer.<br />
Elimar von Festenberg-Pakisch<br />
Geld- und Vermögensanlage<br />
(Aktien, Fonds, ETFs etc.)<br />
Michael Ryl Geld- und Vermögensanlage<br />
(Aktien, Fonds,<br />
ETFs etc.) 01802468804<br />
Sylvie Ernoult<br />
Finanzchat - Online<br />
Das vergangene Weihnachtsfest<br />
dürfte für<br />
die meisten Aktionäre<br />
ein eher unruhiges gewesen<br />
sein. Den ganzen Dezember<br />
über waren die Kurse gefallen,<br />
und die Aussichten für die Tage<br />
danach versprachen kaum Besserung.<br />
Am Ende k<strong>am</strong> es dann<br />
doch ganz anders, und wer die<br />
Nerven behalten hat, kann<br />
nun, Anfang Mai, auf seinem<br />
Depotauszug jenen Zugewinn<br />
betrachten, den André Kostolany<br />
einst in seiner unnachahmlichen<br />
Art als „Schmerzensgeld“<br />
bezeichnete: Erst<br />
kommen die Schmerzen, dann<br />
das Geld.<br />
Wie sollen Sparer d<strong>am</strong>it umgehen,<br />
dass angesichts niedriger<br />
Zinsen Geld real an Wert<br />
verliert? Ratschläge zu allen<br />
Themen rund um die privaten<br />
Finanzen gibt die WELT AM<br />
SONNTAG ihren Lesern <strong>am</strong><br />
heutigen <strong>Sonntag</strong>. Zwischen 10<br />
und 12.30 Uhr stehen neun vom<br />
Bundesverband deutscher Banken<br />
ausgewählte Experten bereit,<br />
um für sämtliche Fragestellungen<br />
zu individuellen Finanzthemen<br />
Rede und Antwort<br />
zu stehen. Der Beratungsservice<br />
wird <strong>am</strong> Telefon und<br />
zusätzlich online als Chat angeboten.<br />
Für einen Einstieg an der<br />
Börse muss es trotz der jüngsten<br />
Erholung nicht zu spät<br />
sein. Für Sparer ohne große Erfahrung<br />
bieten sich Sparpläne<br />
etwa auf Indexfonds (sogenannte<br />
ETF) an, die Börsenbarometer<br />
wie etwa den Dax zu<br />
günstigen Kosten 1:1 abbilden.<br />
Wer ein solches Instrument<br />
monatlich bespart, kann es<br />
über die Jahre auf eine beachtliche<br />
Rendite – und ein willkommenes<br />
Zusatzeinkommen<br />
im Alter – bringen. Oder doch<br />
eine Immobilie kaufen?<br />
Natürlich besteht bei vielen<br />
gerade risikoaversen Sparern<br />
noch immer die Hoffnung,<br />
dass die Zinsen eines Tages<br />
wieder steigen werden – und<br />
Tagesgeld- sowie Festgeldkonten<br />
wieder auskömmliche Ren-<br />
Dierk von Reisner Geld- und<br />
Vermögensanlage (Aktien,<br />
Fonds, ETFs etc.) 1802468802<br />
Volker Hofmann<br />
Zinsen, Währungen<br />
und Konjunktur 01802468805<br />
Maxemilian Speer<br />
Finanzchat – Online<br />
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diten abwerfen. Doch kann es<br />
eine echte Zinswende, wie sie<br />
von den Notenbanken seit Jahren<br />
immer wieder in Aussicht<br />
gestellt wird, angesichts der<br />
hohen Staatsverschuldung der<br />
westlichen Industrienationen<br />
überhaupt noch geben? Auch<br />
dazu gibt es in der Beratung<br />
Einschätzungen von den Experten.<br />
Ein Lebenszeichen gab es zuletzt<br />
auch wieder von der Digitalwährung<br />
Bitcoin. 2017 in einem<br />
märchenhaften Boom auf<br />
rund 20.000 Dollar gestiegen,<br />
fiel der Hype wieder in sich zu-<br />
s<strong>am</strong>men. Nun aber scheint sich<br />
im Kursverlauf langs<strong>am</strong> ein Boden<br />
auszubilden, von dem aus<br />
der Preis bereits wieder deutlich<br />
gestiegen ist. War das der<br />
Startschuss für ein Comeback<br />
des Bitcoin oder einer seiner<br />
Schwesterwährungen?<br />
Kommende Woche wird<br />
WELT AM SONNTAG dann<br />
wichtige Fragen und Antworten<br />
aus der Aktion in anonymisierter<br />
Form veröffentlichen.<br />
Torsten Klebe Geld- und Vermögensanlage<br />
(Aktien, Fonds,<br />
ETFs etc.)<br />
Daniel Griebel<br />
Baufinanzierung<br />
01802468806<br />
Tobias Böhm<br />
Finanzchat – Online
30 SMART CITY<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
SPEZIAL<br />
Berlin digital Die Bundeshauptstadt ist<br />
5G-Modellregion und treibt d<strong>am</strong>it die selbst<br />
verordnete Smart-City-Strategie voran<br />
Da staunste, wa?<br />
Laute Nachrichten über Berlin sind nur die halbe Wahrheit. Eher im Stillen ist Deutschlands größter<br />
Wissenschaftsstandort entstanden. Hier geht es um die Zukunft, und Berlin hat große Ziele<br />
Ein Flughafen, der jüngst 2500 Tage Nicht-Eröffnung<br />
nicht feierte, Wohnungsmangel, explodierende<br />
Mieten, Enteignungsdebatten,<br />
Dauerbaustellen und Dauerstaus, Provinzpossen<br />
wie sinnentleerte Begegnungszonen<br />
mitten auf Straßen und ein Senat, dem es häufig an<br />
Präsenz, Esprit und Bürgernähe mangelt – es gibt einiges,<br />
das Berlin auf den ersten Blick nicht zwangsläufig<br />
als Smart City erscheinen lässt. Dennoch ist die Bundeshauptstadt<br />
genau das.<br />
VON JOCHEN CLEMENS<br />
Hinter all den lauten und grellen Tönen hat sich seit<br />
einigen Jahren ein ganz anderes Berlin entwickelt,<br />
eines das enorm erfolgreich ist. Fakt ist: Das Wirtschaftswachstum<br />
übertrifft das aller anderen Bundesländer,<br />
Prognosen zufolge wohl auch 2019. Anhaltend<br />
starker Zuzug und fast überproportionales ökonomisches<br />
Gedeihen verursachen Wachstumsschmerzen an<br />
vielen Stellen und testen die Kapazitätsgrenzen der<br />
vorhandenen Infrastruktur. Bestens ausgebaut ist dagegen<br />
die geistige und für Zukunftsfähigkeit stehende<br />
Infrastruktur: Keine andere deutsche Stadt verfügt<br />
über ein ähnliches Powerhouse aus Forschung, Lehre,<br />
Großunternehmen, Mittelstand und Start-ups. Gebündelt<br />
ist es in elf Zukunftsstandorten mit 1800 Unternehmen<br />
und 50.000 Beschäftigten. Die zahllosen Projekte<br />
dieser Ideenschmieden machen in ihrer Summe<br />
eine Smart City aus.<br />
Im April 2015 hatte der Senat die „Smart-City-Strategie<br />
Berlin“ mit Eckpfeilern wie den Ausbau der internationalen<br />
Wettbewerbsfähigkeit der Metropolregion<br />
und der Schaffung eines Pilotmarktes für innovative<br />
Anwendungen gesetzt. Außerdem will Berlin 2050 Klimaneutralität<br />
erreichen. Doch bereits zuvor soll und<br />
wird sich wohl vieles in der Bundeshauptstadt verändern.<br />
Schon innerhalb von zehn Jahren.<br />
„Berlin 2030?“, sinniert Peter Strunk. „Die Stadt<br />
wird ihr Gesicht verändern, sie ist dann leiser, sauberer<br />
und grüner“, so der Kommunikationschef der landeseigenen<br />
Gesellschaft Wista, die als Standortentwickler,<br />
Dienstleister und Wirtschaftsförderer die Geschäftsstelle<br />
der Zukunftsorte betreibt. „Es wird mitten in der<br />
Stadt produziert, Waren werden unter anderem über<br />
E-Fahrzeuge, elektrische Lastenbahnen, vielleicht auch<br />
Drohnen verteilt.“ Es gehe nicht um industrielle Endmontage<br />
von Massenprodukten, sondern um Einzelfertigungen,<br />
Kleinstserien und Prototypen – oder Da-<br />
tenträger und Software im Nano-Bereich.<br />
„Berlin ist aufgrund der Historie der Wissenschaftsstandort<br />
in Deutschland. Universitäten, Fachhochschulen<br />
und wissenschaftliche Einrichtungen sind<br />
Grundlage der Zukunftsorte und der d<strong>am</strong>it einhergehenden<br />
Innovationskraft Berlins“, sagt Julia Neuhaus,<br />
Leiterin der Zukunftsort-Geschäftsstelle. Produzieren<br />
wolle Berlin vor allem auch Ideen, wobei der Standort<br />
Adlershof im Süden der Stadt eine zentrale Rolle<br />
spielt, nicht zuletzt durch rund 80 Unternehmen, die<br />
<strong>Welt</strong>marktführer-Status besitzen, also sogenannte<br />
Hidden Ch<strong>am</strong>pions sind.<br />
NACH DER DIGITALISIERUNG Smart City auf technische<br />
Aspekte wie die Digitalisierung von Vorgängen,<br />
Diensten und Serviceleistungen zu reduzieren, wäre zu<br />
kurz gedacht. Die Digitalisierung selbst nämlich, meint<br />
Peter Strunk, „ist 2030 durch“. Während es dann nur<br />
noch um Justierung, Anpassen und Feintuning ginge,<br />
sei das städtische Leben ein sich ständig in Veränderung<br />
befindlicher Prozess. „Wohnen und Arbeit rücken<br />
wieder<br />
,,<br />
zus<strong>am</strong>men. Berlin muss eine Stadt der kurzen<br />
Wege werden. Es kann keine Lösung sein, ins Auto zu<br />
steigen und anderthalb Stunden auf einer verstopften<br />
Autobahn zuzubringen.“ Gerade in einer unter wachsender<br />
Individualmobilität ächzenden Stadt wie Berlin<br />
Die Stadt wird ihr Gesicht<br />
verändern, sie ist leiser,<br />
sauberer und grüner<br />
PETER STRUNK, Kommunikationschef der Wista<br />
ist das einer, wenn nicht gar der wichtigste Aspekt eines<br />
Smart-City-Konzeptes.<br />
Energie ist ein weiterer, „Energie im Quartier“ heißt<br />
das Stichwort. In Adlershof befassen sich „mehrere<br />
Dutzend Einzelprojekte d<strong>am</strong>it, die inzwischen eigentlich<br />
zu einem zus<strong>am</strong>mengewachsen sind“. Darunter<br />
Graforce Hydro, die eine simple Lösung für Schwankungen<br />
von Solar- und Windenergie im Rahmen der<br />
vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien<br />
bieten: Wasserstoff und Biogas. Durch den Vorgang der<br />
Plasmalyse könnte „überschüssiger regenerativer<br />
Strom und Wasser in Wasserstoff umgewandelt und<br />
d<strong>am</strong>it problemlos gespeichert und bei Bedarf wieder<br />
zur Verfügung gestellt werden“, schreibt das Unternehmen.<br />
Weder bei der Herstellung noch bei der Wiederverwendung<br />
des Wasserstoffs entstünden schädliche<br />
Emissionen. „Aus Wasser wird Wasserstoff und <strong>am</strong><br />
Ende wieder Wasser.“<br />
D<strong>am</strong>it Energie in Echtzeit gespeichert werden kann<br />
und im Moment des Bedarfs verfügbar ist, braucht es die<br />
neue Mobilfunkgeneration 5G. Berlin – und hier hat der<br />
Senat doch einmal frühzeitig Nägel mit Köpfen gemacht<br />
– ist mit der Telekom eine Partnerschaft eingegangen.<br />
Während der Rest der Republik wohl noch warten muss,<br />
wird Berlin 5G-Modellregion, der Ausbau einzelner<br />
Standorte wie Adlershof beginnt noch in diesem Jahr.<br />
Folgen sollen weitere Zukunftsstandorte, die Messe Berlin<br />
und stark frequentierte öffentliche Areale wie der<br />
Potsd<strong>am</strong>er Platz, außerdem Verkehrswege an der Stadt-<br />
autobahn und die U-Bahn.<br />
Ice Gateway ist ein weiteres Unternehmen aus Adlershof.<br />
Schon 2016 begann R<strong>am</strong>in Mokhtari mit der<br />
Verwandlung von Vollpfosten in clevere Straßenlaternen<br />
mit LED-Technik. Über Funk werden sie zentral<br />
gesteuert, sie sind dimmbar oder sie erlöschen vollständig<br />
und leuchten nur, wenn sie benötigt werden.<br />
Die intelligente Sensorik nutzt die Möglichkeiten der<br />
Bewegungserkennung. Weil es dabei auch um Datenschutz<br />
geht, sind sie im öffentlichen Raum noch nicht<br />
zugelassen. In Adlershof werden sie getestet, auch in<br />
Verbindung mit weiteren Funktionen – etwa als<br />
WLAN-Hotspot und Ladesäule für E-Fahrzeuge.<br />
Dazu passt ein bereits mit 13 Preisen ausgezeichnetes<br />
Projekt der im Schöneberger Euref-C<strong>am</strong>pus an-<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 SMART CITY 31<br />
SPEZIAL<br />
sässigen Firma ubitricity. Ihr Werk ist ein mobiler Stromzähler,<br />
der in Ladekabel oder direkt in E-Fahrzeuge integriert<br />
werden kann. Stromgetankt wird dann auf Rechnung<br />
beim Anbieter des persönlichen Vertrauens. Ladestationen<br />
sind problemlos in Straßenlaternen unterzubringen.<br />
GESÜNDER LEBEN Ebenfalls auf dem C<strong>am</strong>pus mit einem alten<br />
Gasometer als weithin sichtbares Wahrzeichen entdeckt<br />
man den kleinen Elektro-Shuttlebus Emily. Fahrer und Lenkrad<br />
gibt es nicht. Emily fährt autonom, orientiert sich mit Hilfe<br />
von Sensoren und K<strong>am</strong>eras. Durchaus ein Modell für Wohn-<br />
quartiere, verkehrsberuhigte Innenstädte oder weitläufige,<br />
aber verkehrsarme Flächen. „Sinnvoll könnte so etwas zum<br />
Beispiel in ländlichen Regionen mit wenig Verkehr sein, wo es<br />
darum geht, von einem Ort zum anderen zu kommen“, sagt<br />
Peter Strunk.<br />
Zu einer Smart City gehören aber durchaus auch Innovationen,<br />
die auf den ersten Blick gar nicht in diesen Rahmen zu<br />
passen scheinen. Wie etwa die des Start-ups Magnosco, dessen<br />
neue Technologie es ermöglicht, schwarzen Hautkrebs<br />
innerhalb von Minuten zu analysieren. Er wird per Lasertechnologie<br />
sichtbar gemacht und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz<br />
innerhalb kürzester Zeit ausgewertet. Derartige medizintechnische<br />
Innovationen der Früherkennung würden<br />
nicht nur dazu führen, dass „wir schon 2030 viel gesünder leben“,<br />
so der Wista-Kommunikations-Chef. Sie könnten des<br />
Weiteren Verkehre reduzieren, weil diese Methoden auch<br />
ohne profunde medizinische Kenntnisse häusliche Diagnose<br />
erlaubten und Wege zum Arzt ersparten. „Oft sind es die Dinge<br />
im Verborgenen, die etwas ganz Neues kreieren.“<br />
Dazu gehört mit Sicherheit auch das, woran Wissenschaftler<br />
des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und<br />
Kurzzeitspektroskopie (MBI) derzeit forschen. Es geht um<br />
„Terahertzfrequenzen“ (THz), um Solarzellen, die Lichtenergie<br />
in einen gerichteten elektrischen Strom konvertieren,<br />
welcher dann die Energieversorgung von elektrischen<br />
Verbrauchern gewährleistet – mit einer Schnelligkeit, die, so<br />
Strunk, „einen Computer um das 5000fache übertrifft“. Eröffne<br />
das nicht „ungeahnte Möglichkeiten – auch für die<br />
‚Smart City‘ der Zukunft?“, fragt er sich.<br />
Digital kann so hyggelig sein<br />
Dänemark führt den EU-Digitalindex an. Der kleine Nachbar könnte<br />
für Deutschland das große Vorbild bei der Umstellung der Verwaltung<br />
sein. Es geht weniger um Technologie, sondern eher um neues Denken<br />
Post kommt fast ausschließlich<br />
elektronisch,<br />
es gibt Bürger-Emails,<br />
Ämter und Verwaltungen arbeiten<br />
ebenfalls digital. Das so<br />
hyggelige Dänemark hat sich<br />
seinen herrlich retro wirkenden<br />
und entspannten Lebensstil bewahrt,<br />
gleichzeitig aber seine<br />
Lebensadern digitalisiert.<br />
Der Digitalindex der Europäischen<br />
Union führt Dänemark<br />
auf Platz eins, ebenso das<br />
E-Government im OECD-Ranking.<br />
„Dänemark zeigt, wie man<br />
ein Land smart macht“, hatte<br />
Bitkom-Präsident Achim Berg<br />
Ende 2018 bei der Smart Country<br />
Convention in Berlin gelobt.<br />
„Viele Digitalprojekte, die<br />
Deutschland jetzt vor sich hat,<br />
wurden in Dänemark erfolgreich<br />
abgeschlossen.“<br />
Bereits 1968 wurde das CPR-<br />
Register eingeführt, das die digitale<br />
Identifizierung der Bürger<br />
in einem öffentlichen Zentralregister<br />
als Grundlage für<br />
die Digitalisierung der Gesellschaft<br />
ermöglichte. D<strong>am</strong>it sind<br />
die meisten Dänen Digital Natives.<br />
Das ist nur einer der Unterschiede<br />
gegenüber Deutschland.<br />
In skandinavischen Ländern<br />
hätten die Bürger eine hohe<br />
Forderungshaltung an die<br />
Verwaltung, sagt Arne Treves<br />
von R<strong>am</strong>boll, einer dänischen<br />
Ingenieur- und Managementberatung,<br />
die von Berlin aus quasi<br />
Entwicklungshilfe in Sachen<br />
smarter Verwaltung leistet.<br />
Hier sei es dagegen gelernte<br />
Tradition, dass die Verwaltung<br />
den Bürgern Vorgaben mache.<br />
Deutschland verorten Treves<br />
und sein Kollege Dominik Benke<br />
im europäischen Mittelfeld.<br />
Oft hören sie, Digitalisierung<br />
sei ein rein technischer Prozess,<br />
doch „sie ist zu 20, maximal<br />
30 Prozent technikgetrieben.<br />
Der große Rest sind<br />
menschliche Faktoren. Es geht<br />
um Disruption, um komplett<br />
neues Denken“, sagt Treves.<br />
Dazu gehört auch das Umkrempeln<br />
von Strukturen. „Die<br />
deutsche Verwaltung ist noch<br />
stark an Abteilungen und linearen<br />
Strukturen ausgerichtet.<br />
Was wir brauchen, sind mehr<br />
Vernetzung und Schnittstellen,<br />
um ganzheitlichere Betrachtungen<br />
zu ermöglichen“, sagt Benke.<br />
Das könnte so aussehen,<br />
dass es, so wie in Dänemark,<br />
Berater gibt, die den Bürgern zu<br />
allen nicht per Klick zu regelnden<br />
Angelegenheiten Auskunft<br />
geben können – von Kfz über<br />
Steuer bis Kindergeld.<br />
Noch erkennen Treves und<br />
Benke nur „kleine Inseln“, die<br />
eine Kommune sei aktiver als<br />
die andere. Doch es passiert<br />
etwas. Wohl auch dank des<br />
„Onlinezugangsverbesserungsgesetzes“<br />
von 2017 , dessen Ziel<br />
laut Bundeswirtschaftsministerium<br />
der „Durchbruch für ein<br />
modernes E-Government in<br />
Deutschland“ ist. So sollen bis<br />
2022 möglichst viele Verwaltungsleistungen<br />
von Bund, Ländern<br />
und Kommunen online<br />
angeboten und über einen virtuellen<br />
Portalverbund mit nur<br />
drei Klicks zu finden sein. „Von<br />
oben vorgeschrieben, typisch<br />
deutsch“, sagt Benke. Aber immerhin<br />
erzeuge das OZG Handlungsdruck.<br />
Jochen Clemens<br />
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Visionär<br />
Der Mann, der „Matrix“<br />
möglich machte S. 34<br />
Virtuos<br />
Komponistinnen, die<br />
man hören sollte S. 36<br />
FILM<br />
„Da könnte<br />
ich echt<br />
durchdrehen“<br />
„Tatort“-Kommissarin<br />
Almila Bagriacik über<br />
ihre Schwierigkeiten,<br />
eine Deutschtürkin<br />
zu spielen. Und wie<br />
ihr gezeigt wurde, wo<br />
man Gott findet<br />
Es geht um Respekt Ob Frauen Kopftuch tragen oder nicht, sei ihre eigene Entscheidung, sagt Almila Bagriacik. Egal wie: Niemandem stehe es zu, sie deswegen abzuwerten<br />
A<br />
Als sie vor einem Jahr die Rolle der Kieler<br />
„Tatort“-Kommissarin übernahm,<br />
war Almila Bagriacik Mitte 20. So jung<br />
wie sie hat es kaum jemand in die Kultserie<br />
geschafft. Aber Bagriacik war<br />
schon vorher bekannt: In der TV-Serie<br />
„4 Blocks“ spielte sie die Schwester von<br />
Gangstern eines arabischen Clans in<br />
Berlin. In ihrem neuen Kinofilm „Nur<br />
eine Frau“ stellt sie die Berliner Türkin<br />
Hatan Sürücu dar, die 2005 von ihren<br />
Brüdern ermordet wurde.<br />
VON JENNIFER WILTON<br />
WELT AM SONNTAG: Sie spielen seit<br />
fast zehn Jahren in Filmen in<br />
Deutschland mit. Aber sogar in einer<br />
Serie in der Türkei spielten Sie die<br />
Deutschtürkin. Nervt Sie das?<br />
ALMILA BAGRIACIK: Viel länger habe<br />
ich darüber nachgedacht, ob ich überhaupt<br />
eine Serie in der Türkei machen<br />
sollte. Ich hatte Angst, dass mich das zu<br />
sehr einnimmt. Aber dann k<strong>am</strong> dieses<br />
Angebot mit einer Geschichte, die in<br />
Berlin anfängt. Da dachte ich: Okay,<br />
wenn hier jemand Berlin vertritt, dann<br />
ja wohl ich!<br />
Ihre Rolle ist die einer Türkin, die in<br />
Deutschland aufgewachsen ist?<br />
Ja, tatsächlich kann sie nicht sehr gut<br />
türkisch sprechen. Ich spreche dagegen<br />
sehr gut türkisch. Ich musste mir also<br />
einen deutschen Akzent erst antrainieren.<br />
Dadurch wurde ich in der Türkei<br />
Everybody’s Darling, denn die Türken<br />
lieben es, wenn du nicht so gut Türkisch<br />
kannst, es aber versuchst. Sie wollten<br />
halt ein Klischee bedienen.<br />
Sie sehen das so entspannt, wie es<br />
klingt?<br />
Absolut. Für die Rolle im Kieler „Tatort“<br />
war ursprünglich eine Schwedin,<br />
Ende 30, gesucht. Brauch ich nicht viel<br />
zu sagen, oder? (lacht) Sie haben mich<br />
trotzdem zum Casting eingeladen.<br />
Dann haben sie die Rolle auf die Mila<br />
Sahin umgeschrieben.<br />
Was ist der Unterschied zwischen<br />
Schauspielen in Deutschland und der<br />
Türkei?<br />
In Deutschland darfst du nicht so viel<br />
können. Wenn du mehr als eine Sache<br />
kannst, sind die Leute sofort überfordert:<br />
„Oh nee, jetzt singt die auch noch,<br />
oh nein, jetzt spielt die auch noch Fußball,<br />
na, ist doch mal gut, Mad<strong>am</strong>!“ In<br />
der Türkei – oder in Amerika – wirst du<br />
dafür gefeiert. Da wird eine Serie mit<br />
dir gedreht, nebenbei nimmst du ein Album<br />
auf und machst Sh<strong>am</strong>poowerbung.<br />
Hier musst du dich ein bisschen zurückhalten.<br />
Andererseits mag ich das in<br />
Deutschland ja auch, dass man kritischer<br />
ist und die Dinge hinterfragt. Ich<br />
liebe das deutsche Bildungssystem, weil<br />
es viel mehr zum Denken, zum Hinterfragen<br />
anleitet. Du lernst schon in der<br />
Schule: Du musst deine Antworten<br />
selbst finden, alles ist okay, wenn du es<br />
belegen kannst. In der Türkei ist es wie<br />
in Amerika: Eine Frage, fünf mögliche<br />
Antworten, alles ist vorgegeben.<br />
Sie sind in Ankara geboren, k<strong>am</strong>en<br />
mit fünf Jahren nach Berlin. Welche<br />
Erinnerungen haben Sie daran?<br />
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT <strong>am</strong> SONNTAG KOMPAKT-2019-05-05-ad_rom-20 d303819bfe5e76bd858c8f6bd6d14bdc
KULTUR<br />
Ich bin durch und durch Berlinerin,<br />
aber ich erinnere mich natürlich an meine<br />
Kindheit in der Türkei, vor unserem<br />
Umzug nach Deutschland. Meine Eltern<br />
waren Korrespondenten für eine große<br />
türkische Zeitung und wurden nach<br />
Berlin geschickt. Es war erst mal ein<br />
Schock. Ich konnte die Sprache nicht,<br />
die K<strong>am</strong>eraden in der Schule in der Türkei<br />
hatten mir Angst gemacht. Wir sind<br />
erst mal gelandet in Berlin-Wedding, in<br />
einer Erdgeschosswohnung. Alles war<br />
grau, unfreundlich, rau. Nach einem<br />
halben Jahr zogen wir zum Glück weg.<br />
Meine Eltern haben weiter nur Türkisch<br />
mit mir gesprochen, weil sie wollten,<br />
dass ich die Sprache nicht verlerne. Sie<br />
wollten aber auch, dass ich Deutsch ohne<br />
Akzent und mit korrekter Gr<strong>am</strong>matik<br />
lerne. Und das lernst du dann bei Borowski<br />
in der Schule.<br />
Borowski, wie der „Tatort“-Kommissar?<br />
MATHIAS BOTHOR<br />
Tatsächlich hieß mein Klassenlehrer<br />
Borowski! Wie mein Kollege im Kieler<br />
„Tatort“.<br />
Spielte Religion eine Rolle?<br />
Ich bin Muslima. Aber meine F<strong>am</strong>ilie<br />
hält Religion für etwas, das man für sich<br />
macht, nicht nach außen demonstriert.<br />
Meine Eltern haben mir als Kind alle anderen<br />
Religionen erklärt, bevor sie mit<br />
mir in eine Moschee gingen. Wir waren<br />
in einer orthodoxen Kirche, die sehr<br />
prunkvoll war, in einer Synagoge, die<br />
mich beeindruckt hat. Und dann irgendwann<br />
die blaue Moschee. Sie haben mir<br />
gesagt: „Gott kannst du in jedem Haus<br />
erreichen.“ Tatsächlich haben sie mich<br />
ziemlich ernst genommen, sie haben<br />
mich auch vor die Wahl gestellt: „Wir<br />
machen das so. Du machst es, wie du<br />
entscheidest.“ Und der Isl<strong>am</strong> hat mich<br />
fasziniert. Auch die Poesie des Korans.<br />
Fühlen Sie sich betroffen, wenn es in<br />
Diskussionen über den Isl<strong>am</strong> vor allem<br />
um den radikalen Isl<strong>am</strong> geht?<br />
Ja. Ich fühle mich auch angegriffen,<br />
wenn es um unseren neuen Film geht<br />
und ich immer wieder gefragt werde:<br />
Finden Sie nicht auch, dass der Isl<strong>am</strong> eine<br />
gefährliche Religion ist? Finde ich<br />
nicht. Es sind Menschen, die gefährlich<br />
sind. Es sind Menschen, die die Suren<br />
auf bestimmte Art interpretieren. In<br />
dem Film unterscheiden wir – richtigerweise<br />
– zwischen Tradition und Religion.<br />
Aber ganz abgesehen davon finde<br />
ich es auch falsch, sein Leben ausschließlich<br />
auf Religion aufzubauen.<br />
Ihr Film „Nur eine Frau“ erzählt die<br />
Geschichte von Hatun Sürücü, einer<br />
Berliner Türkin, die 2005 von ihren<br />
Brüdern ermordet wurde. Der Ehrenmord<br />
erschütterte nicht nur in Berlin<br />
sehr viele Menschen. Erinnern Sie<br />
sich, wie Sie das d<strong>am</strong>als erlebten?<br />
Ja, ich war ungefähr 14, als es passierte.<br />
Meine Eltern haben darüber berichtet,<br />
haben es mir auch erzählt. Ich weiß noch,<br />
dass ich sehr betroffen war – aber gleichzeitig<br />
darüber auch nichts wissen wollte.<br />
Warum nicht?<br />
Der Fall und die Aufmerks<strong>am</strong>keit hatten<br />
ja Folgen. Ich dachte, na toll, jetzt passiert<br />
hier so etwas. Ich versuche die<br />
ganze Zeit, den „Vorbild-Kanaken“ zu<br />
repräsentieren, und jetzt hassen uns die<br />
Deutschen wieder, haben Angst vor uns.<br />
Haben Sie sehr unter diesen Vorurteilen<br />
gelitten?<br />
Wir hatten – wir haben – eben ständig<br />
diesen Druck. Wir müssen uns immer beweisen.<br />
Alleine wenn ich eine Wohnung<br />
bekommen will: Bevor mich die Menschen<br />
kennenlernen, sind sie von dem<br />
N<strong>am</strong>en erst mal abgeschreckt. Das war<br />
für mich als Kind ein riesiges Problem.<br />
Und es war das Größte, als ich dann mal<br />
in der fünften Klasse zum Kinderfest des<br />
Bundespräsidenten durfte, von meiner<br />
Schule aus. Da dachte ich, wow, es lohnt<br />
sich, sich anzustrengen. Die Leute nehmen<br />
dich wirklich wahr. Das war wichtig.<br />
Almila Bagriacik<br />
Schauspielerin<br />
Almila Bagriacik wurde <strong>am</strong><br />
10. Juli 1990 in der türkischen<br />
Hauptstadt Ankara geboren. Als<br />
sie fünf war, zogen ihre Eltern,<br />
Korrespondenten einer großen<br />
türkischen Zeitung, mit ihr nach<br />
Deutschland. Sie ging in Berlin<br />
zur Schule, begann nach dem<br />
Abitur ein Regie-Studium. 2008<br />
wurde sie bei einem Konzert in<br />
dem Kreuzberger Club SO36 von<br />
einem Fotografen entdeckt und<br />
zu einem Casting eingeladen.<br />
Ihre erste Rolle bek<strong>am</strong> sie in dem<br />
Film „Die Fremde“, der von einem<br />
Ehrenmord handelt. Es<br />
folgten Engagements für Serien<br />
und Filme. Für ihre Rolle in „Die<br />
Opfer – Vergesst mich nicht“, der<br />
Trilogie über die NSU-Morde,<br />
wurde sie mit dem Deutschen<br />
Fernsehpreis ausgezeichnet. Ihr<br />
neuer Kinofilm „Nur eine Frau“ ist<br />
ab 9. Mai im Kino zu sehen.<br />
Hatun Sürücü sieht man durch Kreuzberg<br />
laufen, in Jeans, Hip-Hop auf den<br />
Kopfhörern, ein junges, modernes<br />
Mädchen – wenig später ist sie die<br />
verschleierte Frau, die zwangsverheiratet<br />
wird. Kannten Sie selbst Mädchen,<br />
die so ein Doppelleben führten?<br />
Wenige. Ich hatte auch mit der türkischen<br />
Community als Jugendliche wenig<br />
zu tun, war davon eher genervt. Die<br />
Türken in Berlin waren für mich einfach<br />
anders als in der Türkei.<br />
Rückständiger?<br />
Auch. Wenn man sein Land verlässt,<br />
versucht man vermutlich, die Zeit und<br />
die Kultur, die man kannte, festzuhalten.<br />
Aber die Zeit zieht weiter. Die erste<br />
Generation waren ja größtenteils auch<br />
Gastarbeiter, die aus sehr einfachen<br />
Verhältnissen k<strong>am</strong>en, sich stärker an<br />
Strukturen und Traditionen orientierten<br />
als meine F<strong>am</strong>ilie. Aber ich habe als<br />
Jugendliche ohnehin rebelliert, wollte<br />
mich immer querstellen. Meine Eltern<br />
haben dann einen guten Weg gefunden,<br />
mich da reinzuholen, sie haben ja vor allem<br />
über diese türkische Community in<br />
Deutschland berichtet. Sobald wir in<br />
Kreuzberg essen waren, k<strong>am</strong>en alle an<br />
den Tisch und grüßten, sie kannten<br />
wirklich jeden. Einmal habe ich einen<br />
Kurzfilm gedreht, in Kreuzberg, da gab<br />
es eine gespielte Szene mit einem Streit<br />
auf der Straße. Und die haben sofort<br />
meinen Vater angerufen: „Komm mal<br />
her, deine Tochter hat Stress mit einem<br />
Typen. Wir sind alle da und passen auf,<br />
aber komm mal lieber.“ Mein Vater hat<br />
erst mal mitgespielt, es dann aber aufgelöst.<br />
Mein Schauspielkollege war total<br />
überfordert, weil ihn alle böse anguckten.<br />
Das war schon auch ein schönes<br />
Gefühl, dass da aus jedem Laden jemand<br />
guckt, und alle hinter mir stehen.<br />
Die Männer in „Nur eine Frau“ sind<br />
mehrheitlich keine Sympathieträger,<br />
genauso wie in „4 Blocks“. Sie alle erfüllen<br />
die Vorstellungen von jungen,<br />
aggressiven, kriminellen Männern<br />
mit Migrationshintergrund, die sich<br />
jeder Entwicklung verweigern.<br />
Ich weiß nicht, ob man das so sagen<br />
kann. Auch die Männer sind in bestimmten<br />
Situationen gefangen. Beim Thema<br />
Zwangsheirat etwa sollte man nicht vergessen,<br />
dass ja beide zwangsverheiratet<br />
werden. Der Junge möchte das im Zweifel<br />
ja auch nicht. Aber ja, es sind sehr tes-<br />
tosterongeladene Rollen. Das ist bei der<br />
Serie aber auch das Genre.<br />
Wie wichtig ist Ihnen, welche Art<br />
Frauenfigur Sie verkörpern?<br />
Ich bin jetzt nicht die große Feministin.<br />
Ich glaube an die Tatsache, dass wir uns<br />
alle einfach als Menschen begegnen<br />
müssen. Die ganze MeToo-Debatte<br />
zum Beispiel war wichtig: Dass sie an-<br />
fängt, dass man Hierarchien und wie sie<br />
gebaut werden, hinterfragt und zum<br />
Beben bringt. Aber jetzt liegt es auch an<br />
uns Frauen, aus dieser Opferhaltung<br />
rauszukommen. Ich bin kein Opfer, d<strong>am</strong>it<br />
mache ich den anderen nur wieder<br />
mächtig. Ich kann Nein sagen. Ich kann<br />
auch als Schauspielerin zu Dingen Nein<br />
sagen. Zu Texten, mit denen ich nichts<br />
anfangen kann. Oder auch zu der Idee,<br />
dass ich, wie in den späteren Folgen<br />
von „4 Blocks“, als meine Figur Amara<br />
das Kopftuch abnehmen könnte. Offenbar<br />
als Symbol für ihre Unabhängigkeit.<br />
Sie will ihren Mann verlassen und<br />
nimmt ihr Kopftuch ab? Das ist hier<br />
nicht authentisch. Amara trägt das<br />
Kopftuch aus eigener Überzeugung!<br />
Der Rest der F<strong>am</strong>ilie in der Serie trägt<br />
es nicht. Sie trägt es als Krone. Ich trage<br />
es als Amara so – anders als ich es als<br />
Hatun Sürücü trage. Dazwischen liegen<br />
<strong>Welt</strong>en! Es gibt auch Frauen, die sich<br />
mit Kopftuch freier fühlen, und von<br />
den müssen wir auch erzählen. Warum<br />
mischen wir uns in das Privatleben anderer<br />
Menschen ein?<br />
Weil es Fälle gibt, bei denen das Kopftuch<br />
ein Instrument der Unterdrückung<br />
ist und man nicht zusehen will?<br />
Das Problem ist aber, dass man anfängt,<br />
alle so anzusehen. Und d<strong>am</strong>it die Frauen,<br />
die sich d<strong>am</strong>it wohlfühlen, nicht respektiert.<br />
Man bevormundet sie, macht<br />
also genau das, was man den Männern<br />
vorwirft. Dieses: „Du willst das eigentlich<br />
gar nicht tragen, du weißt das nur<br />
noch nicht“ – da könnte ich echt durchdrehen.<br />
Die westlich emanzipierte, starke<br />
Frau meint, alles schon zu wissen<br />
und gesehen und erlebt zu haben und<br />
dem Mädchen mit Migrationshintergrund<br />
die <strong>Welt</strong> erklären zu müssen. Ich<br />
möchte respektiert werden dafür, dass<br />
ich keines trage. Und ich respektiere<br />
Frauen, die es tragen. In meiner F<strong>am</strong>ilie<br />
trug es keine. Nur meine Omas. Weil ihre<br />
Haare grau geworden waren.<br />
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34 KULTUR<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
PICTURE ALLIANCE/EVERETT COLLECTION/WARNER BROS.<br />
P-A/ DPA/DPA-FILM WARNER; P-A / DPA<br />
Flug im Studio Im ersten „Matrix“-Film von 1999 kämpft Neo (Keanu Reeves, l.) gegen Smith (Hugo Weaving), der Schwerkraft zum Trotz. Beide hingen an Seilen, der<br />
Hintergrund ist digital hinzufügt – mittlerweile eine gängige Technik<br />
Sein doppeltes Auge<br />
Vor genau zwanzig Jahren k<strong>am</strong>en Gerüchte<br />
auf, dass da ein Kinofilm nahte, der alles<br />
verändern könnte. „Matrix“ galt als Fusion<br />
von Philosophie und Blockbuster, wo<br />
die Helden mit einer Zuckung abgefeuerten<br />
Kugeln ausweichen, Keanu Reeves seine Software<br />
in Baudrillards Buch über Medientheorie versteckt<br />
und Philip K. Dicks Vermutung bestätigt wird, dass wir<br />
alle nur in einer simulierten Realität leben. Und dann?<br />
„Matrix“ und die Wachowski-Brüder wurden berühmt,<br />
setzten neue Standards. Doch was ist mit John Gaeta,<br />
ohne den es das alles nicht gegeben hätte?<br />
VON HANNS-GEORG RODEK<br />
Wir betreten mit John Gaeta den Hospitalhofgarten<br />
im Herzen der Stuttgarter Innenstadt. Ein wenig sieht<br />
es dort aus wie in der Zimmerflucht <strong>am</strong> Ende von Kubricks<br />
„2001“ mit ihrer Mischung aus Futurismus,<br />
Louis-XVI-Möbeln und antiken Statuen; hier die Originalwand<br />
einer kriegszerbombten Kirche mit Spitzbogenfenstern,<br />
dort die regelmäßigen Rechtecke einer<br />
Bürofassade; hier ein Beetgeviert mit Dutzenden von<br />
Rosenstöcken, da nackte Betontische. Gaeta gefällt die<br />
Umgebung. 53 ist er nun. Als er den Oscar für „Matrix“<br />
entgegennahm, war er 34. Ein früher Geniestreich.<br />
Gaetas Kugel, also der Trick mit den Matrix-Projektilen,<br />
war nichts weniger als der Startschuss zu einer<br />
neuen Phase der Zivilisation. Greifen wir ruhig so<br />
hoch. Um das Projektil herum geschieht im Bildraum<br />
des Films eine Menge. Agent Smith weicht, schneller<br />
„Matrix“ veränderte vor<br />
zwanzig Jahren das<br />
Kino – vor allem durch<br />
die virtuellen Effekte von<br />
John Gaeta. Bis heute<br />
ist er der Guru der Szene<br />
Schob eine Revolution an John Gaeta, 53<br />
PA/MARY EVANS PICTURE LIBRARY<br />
als unser Auge das registrieren kann, Neos Kugeln aus.<br />
Und Neo tut es genauso. Die K<strong>am</strong>era bewegt sich frei<br />
zwischen allem.<br />
Das war die Aufhebung eines optischen Naturgesetzes.<br />
Vier verschiedene Geschwindigkeiten in einem<br />
Bild: die der Kugel, die von Smith, die von Neo, die der<br />
K<strong>am</strong>era. Ja, im Trickfilm konnte man das, „Matrix“<br />
verdankt viel den Animes. Aber im Realfilm?<br />
In der Praxis zuckten zunächst Neo und Smith vor<br />
einem grünen Hintergrund hin und her und wurden<br />
gefilmt. Diese Bilder lud man in einen Computer und<br />
legte ein Raster darüber, auf dem die gewünschten K<strong>am</strong>erabewegungen<br />
markiert wurden. Dann stellte man<br />
Dutzende Fotok<strong>am</strong>eras entlang des K<strong>am</strong>erapfads auf,<br />
und jede schoss eine Aufnahme. Auch die wurden<br />
hochgeladen, Animatoren füllten die Leerstellen zwischen<br />
den Bildern mit hochgerechneten Aufnahmen –<br />
und alles wurde mit den Greenscreenbildern vermengt.<br />
D<strong>am</strong>it hatte Gaeta eine unüberwindbare Barriere<br />
überwunden und war in den dreidimensionalen virtuellen<br />
Raum eingedrungen. Warner Bros. (der „Matrix“-Produzent)<br />
ließ Gaetas „Bullet Time“ als Markenzeichen<br />
eintragen, von „time slicing“ und „view<br />
morphing“ war nun auch die Rede.<br />
Zwei Begriffe steuerte Gaeta selbst bei: „virtual cinematography“<br />
(virtuelle K<strong>am</strong>era) und „virtual effects“<br />
(virtuelle Effekte), beide stehen für Gaetas Vision.<br />
Seit der letzten „Matrix“ („Revolutions“) hat er<br />
nur an drei Filmen offiziell mitgewirkt. Stattdessen<br />
forschte er weiter. Eines seiner Ergebnisse: Die Virtu-<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 KULTUR 35<br />
al-Reality-Technik mits<strong>am</strong>t ihrer klobigen Brillen ist<br />
für ihn nicht das Maß der Dinge. Sie ist allenfalls ein<br />
Teil der Zukunft.<br />
„Eine Geschichte“, doziert Gaeta, „st<strong>am</strong>mt von einem<br />
Autor. Ein Autor absorbiert alles, was mit ihm<br />
und in der Umgebung geschieht. Die Wirklichkeit ist<br />
die Quelle, sie diffundiert in den Kopf, vermischt sich<br />
mit Erfahrungen – und heraus kommt ein Narrativ.<br />
Geschichtenerzählen ist ein linearer und vorbestimmter<br />
Vorgang. VR hingegen ist eine Quelle, eine Erfahrung,<br />
mit der man später etwas anstellen kann.“ Die<br />
Virtual Reality sei demnach ein „Konstrukt, um darin<br />
Erfahrungen zu machen“.<br />
Diesem Konstrukt jagt Gaeta hinterher. Hinter der<br />
Technik, mit der er selbst eine Matrix bauen kann, eine<br />
Matrix für jedes Haus, jede Straße, jede Stadt. Die<br />
<strong>Welt</strong> wird virtuell verdoppelt, wird ein Raum, den jeder<br />
mit seinen Geschichten befüllen kann.<br />
TECHIE-KONFERENZ Gaeta hat gerade bei der FMX,<br />
einer der wichtigsten Fachkonferenzen für digitale<br />
Unterhaltung, seine Visionen vorgestellt. Der Hospitalhofsaal<br />
war voll von Techies, wie besoffen von der<br />
Unendlichkeit, die vor ihnen liegt. Keiner erwähnte<br />
das Wort „Datenschutz“, Gaeta tat es, gleich mehrfach.<br />
Er kennt die Deleuze-Definition: „Gott schuf den<br />
Menschen nach seinem Bilde und seiner Ähnlichkeit,<br />
doch durch den Sündenfall hat der Mensch die Ähnlichkeit<br />
verloren, das Bild aber bewahrt.“ Das war ja einer<br />
der Kerne der „Matrix“, der Mensch und seine<br />
Trugbilder, die ihre moralische Dimension verloren<br />
haben und in eine rein ästhetische Existenz überwechseln.<br />
Einer von Gaetas Jüngern, Anfang dreißig und mit<br />
Vollbart, hat das Mikrofon okkupiert und seine Visionen<br />
begeistert ausgemalt. 30 Jahre noch, schwärmte<br />
er, dann seien digitale und Biotechnologie so weit,<br />
dass man reale <strong>Welt</strong>en und Körper endlich zum alten<br />
Eisen werfen könne. Darauf freue er sich schon.<br />
In diesem Moment wurde der sonst konziliante<br />
Gaeta resolut: „Da bin ich komplett anderer Meinung.“<br />
Er glaube nicht, dass wir uns jemals ausschließlich<br />
in virtuellen Räumen bewegen werden. Er gehe<br />
gern in die Natur. „Pokémon Go“ sei auch deshalb ein<br />
großartiges Experiment gewesen, weil es uns durch<br />
die reale <strong>Welt</strong> habe laufen lassen.<br />
Gaeta setzt auf etwas, das er MR (Mixed Reality)<br />
nennt, eine Mischung aus Wirklichkeit und digitalen<br />
Schimären. Gaeta öffnet auf unserer Betonbank seinen<br />
Aktenkoffer, eine dieser VR-Brillen liegt darin.<br />
„Wollen Sie wirklich einen Kasten auf ihrem Kopf tragen?<br />
Nein, das wollen Sie nicht. Diese Brillen sind<br />
zwar ein kleines Wunder an Miniaturisierung, enthalten<br />
aber immer noch unglaublich viel Technik. In drei<br />
bis fünf Jahren wird das auf die Größe einer normalen<br />
Brille geschrumpft sein. Die Datenverarbeitung wird<br />
in Sender delegiert sein, die <strong>am</strong> Wegesrand stehen wie<br />
heute Mobilfunkstationen.“<br />
Neben dem VR-Ungetüm liegt seine Lesebrille. „Mit<br />
so etwas werden wir reale und virtuelle Realität mischen.<br />
Ich könnte dann im Hospitalgarten einen Elefanten<br />
erscheinen lassen, als Hologr<strong>am</strong>m. Ich könnte<br />
mich als Avatar in diesen Raum begeben. Ich könnte<br />
den Elefanten erwachen lassen, vielleicht fühlt er sich<br />
hungrig, er erblickt die Baumstämmchen und fängt an,<br />
die Rosen aufzufressen. Das ist der Durchbruch, vor<br />
dem wir stehen. Ich nenne es das Rechnen-im-Raum-<br />
Paradigma. Die Matrix war der Anfang, da haben wir<br />
begonnen, uns in virtuellen Räumen frei zu bewegen.“<br />
Gaeta schätzt, dass wir in zehn Jahren so weit sein<br />
werden.<br />
„Gut, Mr. Gaeta, jetzt aber bitte noch eine Spinnerei,<br />
komplette Science-Fiction.“ Er überlegt nicht lange.<br />
„Ich möchte elektrochemisches Kino machen. Am<br />
Ende dieses Jahrhunderts werde ich 130 Jahre alt sein,<br />
aber ich denke, um das Jahr 2065 herum werde ich mir<br />
mein Gehirn in den Kopf eines Klons verpflanzen lassen,<br />
der Anfang zwanzig ist. Bis dorthin sollte der militärisch-industrielle-wissenschaftliche<br />
Komplex einen<br />
Weg gefunden haben, um Bilder direkt in die Gehirne<br />
zu importieren, und eine Milliarde Menschen<br />
wird an der Premiere des ersten elektrochemischen<br />
Films teilnehmen. Ist das genug gesponnen?“<br />
Kevin Morby<br />
Wie hält Kevin Morby es mit der Religion?<br />
Zumindest scheint er an die Wiedergeburt zu<br />
glauben – auf seinen bisherigen vier Studioplatten<br />
hat er sich stets neu erschaffen. „Singing<br />
Saw“ (2016) huldigte dem Folk gemäß der Dylan-Bibel,<br />
das vom großen Richard Swift, Gott<br />
habe ihn selig, produzierte „City Music“ (2017)<br />
blickte zu Lou Reed und den R<strong>am</strong>ones auf. „Oh<br />
My God“ montiert einen Heiligenschein über<br />
dem Prinzip Konzeptalbum und widmet sich<br />
der Religiosität aus verschiedenen Perspektiven<br />
(„Piss River“ thematisiert das Beten, „Congratulations“<br />
die Beichte). Die Klangästhetik<br />
orientiert sich an der Pop-Art-Kunst; die Reduktion<br />
auf bestimmte Farben und Formen<br />
bedeutet hier: viel Piano, pastoraler Chorgesang<br />
und ein omnipräsentes Saxofon, das viel<br />
sympathischer klingt als sein von den Achtzigern<br />
versauter Ruf. „OMG Rock ’n’ Roll“ ist<br />
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36 KULTUR<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
D<strong>am</strong>e Ethel Smyth<br />
Feministisch, furchtlos, voll feiner Melancholie<br />
Rosy Wertheim<br />
Komponieren, bis die Deutschen kommen<br />
Frauen sollen, hat sie mal gesagt,<br />
„sollen nicht dauernd an<br />
der Küste herumlungern aus<br />
Angst davor, in See zu stechen“. Sie<br />
war vom St<strong>am</strong>m der Pioniere, wie es<br />
Virginia Woolf mal sagte, mit der sie<br />
ein Verhältnis hatte. Angst hatte D<strong>am</strong>e<br />
Ethel Smyth, Frauenrechtlerin,<br />
Schriftstellerin, Komponistin, nie.<br />
Vor nichts. Sie – geboren 1858 in Britanniens<br />
höherer Bürgerschicht –<br />
stach immer in See. Und um sich stechen<br />
konnte sie auch. Smyth ist die<br />
GETTY IMAGES/HULTON ARCHIVE<br />
schillerndste Figur der Frauenmusikgeschichte.<br />
Um Komposition studieren<br />
zu können, ging das unbeherrschbare<br />
Mädchen in Hungerstreik.<br />
Die Eltern waren einigermaßen<br />
froh, sie, die mit ihrer sexuellen<br />
Orientierung nicht hinterm Berg<br />
hielt, los zu sein. Sie wurde Komponistin.<br />
Lernte alle kennen. Clara<br />
Schumann, Tschaikowsky. Ärgerte<br />
sich über Brahms. Der fand eine ihrer<br />
Fugen toll, bis er merkte, dass sie<br />
von einer Frau st<strong>am</strong>mte. Ihre Werke<br />
k<strong>am</strong>en, wo sonst keine Musik von<br />
Frauen hink<strong>am</strong>. In die Royal Albert<br />
Hall. In die Met (wo „Der Wald“ hundert<br />
Jahre lang die einzige Oper einer<br />
Frau war). Ins Gefängnis Holloway,<br />
wo sie den „Women’s March“<br />
komponierte, eine Feministen-Hymne.<br />
Gelandet war sie da, weil sie 1912<br />
mit den Suffragetten demonstriert<br />
hatte. Das Schillern überstrahlt ihr<br />
Werk ein wenig. Sollte es nicht. Sehr<br />
deutsch, sehr britisch. Selbstbewusst.<br />
Voll feiner Melancholie und<br />
eigenwilliger Herbheit. Ihre „postmoderne<br />
Spätromantik“ kann zwischen<br />
all den andern britischen<br />
Eklektizisten gut bestehen.<br />
Wer sich mit der Geschichte<br />
komponierender Frauen<br />
beschäftigt, läuft ziemlich<br />
schnell Gefahr, von einer handfesten<br />
Schwermut befallen zu werden. Weil<br />
man ziemlich schnell von der Frage<br />
eingeholt wird, was gewesen wäre,<br />
wenn ... Rosy Wertheim zum Beispiel.<br />
Als Tochter eines hochmögenden<br />
und gesellschaftlich engagierten<br />
jüdischen Amsterd<strong>am</strong>er Bankiers<br />
1888 geboren. Wollte was Soziales<br />
machen. Die F<strong>am</strong>ilie wollte sie<br />
schützen vor dem, was ihr dabei an<br />
Elend begegnen könnte, ließ sie lieber<br />
Musik studieren. Rosy wird eine<br />
der ersten diplomierten Komponistinnen<br />
der Niederlande. Unterrichtet,<br />
macht Musik mit Kindern aus<br />
dem gesellschaftlichen Abseits. Das<br />
ist ihr wichtiger als das Komponieren.<br />
Sie geht für sechs Monate nach<br />
Paris. Bleibt sechs Jahre. In ihrem<br />
Salon kommen die großen Neoklassizisten<br />
zus<strong>am</strong>men. Sie lernt. Sie<br />
komponiert. Berichtet für Zeitungen<br />
und Magazine in den Niederlanden.<br />
Nimmt in Wien Unterricht beim<br />
Mahler-Schüler Karl Weigl. Hat Erfolg<br />
in New York. Dann überfallen<br />
die Deutschen die Niederlande.<br />
Wertheim veranstaltet Geheimkonzerte<br />
mit Musik jüdischer Komponisten,<br />
muss sich verstecken, überlebt<br />
im Gegensatz zum Großteil ihrer<br />
F<strong>am</strong>ilie. Nach dem Krieg kommt<br />
der Krebs. Knapp hundert Werke<br />
hinterlässt Rosy Wertheim 1949.<br />
Sehr französisch ist das. Sehr leicht<br />
und musikantisch verspielt, dezent<br />
aufgeraut mit jüdischen Elementen.<br />
NEDERLANDS MUZIEK INSTITUUT<br />
Mehr musikalische<br />
Neugier, bitte!<br />
Johanna Senfter<br />
Regers Meisterschülerin – ein Tanz der Harmonien<br />
Emilie Mayer<br />
Pionierin der musikalischen Unabhängigkeit<br />
Wäre ich keine Frau, hätte<br />
ich’s leichter“ – dem Satz<br />
hätten beinahe alle Komponistinnen<br />
auf dieser Seite zugestimmt.<br />
Johanna Senfter hat ihn gesagt.<br />
Er ist eine glatte Untertreibung.<br />
In Johanna Senfter und ihrer<br />
Musik bündelt sich einiges, was Musik<br />
von Frauen den Weg ins Repertoire<br />
verbaut. 1879 geboren in eine<br />
gut situierte Großbürgerf<strong>am</strong>ilie im<br />
rheinhessischen Oppenheim, wurde<br />
ihr musikalisches Talent früh erkannt<br />
und gefördert. Eine Diphterieerkrankung<br />
schwächte ihre gesundheitliche<br />
Konstitution für den Rest<br />
ihres Lebens. Sie studierte in Frankfurt,<br />
dann nahm sich Max Reger ihrer<br />
an, sie wurde seine Meisterschülerin,<br />
gewann 1910 den Nikisch-Preis<br />
für die beste studentische Komposition<br />
des Jahres 1909. Scheu war Senfter,<br />
lebte zurückgezogen, schrieb für<br />
sich und Oppenheim. Und wurde in<br />
Oppenheim weltberühmt. Gründete<br />
Konzertreihen, den Bachverein. Gut<br />
150 Werke hat sie hinterlassen, als sie<br />
1961 starb, viel K<strong>am</strong>mermusik, neun<br />
Sinfonien. Musik, die alles hat, was<br />
man von Reger lernen kann, und alles,<br />
was seiner Musik abgeht. Senfter<br />
tanzt mit jenen Harmonien, die bei<br />
Reger gern bloß schnaufen, und lässt<br />
darüber in einem einzigen Violinsonatensatz<br />
mehr melodischen<br />
Charme schweben, als Reger es in<br />
zwei Dutzend von ihnen hinbekommen<br />
hätte. Sie hat Witz, Eleganz.<br />
Baut schöne Auffahrten für die vergessene<br />
Brücke zurück ins 19. Jahrhundert.<br />
Was – denn den Avantgarde-Scharfrichtern<br />
nach dem Zweiten<br />
<strong>Welt</strong>krieg war jeder spätromantische<br />
Schönklang suspekt – ihrer Entdeckung<br />
lange im Weg stand. Jetzt hat<br />
sie Fürsprecher. Jetzt wird sie entdeckt.<br />
<strong>Welt</strong>musik aus Oppenheim.<br />
PALADINO<br />
Um mal die Atmosphäre herbeizuzitieren,<br />
in der Komponistinnen<br />
gegen den Erstickungstod<br />
zu kämpfen hatten (und<br />
haben): „Was weibliche Kräfte“,<br />
schrieb die „Neue Berliner Musikzeitung“<br />
im Jahre 1850, „Kräfte zweiter<br />
Ordnung vermögen – das hat Emilie<br />
Mayer errungen und wiedergeben“.<br />
Emilie Mayer wird das geärgert haben.<br />
Beirren hat sie sich davon nicht<br />
lassen. Die 1812 geborene Apothekertochter<br />
aus dem mecklenburgischen<br />
Friedland hatte es nicht nur zur Bezeichnung<br />
„weiblicher Beethoven“<br />
gebracht, sondern mit Selbst- und<br />
ÖNB<br />
Sendungsbewusstsein, Netzwerkerei<br />
und intellektuellem Geschick zur<br />
wohl ersten selbstständigen Komponistin<br />
der Musikgeschichte. Mit fünf<br />
beginnt sie mit Klavierspielen und<br />
Komponieren. Als ihr Vater sich 1840<br />
das Leben nimmt, geht sie nach Stettin<br />
und wird Schülerin von Carl Loewe.<br />
Dann nach Berlin, wo sie einen<br />
Salon eröffnet und sich bis an die<br />
Spitzen des preußischen Hofes<br />
hochkomponiert. Dann in die europäische<br />
Musikwelt. Mit Niedlichkeiten<br />
hat sich Emilie Mayer („Mayer,<br />
E., Komponistin“ lässt sie ins Stettiner<br />
Adressbuch schreiben) nie aufgehalten.<br />
Ihre Musik strotzt vor Eigensinn<br />
und Selbstbewusstsein. Ihre<br />
großformatigen acht Sinfonien, neun<br />
Streich- und drei Klavierquartette,<br />
ihre Klaviersonate, ihr Klavierkonzert<br />
treten mit Aplomb auf, gehen<br />
die Beethoven- und Schubert-Straße<br />
auf einem interessanten Nebenweg<br />
weiter. Würde der notorisch unterneugierige<br />
Musikbetrieb wirklich ein<br />
Bild der musikalischen Romantik<br />
zeichnen wollen, könnte er jedes<br />
dritte Grieg-Klavierkonzert durch<br />
das von Emilie Mayer ersetzen.<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 KULTUR 37<br />
Mel Bonis<br />
So klingt der Soundtrack zu Prousts <strong>Welt</strong><br />
Clara Schumann<br />
Die Bekannteste, aber längst nicht die Einzige<br />
ASSOCIATION MEL BONIS<br />
Frauen mussten – wollten sie<br />
Komponistinnen werden –<br />
selbst in gesellschaftlichen<br />
Schichten eigensüchtige Riesen sein,<br />
in denen eine musikalische Grundausbildung<br />
für Mädchen zum guten<br />
Ton gehörte. Wo das nicht der Fall<br />
war, mussten sie Giganten sein. Mel<br />
Bonis war eine Gigantin. Im kleinbürgerlichen<br />
Elternhaus stand zwar<br />
ein Klavier. Benutzt hat es aber nur<br />
die 1858 geborene Mélanie Hélène.<br />
Sie spielt so lange für sich, bis es jemandem<br />
auffällt. Da ist sie zwölf. Sie<br />
ist 18, als César Franck sie fürs Konservatorium<br />
vorschlägt. Dort sitzt<br />
sie mit Claude Debussy in einer Klasse.<br />
Der Vater knirscht mit den Zähnen.<br />
Als Mélanie den angehenden<br />
brotlosen Komponisten Amédée<br />
Hettich zu lieben beginnt, ist<br />
Schluss. Mélanie muss heiraten – einen<br />
zwanzig Jahre älteren Witwer.<br />
Bringt ihm Kinder zur <strong>Welt</strong>. Komponiert<br />
erst weiter, als sie Hettich wiedertrifft.<br />
Sie wird als erste Frau Sekretär<br />
der Société des Compositeurs.<br />
Sitzt da neben C<strong>am</strong>ille Saint-Saëns.<br />
Der sagt, als er Bonis’ 1905 (wie alles<br />
unter dem geschlechtsneutralen<br />
Vorn<strong>am</strong>en Mel) erschienenes erstes<br />
Klavierquartett hört, dieses Riesengebirge<br />
der Postromantik: „Ich hätte<br />
nie geglaubt, dass eine Frau so etwas<br />
schreiben kann. Sie kennt alle Tricks<br />
des Komponistenhandwerks.“ Der<br />
Krieg bereitet der Proustschen <strong>Welt</strong>,<br />
deren Klangbilder sie ausmalte, ein<br />
Ende. Ihre Kräfte schwinden. Sie<br />
komponiert in der Matratzengruft<br />
weiter. Verbittert über die <strong>Welt</strong>, die<br />
sie nicht mehr versteht, die sie vergisst.<br />
Die Klavierquartette bleiben.<br />
Meisterwerke, wie sie Kollegen selten<br />
hinbekommen haben.<br />
Dem gewöhnlichen Klassik-<br />
Konzertgänger, nach N<strong>am</strong>en<br />
komponierender Frauen gefragt,<br />
fallen in der Regel zwei ein.<br />
Clara Schumann, deren 200. Geburtstag<br />
jetzt deutschlandweit gefeiert<br />
wird, und Fanny Hensel, geborene<br />
Mendelssohn. Das Alleinstellungsmerkmal<br />
der beiden im Musikgedächtnis<br />
und -betrieb ist die Spätfolge<br />
der – immer noch anhaltenden<br />
– Nachwirkung einer Entwicklung,<br />
die seit Beginn der Aufklärung und<br />
dem Aufstieg des Bürgertums den<br />
Spielraum für komponierende Frauen<br />
immer enger gemacht hatte.<br />
Eine Frau konnte kaum mit einer<br />
schlechteren Begabung geschlagen<br />
ROBERT-SCHUMANN-HAUS ZWICKAU<br />
sein als der zum Tonsetzen. „Die<br />
Musik wird für Felix vielleicht Beruf,<br />
während sie für Dich stets nur Zierde,<br />
niemals Grundbass Deines Seins<br />
und Tuns werden kann und soll.“<br />
Schreibt Abrah<strong>am</strong> Mendelssohn seiner<br />
14-jährigen Tochter Fanny, um<br />
ihr die Begrenztheit des musikalischen<br />
Raumes zu zeigen, der ihr als<br />
Frau zusteht. Felix wird ihr keine Befreiung<br />
sein, eher ihr Türhüter.<br />
Ein knappes Jahrhundert später<br />
bekommt Germaine Tailleferre, später<br />
einzige Frau in der „Groupe des<br />
Six“ (das mächtige Häuflein französischer<br />
Neoklassizisten), vom Vater<br />
zu hören, es sei ihm egal, ob seine<br />
Tochter aufs Konservatorium geht<br />
oder auf den Strich.<br />
Bis heute sind Frauen im notorisch<br />
entdeckungsfaulen Konzertbetrieb<br />
deutlich schlechter vertreten<br />
als im Museum. Gebraucht wird aber<br />
keine Quote, kein Frauenmusikgetto.<br />
Neugier würde schon reichen und<br />
Wagemut auf allen Seiten. An möglichen<br />
Entdeckungen mangelt es<br />
nicht. Die sieben Komponistinnen<br />
auf dieser Seite sind nur ein minimaler<br />
Ausschnitt.<br />
In diesem Jahr wird der 200. Geburtstag von Clara Schumann<br />
gefeiert. Mit Fanny Mendelssohn-Hensel ist sie die einzige Komponistin,<br />
die der entdeckungsfaule Musikbetrieb einigermaßen regelmäßig<br />
aufführt. Zu schade, denn trotz aller Widerstände gab es immer<br />
wieder Frauen, die fantastische Werke komponiert haben.<br />
Vielschichtig, feingliedrig, raffiniert und schön Von Elmar Krekeler<br />
Francesca Caccini<br />
Musikalische Allzweckwaffe <strong>am</strong> Hofe der Medici<br />
Cécile Ch<strong>am</strong>inade<br />
Raus aus der Plüschigkeitsfalle<br />
Sag mal einer, die bürgerliche<br />
Gesellschaft böte Frauen<br />
mehr Freiheiten als die feudale.<br />
Wir waren nämlich schon mal<br />
weiter. Vor 400 Jahren. Mit Francesca<br />
Caccini, 1587 geborene Tochter<br />
von Giulio, Mitglied einer singenden,<br />
fahrenden, komponierenden F<strong>am</strong>ilie,<br />
gewissermaßen der Kellys von<br />
Florenz, angestellt <strong>am</strong> Hof der Medici.<br />
La Cecchina, der Singvogel, genannt,<br />
was eine gewaltige Untertreibung<br />
ist. Francesca Caccini ist eine<br />
Art musikalische Allzweckwaffe der<br />
MUSEO NACIONAL THYSSEN-BORNEMISZA, MADRID<br />
florentinischen Großherzöge. Unterrichtet<br />
den halben Hofstaat in allen<br />
musikalischen Belangen. Spielt alle<br />
möglichen Instrumente, singt, komponiert.<br />
Dicke Folianten voll. Teils<br />
Unterhaltungsmusik für den Karneval.<br />
Teils revolutionäres Unterrichtsmaterial<br />
für Sologesang. Einmal<br />
sorgt sie für diplomatische Verwirrung,<br />
als Frankreichs Heinrich IV.<br />
sie abwerben will. Als 1607 „La stiava“<br />
uraufgeführt wird, ist Francesca<br />
Caccini die wahrscheinlich erste<br />
Opernkomponistin der Geschichte.<br />
„Il liberazione di Ruggiero dall’isola<br />
d’Alcina“ bewegt den polnischen<br />
Kronprinzen Wladislaw, zu dessen<br />
Ehren „Ruggiero“ entstand, dazu, in<br />
Polen auch eine Oper haben zu wollen.<br />
Das Vergessen hat das alles lange<br />
Zeit nicht aufgehalten (wie das ihrer<br />
nicht minder interessanten früheren<br />
venezianischen Kollegin Barbara<br />
Strozzi). Inzwischen hat mit der Renaissance<br />
des Frühbarock auch eine<br />
Caccini-Renaissance eingesetzt. Ihre<br />
Lieder werden wieder gesungen. Machen<br />
jeden Sommertag zum Fest und<br />
jeden Vorgarten zum höfischen Park,<br />
durch den Grazien tanzen.<br />
Das f<strong>am</strong>iliäre Leben mit dem<br />
künstlerischen zu verbinden,<br />
hat Cécile Ch<strong>am</strong>inade mal<br />
gesagt, sei schon schwierig. „Wenn<br />
eine Frau einen Mann heiratet, der<br />
die Künstlerin in ihr achtet, kann eine<br />
solche Ehe auch Glück bringen.“<br />
Ch<strong>am</strong>inade, 1857 geboren, hat einen<br />
zwanzig Jahre älteren Verleger geheiratet.<br />
Da war sie 44 und hatte die<br />
„Zweckehe“, die ihr angedichtet<br />
wurde, gar nicht nötig. Mit sechs begann<br />
sie zu komponieren. Georges<br />
Bizet nannte sie „mon petit Mozart“,<br />
ein bisschen später staunte Kollege<br />
Ambroise Thomas nicht schlecht,<br />
aber bezeichnend: „Das ist keine<br />
komponierende Frau, sondern ein<br />
Komponist, der eine Frau ist.“ Sie<br />
schrieb viel. Sie schrieb leicht. Sie<br />
lieferte so etwas wie den Sound zu<br />
den Romanen von Proust. Verspielt,<br />
vielschichtig, feingliedrig, raffiniert<br />
und schön. Die Briten verliebten sich<br />
in ihre Musik. 1913 wurde sie als erste<br />
Komponistin in die französische Ehrenlegion<br />
aufgenommen. Dann<br />
brach der Krieg aus. Ch<strong>am</strong>inade leitete<br />
ein Soldatenkrankenhaus. Danach<br />
war es mit der Leichtigkeit in<br />
der <strong>Welt</strong> vorbei. „Der kleine Mozart“<br />
wurde 87 Jahre alt. Die Gesundheit<br />
ließ nach, sie und ihre gut 400 Werke,<br />
in denen sich die Schwerelosigkeit<br />
und die Farbenpracht des 19.<br />
Jahrhunderts ins 20. retteten, wurden<br />
vergessen. Allmählich ändert<br />
sich das. Anne Sofie von Otter entdeckte<br />
Ch<strong>am</strong>inades Lieder. Pianisten<br />
retten sie aus der Plüschigkeitsfalle.<br />
Es gibt kaum etwas Vergnüglicheres,<br />
als einen Nachmittag mit<br />
Cécile Ch<strong>am</strong>inade zu verbringen.<br />
GETTY IMAGES/HULTON ARCHIVE<br />
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38 KULTUR<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Und go, Sherlock! Szene mit dem<br />
smarten Filmhelden Pikachu<br />
WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC./COURTESY OF WARNER BROS. PICTURES<br />
Papa Pokémon, wo bist du?<br />
So oder so ähnlich hat es diese<br />
Szene schon tausendmal gegeben:<br />
Der Held durchstöbert<br />
eine verlassene Wohnung,<br />
er hört ein verdächtiges<br />
Geräusch und bewegt sich quälend<br />
langs<strong>am</strong> darauf zu. Der Fortgang dieser<br />
Szene muss natürlich variieren. Mal begegnet<br />
der Held einem gedungenen<br />
Mörder, mal findet er einen Gefesselten<br />
im Schrank, und manchmal ist es sein<br />
künftiger Sidekick, der ahnungslos mit<br />
Requisiten klappert.<br />
VON WIELAND FREUND<br />
„Meisterdetektiv<br />
Pikachu“ ist die<br />
Verfilmung von<br />
einem der urigsten<br />
Digitalspiele. Und<br />
ja, es geht um eine<br />
Monsterjagd –<br />
aber eine sehr<br />
anrührende<br />
Diesmal allerdings ist der Sidekick<br />
anders als alle, die ihm in der langen Geschichte<br />
des Big-Budget-Kinos vorangegangen<br />
sind. Hier lugt hinter einer<br />
Kommode ein kniehohes, knallgelbes<br />
Wesen mit Apfelbäckchen, Knopfaugen<br />
und einem blitzschlagförmigen<br />
Schwanz hervor: der hyperaktive Pikachu,<br />
das wohl berühmteste Pokémon<br />
von allen. Erstmals werden die weltberühmten<br />
Taschenmonster nun im Motion-Capture-Verfahren<br />
präsentiert. Hinter<br />
dem süßen „Meisterdetektiv Pikachu“<br />
mit der Sherlock-Holmes-Mütze<br />
etwa verbirgt sich die Mimik von Schauspieler<br />
Ryan Reynolds, vor ein paar Jahren<br />
noch „Sexiest Man Alive“.<br />
Pokémon, kurz für Pocket monster,<br />
sind die Wiedergänger der Digitalisierung.<br />
Sie sind älter als Google und Facebook<br />
und haben den G<strong>am</strong>eboy, die Einführung<br />
der Spielkonsole und sogar die<br />
Erfindung des Smartphones überlebt.<br />
Seit ein japanischer Vorstadt-Nerd und<br />
Insektens<strong>am</strong>mler n<strong>am</strong>ens Satoshi Tajiri<br />
die süßen Taschenmonster Anfang der<br />
Neunziger erfunden hat, haben sie jeden<br />
digitalen Evolutionssprung mitgemacht:<br />
Aus den verpixelten Videospielfiguren,<br />
die der Hersteller Nintendo auf<br />
den G<strong>am</strong>eboy brachte, sind vor erst drei<br />
Jahren die Stars des ersten Augmented-<br />
Reality-Spiels geworden, das massenhaft<br />
wirkt.<br />
Für 147 Millionen aktive Pokémon-<br />
Go-Spieler ist ein Pikachu hinter der<br />
Kommode deshalb völlig normal. Auf<br />
dem Weg zur Schule, zur Arbeit oder<br />
beim Spaziergang im Park fangen sie Pikachus<br />
Artgenossen quasi minütlich –<br />
etwa ein sich windendes, wieselähnliches<br />
Wiesenior auf dem Spielplatz oder<br />
ein triefendes, schneckenähnliches<br />
Schneckmag auf dem Bürgersteig. Wenigstens<br />
bei den 812 Pokéarten, die der<br />
Pokédex – das große Pokémon-Register<br />
– verzeichnet, ist mit der Biodiversität<br />
noch alles okay.<br />
Ein großer Pokémon-Realfilm ist, so<br />
gesehen, ein Rückschritt. Pokémon<br />
kommen schließlich aus digitaler Urzeit.<br />
„Meisterdetektiv Pikachu“ muss<br />
sich mächtig ins Zeug legen, um nicht<br />
nur ein millionenteures Anhängsel zu<br />
sein oder gleich der Kotau des guten alten<br />
Kinos vor einem viel jüngeren, viralen<br />
Phänomen.<br />
Außerdem stellt sich die Frage nach<br />
der Storyline. Filme haben Anfang, Höhepunkt<br />
und Schluss, Pokémon-Abenteuer<br />
hingegen sind archaischer und<br />
avantgardistischer organisiert: Ihre eigentliche<br />
Erzählung ist der Pokédex,<br />
der verzeichnet, welche Pokémon der<br />
Spieler schon gefangen hat.<br />
VERLUST DES GEDÄCHTNISSES Der<br />
„Meisterdetektiv“ ist also eine Hilfskonstruktion:<br />
Der junge Tim (Justice<br />
Elio Smith), die menschliche Hauptfigur<br />
des Films, ist der Sohn eines Privatdetektivs,<br />
der während einer Ermittlung<br />
angeblich verunglückt ist. Mit im<br />
Auto saß dessen Pokémon-Partner Pikachu,<br />
der allerdings – d<strong>am</strong>it das Rätsel<br />
ein Rätsel bleibt – beim Crash sein Gedächtnis<br />
verloren hat.<br />
Doch auch der Krimi gerät bald in<br />
Vergessenheit. Es gibt eine herrliche<br />
Szene, in der Regisseur Rob Letterman<br />
mit dem Pantomimen-Pokémon Pantimos<br />
sämtliche Tiefgarageninformantentreffen<br />
der Filmgeschichte parodiert,<br />
bevor „Meisterdetektiv Pikachu“<br />
zu einem Superheldenfilm mit Taschenmonstern<br />
mutiert: Batman der<br />
Kuscheltiere, Pokémon of the Galaxy.<br />
Irgendwo in den Tiefen der Pokémon-<br />
Überlieferung schlummert nämlich das<br />
alte Frankenstein-Motiv des künstlichen<br />
Super-Pokémon Mewtu, das sehr<br />
an die Superschurken der Superhelden-<br />
Comics erinnert. Plötzlich wird also viel<br />
durch die Luft gesaust, der klassische<br />
verrückte Millionär kommt ins Spiel<br />
und auch die Pokémon-Stadt Ryme City<br />
sieht jetzt nach Batmans Goth<strong>am</strong> aus.<br />
Aber selbst das ist bloß Doping fürs<br />
Kino – ein cineastischer Zaubertrank,<br />
mit dem der Film gurgelt, um im Vergleich<br />
mit der seit dreißig Jahren wachsenden<br />
Spielwelt nicht unterzugehen.<br />
Denn all die Geschichten des Pokédex –<br />
die geheimnisvollen Verwandlungen<br />
des Fuchs-Pokémon Evoli, das Wirken<br />
des seltenen Sinnoh-Steins, die kuriosen<br />
Abarten aus der Region Alola – kann<br />
der Film bestenfalls streifen, indem er<br />
einmal einen Pokéball, einmal die Shiny-<br />
Variante eines Pokémon und einmal einen<br />
Arenak<strong>am</strong>pf zeigt. Pokémonkenner<br />
wissen danach, was sie verpassen.<br />
Nichtkenner wissen danach nichts.<br />
Was vom Film bleibt, ist Überwältigung.<br />
Er punktet mit schierer Rechenkapazität.<br />
Sein Pikachu hat ein Fell, das<br />
vom Wind bewegt, vom Fluss durchnässt<br />
und vom Straßenstaub verdreckt<br />
werden kann; sein Tauros, ein Stier-<br />
Pokémon, galoppiert über schier endlose<br />
Weidegründe; und sein Enton, ein komischer<br />
Vogel, kann toll die Augen verdrehen<br />
und nicht bloß, wie bei Pokémon<br />
Go auf dem Handy, die Stummelflügel<br />
über dem Kopf zus<strong>am</strong>menschlagen.<br />
Wenn sich dann noch ein ganzer Landstrich<br />
als gewaltiges Chelterrar entpuppt<br />
– als Schildkröten-Pokémon, das<br />
eine Landschaft auf dem Rücken trägt –,<br />
hat der Film sein Pulver allerdings verschossen<br />
und muss zu seinen müden<br />
Plotpoints zurück: Er hat ja noch einen<br />
Vater zu finden, den Schurken zu besiegen<br />
und eine Liebesgeschichte zu erzählen.<br />
Das aber ist fast schon vergessen,<br />
wenn man nach der Vorstellung ins<br />
helle Licht der Wirklichkeit tritt, die<br />
Pokémon-App startet und gleich vor<br />
dem Kino ein echtes Digda fängt.<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 KULTUR 39<br />
Nachtgedanken<br />
Buch Kreisdenken, Fragengeprassel,<br />
Autobahn im Kopf:<br />
Jeder weiß, wie es ist, wenn<br />
man nachts wach liegt. Deswegen<br />
war Michèle Lemieux’<br />
Buch „Gewitternacht oder Wo<br />
endet die Unendlichkeit?“<br />
schon bei seinem Erscheinen<br />
1997 kein Kinderbuch. Auch<br />
wenn es mit seinen vielen<br />
Bildern und wenigen Sätzen so<br />
aussieht. Doch große Fragen<br />
brauchen keine großen Worte,<br />
um die Jahrzehnte zu überdauern.<br />
Die neue Ausgabe<br />
(Beltz & Gelberg, 240 Seiten,<br />
24,95 Euro)<br />
ist zudem ein<br />
Buchkunstwerk,<br />
das<br />
man immerzu<br />
anfassen<br />
und bestaunen<br />
will. In<br />
jedem Alter.<br />
Hören<br />
und<br />
Sehen<br />
Besuche im Gefängnis und in der<br />
Unendlichkeit: Was diese Woche in der<br />
Kultur passiert<br />
AUSGEWÄHLT VON BARBARA WEITZEL<br />
Tschechow heute<br />
Theater Während die Auswüchse<br />
des Kapitalismus Visionen<br />
von Enteignung und Volkseigentum<br />
in die politische<br />
Debatte zurückgebracht haben,<br />
hat in Anton Tschechows<br />
(1860–1904) Komödie „Der<br />
Kirschgarten“ keiner eine Idee,<br />
wie man Ranjewskajas Gutsidyll<br />
vor der Zwangsversteigerung<br />
bewahren könnte. Lieber<br />
träumt man sich in vergangene<br />
Zeiten. Am Ende lacht – sehr<br />
gegenwärtig – das Kapital.<br />
Auch <strong>am</strong> Theater Essen.<br />
Nach dem Boom!<br />
Die <strong>Welt</strong> im Bild<br />
Fotobuch Die Bilderflut lässt<br />
uns abstumpfen? Mag sein –<br />
bis man diesen Band in den<br />
Händen hält, jedes Jahr Anfang<br />
Mai. Vor 25 Jahren wurde die<br />
deutsche Sektion der Reporter<br />
ohne Grenzen gegründet, genauso<br />
lange erscheint zum Tag<br />
der Pressefreiheit das Jahrbuch<br />
der NGO („Fotos für die Pressefreiheit“,<br />
107 Seiten, 14 Euro)<br />
und führt in Bild- und Textstrecken<br />
einmal um die <strong>Welt</strong>.<br />
Von vielen Bildern kann man<br />
sich kaum lösen. Andere fast<br />
nicht ertragen. Alle berühren,<br />
bewegen, rütteln.<br />
Ach, Dorothy!<br />
Musik Bräuchte es noch einen<br />
Beweis, dass Menschen in ihren<br />
Worten fortleben, hier<br />
wäre er. Doch Nora Gomringer<br />
und Philipp Scholz schaffen<br />
mehr, als Dorothy Parker<br />
(1893–1967) auferstehen zu<br />
lassen. In der Vertonung der<br />
bissigen und schmelzzarten<br />
Gedichte verwandelt sich D<strong>am</strong>als<br />
auf liebevolle Weise ins<br />
Heute. Gomringer singt im<br />
Original und die f<strong>am</strong>osen<br />
Übersetzungen von Ulrich<br />
Blumenbach und verneigt sich<br />
so auch vor<br />
seiner Kunst.<br />
Hier: „Peng<br />
Peng Parker“,<br />
Voland<br />
& Quist, 18<br />
Euro.<br />
ANDREW QUILTY / AGENCE VU<br />
LITTLE DREAM PICTURES<br />
Kunst Rainer Steve Kaufmann ist ein Tausendsassa. Großformatige,<br />
farbsatte Szenen, die Menschen so lebendig, als wären sie echt. Filigrane<br />
Malerei auf Rindenstücken. Malerei? Zauberei! Und so zarte Tusche-<br />
Augenblicke. All das kann der Landauer Künstler und schafft unermüdlich<br />
Neues. Vieles ist jetzt unter dem Titel „Rainer Steve Kaufmann –<br />
Zeichnung, Malerei, Grafik, Objekte“ in der Galerie M in Landau zu<br />
sehen. Bis 8. Juni.<br />
,,<br />
35<br />
STÜCKE<br />
Über die Liebe Das Staatstheater Braunschweig<br />
nimmt es mit Paris auf und erklärt die<br />
niedersächsische Stadt zur „City of Love“.<br />
Unter diesem Motto hat Generalintendantin<br />
Dagmar Schlingmann den Spielplan für die<br />
kommende Saison zus<strong>am</strong>mengestellt. 35 Premieren<br />
und Klassiker kündigte sie an, in denen<br />
die Liebe im Mittelpunkt steht.<br />
Wenn man<br />
einfach ein Loch<br />
in den Himmel<br />
bohrt, kann man<br />
dann die<br />
Unendlichkeit<br />
sehen?<br />
Michèle Lemieux,<br />
Gewitternacht<br />
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Film Die Mauern zwischen<br />
Mary<strong>am</strong> (Susana Abdulmajid)<br />
und Jibril (Malik Adan) können<br />
dicker kaum sein: Er sitzt im<br />
Gefängnis, sie führt seit ihrer<br />
Scheidung ein freies Leben mit<br />
ihren drei Töchtern. In dem<br />
jedoch etwas fehlt. Was<br />
„Boom!“ macht, als sie Jibril<br />
für eine Freundin ein Paket in<br />
die Haft bringt. Doch wird aus<br />
der Begegnung eine Liebe fürs<br />
Leben? Die Antwort kommt ab<br />
Donnerstag unter dem Titel<br />
„Jibril“ ins Kino. Großartiges<br />
Debüt von Henrika Kull.<br />
Zu Rechten erzogen<br />
Doku Ein kleines Mädchen<br />
ruft mit ausgestrecktem Arm<br />
und zitternder, aber stolzer<br />
Stimme „Für Führer, Volk und<br />
Vaterland“. Das ist schwer<br />
anzusehen. Aber Verstehen tut<br />
eben manchmal weh. Moh<strong>am</strong>mad<br />
Farokhmanesh’ und Frank<br />
Geigers „Kleine Germanen“,<br />
eine herausragende Mischung<br />
aus Dokumentar- und Animationsfilm,<br />
zeigt, wie aus Kindern<br />
Radikale werden – und wurden.<br />
Einige von ihnen brüllen heute<br />
von Bühnen und Plakaten. Ab<br />
Donnerstag im Kino.<br />
T Mehr Kultur-News auf:<br />
www.welt.de/kultur
Kyle & Katina<br />
Schlichter Geschmack:<br />
Einfach nur das Beste S. 42<br />
Vergrämung<br />
So lässt man Sie im<br />
Zugabteil in Ruhe S. 46<br />
SINGLE THREAD; MICHAEL GODEK/GETTY IMAGES<br />
KAISERSCHOTEN MIT SESAM<br />
250 g Kaiserschoten<br />
2 EL Reisessig oder milder Weißweinessig<br />
4 EL Ses<strong>am</strong>öl (nicht geröstet)<br />
1 EL ungeschälter Ses<strong>am</strong><br />
1 TL Schwarzkümmel<br />
Salz<br />
Kaiserschoten putzen, also den Stielansatz abschneiden<br />
und gegebenenfalls die Fäden an der Außenseite<br />
ziehen. Die Schoten in gut gesalzenem Wasser kurz,<br />
also 30 bis 40 Sekunden, blanchieren. Abgießen und<br />
sofort mit reichlich kaltem Wasser abschrecken und<br />
gut abtropfen lassen. Nun der Länge nach in feine<br />
Streifen schneiden und mit den übrigen Zutaten mischen.<br />
Mit Salz abschmecken und sofort servieren<br />
(der Essig lässt die Kaiserschoten schnell grau werden).<br />
Dieser schlichte Salat eignet sich als leichte<br />
Beilage sowohl zum Huhn mit Yuzu als auch zum<br />
Fisch mit Wasabi-Erbsen-Kruste.<br />
FISCHFILET MIT WASABI-ERBSEN-KRUSTE<br />
500 g Palerbsen<br />
3 Frühlingszwiebeln<br />
1 El Butter<br />
Salz, Pfeffer<br />
4 Fischfilets à 150 g<br />
6 EL Wasabi-Erbsen (die findet man bei den<br />
Knabbereien im gut sortierten Supermarkt)<br />
Öl zum Braten<br />
Salz, Pfeffer, Zitrone<br />
Den hellen Teil der Frühlingszwiebeln in feine Ringe<br />
schneiden, Butter in einem Topf aufschäumen lassen,<br />
die Zwiebelringe farblos anschwitzen, die Erbsen und<br />
zwei Esslöffel Wasser dazugeben und fünf MiMnschließend<br />
mit dem Stabmixer fein pürieren und mit Salz und<br />
Pfeffer abschmecken. Wasabi-Erbsen im Mörser zerstoßen,<br />
Fischfilets mit der Hautseite in die Wasabi-Erbsen<br />
drücken. Öl in einer beschichteten Pfanne erhitzen<br />
und die Fischfilets mit der „panierten“ Seite vorsichtig in<br />
die Pfanne legen und bei milder Hitze braten. Die Pfanne<br />
darf nicht zu heiß sein, da die Erbsen sonst verbrennen.<br />
Der Gargrad des Fischs lässt sich leicht an den Flanken<br />
der Filets erkennen, die zunehmend weiß werden. Dann<br />
die „unpanierte“ Seite mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft<br />
würzen, vorsichtig wenden, die Pfanne vom Feuer nehmen.<br />
Während der Fisch zu Ende gart, das Erbsenpüree<br />
auf vorgewärmten Tellern anrichten. Den Fisch mit der<br />
Kruste nach oben auf das Püree setzen.<br />
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STIL & REISEN<br />
GENUSS<br />
Erbsen,<br />
Prinzessin?<br />
Alle essen sie jetzt Spargel. Das ist gut:<br />
So bleibt mehr vom feinsten Frühlingsgemüse<br />
für uns – von Volker Hobl und Robin Kranz (Foto)<br />
HUHN MIT ERBSEN UND YUZU<br />
4 Hühnerkeulen<br />
4 EL Yuzusaft (oder Limettensaft)<br />
1/2 TL Kurkuma<br />
Salz, Pfeffer<br />
4 EL Öl zum Braten<br />
2 Frühlingszwiebeln<br />
400 g Palerbsen<br />
4–6 Korianderstiele<br />
Den Ofen auf 200 °C Ober- und Unterhitze vorheizen. Oberschenkelknochen<br />
aus den Hühnerkeulen schneiden und einmal<br />
ringsum alle Sehnen <strong>am</strong> Fußgelenk durchtrennen. Das<br />
Ende, in dem noch der Knochen steckt, an der dicksten Stelle<br />
zweimal einschneiden, d<strong>am</strong>it es schneller garen kann. Die<br />
Hühnerkeulen mit Salz, Pfeffer, Kurkuma und Yuzusaft mindestens<br />
zwei Stunden marinieren. Einen Bräter im Ofen<br />
vorheizen und das Öl hineingeben. Die Keulen auf der Hautseite<br />
in den Bräter legen. Sobald die Haut gut gebräunt ist<br />
(10–12 Minuten) drehen. Weitere 10 Minuten braten, die in<br />
grobe Ringe geschnittenen Frühlingszwiebeln dazugeben,<br />
kurz anbraten, dann die verbliebene Marinade und die Erbsen<br />
für weitere 10 Minuten mit garen. Vor dem Servieren gut<br />
vermengen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Mit den Erbsen<br />
und grob gezupftem Koriander servieren.<br />
ERBSENSUPPE MIT MINZE<br />
400 g Palerbsen<br />
4 Frühlingszwiebeln<br />
3 EL Olivenöl<br />
800 ml Gemüsefond<br />
1 EL Sauerrahm<br />
Salz, Pfeffer<br />
abgeriebene Schale einer<br />
unbehandelten Zitrone<br />
4 Zweige Minze<br />
Frühlingszwiebeln in Ringe schneiden und farblos<br />
im Olivenöl anschwitzen, den Gemüsefond<br />
dazugeben und einmal aufkochen. Sobald der<br />
Fond kocht, die Erbsen dazugeben und circa drei<br />
Minuten garen. Vom Feuer nehmen den Sauerrahm<br />
zugeben. Alles mit dem Pürierstab mixen,<br />
mit Salz, Pfeffer und etwas Zitronenabrieb abschmecken<br />
und sofort mit fein geschnittener<br />
Minze servieren.<br />
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42 STIL<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Immer frisch geerntet Katina und Kyle Connaughton<br />
teilen das Jahr in 72 Mikrosaisons ein<br />
ROMAN CHO<br />
Zu schade zum Essen Jede einzelne Vorspeise perfekt arrangiert, geschmückt mit Blüten von Hornveilchen<br />
SINGLE THREAD<br />
Einfach und schön Nichts soll im „Single Thread“<br />
ablenken von den Speisen – und vom Wohl der Gäste<br />
SINGLE THREAD, GARRETT ROWLAND<br />
Hier also bist du ...<br />
Spanische Makrele mit Rettich und Rhabarber,<br />
mit Wasabi marinierte Austern aus<br />
Half Moon Bay, Schnapper aus Japan mit<br />
eingelegten Salzpflaumen, kalifornischer<br />
Taschenkrebs mit Seegrasgelee und Karotten<br />
mit Grünem-Knoblauch-Tofu. Der japanische Begriff<br />
für diese Einstimmung auf ein stundenlanges Menü<br />
lautet sakizuke und bedeutet: Hier also bist du.<br />
VON EVA BIRINGER<br />
Der Tisch, auf den diese Kostbarkeiten aufgetragen<br />
werden, ist gefertigt aus dem Holz der wenige Kilometer<br />
entfernten Farm. Das Ker<strong>am</strong>ikgeschirr st<strong>am</strong>mt von<br />
einem F<strong>am</strong>ilienbetrieb in achter Generation. Nur einer<br />
hat im „Single Thread“ in Sonoma Valley Hausverbot:<br />
der Zufall.<br />
Noch vor wenigen Jahren war Kyle Connaughton<br />
nicht einmal Eingeweihten bekannt, obwohl er an der<br />
Seite der ganz Großen seines Fachs gekocht hat. Ende<br />
2016 eröffnete er gemeins<strong>am</strong> mit seiner Frau Katina<br />
sein erstes eigenes Restaurant in der nordkalifornischen<br />
Kleinstadt Healdsburg und wurde kurz darauf<br />
Das bedeutet das<br />
japanische Wort Sakizuke.<br />
Es bezeichnet die kleinen,<br />
feinen Vorspeisen, die als<br />
Einstimmung auf ein Menü<br />
serviert werden. Kyle<br />
Connaughton macht<br />
daraus Kunstwerke<br />
mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet. Inzwischen<br />
sind es drei, und das „Single Thread“ zählt zu den wenigen<br />
Restaurants, die auf der ganzen <strong>Welt</strong> Beachtung<br />
finden, denn es steht nicht nur für höchste Produktqualität<br />
und äußerste Präzision bei der Zubereitung,<br />
sondern auch für eine Hinwendung zum Gast, wie<br />
man sie sonst nur im Fernen Osten kennt. Die Geschichte<br />
des „Single Thread“ handelt von sorgfältiger<br />
Vorbereitung, von der Demut gegenüber der Natur<br />
und vom Willen, ihre vergängliche Schönheit perfekt<br />
zum Ausdruck zu bringen.<br />
Es ist auch eine Liebesgeschichte. Kyle und Katina<br />
Connaughton lernen sich mit fünfzehn bei einem<br />
Punkkonzert kennen. Beide st<strong>am</strong>men aus Vororten<br />
von Los Angeles. Schon während der Highschool-Zeit<br />
bekommt Kyle Lust zu kochen, heuert im zweitältesten<br />
Sushi-Restaurant der Stadt an, besucht die<br />
Southern California School of Culinary Arts und die<br />
California Sushi Academy, macht Station im „Spago“<br />
in Beverly Hills und im „AOC“ in Kopenhagen. Er folgt<br />
dem Blumenkoch Michel Bras in dessen Drei-Sterne-<br />
Restaurant nach Hokkaido und forscht fünf Jahre lang<br />
in der Experimentalküche von Heston Blumenthals<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 STIL 43<br />
„Fat Duck“ – immer in Begleitung von Katina, nachdem<br />
diese in Japan nachhaltige Landwirtschaft und<br />
Gartenbau studiert hat.<br />
Das Paar heiratet früh, bekommt zwei Töchter, reist<br />
um die <strong>Welt</strong>. Die beiden träumen von einem eigenen<br />
Restaurant, das sie schließlich mithilfe von mehr als<br />
vierzig Investoren eröffnen. Der dritte Stern sei ein<br />
großer Erfolg gewesen, aber stehe nicht im Mittelpunkt<br />
seines Interesses, erzählt Kyle Connaughton einige<br />
Tage nach dem Restaurantbesuch <strong>am</strong> Telefon,<br />
während im Hintergrund die Teller klirren.<br />
Morgens um neun Uhr steht er in der Küche, um<br />
den Lunch für die Mitarbeiter eines deutschen Startups<br />
vorzubereiten, deren Spezialgebiet „Flow“ ist, also<br />
jener produktive Zustand, der alles andere vergessen<br />
lässt. Die Jungunternehmer sollen die Restaurantbelegschaft<br />
diesbezüglich schulen. Aus Sicht des Gastes<br />
besteht da kein Nachholbedarf, im „Single Thread“<br />
scheint alles harmonisch zu fließen, von der beinahe<br />
meditativen Arbeit in der offenen Küche bis hin zur<br />
präzisen Choreografie, mit der das elfgängige Menü<br />
dargeboten wird – auf Wunsch vegan oder glutenfrei,<br />
schließlich sind wir in Kalifornien. Und irgendwie<br />
auch in Japan.<br />
,,<br />
Es gilt die Regel, dem<br />
Gast niemals den<br />
Rücken zuzudrehen<br />
KYLE CONNAUGHTON, Chef und Koch und<br />
Eigentümer des „Single Thread“<br />
SCHLICHTE SCHÖNHEIT Das fängt beim Logo an,<br />
das die Zwiebelsorte Kujo Negi zeigt, die Katina ganzjährig<br />
anbaut. Und das geht weiter auf den Tellern, in<br />
Form von schwarzem Kabeljau mit T<strong>am</strong>a Miso und Yuba,<br />
japanischem Gelbschwanz mit Kirschblüten und<br />
hausgemachtem Tofu mit Pilzen von der nordkalifornischen<br />
Küste. Das Menü orientiert sich an kaiseki, jener<br />
bescheidenen, im Einklang mit den Jahreszeiten<br />
stehenden Abfolge von Gerichten, die schon im 15.<br />
Jahrhundert zur Teezeremonie gereicht wurde. Im<br />
Vordergrund steht nicht die Kreativleistung des<br />
Kochs, sondern die schlichte Schönheit der Zutaten.<br />
Gohan nennt man die abschließend servierte Schale<br />
Reis, begleitet von eingelegtem Gemüse. Im „Single<br />
Thread“ heißt der Gang „Sonoma Grains“ und kommt<br />
mit geschmorter Klettenwurzel, Reischips und Gemüsejus.<br />
Und so raffiniert einfach ist auch die Einrichtung<br />
des Gastraums mit seinen warmen Holztönen,<br />
Leinenlaternen und handgewebten Paravents. Omotenashi<br />
heißt die japanische Form einer Gastfreundschaft,<br />
die grenzenlos ist und Wünsche erfüllt, noch<br />
bevor sie geäußert werden.<br />
„Es gilt die Regel, dem Gast niemals den Rücken zuzudrehen“,<br />
erklärt Kyle Connaughton <strong>am</strong> Telefon, der<br />
– kaum hörbar – ab und zu etwas abschmeckt. „Wer<br />
uns besucht, soll nicht das ,Single Thread‘ erfahren,<br />
sondern sich selbst.“ Seine Faszination für das Land,<br />
in dem diese ästhetische Konzentrationsfähigkeit ihren<br />
Ursprung hat, liegt in der F<strong>am</strong>ilie. „Als Hersteller<br />
von olympischen Sportgeräten hatte mein Vater viel in<br />
Japan zu tun. In meiner Kindheit nahmen wir japanische<br />
Austauschschüler auf. Als ich zum ersten Mal<br />
Sushi aß, war ich neun.“ Er schwärmt von den donabe<br />
genannten Tontöpfen und den bescheidenen Mönchen,<br />
auf die kaiseki zurückgeht.<br />
Dennoch, versichert der 43-Jährige, sei das „Single<br />
Thread“ kein japanisches Restaurant. „Man könnte es<br />
eine kalifornische Hommage an die Kaiseki-Küche nennen.“<br />
Geprägt ist sein Restaurant auch von der Farmto-Table-Bewegung,<br />
die hier in Nordkalifornien, genau<br />
genommen dem „Chez Panisse“ in San Francisco, ihren<br />
Ursprung hat. Rund 70 Prozent der verwendeten<br />
Produkte st<strong>am</strong>men von der elf Kilometer entfernten<br />
Single Thread Farm, darunter Obst, Gemüse, Kräuter,<br />
Blumen, Honig, Eier und Olivenöl, der Rest kommt<br />
von Landwirten aus der Region.<br />
Katina leitet die Farm, baut auf fünf Hektar auch<br />
ortsuntypische Gemüse und Kräuter an, etwa japanisches<br />
Senfgrün, und wirtschaftet hypersaisonal. Vier<br />
Jahreszeiten sind zu wenig für das Tempo der Natur,<br />
ihr Jahr ist eingeteilt in 72 Mikrosaisons. „Manche<br />
Gemüsesorten gibt es nur zwei Wochen lang“, sagt<br />
ihr Mann. Shun bezeichnet im Japanischen den Moment<br />
der perfekten Reife. Wenn die Natur so radikal<br />
den Takt vorgibt, erübrigt sich die Frage nach einem<br />
signature dish, schließlich wechselt das Menü im „Single<br />
Thread“ täglich, der Aperitif sogar mehrmals <strong>am</strong><br />
Tag, je nach Außentemperatur. Zum Abschied bekommt<br />
der Gast nebst Menükarte auch ein S<strong>am</strong>entütchen<br />
mit, an diesem Frühlingstag gefüllt mit Wasabi-<br />
Rucola.<br />
Hier von Liebe zu sprechen, Liebe zu einer Region<br />
und deren Erzeugnissen, klingt nur so lange kitschig,<br />
bis man den gedämpften Hojichakuchen mit Walnuss-<br />
Miso-Eiscreme probiert hat. Liebe, mindestens jedoch<br />
Respekt bringen die Connaughtons auch jenen entgegen,<br />
mit denen sie arbeiten, den Tischlern und den<br />
Töpfern und den Herstellern von Titaniumbechern.<br />
„Wir übernehmen diese Dinge von Menschen, die sie<br />
mit Hingabe geschaffen haben“, sagt Connaughton.<br />
„Ich weiß von jedem Löffel, wer ihn gemacht hat.“ Die<br />
zum Hauptgang ausgeteilten Messer der Marke Bloodroot<br />
Blades, gefertigt mit Holz von der Single Thread<br />
Farm und Klingen aus dem Metall eines 1968er Volkswagens,<br />
wurden kürzlich für den World Restaurant<br />
Award nominiert.<br />
Auch mit den Hügeln des Sonoma County verbindet<br />
die beiden eine große Liebe. „Nach unserer Hochzeit<br />
waren wir bei Alice Waters im ‚Chez Panisse‘ essen“,<br />
erinnert sich der Küchenchef. „Auf dem Weg dorthin<br />
haben wir in einem Deli in Healdsburg haltgemacht.<br />
Da wussten wir: Hier wollen wir uns eines Tages niederlassen.“<br />
Ganz ähnlich geht es dem Gast, der in einer der fünf<br />
Suiten im Obergeschoss übernachtet. Das auf dem<br />
Zimmer servierte Frühstück ist eine Art sensorisches<br />
Déjà-vu der vollendeten Gastlichkeit und der kulinarischen<br />
Perfektion des vorherigen Abends: Es gibt misoglasierter<br />
Königslachs, japanisches Omelette, in Tencha-Tee<br />
gekochter Reis und Seidentofu mit fassgereiftem<br />
Ponzu.<br />
Exklusives Anbaugebiet Holsthum bei Bitburg im Naturpark<br />
Andreas Dick,<br />
Hopfenbauer für Bitburger<br />
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44 STIL<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Wozu braucht es so viele Handtaschen? Die Frage stellte sich Juergen Teller<br />
STEIDL, JUERGEN TELLER (6)<br />
Die <strong>Welt</strong> <strong>am</strong> Henkel<br />
Der Fotograf Juergen Teller hat Hunderte von Handtaschen fotografiert.<br />
Nun hat er aus diesen Bildern ein Buch gemacht, das den Luxus in neuem Licht zeigt<br />
Es geht ums Konzept Und nicht um N<strong>am</strong>en von Models und oder Modefirmen<br />
Wilde Vielfalt Die Bilder hängen auch in der Villa Pignatelli in Neapel (bis 19.5.)<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 STIL 45<br />
Man muss ihn nicht mehr vorstellen.<br />
Juergen Teller, der in den Achtzigern<br />
aus Mittelfranken aufbrach, die Modewelt<br />
zu erobern, und dessen Fotobücher<br />
seit Ende der Neunziger beim Papiermagier<br />
Gerhard Steidl in Göttingen verlegt werden,<br />
hat ein neues Buch gemacht. Anlass ist eine Ausstellung<br />
in Neapel, im Museo Villa Pignatelli, die noch<br />
bis zum 19. Mai zu sehen ist. Ihre Stars, so Teller im<br />
Vorwort, sind Handtaschen. Die Idee sei ihm bei einem<br />
Besuch in Neapel gekommen: „All diese Fabriken, sie<br />
müssen so viele Handtaschen herstellen in diesem<br />
Land. Und dann Florenz, Venedig und Rom, wo gefälschte<br />
Handtaschen auf der Straße verkauft werden.<br />
Warum braucht die <strong>Welt</strong> so viele Handtaschen?“<br />
VON BORIS POFALLA<br />
Ja, wozu? Tellers Ruhm als Fotograf beruht auf seinem<br />
unmittelbaren Zugang zu medial völlig zugestellten<br />
und mit Bedeutung überfrachteten Dingen wie Supermodels,<br />
Stars und teurer Mode. Etwas Ähnliches<br />
macht er mit den Statussymbolen aus Leder. „Juergen<br />
Teller Handbags“ ist keine Exkursion ins Persönlich-<br />
Private, es ist die Untersuchung eines globalen Phänomens.<br />
„Ich habe vor dreißig Jahren angefangen zu fotografieren“,<br />
schreibt Teller im Vorwort, „und langs<strong>am</strong>,<br />
über die Jahre, fing die Handtasche an, sich in meine<br />
Bilder zu schleichen. Heute scheint sich in jeder Modeanzeige<br />
ein Model an eine Handtasche zu kl<strong>am</strong>mern.“<br />
IRGENDWIE IMMER DABEI Die Taschen sind los. Tellers<br />
über sechshundert Bilder st<strong>am</strong>men aus drei Jahrzehnten<br />
und haben wenig gemeins<strong>am</strong>, außer dem Blick<br />
des Fotografen und dem Umstand, dass immer irgendwo<br />
eine Handtasche auftaucht (gelegentlich auch in<br />
den Händen eines Mannes). Das Personal ist so vielfältig<br />
wie die Schauplätze, ein Kaleidoskop aus Models,<br />
Schauspielern, Tänzern und Kindern, die sich mal drinnen<br />
und mal draußen aufhalten, in Städten und auf dem<br />
Land, in Supermärkten und in Museen.<br />
Wer die Models sind, wo und wann die<br />
Bilder entstanden, was sie da tragen oder<br />
in den Händen halten, all diese Informationen<br />
fehlen in „Juergen Teller Handbags“.<br />
Man soll das Fotobuch als Fotobuch<br />
begreifen, als Konzept. Stars wie Vivienne<br />
Westwood, Sofia Coppola, Kate<br />
Moss, Tilda Swinton, Cindy Sherman,<br />
John Malkovich, Winona Ryder oder Helena<br />
Bonh<strong>am</strong> Carter werden nicht vorgestellt,<br />
wozu auch. Es geht doch um die Taschen!<br />
Es ist diese Mischung aus wilder Vielfalt<br />
und Understatement, die den Reiz<br />
dieses Bandes ausmacht. Teller kommt<br />
mit seiner systematischen Beiläufigkeit<br />
der Konzeptfotografie nahe, wo Auswahl<br />
und Zufall eine größere Rolle spielen als<br />
die einzelne, bedeutungsschwere Komposition.<br />
John Baldessari hat 1973 drei rote Kugeln immer<br />
wieder in die Luft geworfen, um eine gerade Linie zu<br />
bilden, und jeden (vergeblichen) Versuch fotografiert.<br />
Ed Ruscha hat für ein Fotobuch vierunddreißig Parkplätze<br />
abgelichtet. Juergen Teller fotografiert sechshundert<br />
Handtaschen.<br />
Das ist auch ein Kommentar zur konsumbesessenen<br />
Gegenwart. Früher, erinnert sich Teller, k<strong>am</strong>en ständig<br />
Models an seine Tür, die er mit einem Schnappschuss<br />
festhielt, daraus entstand seine bekannte Serie Go-Sees.<br />
„D<strong>am</strong>als waren es Mädchen, jetzt sind es Handtaschen.“<br />
Teller wählt beide nur begrenzt selbst aus. Er<br />
hat die Bilder im Auftrag geschaffen, für Modek<strong>am</strong>pagnen,<br />
Magazine. Mit Handtaschen wiederum verdient<br />
die Modeindustrie viel Geld. In Italien, wo die Ausstellung<br />
stattfindet, werden die Taschen produziert, hier<br />
werden sie plagiiert, hier werden sie, kuratiert im Museum,<br />
schlussendlich zu Bildern, der höchsten Stufe<br />
kapitalistischer Verwertung nach Guy Debord.<br />
So schließt sich der Kreis: „Als ich anfing, in Amerika<br />
zu arbeiten, hat man mich gefragt: ,Wo sind die Money<br />
Shots?‘ Ich sah die Leute verdutzt an. ‚Zeig uns die Money<br />
Shots‘, wiederholten sie. Hier sind sie nun, die Money<br />
Shots.“<br />
„Juergen Teller<br />
Handbags“ ist bei<br />
Steidl erschienen,<br />
608 Seiten, 95 Euro<br />
RÄTSEL<br />
Nasenlaut<br />
Hptst. von<br />
Bosnien-<br />
Herzegowina<br />
span.-<br />
portug.<br />
Fürstenn<strong>am</strong>e<br />
Rhone-<br />
Zufluss<br />
Störung d.<br />
Biorhythmus<br />
durch<br />
Fernflüge<br />
skand.<br />
Münze<br />
anbaufähig<br />
Mysterienkult<br />
auf Haiti<br />
neu herrichten;<br />
renovieren<br />
süddt.:<br />
Jagdtasche<br />
Stadt<br />
an der<br />
Weißen<br />
Elster<br />
luftgetrockn.<br />
Lehmziegel<br />
zerbröck.<br />
Kohle,<br />
Kohlenstaub<br />
höchster<br />
Berg im<br />
Harz<br />
innerer<br />
Teil unseres<br />
Planeten<br />
ugs.:<br />
nein!<br />
SUDOKU<br />
LEICHT<br />
MITTEL<br />
ugs.:<br />
Petersilie<br />
hebräisch:<br />
Sohn<br />
Autor: Stefan Heine<br />
antikes<br />
Saiteninstrument<br />
griech.<br />
Göttin<br />
der Morgenröte<br />
Scheinhieb;<br />
Täuschung<br />
5<br />
polnischer<br />
Krauttopf<br />
dt. Schriftsteller<br />
(Erich)<br />
† 1974<br />
altrömischer<br />
Dichter<br />
Farbe<br />
von Blut<br />
spanisch:<br />
Meer<br />
Gegner<br />
Luthers †<br />
EU-Flugbehörde<br />
(Kf.)<br />
feierliches<br />
Gedicht<br />
slv1318-18<br />
1<br />
9<br />
1<br />
Gewaltherrscher<br />
Neuverfilmung<br />
(engl.)<br />
2<br />
Haltetau<br />
(Schiff)<br />
19. Präsident<br />
Schwanzlurche<br />
der USA<br />
† 1893<br />
Zur-Seite-<br />
Drücken der<br />
gegn. Klinge<br />
(Fechten)<br />
süd<strong>am</strong>erik.<br />
u. mexik.<br />
Währung<br />
3<br />
griech.<br />
Reeder<br />
† 1975<br />
Schokoladengetränk<br />
Getreideart<br />
kurz:<br />
Amerikaner<br />
(Mz.)<br />
afrikanische<br />
Kuhantilope<br />
platzieren<br />
große<br />
Trockenheit<br />
4<br />
4<br />
7<br />
niederländ.<br />
N<strong>am</strong>e<br />
der Rur<br />
Wort<br />
der Ablehnung<br />
engl.<br />
Schreibung<br />
von<br />
Behörde<br />
Singapur<br />
Haustier<br />
der<br />
Lappen<br />
5 6<br />
slv1318-16<br />
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(1-9) Regierung<br />
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Lehrer<br />
des<br />
S<strong>am</strong>uel<br />
(A. T.)<br />
Auflösung aus dem vorvergangenen Heft<br />
Lösung der Rätsel<br />
der vergangenen<br />
Woche: im Uhrzeigersinn<br />
rechts<br />
beginnend leicht,<br />
mittel und schwer<br />
A<br />
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wütend<br />
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Teig<br />
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9<br />
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46 STIL<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Selbstgespräche mit<br />
Leberwurstbrot<br />
Landschaften ziehen vorbei, kleine Städte,<br />
Wälder, Wiesen, Alleen, blinkende Flüsse,<br />
baumbestandene Hügel, ferne Kirchtürme –<br />
reisen Sie gern mit der Bahn? Ich auch. Ach,<br />
Zugfahrten könnten so schön sein! Und<br />
zwar dann, wenn wir, Sie und ich, jeder unser privates<br />
Sechserabteil hätten. Aber oft haben wir nur die Wahl,<br />
ob wir in der Ruhezone des Großraumwagens allerlei<br />
Business-Talk mit anhören. Oder in einem Sechserabteil<br />
den Atem des Nachbarn aufsaugen.<br />
Sicher haben Sie sich schon kaltblütig in eines jener<br />
leeren Separees begeben,<br />
in dem laut Beschilderung<br />
sechs<br />
Schwerbehinderte sitzen<br />
sollen. Ich habe<br />
Sie da jedenfalls schon<br />
sitzen sehen, kerngesund.<br />
Macht ja nichts!<br />
Wenn wir unbehelligt<br />
reisen wollen, müssen<br />
wir unsere Freiheit<br />
verteidigen. Wir brauchen<br />
Abschreckungsstrategien.<br />
Wie können<br />
wir suchende Mitreisende<br />
von unserem<br />
Abteil abschrecken?<br />
Oder im Großraumwagen<br />
wenigstens auf<br />
Distanz halten?<br />
Die sollen gar nicht<br />
erst unsere Abteiltür<br />
aufziehen und scheinheilig<br />
fragen: „Ist hier<br />
noch frei?“ Die sollen<br />
freiwillig weiterziehen.<br />
Sind Sie vorbereitet<br />
für den Verteidigungsfall?<br />
Wenn ich Sie richtig<br />
erkannt habe, wenden<br />
Sie die Hausfrauenmethode<br />
aus dem<br />
heimischen Stadtbus<br />
an: Sie belegen die Nebenplätze<br />
mit Taschen<br />
und Tüten.<br />
Richtig so. Breitmachen.<br />
Sie und ich sind zu fein, um auf dem gegenüberliegenden<br />
Platz eine Zeitung auszubreiten und die Füße<br />
darauf zu lüften. Obwohl ein kurzer Moment der<br />
Unfeinheit oft viele Stunden der Feinheit ermöglicht.<br />
Auch platzieren wir kein Sixpack Bier plus Soundbox<br />
neben uns. Zumal so ein Arrangement irrtümlich<br />
Gleichgesinnte anlocken könnte. Nein, wir wenden<br />
subtilere Abschreckungsmethoden an und hoffen,<br />
dass andere subtil genug sind, sie zu begreifen.<br />
Jeder Halt an einem Bahnhof ist eine neue Zitterpartie.<br />
Wir haben im Großraumwagen ein paar freie<br />
Plätze um uns herum. Da soll sich keiner hinpflanzen.<br />
Oder wir sitzen in einem eigenen, bereits in unseren<br />
Privatbesitz übergegangenen Abteil in idyllischer Abgeschiedenheit.<br />
Nun hält der Zug, um neue dreiste<br />
Reisende einzulassen. Schon schieben sich unverfrorene<br />
Neuankömmlinge <strong>am</strong> Abteilfenster vorbei.<br />
Sch<strong>am</strong>los blicken sie in unser köstlich leeres Abteil<br />
und zögern bereits. Warum sind die heimeligen Vorhänge<br />
abgeschafft worden, die man zuziehen konnte,<br />
Sie wollen Ihr Zugabteil<br />
für sich allein haben?<br />
Dietmar Bittrich weiß,<br />
wie man Mitreisende<br />
einfach und effektiv auf<br />
Distanz hält<br />
Mit Plauze Man muss gar nicht essen.<br />
Es kann reichen, reichlich gegessen zu haben<br />
Der Text ist ein Kapitel aus<br />
dem neuen Buch Müssen wir<br />
da auch noch hin? von<br />
Dietmar Bittrich, DTV,<br />
208 Seiten, 9,95 Euro<br />
um Tiefschlaf vorzutäuschen? Und wollte nicht unser<br />
Nerd-Neffe, der sich bereits in mehrere europäische<br />
Nachrichtendienste eingehackt hat, endlich mal ein<br />
Progr<strong>am</strong>m erstellen, mit dem wir vom Handy aus die<br />
elektronischen Reservierungsanzeigen manipulieren<br />
können?<br />
Zu spät. Jetzt kommt es auf altertümliche Abschreckung<br />
an. Lesen Sie bloß nicht in einem Buch! Zu Lesern<br />
setzt der andere sich gern. Der Philosoph Ernst<br />
Bloch hatte bei Zugfahrten niemals ein Buch bei sich,<br />
sondern stets einen Gehstock, mit dem er die freien<br />
Sitze neben sich belegte.<br />
Dann streckte er<br />
ein Bein steif von sich,<br />
holte einen riesigen<br />
Schnupflappen heraus<br />
und schnaubte, dass<br />
die Achsen bebten. Er<br />
blieb immer allein.<br />
Hier weitere Ratschläge<br />
großer Philosophen:<br />
Bananen schälen.<br />
Gekochte Eier pellen,<br />
die Schalen auf<br />
dem Nebensitz ablegen.<br />
Recycelbare Dosen<br />
mit eingeweichtem<br />
Bulgur aufbauen. Aus<br />
einem Tempotaschentuch<br />
quellende Leberwurstbrote<br />
auswickeln,<br />
auch vegane Varianten<br />
helfen. Dieses<br />
Arsenal der Abschreckung<br />
benötigt eine eigene<br />
Tragetasche? Ja,<br />
allerdings, und zwar<br />
eine mit Rekl<strong>am</strong>e vom<br />
Getränkecenter, ausreichend<br />
abgeschürft,<br />
bräunlich befleckt,<br />
oder einen Jutebeutel<br />
im Zustand ökologischer<br />
Verwesung.<br />
Sie wollen leichter<br />
reisen? Dann setzen<br />
Sie wenigstens bei jedem<br />
Halt eine Sonnenbrille<br />
auf, die Ihnen den Touch des Fieslings gibt. Und<br />
falls Sie als Paar unterwegs sind, beginnen Sie einen<br />
lauten Streit just in dem Augenblick, in welchem Zugestiegene<br />
ins Abteil schauen.<br />
Sie reisen allein? Halten Sie wenigstens Ihr Handy<br />
ans Ohr und telefonieren Sie lautstark ins Leere. Setzen<br />
Sie eine dieser preisgünstigen Atemmasken auf,<br />
wie sie in Peking und Hongkong getragen werden. Vor<br />
sich haben Sie ein selbst gedrucktes Infoblatt mit der<br />
Headline „Multiresistente Viren“. Wenn trotzdem<br />
noch jemand den Platz neben Ihnen anvisiert, husten<br />
Sie gepeinigt darauf.<br />
Ich selbst bevorzuge den gesunden Weg des Borderliners.<br />
Ich führe bei jedem Halt debile Selbstgespräche,<br />
mit schiefer Brille. Das wirkt Wunder! Und falls<br />
sich demnächst trotzdem jemand zu mir setzt, weiß<br />
ich, dass Sie es sind, weil Sie diesen Text gelesen haben<br />
und mich durchschauen.<br />
Na schön. Seien Sie willkommen. Aber packen Sie ja<br />
nicht Ihr Käsebrot aus!<br />
GETTY IMAGES/MATS SILVAN<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 STIL 47<br />
Auf und davon Raus in den<br />
Hof, in den Park, hinauf aufs<br />
Dach – Hauptsache, unter<br />
freiem Himmel zu sein! Den<br />
Stuhl hängt man sich auf dem<br />
Weg dorthin einfach über die<br />
Schulter, mit Stil, in Gold.<br />
Nola von Broste Copenhagen.<br />
78 Euro (in Leder 143 Euro).<br />
smallable.com<br />
Schöne<br />
Dinge<br />
Alles im grünen Bereich auf Balkon und<br />
Terrasse, die Pflanzen sind gesetzt?<br />
Dann richten Sie jetzt doch auch<br />
noch den Rest ein<br />
Sitz-Ofen Nichts ist mehr<br />
wert als ein warmer Allerwertester.<br />
So einfach ist das.<br />
Diese Kissen aus Holland sind<br />
eine Sitzheizung. Man lädt es<br />
erst an der Steckdose auf, dann<br />
setzt man sich d<strong>am</strong>it hin, wo<br />
man will. Ploov Outdoor.<br />
90 Euro. stoov.com<br />
AUSGESUCHT VON JÖRG NIENDORF<br />
Tröpfchen für Tröpfchen<br />
Natürlich heißt es jetzt auch<br />
wieder, Gießpläne einzuhalten,<br />
im Notfall Nachbarn zu fragen,<br />
an der Technik der automatischen<br />
Bewässerung zu verzweifeln.<br />
Dieser „Stein“ ist<br />
einfacher: Wasser tröpfelt drei,<br />
vier Tage lang in kleinster<br />
Dosis hinaus. Kikkerland.<br />
15 Euro. hallescheshaus.com<br />
Marokko II Eine Vase mit<br />
Kontrasten – und mal wieder<br />
ein schönes Beispiel für Recycling:<br />
Das bunte Glas ist<br />
wieder aufgearbeitet, Handwerker<br />
in Marrakesch machen<br />
daraus neue Kunstwerke. Im<br />
Color Blocking Look von Hay.<br />
45 Euro. einrichten-design.de<br />
Alle machen auf Marrakesch Und auf dieses ganz spezielle Fliesen-<br />
Blau, und wenn es auch nur aus Luft ist. Der Pouf ist wetterfest und<br />
zum Aufblasen. Leicht ließe sich d<strong>am</strong>it eine ganze Sitzlandschaft<br />
auf der Terrasse herrichten – anstelle dieser großen Lounge-<br />
Matratzen oder sperriger Rattan-Outdoor-Sofas.<br />
Incidence Paris. 30 Euro. <strong>am</strong>azon.fr<br />
Pool-Party Wasserdichte Lautsprecher<br />
gibt’s ja massenhaft,<br />
für das persönliche Outdoor-<br />
Festival, immer und überall.<br />
Der Speaker „Fugoo“ bietet<br />
aber eine wirkliche Besonderheit:<br />
Er hat ein eigenes<br />
Schlauchboot, für die Party <strong>am</strong><br />
See oder Pool. 7 Euro (plus<br />
Lautsprecher 80 Euro).<br />
fugoo.com<br />
MINUTEN-<br />
SLUSHIE<br />
5Aperol Frosé Er geht in eine neue<br />
Saison und wird wohl wieder zum<br />
Drink aller Dachterrassen: Kein Wunder,<br />
so schnell, wie er fix und fertig im<br />
Glas ist. Vorbereitung: Eine Flasche<br />
Roséwein und 120 ml Aperol und 90 ml<br />
Orangensaft den Tag über einfrieren.<br />
Abends dann crushen im Mixer, mit<br />
Orangenschalen servieren.<br />
,,<br />
Bunt ist<br />
meine<br />
Lieblingsfarbe<br />
Walter Gropius<br />
Ziegel zum Schmoren Genial,<br />
wie man in Afrika mit Backsteinen<br />
simple Öfen auftürmt<br />
– dieses Aha-Erlebnis hatten<br />
niederländische Jungdesigner<br />
und kreierten daraufhin ein<br />
neuartiges Schmorgefäß: Der<br />
„Brick“ lässt sich überm Feuer<br />
schichten, drinnen schmort<br />
das Essen, nebenher läuft die<br />
Bricknic-Party. 35 Euro.<br />
roemertopf-shop.de<br />
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48 REISEN<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Tal der<br />
Könige<br />
HOTEL ZAMEK KARPNIKI(2); TEAM RED(2)/KAROL BUDREWICZ; CHRISTOPHER JAN SCHMIDT<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 REISEN 49<br />
In Niederschlesien machte Preußens Adel Urlaub, auch die<br />
Königsf<strong>am</strong>ilie hatte hier ihre Ferienschlösser. Nach 1945 verfiel<br />
alles. Heut sind viele der prächtigen Bauten luxuriöse Hotels<br />
Herrschaftszeiten!<br />
Das Schlosshotel<br />
Fischbach<br />
(gr. Foto und<br />
unten links),<br />
Schloss Wernersdorf<br />
(Mitte)<br />
und der<br />
Wellnessbereich<br />
von Schloss<br />
Stonsdorf (unten<br />
rechts)<br />
EUROPA<br />
Görlitz<br />
Wernersdorf<br />
TSCHECHIEN<br />
Der Durchblick funktioniert wieder, die<br />
jahrzehntelang zugewucherte Schneise<br />
ist freigeschlagen im hügeligen Park von<br />
Stonsdorf. Nun ist sie wieder da, die<br />
Sichtachse hinauf zur Schneekoppe, die<br />
Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné im 19. Jahrhundert<br />
für diesen niederschlesischen Adelssitz anlegte.<br />
Neun Kilometer entfernt ragt sie auf, 1603 Meter hoch,<br />
Krönung des Riesengebirges. Vor 1945 war der Buckel<br />
die höchste Erhebung aller deutschen Mittelgebirge.<br />
Nach dem Zweiten <strong>Welt</strong>krieg wurde Schlesien nisch, seither heißt die Schneekoppe pol-<br />
Śnieżka.<br />
VON ULLI KULKE<br />
POLEN<br />
Niederschlesien<br />
Hirschberg<br />
(Jelenia Góra)<br />
Lomnitz<br />
Stonsdorf Fischbach<br />
Schneekoppe<br />
( ); 1603 m<br />
25 km<br />
Die lennésche Sichtachse ist auch das Erste, was<br />
Waclaw Dzida, heute Schlossherr von Stonsdorf, beim<br />
Spaziergang über das Anwesen präsentiert. Vor 18 Jahren<br />
haben er und seine Frau, eine Kunsthistorikerin,<br />
das große Herrenhaus gekauft. Als Ruine. 38 Gästezimmer<br />
bietet er heute in seinem „Hotel Pałac Staniszow“.<br />
Wer in der Bibliothek im Fotoalbum blättert<br />
und sieht, wie es hier aussah vor dem Umbau, mit eingestürzten<br />
Dächern und Wänden, bewundert den Mut<br />
der beiden. Stonsdorf ist einer von Dutzenden Adelssitzen,<br />
die seit Ende des 18. Jahrhunderts im Hirschberger<br />
Tal errichtet wurden. Sogar das Haus Hohenzollern,<br />
also die preußische Königsf<strong>am</strong>ilie, hatte Besitzungen<br />
in dem Tal. Die örtlichen Denkmalpfleger sagen<br />
heute: Wir haben die größte Schlösserdichte Europas.<br />
Bis zum Zweiten <strong>Welt</strong>krieg war dieser Teil Niederschlesiens<br />
ein beliebtes Ausflugs- und Ferienziel,<br />
gerühmt als Sommerfrische und „Schlesisches Elysium“.<br />
Nach 1945 übernahm das kommunistisch regierte<br />
Polen die Schlösser, soweit sie den Krieg überstanden<br />
hatten. Fortan g<strong>am</strong>melten sie als Lagerhäuser, Feuerwehrstationen,<br />
Schulen oder Ämter vor sich hin, viele<br />
erlebten die Wende nur noch als Ruine.<br />
Schlesien war für die meisten Bundesbürger vom<br />
Radar verschwunden, tauchte höchstens in <strong>Sonntag</strong>sreden<br />
Vertriebener auf, aber nicht als Ziel für Urlaubsgelüste.<br />
Dass die Deutschen vor dem Krieg dort ähnlich<br />
gern wie im Schwarzwald wandern gingen, half gegen<br />
das Negativimage genauso wenig wie die Gesundheitskost<br />
der Marke „Schneekoppe“ im Reformhaus.<br />
Erst heute, da das Verhältnis zwischen Deutschen<br />
und Polen im Land problemlos ist und alte Prachtbauten<br />
in Schlesien von privater Hand wieder auf<br />
Hochglanz gebracht werden, besinnt<br />
man sich der glänzenden Vergangenheit.<br />
Zwar kommt die Mehrzahl<br />
der Gäste im Hirschberger Tal<br />
aus Deutschland, doch mittlerweile<br />
locken die Schlösser<br />
auch immer mehr polnische<br />
Touristen an, die man bis vor<br />
einigen Jahren oft nur als<br />
Wanderer in den Pensionen<br />
des Riesengebirges antraf.<br />
Inzwischen bieten neun gotische,<br />
barocke oder klassizistische,<br />
alles<strong>am</strong>t jahrhundertealte<br />
Schlosshotels im Hirschberger<br />
Talkessel ihren Luxus der anspruchsvollen<br />
Kundschaft an, darunter die<br />
Breslau<br />
(Wrocław)<br />
Schlösser Lomnitz, Wernersdorf und Fischbach;<br />
in Stonsdorf gibt es sogar zwei geschichtsträchtige<br />
Anlagen.<br />
Zumindest Stonsdorf ist in Deutschland noch ein<br />
Begriff, denn in dem Ort wurde seit 1810 der Kräuterbitter<br />
„Stonsdorfer“ gemixt und angesetzt, bevor die<br />
Firma zum Kriegsende nach Norddeutschland vertrieben<br />
wurde und den schlesischen Schnaps dort weiter<br />
produziert. Vorbehalte gegen die Deutschen spürt<br />
man heute vor Ort nicht mehr. Jetzt heißt es gleichermaßen<br />
Staniszów und Stonsdorf, ohne Hintergedanken.<br />
Schlossherr Dzida spricht so gut Deutsch, als wäre<br />
es seine Muttersprache. Inzwischen war auch die<br />
F<strong>am</strong>ilie der letzten deutschen Besitzer, die Grafen<br />
Reuss, zu Besuch und freute sich über den Fortgang<br />
der Dinge. Behuts<strong>am</strong> wurde Schloss Stonsdorf restauriert,<br />
alles im Detail bearbeitet und gesäubert, aber<br />
ohne die Patina zu zerstören. Sie sollte weiter durchscheinen,<br />
nicht nur bei den eisern gefassten Glastüren,<br />
durch die aus dem Salontrakt mit den alten Büchern<br />
sanfte Polka auf die Terrasse klingt. Die historischen<br />
Dielen unter schweren Teppichen knarren hier<br />
und da, die riesigen Rokoko-Betten passen perfekt in<br />
die Schlafgemächer. Und, als wäre es bestellt, knallt<br />
abends eine Sicherung im Zimmer durch. Der morbide<br />
Charme ist etwas Besonderes, völlig zu Recht ausgezeichnet<br />
mit dem polnischen Denkmalschutzpreis.<br />
Zwei Bewandtnisse verhalfen seit der Wende vom<br />
18. zum 19. Jahrhundert der Region zur Blüte. Zuerst<br />
die Entdeckung der hügeligen Lieblichkeit durch den<br />
preußischen Adel und Hochadel, n<strong>am</strong>entlich aus Berlin.<br />
In deren Gefolge fand manch Künstler den Weg<br />
nach Niederschlesien, Maler wie Ludwig Richter oder<br />
Dichter wie Theodor Fontane. Preußens König Friedrich<br />
Wilhelm III. erwarb 1832 Schloss Erdmannsdorf<br />
als Sommerresidenz seiner F<strong>am</strong>ilie, machte dort die<br />
Baumeister Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August<br />
Stüler für allfällige Umbauten zu seinen St<strong>am</strong>mgästen.<br />
Bald danach kaufte er für seine Tochter Luise<br />
das stattliche Schloss Schildau („Pałac Wojanow“),<br />
mit 200 Betten heute das größte Hotel im Tal, während<br />
sein Bruder, Prinz Wilhelm von Preußen, die d<strong>am</strong>als<br />
schon fast 500 Jahre alte Wasserburg Fischbach<br />
erstand („Z<strong>am</strong>ek Karpniki“), in der Alexander von<br />
Humboldt im Sommer 1830 weilte.<br />
Heute ist sie, nach fast einem halben Jahrhundert<br />
Leerstand, originalgetreu restauriert als Hotel im oberen<br />
Segment, und man kann mit etwas Glück im Zimmer<br />
des Preußenprinzen Wilhelm im ersten Stock<br />
nächtigen, es war im 19. Jahrhundert Teil seiner Privatgemächer.<br />
Am nobelsten residiert man in der Renaissance-Suite,<br />
mit Gobelin über dem antiken Doppelbett<br />
und einer bemalten, originalgetreu restaurierten<br />
Renaissance-Balkendecke aus dem 16. Jahrhundert.<br />
Hunderte Geweihe bis hin zu Sechzehnendern<br />
zieren die dunklen Hotelflure.<br />
Dem Hochadel verdankt die Region ihre geschichtsträchtige<br />
Aura, das große Geld aber war durch die<br />
Leinenproduktion hereingekommen. Die „Schleierherren“,<br />
Vertreter einer Art barocken Bürgertums,<br />
konnten im 18. Jahrhundert den Briten durchaus Paroli<br />
bieten auf dem <strong>Welt</strong>markt für fein gewebtes Leinen,<br />
weshalb in dieser Epoche besonders viele jener<br />
Schlossanlagen in Schlesien entstanden.<br />
DIE RÜCKKEHR Wer diese Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />
(auch Gerhart Hauptmanns Dr<strong>am</strong>a „Die Weber“<br />
gehört dazu) auf sich wirken lassen will, der ist<br />
auf Schloss Wernersdorf („Pałac Pakoszow“) gut aufgehoben:<br />
eine elegante barocke Anlage, in der der –<br />
bürgerliche – Besitzer nicht nur aufwendig residierte,<br />
sondern auch seine Bleiche und Lagerräume betrieb.<br />
Seit 1725 war es im Besitz einer Leinenhändlerdynastie,<br />
1945 wurde sie enteignet. Hagen Hartmann, der d<strong>am</strong>als<br />
als Vierjähriger aus Schlesien mit auf die Flucht<br />
gehen musste, kaufte das Schloss 60 Jahre später mit<br />
seiner Frau aus polnischem Privatbesitz zurück.<br />
Seit 2012 führt das Arztehepaar das bisher einzige<br />
Fünfsternehotel im Tal mit der großen Geschichte.<br />
„Heinrich von Kleist war hier zu Besuch, Friedrich<br />
Gottlieb Klopstock, auch Friedrich der Große“,<br />
schwärmt der Schlossherr, „und sogar der <strong>am</strong>erikanische<br />
Botschafter in Preußen, Quincy Ad<strong>am</strong>s, der später<br />
US-Präsident wurde, war hier zu Gast“. Die Hartmanns<br />
sind begeistert über die Anerkennung und Zuwendung,<br />
die sie als deutsche frühere Besitzerf<strong>am</strong>ilie<br />
aus ihrer polnischen Nachbarschaft erfahren. „Viele<br />
bedanken sich bei uns für den Wiederaufbau des<br />
Schlosses.“ Einmal k<strong>am</strong> ein benachbarter Kindergarten<br />
hereingeschneit, „hat uns einen Schokoladenkuchen<br />
mitgebracht und deutsche Lieder gesungen“.<br />
FORTSETZUNG AUF SEITE 50<br />
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50 REISEN<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
FORTSETZUNG VON SEITE 49<br />
Auch die Schwiegereltern von Elisabeth von Küster,<br />
Hotelchefin im Schloss Lomnitz („Pałac Lomnica“),<br />
waren 1945 von ihrem Besitz vertrieben worden, der<br />
der F<strong>am</strong>ilie über Jahrhunderte gehört hatte. Sie und<br />
ihr Mann konnten das Anwesen mit einem polnischen<br />
Freund als überwucherte Ruine auf einer Auktion<br />
günstig zurückkaufen, nachdem sie in der Verwandtschaft<br />
„das Geld zus<strong>am</strong>mengekratzt hatten“. Freimütig<br />
erzählt Elisabeth von Küster, dass der Verlust für<br />
viele Aristokraten nach dem Krieg finanziell überschaubar<br />
war, „weil ihr Landbesitz zu der Zeit oft<br />
stark verschuldet war“.<br />
Die heutigen Besitzer erhalten bedeutende Zuschüsse<br />
von Behörden und Stiftungen aus Polen,<br />
Deutschland und von der EU für ihre Wiederaufbauarbeit<br />
– auch sie habe davon profitiert. Zum Beispiel<br />
für ihr „Witwenhaus“, ein barockes Kleinod in einem<br />
englischen Park mit altem Baumbestand <strong>am</strong> Flüsschen<br />
Bober gelegen, in dem sie 23 Zimmer und Apartments<br />
vermietet. Aber auch für die zerstörte Kirche und das<br />
große, 1720 errichtete Schloss, in dem sie auf drei Etagen<br />
jahrelang ein Museum aufgebaut hat, das im März<br />
2019 Eröffnung feierte.<br />
Die neue Dauerausstellung heißt „Drei Jahrhunderte<br />
Leben in Schloss Lomnitz“, 18 Zimmer sind mit Mobiliar<br />
unterschiedlicher Epochen eingerichtet. Zu sehen<br />
sind etwa das Büro eines reichen Leinenhändlers,<br />
ein Teesalon aus der Zeit des Biedermeiers, die historische<br />
Schlossküche im Gewölbekeller und ein Schulzimmer<br />
aus den Zeiten der polnischen Volksrepublik.<br />
Die Finanzen machen den geringeren Aufwand für<br />
die F<strong>am</strong>ilie von Küster aus. Bedeutender sind Engagement<br />
und Herzblut, das sie seit den 1990er-Jahren in<br />
das Projekt gesteckt hat. 2015 erhielt das Ehepaar, das<br />
inzwischen fünf Kinder hat, den Großen Denkmalpreis<br />
der Stiftung Deutsche Burgenvereinigung, für ihre<br />
„herausragenden denkmalpflegerischen Leistungen“,<br />
für ihre „Leuchtturmfunktion für das ganze<br />
Hirschberger Tal“. Bei der Feier in Klein Glienicke bei<br />
Berlin sagte Elisabeth von Küster: „Vor fünf bis sieben<br />
Jahren gab es auf unserem Areal noch so manches Seminar,<br />
das sich mit dem Ausbau von besseren Beziehungen<br />
zwischen Polen und Deutschen beschäftigte.<br />
Dies ist, so habe ich den Eindruck, nicht mehr nötig.<br />
Ein gutes Miteinander zwischen den Menschen beider<br />
Länder ist zur Selbstverständlichkeit geworden.“<br />
T Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt<br />
vom Polnischen Fremdenverkehrs<strong>am</strong>t. Unsere<br />
Standards der Transparenz und journalistischen<br />
Unabhängigkeit finden Sie unter<br />
www.axelspringer.de/unabhaengigkeit<br />
Dschungel pur<br />
in Singapur<br />
Singapur ist bekannt für seine Hochhäuser, doch es<br />
gibt auch wuchernden Urwald. Wer sich hineinwagt,<br />
begegnet Krokodilen, Affen und skurrilen Vogelkundlern<br />
Tipps und<br />
Informationen<br />
WIE KOMMT MAN HIN? Mit dem Auto ab Berlin in<br />
knapp vier, ab Frankfurt in sechseinhalb Stunden.<br />
Die Lufthansa bietet Direktflüge von Frankfurt und<br />
München nach Breslau an.<br />
ÜBERNACHTEN Schloss Stonsdorf DZ 100 bis 130<br />
Euro, Frühstück und Wellness inklusive, www.palacstaniszow.pl.<br />
Schlosshotel Lomnitz EZ je nach<br />
Saison und Ausstattung 51 bis 90, DZ 68 bis 135<br />
Euro, Frühstück inklusive, www.palac-lomnica.pl.<br />
Schloss Fischbach DZ ab 77 Euro inkl. Frühstück,<br />
www.schlossfischbach.de. Schloss Wernersdorf DZ<br />
ab 93 Euro, www.palac-pakoszow.pl. Schloss Schil-<br />
dau<br />
DZ ab 72 Euro, www.palac-wojanow.pl.<br />
TIPP DER REDAKTION Schneekoppe: Am einfachsten<br />
kommt man auf die höchste Kuppe des<br />
Riesengebirge, wenn man von Krummhübel/Karpacz<br />
auf die Kopa mit dem Sessellift fährt (nicht<br />
ganzjährig), weiter zu Fuß (225 Höhenmeter). Es<br />
gibt Wanderwege und Klettersteige verschiedener<br />
Schwierigkeitsgrade.<br />
AUSKUNFT Polnisches Fremdenverkehrs<strong>am</strong>t,<br />
www.polen.travel/de; Hirschberger Tal der Schlösser,<br />
talderschloesser.de<br />
Blätter so groß wie Tennisschläger, armdicke<br />
Lianen, die wie Halteseile über dem<br />
Weg hängen, Grün in allen Schattierungen:<br />
Dichte Dschungelvegetation umgibt<br />
den Eingang zum Nationalpark von Sungei<br />
Buloh, es zwitschert und raschelt im Buschwerk –<br />
kaum zu glauben, dass man hier im Stadtgebiet einer<br />
Fünf-Millionen-Metropole ist. Mit dem gängigen Bild<br />
von Singapur hat dieser Urwald wenig zu tun: Keine<br />
Wolkenkratzer, keine Shoppingcenter, keine Sonderangebote.<br />
Dass man in Singapur ist, merkt man allenfalls<br />
an der Sauberkeit – im Dschungel liegt kein einziges<br />
Stück Papier, kein bisschen Plastik herum. Und<br />
man kann den Urwald mit dem Metro-Bus erreichen.<br />
VON FRANÇOISE HAUSER<br />
Sungei Buloh ist der grüne Höhepunkt in Singapur,<br />
der Garden City, die von Parks und bewachsenen Fassaden<br />
geprägt ist und deren Regierung das Ziel verfolgt,<br />
Singapur zur grünsten Stadt der <strong>Welt</strong> zu machen.<br />
Immerhin bestehen über 3320 Hektar des Insel-<br />
Stadtstaats aus Grünflächen, laut dem Treepedia-Projekt<br />
des Massachusetts Institute of Technology (MIT)<br />
sind fast ein Drittel, 29,3 Prozent, von Bäumen und anderer<br />
Vegetation bedeckt. Der Dschungelpark ist dabei<br />
eine der ursprünglichsten, wildesten Areale Singapurs.<br />
Das 202 Hektar große Feuchtgebiet nordwestlich<br />
des Stadtzentrums liegt an der Grenze zu Malaysia,<br />
nur eine schmale Wasserstraße trennt Singapur hier<br />
von der Millionenstadt Johor Bahru. Hochhäuser ragen<br />
<strong>am</strong> Horizont empor – fast wie ein Mahnmal, das<br />
daran erinnert, dass Singapurs Dschungel eigentlich<br />
Bauland werden sollte. Tatsächlich wäre Sungei Buloh<br />
Ende der 1980er beinahe abgeholzt geworden, hätten<br />
sich nicht einige Naturschützer vehement für seinen<br />
Erhalt eingesetzt. Einer von ihnen ist der 54-jährige<br />
Subaraj Rajathurai. Der indischstämmige Singapurer<br />
arbeitet seit Jahren als Naturführer.<br />
UNTER NASHORNVÖGELN Er wartet <strong>am</strong> Eingang<br />
des Schutzgebiets, im Baum neben ihm turnen zwei<br />
Nashornvögel herum. Noch in den 1960ern schienen<br />
diese Tiere in der Region ausgestorben zu sein. Doch<br />
das Engagement für Naturschutz zeigt seit gut 20 Jahren<br />
Erfolg: Schon auf dem Weg nach Sungei Buloh<br />
sieht man sie auf Straßenlaternen herumhüpfen, und<br />
in Changi Village, nicht weit vom Flughafen entfernt,<br />
brüten sie direkt <strong>am</strong> Markt. Für Subaraj ist das eine<br />
Bestätigung seiner Proteste vor gut 30 Jahren. Mit<br />
weiteren Mitstreitern gelang es ihm, die Regierung<br />
von der Bedeutung des Feuchtgebiets zu überzeugen,<br />
das 1989 unter Naturschutz gestellt und 1993 als Naturpark<br />
eröffnet wurde.<br />
Seither hat sich für den stadtbekannten Umweltaktivisten<br />
viel getan. Als Nature Guide – einer der ersten<br />
der Stadt – hat er bereits Tausende Gäste durch den<br />
Dschungel geführt. So wie an diesem Tag. Am Eingang<br />
bedeutet er den Besuchern mit einem Finger <strong>am</strong><br />
Mund, leise zu sein: Eine Schar Fledermäuse hat sich<br />
den wohl belebtesten Platz von Sungei Buloh für den<br />
Tagesschlaf ausgesucht. Unter dem Dach des hölzer-<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
REISEN 51<br />
Besucher und Bewohner<br />
Spaziergänger in Sungei<br />
Buloh und eine Grüne<br />
Peitschennatter<br />
PICTURE ALLIANCE/ANN /NG SOR LUAN/THE STRAITS TIMES(2)<br />
nen Eingangsbogens hängen sie dicht an dicht. Die<br />
Parkbesucher schleichen drunter durch – nur nicht<br />
stören!<br />
MALAYSIA<br />
Johor Bahru<br />
J<br />
hors<br />
Jo<br />
Nationalpark<br />
Sungei Buloh<br />
SINGAPUR<br />
r<br />
ß tr r e<br />
t a<br />
ra<br />
km<br />
Tipps und Informationen<br />
ASIEN<br />
Straße von<br />
Singapur<br />
WIE KOMMT MAN HIN? Etwa mit Singapore<br />
Airlines (www.singaporeair.com) oder Lufthansa<br />
(www.lufthansa.com), zum Beispiel<br />
nonstop ab München. Den Nationalpark Sungei<br />
Buloh erreicht man von der Innenstadt in<br />
rund 30 Minuten per Taxi, alternativ mit dem<br />
SMRT-Bus 925 ab Metrostation Kranji.<br />
SAFARI IM SCHUTZGEBIET Das Sungei Buloh<br />
Wetland Reserve ist täglich von 7 bis 19 Uhr<br />
geöffnet, außer <strong>am</strong> Wochenende ist der Eintritt<br />
kostenfrei. Die meisten Tiersichtungen<br />
erlebt man in den Morgen- und Abendstunden<br />
von 7 bis 11 Uhr und von 16 bis 19 Uhr. Zusätzlich<br />
lohnt es sich auch, auf den Gezeitenkalender zu<br />
schauen (zum Beispiel auf der Website https://<br />
gezeitenfisch.com). Bei Ebbe sind Krokodile<br />
und Warane meistens gut zu sehen, bei Flut<br />
s<strong>am</strong>meln sich Wattvögel auf den nicht überfluteten<br />
Stellen, wo man sie dann beobachten<br />
kann. Tourenvorschläge und Veranstaltungen<br />
findet man auf der englischsprachigen Website<br />
des Naturschutzgebietes: www.nparks.gov.sg/<br />
gardens-parks-and-nature/parks-and-naturereserves/sungei-buloh-wetland-reserve<br />
WEITERE INFOS www.visitsingapore.com<br />
SPAZIERGANG MIT KROKODIL Gleich rechts des<br />
Eingangs geht es in den Dschungel: Dichte, grüne<br />
Mangrovenhaine und bis 20 Meter hohe Bäume säumen<br />
die Holzstege. Leise schwappt Wasser gegen die<br />
Stämme, direkt neben dem Steg wälzt sich ein gut<br />
zwei Meter langer Waran durch den Schl<strong>am</strong>m. „Ungefährlich“,<br />
winkt Subaraj ab und deutet stattdessen auf<br />
einen Schatten, der durch das Wasser gleitet: „Die<br />
Salzwasserkrokodile behalten wir dafür umso mehr im<br />
Auge.“ Gut eine Handvoll davon lebt derzeit hier, ganz<br />
genau weiß man es nicht. Große Schilder warnen davor,<br />
den bis zu fünf Meter großen Tieren zu nahe zu<br />
kommen. Das kann schneller passieren, als man denkt:<br />
Für ein Mittagsschläfchen legen sich die seltenen Tiere<br />
schon mal quer über den Weg.<br />
Andere Bewohner sind zahlreicher – und ungefährlicher.<br />
Subaraj zeigt auf skurrile Schl<strong>am</strong>mröhren, die<br />
aus dem Schlick ragen. Ihre glubschäugigen Bewohner,<br />
die Schl<strong>am</strong>mspringer-Fische, strecken nacheinander<br />
die Köpfe heraus. In den Baumkronen raschelt es derweil<br />
unüberhörbar. Eine Herde Makaken tobt durch<br />
die Bäume. Nicht nur in den Wipfeln ist einiges los.<br />
Auch auf dem Boden. Immerhin 80.000 Besucher<br />
kommen jedes Jahr nach Sungei Buloh, Einheimische<br />
und Touristen. Sie erleben ein höchst vielseitiges<br />
Feuchtgebiet: Wege und Stege führen nicht nur durch<br />
dichte Mangrovenwälder, sondern auch durch Tümpel,<br />
Sümpfe und <strong>am</strong> Meer entlang.<br />
Das Kernstück bildet eine Wattfläche, die bis in die<br />
1980er zur Garnelenzucht genutzt wurde. Diese Meerestiere<br />
gibt es hier noch heute reichlich – ein Gourmetbuffet<br />
für Zugvögel. „Sungei Buloh liegt <strong>am</strong> ostasiatisch-ozeanischen<br />
Zugweg“ erklärt Subaraj. Vögel<br />
aus Ostasien, Indochina, aber auch aus Sibirien machen<br />
hier Station, manche bleiben den ganzen Winter.<br />
Sehr zur Freude der Birder, wie sich passionierte<br />
Vogelbeobachter weltweit selbst nennen. In unauffälliger<br />
Kleidung und mit imposanter Fotoausrüstung erkunden<br />
sie von Holzhütten oder anderen Verstecken<br />
aus die bunte Vogelwelt. Auf der überdachten Brücke<br />
über den Fluss Sungei Buloh, der dem Gebiet den N<strong>am</strong>en<br />
gab, haben sich zwei Hobbyornithologen geradezu<br />
häuslich eingerichtet, mit Stuhl und Stativ, aus der<br />
Tasche lugt ein Behälter mit Mittagessen und eine<br />
Zweiliterflasche Wasser – es wird ein langer, heißer<br />
Tag, wie immer im tropischen Singapur. Jedes Wochenende<br />
stehen sie hier, sagt der eine, rund ums Jahr.<br />
Vögel beobachten ist ihr Leben, und das, was ihnen vor<br />
die Linse fliegt, ist in der Tat oft spektakulär.<br />
Besonders lohnenswert ist die Lauer in der Zeit des<br />
Vogelzugs von August bis Ende Februar, sagen die Birder.<br />
Über sich selbst hingegen verlieren sie kaum ein<br />
Wort: N<strong>am</strong>e, Beruf, Alter? „Unwichtig“, winken sie ab<br />
– irgendwie passend für Menschen, die ihr Wochenende<br />
in Tarnkleidung gehüllt im Schatten eines Holzverschlags<br />
oder im Gebüsch verbringen.<br />
Gegen einen Blick auf das Display der K<strong>am</strong>era haben<br />
sie jedoch nichts. Stolz präsentieren sie die Ausbeute<br />
des Morgens: Mongolenregenpfeifer, Strandläufer,<br />
Seeadler und bunte Eisvögel in allen Variationen. Hat<br />
man die nicht irgendwann alle durchfotografiert? Der<br />
Birder mit dem größeren Objektiv schüttelt entschieden<br />
den Kopf: Klimaveränderungen und andere Faktoren<br />
führten dazu, dass immer wieder auch neue Vögel<br />
auftauchten.<br />
In einschlägigen Foren wird dann heftig diskutiert:<br />
Handelt es sich um einen Indischen Reiher – oder<br />
doch um eine andere Art? Und ist es derselbe, der<br />
schon letztes Jahr gesichtet wurde? Mit viel Leidenschaft<br />
posten und vergleichen die Vogelfreunde ihre<br />
Aufnahmen. Für Einsteiger stellt das Singapurs National<br />
Parks Board eine Checkliste der offiziell 223 Vogelarten<br />
des Naturschutzgebiets ins Netz. Zum Abhaken.<br />
Wenn es um die Besucherzahlen geht, stellen Singapurs<br />
Vögel die Touristen bereits jetzt mühelos in den<br />
Schatten: „Um die 50 Millionen Zugvögel kommen jedes<br />
Jahr“, sagt Subaraj, während es die menschlichen<br />
Reisenden nach Singapur jährlich „nur“ auf 17 Millionen<br />
bringen. Die Zahl der Zugvögel dürfte bald noch<br />
größer werden. Erst im Oktober 2018 wurden weitere<br />
72 Hektar Mangrovenhaine und Wattflächen im östlich<br />
angrenzenden Küstenstreifen Kranji-Mandai als<br />
Naturschutzgebiet ausgewiesen. Auch dieses Areal, direkt<br />
gegenüber der malaysischen Grenzstadt Johor<br />
Bahru gelegen, soll bis 2022 in einen Naturpark mit<br />
Wegen und Beobachtungshütten verwandelt werden.<br />
Singapurs Birder freuen sich schon jetzt darauf. Dann<br />
steigt nämlich die Chance, weitere Exoten wie den<br />
Großen Knutt oder einen Gelbscheitelbülbül direkt<br />
vor die Linse zu bekommen.<br />
T Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt<br />
von Singapore Tourism Board. Unsere Standards<br />
der Transparenz und journalistischen<br />
Unabhängigkeit finden Sie unter<br />
www.axelspringer.de/unabhaengigkeit<br />
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT <strong>am</strong> SONNTAG KOMPAKT-2019-05-05-ad_rom-20 d303819bfe5e76bd858c8f6bd6d14bdc
KREUZFAHRTEN<br />
SPEZIAL<br />
Seinen Geheimtipp<br />
gegen den Jetlag<br />
von New York nach<br />
Deutschland verrät<br />
Norman Faltus aus<br />
Achim gern: „Zurück nach H<strong>am</strong>burg<br />
mit der Yogakreuzfahrt“.<br />
Für den Reisevermittler und<br />
Veranstalter von Ärztefortbildungen<br />
gibt es nichts Besseres<br />
gegen den gefürchteten Zeitzonenkater<br />
als eine Atlantiküberquerung<br />
mit täglich bis zu drei<br />
Yogasessions und einem guten<br />
Buch. Deshalb hat er für Oktober<br />
erstmals eine Yogareise auf<br />
der Queen Mary zus<strong>am</strong>mengestellt<br />
und freut sich, dass er d<strong>am</strong>it<br />
gleichzeitig auch „Digital<br />
Detox“ anbieten kann. Denn W-<br />
Lan kostet an Bord nicht nur<br />
reichlich, es arbeitet meist auch<br />
nicht in der gewohnten Schnelligkeit<br />
und Zuverlässigkeit. „Da<br />
kann man gleich auch einer Medienabhängigkeit<br />
vorbeugen.“<br />
VON KARIN WILLEN<br />
Die entschleunigende Transatlantikpassage<br />
ist bei Weitem<br />
nicht das einzige Beispiel für<br />
den Trend von Reisevermittlern<br />
und Reedereien, mehr als eine<br />
Seereise mit Ausflugsprogr<strong>am</strong>m<br />
zu versprechen. Immer mehr<br />
Kreuzfahrten kreieren besondere<br />
Erlebnisse an Bord und entfernen<br />
sich noch weiter vom<br />
Image der Reiseform für betuchte<br />
Senioren, die gern im<br />
Smoking zum Dinner gehen. Da<br />
wird das Wochenangebot bei<br />
Sport und Wellness ausgeweitet,<br />
und es werden Event- und<br />
Themenreisen geplant. Oder die<br />
Anbieter schnüren spezielle Pakete<br />
für bestimmte Zielgruppen<br />
und ihre Bedürfnisse.<br />
FÜR JEDEN ETWAS So lassen<br />
es eingefleischte Hardrockfans<br />
bei TUI Cruises schon zum achten<br />
Mal auf der Full Metal Cruise<br />
auf Hoher See krachen. NCL<br />
verwandelt die Norwegian Pearl<br />
mit bekannten DJs in einen<br />
schwimmenden Dancefloor. Die<br />
Queen Mary stellt sich Models<br />
und Modeinteressierten als mobiler<br />
Catwalk zur Verfügung.<br />
Dialysepatienten finden Arzt<br />
und Dialysestation auf gleich<br />
zwei Schiffen bei Transocean.<br />
Selbst für Veganer gibt es Spezialangebote.<br />
Sie bedienen sich<br />
auf veganen Kreuzfahrten an<br />
komplett fleischfreien Buffets<br />
und trinken Wein, der ohne tierische<br />
Produkte geklärt und filtriert<br />
wurde. Yoga ist bei allen<br />
Angebotsformen sehr oft mit<br />
von der Partie. Meistens liegt<br />
das Angebot in der Mitte zwischen<br />
relaxt-entspannend (Yin)<br />
und kraftintensiv (Yang), es<br />
kommt aber immer auf den Yogalehrer<br />
an Bord an. Seit Star<br />
Clippers die altindische Gesundheitspraxis<br />
2004 an Bord<br />
geholt hat, weitet sich das Angebot<br />
kontinuierlich nicht nur in<br />
Entsp annte<br />
Passa ge<br />
Der Trend geht zu<br />
Relaxpaketen und<br />
Sportangeboten an<br />
Bord. Fast immer<br />
mit dabei ist Yoga<br />
In frischer Seeluft unterm blauen Horizont führen Körperübungen und Meditation zu einer noch<br />
intensiveren Selbsterfahrung<br />
der Großsegler-Reederei aus. In<br />
diesem Jahr sind auf den drei<br />
Star Clipper Schiffen sechs Yogalehrer<br />
beschäftigt. Sie starten<br />
den Tag mit einem aktivierenden<br />
Morgengruß in der frischen<br />
Seeluft an Deck und verabschieden<br />
die Sonne meist auch<br />
abends mit einer Entspannungseinheit<br />
auf dem sonnenwarmen<br />
Teakholz. Die zehn Yoga<br />
Kreuzfahrten unter weißen<br />
Segeln führen in die Karibik,<br />
nach Asien und ins Mittelmeer.<br />
TUI Cruises hat der Entwicklung<br />
2016 mit dem Start einer<br />
einwöchigen Yoga-Themenreise<br />
noch mal einen Schub gegeben.<br />
Im September sticht die<br />
Mein Schiff 2 erstmals mit einer<br />
Kombi aus Yoga und Fitness<br />
von Palma de Mallorca in See.<br />
Mit dieser vierten Yoga- und<br />
fünften Fitness-Kreuzfahrt bedient<br />
TUI Cruises die Lust der<br />
Urlauber, mal etwas Neues auszuprobieren<br />
und etwas für die<br />
Gesundheit und Beweglichkeit<br />
zu tun. Wer schon immer mal<br />
wissen wollte, was eigentlich<br />
Faszien-Yoga ist oder wie sich<br />
Aerial-Yoga, also die halb<br />
schwebenden Asanas genannten<br />
Körperübungen im Tuch<br />
anfühlen, kann das im Yoga-Paket<br />
in täglich bis zu vier Angeboten<br />
ausprobieren. Das Fitness-Paket<br />
bietet Step-Kurse,<br />
Aerobic und Functional Trainings<br />
an. Die Kurse sind so geplant,<br />
dass Schnupperer und<br />
Geübte passende Angebote finden.<br />
Wer dann immer noch<br />
nicht genug hat, kann in seiner<br />
Kabine aus 20 Yoga-Videos das<br />
passende Progr<strong>am</strong>m wählen.<br />
Inzwischen spielt Yoga auch<br />
auf der Aida eine größere Rolle:<br />
als Schnupperkurs, Workshop<br />
oder in Form privater Yogastunden.<br />
Yoginis können auf der<br />
Kursfläche des Fitness-Außendecks<br />
der neuen, emissionsarmen<br />
Nova mit Blick aufs Meer<br />
üben und meditieren. Unter<br />
dem Titel „Leichterleben in der<br />
Karibik“ bietet eine Relax-Reise<br />
mit der Perla entschleunigende<br />
Yogaübungen an Bord. Sie führt<br />
wahlweise nach Barbados oder<br />
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AIDA / TUI<br />
noch weiter in die Dominikanische<br />
Republik. Bei MSC geht<br />
man ebenfalls nicht an der trendy<br />
Gesundheitspraxis vorbei.<br />
Die Seaside und Seaview haben<br />
sogar ein eigenes Yogastudio.<br />
Und nächstes Jahr tourt die Divine<br />
eine Woche mit „Holistic<br />
Holiday at Sea“ durch die Karibik.<br />
Yoga-Körperübungen und<br />
Meditation sind Teil der Themenreise.<br />
Wer mit der Norwegian Epic<br />
fährt, kann täglich Yoga praktizieren,<br />
bei den anderen Schiffen<br />
der NCL-Gruppe gehört der<br />
Zweiklang von körperlichem<br />
Training und mentaler Entspannung<br />
zum Wochenprogr<strong>am</strong>m.<br />
Und auf der Breakaway<br />
und Getaway kann man den<br />
australischen Trendsport Chi<br />
Ball Fire Yoga ausprobieren.<br />
Dabei werden Körperwahrnehmung<br />
und Gleichgewicht mit<br />
handtellergroßen, duftenden,<br />
bunten Bällen geschult.<br />
GANZHEITLICHER ANSATZ<br />
Vollends ganzheitlich geht es<br />
auf den Wellness-Fahrten der<br />
Luxusreederei Seaburn zu. Im<br />
November startet zum Beispiel<br />
die Ovation von Piräus in den<br />
Nahen Osten mit dem international<br />
renommierten Präventionsmediziner<br />
Andrew Weil an<br />
Bord. Yoga gehört dort zum<br />
körperlichen praktischen Teil<br />
des „Weges zur antiken Wellness“.<br />
Hapag Lloyd bietet ein<br />
ganzheitliches Gesundheitsprogr<strong>am</strong>m<br />
mit Yoga unter dem<br />
Titel „IN2BALANCE – Reisen<br />
in die innere Mitte“.<br />
Neben den großen Veranstaltern<br />
behaupten sich aber auch<br />
im Mittelmeerraum kleinere<br />
Yachten meist türkischer Veranstalter.<br />
Sie bieten Yogareisen<br />
in Kombination mit Aquafit<br />
und Pilates und richten sich<br />
eher an geübte Yoginis. Das bestätigt<br />
Reisevermittler Faltus:<br />
„Der Trend geht zu Yoga und<br />
kleineren Schiffen“. Der Wellnessreisen-Branchenprimus<br />
Fit<br />
Reisen geht da noch einen<br />
Schritt weiter und setzt bei seinem<br />
Kreuzfahrtangebot um die<br />
Malediven-Atolle auf die Kombi:<br />
Tauchen neben Yoga und<br />
Wellness. Wer leicht seekrank<br />
wird, sollte allerdings von Aerial-Yoga,<br />
bei dem man in Tüchern<br />
hängt, Abstand nehmen,<br />
rät Yogalehrerin Helke Nienstädt,<br />
die die Yogareise auf der<br />
Queen Mary begleitet.<br />
Themenkreuzfahrten richten<br />
sich auch an Teilnehmer, die<br />
schon Praxis haben, aber auch<br />
einmal andere Stile probieren<br />
wollen. So gibt die TUI-Kreuzfahrt<br />
„Fitness trifft Yoga“ Einblick<br />
in Aerial Yoga, Faszien-Yoga,<br />
Ying Yoga, Hatha Yoga, Dyn<strong>am</strong>ic<br />
Yoga oder Vinyasa Power<br />
Yoga. Sofern nicht ausdrücklich<br />
ausgeschrieben, sind Yoga-Sessions<br />
gegen Gebühr: Sie beginnen<br />
bei zwölf Euro pro Stunde.
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 KREUZFAHRTEN 53<br />
SPEZIAL<br />
Starköche<br />
entern die<br />
<strong>Welt</strong>meere<br />
MSC CRUISES (2), MS EUROPA<br />
Das Gastronomieangebot<br />
an Bord ist für die meisten Passagiere ein<br />
entscheidendes Buchungskriterium<br />
Für Anhänger des Intervallfastens<br />
ist der<br />
kulinarisch durchgetaktete<br />
Tagesablauf<br />
auf einem<br />
Kreuzfahrtschiff eher weniger<br />
geeignet. Early-Bird-Breakfast.<br />
Ausgiebiges Schlemmerfrühstück.<br />
Frühschoppen mit deftigen<br />
Bierhappen. Fünf-Gänge-<br />
Lunch. Tortenschlacht.<br />
VON HANS SCHLOEMER<br />
Cocktailhäppchen. Gourmet-<br />
Dinner. Mitternachtsimbiss.<br />
Und auf dem Kopfkissen in der<br />
Kabine wartet auch noch ein<br />
schokoladiges Gute-Nacht-Leckerli.<br />
Nach einer Studie stellt<br />
das Gastronomieangebot an<br />
Bord für mehr als zwei Drittel<br />
aller potenziellen Passagiere<br />
ein entscheidendes Buchungskriterium<br />
dar. Das wissen auch<br />
die Reedereien. Und tischen<br />
immer wieder neue kulinarische<br />
Reize auf. Spektakuläre<br />
Kochevents, noch mehr Spezialitätenrestaurants<br />
– und große<br />
N<strong>am</strong>en in der Kombüse.<br />
25 Jahre in Folge wurde er<br />
mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet:<br />
Jetzt denkt sich Harald<br />
Wohlfahrt, vormals<br />
„Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn,<br />
Menüs und Hauptgerichte<br />
für die Megaliner von MSC<br />
Cruises aus. Auch illustre Kollegen<br />
sind <strong>am</strong> Start: Der Zwei-<br />
Sterne-Koch R<strong>am</strong>ón Freixa aus<br />
Madrid zeichnet auf der neuen<br />
MSC Bellissima für das „Hola!“<br />
verantwortlich, serviert werden<br />
Edel-Tapas. Auf der Dessertkarte<br />
von MSC Meraviglia und<br />
MSC Bellissima stehen zudem<br />
Kreationen des französischen<br />
Spitzenpatissiers Jean-Philippe<br />
Maury. Auch die Kleinen sollen<br />
nicht darben: Der Mailänder<br />
Sternekoch Carlo Cracco hat<br />
bei MSC ein Kocherlebnis eigens<br />
für Kinder entwickelt.<br />
Das Starchef-Konzept funktioniert<br />
auf den meisten Kreuz-<br />
fahrtschiffen gleich. Der große<br />
Meister schreibt die Menüs, ist<br />
aber kaum an Bord. Ausnahme:<br />
Dieter Müller. Der ehemalige<br />
Drei-Sterne-Koch hat zehn Jahre<br />
auf der MS Europa ein Restau-<br />
rant geführt, das seinen N<strong>am</strong>en<br />
trägt. 80 Tage pro Jahr schipperte<br />
er persönlich mit. Nach einem<br />
Werftaufenthalt im Oktober<br />
übernimmt Kevin Fehling vom<br />
H<strong>am</strong>burger „The Table“ (3 Sterne).<br />
20 Tage will er selbst im<br />
neuen „Globe“ kochen. Für Fehling<br />
ist es ein besonderes Comeback<br />
– zu Beginn seiner Karriere<br />
hatte er auf der Europa als Souschef<br />
die <strong>Welt</strong> bereist.<br />
Höchst dekorierte Köche<br />
sind immens gefragt: So eröffnet<br />
der französische Drei-Sterne-Chef<br />
Emmanuel Renaut im<br />
Herbst auf auf der neuen Sky<br />
Princess das Haute-Cuisine-<br />
Restaurant „La Mer“. Für Pullmantur<br />
Cruises entwickelt der<br />
junge Spanier Jordi Cruz (drei<br />
Sterne) gerade neue Kreationen<br />
an Bordmenüs und Innovationen<br />
für die Buffets.<br />
Es dürfen aber auch gern<br />
bekannte Fernsehköche sein:<br />
Stefan Marquard, nur echt mit<br />
Piratentuch und Zauselbart,<br />
zaubert für die Gäste von<br />
AIDAnova und AIDAaura. Auf<br />
der AIDAmar zeigt die Eventund<br />
YouTube-Köchin Felicitas<br />
Then, wie man durch simple<br />
Tricks einfachen Gerichten<br />
mehr Pepp verleihen kann.<br />
Harald Wohlfahrt (l.) denkt sich Menüs für die Megaliner<br />
von MSC Cruises aus, der H<strong>am</strong>burger Kevin Fehling kocht<br />
bald drei Wochen auf der MS Europa<br />
HUMMER UND STEAK Auch<br />
die immer stärker grassierende<br />
Grill-Kultur hat sich aus Gärten<br />
und Balkonien an Bord gebe<strong>am</strong>t.<br />
Ohne ein eigenes Steakhouse<br />
wagt sich kaum noch ein<br />
Schiff auf die sieben Meere. Bei<br />
Cunard heißt die neue Formel<br />
„Steakhouse at The Verandah“.<br />
Aber Steak ist dort selbstverständlich<br />
nicht gleich Steak.<br />
Auf Queen Mary 2, der Queen<br />
Elizabeth und der Queen Victoria<br />
laben sich die Passagiere an<br />
New York-Clubsteak, Maine-<br />
Hummer und Alaska-Königskrabbe,<br />
Schottischem Rindfleisch<br />
und Salt-Marsh-L<strong>am</strong>mkarree<br />
wie an butterweichem<br />
Wagyu-Rind aus Australien.<br />
An einem guten Tropfen soll<br />
es auf offener See ohnehin nie<br />
fehlen. Die in der Szene bekannten<br />
Weinnasen Oz Clarke,<br />
Will Lyons und Charles Metcalfe<br />
sind Special Guests einer Cunard<br />
Themenreise, bei der sich<br />
im September für 15 Tage alles<br />
um edle Weine drehen wird.<br />
Neben Expertengesprächen<br />
sind auch reichlich Verkostungen<br />
vorgesehen: Wie die Reederei<br />
mitteilt, können ihre Gäste<br />
auf dieser Reise bis zu 400 Weine<br />
aus 23 Ländern kennenlernen.<br />
Wohl bekomm’s!<br />
Ob Starkoch oder Smutje:<br />
Vielfalt, Abwechslung und Qualität<br />
sämtlicher Speisen an Bord<br />
müssen hundertprozentig stimmen<br />
und mit den Anforderungen<br />
einer weltweiten Beschaffungslogistik<br />
in Einklang gebracht<br />
werden. Immer wichtiger wird<br />
dabei die Abstimmung auf ein<br />
wechselndes internationales Publikum.<br />
Amerikaner mögen zumeist<br />
große Portionen mit viel<br />
Fleisch. Ohne Käse nach dem<br />
kulturen erleben<br />
WALLONIEN<br />
EINE REISE DURCH<br />
EUROPAS GESCHICHTE<br />
Flusskreuzfahrt ab/bis Düsseldorf<br />
vom 20.07.2019-26.07.2019<br />
Mit der kleinen, komfortablen<br />
MS ELEGANT LADY<br />
unterwegs auf<br />
der Maas und dem Julianakanal<br />
Preis p. P. ab € 1.195,–<br />
in 2-Bett-Außenkabine<br />
Persönliche Beratung und Buchung<br />
Tel. 07 11 /6 19 25-23 oder -39<br />
Hauptgang und vor dem Dessert<br />
ist ein Menü für Franzosen nicht<br />
vollständig. Italiener möchten<br />
auf ihre Pasta nicht verzichten.<br />
Bei den Deutschen muss Gemüse<br />
dabei sein. Spanier essen gern<br />
spät. Und dann sind da ja noch<br />
die immer mehr werdenden Veganer<br />
und Vegetarier.<br />
menschen begegnen<br />
50 %<br />
Preisnachlass für<br />
die 2. Person in einer<br />
Doppelkabine*<br />
Genießen Sie die Gastlichkeit<br />
an Bord und ein attraktives Ausflugsprogr<strong>am</strong>m<br />
mit exzellenter<br />
Reiseleitung (im Preis enthalten).<br />
* gilt nur für Neubuchungen<br />
bis 20.05.2019<br />
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www.biblische-reisen.de<br />
anthony.king@ biblische-reisen.de<br />
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT <strong>am</strong> SONNTAG KOMPAKT-2019-05-05-ad_rom-20 d303819bfe5e76bd858c8f6bd6d14bdc
REISEEMPFEHLUNG<br />
GRÖNLANDREISEN AUF DER ASTOR<br />
ANZEIGEN-SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Gewaltige Eisberge im tiefblauen Meer, in Buchten geschmiegte<br />
Städtchen mit bunten Holzhäusern und die Naturwunder arktischer<br />
Eiswelten in Grönland. Auf einer Schiffsreise mit der MS Astor nach<br />
Island und Grönland erleben Sie all dies und noch viel mehr.<br />
Das Schiff bahnt sich seinen Weg durchs<br />
Eis – zu wildromantischen Landschaften<br />
und spannender Kultur<br />
MIT MS ASTOR IN DEN POLARSOMMER<br />
EWIGES EIS<br />
AM NORDMEER<br />
Auf Island schießen Fontänen<br />
in den Himmel, Thermalquel-<br />
len d<strong>am</strong>pfen und Gletscher<br />
flirten mit schlummernden<br />
Vulkanen. Grönland lockt mit<br />
einer fantastischen <strong>Welt</strong> aus<br />
Eis und schneebedeckten Bergen<br />
über grünen Küstensäumen,<br />
farbenprächtigen Sonnenuntergängen<br />
und span-<br />
nender Inuit-Kultur.<br />
Die ASTOR von TransOcean<br />
Kreuzfahrten ist eines der weni-<br />
gen Schiffe, das aufgrund seiner<br />
geringen Größe Expeditionen in<br />
solche Regionen möglich macht.<br />
Unter dem Motto „Grönland<br />
komplett“ nimmt sie vom 1. bis<br />
zum 24. Juli 2019 oder im nächs-<br />
ten Sommer vom 1. bis zum 24.<br />
Juli 2020 von Bremerhaven aus<br />
Kurs auf spektakuläre Naturphä-<br />
nomene und unvergessliche<br />
Abenteuer – zus<strong>am</strong>men mit ei-<br />
nem Lektoren-Te<strong>am</strong> und weiteren<br />
Wissenschaftlern, die die Passa-<br />
giere auf Landgängen begleiten<br />
und in Vorträgen an Bord aus ers-<br />
ter Hand über die zu bereisenden<br />
Destinationen informieren.<br />
Die 24-tägige Expeditionsreise<br />
beginnt ganz entspannt mit zwei<br />
Seetagen, die neben Erholung<br />
auch schon erste Informationen<br />
zu den Zielen in Island und Grönland<br />
bereithalten. Die ausgefeilte<br />
Route von TransOcean Kreuzfahrten<br />
bietet neben zahlreichen Passagen<br />
wie dem imposanten Prins<br />
Christian Sund oder der Diskobucht<br />
auch eine große Anzahl an<br />
abwechslungsreichen Ausflügen.<br />
Passagiere erleben die einzigartige<br />
Landschaft auf Bootsfahrten<br />
zwischen Eisbergen in Ilulissat,<br />
Helikopter-Flügen oder Wanderungen<br />
zum Eisfjord und zu alten<br />
Inuit-Siedlungsplätzen.<br />
Um die ges<strong>am</strong>melten Eindrücke<br />
verarbeiten zu können, ist die AS-<br />
TOR mit ihren maximal 570 Passagieren<br />
der ideale Rückzugsort.<br />
Die persönliche Atmosphäre verbunden<br />
mit der stilvollen Ausstattung<br />
bietet perfekten Komfort für<br />
das „Zuhause unterwegs“.<br />
MS ASTOR steht für klassische<br />
Kreuzfahrt-Tradition und zeichnet<br />
sich durch erstklassigen Service,<br />
<strong>am</strong>bitionierte Küche und anspruchsvolle<br />
Unterhaltung aus.<br />
Ein guter Mix für eine so lange<br />
Kreuzfahrt in ein so extremes<br />
Fahrtgebiet, für Passagiere ein<br />
Garant für unvergleichliches Reisevergnügen.<br />
. . .<br />
Einzigartig<br />
– durch besondere<br />
Touren und Reiseziele.<br />
<br />
Der Kreuzfahrtmarkt boomt. Aber welches<br />
Konzept ist genau richtig für Sie? Wenn<br />
Sie Schiffe suchen, die zwar modern und<br />
vielfältig sind, aber nicht riesig und unpersönlich,<br />
wenn Sie Destinationen suchen,<br />
die noch nicht jedes Kreuzfahrtschiff angelaufen<br />
ist, wenn Sie individuelle Betreuung<br />
wünschen und nicht Massenabfertigung,<br />
dann – willkommen bei<br />
TransOcean.<br />
KREUZFAHRT IM BANN DER NATURWUNDER<br />
Zwölf Kabinen-Kategorien von der opulenten ASTOR-Suite bis zur<br />
Glückskabine (innen) stehen zur Verfügung und bieten jedem Gast<br />
die freie Auswahl für seine persönliche Rückzugs-Oase.<br />
Polarsommer in Island & Grönland – im Bann der Naturwunder<br />
vom 1. bis 24. Juli 2019 oder Naturgewaltiges Island<br />
und Eiswelten in Grönland vom 1. bis 24. Juli 2020.<br />
Jeweils 24 Tage Kreuzfahrt mit der MS ASTOR ab & bis Bremerhaven,<br />
ab 3.999 Euro/Person.<br />
www.transocean.de<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 KREUZFAHRTEN 55<br />
SPEZIAL<br />
Fernweh. Sehnsucht<br />
nach fremden Ländern.<br />
Andere Kulturen<br />
kennenlernen.<br />
Das sind drei gute<br />
Gründe, um auf einem Schiff<br />
anzuheuern. Helga Belsky hat<br />
den Sprung an Deck gewagt und<br />
fuhr als Hostess auf Hapag-<br />
Lloyd-Schiffen fast zehn Jahre<br />
lang mit.<br />
Schon zu Schulzeiten wollte<br />
sie in die <strong>Welt</strong> hinaus, d<strong>am</strong>als<br />
träumte sie von einem Einsatz<br />
als Stewardess. Doch dann k<strong>am</strong><br />
alles anders. Sie machte nach<br />
dem Abi eine Ausbildung zur<br />
Fremdsprachensekretärin und<br />
schloss später eine Weiterbildung<br />
zur PR-Managerin an. Im<br />
Zeitalter der Billigflieger war<br />
ihr gänzlich die Lust vergangen,<br />
im Flieger ihr Geld zu verdienen.<br />
Aber Kundenkontakt war<br />
ihr wichtig. Die Berlinerin arbeitete<br />
in Hotels und in zwei<br />
angesehenen Berliner Business<br />
Clubs, kümmerte sich um Gästebetreuung<br />
und um Veranstaltungen.<br />
Nach dem Tod ihrer<br />
Mutter wollte sie auch eine berufliche<br />
Veränderung.<br />
VON CAROLA V. POMPETZKI<br />
Da war es wie ein Zeichen,<br />
dass ihr eine Kollegin einen<br />
Link für eine Stellenausschreibung<br />
schickte. Auf dem<br />
Smartphone tauchten zunächst<br />
nur wenige magische Worte<br />
auf: „Hostess gesucht. Mindestalter:<br />
40 Jahre“. Die heute 53-<br />
Jährige war gerade knapp über<br />
40. „Das war genau das, was ich<br />
machen wollte.“ Die Voraussetzungen,<br />
gutes Englisch, souveränes<br />
Auftreten und Menschenkenntnis,<br />
erfüllte sie. Dann ging<br />
alles ganz schnell, Helga Belsky<br />
startete 2008 als Hostess, erst<br />
auf einer Probefahrt nach<br />
Grönland, fuhr dann auf MS<br />
Bremen, MS Hanseatic und gelegentlich<br />
auf MS Columbus 2<br />
als Guest Relation Manager.<br />
STRENG NACH PROGRAMM<br />
Zwei Jahre wollte sie den Hostessen-Job<br />
machen, um den Bezug<br />
zur Realität nicht zu verlieren.<br />
Denn auch, wenn man an<br />
Bord keine geregelten 8-Stunden-Tage<br />
und 5-Tage-Wochen<br />
hat, werden einem doch ganz<br />
normale Alltagsarbeiten abgenommen<br />
wie einkaufen, kochen,<br />
Wäsche waschen. „Das<br />
kann schon verführerisch sein.<br />
Man muss einfach nur arbeiten“,<br />
fasst Frau Belsky zus<strong>am</strong>men.<br />
Dabei werde die Arbeit<br />
auf einem Expeditionsschiff<br />
wie der Bremen oder Hanseatic<br />
vom Tagesprogr<strong>am</strong>m diktiert.<br />
„Das erstellt der Kreuzfahrtdirektor<br />
in Absprache mit den anderen<br />
Abteilungen“, so die Ex-<br />
Hostess. Es sei auch eine Richtlinie<br />
für alle Mitarbeiter. Darin<br />
ist festgelegt, wann es Frühstück,<br />
Mittag- und Abendessen<br />
gibt, wann die Ausflüge starten<br />
und das Abendprogr<strong>am</strong>m beginnt.<br />
„Dem muss sich alles unterordnen.<br />
Wenn früh morgens<br />
bei einer Expeditionskreuz-<br />
Immer präsent<br />
Helga Belsky hat rund acht Jahre als Hostess<br />
auf Expeditionskreuzfahrtschiffen gearbeitet. Dabei<br />
hat sie nicht nur andere Länder kennengelernt,<br />
sondern auch viel über sich selbst erfahren<br />
Keine Uniform?<br />
Nicht im Außeneinsatz<br />
in der<br />
Antarktis<br />
fahrt die erste Anlandung ist,<br />
dann bedeutet das natürlich<br />
auch, dass man entsprechend<br />
früh aufsteht, um bereit zu<br />
sein“, sagt Helga Belsky.<br />
Denn auch eine Hostess wird<br />
häufig bei Ausflügen eingebunden.<br />
„Da hat sich das Berufsbild<br />
in den vergangenen Jahren gewandelt“,<br />
so die frühere Hapag-<br />
Lloyd-Mitarbeiterin. „Ursprünglich<br />
fungierte sie als<br />
Gastgeberin auf dem Schiff.“<br />
Sie war bei Veranstaltungen dabei,<br />
hat dem Kapitän Gäste vorgestellt<br />
und das Einladungsmanagement<br />
für die Offizierstische<br />
gemacht. „Das alles macht<br />
eine Hostess heute auch noch“,<br />
sagt Organisationstalent Belsky.<br />
„Inzwischen sind noch administrative<br />
Dinge dazugekommen.<br />
Auf den Expeditionsschiffen,<br />
auf denen ich gefahren bin,<br />
ist die Hostess zum Beispiel<br />
auch zuständig für die Zodiac-<br />
Ausbootungen.“ Das heißt, sie<br />
sorgt für einen reibungslosen<br />
Ablauf und achtet darauf, dass<br />
die Gäste sicher auschecken<br />
und in das kleinere Schlauchboot<br />
kommen. Vor allem aber<br />
darf kein Chaos entstehen,<br />
wenn plötzlich 60 Menschen<br />
gleichzeitig einsteigen wollen.<br />
„F<strong>am</strong>ilien und Freunde zu trennen,<br />
ist auch nicht wirklich zu<br />
empfehlen“, so Helga Belsky lakonisch.<br />
Je zufriedener die Passagiere<br />
seien, desto besser sei<br />
die Stimmung an Bord.<br />
Auch eine eher neue Aufgabe<br />
für Hostessen, die neudeutsch<br />
jetzt auch Guest Ralation Manager<br />
heißen, ist der Einsatz als<br />
„Field Staff“: Durch die immer<br />
strenger werdenden Sicherheitsauflagen<br />
macht es Sinn,<br />
dass sie auch an Land den Gästen<br />
helfend zur Seite stehen,<br />
Auskünfte geben, dafür sorgen<br />
dass an der Landstation genug<br />
Boote zur Verfügung stehen,<br />
wenn die Ausflügler wieder aufs<br />
Kreuzfahrtschiff wollen.<br />
Unterstellt ist die Hostess<br />
auf den Expeditionsschiffen<br />
von Hapag Lloyd dem Kreuzfahrtdirektor.<br />
Nichts desto<br />
trotz ist sie bei Empfängen<br />
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oder Abendessen an der Seite<br />
des Kapitäns. „Man versucht,<br />
dass alle Passagiere mindestens<br />
einmal vom Kapitän oder einem<br />
seiner Offiziere bzw. Abteilungsleiter<br />
zum Abendessen<br />
eingeladen werden“, umreißt<br />
Belsky eine tägliche Herausforderung.<br />
Je nach Länge der Reise<br />
sei das mal einfacher, mal<br />
schwieriger.<br />
An dienstfreien Abenden<br />
kann die Hostess mit anderen<br />
Mitarbeitern in der Offiziersmesse<br />
essen. „Der gute Kontakt<br />
zu den Kollegen ist unheimlich<br />
wichtig, gerade, wenn man lange<br />
zus<strong>am</strong>menarbeiten muss“,<br />
findet Helga Belsky. Wenn man<br />
bis zu drei Monate <strong>am</strong> Stück auf<br />
einem Schiff arbeite, müsse<br />
man aufeinander zugehen und<br />
offen seinen Mitmenschen gegenüber<br />
sein. „Man lernt sehr<br />
viel über sich selbst, muss Dinge<br />
allein mit sich ausmachen<br />
und kann nicht weglaufen. Gerade<br />
deshalb ist dann die Gemeinschaft<br />
essenziell.“ Fällt<br />
Personal an Bord aus, würden<br />
LAROCCA LOREDANA<br />
die Aufgaben neu verteilt.<br />
„Dann serviert auch mal der<br />
Hoteldirektor mit“, sagt Frau<br />
Belsky. Dies könne schon einmal<br />
bei allzu rauher See passieren.<br />
„Ich habe es aber in all den<br />
Jahren nicht erlebt, dass der<br />
Service ganz eingestellt wurde“,<br />
erinnert sich die frühere<br />
Hostess.<br />
Können durch schlechtes<br />
Wetter keine Ausflüge unternommen<br />
werden, weil etwa das<br />
Anlanden oder Ausbooten zu<br />
gefährlich wäre, „dann wird das<br />
Progr<strong>am</strong>m umgestellt, gibt es<br />
zusätzliche Lektoren-Vorträge,<br />
wird ein Quiz gemacht oder ein<br />
Konzert eingeschoben“. Bei<br />
schwerem Seegang hätte die<br />
Hostess auf der Bremen in ihrer<br />
Einzelkabine richtig viel Spaß.<br />
„Die ist ganz vorn, das erste<br />
Bullauge auf Deck vier, auch<br />
,Hotel zum Anker’ genannt“<br />
Heißt, da bekommt man alles<br />
näher mit, als einem lieb ist.<br />
HERZLICHKEIT ZÄHLT<br />
Von<br />
wegen Nähe: „Auf der Bremen<br />
kommt man den Gästen sehr<br />
nah, weil es ein kleines intimes<br />
Schiff ist“, findet Frau Belsky,<br />
die im Schnitt rund 150 Gäste<br />
auf der Bremen hatte. Man unterhalte<br />
sich zum Beispiel in<br />
der Bibliothek und lerne dabei<br />
die F<strong>am</strong>ilienverhältnisse des<br />
anderen kennen. St<strong>am</strong>mgäste<br />
gebe es auch. „Die winkten mir<br />
schon bei der Einschiffung zu<br />
und freuten sich, Mitarbeiter<br />
wiederzusehen. Teilweise fallen<br />
sie einem sogar um den Hals.“<br />
Vielleicht war diese Herzlichkeit<br />
mit ein Grund, warum Helga<br />
Belsky nicht ganz ihre Vorsätze<br />
einhalten konnte. Nach<br />
zwei Jahren Dienstzeit ging sie<br />
zwar wie geplant von Bord, k<strong>am</strong><br />
aber zwei Jahre später schon<br />
wieder zurück, weil „die Sehnsucht<br />
einfach zu groß war“.<br />
Es folgten noch einmal rund<br />
sechs Jahre Dienstzeit, mit Einsätzen<br />
von maximal drei Monaten<br />
Arbeitszeit hintereinander.<br />
Obwohl von Haus aus ein Sonnentyp,<br />
fuhr sie als Hostess<br />
eher in eisige Gegenden. Wie<br />
oft sie in der Antarktis war,<br />
weiß sie gar nicht mehr genau,<br />
„aber 15 mal bestimmt“. Seit ihrer<br />
ersten Pinguin-Sichtung –<br />
Kaiser-Pinguine auf Macquarie<br />
Island auf der antarktischen<br />
Halbinsel – ist sie ein Fan der<br />
watschelnden Tiere und der<br />
Antarktis. „Durch die Mitternachtssonne<br />
ist es dort auch im<br />
Winter immer hell. Ein<br />
Traum!“<br />
Helga Belsky ging im Herbst<br />
vergangenen Jahres dann doch<br />
wieder an Land, um zu heiraten<br />
und mehr Zeit mit ihrem Mann<br />
und Freunden verbringen zu<br />
können. Sie arbeitet jetzt als<br />
Mitarbeiterin des Protokolls<br />
bei der Stiftung Preußischer<br />
Kulturbesitz in Berlin. „Geregelte<br />
Arbeitszeiten haben auch<br />
etwas für sich“, sagt sie. Aber<br />
für eine gewisse Zeit würde sie<br />
den Hostessenjob jedem empfehlen,<br />
der leidenschaftlich<br />
gern mit Menschen arbeitet.
Hast du gezittert,<br />
als ich im<br />
Halbfinale 1990 zum<br />
Punkt gelaufen bin?<br />
Es war der erste<br />
Elfmeter meiner<br />
Karriere.<br />
KALLE RIEDLE,<br />
WELTMEISTER 1990<br />
Königin<br />
Jennifer Kettemann bändigt in<br />
Mannheim die Rhein-Neckar Löwen S. 60<br />
Erfolg bekommt niemand<br />
geschenkt, den<br />
muss sich jeder erarbeiten,<br />
auch wenn es<br />
bei manchen vielleicht<br />
leichter aussieht. Dieser<br />
Kelch ging also auch nicht an mir vorüber.<br />
Ich musste mich wie die anderen<br />
auch im Training abwerkeln. Hier und da<br />
ist mir einiges vielleicht leichter gefallen<br />
als anderen, aber die wichtigen Sachen<br />
musste auch ich mir hart erarbeiten. Da<br />
kommt keiner drumherum.<br />
Überhaupt nicht. Ich hatte hundert<br />
Prozent Vertrauen, zu dir<br />
und auch zu den anderen Schützen.<br />
Manche sagen, Elfmeterschießen<br />
sei reine Glückssache.<br />
Das stimmt nicht. Man kann das<br />
üben. Deswegen habe ich <strong>am</strong> Ende des Trainings<br />
immer Elfmeterschießen trainieren lassen.<br />
Wir waren also bestens vorbereitet. Anders<br />
als die Engländer, das kennt man ja. Ich<br />
wusste, wir gewinnen. Ursprünglich sollte Rudi<br />
Völler schießen. Die Schützen waren vorbestimmt,<br />
die Reihenfolge auch. Durch die Einwechslung<br />
musstest du zum Elfmeterpunkt.<br />
Ich war mir sicher, dass du triffst.<br />
Du hattest so eine<br />
Leichtigkeit im Spiel.<br />
Fiel dir wirklich alles<br />
so leicht, oder<br />
musstest du für deinen<br />
Erfolg genauso hart<br />
arbeiten wie andere?<br />
JÉRÔME BOATENG,<br />
WELTMEISTER 2014<br />
Aufsteiger<br />
Onel Hernández startet in England durch<br />
und will ins kubanische Nationalte<strong>am</strong> S. 61<br />
,<br />
Hattest du den Schuss vom<br />
Weißbierglas vor deinem<br />
Auftritt im ,Sportstudio‘<br />
schon mal gemacht?<br />
THOMAS BERTHOLD,<br />
<strong>Welt</strong>meister 1990<br />
Nein, das war eine<br />
spontane Situation,<br />
und es war das erste<br />
Mal. Ich hatte das<br />
auch nicht heimlich<br />
trainiert – schon weil<br />
ich Weißbier d<strong>am</strong>als lieber getrunken<br />
als verschüttet hab. Hinterher<br />
habe ich es allerdings noch ein paarmal<br />
gemacht.<br />
Ich hab rechtzeitig erkannt,<br />
dass ich mich<br />
besser an den Spruch<br />
halte: Schuster, bleib bei<br />
deinen Leisten. Als<br />
Hobby hab ich es aber<br />
immer sehr genossen, vor allem zur Entspannung.<br />
Wobei das mit der Entspannung<br />
früher nicht immer funktionierte.<br />
Aber die besten Golfplätze liegen in<br />
schönster Natur, das ist auf jeden Fall gut<br />
für die Seele. Gerade erst war ich für meine<br />
Stiftung mit den Eagles zu einem Turnier<br />
in einer wunderschönen Gegend der<br />
Toskana.<br />
Hat dich beim Golf<br />
jemals der Ehrgeiz<br />
dermaßen gepackt,<br />
dass du überlegt<br />
hast, den Sport nicht<br />
länger nur als Hobby<br />
zu betreiben?<br />
THOMAS MÜLLER,<br />
WELTMEISTER 2014<br />
Wie war das 1974<br />
nach dem<br />
DDR-Spiel<br />
eigentlich mit<br />
meinem Einsatz<br />
im Te<strong>am</strong>?<br />
RAINER BONHOF,<br />
<strong>Welt</strong>meister 1974<br />
Helmut Schön war nach der Bl<strong>am</strong>age<br />
gegen die DDR gewillt, die<br />
Mannschaft umzukrempeln.<br />
Und er kannte natürlich deine<br />
Stärken, deine Dyn<strong>am</strong>ik. Offensichtlich<br />
hat er d<strong>am</strong>als gesehen,<br />
dass du in der Situation der Richtige bist für<br />
unser Spiel. So bist du in die Mannschaft gekommen<br />
und bis zum Endspiel geblieben.<br />
Wenn du auf meine Rolle anspielst: Als Kapitän<br />
war es natürlich meine Aufgabe, eng mit dem<br />
Bundestrainer zus<strong>am</strong>menzuarbeiten. Dazu gehörte<br />
für mich auch, dass ich ihm den einen<br />
oder anderen Vorschlag unterbreitete.<br />
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,<br />
Ich musste<br />
,ch<br />
,mich<br />
ch musste<br />
im<br />
Training<br />
auch<br />
abwerkeln<br />
FRANZ BECKENBAUER<br />
Der „Kaiser“ wurde erst als Spieler und<br />
dann als Trainer Fußball-<strong>Welt</strong>meister.<br />
Hier steht der 73-Jährige zehn<br />
<strong>Welt</strong>meistern Rede und Antwort<br />
Franz Beckenbauer<br />
Fußballkaiser<br />
<strong>Welt</strong>meister als Spieler<br />
(1974) und Trainer (1990)<br />
und bekanntester deutscher<br />
Sportler. Gegen ihn<br />
läuft seit dem 6.11.2015 in<br />
der Schweiz ein Strafverfahren<br />
wegen des<br />
Verdachts auf Betrug,<br />
Geldwäsche und Veruntreuung<br />
in Zus<strong>am</strong>menhang<br />
mit der WM 2006.<br />
BONGARTS/GETTY IMAGES/ALEXANDER HASSENSTEIN; AFP/GETTY IMAGES/SASCHA SCHUERMANN, PICTURE ALLIANCE / AUGENKLICK (2), GETTY IMAGES (4), PICTURE ALLIANCE (4)<br />
Alle Freunde, die mir lieb<br />
und wichtig sind. Dazu<br />
gehörst auch du, Wolfgang,<br />
das weißt du ja. Deine<br />
regelmäßigen Anrufe<br />
haben mich immer wieder<br />
aufgebaut. Ebenso wie die Telefonate<br />
mit Günter Netzer und mit den Freunden<br />
beim FC Bayern. Es gibt so viele, die mich<br />
unterstützt haben; unmöglich, alle aufzuzählen,<br />
dafür würde der Platz hier nicht<br />
reichen.<br />
Wie hast du dein<br />
Leben nach der<br />
Fußball-Karriere<br />
gemeistert? Und hast<br />
du Tipps für mich?<br />
MARIO GÖTZE,<br />
<strong>Welt</strong>meister 2014<br />
Lieber Helmut,<br />
danke<br />
für deine<br />
Nachfrage,<br />
ich weiß das<br />
zu schätzen.<br />
Lass es mich so sagen: Es ist<br />
nicht gerade die Zeit, um Bäume<br />
auszureißen, aber es geht<br />
mir besser, ich bin ganz zufrieden.<br />
Welche<br />
Maßnahmen<br />
würden Sie<br />
treffen, um den<br />
Frauenfußball in<br />
Deutschland zu<br />
popularisieren?<br />
SIMONE LAUDEHR,<br />
<strong>Welt</strong>meisterin 2007<br />
SPORT<br />
Du hast eine schwere<br />
Zeit durchstehen<br />
müssen. Welche<br />
Freunde haben in der<br />
Not zu dir gestanden?<br />
WOLFGANG OVERATH,<br />
<strong>Welt</strong>meister 1974<br />
Einem solch begnadeten<br />
Fußballer wie dir<br />
kann ich nur den Ratschlag<br />
geben: Bleib im<br />
Fußballgeschäft. Es<br />
gibt nichts Schöneres<br />
als Fußball. In welcher Position, ob als<br />
Manager, Spielerberater oder als TV-<br />
Experte, das musst du selbst herausfinden.<br />
Oder womöglich als Trainer?<br />
Aber das ist hart, das ist wahrscheinlich<br />
der härteste Posten überhaupt.<br />
Das schließt ihn nicht aus, aber das<br />
muss man wissen, wenn man diesen<br />
Weg einschlagen will.<br />
Ich könnte dir hier viele<br />
Fragen stellen. Aber nach all<br />
dem, was du zuletzt<br />
durchmachen musstest,<br />
möchte ich nur eines wissen:<br />
Wie geht es dir?<br />
HELMUT KREMERS,<br />
<strong>Welt</strong>meister 1974<br />
Ich kenne keinen Spieler, der<br />
gleichermaßen mit rechts<br />
und links mit einer solchen<br />
Präzision schoss, wie du das<br />
konntest. Die Torhüter wussten<br />
nie, mit welchem Bein du<br />
schießt. Es stimmt, Lothar war als erster Elfmeterschütze<br />
festgelegt. Aber dadurch, dass er<br />
zur Halbzeit seine Schuhe wechseln musste,<br />
fühlte er sich nicht sicher. Als du dir den Ball<br />
genommen hast, hatte ich nicht die geringste<br />
Befürchtung. Mit deiner Präzision hättest du<br />
einen Vogel von der Latte schießen können.<br />
Ich verfolge Frauenfußball seit vielen<br />
Jahren. Er hat enorme Fortschritte<br />
gemacht, nicht nur in Deutschland.<br />
Das wird von den Menschen honoriert.<br />
Stärkere Werbemaßnahmen<br />
könnten ihn sicher noch populärer<br />
machen. Da sind die Verbände gefragt. Es müssten öfter<br />
Spiele im Fernsehen gezeigt werden, zu attraktiven<br />
Zeiten. Auch das eine Aufgabe für die Verbände,<br />
die mit den Medien geeignete Wege aushandeln<br />
müssten. Gut wäre, wenn bekannte ehemalige Spielerinnen<br />
präsenter wären in der Öffentlichkeit, auch<br />
als Vorbilder für den Nachwuchs. Zum Beispiel als<br />
TV-Expertin. Warum sollte Sky nicht mal eine Frau<br />
als Expertin präsentieren?<br />
Was hast du 1990<br />
gedacht, als ich im<br />
Finale zum<br />
Elfmeter<br />
angetreten bin und<br />
nicht der Lothar?<br />
ANDREAS BREHME,<br />
<strong>Welt</strong>meister 1990<br />
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58 SPORT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
NACHRICHTEN<br />
FUSSBALL<br />
0:3 – Bl<strong>am</strong>age<br />
für den HSV<br />
Der H<strong>am</strong>burger SV bleibt in<br />
der Krise. Gegen Ingolstadt<br />
verlor die Elf von Trainer<br />
Hannes Wolf 0:3 (0:1) und<br />
bleibt Tabellenvierter der<br />
Zweiten Liga. Die anderen<br />
S<strong>am</strong>stagspiele: Heidenheim<br />
– Sandhausen 2:3 (1:0), Bochum<br />
– Magdeburg 4:2 (1:0).<br />
Luka Jovic vor<br />
Wechsel zu Real<br />
60 Millionen Euro will Real<br />
Madrid für eine Verpflichtung<br />
von Eintracht Frankfurts<br />
Torjäger Luka Jovic zur<br />
neuen Saison bezahlen. Wie<br />
die Zeitung „As“ berichtet,<br />
gehen davon 48 Millionen<br />
Euro nach Frankfurt, zwölf<br />
Millionen Euro zu Jovics<br />
Ex-Klub Benfica Lissabon.<br />
In Madrid soll der Serbe<br />
einen Sechs-Jahres-Vertrag<br />
bekommen.<br />
BEACHVOLLEYBALL<br />
Borger/Sude<br />
stark unterwegs<br />
Karla Borger/Julia Sude<br />
(Stuttgart) belegten beim<br />
World-Tour-Turnier in Kuala<br />
Lumpur (Malaysia) Platz<br />
drei. Es siegten Barbora<br />
Hermannová/Marketa Slukova<br />
(Tschechien) vor Kerri<br />
Walsh Jennings/Brooke<br />
Sweat (USA). Laura Ludwig/<br />
Margareta Kozuch (H<strong>am</strong>burg)<br />
wurden Neunte.<br />
Seht her, Jungs Franck Ribéry bejubelt seinen Treffer zum entscheidenden 3:1 für die Bayern. Leon Goretzka gratuliert<br />
Franck macht’s<br />
BONGARTS/GETTY IMAGES/SEBASTIAN WIDMANN<br />
DTM<br />
Wittmann siegt<br />
zum Saisonstart<br />
Auf dem Hockenheimring<br />
gewann BMW-Pilot Marco<br />
Wittmann (Fürth) das erste<br />
Saisonrennen vor Mike Rockenfeller<br />
(Neuwied, Audi),<br />
Dritter wurde Robin Frijns<br />
(Niederlande, Audi). Heute<br />
(13.30 Uhr, Sat.1) gibt’s in<br />
Hockenheim Rennen zwei.<br />
TENNIS<br />
Teichmann<br />
gewinnt in Prag<br />
Das Finale des WTA-Turniers<br />
in Prag – ein Qualifikantinnenduell<br />
– gewann die<br />
Schweizerin Jil Teichmann<br />
mit 7:6 (7:5), 3:6, 6:4 gegen<br />
Karolína Muchová (Tschechien).<br />
D<strong>am</strong>it rückt sie erstmals<br />
in die Top 100 auf.<br />
München<br />
Hannover (2:0) 3:1<br />
Hausaufgaben sind<br />
zu erledigen auf<br />
dem Weg zur Titelverteidigung<br />
für den FC Bayern.<br />
Ein Dreier gegen Hannover<br />
gehört selbstverständlich<br />
dazu. Und es klappte. 3:1 (2:0)<br />
hieß es nach 90 Minuten, weiterhin<br />
sind die Bayern nur von<br />
sich selbst abhängig.<br />
Von der Tribüne schauten<br />
Franz Beckenbauer, Hans-Georg<br />
Schwarzenbeck, Werner<br />
Olk und andere Meister von<br />
1969 ihren Nachfolgern zu,<br />
Jérôme Boateng etwa, der dieses<br />
Mal den Vorzug vor Mats<br />
Hummels in der Innenverteidigung<br />
erhielt, oder Serge<br />
Gnabry, der für den <strong>am</strong> Knie<br />
verletzten Javi Martínez ins<br />
Te<strong>am</strong> rückte. Die Bayern begannen<br />
gegen den designierten<br />
Absteiger sehr verhalten.<br />
Verunsicherte<br />
Bayern tun sich<br />
schwer gegen<br />
defensive<br />
Niedersachsen.<br />
Erst Altmeister<br />
Ribéry macht<br />
alles klar<br />
Sollte die Unruhe, die es unter<br />
der Woche wieder einmal gegeben<br />
hatte in München, etwa<br />
doch auf die Mannschaft abgefärbt<br />
haben?<br />
Ein ausgebliebenes Treuebekenntnis<br />
für Trainer Niko<br />
Kovac hatte für Irritationen<br />
gesorgt. Vorstandschef Karl-<br />
Heinz Rummenigge hatte auf<br />
die Vertragslaufzeit von Kovac<br />
bis ins Jahr 2021 hingewiesen,<br />
aber wiederholt auch eine<br />
Klubmaxime zum Ausdruck<br />
gebracht. „Jeder, der für Bayern<br />
München arbeitet, mich<br />
eingeschlossen, muss liefern.“<br />
Die erste Chance der Partie<br />
hatten die Gäste, Genki Haraguchi<br />
köpfte in der 5. Minute<br />
freistehend vorbei. Danach<br />
übernahmen die Bayern das<br />
Kommando. Kingsley Coman<br />
scheiterte per Kopf (11.) an 96-<br />
Torwart Michael Esser, ebenso<br />
Robert Lewandowski geköpft<br />
(14.). Der Pole aber traf dann<br />
doch mit seinem 22. Saisontreffer<br />
per Kopf nach Flanke<br />
von Joshua Kimmich zum 1:0<br />
(26.). Thomas Müller (36.) und<br />
Boateng (37.) scheiterten an<br />
Esser, dafür traf Leon Goretzka<br />
zum 2:0 (39.).<br />
Halbzeit zwei begann mit<br />
einem Paukenschlag: Boateng<br />
drehte sich in eine Flanke von<br />
Linton Maina, der Ball sprang<br />
an die Grenze von Oberkörper<br />
und Oberarm, und Schiedsrichter<br />
Christian Dingert entschied<br />
nach Ansicht der Bilder<br />
auf Elfmeter, den Jonathas sicher<br />
zum 2:1 verwandelte (52.).<br />
Anschließend holte er den Ball<br />
aus dem Netz, wobei er Bayern-Torhüter<br />
Sven Ulreich unsanft<br />
beiseitestieß – Gelb. Drei<br />
Minuten später erwischte er<br />
Kimmich mit dem Ellenbogen<br />
im Gesicht – Gelb-Rot.<br />
Nun wurde es zäh. Erst der<br />
eingewechselte Franck Ribéry<br />
machte mit dem 3:1 alles klar<br />
(84.). Auch Arjen Robben durfte<br />
zu einem umjubelten Kurzeinsatz<br />
ran, dann war es geschafft.<br />
Julien Wolff<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 SPORT 59<br />
Wolfsburg<br />
Nürnberg (1:0) 2:0<br />
Für den Club<br />
wird es eng<br />
Die Chancen auf den<br />
Klassenerhalt schwinden<br />
für den 1. FC<br />
Nürnberg – aber immer noch<br />
gibt es Hoffnung. Die Mannschaft<br />
von Trainer Boris<br />
Schommers geht jetzt mit einem<br />
Rückstand von fünf Punkten<br />
auf den Relegationsplatz<br />
in ihre letzten beiden Spiele<br />
gegen Borussia Mönchengladbach<br />
und beim SC Freiburg.<br />
Die Wolfsburger verbesserten<br />
sich durch Tore von Felix<br />
Klaus (38.) und Marcel Tisserand<br />
(78.) auf einen Europa-<br />
League-Platz. Einen Leistungsunterschied<br />
zwischen<br />
Europapokal- und Abstiegskandidat<br />
sahen die 22.512 Zuschauer<br />
freilich lange nicht.<br />
Erst allmählich eroberte sich<br />
Wolfsburg mehr Spielanteile,<br />
doch die Gäste hielten weiter<br />
mit viel Engagement dagegen.<br />
Gladbach<br />
Hoffenheim (0:1) 2:2<br />
Punkt geholt.<br />
Dank Sommer<br />
Verliert die Borussia erneut<br />
ihre Nummer eins<br />
an den FC Barcelona?<br />
Fünf Jahre nach dem Wechsel<br />
von Marc-André ter Stegen<br />
sind die Katalanen nun an<br />
Yann Sommer interessiert, wie<br />
die Zeitung „Marca“ berichtet.<br />
Die Borussia täte gut daran,<br />
den 30-Jährigen bis Vertragsende<br />
2021 zu halten. Gegen<br />
Hoffenheim war er wieder mal<br />
bester Gladbacher, auch wenn<br />
er das 2:2 (0:1) nicht verhindern<br />
konnte. Gegen Pavel Kaderabeks<br />
Kopfball zum 0:1 war<br />
er machtlos (33.). Gegen eigentlich<br />
drückend überlegene<br />
Hoffenheimer schaffte Matthias<br />
Ginter überraschend den<br />
Ausgleich (72.). Umgehend erzielte<br />
Nadiem Amiri wiederum<br />
das 1:2 (79.). Dann k<strong>am</strong> Josip<br />
Drmic ins Spiel und rettete<br />
Gladbach den Punkt (84.)<br />
Bundesliga<br />
Mainz – Leipzig ...................... 3:3 (1:2)<br />
München – Hannover........... 3:1 (2:0)<br />
M’gladbach – Hoffenheim . 2:2 (0:1)<br />
Berlin – Stuttgart ................. 3:1 (2:0)<br />
Wolfsburg – Nürnberg ........ 2:0 (1:0)<br />
Bremen – Dortmund ........ Sa., 18:30<br />
Schalke – Augsburg........... So., 13:30<br />
Freiburg – Düsseldorf....... So., 15:30<br />
Leverkusen – Frankfurt.... So., 18:00<br />
1. München 32 83:31 74<br />
2. Dortmund 31 74:40 69<br />
3. Leipzig 32 62:27 65<br />
4. Frankfurt 31 58:35 54<br />
5. M’gladbach 32 51:40 52<br />
6. Wolfsburg 32 54:46 52<br />
7. Hoffenheim 32 68:47 51<br />
8. Leverkusen 31 57:49 51<br />
9. Bremen 31 53:46 46<br />
10. Berlin 32 44:49 40<br />
11. Düsseldorf 31 44:60 40<br />
12. Mainz 32 40:55 37<br />
13. Freiburg 31 40:56 32<br />
14. Augsburg 31 47:59 31<br />
15. Schalke 31 36:54 30<br />
16. Stuttgart 32 29:70 24<br />
17. Nürnberg 32 25:59 19<br />
18.<br />
Hannover<br />
32 27:69<br />
18<br />
Berlin<br />
Stuttgart (2:0) 3:1<br />
Schwarzer<br />
Tag für Zieler<br />
Nach dem gefeierten 1:0<br />
gegen Mönchengladbach<br />
unter dem neuen<br />
Trainer Nico Willig vergangenen<br />
S<strong>am</strong>stag verpasste es der<br />
VfB in Berlin, sich aus dem Abstiegssumpf<br />
zu befreien. Mit<br />
einem kläglichen 1:3 (0:2) bei<br />
Hertha geht die Hoffnung, ohne<br />
Relegationsspiel die Klasse<br />
zu halten, gegen null. Ausgerechnet<br />
Ex-Nationalkeeper<br />
Ron-Robert Zieler hatte keinen<br />
guten Tag. Erst klatschte<br />
er einen Matthew-Lecki-Kopfball<br />
Vedead Ibisevic direkt vor<br />
die Füße, der ehemalige Stuttgarter<br />
bedankte sich (40.).<br />
Dann parierte er noch einmal<br />
gegen Leckie, diesmal landete<br />
der Ball bei Ondrej Duda, der<br />
aus zehn Metern einschob<br />
(45.). Salomon Kalou erzielte<br />
das 3:0 (67.), Mario Gomez<br />
schoss den Ehrentreffer (70.).<br />
Mainz<br />
Leipzig (1:2) 3:3<br />
Ahnungsloser<br />
Onisiwo<br />
G<br />
efeierter Torschütze –<br />
doch Karim Onisiwo<br />
wusste davon nichts<br />
mehr. Im Luftk<strong>am</strong>pf war der<br />
Mainzer mit Ibrahima Konaté<br />
zus<strong>am</strong>mengeprallt, hatte aber<br />
weitergespielt und nach der<br />
Leipziger Führung durch Lukas<br />
Klostermann (20./33.) getroffen<br />
(43.). Dann musste er<br />
raus. „Er konnte sich nicht<br />
mehr erinnern“, berichtete<br />
Mainz-Coach Sandro Schwarz<br />
nach dem Spiel <strong>am</strong> Freitagabend.<br />
Und scherzte: „Als ich<br />
ihm sagte, er habe seinen Vertrag<br />
um drei Jahre verlängert,<br />
war er wieder voll da.“ Nach<br />
Timo Werners 1:3 (49.) schafften<br />
die Rheinhessen durch<br />
Moussa Niakhaté (67.) und<br />
Jean-Philippe Mateta (83.)<br />
noch den Ausgleich. Da war<br />
die Laune gut, und Onisiwo<br />
freute sich im Krankenhaus.<br />
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60 SPORT<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
Die wegweisende Erkenntnis<br />
präsentiert Jennifer<br />
Kettemann <strong>am</strong> Ende des<br />
halbstündigen Gesprächs:<br />
Ihr größtes Manko ist<br />
gleichzeitig ihr größtes Plus. Ob sie eine<br />
kleine Perfektionistin sei? „Ja, ja, leider“,<br />
sagt sie. „Für den beruflichen Alltag<br />
ist das bestimmt gut, für mein Umfeld<br />
kann das schon mal nervig sein.“<br />
Ihre F<strong>am</strong>ilie könne geradezu ein Lied<br />
davon singen. „Aber ich arbeite daran<br />
und werde auch schon etwas lockerer.“<br />
VON JENS BIERSCHWALE<br />
Seit drei Jahren ist Kettemann inzwischen<br />
Geschäftsführerin der Rhein-Neckar<br />
Löwen und hat während dieser Zeit<br />
nicht nur an ihrer Lockerheit gefeilt,<br />
sondern auch den Aufstieg zur mächtigsten<br />
Frau im deutschen Männerhandball<br />
vollzogen. Wenn die Spitzenklubs<br />
innerhalb der Bundesliga wichtige<br />
Entscheidungen zu fällen haben, greifen<br />
sie gern auf die Expertise der 37-Jährigen<br />
zurück. Kettemanns Worte haben<br />
Gewicht, und ihre Erfolgsgeschichte<br />
könnte vielen anderen Frauen als Vorbild<br />
dienen.<br />
Gemessen an ihrer Wirkungszeit, hat<br />
es die Quereinsteigerin mit einer beeindruckenden<br />
Rasanz geschafft, sich einen<br />
N<strong>am</strong>en in der Szene zu verschaffen.<br />
„Sie hat kein ganz leichtes Erbe übernommen“,<br />
sagt Frank Bohmann, Geschäftsführer<br />
der Handball-Bundesliga.<br />
„Als sie anfing, ist der Klub immer noch<br />
vom alten Mäzenatentum um Jesper<br />
Nielsen geprägt gewesen. Die Baustellen<br />
hat sie alle beseitigt und das Projekt<br />
auf erfolgreiche Beine gestellt. Wenn<br />
man das als Beispiel nimmt, bräuchten<br />
wir viel mehr Frauen in der Liga.“<br />
Doch bislang gibt es neben Kettemann<br />
nur noch eine Vertreterin in verantwortlicher<br />
Position: Lisa Heßler hat<br />
beim Tabellenletzten Ludwigshafen im<br />
Dezember 2018 den Geschäftsführerposten<br />
von Marcus Endlich übernommen.<br />
Den Abstieg wird aber auch sie angesichts<br />
von vier Punkten Rückstand<br />
aufs rettende Ufer kaum verhindern<br />
können. Kettemann ist da einige Schritte<br />
weiter, ihr Verein gilt seit Jahren neben<br />
Kiel und dem designierten Meister<br />
Flensburg als das Nonplusultra im deutschen<br />
Handball. Allein in ihrer Schaffenszeit<br />
ist der Klub zweimal Meister<br />
und einmal Pokalsieger geworden.<br />
Königin<br />
der Löwen<br />
Jennifer Kettemann ist die mächtigste<br />
Frau im Männerhandball. Nun will sie die<br />
Rhein-Neckar Löwen zum Topte<strong>am</strong> in<br />
Deutschland und Europa machen.<br />
Und eine F<strong>am</strong>ilie managt sie nebenher<br />
auch noch<br />
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Große Ziele Seit 2016 ist<br />
Jennifer Kettemann Geschäftsführerin<br />
der Rhein-<br />
Neckar Löwen, die wieder<br />
Meister werden sollen<br />
MACHOWELT SPORT Dass eine Frau<br />
daran großen Anteil trägt, kommt für<br />
Kettemann überraschend. „Zu Beginn<br />
meiner Zeit bei den Löwen haben einige<br />
aus dem Aufsichtsrat mehr an mich geglaubt<br />
als ich selbst“, sagt sie WELT AM<br />
SONNTAG. Denn schließlich war sie<br />
handballerisch eher unbedarft und bis<br />
dato nur als Fan in der Mannheimer<br />
Arena aufgetaucht. Aber ihre zehnjährige<br />
Tätigkeit als Vorstandsassistentin<br />
und Projektverantwortliche beim Softwarehersteller<br />
SAP sowie das vorangegangene<br />
Studium der Betriebswirtschaftslehre<br />
ließen sie prädestiniert erscheinen<br />
für die Aufgaben im Klub.<br />
Nun, nach drei Jahren, ist sie aufgestiegen<br />
zur Königin der Löwen. „In der<br />
Machowelt Sport denken viele, dass das<br />
eine reine Männergeschichte ist“, sagt<br />
Oliver Roggisch, der als Sportlicher Leiter<br />
des Vereins eng mit Kettemann zus<strong>am</strong>menarbeitet.<br />
„Ich bin da offen rangegangen<br />
an das Thema, und sie hat<br />
sehr schnell gezeigt, dass sie durch ihre<br />
Vergangenheit bei SAP Dinge mit einbringt,<br />
die wir in der Handballwelt richtig<br />
gut gebrauchen können. Für mich<br />
spielt es keine Rolle, ob ich mit einem<br />
Mann oder einer Frau zus<strong>am</strong>menarbeite.<br />
Wir begegnen uns auf Augenhöhe, so<br />
soll es auch sein“, berichtet der <strong>Welt</strong>meister<br />
von 2007. „Es ist für viele Manager<br />
der Liga schön, jetzt auch mal mit<br />
einer Frau <strong>am</strong> Tisch zu sitzen. Das ist ja<br />
eher selten bei den Handballern, Fußballern<br />
oder Basketballern.“<br />
Kettemanns Wirken ist umso erstaunlicher,<br />
als sie nicht nur als Managerin,<br />
sondern auch als Mutter gefragt<br />
ist. Ihre Söhne sind fünf und sieben, der<br />
ihres Partners vier Jahre alt. „Das ist so<br />
ein bisschen Patchwork bei uns“, erzählt<br />
sie. „Es ist ein Riesenspagat, den<br />
man zwischen Beruf und F<strong>am</strong>ilie machen<br />
muss. Ich gebe offen zu, dass es<br />
nicht immer ganz leicht ist, beidem gerecht<br />
zu werden, also der M<strong>am</strong>arolle<br />
und dem Job.“ Sie sei jemand, der im<br />
KUNZ / AUGENKLICK
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 SPORT 61<br />
Beruf sehr ehrgeizig vorgehe. „Aber<br />
überraschenderweise funktioniert es<br />
sehr gut. Ich habe auch <strong>am</strong> Anfang gedacht,<br />
dass es schwieriger wird.“<br />
Unterstützung bei der Doppelrolle<br />
erhält sie von der F<strong>am</strong>ilie. Ihre Eltern<br />
leben nur 100 Meter von ihr in Frankenthal<br />
entfernt und können bei Bedarf<br />
ebenso einspringen wie die Schwiegereltern.<br />
„Ohne deren Hilfe würde es<br />
nicht funktionieren“, sagt Kettemann.<br />
„Und was dazukommt: Ich habe von Anfang<br />
an ehrlich kommuniziert, dass das<br />
eine besondere Konstellation ist, wenn<br />
man nicht nur Managerin, sondern auch<br />
M<strong>am</strong>a ist. Deswegen bin ich auf Auswärtsfahrten<br />
ganz selten dabei. Da ist<br />
Oliver Roggisch dann vor Ort. Auch die<br />
Abendtermine halten sich in Grenzen.“<br />
ALTLASTEN BESEITIGT Trotz der<br />
Einschränkungen hat Kettemann die<br />
Löwen auf Erfolg getrimmt. Beim Start<br />
im Mai 2016 litt der Klub unter den Altlasten,<br />
die der windige Mäzen Nielsen<br />
hinterlassen hatte. Kettemann handelte<br />
Abfindungsverträge heraus, im folgenden<br />
Jahr schon war der Verein schuldenfrei.<br />
„Sie bringt echte Managerqualitäten<br />
mit“, erklärt Liga-Geschäftsführer<br />
Bohmann. „Dazu ist sie noch ein angenehmer<br />
Mensch. Tough, auch uns gegenüber,<br />
wir haben schon ordentliche<br />
Auseinandersetzungen gehabt, aber dabei<br />
geht sie immer fair vor. Ich schätze<br />
Jennifer Kettemann total. Den Job, das<br />
Unternehmen Rhein-Neckar Löwen zu<br />
führen, macht sie exzellent.“<br />
Gerade wurde ihr Vertrag bis 2023<br />
verlängert. Und längst schon hat sie die<br />
nächsten Aufgaben im Blick. „Das langfristige<br />
Ziel heißt ganz klar, die Löwen<br />
zur Topmarke im deutschen Handball<br />
zu machen“, sagt sie. „Unser Ziel ist es,<br />
dass die Leute gleich an die Rhein-Neckar<br />
Löwen denken, wenn sie an Handball<br />
denken. Und auf sportlicher Seite<br />
wollen wir um viele Titel mitspielen.“<br />
Das gelang in dieser Saison eher mäßig.<br />
In der Liga belegen die Löwen Platz<br />
drei, im Pokal war im Viertelfinale<br />
Schluss, in der Ch<strong>am</strong>pions League im<br />
Achtelfinale. Einer, der im Sommer Abhilfe<br />
schaffen könnte, ist Uwe Gensheimer.<br />
Der <strong>Welt</strong>klasse-Linksaußen kehrt<br />
nach drei Jahren bei Paris Saint-Germain<br />
zurück nach Mannheim. Kettemann<br />
oblag es, den Coup im Februar zu<br />
verkünden. „Für mich persönlich fühlt<br />
es sich so an, als würde dort jemand zurückkommen,<br />
der einfach zu uns gehört“,<br />
sagt sie. „Wir sind sehr stolz, dass<br />
dieser Transfer funktioniert hat. Nur<br />
mit externen Sponsoren, die vorher gar<br />
nicht in unserem Netzwerk waren und<br />
uns dann geholfen haben, war das möglich.<br />
Aus unserem Etat hätten wir Uwe<br />
nicht einfach so finanzieren und einen<br />
Wechsel stemmen können.“<br />
Derlei Kraftakte verhelfen Kettemann<br />
innerhalb der Liga zu noch mehr<br />
Ansehen. Denn sie hat durchaus registriert,<br />
dass ihr noch immer eine Sonderrolle<br />
zufällt. „Ich glaube schon, dass auf<br />
mich mehr geschaut wird, weil ich als in<br />
Anführungszeichen Exotin gelte“, sagt<br />
sie. „Und vielleicht muss man als Frau<br />
ein bisschen mehr Leistung zeigen, weil<br />
man im Blickpunkt steht.“ Offen geäußerte<br />
Vorbehalte habe es aber nie gegeben.<br />
„Mir selbst fällt gar nicht auf, dass<br />
ich da die einzige Frau bin, sondern dass<br />
es eigentlich ganz normal ist.“<br />
Er warf sich die kubanische Flagge<br />
über die Schultern und riss<br />
die Arme hoch. Nach einem<br />
Sieg gegen die Blackburn Rovers hatte<br />
Norwich City den Aufstieg perfekt gemacht.<br />
D<strong>am</strong>it wird Onel Hernández<br />
der erste kubanische Fußballspieler in<br />
der englischen Premier League, einer<br />
der wichtigsten Ligen der <strong>Welt</strong>. Er<br />
weckt in der Heimat aber nicht nur Begeisterung.<br />
Denn das politische Kuba<br />
gerät seinetwegen an seine<br />
Grenzen.<br />
VON ANDREAS KNOBLOCH<br />
Der 26-Jährige st<strong>am</strong>mt<br />
aus Morón, einem 62.000-<br />
Einwohner-Städtchen im<br />
Zentrum der Insel. Die älteste<br />
Stadt der Provinz Ciego<br />
de Ávila hat einen Hahn<br />
als Wahrzeichen. Eine drei<br />
Meter große Bronzestatue<br />
steht <strong>am</strong> Eingang zur Altstadt<br />
und kräht jeden Tag<br />
pünktlich um 6 und 18 Uhr.<br />
Als Sechsjähriger landete<br />
Onel Hernández in Rietberg,<br />
einer kleinen Gemeinde<br />
im nordöstlichen Zipfel<br />
Nordrhein-Westfalens. Seiner<br />
Mutter Yaneisy hatte einen<br />
Deutschen kennengelernt<br />
und geheiratet. Sein<br />
Stiefvater Ewald war Trainer<br />
beim TuS Westfalia<br />
Neuenkirchen. Er glaubte,<br />
Fußball könne dem Jungen<br />
bei der Integration helfen.<br />
„Er führte mich zum Fußball,<br />
trainierte mich, tat alles<br />
für mich. Er hat mich immer<br />
unterstützt“, erzählt<br />
Hernández.<br />
Über den FC Gütersloh<br />
und Rot-Weiss Ahlen landete<br />
er mit 14 in der Jugendabteilung<br />
von Arminia Bielefeld. Dort erwachte<br />
der Traum vom Fußballprofi in<br />
ihm. Sein Zweitligadebüt gab<br />
Hernández als 17-Jähriger im Westfalenderby<br />
gegen Paderborn. 2016 wechselte<br />
er nach Braunschweig. Die Eintracht<br />
galt als sicherer Bundesligaaufsteiger,<br />
scheiterte aber in der Relegation<br />
2017 durch zwei knappe Niederlagen<br />
an Wolfsburg.<br />
Im Januar 2018 holte Daniel Farke<br />
Hernández nach England. Der Ex-BVB-<br />
Nachwuchscoach baute in Norwich einen<br />
„deutschen“ Klub auf. Mit sieben<br />
deutschen Spielern, Ballbesitzfußball,<br />
frühem Pressing und geringem Budget.<br />
Farke hatte sechs Jahre in Lippstadt<br />
trainiert – keine 20 Kilometer von<br />
Hernández’ Heimatort entfernt – und<br />
dessen Werdegang verfolgt. Mit acht<br />
Toren und acht Vorlagen hatte der<br />
schnelle Linksaußen Hernández nun<br />
großen Anteil an Norwichs Aufstieg.<br />
Auf Kuba sorgte die Nachricht für<br />
große Aufmerks<strong>am</strong>keit. Das Staatsfernsehen<br />
hatte schon während der<br />
Saison immer wieder Zus<strong>am</strong>menfassungen<br />
von Norwich-Spielen gezeigt.<br />
Und natürlich hörten sie gut zu, als<br />
Passt nicht<br />
Onel Hernández ist<br />
der erste Kubaner in<br />
der Premier League.<br />
Nun will er in die<br />
Nationalelf. Das<br />
gibt Probleme<br />
Aufstiegsheld Der in Deutschland aufgewachsene Kubaner<br />
Onel Hernández in England <strong>am</strong> Ball für Norwich City<br />
Hernández, der immerhin schon ein<br />
U18-Länderspiel für Deutschland bestritten<br />
hatte, sagte: „Für Kubas Nationalelf<br />
zu spielen wäre einer meiner<br />
größten Träume.“<br />
ZULETZT 1938 BEI DER WM Der kubanische<br />
Fußball schreibt keine Erfolge.<br />
Einmal, 1938, gelang dem Nationalte<strong>am</strong><br />
die Teilnahme an einer <strong>Welt</strong>meisterschaft.<br />
Alle anderen nord<strong>am</strong>erikanischen<br />
Mannschaften hatten sich aus<br />
der Qualifikation für die Endrunde zurückgezogen.<br />
Kuba schlug Rumänien<br />
in Frankreich sensationell mit 2:1 und<br />
kassierte mit 0:8 gegen Schweden im<br />
Viertelfinale seine bis heute höchste<br />
Niederlage. Danach gelang dem Inselstaat<br />
nie wieder eine WM-Teilnahme,<br />
auch der deutsche Trainer Reinhold<br />
Fanz biss sich 2008 die Zähne aus. Die<br />
Nationalmannschaft setzt ausschließlich<br />
auf Spieler aus der heimischen Liga.<br />
In der letzten WM-Qualifikation<br />
scheiterte man an Curaçao.<br />
Immer wieder nutzen Spieler Auswärtspartien<br />
zur Flucht. 2012 setzte<br />
sich ein Kicker in den USA ab, vier weitere<br />
danach in Kanada. Im vergangenen<br />
Jahr kehrten gleich zwölf Spieler<br />
der U20-Auswahl nach einem Turnier<br />
in T<strong>am</strong>pa, Florida, nicht mehr nach Kuba<br />
zurück. Das Nationalstadion in Havanna<br />
ist ein besserer Bolzplatz, umgeben<br />
von renovierungsbedürftigen Tribünen.<br />
Einzig die monumentale Anzeigetafel<br />
macht etwas her. Die nationale<br />
Liga dümpelt außerhalb der öffentlichen<br />
Wahrnehmung vor sich hin, die<br />
Begegnungen finden vor einer Handvoll<br />
Zuschauer statt.<br />
PICTURE ALLIANCE / EMPICS/<br />
VOLKSSPORT FUSSBALL<br />
Dabei ist Fußball gerade bei<br />
jüngeren Kubanern mittlerweile<br />
der populärste Sport. In<br />
Havanna jagen die Kinder und<br />
Jugendlichen an fast jeder<br />
Straßenecke einem Ball hinterher.<br />
Trikots europäischer<br />
Spitzenklubs gehören zum<br />
Straßenbild, und Spiele zwischen<br />
Real Madrid und Barcelona<br />
sorgen für mehr Euphorie<br />
als der Baseball-Klassiker<br />
Kuba gegen die USA. Sogar einen<br />
offiziellen Fanklub des<br />
FC Bayern gibt es, er zählt<br />
mehrere Hundert Mitglieder.<br />
Auch Hernández erlebt diese<br />
Fußballbegeisterung. Sooft<br />
es geht, reist er nach Kuba,<br />
seine Mutter ist dorthin zurückgekehrt.<br />
Sie lebt auf einer<br />
Farm mit 30 Kühen, ein paar<br />
Pferden und Schweinen. Im<br />
November schien sich der<br />
Traum ihres Sohnes vom Nationaltrikot<br />
zu erfüllen. Er<br />
wurde von Nationalcoach<br />
Raúl Mederos für ein Länderspiel<br />
nominiert. „Er hatte<br />
schon die offizielle Einladung,<br />
doch sie wurde auf Anweisung<br />
des Staates zurückgezogen“,<br />
erzählt sein Berater René Lieber<strong>am</strong>.<br />
Hernández könne gerne<br />
anreisen, mittrainieren und die<br />
Mannschaft kennenlernen, spielen<br />
aber dürfe er nicht, hieß es.<br />
„Es ist sehr traurig, denn wir haben<br />
gute Spieler rund um den Globus, die<br />
zurückkommen und helfen wollen“,<br />
sagt Hernández. „Wir wollen kein<br />
Geld, wir würden umsonst spielen.“<br />
Nationaltrainer Mederos sprach kürzlich<br />
von „höheren Kräften“, die ihm die<br />
Tür für eine Nominierung von Exilkubanern<br />
versperrt hätten. Ob im Verband<br />
oder in der Regierung, wollte er<br />
nicht sagen. Anders Aliet Arzola vom<br />
Onlineportal OnCuba, er beklagt: „Die<br />
Tür wird von eifersüchtigen Wärtern<br />
bewacht, die sich an was auch immer<br />
für eine Idee kl<strong>am</strong>mern, um den aktuell<br />
besten kubanischen Spieler außen<br />
vor zu halten.“<br />
Hernández’ Aufstieg in die Premier<br />
League und seine Popularität könnten<br />
dieser Diskussion eine neue Dyn<strong>am</strong>ik<br />
verleihen. Kuba spielt beim „Gold-<br />
Cup“, der Nord<strong>am</strong>erika/Mittel<strong>am</strong>erika-Meisterschaft<br />
im Sommer in den<br />
USA, gegen Mexiko, Kanada und Martinique.<br />
Mit Hernández wären sie ganz<br />
sicher ein bisschen erfolgreicher.<br />
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62 LEUTE<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
AYA CASH<br />
KANN MAN WIRKLICH ...?<br />
... nicht depressiv genug sein? Die<br />
Schauspielerin, 36 („You’re the<br />
Worst“), sagte gerade dem Magazin<br />
„Marie Claire“, dass sie sich oft wegen<br />
ihrer Depressionen geschämt habe:<br />
„Ich wollte die auch gar nicht zugeben.<br />
Weil sie nicht so schwer sind wie bei<br />
Leuten, die ich gesehen habe.“ Andere<br />
Gefahren für die Psyche hält sie dagegen<br />
in ihrem Beruf für unwahrscheinlich,<br />
Egomanie etwa: „Ziemlich<br />
schwierig, Egomane zu werden, bei all<br />
den Ablehnungen.“<br />
„Er ist<br />
eben<br />
Willie<br />
Nelson...“<br />
LILY COLLINS<br />
GLAUBT SIE WIRKLICH ...?<br />
... dass Geister zu ihr zum Hausbesuch<br />
kommen, pünktlich um drei Uhr<br />
nachts? Die Schauspielerin, 30, Tochter<br />
von Sänger Phil, 58, hat die Freundin<br />
des Serienkillers Ted Bundy gespielt im<br />
Film „Extremely Wicked, Shockingly<br />
Evil and Vile“; seither sei sie von selts<strong>am</strong>en<br />
Präsenzen geweckt worden.<br />
„Ich ging die Treppe hinab, um mir<br />
eine Tasse Tee zu machen, und sah<br />
Bilder aufblitzen, wie Nachwirkungen<br />
eines K<strong>am</strong>pfes“, sagte sie dem britischen<br />
„Guardian“. Um drei Uhr nachts<br />
sei der Schleier zwischen den <strong>Welt</strong>en<br />
<strong>am</strong> dünnsten, und man könne besucht<br />
werden. Angst hatte sie nicht: Sie habe<br />
sich unterstützt gefühlt.<br />
CRISTIANO RONALDO<br />
HAT ER WIRKLICH ...?<br />
... mehr als elf Millionen Euro für ein<br />
Auto ausgegeben? Das spanische Sportblatt<br />
„Marca“ berichtet, dass der Fußballer,<br />
34, Besitzer eines Wagens ist,<br />
den Bugatti 2019 auf dem Genfer Autosalon<br />
vorstellte – zum 110. Geburtstag<br />
der Firma konstruiert und La Voiture<br />
Noire genannt. Bestätigt haben das<br />
weder Ronaldo noch Bugatti, allerdings<br />
besitzt der Autofan schon Schönheiten<br />
wie einen L<strong>am</strong>borghini Aventador<br />
LP700-4, einen Aston Martin DB9,<br />
einen Bentley Continental GTC Speed.<br />
Ein Leben nach dem anderen<br />
CHARLIZE THERON, 43, Schauspielerin, hat<br />
von ihren Jugendjahren erzählt. „Mit 20 wollte<br />
ich Drogen probieren, mit dem Rucksack in<br />
die Türkei – und ich habe das alles gemacht“,<br />
sagte sie dem Magazin „Marie Claire“. Sie habe<br />
immer gedacht: „Du kannst sterben, also<br />
erledige das.“ Mit dem Tod hatte sie früh zu<br />
tun, ihre Mutter Gerda tötete den Vater, einen<br />
Alkoholiker, als er sie und Charlize mit der<br />
Waffe bedrohte. Heute, so Theron, liege sie<br />
abends um viertel vor acht im Bett. Sie steht<br />
auch um 4 Uhr auf, um K<strong>am</strong>pfkunst zu trainieren<br />
für ihren neuen Film: „Ich bin obsessiv.“<br />
Besessenheit aber sei gut für sie: „Ich muss alles<br />
organisieren, was ich sehe: Schränke,<br />
Schubladen. Weil die Dinge, die ich nicht sehe,<br />
außer Kontrolle sind.“ Um 5.30 Uhr macht sie<br />
Frühstück für ihre Adoptivsöhne Jackson, 7,<br />
und August, 5, um 5.45 Uhr holt Mutter Gerda<br />
Charlizes drei Hunde zum Spaziergang. Theron<br />
ist glücklich: „Wenn ich morgen sterbe,<br />
bin ich im Frieden mit mir und einem Leben.“<br />
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WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019 LEUTE 63<br />
ZAHLEN & ZITATE<br />
Sagt Ehefrau Annie über den<br />
Countrysänger. So eine schöne<br />
Liebeserklärung, nach drei<br />
Jahrzehnten<br />
Willie Nelson, 86, Songwriter, hat mit dem Magazin<br />
„Rolling Stone“ ein paar ernsthafte Worte gewechselt.<br />
Es ging, wie immer bei Nelson, natürlich<br />
auch ums Kiffen (er ist eben Willie Nelson ...): Er<br />
feiert sein 65. Stoner-Jubiläum. „Ich bin eine Art<br />
Kanarienvogel im Bergwerk, wenn es um die Langzeitfolgen<br />
geht. Sobald ich anfange zu zittern und<br />
es mich schüttelt, gebt mir nichts mehr. Aber solange<br />
es mir blendend geht ...“ So serviert ihm seine<br />
Frau Annie – erst halb solange in seinem Leben<br />
wie Marihuana, die beiden sind seit 33 Jahren<br />
zus<strong>am</strong>men – mit dem Kaffee auch seinen<br />
Bong, sie hat ihm gerade erst ein Luxusd<strong>am</strong>pfgerät<br />
geschenkt. Die Geschichte<br />
der beiden gehört zu den besten Country-Romanzen,<br />
so soll Nelson für sie<br />
sogar weniger Speck<br />
essen (eine der vielen<br />
Willie-Nelson-<br />
Geschichten lautet,<br />
dass er, um die<br />
Komplexität des<br />
Alltags zu verringern,<br />
entschieden habe, nur noch<br />
Bacon und Eier zu essen). Und sie<br />
hat ihm schon Haschpralinen kreiert. Sie<br />
verschenkten einige an Freunde, die Freude<br />
war groß – und heute haben sie die Firma „Willies<br />
reserve“; Nelson ist der CTO, der „Chief Tasting<br />
Officer“. Er hat sogar Visitenkarten.<br />
Und obwohl er „so ziemlich die ganze Zeit“ high<br />
ist, schafft der Mann mit 86 unglaublich viel: 100<br />
Konzerte im Jahr, vor einigen Jahren, mit 80,<br />
schaffte er den 5. Dan in der südkoreanischen<br />
K<strong>am</strong>pfkunst Gongkwon Yusul, Golf kann er auch, er<br />
hat eine Stiftung, die Farmerf<strong>am</strong>ilien hilft, und er<br />
rettet Pferde: 60 Tiere, die er vor dem Schlachthaus<br />
gerettet hat, fressen ihren Gnadenhafer bei Nelson<br />
auf der Farm 35 Meilen vor Austin.<br />
GETTY IMAGES (4); WIREIMAGE (2)/GARY MILLER<br />
Zwei<br />
DAUMEN<br />
Axel Milberg, 62, Schauspieler („Tatort“),<br />
ist jetzt Schriftsteller: Er hat<br />
den Krimi „Düsternbrook“ veröffentlicht.<br />
„Ich habe das ganze Buch auf<br />
dem iPad geschrieben – mit zwei<br />
Daumen.“ Er arbeitete nachts, wenn<br />
er später gelesen habe, was er da auf<br />
dem Tablet stand, habe er oft gedacht:<br />
„Wer hat denn das geschrieben?<br />
Das ist gar nicht schlecht.“<br />
23 +<br />
DIE EINE<br />
Jude Law, 46, Schauspieler, hat in<br />
London geheiratet. Eine Überraschung<br />
– 23 Affären werden ihm zugerechnet,<br />
oder auch mehr, je nachdem,<br />
ob kurzfristige Engagements<br />
wie mit dem d<strong>am</strong>aligen Kindermädchen<br />
der F<strong>am</strong>ilie oder die Affäre mit<br />
einer Hooters-Kellnerin (Dauer: eine<br />
Woche plus eine Schwangerschaft)<br />
mitgezählt werden. Mit seiner neuen<br />
Ehefrau verbrachte er die letzten vier<br />
Jahre, Phillipa Coan ist 32 Jahre alt,<br />
Psychologin – und offenbar anders<br />
als Laws bisherige Gefährtinnen.<br />
„Ich lege Dudelsackmusik<br />
auf. Da schläft keiner bei.<br />
Hab ich all meinen<br />
Kindern angetan“<br />
Rod Stewart, 74, Vater von acht Kindern<br />
(Foto mit Alastair, 13; sein Jüngster, Aidan, ist acht),<br />
verrät Eltern den Trick, wie man die Kleinen<br />
morgens für die Schule aus dem Bett bekommt<br />
„... und<br />
widerstehet der<br />
Versuchung, dem<br />
Klatsch zu<br />
verfallen, wie es<br />
mit eurer<br />
Profession in<br />
Verbindung<br />
gebracht wird ...“<br />
Franziskus, 82, Papst, zu einer<br />
Gruppe katholischer Friseure<br />
auf Pilgerreise, berichtet<br />
zumindest<br />
das US-Portal<br />
„papermag.com“.<br />
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TV-PROGRAMM<br />
WELT AM SONNTAG NR. 18 5. MAI 2019<br />
SONNTAG, 5. MAI 2019<br />
ARD ZDF PRO SIEBEN KABEL 1 RTL SAT 1<br />
5.30 Kinder-TV 10.03 ¥ g Die kluge<br />
Bauerntochter Märchenfilm<br />
(D 2009) Mit Anna Maria Mühe<br />
11.00 ¥ g Die Prinzessin auf<br />
der Erbse Märchenfilm<br />
(D 2010) Mit Rike Kloster<br />
12.03 ¥ Presseclub Diskussion<br />
12.45 ¥ g Europ<strong>am</strong>agazin<br />
13.15 ¥ g Tagesschau<br />
13.30 ¥ Sehnsucht nach Sandin<br />
Melodr<strong>am</strong> (D 2002)<br />
15.00 ¥ g Insel des Lichts<br />
Dr<strong>am</strong>a (D 2008)<br />
16.30 ¥ g Mythos Kongo<br />
17.15 ¥ g Tagesschau<br />
17.30 ¥ g Warum bin ich so<br />
allein? – Wege aus der<br />
Eins<strong>am</strong>keit Dokumentation<br />
18.00 ¥ g Sportschau<br />
18.30 ¥ g Bericht aus Berlin<br />
18.50 ¥ g Lindenstraße Soap<br />
19.20 ¥ g <strong>Welt</strong>spiegel Magazin<br />
20.00 ¥ g Tagesschau<br />
20.15 ¥ g Tatort: Der gute Weg<br />
TV-Krimi (D 2019) Mit Meret<br />
Becker, Mark Waschke<br />
21.45 ¥ g Anne Will Streit um<br />
CO2-Steuer – wer zahlt für<br />
den Klimaschutz? Gäste: Michael<br />
Kretschmer, Annalena<br />
Baerbock, Maja Göpel u. a.<br />
22.45 ¥ g Tagesthemen<br />
23.05 ¥ g ttt Magazin. U. a.: Eine<br />
Insel und zwei Milliardäre –<br />
„ttt“ über den Dokumentarfilm<br />
„Was kostet die <strong>Welt</strong>“<br />
23.35 ¥ g Druckfrisch Magazin<br />
0.05 H ¥ g Der junge Karl<br />
Marx<br />
Biografie (F/B/D 2017)<br />
2.00 H ¥ õ g Agnosia – Das<br />
dunkle Geheimnis Thriller<br />
(E 2010) Mit E. Noriega<br />
5.50 g Deutschland von oben<br />
6.00 Kinder-TV Zeichentrick-Serie<br />
9.03 ¥ g sonntags Magazin 9.30 ¥<br />
g Orthodoxer Gottesdienst<br />
10.15 ¥ g Bares für Rares<br />
11.45 g heute Xpress<br />
11.50 ¥ g ZDF-Fernsehgarten<br />
14.15 g Duell der Gartenprofis<br />
on tour<br />
Show<br />
15.00 ¥ g heute Xpress<br />
15.05 H ¥ g Learning to<br />
Drive – Fahrstunden fürs<br />
Leben Tragikomödie (USA/<br />
GB 2014) Mit P. Clarkson<br />
16.30 ¥ g planet e. Dokureihe<br />
17.00 ¥ g heute<br />
17.10 ¥ g Sportreportage<br />
18.00 ¥ g ZDF.reportage<br />
18.30 ¥ g Terra Xpress<br />
19.00 ¥ g heute<br />
19.10 ¥ g Berlin direkt Magazin<br />
19.30 ¥ g Terra X Dokureihe<br />
20.15 ¥ g Fast perfekt verliebt<br />
Romantikkomödie (D 2019)<br />
Mit Katharina Schüttler,<br />
Aleksandar Jovanovic,<br />
Manfred Zapatka<br />
Regie: Sinan Akkus<br />
21.45 ¥ g heute-journal<br />
22.15 ¥ g Stockholm Requiem:<br />
Auge um Auge TV-Krimi<br />
(S/D/B 2018) Mit Liv<br />
Mjönes, Jonas Karlsson<br />
23.45 g ZDF-History<br />
0.30 g heute Xpress<br />
0.35 ¥ g Stockholm Requiem:<br />
Auge um Auge TV-Krimi<br />
(S/D/B 2018) (Wh.)<br />
2.05 ¥ g Terra X (Wh.)<br />
2.50 g Momente der<br />
Geschichte Dokureihe<br />
4.20 ¥ g Terra Xpress (Wh.)<br />
5.50 g Two and a Half Men 7.00<br />
g Fresh off the Boat Sitcom 7.50<br />
Eine schrecklich nette F<strong>am</strong>ilie Sitcom<br />
8.45 g Galileo Magazin<br />
11.45 H g Forbidden Kingdom<br />
Abenteuerfilm (CHN/USA<br />
2008) Mit Jackie Chan<br />
13.30 H g Ein Mann für alle<br />
Unfälle Komödie (USA<br />
2008) Mit Owen Wilson<br />
15.15 H g Transformers:<br />
Ära des Untergangs<br />
Actionfilm (USA/CHN/HK<br />
2014) Mit Mark Wahlberg<br />
17.55 Newstime<br />
18.05 g Galileo 360° Magazin<br />
19.05 g Galileo Magazin<br />
20.15 H g Transformers:<br />
The Last Knight Sci-Fi-Film<br />
(USA/CHN/CDN 2017)<br />
Mit Mark Wahlberg, Josh<br />
Duh<strong>am</strong>el, Anthony Hopkins<br />
23.30 H g Faster<br />
Actionfilm<br />
(USA 2010) Mit Dwayne<br />
„The Rock“ Johnson,<br />
Billy Bob Thornton,<br />
Oliver Jackson-Cohen<br />
1.15 H g Transformers:<br />
The Last Knight Sci-Fi-Film<br />
(USA/CHN/CDN 2017)<br />
Mit Mark Wahlberg (Wh.)<br />
3.55 H g Faster<br />
Actionfilm<br />
(USA 2010) Mit Dwayne<br />
„The Rock“ Johnson (Wh.)<br />
TV-TIPP DES TAGES<br />
5.45 g EUReKA – Die geheime<br />
Stadt Dein Gesicht oder meins? /<br />
Die fünfte Dimension / Es ist nicht<br />
leicht, grün zu sein / Wenn ihr gebaut<br />
habt, kommen sie 9.20 g<br />
Mein Lokal, Dein Lokal – Der Profi<br />
kommt Reportagereihe<br />
14.10 g Abenteuer Leben Spezial<br />
Die Reise zu den besten<br />
Gerichten der <strong>Welt</strong><br />
16.05 News<br />
16.20 g Rosins Restaurants –<br />
Ein Sternekoch räumt auf!<br />
Show. „Academica“, Fulda<br />
18.15 g Achtung Abzocke –<br />
Wie ehrlich arbeitet<br />
Deutschland? Reportage<br />
20.15 H g Police Academy<br />
7 – Mission in Moskau<br />
Komödie (USA 1994)<br />
Mit George Gaynes, Michael<br />
Winslow, David Graf<br />
Regie: Alan Metter<br />
22.00 g Abenteuer Leben<br />
<strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong><br />
Faszinierende<br />
Giganten! Der mühs<strong>am</strong>e<br />
Aufbau der BAUMA<br />
0.00 g Mein Revier – Ordnungshüter<br />
räumen auf<br />
Temposünder oder Messerstechern<br />
– ihnen sind Ordnungshüter<br />
auf der Spur.<br />
2.05 g Achtung Kontrolle!<br />
Wir kümmern uns drum<br />
5.05 g Der Blaulicht-Report 5.55<br />
g F<strong>am</strong>ilien im Brennpunkt Doku<br />
9.50 g Die Superhändler – 4 Räume,<br />
1 Deal Show. S<strong>am</strong>melanhänger<br />
/ Kronleuchter / Best of „No<br />
Deal“ / Kaufmannsladen / Vase Rosenthal<br />
/ Wandteppich / Symphonion<br />
/ Tischl<strong>am</strong>pe / Glockenbaum /<br />
Holzgetränkespender / Skizzen /<br />
J<strong>am</strong>es-Dean-Figur (Wh.)<br />
12.45 g Undercover Boss<br />
Doku-Soap. Firma K<strong>am</strong>ps /<br />
Malteser Hilfsdienst<br />
14.45 g Ehrlich Brothers live!<br />
Magic – Die <strong>Welt</strong>rekordshow<br />
im Stadion<br />
16.45 g Explosiv – Weekend<br />
17.45 g Exclusiv – Weekend<br />
18.45 g RTL aktuell<br />
19.05 g Martin Rütter – Die<br />
Welpen kommen (1/4)<br />
Dokumentationsreihe<br />
20.15 H ¥ g Passengers Abenteuerfilm<br />
(AUS/USA 2016)<br />
Mit Jennifer Lawrence<br />
22.25 H ¥ g Underworld:<br />
Blood Wars Actionfilm<br />
(USA 2016) Mit Kate Beckinsale,<br />
Theo J<strong>am</strong>es, Lara<br />
Pulver. Regie: Anna Foerster<br />
Zwischen den Werwölfen<br />
und V<strong>am</strong>piren tobt noch<br />
immer ein Krieg – die<br />
Feindschaft ist auf einem<br />
Tiefstand angelangt.<br />
0.10 H ¥ g Passengers<br />
Abenteuerfilm<br />
(AUS/USA 2016) (Wh.)<br />
2.15 H ¥ g Underworld:<br />
Blood Wars Actionfilm<br />
(USA 2016) Mit Kate Beckinsale,<br />
Theo J<strong>am</strong>es (Wh.)<br />
7.50 g So gesehen – Talk <strong>am</strong><br />
<strong>Sonntag</strong><br />
Gespräch 8.10 g Knallerfrauen<br />
Show 8.35 g 111 völlig<br />
verrückte Viecher! Die witzigsten<br />
Tiere der <strong>Welt</strong> 10.30 g Luke! Die<br />
Schule und ich – VIPs gegen Kids<br />
13.00 g Tourenwagen: DTM<br />
14.50 33 völlig verrückte Clips<br />
15.20 H g Harry Potter und<br />
der Orden des Phönix<br />
Fantasyfilm (USA/GB 2007)<br />
Mit Daniel Radcliffe, Emma<br />
Watson, Rupert Grint<br />
Regie: David Yates. Kaum<br />
jemand glaubt Harry, dass<br />
er Voldemorts Rückkehr<br />
miterlebt hat. Doch dann<br />
erhält er unerwartete<br />
Unterstützung.<br />
17.55 g Julia Leischik sucht:<br />
Bitte melde Dich<br />
19.55 Sat.1 Nachrichten<br />
20.15 H g Titanic Liebesdr<strong>am</strong>a<br />
(USA 1997) Mit Leonardo<br />
DiCaprio, Kate Winslet,<br />
Billy Zane. Regie: J<strong>am</strong>es<br />
C<strong>am</strong>eron. Rose erzählt die<br />
Geschichte ihrer Liebe.<br />
0.10 H g Der Manchurian<br />
Kandidat Thriller (USA<br />
2004) Mit Denzel Washington,<br />
Meryl Streep, Liev<br />
Schreiber. Regie: Jonathan<br />
Demme. Ein angehender<br />
US-Vizepräsident und ehemaliger<br />
Sergeant im Golfkrieg<br />
gerät wegen eines<br />
Veteranen unter Beschuss.<br />
2.20 H g Titanic Liebesdr<strong>am</strong>a<br />
(USA 1997) Mit Leonardo<br />
DiCaprio. Regie: J<strong>am</strong>es<br />
C<strong>am</strong>eron (Wh.)<br />
ARTE<br />
3SAT<br />
VOX RTL 2<br />
8.10 g Zenith 8.35 g Im Lauf der<br />
Zeit 9.00 Arte Junior Magazin 9.22<br />
H ¥ g Rückkehr nach Montauk<br />
Dr<strong>am</strong>a (D/F/IRL 2017) 11.00 g Vox<br />
Pop 11.40 g Die großen Mythen<br />
12.35 g Ein Tag in Frankreich Dokumentarfilm<br />
(F 2015) 14.05 g Ein<br />
Tag in Deutschland Dokumentarfilm<br />
(F 2015) 15.35 g Citizen<br />
Kahn – Bankier und Kunstmäzen<br />
16.25 g Liebe <strong>am</strong> Werk 16.55 g<br />
Metropolis 17.40 ¥ g Andris Nelsons<br />
dirigiert Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy 18.25 ¥ g Zu Tisch ...<br />
18.55 g Kar<strong>am</strong>bolage 19.10 Arte<br />
Journal 19.30 g Die großen Seebäder<br />
20.15 H ¥ g Der Unter-<br />
gang Dr<strong>am</strong>a (D/A/I 2004) 22.45 H ®<br />
g Fritz Lang – Der Andere in uns<br />
Dokudr<strong>am</strong>a (D 2016) 0.25 1939/40,<br />
ein „Feldzug“ nach Frankreich<br />
NDR<br />
11.35 ¥ g Zoo-Babies 12.25 H ¥<br />
® Er kann’s nicht lassen Krimikomödie<br />
(D 1962) 13.55 ¥ g Morden<br />
im Norden 14.45 ¥ Brautalarm<br />
auf dem Land 15.30 ¥ g Klosterküche<br />
– Kochen mit Leib und Seele<br />
16.00 g Lieb und teuer 16.30 g<br />
Sass: So isst der Norden 17.00 g<br />
Bingo! 18.00 ¥ g Nordseereport<br />
Reportagereihe 18.45 ¥ g DAS!<br />
19.30 Ländermagazine 20.00 ¥ g<br />
Tagesschau 20.15 ¥ g Norddeutschland<br />
von oben Dokumentationsreihe<br />
21.45 g Sportschau –<br />
Bundesliga <strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong> 22.05 ¥<br />
Die NDR-Quizshow 22.50 ¥ g<br />
Sportclub 23.35 ¥ g Sportclub<br />
Story 0.05 g Die Superpauker<br />
11.20 g NZZ-Standpunkte Diskussion<br />
12.15 ¥ g Traumfänger<br />
13.00 g ZIB 13.10 g Unterwegs<br />
beim Nachbarn 13.35 g Wunderwelt<br />
Schweiz 17.00 H ® g Vergesst<br />
mir meine Traudel nicht<br />
Komödie (DDR 1957) 18.30 g Museums-Check<br />
19.00 ¥ heute 19.10<br />
g NZZ Format 19.40 Schätze der<br />
<strong>Welt</strong> 20.00 ¥ Tagess. 20.15 ¥ g<br />
Nuhr gerecht 21.00 ¥ g Kabarettgipfel<br />
(1/2) 22.00 H ¥ õ g<br />
Keine Ehe ohne Pause Komödie (D<br />
2016) Mit Heino Ferch. Regie: Patrick<br />
Winczewski 23.30 ¥ g Polizeiruf<br />
110: Tod durch elektrischen<br />
Strom TV-Krimi (DDR 1990)<br />
Mit Jürgen Frohriep 0.35 H ¥ g<br />
Ich bin der Boss – Skandal beim<br />
FBI Biografie (USA 1977) 2.25 g<br />
Wunderwelt Schweiz (Wh.)<br />
MDR<br />
11.45 ¥ g Riverboat 14.00 ¥ g<br />
So schön ist Görlitz Eine unterhalts<strong>am</strong>e<br />
Entdeckungsreise rund um die<br />
Europastadt. Dokumentarfilm (D<br />
2019) 15.30 ¥ g Alles Klara 16.20<br />
¥ g aktuell 16.30 ¥ g Sport im<br />
Osten 17.10 ¥ g In aller Freundschaft<br />
– Die jungen Ärzte Stunde<br />
Null 18.00 ¥ g aktuell 18.05 ¥ g<br />
In aller Freundschaft 18.52 ¥ g<br />
Unser Sandmännchen 19.00 ¥ g<br />
MDR Regional 19.30 ¥ g MDR<br />
aktuell 19.50 ¥ g Kripo live 20.15<br />
¥ D<strong>am</strong>als war’s 21.45 ¥ g MDR<br />
aktuell 22.05 ¥ g Sportschau<br />
22.25 ¥ g MDR Zeitreise 22.55 ¥<br />
g Geheimakte Geschichte 0.25 ¥<br />
g Kripo live Magazin (Wh.)<br />
ABENTEUERFILM<br />
Passengers<br />
20.15 | RTL Um einen Planeten zu besiedeln, wurden Tausende Menschen<br />
auf eine galaktische Reise geschickt. Jim und Aurora (Jennifer<br />
Lawrence) erwachen 90 Jahre zu früh aus dem Tiefschlaf und<br />
müssen sich d<strong>am</strong>it arrangieren, den Rest ihres Lebens auf dem<br />
Schiff zu verbringen. Als ihre Gefühle füreinander stärker werden,<br />
gerät das Leben aller Passagiere wegen eines Defekts in Gefahr.<br />
Nachrichten um 8, 9, 12, 15, 18, 19<br />
und 20 Uhr<br />
9.15 g Versenkt – Kriegsschiffe<br />
<strong>am</strong> Meeresgrund<br />
10.00 g Hochmodern und<br />
hochgefährlich – Die<br />
Fregatte „Hessen“ Doku<br />
10.50 g Schule der Krieger<br />
12.15 g Zum Mond und noch<br />
viel weiter – Die Reise der<br />
Nasa Dokumentation<br />
14.00 Planeten-Killer –<br />
Die Erde im Visier<br />
15.15 g Strip the Cosmos<br />
17.00 g Der Tag an dem die<br />
Sonne explodiert Doku<br />
18.05 g Spacetime Dokureihe<br />
19.10 g World’s most Extreme<br />
PHOENIX EUROSPORT 1<br />
20.00 ¥ Tagesschau 20.15 Länder<br />
– Menschen – Abenteuer Dokureihe<br />
21.00 Sri Lanka – Die<br />
leuchtende Insel 21.45 Reiseabenteuer<br />
in Myanmar: Robert Hetkämper<br />
unterwegs 22.30 Dokumentation<br />
23.15 Experiment Rojava<br />
in Syrien – Eine Gesellschaft im<br />
Aufbruch 0.00 die diskussion<br />
20.05 g Der erste moderne<br />
Krieg<br />
Dokumentationsreihe<br />
21.00 g Zeppelin – Der erste<br />
Langstreckenbomber<br />
22.00 g Pervitin – Die Wunderdroge<br />
der Wehrmacht<br />
23.05 g Spezialkommandos<br />
im Zweiten <strong>Welt</strong>krieg<br />
23.55 g Hitlers Letztes Jahr<br />
1.40 Der Nostrad<strong>am</strong>us-Effekt<br />
2.20 g Der erste moderne<br />
Krieg<br />
Dokumentationsreihe<br />
18.05 In greifbarer Nähe: der<br />
erste bemannte Flug zum Mars<br />
15.15 Snooker: <strong>Welt</strong>meisterschaft<br />
18.00 Tourenwagen: <strong>Welt</strong>cup<br />
Rückblick – Mogyoród (H) (Wh.)<br />
18.30 Leichtathletik: Di<strong>am</strong>ond<br />
League (Wh.) 19.25 News 19.30<br />
Snooker: <strong>Welt</strong>meisterschaft Finale<br />
22.55 News 23.00 Radsport:<br />
Tour de Romandie (Wh.) 0.15 Radsport:<br />
Tour de Yorkshire (Wh.)<br />
5.05 g Criminal Intent – Verbrechen<br />
im Visier Kurzsichtig / Verrückt<br />
vor Angst / Das Kuckuckskind /<br />
Schmutzige Geschäfte / Lieblos /<br />
Schlussakkord / Der Brooklyn-<br />
Mord / Schmutzige Geschäfte / Lieblos<br />
/ Schlussakkord / Der Brooklyn-<br />
Mord (Wh.) 14.15 H ¥ g Ice Age<br />
3 – Die Dinosaurier sind los Animationsfilm<br />
(USA 2009) 16.00 g<br />
Schneller als die Polizei erlaubt<br />
Doku-Soap 17.00 g auto mobil<br />
Magazin 18.10 g Einmal C<strong>am</strong>ping,<br />
immer C<strong>am</strong>ping Doku-Soap. U. a.:<br />
Jessica & Julian, Sardinien 19.10 g<br />
Ab ins Beet! Die Garten-Soap Doku-Soap<br />
20.15 ¥ g Grill den Henssler<br />
(1) Show. Die neue Kocharena<br />
23.35 g Prominent! Magazin 0.20<br />
¥ Medical Detectives – Geheimnisse<br />
der Gerichtsmedizin Doku<br />
BR<br />
12.00 ¥ quer 12.45 ¥ Die Berge<br />
und ich 13.30 Tennis: ATP World<br />
Tour 15.30 ¥ Gernstl – Siebenmal<br />
Bayern 16.00 ¥ Rundschau 16.15<br />
¥ Unser Land 16.45 ¥ Alpen-Donau-Adria<br />
Moderation: Daniela Dinandt<br />
17.15 ¥ Einfach. Gut. Bachmeier<br />
17.45 Aus Schwaben und<br />
Altbayern 18.30 ¥ Rundschau<br />
18.45 freizeit 19.15 ¥ Unter unserem<br />
Himmel 20.00 ¥ Tagesschau<br />
20.15 ¥ Feste in Bayern 21.45<br />
Blickpunkt Sport Moderation: Markus<br />
Othmer 23.00 Rundschau So.-<br />
Mag. 23.15 Normal is des ned!<br />
23.55 ¥ Da wo das Glück beginnt<br />
Heimatfilm (D/A 2006) 1.25 ¥ Ein-<br />
fach. Gut. Bachmeier<br />
(Wh.)<br />
5.50 H g Unterwegs mit Jungs<br />
Tragikomödie (USA 2001) Mit Drew<br />
Barrymore 8.20 Infomercial 9.20 X-<br />
Factor: Das Unfassbare 11.15 g<br />
Die Schnäppchenhäuser – Der<br />
Traum vom Eigenheim Doku-Soap<br />
13.15 g Die Schnäppchenhäuser<br />
Doku-Soap 14.15 g Zuhause im<br />
Glück 16.15 g Der Trödeltrupp<br />
17.15 g Mein neuer Alter 18.15 g<br />
GRIP – Das Motormagazin Mit<br />
Cyndie Allemann, Det Müller, Helge<br />
Thomsen, Jens Kuck, Niki Schelle<br />
20.15 H g Scary Movie Horrorkomödie<br />
(USA 2000) Mit Anna Faris.<br />
Regie: Keenen Ivory Wayans 21.55 H<br />
g Scary Movie 2 Horrorkomödie<br />
(USA/CDN 2001) 23.30 H g Girl-<br />
House Horrorthriller (CDN 2014)<br />
1.30 H g Scary Movie Horrorkomödie<br />
(USA 2000) (Wh.)<br />
WDR<br />
12.55 ¥ g Unser Westen 13.40 ¥<br />
g T<strong>am</strong>ina in Berlin 14.10 ¥ g<br />
T<strong>am</strong>ina auf dem Canal du Midi<br />
14.40 ¥ g Meine Traumreise in<br />
die Ch<strong>am</strong>pagne 15.10 ¥ g Der<br />
grüne Gaumen 15.55 ¥ g Lecker<br />
an Bord 16.40 ¥ g Meuchelbeck<br />
18.15 ¥ Tiere suchen ein Zuhause<br />
19.10 ¥ g Aktuelle Stunde 19.30<br />
¥ g Westpol 20.00 ¥ g Tagesschau<br />
20.15 ¥ g Wunderschön!<br />
Reportagereihe 21.45 ¥ g Sportschau<br />
– Bundesliga <strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong><br />
22.15 ¥ g Zeiglers wunderbare<br />
<strong>Welt</strong> des Fußballs 22.45 ¥ Das<br />
Tier in Dir 23.30 ¥ g RebellCo-<br />
medy<br />
Show 0.00 ¥ g Carolin Ke-<br />
bekus: PussyTerror TV<br />
Show<br />
T ONLINE: AUSFÜHRLICHE PROGRAMMÜBERSICHT UNTER WELT.DE/TV-PROGRAMM<br />
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