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Dr. Georg Doerr -- Rezension von: H.-G. Grüning (Hg.): Geschichte der Germanistik in Italien. (Akten des Internatio-nalen Symposions, Macerata, 21.-23. Oktober 1993). Nuove Ricerche: Ancona 1996.

Erschienen in: Arcadia -- Zeitschrift für Allgemeine und Ver-gleichende Literaturwissenschaft. Bd. 31.1996, Heft 1/2. S. 314-317. Angeregt durch die Marbacher Forschungsprojekte zur Ge-schichte der Germanistik, hat man den Entschluss gefasst, eine erste Aufarbeitung der Geschichte der italienischen Germanistik in Angriff zu nehmen. Herausgekommen ist dabei ein sehr anre-gendes, vielschichtiges, in manchem freilich auch widersprüch-liches Buch, das gerade im Kontrast zur deutschen Entwicklung interessant wird. Denn das Verhältnis von Inlands- und Aus-landsgermanistik ist für die Entwicklung einer künftigen 'euro-päischen Philologie' von grundlegender Bedeutung. ... ... Einen viel größeren Einfluß als in Deutschland hat in Italien die einzelne Lehrerpersönlichkeit. Die Bildung einer Schule, die ein charismatischer Gelehrter bewirkt, kann sowohl Generationen von Lehrstuhlinhabern hervorbringen wie auch die folgsame Applikation der einmal als richtig erkannten Lehre. In seinem Vorwort weist H.-G. Grüning darauf hin, daß die italienische Germanistik im zwanzigsten Jahrhundert im Schatten zweier großer Persönlichkeiten gestanden habe, nämlich dem des neapoletanischen Philosophen B. Croce und dem von G. Lukács -- letzterer sei durch den Turiner Germanisten C. Cases in Italien eingeführt worden. ...

Erschienen in: Arcadia -- Zeitschrift für Allgemeine und Ver-gleichende Literaturwissenschaft. Bd. 31.1996, Heft 1/2. S. 314-317.

Angeregt durch die Marbacher Forschungsprojekte zur Ge-schichte der Germanistik, hat man den Entschluss gefasst, eine erste Aufarbeitung der Geschichte der italienischen Germanistik in Angriff zu nehmen. Herausgekommen ist dabei ein sehr anre-gendes, vielschichtiges, in manchem freilich auch widersprüch-liches Buch, das gerade im Kontrast zur deutschen Entwicklung interessant wird. Denn das Verhältnis von Inlands- und Aus-landsgermanistik ist für die Entwicklung einer künftigen 'euro-päischen Philologie' von grundlegender Bedeutung. ...
... Einen viel größeren Einfluß als in Deutschland hat in Italien die einzelne Lehrerpersönlichkeit. Die Bildung einer Schule, die ein charismatischer Gelehrter bewirkt, kann sowohl Generationen von Lehrstuhlinhabern hervorbringen wie auch die folgsame Applikation der einmal als richtig erkannten Lehre. In seinem Vorwort weist H.-G. Grüning darauf hin, daß die italienische Germanistik im zwanzigsten Jahrhundert im Schatten zweier großer Persönlichkeiten gestanden habe, nämlich dem des neapoletanischen Philosophen B. Croce und dem von G. Lukács -- letzterer sei durch den Turiner Germanisten C. Cases in Italien eingeführt worden. ...

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<strong>Georg</strong> <strong>Doerr</strong>, <strong>Rezension</strong> <strong>von</strong>: Hans-<strong>Georg</strong> Grün<strong>in</strong>g (Hrsg.): <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> (<strong>Akten</strong> <strong>des</strong> <strong>Internatio</strong><strong>nalen</strong> <strong>Symposions</strong>, <strong>Macerata</strong>, <strong>21.</strong>-<br />

<strong>23.</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>1993</strong>). <strong>Ancona</strong>: <strong>Nuove</strong> <strong>Ricerche</strong> <strong>1996.</strong> In: Arcadia - Zeitschrift<br />

für Allgeme<strong>in</strong>e und Vergleichende Literaturwissenschaft. Bd. 31.1996, Heft<br />

1/2. S. 314-137.<br />

Wissenschaftsgeschichte ist seit geraumer Zeit - nicht zuletzt im Zuge e<strong>in</strong>er<br />

Aufarbeitung <strong>des</strong> Nationalsozialismus - en vogue. Das trifft auch für <strong>Italien</strong> zu,<br />

wo z.B. <strong>der</strong> Gräzist Luciano Canfora sich sehr gründlich mit <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

klassischen Philologie <strong>in</strong> Deutschland seit 1870 ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt hat1. Lei<strong>der</strong><br />

s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Arbeiten ebensowenig <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt wie die <strong>des</strong> früh<br />

verstorbenen Germanisten Furio Jesi, <strong>der</strong> sich ideologiegeschichtlich mit <strong>der</strong><br />

Rezeption <strong>des</strong> Mythos <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Literatur <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne beschäftigt hat.2<br />

Hier sche<strong>in</strong>t noch e<strong>in</strong> altes - und überholtes - Verdikt zu gelten: Italica non<br />

leguntur.<br />

Um so erfreulicher ist es <strong>des</strong>wegen, daß <strong>der</strong> <strong>von</strong> dem italienischen Germanisten<br />

H.-G. Grün<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> herausgegebene Sammelband zur<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

italienischen <strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> deutscher Sprache erschienen ist, wobei sich <strong>der</strong><br />

Herausgeber die Mühe gemacht hat, zahlreiche Beiträge selbst aus dem<br />

<strong>Italien</strong>ischen <strong>in</strong>s Deutsche zu übersetzen.<br />

Angeregt durch die Marbacher Forschungsprojekte zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Germanistik</strong>, hat man den Entschluß gefaßt, e<strong>in</strong>e erste Aufarbeitung <strong>der</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> italienischen <strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> Angriff zu nehmen.<br />

Herausgekommen ist dabei e<strong>in</strong> sehr anregen<strong>des</strong>, vielschichtiges, <strong>in</strong> manchem<br />

freilich auch wi<strong>der</strong>sprüchliches Buch, das gerade im Kontrast zur deutschen<br />

Entwicklung <strong>in</strong>teressant wird. Denn das Verhältnis <strong>von</strong> Inlands- und<br />

Auslandsgermanistik ist für die Entwicklung e<strong>in</strong>er künftigen 'europäischen<br />

Philologie' <strong>von</strong> grundlegen<strong>der</strong> Bedeutung.<br />

1 siehe z.B.: Luciano Canfora: Ideologie del Classicismo.Tor<strong>in</strong>o: E<strong>in</strong>audi 1980.<br />

2 <strong>von</strong> Jesi wurde 1984 zum<strong>in</strong><strong>des</strong>t e<strong>in</strong>e Aufsatzsammlung übersetzt; siehe: Furio Jesi: Kultur <strong>von</strong> rechts: Basel;<br />

Ffm.: Stroemfeld Roter Stern 1984.<br />

1


Wi<strong>der</strong>sprüchliches f<strong>in</strong>det man bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung, weil schon <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>Germanistik</strong>, also 'germanistica', <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> offensichtlich nicht e<strong>in</strong>deutig<br />

def<strong>in</strong>iert ist. So unterlief dem Herausgeber, wie er im Vorwort sogleich<br />

reumütig e<strong>in</strong>gesteht (S.7), <strong>der</strong> folgenschwere Fehler, zu <strong>der</strong> dem Sammelband<br />

vorausgehenden, im <strong>Oktober</strong> <strong>1993</strong> <strong>in</strong> <strong>Macerata</strong> stattf<strong>in</strong>denden, Tagung nur<br />

Dozenten <strong>der</strong> 'L<strong>in</strong>gua e letteratura te<strong>des</strong>ca' e<strong>in</strong>zuladen, nicht dagegen die <strong>der</strong><br />

'filologia germanica'. Die italienische 'filologia germanica' entspricht nun <strong>in</strong><br />

etwa <strong>der</strong> deutschen Mediävistik, ist aber stärker sprachgeschichtlich und eben<br />

auch 'germanisch' orientiert, d.h. die englische Sprachgeschichte ist - auch für<br />

die Studenten - mit e<strong>in</strong>bezogen. Daß aber die Dozenten dieser Sparte<br />

Erhebliches zur <strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> beigetragen haben und weiterh<strong>in</strong><br />

beitragen, läßt sich wohl nicht abstreiten (zu weiteren Differenzierungen <strong>des</strong><br />

Begriffs 'germanistica' <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> siehe dort). Vielleicht erklärt diese<br />

Nichte<strong>in</strong>ladung <strong>der</strong> 'Mediävisten' auch den Umstand, weshalb so wenig zur<br />

Vorgeschichte o<strong>der</strong> vielleicht schon <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong> im <strong>Italien</strong> <strong>des</strong><br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t zu lesen ist, e<strong>in</strong> übrigens auffallen<strong>des</strong> Defizit. (Der e<strong>in</strong>zige<br />

Beitrag zum 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>von</strong> Paola Maria Filippi, widmet sich dem<br />

deutschen Sprachunterricht <strong>in</strong> den italienischen Gebieten <strong>des</strong> Habsburger<br />

Reiches).<br />

Das Symposion hatte sich e<strong>in</strong>e "weitgefächerte Thematik" vorgegeben:<br />

"Beziehungen zwischen <strong>Germanistik</strong> und an<strong>der</strong>en Diszipl<strong>in</strong>en, fachliche und<br />

<strong>in</strong>stitutionelle Typologie <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong>, <strong>Geschichte</strong> germanistischer<br />

Institutionen, germanistische Zeitschriften; Geographie <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong>;<br />

Epochendarstellungen,<br />

e<strong>in</strong>zelne Persönlichkeiten <strong>von</strong> Germanisten, die historisch bed<strong>in</strong>gte ideologische<br />

E<strong>in</strong>gebundenheit <strong>der</strong> Forschung ... " (S.457). Wenn auch nicht alle diese<br />

Themen behandelt wurden und dadurch e<strong>in</strong> etwas heterogenes Bild entstand - es<br />

handelte sich schließlich um e<strong>in</strong>en ersten Versuch, dem hoffentlich bald weitere<br />

folgen werden - so bietet <strong>der</strong> Sammelband doch e<strong>in</strong>e erstaunliche<br />

2


Informationsfülle, aus <strong>der</strong> im Folgenden e<strong>in</strong>ige wichtige Aspekte, kontrastiv zur<br />

deutschen Entwicklung, hervorgehoben werden sollen.<br />

E<strong>in</strong>en viel größeren E<strong>in</strong>fluß als <strong>in</strong> Deutschland hat <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> die e<strong>in</strong>zelne<br />

Lehrerpersönlichkeit. Die Bildung e<strong>in</strong>er Schule, die e<strong>in</strong> charismatischer<br />

Gelehrter bewirkt, kann sowohl Generationen <strong>von</strong> Lehrstuhl<strong>in</strong>habern<br />

hervorbr<strong>in</strong>gen wie auch die folgsame Applikation <strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal als richtig<br />

erkannten Lehre. In se<strong>in</strong>em Vorwort weist H.-G. Grün<strong>in</strong>g darauf h<strong>in</strong>, daß die<br />

italienische <strong>Germanistik</strong> im zwanzigsten Jahrhun<strong>der</strong>t im Schatten zweier großer<br />

Persönlichkeiten gestanden habe, nämlich dem <strong>des</strong> Philosophen B. Croces und<br />

dem G. Lukács´, <strong>der</strong> durch den Tur<strong>in</strong>er Germanisten C. Cases <strong>in</strong> <strong>Italien</strong><br />

e<strong>in</strong>geführt worden sei. - Erst seit Croce und Far<strong>in</strong>elli könne man <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er<br />

italienischen <strong>Germanistik</strong> sprechen, so wird <strong>der</strong> Germanist Leonello V<strong>in</strong>centi <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Essay <strong>von</strong> 1950 mit dem Titel "Gli studi di Letteratura te<strong>des</strong>ca" zitiert.<br />

(S. 7). - Ob <strong>der</strong> Gegensatz zwischen Croce und Lukács allerd<strong>in</strong>gs so pr<strong>in</strong>zipiell,<br />

wie allgeme<strong>in</strong> angenommen, gewesen ist, kann man mit guten Gründen<br />

bezweifeln. Sicher stehen Croces Kategorien <strong>des</strong> 'Poetischen' und <strong>des</strong> 'Nicht-<br />

Poetischen' im Gegensatz zu e<strong>in</strong>er marxistischen Interpretation <strong>von</strong> Literatur.<br />

Aber <strong>der</strong> <strong>von</strong> Croce, im Gefolge Hegels, durchgesetzte 'storicismo' - wobei man<br />

diesen Begriff nur sehr bed<strong>in</strong>gt mit Historismus übersetzen kann - hat sicher<br />

e<strong>in</strong>e marxistische Sichtweise <strong>der</strong> Kultur mit vorbereitet. Das übersieht A. Destro<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag, wenn er Croces E<strong>in</strong>fluß auf die <strong>Germanistik</strong> nur unter dem<br />

Aspekt <strong>von</strong> <strong>des</strong>sen Ästhetik behandelt. Richtig ist dagegen se<strong>in</strong>e Beschreibung<br />

<strong>von</strong> Croces Bedeutung im allgeme<strong>in</strong>en: "... war er doch jahrzehntelang e<strong>in</strong>e Art<br />

kultureller Diktator im italienischen Geistesleben gewesen." (S.287). - E<strong>in</strong>e<br />

ähnliche Funktion hat nachher G. Lukács ausgeübt, <strong>des</strong>sen Nachbeter man<br />

heute noch an italienischen Universitäten f<strong>in</strong>den kann. Über die negativen<br />

Auswirkungen solcher überdimensio<strong>nalen</strong> Figuren kam es <strong>in</strong> den siebziger<br />

Jahren zu e<strong>in</strong>er offenen Polemik, nachdem Johannes Hösle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beitrag für<br />

die Colloquia Germanica geschrieben hatte: "Das politische und historische<br />

3


Engagement <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> ist heute <strong>der</strong> unerläßliche Passiersche<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e<br />

germanistische Universitätslaufbahn. Das galt fast e<strong>in</strong> halbes Jahrhun<strong>der</strong>t lang<br />

für die crocianische Literaturbetrachtung: Der marxistische Monismus för<strong>der</strong>t<br />

Abklatsch und Akribie <strong>in</strong> gleicher Weise." (S. 10).<br />

Diese Vorwürfe, denen <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen verstorbene Ferruccio Mas<strong>in</strong>i<br />

entgegengetreten ist, än<strong>der</strong>n nichts an <strong>der</strong> Tatsache, daß die italienische<br />

<strong>Germanistik</strong> nach dem 2. Weltkrieg eigene Wege gegangen ist. War sie vorher,<br />

und vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong> Faschismus, nur e<strong>in</strong> verlängerter Arm <strong>der</strong><br />

deutschen, so kann man nach dem Krieg z.B. e<strong>in</strong>e durchaus eigenständige<br />

He<strong>in</strong>e-Forschung (Destro) konstatieren, ebenso wie e<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong>e Forschung<br />

zum 18. Jahrhun<strong>der</strong>t, die schon das Problem <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne reflektiert<br />

(Roberto Venuti). Nicht zu vergessen ist auch, daß während <strong>des</strong> Faschismus<br />

e<strong>in</strong>ige Germanisten und Germanist<strong>in</strong>nen das Lehramt verließen und sich e<strong>in</strong>er<br />

verstärkten Übersetzertätigkeit zuwandten (siehe zu diesem Problemkomplex<br />

den wichtigen Beitrag <strong>von</strong> Margherita Cottone, e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong> <strong>des</strong> e<strong>in</strong>gangs<br />

erwähnten Furio Jesi: "Nationalsozialistische Kultur <strong>in</strong> <strong>der</strong> italienischen<br />

<strong>Germanistik</strong> zwischen den beiden Weltkriegen".)<br />

Nach dem oben über die Bedeutung <strong>von</strong> E<strong>in</strong>zelpersönlichkeiten Gesagten, ist<br />

es nicht verwun<strong>der</strong>lich, daß es sich bei drei Beiträgen um Porträts solcher<br />

Überväter handelt - die aber auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Beiträgen <strong>des</strong> Sammelban<strong>des</strong><br />

untergründig präsent s<strong>in</strong>d. Vito Punzi widmet se<strong>in</strong>en Beitrag <strong>der</strong> romantischen<br />

Märchenforschung <strong>des</strong> Schriftstellers und Germanisten Bonaventura Tecchi,<br />

Vivetta Vivarelli zeichnet Mazz<strong>in</strong>o Mont<strong>in</strong>aris "'spröde Art, Nietzsche zu lesen',<br />

das heißt e<strong>in</strong>e Lektüre Nietzsches durch e<strong>in</strong>en historisch-philologischen<br />

Kommentar" (S.179) nach, und zeigt dabei, daß Mont<strong>in</strong>aris 'storicismo' e<strong>in</strong><br />

radikales Sich-<strong>in</strong>-den-Dienststellen <strong>von</strong> Nietzsches Werk war. Am<br />

e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichsten ist die Darstellung, die Ursula Vogt <strong>von</strong> Leone Traverso, dem<br />

Übersetzer und Germanisten gibt. Dieser ganz und gar unorthodoxe Lehrer, <strong>der</strong><br />

<strong>von</strong> Haus aus klassischer Philologe war, zugleich aber profun<strong>der</strong> Kenner <strong>des</strong><br />

4


französischen Symbolismus und <strong>des</strong> italienischen Futurismus, übersetzte St.<br />

<strong>Georg</strong>e, Rilke, Trakl, Höl<strong>der</strong>l<strong>in</strong> und Goethe u.a. <strong>in</strong>s <strong>Italien</strong>ische. Se<strong>in</strong>e<br />

Übersetzungen <strong>von</strong> Paul Celan konnte er nicht mehr abschließen.<br />

Bei fast all diesen Forschern und Forscher<strong>in</strong>nen spielt die<br />

Übersetzungstätigkeit - und hier kommen wir zu e<strong>in</strong>em weiteren Kennzeichen<br />

<strong>der</strong> Auslandsgermanistik - e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle.<br />

Schon die "Vorgeschichte <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong>" im <strong>Italien</strong> <strong>des</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

suggeriert, daß man <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er 'Entstehung <strong>der</strong> Literaturgeschichte und <strong>der</strong><br />

Literaturwissenschaft aus dem Geist <strong>der</strong> Übersetzung' sprechen könnte. Denn<br />

die ersten zusammenfassenden Darstellungen <strong>der</strong> deutschen Literatur dienen fast<br />

durchwegs als Vorworte, E<strong>in</strong>leitungen und Erläuterungen <strong>von</strong> literarischen<br />

Übersetzungen. Dies zeigt sehr schön <strong>der</strong> gelehrte Beitrag <strong>von</strong> Giulia Cantarutti:<br />

"'Die <strong>Italien</strong>er haben sich auch um die Deutsche neuere Litteratur nicht<br />

unbekümmert gelassen' (Less<strong>in</strong>g 1775): Bemerkungen zur Vorgeschichte <strong>der</strong><br />

<strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>". Wichtig an diesem Beitrag ist auch <strong>der</strong> Umstand, daß<br />

die Rezeption <strong>der</strong> deutschen Literatur <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> bereits e<strong>in</strong>e "europäische<br />

Dimension" (S.39) hatte, denn sie vollzog sich im Gefolge <strong>der</strong> früher<br />

e<strong>in</strong>setzenden französischen, wobei oft aus französischen Vorlagen übersetzt<br />

o<strong>der</strong> diese als Übersetzungshilfe benutzt wurden.<br />

In dem Beitrag "In <strong>der</strong> Morgenröte <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong>" zeichnet Anna Maria<br />

Carpi e<strong>in</strong> präzises und plastisches Bild <strong>des</strong> Protogermanisten und bedeutenden<br />

Lyrikers Aurelio Bertola de´ Giorigi (1753 - 1798), e<strong>in</strong>es entlaufenen Abts und<br />

Rousseauisten, <strong>der</strong> bis jetzt nur als Deutschlandreisen<strong>der</strong> gewürdigt wurde. In<br />

se<strong>in</strong>er "Idea della bella Letteratura alemanna" <strong>von</strong> 1784 versucht er, wie<strong>der</strong>um<br />

verbunden mit Übersetzungsbeispielen, e<strong>in</strong>e <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> deutschen Literatur<br />

zu schreiben. In ihr verb<strong>in</strong>det er erstaunliche - uns heute befremdliche -<br />

literarische Wertungen mit taciteisch-rousseauistischen Reflexionen über das<br />

deutsche Wesen. Als arkadischer Dichter lehnt er Less<strong>in</strong>g und vor allem Goethe,<br />

den er als 'monströs' empf<strong>in</strong>det, ab. Auf se<strong>in</strong>em 'mo<strong>der</strong>nen deutschen Parnaß'<br />

5


f<strong>in</strong>den sich Gottsched, Hagedorn und Haller (S.114). In grotesker Umkehrung<br />

<strong>des</strong> Künftigen schreibt er an den <strong>von</strong> ihm geschätzten Geßner: "Goethe n´est<br />

po<strong>in</strong>t connu en Italie, et je prie le Ciel, qu´il ne le soit jamais." (S. 120).<br />

E<strong>in</strong> weiteres unterscheiden<strong>des</strong> Merkmal <strong>der</strong> italienischen <strong>Germanistik</strong>, auf das<br />

e<strong>in</strong>e Autor<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s h<strong>in</strong>weist, ist <strong>der</strong> hohe Frauenanteil unter den<br />

<strong>Germanistik</strong>-DozentI<strong>in</strong>nen, <strong>der</strong> sich aber offensichtlich im wesentlichen auf den<br />

<strong>in</strong> Deutschland so bezeichneten Mittelbau beschränkt. Überraschend ist<br />

allerd<strong>in</strong>gs die Begründung, die für diese starke weibliche Präsenz angeführt<br />

wird: Da e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wesentlichen Aufgaben <strong>der</strong> Auslandsgermanistik das<br />

Übersetzen sei, es sich beim Übersetzen aber um e<strong>in</strong>e genu<strong>in</strong> weibliche<br />

Tätigkeit handele (?), sei auch <strong>der</strong> Anteil <strong>von</strong> Frauen an den deutschen<br />

Sem<strong>in</strong>aren <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> relativ hoch. Ob man dieser Begründung nun zustimmen<br />

mag o<strong>der</strong> nicht, jedenfalls bietet <strong>der</strong> Band e<strong>in</strong>en Aufsatz mit dem Titel: "Der<br />

Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Tradition: - Der weibliche Beitrag zur italienischen <strong>Germanistik</strong>"<br />

<strong>von</strong> Rita Calabrese ( - und auch unter den Frauen gibt es große, übermächtige<br />

Vorbil<strong>der</strong>, wie Livia Mazzucchetti), sowie <strong>von</strong> Lia Secci e<strong>in</strong>en ersten und<br />

wichtigen Überblick über fem<strong>in</strong>istische Forschungsansätze <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

italienischen <strong>Germanistik</strong> (mit Bibliographie).<br />

Auf weitere, für den kontrastiven Vergleich weniger bedeutsame Aspekte,<br />

kann nur noch h<strong>in</strong>gewiesen werden: auf die Funktion <strong>von</strong> germanistischen<br />

Zeitschriften ("Rivista di Letteratura Te<strong>des</strong>ca", "Qua<strong>der</strong>ni Piacent<strong>in</strong>i"), auf den<br />

regio<strong>nalen</strong> Aspekt (<strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> Sizilien - allerd<strong>in</strong>gs beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressant - ;<br />

fast rührend die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> Palermo und<br />

Florenz), auf die Rezeption deutscher Literatur durch die italienische<br />

<strong>Germanistik</strong>. - Nicht verschwiegen sei, daß es an Selbstkritik - wie auch sonst<br />

<strong>in</strong> <strong>Italien</strong> - ke<strong>in</strong>eswegs mangelt. So wird <strong>von</strong> Ulrike Böhmel-Fichiera das fast<br />

vollständige Fehlen e<strong>in</strong>er eigenen Exilforschung bemängelt, obgleich viele<br />

deutsche Exilanten - darunter auch für e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum Karl Wolfskehl<br />

- sich <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> aufgehalten haben.<br />

6


Zum Schluß bleibt nur, auf die sehr nützlichen Bibliographien - zur<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Germanistik</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>, zu den behandelten Autoren -<br />

h<strong>in</strong>zuweisen.<br />

7

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