Der Kisslegger 25.09.2019
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<strong>Der</strong> Kißlegger<br />
Aus Kißlegg<br />
Schicksal und faszinierende Bildkunst: Die schwierige Lebenslage<br />
der Malerinnen des Expressiven Realismus<br />
Christine Vidic brachte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Führung mit Begeisterung und Charme viel Fachwissen nahe<br />
Foto: Mock<br />
KISSLEGG (dk) - Das Schicksal und die<br />
faszinierende Bildkunst der Malerinnen<br />
des Expressiven Realismus<br />
brachte Christine Vidic mit viel Begeisterung,<br />
Fachwissen und Charme<br />
20 Kolpingmitgliedern und Gästen<br />
bei einer Führung im Neuen Schloss<br />
Kißlegg nahe.<br />
Die männlichen Künstler dieser um 1900<br />
geborenen „Verschollenen Generation“<br />
hatten zwar zur Weimarer Zeit eine gewisse<br />
Bedeutung. Ihre Werke wurden<br />
aber von den Nazis für „entartet“ erklärt,<br />
durften nicht mehr ausgestellt werden<br />
und wurden beschlagnahmt. Nach dem<br />
Krieg stand dann die Abstrakte Kunst<br />
hoch im Kurs.<br />
Noch weniger begünstigt waren die<br />
weiblichen Kunstschaffenden. Erst seit<br />
der Gleichberechtigung 1919 durften sie<br />
Abitur machen und an einer Kunsthochschule<br />
studieren. Nachdem sie sich ein<br />
wenig Freiheit erkämpft hatten und in<br />
jungen Jahren ihrer künstlerischen Begabung<br />
nachgegangen waren, wurden<br />
sie von den Nazis an den häuslichen Herd<br />
verwiesen und während der unheilvollen<br />
Kriegswirren von allerlei Arbeitseinsätzen<br />
in Anspruch genommen. Auch fielen<br />
ihre Werke oft den Bomben zum Opfer.<br />
Von Käthe Löwenthal, die vom Judentum<br />
zum Christentum konvertiert war und<br />
dennoch von den Nazis im KZ umgebracht<br />
wurde, sind alle Ölgemälde verbrannt.<br />
Nur eine Mappe mit eindrucksvollen<br />
Pastellbildern hat ein Junge vor<br />
den Flammen gerettet.<br />
Malverbot vom Ehemann<br />
Bis 1945 durften Frauen keine Akte malen.<br />
Und bis 1980 wurden Bilder von<br />
Frauen kaum geschätzt und ausgestellt.<br />
Viele Künstlerinnen heirateten einen<br />
Künstler und standen in seinem Schatten.<br />
Manche bekamen von ihren Ehemännern<br />
Malverbot. Ottilie Kasper, die<br />
103 Jahre alt wurde, wechselte von der<br />
Bildhauerei zur Porträtmalerei, um nicht<br />
mit ihrem Mann zu konkurrieren. Ihre<br />
gemalten Gestalten ähneln Skulpturen.<br />
Mehrere Künstlerinnen hielten die lange<br />
Durststrecke durch, um sich später,<br />
manchmal nach Scheidung oder Tod des<br />
Ehemanns, in der Kunst weiterzuentwickeln.<br />
Dazu entdeckten einige auch das<br />
Reisen in fremde Länder.<br />
Christine Vidic wies auch darauf hin, wie<br />
viele verschiedene Malstile und Techniken<br />
die Künstlerinnen verwendeten und<br />
wie umfangreich ihre Themen sind:<br />
Landschaften, Stillleben, Portraits und<br />
Akte. Auch das Spiel mit den Farben und<br />
mit Hell- und Dunkelkontrasten beherrschten<br />
die Malerinnen meisterhaft.<br />
Weiterhin erklärte die Museumsführerin<br />
das Wesen der Expressiven Malerei. Ab<br />
1900 wünschten sich die Künstler(innen)<br />
Freiheit und ignorierten die damals üblichen<br />
starren Malvorgaben. Sie malten<br />
nicht mehr naturgetreu, sondern brachten<br />
ihre Empfindungen ins Bild ein. Im<br />
Gegensatz zur Abstrakten Malerei kann<br />
der Betrachter noch Personen, Gegenstände<br />
und Landschaftsformen erkennen.<br />
Die Stimmung des Malers, aber auch<br />
die Gefühlslage der dargestellten Personen,<br />
soll im Bild zum Ausdruck kommen.<br />
Besonders ausdrucksstark ist das Porträt<br />
„sitzender alter Bauer“ von Lotte Lesehr-<br />
Schneider, die (typisch für Frauen) gerne<br />
Menschen malte, wie auch Else Lohmann<br />
und Grete Csaki-Copony. Von Paula<br />
Wimmer besticht ein weiblicher Halbakt.<br />
Rose Sommer-Leibholz, von Kindheit an<br />
in der Gärtnerei ihres Vaters beheimatet,<br />
malte u.a. herrliche Blumenbilder.<br />
Dass diese Malerinnen und die Maler des<br />
Expressiven Realismus wieder zur Geltung<br />
kamen, ist das Verdienst des Kunsthistorikers<br />
Rainer Zimmermann und des<br />
Kunstsammlers Josef Hierling. Sie spürten<br />
die Werke dieser vernachlässigten<br />
Künstlergeneration teils auf Dachböden<br />
auf, sammelten sie und stellten sie aus.<br />
Ch. Vidic meinte, solche Ausstellungen<br />
wie die nun im Neuen Schloss zu Ende<br />
gegangene sollten auch Schulklassen<br />
besuchen, weil dort Themen wie Antisemitismus,<br />
Gleichberechtigung, Ausgrenzung<br />
oder die fatalen Auswirkungen von<br />
Kriegen zur Sprache kämen, zusätzlich<br />
zur Vertiefung von Geschichts- und<br />
Kunstgeschichtswissen.