"Führung ist Vielfalt" im DUB UNTERNEHMER-Magazin
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STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
FEMALE LEADERSHIP Der deutschen Wirtschaft geht<br />
es gut. Noch. Damit der Wohlstand nicht abwandert,<br />
muss Neues entstehen, müssen Potenziale genutzt<br />
werden und sich Unternehmen bewegen. Bewegen<br />
hin zu Parität in den Vorständen. Warum Diversität<br />
unabdingbar, aber der Weg dorthin leider kein Sprint<br />
<strong>ist</strong> – und welche Frauen bereits am Ziel sind.<br />
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female leadership<br />
92 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
Es soll Kinder geben in diesen<br />
Tagen, die ihre Eltern fragen,<br />
ob auch Jungs Bundeskanzlerin werden<br />
können. Ein enormer Erfolg für<br />
die Gleichstellung von Frauen – könnte<br />
man meinen. Leider lässt sich das<br />
Beispiel Angela Merkel aber nicht auf<br />
die deutsche Wirtschaft übertragen.<br />
Im Gegenteil: Hier <strong>ist</strong> gerade die Top-<br />
Etage ein Männerklub, bei dem Frauen<br />
bereits an der Türpolitik scheitern.<br />
Konkret heißt das: In den 160<br />
Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen<br />
arbeiten, Stand Januar 2019, 61<br />
Managerinnen <strong>im</strong> Vorstand. Laut der<br />
Auswertung des Prüfungs- und Beratungsunternehmens<br />
EY sind das<br />
zwar <strong>im</strong>merhin elf mehr als <strong>im</strong> Vorjahr,<br />
doch der Frauenanteil fällt mit<br />
einem Prozentsatz von 8,6 weiterhin<br />
mager aus. „Die Macht der Monokultur“<br />
betitelt daher auch die deutschschwedische<br />
All Bright Stiftung, die sich für mehr Frauen und<br />
Diversität an der Wirtschaftsspitze einsetzt, ihren jüngsten Bericht.<br />
Denn zwar haben wir Merkel und die USA hat Donald Trump –<br />
auf der anderen Seite aber glänzt die amerikanische Wirtschaft <strong>im</strong><br />
C-Level mit einem doppelt so hohen Frauenanteil. Ähnlich sieht<br />
es in Schweden aus. Dort punkten alle 30 Großkonzerne mit gemischten<br />
Vor ständen. Bei Hennes & Mauritz <strong>ist</strong> das Geschlechterverhältnis<br />
gar ausgeglichen. Ganz ohne Frauenquote.<br />
DIVERSITÄT SICHERT ERFOLG<br />
Dabei <strong>ist</strong> das Gleichgewicht der Geschlechter kein Selbstzweck<br />
– es geht um die Balance der deutschen Wirtschaft. Studien belegen,<br />
dass Diversität Betriebe innovativer macht. Mehr noch: Sie<br />
bescheinigen einen Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil<br />
von Frauen in <strong>Führung</strong>spositionen und dem wirtschaftlichen<br />
Erfolg eines Unternehmens. „Um Wirtschaft und Wohlstand in<br />
Deutschland dauerhaft zu sichern, müssen wir den Strukturwandel<br />
aktiv gestalten. Dafür brauchen wir alle uns zur Verfügung<br />
stehenden Potenziale“, sagt Brigitte Zypries, Ex-Wirtschaftsmin<strong>ist</strong>erin<br />
und neue Herausgeberin des <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<br />
<strong>Magazin</strong>s. Sie blieb nicht tatenlos: Im Juni 2017 vereinte sie rund<br />
300 Frauen <strong>im</strong> Bundes min<strong>ist</strong>erium für Wirtschaft und Energie.<br />
Am Ende stand ein Manifest, das Frauen stärken und sichtbar<br />
machen sollte und sich an politische Entscheidungsträger richtet.<br />
Ihr Appell: Der Hashtag „StarkeFrauenStarkeWirtschaft“ muss<br />
in das Bewusstsein der Unternehmer dringen.<br />
Auch das Stichwort Digitalisierung <strong>ist</strong> eng mit der Female-<br />
Leadership-Debatte verknüpft. Hier sollte aber nicht schon bei<br />
2019<br />
Stand am 1. Januar in den Vorständen<br />
von 160 deutschen Dax-,<br />
MDax- und SDax-Unternehmen:<br />
650 Männer und 61 Frauen<br />
der besseren Vereinbarkeit von<br />
Familie und Beruf haltgemacht<br />
werden, findet Zypries. Die Arbeitswelt<br />
4.0 erbaut sich schließlich<br />
aus digitalen Kompetenzen<br />
– das Handwerk dazu befindet<br />
sich aber zume<strong>ist</strong> in männlicher<br />
Hand. Nur 32 Prozent aller<br />
MINT-Studierenden sind Frauen.<br />
„Wir brauchen mehr positive Vorbilder,<br />
damit sich bereits in den<br />
Köpfen junger Mädchen etwas<br />
verändert“, so Zypries.<br />
DAS „THOMAS-PRINZIP“<br />
Eines dieser Vorbilder <strong>ist</strong> Margret<br />
Suckale. Die Top-Managerin behauptete<br />
sich lange als einzige Frau<br />
unter Hunderten Vorständen,<br />
stand vor allem be<strong>im</strong> Lokführer-<br />
Tarifkonflikt 2007 ihren „Mann“<br />
und sitzt heute in den Aufsichtsräten von HeidelbergCement,<br />
DWS und Deutsche Telekom. Auch Wirtschaftswissenschaftlerin<br />
Ann-Kr<strong>ist</strong>in Achleitner zählt schon lange zu den einflussreichen<br />
Frauen Deutschlands. Mit 28 Jahren bereits Professorin an der<br />
Universität St. Gallen, bekleidet die dreifache Mutter heute – mit<br />
53 – gleich mehrere hochkarätige Aufsichtsratmandate. Leuchtende<br />
Beispiele, nur: Steigt die Zahl der Frauen in Vorstandsgremien<br />
weiter wie bisher, wird es bis zum Jahr 2034 dauern, bis<br />
zumindest ein Drittel der Posten mit Frauen besetzt sind. Bis<br />
dahin gilt weiter das „Thomas-Prinzip“. Deutsche Aktiengesellschaften<br />
rekrutieren laut All Bright-Bericht nach <strong>im</strong>mer glei chem<br />
Muster, man könnte überspitzt sagen: Sie suchen ihresgleichen.<br />
Und so <strong>ist</strong> der Vorstand männlich, westdeutsch, Wirtschaftswissenschaftler,<br />
Mitte 50. Im September 2018 war „Thomas“ nicht nur<br />
der häufigste Name in Börsenvorständen. Thomasse und Michaels<br />
kommen bis dato sogar häufiger vor als Frauen insgesamt.<br />
Der Bericht legt aber nicht nur Negativbeispiele von börsennotierten<br />
Unternehmen offen, die trotz gesetzlicher Verpflichtung<br />
weiterhin stolz die sogenannte Zielgröße null vor der Brust tragen.<br />
Er zeigt auch, in welchen Branchen Macherinnen auf<br />
dem Vormarsch sind. Besonders häufig sind Frauen demnach<br />
in den Chefetagen von Telekommunikationsunternehmen<br />
vertreten. Hier liegt der Anteil bei 16<br />
Prozent, gefolgt von der Finanzbranche (13 Prozent)<br />
und Log<strong>ist</strong>ikunternehmen (12 Prozent).<br />
Und so scheint doch aus einem<br />
Männerklub, wenn auch sehr langsam,<br />
ein „Team Vielfalt“ zu erwachsen<br />
– für die deutsche Wirtschaft.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 93
Thomas deutsch Jahrgang 1965 Betriebswirt/Volkswirt oder Ingenieur <br />
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
REKRUTIERUNG NACH<br />
DEM THOMAS-KREISLAUF<br />
Der häufigste Name in den Vorständen deutscher<br />
Börsenunternehmen lautet „Thomas“ – und Thomas<br />
stellt am liebsten einen weiteren Thomas ein.<br />
An diesem Muster hat sich seit Jahrzehnten nichts<br />
geändert, sodass sich Vorstandsmitglieder in<br />
Alter, Ausbildung et cetera ähneln. Die Anzahl der<br />
Thomasse und Michaels wächst sogar stärker als<br />
die Anzahl der Frauen in Vorständen insgesamt.<br />
Thomas Thomas Thomas Thomas Thomas<br />
Das durchschnittliche Vorstandsmitglied <strong>ist</strong>:<br />
92 % 76 % 1965 67 % 32 % 49 % 25 %<br />
männlich deutsch geboren<br />
Ausbildung in<br />
Westdeutschland<br />
Ausbildung<br />
<strong>im</strong> Ausland<br />
Wirtschaftswissenschaftler<br />
Ingenieur<br />
Quelle: AllBright (Stand: 9/2018)<br />
Wer Konflikte aushält, kommt weiter<br />
Jette Joop schließt Lizenzverträge mit vertriebsstarken Unternehmen ab, um gemeinsam Projekte zu entwickeln. Als<br />
Designerin profitiert sie von ihrer Impulsivität, als Unternehmerin entscheidet sie strategisch und trägt Konflikte aus.<br />
Das Logo der Jette GmbH besteht aus zwei sich<br />
gegenüberstehenden „J“. Sie könnten für die<br />
beiden Missionen von Jette Joop stehen: für<br />
die Designerin und die Unternehmerin. Beides<br />
zu vereinen, das <strong>ist</strong> für starke Persönlichkeiten<br />
nicht <strong>im</strong>mer einfach.<br />
Die Modebranche <strong>ist</strong> direkt mit dem Handel<br />
verbunden, der sich <strong>im</strong> ständigen Wandel befindet.<br />
So werden Waren heute teils direkt<br />
über Instagram oder Facebook verkauft. Wer<br />
in dieser Branche erfolgreich sein will, muss<br />
starke Nerven haben. So wie Jette Joop, seit<br />
1996 erfolgreiche Designerin von Mode,<br />
Schmuck, Besteck oder Interieur. Was sie vor<br />
allem auszeichnet, <strong>ist</strong> ihre Vielfältigkeit.<br />
Ihr Erfolgsrezept sind Lizenzverträge, die sie mit vertriebsstarken<br />
Unternehmen abschließt, am liebsten mit inhabergeführten.<br />
„Da habe ich größere Verlässlichkeit erlebt. Ich bin auch schon<br />
Kooperationen mit Unternehmen eingegangen, an denen Fonds<br />
beteiligt sind. In diesen Konstellationen kommt es aber häufiger<br />
zu Strategieänderungen“, sagt sie. Ihr sei es aber wichtig, langfr<strong>ist</strong>ig<br />
gemeinsame Ziele zu verfolgen – ohne dass neue Ideen zu<br />
Jette Joop<br />
gründete 1996 die Jette GmbH,<br />
nachdem sie unter anderem bei<br />
Ralph Lauren gelernt hatte, den<br />
sie sehr bewundert. Ein Team aus<br />
langjährig Vertrauten unterstützt<br />
sie bei Plänen und Konflikten<br />
kurz kommen. Erst <strong>im</strong> vergangenen Jahr<br />
startete sie mit „Jung, weiblich, Boss“ ihre<br />
TV-Doku-Show, mit der sie kreative Frauen<br />
fördern wollte. Davon, dass die Sendung<br />
Schwierigkeiten hatte, gegen „Das Sommerhaus<br />
der Stars“ zu konkurrieren, lässt sich die<br />
51-jährige Unternehmerin und Mutter zweier<br />
Kinder nicht entmutigen. Im Gegenteil. Dass<br />
<strong>im</strong>mer noch so wenige <strong>Führung</strong>spositionen von<br />
Frauen besetzt sind, findet sie schade. Ihre<br />
Erklärung: „Ich glaube, es liegt an der Art, wie<br />
Frauen kommunizieren. Hart sein und Konflikte<br />
aushalten – das macht Männern einfach mehr<br />
Spaß. Sie können auch besser einstecken und<br />
nehmen einen Schlagabtausch nicht persönlich.“<br />
Frauen dagegen legten mehr Wert auf Harmonie, was sie zwar<br />
privat <strong>im</strong> Familienleben weiterbringt, aber nicht <strong>im</strong>mer unbedingt<br />
als Unternehmerin. Auch persönlich hat sie sich über die Jahre<br />
weiterentwickelt. Wenn sie heute noch einmal am Anfang ihrer<br />
Karriere stände, würde sie „unbedingt das Impulsive weglassen.<br />
Was einen Designer ausmacht, passt nicht für einen Unternehmer.<br />
Das <strong>ist</strong> oft ein Widerspruch“. Den aufzulösen gelingt ihr gut.<br />
94 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Netzwerken<br />
<strong>ist</strong> essenziell“<br />
Als Personalvorständin von EWE setzt sich<br />
Marion Rövekamp unter anderem für die<br />
Themen Diversity und Frauenförderung<br />
ein – auch, um damit einem drohenden<br />
Fachkräftemangel zu begegnen.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Wie schwierig war<br />
es für Sie, den Begriff „Vorständin“ bei EWE zu etablieren?<br />
Marion Rövekamp: Er war sicherlich anfangs für<br />
einige Kolleginnen und Kollegen etwas gewöhnungsbedürftig,<br />
hat sich aber sehr schnell etabliert. Wahrscheinlich<br />
auch, weil es mit ein wenig Erläuterung<br />
schlüssig war, warum ich mich dafür entschieden habe.<br />
Denken Sie, dass der digitale Wandel mehr Diver sität<br />
in deutsche Unternehmen bringt?<br />
Rövekamp: Der digitale Wandel an sich vielleicht<br />
nicht. Aber die Art und Weise, wie wir innerhalb dieses<br />
Wandels zusammenarbeiten, verlangt sicherlich<br />
Eigenschaften, die wir bisher noch nicht in dieser<br />
Form betont haben und die viele junge Mitarbeiter<br />
heute fast selbstverständlich mitbringen. Die höhere<br />
Geschwindigkeit und die Automatisierung der Arbeitsprozesse<br />
erfordern ausgeprägte kommunikative<br />
Eigenschaften. Auch die Ansprüche an <strong>Führung</strong><br />
verändern sich so, dass die <strong>Führung</strong>skraft eher unterstützt<br />
und moderiert als vorzugeben. Mitbest<strong>im</strong>mung,<br />
Individualität und die Sinnhaftigkeit der eigenen<br />
Arbeit werden zentral.<br />
Wie stark spüren Sie bei EWE den Fachkräftemangel,<br />
und wie wollen Sie ihm begegnen?<br />
Rövekamp: Wir spüren ihn noch nicht stark, bereiten<br />
uns aber darauf vor. Im Sinne der bereits vorhandenen<br />
Vielfalt bei EWE und mithilfe geeigneter<br />
Programme wachsen wir aus uns selbst heraus und<br />
fördern Kompetenzen beziehungsweise erlernen sie<br />
neu. Gleichzeitig sind wir aktiver auf den sozialen<br />
Kanälen und transportieren das, was uns als EWE<br />
ausmacht, auch über unsere Region hinaus. Zur guten<br />
Vereinbarkeit von Beruf und individuellen Interessen<br />
gibt es bei uns flexible Arbeitszeitmodelle,<br />
mobiles Arbeiten, ein umfangreiches<br />
betriebliches Gesundheitsmanagement,<br />
zwei Betriebskindergärten und ein konzerneigenes<br />
Ausbildungszentrum inklusive<br />
Apartments. Mit Oldenburg sitzen wir an einem zwar<br />
nicht zentralen, aber gut erreichbaren, attraktiven<br />
Standort in Küstennähe mit sehr viel Lebensqualität.<br />
Was <strong>ist</strong> Ihr Tipp für Frauen mit <strong>Führung</strong>sambitionen?<br />
Rövekamp: Sie sollten sich ins Gespräch bringen<br />
und ansprechen, in welchem Bereich sie gern Verantwortung<br />
übernehmen möchten. Sie sollten aktiv Gelegenheiten<br />
schaffen, um sich auszuprobieren – beispielsweise<br />
in einem geeigneten Projekt. Mentoren<br />
und Mentorinnen dienen als erfahrene Partner, um<br />
eigene Ideen zu diskutieren. Und Netzwerken – in<br />
frauenspezifischen Networks, aber natürlich auch<br />
generell – <strong>ist</strong> essenziell.<br />
Welche Einsicht, die Sie <strong>im</strong> Laufe Ihrer beruflichen<br />
Karriere gewonnen haben, hätten Sie gern schon zu<br />
Beginn gehabt?<br />
Rövekamp: Einer meiner beruflichen Leitsätze<br />
lautet: „Eine Tür geht zu, sieben gehen auf.“ Wenn mir<br />
das in dieser Form schon zu Beginn meiner beruflichen<br />
Laufbahn so klar gewesen wäre,<br />
hätte ich mir damals eventuell um den ein<br />
oder anderen Schritt nicht ganz so<br />
viele Gedanken gemacht.<br />
ZUR PERSON<br />
MARION<br />
RÖVEKAMP<br />
<strong>ist</strong> seit 2018<br />
Vorständin für<br />
Personal und<br />
Recht be<strong>im</strong><br />
Energie- und<br />
Telekommunikationsunternehmen<br />
EWE. Ihre Lauf-<br />
bahn begann bei<br />
der Deutschen<br />
Telekom, wo sie<br />
etwa die weltweite<br />
<strong>Führung</strong> der<br />
Abteilung „People<br />
Development and<br />
Culture“ bei<br />
T-Systems<br />
verantwortete<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 95
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Digital Leader sein heißt Vielfalt fördern“<br />
Professor Dr. Sabina Jeschke, Vorstand Digitalisierung und Technik der Deutschen Bahn, über die Arbeit als Ingenieurin<br />
in einem klassischen Männerbereich. Sie interessiert sich vor allem für Innovationen und scheinbar unmögliche Ideen.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<br />
<strong>Magazin</strong>: Betrachten Sie<br />
sich als Digital Leader?<br />
Sabina Jeschke: Ein<br />
Technologievorstand hat<br />
die Aufgabe, sein Unternehmen<br />
unter anderem<br />
<strong>im</strong> Bereich Digitalisierung<br />
voranzubringen. Aber<br />
nicht allein! Entwicklung<br />
und Umsetzung sind eine<br />
zusammenhängende<br />
Querschnittsverantwortung.<br />
Digital Leader sein<br />
heißt, interdisziplinäre<br />
Lösungen voranzutreiben.<br />
Das halte ich für<br />
erfolgsentscheidend. Ergebnisse<br />
erzielen wir bei<br />
der Deutschen Bahn nur<br />
gemeinsam.<br />
Wie gelingt das bei einem<br />
Konzern wie der Deutschen Bahn?<br />
Jeschke: Innovationen entstehen überall. In<br />
unserer großen, komplexen Organisation gelingt<br />
das in manchen Bereichen besser als in anderen.<br />
Auch bei Tempo und Methodik gibt es Unterschiede.<br />
Klar <strong>ist</strong>, dass die IT oder der Vertrieb durch die<br />
Kundennähe agiler sind als andere Felder, die stark<br />
regulatorischen Auflagen unterliegen. Aber Bewegung<br />
<strong>ist</strong> überall.<br />
Sie sind in einem eher klassischen Männer-<br />
bereich tätig. Was raten Sie anderen Frauen mit<br />
<strong>Führung</strong>sambitionen, um sich in einem solchen<br />
Feld zu behaupten?<br />
Jeschke: Für mich <strong>ist</strong> diese Männer-Frauen-Unterscheidung<br />
nie wichtig gewesen. Ich persönlich hatte mit den vermeintlichen<br />
Männerdomänen nie Berührungsängste. Gerade <strong>im</strong> Technikbereich<br />
braucht es unterschiedliche Perspektiven, Durchmischung und<br />
somit Frauen, die sich trauen, beherzt und selbstbewusst in diese<br />
Felder zu gehen. Deshalb rate ich zu einer stärkeren Ausrichtung<br />
etwa auf Internet-Wissenschaft, Informatik oder auf klassische<br />
Naturwissenschaften, wo außerdem der Bedarf groß <strong>ist</strong>.<br />
ZUR PERSON<br />
SABINA<br />
JESCHKE<br />
Bevor sie 2017<br />
Vorstand Digitalisierung<br />
und Technik<br />
bei der Deutschen<br />
Bahn wurde, war sie<br />
Direktorin des<br />
Cybernetics Lab an<br />
der RWTH Aachen.<br />
Ihre Schwerpunkte<br />
waren die Bereiche<br />
Verkehr und<br />
Mobilität, IoT,<br />
Robotik und KI<br />
Gibt es eine Erkenntnis,<br />
die Sie gern schon zu<br />
Beginn Ihrer Karriere<br />
gehabt hätten?<br />
Jeschke: Ich wollte<br />
<strong>im</strong>mer technologische<br />
Neuentwicklungen voran<br />
treiben. Das konnte<br />
ich als Professorin und<br />
mittlerweile als Vorstand<br />
bei der Deutschen Bahn.<br />
Heute begreife ich Karriere<br />
eher als einen Prozess.<br />
Es <strong>ist</strong> vor allem<br />
wichtig, dass man authentisch<br />
bleibt und zu<br />
seinem persönlichen Antrieb<br />
steht. Es gibt diesen<br />
schönen Satz von Albert<br />
Einstein: „Wenn eine Idee<br />
am Anfang nicht absurd<br />
klingt, dann gibt es keine<br />
Hoffnung für sie.“ Die<br />
Aussage hat mich <strong>im</strong>mer fasziniert und begleitet.<br />
Welche Soft Skills haben Ihnen auf Ihrem Karriere-<br />
weg am me<strong>ist</strong>en geholfen?<br />
Jeschke: Ich bin in zwei Staaten aufgewachsen, in<br />
Schweden und Deutschland. Ich habe mich dann in<br />
verschiedenen Fachkulturen bewegt, <strong>im</strong> In- und Ausland.<br />
Da bildet sich die Fähigkeit aus, mit Menschen<br />
verschiedener Hintergründe umzugehen. Das schließt<br />
auch das Analysieren der Körpersprache ein. Ich bin<br />
relativ gut darin, schnell kulturelle Grenzen, Vertrautheiten<br />
oder Abgrenzungen aufzudecken.<br />
Welches Projekt bereitet Ihnen zurzeit am me<strong>ist</strong>en Freude?<br />
Jeschke: Da fällt mir die Antwort schwer. Es <strong>ist</strong> kein spezielles<br />
Projekt, vielmehr die Komplexität und die Vielfalt der Menschen,<br />
die bei der Deutschen Bahn beschäftigt sind. Das reicht von<br />
Elektro technikern über Informatiker und Verkehrsplaner bis zu<br />
Produktdesignern. Diese Vielfalt, mit der wir versuchen, Digitalisierung<br />
und neue Technologien zu fördern, um die Bahn und die<br />
öffentliche Mobilität insgesamt attraktiver zu machen, die bereitet<br />
mir viel Freude.<br />
96 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Gründerge<strong>ist</strong><br />
in die Schulen“<br />
Sarna Röser hat Unternehmertum <strong>im</strong> Blut.<br />
Die Nachfolgerin des Familienbetriebs<br />
Karl Röser & Sohn macht sich als Vorsitzende<br />
des Verbands DIE JUNGEN <strong>UNTERNEHMER</strong><br />
für den Nachwuchs stark.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Steigen wir gleich mit<br />
einer entscheidenden Frage ein: Finden Sie, dass die<br />
Bundespolitik junge Unternehmerinnen und Unternehmer<br />
genügend unterstützt?<br />
Sarna Röser: Nein. Wir brauchen weniger Bürokratie,<br />
gerade in den Anfangsjahren einer Unternehmensgründung.<br />
Außerdem <strong>ist</strong> Deutschland traurige Spitzenklasse<br />
bei der Steuerbelastung. Unser Standort<br />
verliert so deutlich an Attraktivität. Eingriffe in die<br />
Autonomie der Geschäftsführung seitens der Bundesregierung<br />
verschl<strong>im</strong>mern die Situation noch.<br />
men und Hidden Champions befinden sich nämlich <strong>im</strong><br />
ländlichen Raum.<br />
Was planen Sie als Nächstes für Ihren Verband?<br />
Röser: Ich möchte noch mehr Menschen für Unternehmertum<br />
bege<strong>ist</strong>ern. Vor allem möchte ich mehr<br />
Frauen ermutigen, als Nachfolgerinnen ein Familienunternehmen<br />
zu übernehmen oder sich mit einem<br />
eigenen Unternehmen selbstständig zu machen. Langfr<strong>ist</strong>ig<br />
kämpfen DIE JUNGEN <strong>UNTERNEHMER</strong> dafür,<br />
die Bedingungen für Unternehmer hierzulande zu<br />
verbessern. Für mich <strong>ist</strong> klar: Mit mehr Unternehmerge<strong>ist</strong><br />
wird ganz Deutschland auch wieder innovativer<br />
ZUR PERSON<br />
SARNA RÖSER<br />
Die Baden-Württembergerin<br />
<strong>ist</strong><br />
Bundesvorsitzende<br />
des Verbands<br />
DIE JUNGEN<br />
<strong>UNTERNEHMER</strong><br />
und ließ sich von<br />
der Unternehmerleidenschaft<br />
ihrer<br />
Eltern anstecken.<br />
Seit über 95<br />
Jahren gibt es die<br />
Zementrohr- und<br />
Betonwerke Karl<br />
Röser & Sohn<br />
Dann sind Sie wohl auch keine Verfechterin der<br />
Frauenquote in der Unternehmensführung?<br />
Röser: Das st<strong>im</strong>mt. Eine Frauenquote halte ich nicht<br />
für sinnvoll. Stattdessen sollte Unternehmertum in<br />
Schulen öfter zur Sprache kommen, und zwar positiv.<br />
Mädchen und Jungs sollten lernen: Wer etwas Eigenes<br />
erschaffen will, kann Unternehmerin oder Unternehmer<br />
werden.<br />
Sie sind Nachfolgerin in einem Familienunternehmen,<br />
das in dritter Generation geführt wird. Passen<br />
Start-up-Kultur und Traditionsbetrieb zusammen?<br />
Röser: Beide Seiten können enorm von einer Zusammenarbeit<br />
profitieren. Der Mittelstand <strong>ist</strong> der<br />
Motor der deutschen Wirtschaft. Das klingt altbacken,<br />
<strong>ist</strong> aber nach wie vor so. Mittelständische Unternehmen<br />
sind entscheidend für Wachstum und Wohlstand<br />
unserer Volkswirtschaft. Gleichzeitig liefern Start-ups<br />
neue Ideen und Impulse für den Mittelstand. Zusammen<br />
ergibt das eine ziemlich gute Mischung.<br />
Die 5G-Debatte beschäftigt die Republik. Wird für<br />
die digitale Infrastruktur mittlerweile genug getan,<br />
um Schritt halten zu können?<br />
Röser: Ein schneller Ausbau von 5G und Glasfasernetz<br />
<strong>ist</strong> die Voraussetzung dafür, dass wir unseren<br />
wirtschaftlichen Wohlstand in den nächsten Jahren<br />
halten. Wichtig <strong>ist</strong>, dass der flächendeckend <strong>ist</strong> und<br />
nicht nur Metropolen zugutekommt. Viele Unterneh-<br />
und kann ein Wirtschaftsmodell anbieten, das mit<br />
China und den USA konkurrieren kann.<br />
Spielen wir „I have a dream“: Wie sieht die Welt für<br />
junge Unternehmerinnen und Unternehmer in<br />
Deutschland in zehn Jahren aus?<br />
Röser: Weniger Bürokratie und Steuerlasten, Glasfaser<br />
überall, wo es benötigt wird, ein nachhaltiges<br />
und modernes Rentenkonzept und mehr Unternehmerinnen<br />
– am liebsten schon morgen!<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 97
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Nur Kompetenz zählt“<br />
Neben zwei Männern behauptet sich Beate Oblau<br />
an der Spitze des Schreibgeräteherstellers Lamy.<br />
Ihr Geschlecht allerdings sei dafür irrelevant.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Bisher waren Schulfüllhalter<br />
einer der größten Umsatzbringer für Lamy. Mit dem Schulpakt<br />
hält die Digitalisierung nun endgültig Einzug in deutsche<br />
Klassenz<strong>im</strong>mer. Wie reagieren Sie darauf?<br />
Beate Oblau: Es <strong>ist</strong> nur folgerichtig, dass die Digital Na tives,<br />
die mit zahlreichen Möglichkeiten der Digitalisierung<br />
aufwachsen, dieser auch in der Schule begegnen. Der Schulpakt<br />
betrifft vor allem die Wissensvermittlung. Das Schrei-<br />
ben per Hand <strong>ist</strong> nach wie vor eine Kulturtechnik, die „analog“<br />
erlernt wird. Daran halten wir aus tiefster Überzeugung fest.<br />
Doch natürlich setzen wir uns als Marktführer mit aktuellen<br />
Trends und Entwicklungen auseinander und leiten daraus<br />
Konzepte und Angebote ab. So <strong>ist</strong> auch die Digitalisierung ein<br />
Thema in der Produktentwicklung. Noch mehr beschäftigt<br />
uns die digitale Transformation <strong>im</strong> Marketing, wo wir unter<br />
anderem mit „LAMY specs“ neue Wege beschreiten, einem<br />
Markenmagazin mit Augmented-Reality-App.<br />
Als Geschäftsführerin zwischen zwei Männern müssen Sie<br />
sich durchsetzen können. Wo haben Sie das gelernt?<br />
Oblau: Das lässt sich leicht beantworten: Das habe ich<br />
bei Lamy gelernt, wo ich die letzten 28 Jahre meines Lebens<br />
verbracht habe. Mit meinem Geschlecht hat das allerdings<br />
wenig zu tun. Und genauso wenig spielt es in unserer Geschäftsführer-Konstellation<br />
eine Rolle. Jeder von uns <strong>ist</strong><br />
kompetent in seinem Bereich. Das <strong>ist</strong> das Entscheidende.<br />
Welche vermeintlich männlichen Soft Skills haben Ihnen<br />
auf Ihrem Weg weitergeholfen? Welche weiblichen?<br />
Oblau: Meine jetzige Position als Geschäftsführerin für<br />
die Bereiche Marketing und<br />
Produktentwicklung verdanke<br />
ich vor allem meiner fachlichen<br />
Qualifikation und meinen<br />
persönlichen Fähigkeiten.<br />
Dazu gehören Empathie, Mut<br />
und Gestaltungswillen, aber<br />
sicherlich auch das richtige<br />
Maß an Durchsetzungsfähigkeit.<br />
Zwischen „männlichen“<br />
und „weiblichen“ Fähigkeiten<br />
zu unterscheiden, halte ich<br />
aber nicht für zielführend<br />
– und kann mir darunter<br />
auch nicht viel vorstellen.<br />
98 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong><br />
Beate Oblau<br />
<strong>ist</strong> seit 28 Jahren dem Schreibgerätehersteller<br />
Lamy treu – und<br />
2018 in die Geschäftsführung<br />
berufen worden. Ihre Bereiche:<br />
Marketing/PR sowie Produktentwicklung<br />
Die Zukunft beginnt<br />
genau jetzt<br />
Es könnte abgedroschen<br />
klingen, wäre es nicht so<br />
unwiderlegbar: Gründerin<br />
Verena Pausder will, dass<br />
unsere Kleinen einmal<br />
digital ganz groß werden.<br />
Folgt man Verena Pausder<br />
auf Instagram, sucht man die<br />
„Ich be<strong>im</strong> Frühstück“-Klassiker<br />
vergebens. Stattdessen<br />
strecken strahlende Kinder<br />
Tablets Richtung Kamera.<br />
Diese Bilder symbolisieren<br />
die Vision der Unternehmerin,<br />
schon unsere Jüngsten<br />
zu digitalen Pionieren auszubilden.<br />
„Wir sind in Deutschland<br />
nicht gerade Vorreiter,<br />
wenn es darum geht, die Bildung<br />
der Zukunft zu denken.<br />
Ich möchte, dass Kinder befähigt sind, Gestalter dieser neuen<br />
Welt zu werden“, so die dreifache Mutter. Dafür gründete sie<br />
2016 die HABA Digitalwerkstatt. Hier werden Kinder spielerisch<br />
motiviert, hinter die Benutzeroberfäche zu schauen,<br />
um „dafür zu sorgen, dass sie mehr sind als Konsumenten<br />
amerikanischer Plattformen“. Für Pausder ein logischer Schritt<br />
gegen den Fachkräftemangel in Deutschland. „Transforma-<br />
tion <strong>ist</strong> ein Prozess, der von Menschen gestaltet wird. Und<br />
diese Menschen müssen wir ausbilden. Ohne Softwareprogrammierer,<br />
Data-Scient<strong>ist</strong>s oder Online-Marketeers können<br />
wir uns nicht vornehmen, ab morgen digital zu sein.“<br />
Um dabei Chancengleichheit zu schaffen, gründete die<br />
Wahlberlinerin 2017 den Verein Digitale Bildung für alle. Hier<br />
werden insbesondere Mädchen gefördert und früh an Technik<br />
herangeführt. Das könnte ihnen<br />
MINT-Berufe später schmackhafter<br />
machen. Den Grundstein für ihr Engagement<br />
legte Verena Pausder bereits<br />
2012 mit der Gründung von<br />
Fox & Sheep, heute größter Entwickler<br />
für Kinder-Apps in Deutschland<br />
mit 20 Millionen Downloads. Doch<br />
Pausder treibt noch mehr an: Infos zu<br />
ihrer Initiative „Startup Teens“ gibt es<br />
<strong>im</strong> <strong>DUB</strong>-Podcast „Moin Zukunft!“ unter<br />
moinzukunft.podigee.io<br />
Verena Pausder führt Kinder<br />
als CEO von Fox & Sheep und<br />
der HABA Digitalwerkstatt<br />
spielerisch in die digitale Welt.<br />
Mehr dazu auch in unserem<br />
Podcast. Einfach diese Seite<br />
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AR<br />
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STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Lernen Sie, sich selbst zu schätzen“<br />
Ines von Jagemann, Geschäftsführerin Digital bei Tchibo, über Digital Leadership, den Vorteil einer<br />
offenen Fehlerkultur und die neuen Chancen für Frauen, in <strong>Führung</strong>spositionen zu kommen.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Was zeichnet einen Digital Leader<br />
als <strong>Führung</strong>sperson aus?<br />
Ines von Jagemann: Mit Digital Leadership reagieren wir auf<br />
die schnellen Veränderungen, die wir heute erleben. Es sind <strong>im</strong>mer<br />
mehr Informationen verfügbar, und die Kommunikation <strong>ist</strong><br />
transparenter. Zudem ändern sich die Dinge schneller und werden<br />
<strong>im</strong>mer unvorhersehbarer. Deshalb müssen wir iterativer arbeiten.<br />
Während man früher das Ziel und den Weg kannte, müssen Führende<br />
heute viel häufiger gemeinsam mit ihrem Team überprüfen:<br />
Ist das überhaupt der richtige Weg? Das <strong>ist</strong> hypothesenbasiertes<br />
Arbeiten, <strong>im</strong> Grunde ein gemeinschaftliches Lernen.<br />
Das klingt, als sei der neue Weg viel zeitintensiver.<br />
Von Jagemann: Nein, es <strong>ist</strong> einfach eine andere Herangehensweise.<br />
Man gleicht <strong>im</strong>mer wieder den Fortschritt an klar definierten<br />
Le<strong>ist</strong>ungskennzahlen ab. So erkennt man Fehler viel<br />
früher und kann sie korrigieren, bevor man lange in die falsche<br />
Richtung läuft. Durch so ein iteratives Vorgehen spart man am<br />
Ende sogar Zeit.<br />
Erfordert dies auch eine neue Fehlerkultur?<br />
Von Jagemann: Es geht nicht mehr darum, möglichst wenig<br />
Fehler zu machen, sondern darum, Fehler schnell zu erkennen<br />
und aus ihnen zu lernen. Sie sollten bloß denselben<br />
Fehler nicht noch einmal begehen. Im Übrigen<br />
müssen wir nicht die Fehler finden, sondern das, was gut<br />
läuft, um es zu nutzen. Ich habe früh gelernt, wie motivierend<br />
es für das Team <strong>ist</strong>, wenn ich als <strong>Führung</strong>sperson offen mit<br />
meinen Fehlern umgehe.<br />
Kommen durch Digital Leadership auch mehr Frauen in <strong>Führung</strong>spositionen?<br />
Von Jagemann: Spannende Frage. Mit der Digitalisierung schaffen<br />
wir neue <strong>Führung</strong>srollen, die nicht zwingend Personalführung<br />
enthalten, sondern fachliche <strong>Führung</strong>, wie sie zum Beispiel ein<br />
Product Owner für ein Produkt oder einen Service hat. So gibt<br />
es einen zusätzlichen Einstieg in die <strong>Führung</strong>. Ein weiterer Punkt<br />
<strong>ist</strong> das gemeinsame Lernen und Diversity: Je mehr Perspektiven<br />
Sie haben, desto wahrscheinlicher <strong>ist</strong> es, dass Sie den richtigen<br />
Weg finden. Und es gibt <strong>Führung</strong>srollen, die sich in Teilzeit ausfüllen<br />
lassen. Es werden weiterhin mehr Frauen als Männer in<br />
Teilzeit arbeiten. Wenn sich <strong>Führung</strong>spositionen für eine Besetzung<br />
in Teilzeit eignen, haben mehr Frauen eine Chance.<br />
Was halten Sie von einer Frauenquote bei <strong>Führung</strong>sposten?<br />
Von Jagemann: Es zeigt sich, dass eine Korrelation zwischen<br />
einer Quote und dem tatsächlichen Frauenanteil besteht. Tchibo<br />
hat einen Frauenanteil von 65 Prozent, unter den <strong>Führung</strong>skräften<br />
sogar von 75 Prozent. Das liegt daran, dass wir viele Filialen<br />
haben, die von Frauen geführt werden. Die ersten Geschäftsführerinnen<br />
gab es bei Tchibo schon vor mehr als zehn Jahren.<br />
Dafür haben wir keine Quote gebraucht.<br />
Was empfehlen Sie Frauen in <strong>Führung</strong>spositionen?<br />
Von Jagemann: Zwei Dinge: Lernen Sie, sich selbst zu schätzen.<br />
Und verzichten Sie nicht auf Kinder. Man muss das Thema<br />
Kinder aktiv ansprechen – in der Partnerschaft, <strong>im</strong> beruflichen<br />
Kontext, <strong>im</strong> Unternehmen. Es ändert sich zurzeit vieles.<br />
Von wem haben Sie am me<strong>ist</strong>en gelernt?<br />
Von Jagemann: Am me<strong>ist</strong>en lerne ich von Menschen,<br />
die mich umgeben – <strong>im</strong> privaten oder beruflichen Kontext.<br />
Jeder Mensch hat ein ganz spezielles Stärken-Schwächen-<br />
Profil, und die Chance <strong>ist</strong> groß, dass man sich gegenseitig<br />
ergänzt. Da offenbaren sich ganz wunderbare Fähigkeiten,<br />
von denen jeder für sich etwas mitnehmen kann.<br />
Ines von Jagemann steht als Digital Leader bei Tchibo in stetem<br />
Austausch mit ihrem Team, um Ziele gemeinsam zu konkretisieren.<br />
Ihrer Ansicht nach profitieren Frauen davon, dass<br />
<strong>Führung</strong>spositionen öfter auch in Teilzeit zu besetzen sind<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 99
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Sagen Sie ‚Ja‘ zu neuen Chancen“<br />
Maria Moraeus Hanssen <strong>ist</strong> seit Anfang 2018 Vorstandsvorsitzende der DEA Deutsche Erdoel AG.<br />
Die Norwegerin fordert Diversität in Unternehmen – und das weit über die Geschlechterfrage hinaus.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Was unterscheidet<br />
Deutschland von Norwegen mit<br />
Blick auf die Diversität in Unternehmen?<br />
Maria Moraeus Hanssen: Ich<br />
glaube, der größte Unterschied<br />
liegt in den sozialen und kulturellen<br />
Erwartungen. Norwegen<br />
gehört zu den Ländern mit der<br />
höchsten Geschlechtergerechtigkeit.<br />
Das <strong>ist</strong> positiv für alle<br />
– für Frauen mit Karriereambitionen<br />
sowie für Männer, die<br />
das Familienleben in den Vordergrund<br />
stellen wollen. Andererseits<br />
gibt es auch in Norwegen<br />
soziale und kulturelle Erwartungen<br />
an Eltern, wie sie ihre Freizeit mit<br />
den Kindern verbringen und wie eine<br />
gute Work-Life-Balance aussieht. Dies zu<br />
vereinbaren mit einer <strong>Führung</strong>sposition, die<br />
lange Arbeitstage und häufige Dienstreisen mit<br />
sich bringt, kann sehr herausfordernd sein.<br />
Was <strong>ist</strong> Ihr Tipp für Frauen mit <strong>Führung</strong>sambitionen?<br />
Moraeus Hanssen: Sagen Sie Ja zu neuen Chan-<br />
cen und Herausforderungen. Ich habe <strong>im</strong>mer Ja zu<br />
den Möglichkeiten gesagt und mich erst danach mit<br />
den praktischen, privaten Aspekten auseinandergesetzt.<br />
Und das <strong>ist</strong> wahrscheinlich der wichtigste Grund<br />
dafür, warum ich heute dort bin, wo ich bin.<br />
Was halten Sie von formalisierten Auswahlprozessen,<br />
insbesondere der Frauenquote?<br />
Moraeus Hanssen: Ich bin kein Fan von Quoten.<br />
Ich glaube jedoch an die Wirksamkeit einer kontinuierlichen<br />
und transparenten Messung und Berichterstattung<br />
von Diversity-Kennzahlen. Es <strong>ist</strong> erwiesen, dass Vielfalt<br />
gut für Unternehmen <strong>ist</strong>, und deshalb <strong>ist</strong> das ein Thema, das<br />
jedes Unternehmen und jede <strong>Führung</strong>skraft bei der Rekrutierung<br />
und Besetzung von Positionen berücksichtigen sollte. Generell<br />
glaube ich, dass es ein Misserfolg für Unternehmen und Branchen<br />
<strong>ist</strong>, wenn sie es nicht schaffen, aus dem gesamten Talentpool zu<br />
rekrutieren – sind doch de facto 50 Prozent der Denkle<strong>ist</strong>ung<br />
und der Talente weiblich.<br />
ZUR PERSON<br />
MARIA MORAE US<br />
HANSSEN,<br />
geboren in Oslo,<br />
studierte unter<br />
anderem Petroleum<br />
Economics<br />
und Management<br />
in Paris. Sie<br />
bekleidete führende<br />
Positionen<br />
etwa bei Statoil<br />
und Engie, vormals<br />
GDF Suez. Seit<br />
Anfang 2018 <strong>ist</strong><br />
sie Vorstandsvorsitzende<br />
bei DEA<br />
Welche Entscheidung hat Ihren Karriere-<br />
weg maßgeblich beeinflusst?<br />
Moraeus Hanssen: Es <strong>ist</strong> schwer, den<br />
einen Schritt herauszugreifen. Aber<br />
dass ich Installationsmanager einer<br />
Offshore-Anlage und damit verantwortlich<br />
für den Betrieb einer<br />
Offshore-Plattform in der<br />
Nordsee war, <strong>ist</strong> etwas, das<br />
mich geprägt hat.<br />
Welche Eigenschaften haben<br />
Ihnen in dieser männerdominierten<br />
Branche geholfen?<br />
Moraeus Hanssen: Ja sagen<br />
sowie hart arbeiten und sich in<br />
die Dinge vertiefen. Je mehr man<br />
sich engagiert, um den Job, die Firma<br />
und die Branche zu verstehen, umso<br />
interessanter wird die Aufgabe. Wer generell<br />
interessiert und motiviert <strong>ist</strong>, kommt<br />
auch mit Herausforderungen zurecht.<br />
Wie gehen Sie mit Fehlern um?<br />
Moraeus Hanssen: Fehler sind Chancen zum Lernen.<br />
Mein Rat: Legen Sie <strong>im</strong>mer offen, wenn Sie etwas<br />
falsch gemacht haben, und kommunizieren Sie es klar.<br />
Dann konzen trieren Sie sich darauf, die Sache zu korrigieren.<br />
Ich glaube nicht, dass ich <strong>im</strong>mer richtig entscheide.<br />
Wir treffen Entscheidungen – in der Hoffnung,<br />
dass es die richtigen sind.<br />
Gerade bei Fusionen sind integrative Fähigkeiten<br />
gefragt. Haben Frauen Ihrer Einschätzung nach hier<br />
Vorteile?<br />
Moraeus Hanssen: An einer Sache wie der Fusion<br />
von zwei Unternehmen und damit Organisationen zu<br />
arbeiten <strong>ist</strong> eine Teamle<strong>ist</strong>ung. Und es <strong>ist</strong> erwiesen, dass Teams<br />
in vielfältiger Zusammensetzung effektiver arbeiten. Ich sage<br />
<strong>im</strong>mer: Ich stehe nicht für Vielfalt, nur weil ich als Frau in einer<br />
männerdominierten Branche arbeite. Ein gemischtes, ausbalanciertes<br />
und repräsentatives Team nicht nur hinsichtlich des Geschlechts,<br />
sondern auch mit Blick auf die Nationalität, die Kultur<br />
und sexuelle Vorlieben <strong>ist</strong> mit einer größeren Wahrscheinlichkeit<br />
auch erfolgreich.<br />
100 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
„Mehr Empathie<br />
denn je“<br />
Die digitale Transformation gelingt <strong>im</strong><br />
Unternehmen nur <strong>im</strong> Miteinander,<br />
postuliert Antje Leminsky, CEO be<strong>im</strong><br />
Finanzierungsspezial<strong>ist</strong>en GRENKE.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Sie sind als CEO auch<br />
für die Digitalisierung des Konzerns verantwortlich.<br />
Verändern sich die <strong>Führung</strong>sstrukturen bei GRENKE<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Transformation?<br />
Antje Leminsky: Die Digitalisierung wirkt wahrlich<br />
revolutionär: in unserer Gesellschaft, <strong>im</strong> Privatleben<br />
und eben auch geschäftlich. Diesen Wandel kann man<br />
nicht aufhalten, sondern muss ihn zum eigenen Vorteil<br />
und dem seiner Kunden machen. Daher kommt digitale<br />
Transformation auch am Miteinander <strong>im</strong> Unternehmen<br />
nicht vorbei: Moderne <strong>Führung</strong> heißt veränderte<br />
Kommunikation und andere Tools – dazu mehr<br />
Transparenz und Empathie denn je.<br />
Erleichtert diese Entwicklung Frauen den Weg in<br />
die <strong>Führung</strong>sebenen?<br />
Leminsky: Die Digitalisierung schafft mehr Freiheiten<br />
und damit auch eine bessere Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf. Homeoffice und Videokonferenzen<br />
gehören dazu, aber es bedarf des kontrollierten<br />
Einsatzes. Sonst wird es ein Bumerang. Genau<br />
dafür müssen wir unsere Kinder schon in der Schule<br />
fit machen und auch Risiken <strong>im</strong> Umgang mit Technik<br />
vermitteln. Da lernen wir alle, aber Eltern und Lehrer<br />
sollten es nicht erst nach den Kindern tun. Wir haben<br />
bei GRENKE Zielgrößen für Frauen in <strong>Führung</strong>spositionen.<br />
Aber wir führen eigentlich lieber durch Vorbilder,<br />
wie zum Beispiel durch mich. Digitaler Wandel<br />
muss authentisch sein.<br />
Wie hoch <strong>ist</strong> der Anteil weiblicher <strong>Führung</strong>skräfte<br />
bei GRENKE?<br />
Leminsky: 32 Prozent, also über dem Durchschnitt<br />
von 25 Prozent in unserer Branche. Aber damit geben<br />
wir uns nicht zufrieden. Wir suchen noch mehr Frauen<br />
mit Ehrgeiz und Energie.<br />
Bei wem fanden Sie in Ihrer Karriere Unterstützung?<br />
Leminsky: Ich habe <strong>im</strong>mer auf die richtigen Mentoren<br />
gesetzt. Zufall oder nicht: Es waren in meinem<br />
Falle <strong>im</strong>mer starke Männer mit starkem Frauenbild.<br />
Und ich habe über ein Jobangebot nie lange nachgedacht,<br />
wenn mich das Thema gereizt hat. Nur für<br />
den ersten Job habe ich mich explizit beworben. Danach<br />
kamen die Jobangebote zu mir.<br />
An welchen Soft Skills sollten Frauen vor allem arbeiten,<br />
um ihre Aufstiegschancen zu verbessern?<br />
Leminsky: Karriere setzt voraus, dass man in kurzer<br />
Zeit viele komplexe Probleme lösen kann. Das<br />
können Frauen genauso erfolgreich wie Männer. Was<br />
die Soft Skills angeht, müssen aber vermutlich eher<br />
die Männer daran arbeiten als die Frauen.<br />
Haben Sie auch Karriereentscheidungen getroffen,<br />
die Sie <strong>im</strong> Nachhinein bereuen?<br />
Leminsky: Nein, ich habe die Gegenwart und vor<br />
allem die Zukunft <strong>im</strong> Blick. Man muss heute keinen<br />
idealtypischen Lebenslauf haben, um erfolgreich zu<br />
sein. Wenn man wie ich seit so vielen Jahren digital<br />
praktiziert, erfolgreich war und auch mal gescheitert<br />
<strong>ist</strong>, dann sind das beste Voraussetzungen für den<br />
CEO-Job. Scheitern kann Teil eines Bildungswegs zum<br />
Unternehmer sein. Bei mir war etwa das eher unspektakuläre<br />
Aus eines Start-ups ein solcher Lerneffekt.<br />
Eine positive Fehlerkultur gehört für mich<br />
deshalb einfach dazu.<br />
ZUR PERSON<br />
ANTJE<br />
LEMINSKY<br />
Die Wirtschaftswissenschaftlerin<br />
arbeitet seit 2012<br />
für GRENKE, seit<br />
März 2018 als<br />
CEO. Zuvor war<br />
sie unter anderem<br />
für Gruner + Jahr<br />
sowie Otto tätig<br />
und gründete ein<br />
Start-up. GRENKE<br />
erzielte 2018<br />
mit Leasing und<br />
Fac toring ein<br />
Neugeschäft<br />
von knapp drei<br />
Milliarden Euro<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 101
STRATEGIE & FÜHRUNG<br />
Stephanie Renda <strong>ist</strong> Mitgründerin von match2blue. Heute <strong>ist</strong> sie – neben<br />
ihrer Tätigkeit als Managerin bei Promerit – <strong>im</strong> Bundesverband Deutsche<br />
Startups Mitglied des Vorstands und Vorsitzende des Startup-Unternehmerinnen-Netzwerks<br />
sowie Mitglied des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“<br />
Businessplan. Gerade Business-Angels handeln aus dem<br />
Bauch heraus. Ein erfahrener, gereifter Mann findet sich<br />
dann wahrscheinlich eher in einem Jungspund wieder<br />
als in einer Unternehmerin. Ich merke aber, dass sich bei<br />
manchen Geschäftspartnern etwas verändert, sobald sie<br />
selbst Töchter haben und diese vielleicht auch schon gegen<br />
die gläserne Decke gestoßen sind.<br />
„Das einzige Mittel<br />
der Wahl“<br />
Courage: Als junge Mutter gründete Stephanie Renda 2008<br />
ihr eigenes Technologie-Unternehmen. Heute engagiert<br />
sie sich für die ganze Start-up-Szene. Sie kennt die Grenzen,<br />
an die Frauen stoßen – und den Mittelstand von morgen.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>: Die Gründungslandschaft scheint<br />
noch <strong>im</strong>mer sehr männerdominiert. Haben sich die Bedingungen<br />
für Frauen in den elf Jahren, die Sie dabei sind, verbessert?<br />
Stephanie Renda: Heute gibt es wesentlich mehr Gründerinnen<br />
als früher, vor allem auch <strong>im</strong> Tech-Umfeld. Und wir sprechen hier<br />
nicht nur von Baby-Onlineshops, was man oft zuerst vermutet,<br />
sondern vom Hightech-Bereich. Enorm wichtig <strong>ist</strong>, dass es entsprechende<br />
Role-Models gibt. Die Zahl der reinen Frauengründungen<br />
<strong>ist</strong> mit acht Prozent gering. Aber ich denke ohnehin, dass<br />
es sinnvoller <strong>ist</strong>, diverse Teams aufzustellen. So kann man bestmöglich<br />
voneinander profitieren. Diese Erfahrung habe ich damals<br />
auch mit meiner Firma match2blue gemacht. Als wir unser männlich<br />
geprägtes Entwicklungsteam mit Entwicklerinnen angereichert<br />
haben, gab es einen regelrechten kulturellen Boost.<br />
Es <strong>ist</strong> nachgewiesen, dass reine Frauenteams seltener externes<br />
Kapital erhalten.<br />
Renda: Ja, Studien aus den USA zeigen, dass reine Frauenteams<br />
weniger Geld von Investoren erhalten als Männer mit demselben<br />
Wie stehen Sie zur Frauenquote?<br />
Renda: Ich bin eigentlich nicht dafür, aber es scheint das<br />
einzige Mittel der Wahl, um unseren Rückstand aufzuholen.<br />
Wenn sich alte weiße Männer davon dann wiederum benachteiligt<br />
fühlen, <strong>ist</strong> das ein Kollateralschaden, den man in Kauf<br />
nehmen muss. Genauso müssen wir in Kauf nehmen, wenn<br />
unter den Quotenfrauen mal eine schlechte <strong>ist</strong>. Da bin ich inzwischen<br />
relativ emotionslos. Generell erleben wir momentan<br />
einen Umbruch, was die Arbeitsmodelle und die Rollenbeschreibungen<br />
betrifft – auch be<strong>im</strong> Thema <strong>Führung</strong>. Vor allem in Bezug<br />
auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Warum sollte man nicht<br />
in geteilter Stelle führen können?<br />
Was muss sich in der Start-up-Branche für eine erfolgreiche<br />
digitale Zukunft verändern?<br />
Renda: In einer digitalen Zukunft wird das Zusammenwachsen<br />
von Start-ups und etablierten Unternehmen mit Marktzugang<br />
essenziell. Es muss einen Austausch zwischen diesen beiden<br />
Welten geben. Und da sehen wir natürlich als Bundesverband<br />
Deutsche Startups auch unsere Aufgabe, diesen zu gestalten.<br />
Ich bin froh, dass wir in Deutschland entfernt sind von dieser<br />
reinen Wagniskapitalkultur. Die Start-ups und der Mittelstand<br />
von heute müssen gemeinsam der Mittelstand von morgen werden.<br />
Das bedingt aber unter anderem viel agilere Finanzierungsinstrumente,<br />
und daran sollte auch die deutsche Wirtschaft ein<br />
Interesse haben. Momentan <strong>ist</strong> die, <strong>im</strong> Gegensatz zu anderen<br />
Ländern, aber nicht unbedingt bereit, in Wachstumsfonds zu<br />
investieren.<br />
Inwieweit kann die Digitalisierung gerade für weibliche <strong>Führung</strong>skräfte<br />
eine besondere Chance darstellen?<br />
Renda: Was Maschinen nie ersetzen können, sind Attribute,<br />
die me<strong>ist</strong> Frauen zugeschrieben werden. Emotion, Empathie,<br />
Kreativität, Fantasie. Wir Frauen vereinen damit Eigenschaften,<br />
die <strong>im</strong> Zuge der Digitalisierung zu absoluten Stärken und zu einem<br />
differenzierenden Faktor werden. Ebenfalls ganz wichtig: Kontextbewusstsein.<br />
Und da haben wir Frauen durch unsere Erfahrung,<br />
Familie und Beruf zu stemmen, oftmals einen ganzheitlicheren<br />
Blick auf die Dinge. Ich sehe da viele Chancen.<br />
102 <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>
KOLUMNE<br />
Verena Fink von Woodpecker Finch arbeitet<br />
als Beraterin für kundenzentrierte Innovation<br />
und Künstliche Intelligenz. Sie <strong>ist</strong> die Expertin<br />
des <strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong>s für digitale<br />
Impulse aus dem Silicon Valley<br />
Leidenschaft gewinnt<br />
Jenseits der bekannten Kampflinien<br />
wachsen durch Unternehmerinnen<br />
ganz neue <strong>Führung</strong>skulturen.<br />
Be<strong>im</strong> Thema Female Leadership kreisen<br />
die Gespräche schnell um Aspekte<br />
wie die Frauenquote oder Equal<br />
Pay. Wir denken an Managerinnen,<br />
die unermüdlich gegen Quoten-Stereotype<br />
kämpfen. Doch abseits etablierter<br />
Unternehmensstrukturen wächst Female<br />
Leadership weit weniger beachtet<br />
zu einer transformierenden Kraft heran.<br />
Wir erleben eine Generation von Unternehmerinnen,<br />
die ihre Energie nicht<br />
aufwenden muss, um patriarchale Unternehmensmuster<br />
aufzubrechen, sondern<br />
mit ihrer Passion eine eigene<br />
<strong>Führung</strong>s bewegung erschaffen kann.<br />
Mich faszinieren Unternehmerinnen, die unsere Arbeits-<br />
und Genderzukunft gestalten. Verena Pausder<br />
zum Beispiel, die mit Fox and Sheep Kinder mit der<br />
Digitalisierung vertraut macht. Oder Katja Urbatsch,<br />
die mit Arbeiterkind.de Nicht-Akademikerkindern zum<br />
Uniabschluss verhilft. Mich bege<strong>ist</strong>ern Frauen, die<br />
Integration und Transformation fördern. Dazu gehören<br />
Anne Kjær Riechert mit ihrer Programmierschule<br />
für Flüchtlinge oder Chr<strong>ist</strong>ina Burkhardt, die mit der<br />
Shiftschool Deutschlands erste Akademie für digitale<br />
Transformation gegründet hat. Sie macht Menschen<br />
berufsbegleitend in 18 Monaten fit für die digitale Welt.<br />
Stärke zeigen: <strong>Führung</strong>saufgaben<br />
können für<br />
Frauen ein Kraftakt sein,<br />
müssen es aber nicht<br />
Mich berühren Frauen, die der Gesellschaft<br />
dienen. So sitze ich vor Kurzem<br />
staunend einer jungen Inderin gegenüber,<br />
die mir mit leuchtenden Augen<br />
von ihrem Traum erzählte: allen armen<br />
Kindern in Indien, die besonders wach<br />
sind <strong>im</strong> Ge<strong>ist</strong>, eine Ausbildung zu ermöglichen.<br />
Tanu Varma wuchs in einfachen<br />
Verhältnissen in Nordindien auf.<br />
Nach früher Verheiratung konnte sie sich<br />
dennoch ihren Wunsch erfüllen, an der<br />
Universität über menschliches Bewusstsein<br />
zu promovieren. Bei der Meditation<br />
am Ganges ärgerte sie sich über die Unart<br />
bettelnder Kinder, Tour<strong>ist</strong>en zu behelligen,<br />
und bot ihnen an, sie auszubilden.<br />
Sie gründete die Hilfsorganisation Yoga<br />
Dharnendra, die sich heute um 150 Kinder<br />
kümmert. Kinder, die neben der<br />
Schule handwerkliche Fähigkeiten erlernen,<br />
mit denen sie Geld verdienen können, oder in<br />
Konfliktlösung ausgebildet werden.<br />
Varma re<strong>ist</strong> das halbe Jahr um die Welt, um Mittel<br />
für mehr Kinder und mehr Projekte zu sammeln. Woher<br />
sie die Kraft n<strong>im</strong>mt? „Life is to serve humanity“,<br />
sagt sie und strahlt. Female Leadership, so erklärt<br />
sie mir, sei Führen mit Passion. Wer bedingungslose<br />
Liebe schenke und mit Leidenschaft vorangehe, dem<br />
folgten die Menschen. Nachdenklich schaue ich sie<br />
an und male mir aus, wie ihr <strong>Führung</strong>sprinzip Unternehmenskultur<br />
und Gesellschaft verändern kann.<br />
<strong>DUB</strong> <strong>UNTERNEHMER</strong>-<strong>Magazin</strong> 103