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Sanfte Hände

Eine Broschüre von Antonia Stängl

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Antonia Stängl

Familiencoach

Sanfte Hände


Sanfte Hände

Begegnung auf dem Wickeltisch

Einführung S 5-7

Praxis S 8-17

Erfahrungsbericht S 18-21

Impressum S 23

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Einführung

Stell Dir vor, Du strandest in einem fernen Land und Du kannst aus irgendeinem

Grund nicht mehr gut für Dich selbst sorgen. Du bist eingeschränkt in Deiner Bewegung

und Deinen Fähigkeiten und somit auf die Hilfe von anderen angewiesen.

Du brauchst sie, um Dich zu waschen, zu baden, Dir zu essen zu geben. Und

stell Dir weiter vor, dass Du ihre Sprache praktisch nicht verstehst und auch nicht

antworten kannst.

Wie fühlst Du Dich, wenn die Person, die sich um Dich kümmert, mechanisch ihre

Aufgabe erledigt - ohne Dich groß anzuschauen und ohne mit Dir zu sprechen

(es bringt ja eh nix, weil Du sie nicht verstehst) mit Dir hantiert, Dich sauber hält

und Dir das Essen in den Mund schaufelt? All das eher zügig, da sie ja schließlich

auch noch andere Menschen zu versorgen hat.

Und andererseits, wie fühlst Du Dich, wenn diese Person trotz aller Sprachbarriere

mit Dir in Kontakt geht, in ihrer eigenen Sprache beschreibt, was sie tun wird,

wie Du ihr dabei helfen kannst, Dich achtsam und mit sanften Händen berührt und

Dich insgesamt in den Ablauf, der ja Dich betrifft, als Person mit einbezieht?

Das dritte Szenario, in dem die Person überfordert und gestresst und deswegen

so schnell und fahrig in ihren Bewegungen ist, dass Sie Dir eigentlich Schmerzen

zufügt, möchte ich hier nicht weiter vertiefen.

Was denkst Du in diesen unterschiedlichen Szenarien über Dich selbst, über

Deinen Wert und wann fühlst Du Dich am besten aufgehoben?

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Und mit dieser Erkenntnis gehe einmal einige Zeit durch die Welt und schau Dir

an, was Babys und kleinen Kindern Tag für Tag widerfährt. Wie oft siehst Du Babys,

die unachtsam „wie ein Paket“ getragen werden, die aufgehoben, umgedreht,

gewickelt und gefüttert werden – im besseren Fall – ohne größere Beteiligung

oder Beachtung, im schlechteren sogar mit leichten Andeutungen von Zwang oder

Gewalt. Ich meine hier „alltägliche Gewalt“, die noch sehr sehr weit davon entfernt

ist, was wir gemeinhin unter Gewalt verstehen - ein etwas festeres Zupacken am

Arm, oder auch nur die Bewegung, das Kind auf dem Rücken zu halten, wenn es

sich beim Wickeln eigentlich drehen möchte.

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Warum ich es so schwer finde, über das Thema Pflege zu

schreiben?

Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Der erste besteht darin, dass

es sehr schwer ist das niederzuschreiben, was ich aus so vielen

Jahren an Beschäftigung mit dem Thema weiß, ohne belehrend

und von oben herab zu wirken. Dazu kommt, dass ich aus meiner

Arbeit mit Eltern ja um die Sensibilität des Themas weiß. Ich

weiß auch, dass die meisten Eltern sowieso schon sehr bemüht

sind, das Beste für ihre Kinder zu tun – eine gewisse Verunsicherung

lässt sich aber fast nicht vermeiden, wenn man sich mit

dem Pikler Ansatz befasst – und ich trage nur sehr ungern zu

dieser Verunsicherung bei.

Der zweite Grund bezieht sich auf die Unzulänglichkeit von

Sprache in Bezug auf dieses Thema. Aus meiner Warte ist es

schwierig „beziehungsvolle Pflege“ so zu beschreiben, dass der

Leser sich auch tatsächlich das vorstellen kann, was gemeint

ist – ich selbst habe erst über Fotos und Videos nach und nach

verstehen gelernt – ich hoffe also, dass die Fotos in diesem Heft

ihren Beitrag dazu leisten, das Gelesene verständlicher zu

machen.

Aber zurück zur „Verunsicherung“, die ich oben erwähnt habe.

Noch während des Schreibens, habe ich begonnen, mich mit

dem Umstand auszusöhnen. Es ist doch so, dass wir als Menschen

immer ein gewisses Maß an Verunsicherung ertragen

müssen, wenn wir etwas neues Lernen. Ich werde also in Zukunft

diese Verunsicherung genau als das begrüßen, was sie

eigentlich ist – nämlich als ersten Schritt in eine neue, vielversprechende

Richtung.

Ich beschreibe das hier nicht, um zu zeigen, wie schlecht Eltern mit ihren

Kindern umgehen, denn was ich hier beschreibe, ist das Verhalten wohlmeinender

Eltern, die ihren Kindern zugetan sind. Ich beschreibe es, um Dir zu

verdeutlichen, was der „normale Umgang“ mit Kindern in unserer Gesellschaft

ist, und um Dich dafür zu sensibilisieren.

Eine Mutter, die schon längere Zeit bei mir im SpielRaum war, meinte halb

scherzhaft zu mir: „Eigentlich solltest Du alle Eltern warnen, bevor sie in Deinen

Kurs kommen, dass sie danach verdorben sind für den herkömmlichen

Umgang mit Kindern…“

...und ja, auf gewisse Weise stimmt das: Wenn Du einmal begonnen hast,

die Details wahrzunehmen, dann fällt es oft schwer, es nicht mehr zu tun.

Es gibt einen weiteren Grund, warum ich auf das „allgemein Übliche“ hinweise:

Wenn Eltern beginnen, sich mit dem Pikler Ansatz zu beschäftigen, ist

es oft gar nicht so einfach, im Alltag dieses Maß an Achtsamkeit aufrecht zu

erhalten. Und ich finde es hilfreich, sich den Umstand bewusst zu machen,

dass das, was wir meistens um uns herum sehen, uns dabei nicht hilft.

Als meine eigenen Kinder noch klein waren, habe ich als Gegenmaßnahme

immer wieder ein Video aus dem Pikler-Institut angeschaut, um mir die achtsame

Haltung wieder präsenter zu machen.

Als ich selbst das erste Mal mit dem Pikler Ansatz in Berührung kam, war

ich hochschwanger mit meinem zweiten Kind (also glücklicherweise in einer

sehr sensiblen Phase), hatte aber wie so viele Eltern auch, mit dem „schlechten

Gewissen“ meiner Erstgeborenen gegenüber zu tun. Dieses schlechte

Gewissen erreichte einen Höhepunkt nach der Geburt unseres dritten Kindes

– damals war ich schon ganz zu Hause in der „Pflege mit sanften Händen“

und sie war mir zur zweiten Natur geworden. Zeitgleich tauchte ein

altes Video vom Wickeln unserer Ältesten auf – zu meinem Glück von mir

gefilmt, zeigte es meinen Mann bei der Pflege (ohne jegliche Ahnung von

achtsamem Umgang). Als wir uns das alle gemeinsam ansahen, erkannte

Mirjam mit ihren 9 Jahren mein Leid und meinte: „Aber Mama, ihr habt mich

ja immer lieb gehabt, das hab ich doch gewusst!“

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, das Video zeigte nichts Anderes als

ein zügig durchgeführtes Wickeln auf einer Kleidertruhe.

Dies also für alle Eltern, bei denen sich das schlechte Gewissen über Vergangenes

meldet…

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Praxis

Worum also geht es bei diesem anderen Ansatz?

Der Anfang ist eigentlich etwas Selbstverständliches, das

aber doch nicht allgemein üblich ist:

Ein Säugling wird vom ersten Tag an als eigenständiger vollwertiger

Mensch wahrgenommen. Das klingt so simpel, ist es

aber doch nicht. Dadurch, dass diese kleinen Menschen noch

so „handlich“ sind und sich auch sprachlich nicht in unser Tun

einmischen, passiert es leider allzu schnell, ein Baby eher

wie ein „Ding“ handzuhaben, denn wie eine Person. (Wer mir

nicht glaubt, braucht nur ein wenig seine Mitmenschen mit

einem Säugling oder Kleinkind zu beobachten).

Und diese achtsame Haltung durchdringt jeden - aber auch

wirklich jeden - Kontakt mit dem kleinen Wesen, ob ich es

aufhebe, zu seinem Bett trage oder auch nur mich über den

Kinderwagen beuge - ich habe es immer mit einer kleinen

Person zu tun und behandle sie mit jener Achtsamkeit und

Höflichkeit, die jedem Menschen zusteht.

Und um wieder auf das Eingangsbeispiel Bezug zu nehmen,

mein Kontakt mit dem Säugling hat zusätzlich die besondere

Rahmenbedingung, dass er noch sehr viele Dinge nicht

selbst in die Hand nehmen kann. Er ist auf meine Fürsorge

angewiesen - aber dieser Umstand führt nun eben nicht

dazu, dass das kleine Wesen an Bedeutung und Würde verliert,

sondern genau im Gegenteil. Weil das Wohlbefinden

des Säuglings sozusagen fast gänzlich in meiner Hand liegt,

gehe ich sehr, sehr behutsam mit dieser Macht um:

Ich mache nichts mit dem Kind, das ich nicht vorher ankündige,

ich gebe ihm jederzeit die Gelegenheit, sich selbst

einzubringen – und es ist immer wieder erstaunlich, wie

früh so umsorgte Säuglinge mit einem Ansatz der Kooperation

beginnen.

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Ich passe meine Geschwindigkeit an die des Babys an – und, wie alle

Eltern wissen, ist diese am Anfang des neuen Lebens sehr, sehr

langsam…

Ich achte immer auf das Gleichgewicht des Säuglings und bringe ihn

durch meine sprachliche Begleitung und meine behutsame Berührung

immer in die neue Situation. Am Beispiel des Aufhebens verdeutlicht

– wenn ich das Baby auf den Arm nehme und ich habe

meine Aufgabe gut erfüllt, so wird es mir sein Gewicht vollständig

überlassen und nicht seine eigenen Muskeln verspannen, um sich

zu schützen..

Wenn wir diese Gedanken nun auf eine Wickelsituation erweitern, so

ergibt sich daraus folgendes:

Während des Wickelns bin ich ganz und gar in Kontakt mit dem

Säugling.

Ich kündige jede Handlung an und warte auch ab, bis das Kind „mitarbeitet“

(was das in den verschiedenen Altersstufen bedeutet, darauf

komme ich noch zurück).

Ich „bespreche“ während des Wickelns auch alles, was das Kind

macht: Wie es sich bewegt, wo seine Aufmerksamkeit gerade ist –

dadurch ergibt sich ein noch intensiverer Austausch zwischen uns.

Ich gebe Raum für die Bewegungen des Säuglings/ Kleinkinds – das

bedeutet auch, dass ich manchmal in ungewohnten Positionen arbeiten

muss!

Daraus ergibt sich, dass ich einen speziell gesicherten Platz benötige,

damit das Kind beim Wickeln immer in Sicherheit ist!

Alles in Allem nutze ich die Situation des Wickelns auch dafür, unsere

Beziehung zu nähren und dem Säugling/ Kleinkind ein Gefühl der

Geborgenheit zu vermitteln. Gleichzeitig stärkt diese Art des Umgangs

das Körpergefühl des Kindes.

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Immer wieder werde ich gefragt , warum es denn so wichtig ist, die freie Bewegung auch während des

Wickelns zu ermöglichen – es wäre doch so viel einfacher, wenn das Kind für diese kurze Zeit am Rücken

liegen bliebe.

Natürlich ist es aus der Warte des Erwachsenen „einfacher“ ein Kind abzuwischen, das ruhig auf dem

Rücken liegt, als eines, das sich auf den Bauch dreht oder aufsteht. Das aber ist ausschließlich die Perspektive

des Erwachsenen und auch nur dann, wenn dieser das Hauptaugenmerk auf eine möglichst

zügig zu verrichtende Tätigkeit legt. Wenn man die Perspektive wechselt, bietet die Wickelsituation aber

so viel mehr als das. Wickeln ist „Beziehungszeit“, Zeit für Austausch, Zeit für liebevolle Berührung…

Aus der Warte des Kindes wäre es absolut unnatürlich, während dieser ganzen Zeit die eigenen Bewegungsmöglichkeiten

„auf Eis zu legen“. Es tut einfach nur, was es als ganz normal empfindet, und folgt

den eigenen Körperimpulsen.

Verlange ich vom Kind, diesen Drang zu unterdrücken, so werde ich voraussichtlich das übergeordnete

Ziel einer nährenden gemeinsamen Zeit nicht erreichen können.

Im für die Eltern einfachsten Szenario klinkt das Kind sich innerlich aus, wenn es nicht mehr als ganzer

Mensch mit all seinen Bewegungsmöglichkeiten wahrgenommen wird – es lässt also die ganze Wickelsituation

passiv über sich ergehen. Im wesentlich unangenehmeren Fall beginnt das Kind zu kämpfen

und wehrt sich gegen die eigentlich unnatürliche Position. Dann kann jede einzelne Wickelsituation zu

einer sehr unschönen Erfahrung für beide Seiten werden! Als Elterncoach und SpielRaumbegleiterin

bevorzuge ich allerdings fast dieses Szenario, da dies meist auch bei den Eltern dazu führt, das eigene

Handeln zu hinterfragen, und die Bereitschaft verstärkt, etwas Neues auszuprobieren.

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Viele Eltern haben zu Anfang die Sorge,

dass sie es nicht schaffen würden, das Kind

auf dem Bauch oder im Stehen ganz sauber

zu bekommen, oder die Windel anzulegen.

Aus meiner Erfahrung ist das aber oft ein viel

kleineres Problem als angenommen. Wie

bei jeder anderen neuen Fähigkeit, braucht

es unter Umständen eine gewisse Zeit, bis

man sie gut entwickelt hat, es ist aber tatsächlich

keine Hexerei. Im Spaß pflege ich

dann zu sagen: Ich habe inzwischen Kindern

in so vielen Positionen eine Windel angelegt,

dass ich es vermutlich auch könnte,

wenn sie auf dem Kopf stünden.

Und wenn es einmal ganz schwierig wird,

weil das Kind groß gemacht hat und die Konsistenz

besonders schwer abzuwischen ist,

steht es mir ja frei, das dem Kind zu erklären

und es zu bitten, kurz auf dem Rücken liegen

zu bleiben, bis ich das Gröbste reinigen

konnte – die meisten Kinder, die echte Kooperation

kennen gelernt haben, sind dann

auch durchaus einmal dazu bereit.

Unter „echter“ Kooperation verstehe ich,

dass beide Seiten bereit sind, ihren Teil zum

Gelingen beizutragen. In der Eltern/Kind

Beziehung ist es leider allzu oft so, dass

Kooperation in erster Linie so verstanden

wird, dass das Kind machen soll, was der

Erwachsene verlangt!

Exkurs: Der Pikler Wickelplatz

Ein angemessener Wickelplatz ist einer, der dem Kind freie Bewegung ermöglicht, aber

gleichzeitig ausreichend Schutz bietet, damit das Kind nicht herunterfallen kann. Meist

braucht es dazu eine große Fläche und eine Begrenzung auf drei Seiten. Diese muss bei

älteren Kindern natürlich höher sein, als bei Säuglingen im ersten Halbjahr - die meisten

Eltern nehmen aber der Einfachheit halber den gleichen Platz für die ganze Zeit! Dieser eignet

sich dann auch noch für das stehende Kind und muss erst wieder neu adaptiert werden,

wenn das Kind die Eltern zu sehr überragt und sozusagen von oben auf sie herunterschaut

– das führt bei manchen Kindern dazu, dass sie sich zu mächtig fühlen und sich nicht mehr

der Führung durch den Erwachsenen anvertrauen!

Manche Mütter bevorzugen auch einen geeigneten Platz am Boden einzurichten (auch

dieser braucht die entsprechende räumliche Begrenzung), das ist aber nur dann zu empfehlen,

wenn die Mutter so beweglich ist, dass sie die Position selbst als bequem empfindet

– und dann bleibt immer noch die Frage, wie es dem Vater mit der Position geht, denn auch

er soll ja die Möglichkeit haben, diese Zeit mit seinem Kind zu genießen.

Sind Eltern also bereit, ihr Kind beim

Wickeln nicht unnötig in der Bewegung einzuschränken,

so verändert sich der Ablauf

stetig mit dem Alter und Entwicklungsstand

des Kindes.

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Zuerst liegt das Kind für einige Monate auf dem Rücken - in dieser Lage

empfehle ich den Eltern oft, das Kind etwas schräg auf dem Wickelplatz

abzulegen, damit sie auch sein Gesicht gut sehen können. Wird das Kind

älter, so beginnt es sich auf den Bauch zu drehen - für viele Eltern erstmal

eine enttäuschende Situation, weil der Dialog nun einigermaßen erschwert

wird, da das Kind sie in dieser Lage nicht mehr anschauen kann. Dann

hebt das Kind den Popo und versucht sich im Vierfüßlerstand und bewegt

sich auch in verschiedene Richtungen des Wickelplatzes – die Kunst besteht

nun darin, meine eigenen Bewegungen fließend an die des Kindes

anzupassen - und natürlich es um Mithilfe zu bitten, wenn es sich in einer

Position befindet, in der ich nicht tun kann, was ich als nächstes tun möchte.

(Zum Beispiel, wenn das Kind auf den eigenen Knien sitzt und ich die

Windel abnehmen möchte. Siehe Foto S.12)

Viel einfacher wird es dann wieder, wenn das Kind aufstehen kann und sich

am Gitter des Wickelplatzes anhält. Es gibt hierbei einen kleinen „Trick“,

den ich Eltern gerne für diese Phase mitgebe, nämlich den Body auf der

Seite mit dem Druckknopf zu befestigen, damit dieser nicht über den Popo

hängt!

Was natürlich zusätzlich zu berücksichtigen ist: Nicht nur die Möglichkeiten

des Kindes erweitern sich, sondern auch sein Interesse an anderen Dingen

abseits des Wickelgeschehens wächst - da kann es auch zu einer Herausforderung

werden, die Aufmerksamkeit des Kindes immer wieder auf das

zu lenken, was wir gerade miteinander tun, wo doch der Waschlappen, das

Waschbecken neben dem Wickelplatz oder auch das Geschwisterkind viel

interessanter ist. Das fordert natürlich unsere Geduld manchmal ziemlich

heraus. Hier gilt es, eine gute Balance zu finden. Einerseits folge ich den

kindlichen Interessen in Beschreibungen, aber ich führe anderseits auch

immer wieder seinen Fokus auf unsere gemeinsame Tätigkeit zurück. In

diesem Wechselspiel können sowohl mein Kind als auch ich die gemeinsam

verbrachte Zeit genießen.

Zum Abschluss möchte ich gerne eine junge SpielRaum - Mutter zu Wort

kommen lassen, die in ihrem Text wunderbar beschreibt, wie der Pikler

Wickelplatz ihr Leben erleichtert hat.

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Erfahrungsbericht

Der Pikler-Wickelplatz zieht bei uns ein. Oder: Wie ein Stück Holz unser Leben verändert

hat.

Na gut, das mag wie eine Übertreibung klingen. Aber irgendwie muss man es genau so

stehen lassen. Denn seit wir den Pikler-Wickelplatz bei uns zu Hause haben, ist unser Alltag

um so vieles entspannter. Aber von vorne.

Unser Mini ist ein ziemlich lustiges und quirliges Bürschlein. Mit sechs Monaten hat er begonnen,

sich überall aufzuziehen und blitzschnell durch die Wohnung zu krabbeln. In Ruhe

anziehen? Fehlanzeige. Am Rücken liegend ganz entspannt die Windeln wechseln? Nicht

bei uns.

Eine Zeit lang haben wir wirklich vieles versucht. Wir haben ihm Spielsachen in die Hand gedrückt,

ihm vorgesungen, vorgelesen, vorgetanzt. Der Papa hat unglaublich kreative Shows

veranstaltet, während die Mama sich schweißgebadet abgemüht hat – alles, um den Mini

während des Wickelns und Anziehens bei Laune zu halten. Und am Ende war es jedes Mal

ein Kampf.

In diesen wenigen Sätzen stecken so viele Fehler: Abmühen? Ablenken? Kämpfe? So sollte

dieser schöne und bindende Akt nicht aussehen. In der Theorie wussten wir ja auch, dass

wir Kontakt zu unserem Sohn halten sollen, dass wir mit ihm reden und ihm alles, was wir

machen, erklären sollen. Aber die Theorie hat uns nie gesagt, dass wir einen aktiven Wirbelwind

bekommen, der einfach kein Interesse daran hat, auf dem Rücken zu liegen und

gewickelt zu werden.

Bei aller Liebe und Mühe und bei aller Geduld – mir ist das alles ziemlich auf die Nerven gegangen.

Dem Papa natürlich auch. Nach mehreren Wochen war das leider so festgefahren,

dass ich oft schon grantig war, bevor der Tag überhaupt richtig begonnen hat. Und wie wir

alle wissen, sind es ja doch einige Windeln, die an einem Tag an– und ausgezogen werden.

Dazu noch der kalte Winter, der mehrere Kleidungsschichten einfordert....

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Und dann kam der Supergau: Unser süßer Wirbelwind ist vom Wickeltisch gedonnert.

Schwupps aus dem Vierfüßlerstand. Ich hatte meine Hände an seinem Popo und habe versucht,

die Windel zu schließen. Ein Satz nach vorne – und er war weg. Eine Nacht Krankenhaus

später wusste ich: Wir müssen dringend etwas ändern. Von da an wurde natürlich nur

noch am Boden gewickelt. Aber das machte die ganze Sache fast noch schwieriger: Denn

jetzt konnte der kleine Löwe sich nicht nur umdrehen, sondern auch losflitzen und davonkrabbeln.

Wirklich lustig und wirklich süß. Aber nicht, wenn man außer Haus möchte oder

der Popo voll ist.

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Dann sind wir dazu übergegangen, ihn im Stehen zu wickeln, einfach an der Couch.

Das hat schon einmal vieles erleichtert. Ich hatte das Gefühl, ihn im Stehen zu wickeln,

ist irgendwie viel respektvoller und schöner, als ihn vor mich hinzulegen – besonders,

wenn er das wirklich nicht möchte. Aber auch hier blieb das „Problem“, dass

sich der kleine Flitzer jederzeit davonstibitzen konnte. Und wir hatten nach wie vor

kaum Kontakt zu ihm, denn er war schwer mit seinen Büchern oder Bausteinen beschäftigt,

während wir so schnell wie möglich versucht haben, ihn frisch zu machen

und anzuziehen.

Im SpielRaum in Pottenbrunn hab ich Antonia mein Dilemma erzählt und sie meinte,

dass doch ein Wickelplatz für uns eine gute Lösung wäre. Großartigerweise werden

die dort auch für wenig Geld verliehen und ich hab sofort zu meinem Mann gesagt:

„Das probieren wir!“ Wenige Tage später war der Wickelplatz bereit und wir konnten

ihn mitnehmen. Wir haben ihn im Badezimmer auf einer Kommode angebracht und

ich kann nur sagen: ES IST GROSSARTIG! Der Mini kann aufstehen und hat genug

Raum, sich zu bewegen, wenn er das möchte. Davonkrabbeln kann er aber nicht

mehr. Und wenn er aufstehen möchte, kann er das total einfach und gerne machen

und sich an den seitlich und rückseitig angebrachten Gittern festhalten.

Inzwischen ist unser Wickeln und Anziehen ehrlich zu einem schönen Erlebnis geworden.

Wir haben zusätzlich auf Höschenwindeln umgestellt und der kleine Spatz

hilft richtig mit, wenn wir ihn bitten, das Bein zu heben oder den Arm. Super funktioniert

auch, wenn er sich einfach an mir festhält, während ich ihm die Kleidung anoder

ausziehe. Da haben wir ganz viel Körperkontakt und genießen das beide sehr.

Ganz oft legt er dann seinen Kopf an meine Schulter und kuschelt sich an mich. Der

kleine Löwe findet es sehr lustig, Socken oder Strumpfhosen über den Wickelplatz

hinunter zu werfen und wir haben richtig Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Dieses „Stück Holz“ (und das sage ich voller Liebe) hat also tatsächlich viel Stress

aus unserem Alltag genommen und dazu geführt, dass Wickeln und Anziehen bei

uns Zuhause etwas ist, das wir wieder gerne machen. Und ich traue mich zu sagen,

dass auch unser Mini seinen neuen Wickelplatz ziemlich cool findet und es genießt,

dass Mama und Papa bei der täglichen Routine wieder gut gelaunt und geduldig

sind.

Silvia Schreiber

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Impressum

Text_

Mag.a Antonia Stängl

Grafikdesign_

Mag.a Mirjam Stängl

Fotos_

Sonja Wessel

Medieninhaberin_

Antonia Stängl

A-3140 Pottenbrunn

antonia@antoniastaengl.at

Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden.

Erste Auflage, 2019


www.antoniastaengl.at

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