Remake Programm 2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Geschichtsanschauung. HerStory im Kino<br />
Mit dem diesjährigen <strong>Remake</strong> rückt die Kinothek dasjenige Moment ins Zentrum,<br />
das ihre Arbeit seit 20 Jahren bewegt: Geschichte. Geschichte des Films, Geschichte<br />
im Film und die besondere Möglichkeit des Kinos, Vergangenheit(en) zu<br />
vergegenwärtigen. Die Filmauswahl soll deutlich werden lassen, wie unterschiedlich<br />
Filme mit der Geschichte umgehen. Spielfilme aus den 1920er Jahren – etwa<br />
der schwedische Thora van Deken – bringen das Aufklärungspotential in der<br />
Wahrnehmung von Vergangenheit auf ihre Weise ebenso zur Darstellung<br />
wie die Subversion des Western durch die Regisseurin Maggie Greenwald in<br />
The Ballad of Little Jo von Anfang der 1990er. Filme hinterfragen auch unser<br />
Geschichtsbewusstsein. Wir denken, wir wissen, was Geschichte ist, aber Daughters<br />
of the Dust von Julie Dash lässt erfahren, dass es andere Geschichtsauffassungen<br />
gibt, ein anderes Verhältnis zum Leben der Vorfahren.<br />
Die Möglichkeiten des Films zur Vergegenwärtigung von Geschichte zeigen<br />
sich in unserem <strong>Programm</strong> insbesondere in den Versuchen, Geschichte wiederzugewinnen<br />
– für diejenigen und von ihnen, denen Geschichte abgesprochen wird.<br />
Gezeigt werden Dokumentarfilme, zum Teil arbeiten sie mit Amateurmaterial: Das<br />
falsche Wort (Katrin Seybold und Melanie Spitta), Absent Present (Angelika Levi),<br />
ums freiwerden hätte es ja gehen sollen (Elfriede Irrall). Doch nehmen sich Spielfilme<br />
auf andere Weise auch der als geschichtslos geltenden an, wie gerade auch neuere<br />
Arbeiten zeigen. In Pokot (Die Spur) spielt Agnieszka Holland mit einer Umkehr der<br />
Perspektive, mit der Imagination der Tiere als Subjekte der Kriminalstory; gleichzeitig<br />
schlägt sie den Bogen von der ’68er Geschichte zu heutigen politischen Forderungen<br />
nach Anerkennung des Tierrechts und einem anderen Umgang mit unserer Umwelt.<br />
Debra Granik reflektiert in Leave No Trace die amerikanische Gegenwart von<br />
Randexistenzen her und verweist auf geschichtliche Traumata, die unaufgelöst die<br />
Gesellschaft zerstören.<br />
Die Geschichte des queer cinema und die Geschichte von lesbischen Frauen im<br />
Kino bilden einen Schwerpunkt im <strong>Programm</strong> – darunter so wunderbare, aber selten<br />
zu sehende Spielfilme wie Olivia von Jacqueline Audry und Ich, die Unwürdigste<br />
von allen der Argentinierin María Luisa Bemberg, aber auch ein Punk-Klassiker:<br />
Rote Ohren fetzen durch Asche von Ursula Pürrer, Ashley Hans Scheirl und Dietmar<br />
Schipek.<br />
Im <strong>Programm</strong> fehlen ebenso wenig prominente Filme wie Flügel von Larisa Shepitko,<br />
der den zweiten Weltkrieg im Rückblick einer ehemaligen Kampffliegerin zeigt, oder<br />
The Hour of Liberation Has Arrived von Heiny Srour, ein unerhörtes Dokument aus<br />
den 1970er Jahren von der Befreiungsbewegung im Oman und der Stellung der<br />
Frauen in diesem Kampf.<br />
9