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Leseprobe: Sprechtraining für Schauspieler - Ein Übungsprogramm für Körper, Stimme und Gehör

Dieses achtsame 'Warm-up' für Körper, Atem, Gehör und Stimme ermöglicht Schauspielern eine optimale Vorbereitung für die tägliche Arbeit auf der Bühne. Die langjährige Sprechtrainerin Barbara Maria Bernhard zeigt anschaulich, wie durch die gezielte Verbindung von Kehlkopf und Gehör die Stimme an Leistungsfähigkeit gewinnt. Die Methode bietet besonders in der Extremsituation des Theateralltags Möglichkeiten zum Auftanken und Regenerieren. Mithilfe des Übungsprogramms, das aus fünfzig untereinander kombinierbaren Trainingseinheiten besteht, lernen die Anwender schnell und einfach, wie man auch große Räume stimmlich füllen und gleichzeitig die dargestellte Figur authentisch zum Leben erwecken kann. Anhand zweier aktueller Theaterproduktionen zeigt die Autorin überdies, wie die Trainingsmethode beim chorischen Sprechen angewendet werden kann.

Dieses achtsame 'Warm-up' für Körper, Atem, Gehör und Stimme ermöglicht Schauspielern eine optimale Vorbereitung für die tägliche Arbeit auf der Bühne. Die langjährige Sprechtrainerin Barbara Maria Bernhard zeigt anschaulich, wie durch die gezielte Verbindung von Kehlkopf und Gehör die Stimme an Leistungsfähigkeit gewinnt. Die Methode bietet besonders in der Extremsituation des Theateralltags Möglichkeiten zum Auftanken und Regenerieren. Mithilfe des Übungsprogramms, das aus fünfzig untereinander kombinierbaren Trainingseinheiten besteht, lernen die Anwender schnell und einfach, wie man auch große Räume stimmlich füllen und gleichzeitig die dargestellte Figur authentisch zum Leben erwecken kann. Anhand zweier aktueller Theaterproduktionen zeigt die Autorin überdies, wie die Trainingsmethode beim chorischen Sprechen angewendet werden kann.

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Barbara Maria Bernhard<br />

<strong>Sprechtraining</strong> <strong>für</strong> <strong>Schauspieler</strong>


Barbara Maria Bernhard<br />

<strong>Sprechtraining</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Schauspieler</strong><br />

<strong>Ein</strong> <strong>Übungsprogramm</strong> <strong>für</strong> <strong>Körper</strong>,<br />

<strong>Stimme</strong> <strong>und</strong> <strong>Gehör</strong><br />

HENSCHEL


www.henschel-verlag.de<br />

www.seemann-henschel.de<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in<br />

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten<br />

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

ISBN 978-3-89487-735-4<br />

© 2014 by Henschel Verlag in der Seemann Henschel GmbH & Co. KG,<br />

Leipzig<br />

Die Verwertung der Texte <strong>und</strong> Bilder, auch auszugsweise, ist ohne<br />

Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig <strong>und</strong> strafbar. Dies<br />

gilt auch <strong>für</strong> Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen<br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.<br />

Lektorat: Anja Herrling<br />

Umschlaggestaltung: Ingo Scheffer, Berlin<br />

Titelbild: © Barbara Maria Bernhard<br />

Abbildungen im Innenteil:<br />

S. 129, 132, 138, 146: © Volkstheater Wien<br />

Alle übrigen Abbildungen: Fotostudio Helmreich,<br />

© Barbara Maria Bernhard<br />

Satz <strong>und</strong> Gestaltung: Das Herstellungbüro, Hamburg<br />

Druck <strong>und</strong> Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck<br />

Printed in Germany<br />

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff


INHALT<br />

<strong>Ein</strong>führung 7<br />

Achtsames <strong>Sprechtraining</strong> – die Methode<br />

<strong>für</strong> <strong>Schauspieler</strong> im Beruf 7<br />

Das achtsame Warm-up 14<br />

Übungen <strong>für</strong> <strong>Körper</strong> <strong>und</strong> Atem 16<br />

Übungen <strong>für</strong> <strong>Stimme</strong> <strong>und</strong> <strong>Gehör</strong> 28<br />

Übungen <strong>für</strong> die <strong>Stimme</strong> im Raum 55<br />

Übungen <strong>für</strong> die <strong>Stimme</strong> im Partnerkontakt 69<br />

Übungen mit <strong>Stimme</strong> <strong>und</strong> Stille 74<br />

Übungen zur Strukturierung von Gedanken 78<br />

Übungen zum Führen durch Artikulation 83<br />

Anatomische <strong>Körper</strong>reise 89<br />

Gr<strong>und</strong>lagen zu Aufbau <strong>und</strong> Funktion des Stimmorgans 90<br />

Übungen zum Erleben der Physiologie 100<br />

Vor dem Auftritt 109<br />

Achtsames <strong>Sprechtraining</strong> als <strong>Ein</strong>sprechprogramm 109<br />

Chorisches Sprechen 114<br />

Die Herangehensweise 115<br />

Die sprecherischen Gestaltungsmittel 117<br />

Die Wahrnehmungsschulung 119<br />

<strong>Ein</strong>sprechübungen <strong>für</strong> Sprechchöre 120<br />

Chorisches Sprechen am Beispiel eines antiken<br />

Stückes: Antigone 128<br />

Chorisches Sprechen am Beispiel eines zeitgenössischen<br />

Stückes: Das letzte Feuer 138


Anhang<br />

Literatur 148<br />

Arbeitstexte 149<br />

Dank 150<br />

Zur Autorin 151<br />

Trackliste zur CD 152


EINFÜHRUNG<br />

Achtsames <strong>Sprechtraining</strong> – die Methode<br />

<strong>für</strong> <strong>Schauspieler</strong> im Beruf<br />

Für einen im Engagement stehenden <strong>Schauspieler</strong> bedeutet der Alltag<br />

harte Arbeit – <strong>und</strong> zwar körperlich <strong>und</strong> psychisch: Die Probenzeiten<br />

betragen täglich bis zu sieben St<strong>und</strong>en. Die Abende sind mit<br />

Vorstellungen aus dem Repertoire ebenfalls gefüllt.<br />

Diese Arbeitszeiten sind anstrengend <strong>und</strong> bieten wenig Raum <strong>für</strong><br />

persönlichen Rückzug <strong>und</strong> Regeneration. Gerade dies ist aber <strong>für</strong><br />

eine ges<strong>und</strong>e <strong>Stimme</strong> unerlässlich. Denn wie soll eine ständig beanspruchte<br />

<strong>und</strong> teils bis an die Grenze der Belastbarkeit benutzte<br />

<strong>Stimme</strong> persönlich, ausdrucksstark, vielseitig <strong>und</strong> kreativ bleiben?<br />

<strong>Ein</strong> Blick hinter die Kulissen<br />

In den ersten Probenwochen sind die <strong>Schauspieler</strong> dabei, ihre Figuren<br />

zu finden <strong>und</strong> gemeinsam mit dem Regisseur Situationen zu entwickeln,<br />

um diese nach <strong>und</strong> nach so zu fixieren, dass sie auf der Bühne<br />

als Szenen »funktionieren« <strong>und</strong> wiederholbar sind. Im Lauf der<br />

Proben werden diese Szenen mit der Bühnentechnik <strong>und</strong> den Lichtstimmungen<br />

koordiniert. Letztendlich ist möglicherweise kein Gang<br />

des <strong>Schauspieler</strong>s mehr spontan <strong>und</strong> kein Satz mehr improvisiert,<br />

da alles minutiös aufeinander abgestimmt ist. Alle Mitarbeiter einer<br />

Theaterproduktion, von der Souffeuse bis zum Tonmeister, sind<br />

voneinander abhängig <strong>und</strong> gemeinsam <strong>für</strong> das Gelingen einer Vorstellung<br />

verantwortlich. Gleichzeitig besteht der Anspruch, dass die<br />

<strong>Schauspieler</strong> schöpferisch tätig sind <strong>und</strong> <strong>Ein</strong>zigartiges, ja Geniales in<br />

jeder Vorstellung leisten. Die Verlässlichkeit auf der Bühne <strong>und</strong> die<br />

Bereitschaft, sich auf den Augenblick <strong>und</strong> den Bühnenpartner voll-<br />

7


ständig einzulassen, sind fordernde <strong>und</strong> nicht endende Aufgaben,<br />

denen Sie sich als <strong>Schauspieler</strong> immer wieder neu stellen müssen:<br />

»In seiner Arena, der Bühne, setzt der <strong>Schauspieler</strong> nicht weniger<br />

als sich selbst mit Haut <strong>und</strong> Haaren aufs Spiel. […] Ist er nicht Hase<br />

<strong>und</strong> Igel in einer Person, ständig im Wettstreit mit sich selbst?«<br />

(Granzer, <strong>Schauspieler</strong> außer sich; S. 65 u. S. 74)<br />

Auch sind Sie als <strong>Schauspieler</strong> in Ihrem Beruf täglich der Kritik anderer<br />

ausgesetzt <strong>und</strong> zusätzlich Ihrer Selbstkritik:<br />

»Wir wissen theoretisch, dass jeder <strong>Schauspieler</strong> seine Kunst täglich<br />

in Frage stellen muss – genau wie Pianisten, Tänzer, Maler –<br />

<strong>und</strong> dass er sonst fast sicher stagnieren, Klischees entwickeln <strong>und</strong><br />

irgendwann einen Niedergang erleben wird.« (Peter Brook im<br />

Vorwort zu: Jerzy Grotowski, Für ein armes Theater; S. 12)<br />

Sich infrage zu stellen gehört zu Ihrem Beruf also existenziell dazu.<br />

Dieses ständige Bewertetwerden kann auf Dauer dazu führen, dass<br />

Sie sich mehr <strong>und</strong> mehr über die Sicht der anderen, also des Regisseurs<br />

oder des Publikums, definieren. Lob <strong>und</strong> Verriss können zu<br />

einer Droge werden, die abhängig macht <strong>und</strong> somit unfrei:<br />

»In der Theorie klingt die physische Exponiertheit der <strong>Schauspieler</strong><br />

weitaus harmloser, als sie sich am eigenen Leib anspürt. Die<br />

Intimität, die ausgestellt wird, ist äußerst fragil, das Risiko hoch<br />

<strong>und</strong> immer brisant, da es nie zeitversetzt, sondern immer im Augenblick<br />

stattfindet. […] Er selbst kann nicht zurücktreten, um<br />

zu prüfen, was er da eben gemacht hat. Er bleibt distanzlos in der<br />

eigenen Nähe befangen. Er bekommt seine Arbeit nie leibhaftig<br />

vor den eigenen Blick, immer nur die anderen. Das macht extrem<br />

abhängig von dem, was man über die eigene Wirkung zu hören<br />

bekommt, <strong>und</strong> es macht extrem sensitiv.« (Granzer, <strong>Schauspieler</strong><br />

außer sich; S. 30)<br />

8


Unges<strong>und</strong>e Stimmklänge<br />

Wie kann man den Klang einer <strong>Stimme</strong> beschreiben? Welche hörbaren<br />

Elemente sind ges<strong>und</strong>, welche unges<strong>und</strong>? Welche hörbaren<br />

<strong>Stimme</strong>igenschaften behindern einen freien Klang? Im Folgenden<br />

finden Sie einige Beschreibungsmöglichkeiten, die es erleichtern, Besonderheiten<br />

einer <strong>Stimme</strong> herauszuhören <strong>und</strong> in Worte zu fassen.<br />

Vielleicht entdecken Sie dabei auch eigene Gewohnheiten, die sich<br />

eingeschlichen haben, wenn Sie einen Text zu routiniert sprechen.<br />

Je nach zu spielender Figur werden bestimmte Facetten Ihrer persönlichen<br />

<strong>Stimme</strong> zum Tragen kommen. Es kann sogar sein, dass Sie<br />

<strong>für</strong> eine Rolle Ihre <strong>Stimme</strong> so stark verändern müssen, dass es Sie anstrengt.<br />

Je nach Sprechsituation auf der Bühne sind unterschiedliche<br />

Stimmklänge stimmig, z. B. enger Stimmklang bei Ekel, gepresster<br />

Stimmklang bei Wut. Auf Dauer ist es aber zu anstrengend <strong>für</strong> die<br />

Stimmlippen, wenn sie nicht ökonomisch gebraucht werden. Beim<br />

professionellen Sprechen ist es deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich das Ziel, die<br />

<strong>Stimme</strong> ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> zugleich ausdrucksstark zu gebrauchen. Wenn<br />

Sie starke Gefühlsausbrüche auf der Bühne zeigen müssen, ist es<br />

wichtig, dass Sie Ihre <strong>Stimme</strong> danach schnell wieder ins Lot bringen<br />

können.<br />

<strong>Ein</strong>e ges<strong>und</strong>e <strong>Stimme</strong> ermöglicht es dem <strong>Schauspieler</strong>, feinste Nuancen<br />

zu zeigen, vielfältige emotionale Unterschiede zu transportieren<br />

<strong>und</strong> durchlässig zu bleiben <strong>für</strong> die Situation auf der Bühne.<br />

Ungünstige Sprecheigenschaften schränken die künstlerische Variationsbreite<br />

ein.<br />

Im Folgenden finden Sie eine Liste von <strong>Stimme</strong>igenschaften, die<br />

durch physiologisch ungünstigen Gebrauch unseres Instruments<br />

entstehen können. Je nach Intensität besteht sogar die Gefahr, dass<br />

solche ungünstige Sprechgewohnheiten zu einer Stimmstörung führen.<br />

Verhauchtes Sprechen entsteht durch einen unvollständigen<br />

Stimmbandschluss, bei dem viel zusätzliche Luft entweicht, die<br />

nicht in Schall umgewandelt wird <strong>und</strong> als feines luftiges Geräusch<br />

hörbar bleibt. Der Stimmklang hört sich dünn <strong>und</strong> kraftlos an.<br />

106


Raues, heiseres, gepresstes Sprechen entsteht durch eine hohe<br />

Spannung im <strong>und</strong> um den Kehlkopf herum. Dabei wird auch die<br />

Hilfsmuskulatur eingesetzt, die das Entstehen von Obertönen<br />

eher blockiert. Die <strong>Stimme</strong> wirkt angestrengt, ist wenig tragfähig<br />

<strong>und</strong> kann große Raume nur mit Mühe füllen.<br />

Gequetschtes Sprechen entsteht durch einen gehobenen Kehlkopf,<br />

der dazu verführt, nur die oberen M<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Nasenräume<br />

als Resonatoren zu nutzen, den Brustkorb jedoch nicht mitschwingen<br />

lässt. Die <strong>Stimme</strong> wirkt klein <strong>und</strong> körperlos. Sie lässt<br />

oft den »Brustton der Überzeugung« missen.<br />

Knödelndes Sprechen entsteht durch eine harte Zungenwurzel<br />

(Zungengr<strong>und</strong>). Diese Verspannung wirkt sich direkt auf den<br />

Kehlkopf aus, der über eine Membran mit der Zunge verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Er kann nicht mehr frei arbeiten. Der Klang wirkt nach hinten<br />

verlagert, eng <strong>und</strong> dumpf. Es entstehen keine hellen strahlenden<br />

Obertöne.<br />

Zweitöniges Sprechen (Diplophonie) entsteht durch eine zu<br />

geringe Spannung der Stimmlippen, die ein doppeltes aber<br />

unreines Klangband entstehen lässt. Es ist, als würde der<br />

Sprecher mit einer hohen <strong>und</strong> einer tieferen <strong>Stimme</strong> zugleich<br />

sprechen.<br />

Knarrendes Sprechen entsteht durch eine zu geringe Spannung<br />

am Ende einer Aussage. Der Adressat wird nicht erreicht. Die<br />

Stimmbänder schwingen nicht regelmäßig aus, sondern kommen<br />

in eine unperiodische Schwingung, die so langsam ist, dass sie<br />

ein tiefes knatterndes Geräusch entstehen lässt.<br />

Brüchiges Sprechen entsteht durch plötzliche Spannungsunterschiede<br />

beim Schwingen der Stimmlippen. Dadurch<br />

entstehen Registerbrüche <strong>und</strong> Geräusche. Die <strong>Stimme</strong> wirkt<br />

nicht stabil.<br />

Nasales Sprechen (offenes Näseln) entsteht durch ein unterspanntes<br />

Gaumensegel, welches verhindert, dass die Luft durch<br />

den M<strong>und</strong> entweicht <strong>und</strong> die Luft in die Nase umlenkt. Dies ist<br />

normalerweise nur bei den Nasallauten (m, n, ng) erwünscht.<br />

Zusätzlich bewirkt eine geringe Kieferöffnung, dass der Klang<br />

durch die Nase ausströmt. <strong>Ein</strong>e Aktivierung der Artikulation<br />

107


schaff meist Abhilfe. Wenn ein Sprecher näselt, kann dies<br />

bewirken, dass er von seinem Gegenüber als unbeteiligt oder<br />

gar arrogant wahrgenommen wird.<br />

All diese Fehleinstellungen des Instruments <strong>Stimme</strong> blockieren die<br />

Entstehung eines obertonreichen Klangs. <strong>Ein</strong>e ges<strong>und</strong>e, leistungsfähige<br />

<strong>Stimme</strong> sollte einen guten Stimmbandschluss aufweisen,<br />

durchlässig sein <strong>und</strong> zwischen Kopf <strong>und</strong> Brustverstärkung gut ausgewogen<br />

sein.<br />

108


VOR DEM AUFTRITT<br />

Achtsames <strong>Sprechtraining</strong> als <strong>Ein</strong>sprechprogramm<br />

Beim achtsamen <strong>Sprechtraining</strong> geht es nicht um ein technisches<br />

Aufwärmen der einzelnen Sprechwerkzeuge, sondern darum, dass<br />

wir mit uns selbst <strong>und</strong> unserer <strong>Stimme</strong> in Kontakt treten. Es wird Sie<br />

wenig weiterbringen, wenn Sie vor einer Vorstellung zwanzig Übungen<br />

hintereinander »abspulen« <strong>und</strong> die Quantität in den Vordergr<strong>und</strong><br />

rücken. Die Qualität jeder einzelnen Übung ist entscheidend,<br />

weil nur so die einzelnen Organsysteme <strong>Gehör</strong>, Kehlkopf, Muskelspannung<br />

usw. eingeladen werden, verstärkt zusammenzuarbeiten.<br />

Nicht die Anzahl der Übungen ist wichtig, sondern die Tiefe, mit der<br />

Sie sich darauf einlassen.<br />

Beachten Sie bei Ihrem persönlichen <strong>Ein</strong>sprechprogramm deshalb,<br />

dass Sie »entschleunigt« arbeiten bzw. den <strong>Körper</strong> arbeiten lassen.<br />

Wählen Sie einige Übungen <strong>für</strong> Ihr persönliches Ritual aus <strong>und</strong><br />

konzentrieren Sie sich besonders auf die Zwischenschritte <strong>und</strong> die<br />

aufmerksame Stille zwischen den Übungen, in der die Organsysteme<br />

sich vernetzen können. Unterbrechen Sie diesen Prozess, weil Sie<br />

schon zur nächsten Übung eilen möchten, lassen Sie Ihr Potenzial<br />

des Moments ungenutzt <strong>und</strong> die <strong>Stimme</strong> kann sich nicht vollständig<br />

entfalten. Im Lauf der Zeit können Sie von einem klaren Programmaufbau<br />

abweichen <strong>und</strong> den <strong>Körper</strong> entscheiden lassen, welche<br />

Übung gerade sinnvoll ist. Dabei sei gesagt, dass sich jede Übung<br />

immer anders anfühlen wird – je nach Tagesform, Wetter, Gedanken<br />

oder Stresslevel. Der Weg ist dabei das Ziel. Der <strong>Körper</strong> funktioniert<br />

am besten <strong>und</strong> natürlichsten, wenn Sie in dem Moment ganz bei der<br />

Sache sind. So finden Sie auch leichter den Zugang zu Ihrer künstlerischen<br />

Intuition. Ihr inneres Feuer <strong>und</strong> Ihre Spielfreude können<br />

dadurch kurz vor dem Auftritt angezündet werden.<br />

109


Ihr persönliches <strong>Ein</strong>sprechprogramm sollte etwa zwanzig Minuten<br />

dauern. Auf dieser <strong>und</strong> der nächsten Doppelseite finden Sie zwei beispielhaft<br />

zusammengestellte Übungsfolgen.<br />

Alexandra beginnt<br />

mit dem Tennisball (vgl.<br />

S. 48 f.). Sie gibt achtsam<br />

Gewicht auf die Fußsohle<br />

<strong>und</strong> atmet dabei hörbar<br />

aus. Der <strong>Ein</strong>atem kommt<br />

von selbst, wenn sie das<br />

Gewicht wieder auf ihr<br />

Standbein verlagert.<br />

Sie stellt so Kontakt zu<br />

ihrem <strong>Körper</strong> <strong>und</strong> ihrer<br />

Atmung her.<br />

Sie weckt ihr <strong>Gehör</strong><br />

mit der Übung »Meeresmuschel«<br />

auf (vgl. S. 23 f.).<br />

Sie versucht damit, leisen<br />

Schall im Raum an den<br />

Handflächen zu reflektieren<br />

<strong>und</strong> wirken zu lassen.<br />

Danach nimmt sie ein<br />

»Klangbad« (vgl. S. 56 ff.)<br />

ganz nahe an einer<br />

Wand / Tür. Sie tönt auf<br />

ein gedehntes »ü« <strong>und</strong><br />

andere Vokale <strong>und</strong> hört<br />

sich dabei selbst zu.<br />

<strong>Gehör</strong> <strong>und</strong> <strong>Stimme</strong> stellen<br />

sich aufeinander ein.<br />

110


Mit der Übung »Elefant«<br />

(vgl. S. 65 ff.) hört sie<br />

genau, wie der Raum ihre<br />

<strong>Stimme</strong> reflektiert. Sie<br />

bemerkt, ob sie optimal<br />

verstärkt wird, oder noch<br />

mehr Resonanz aktivieren<br />

muss, um den ganzen<br />

Raum zu füllen.<br />

Mit der »Handwand«<br />

(vgl. S. 83 ff.) holt<br />

Alexandra ihre <strong>Stimme</strong><br />

ganz nah zu sich <strong>und</strong><br />

bekommt ein Bewusstsein<br />

<strong>für</strong> die Konsonanten.<br />

Sie bemerkt dabei auch,<br />

wenn sie an bestimmten<br />

Stellen noch zu äußerlich,<br />

also »unehrlich« mit dem<br />

Text umgeht. Sie findet<br />

so rasch ihre authentischen<br />

Ausdrucksmöglichkeiten.<br />

Mit der Übung »Dirigieren«<br />

(vgl. S. 103 ff.) stellt<br />

sie sicher, dass die Vokaleinsätze<br />

physiologisch<br />

sind. Auch der <strong>Körper</strong>anschluss<br />

wird noch einmal<br />

deutlich. Alexandra<br />

weitet ihr <strong>Körper</strong>bewusstsein<br />

<strong>und</strong> ihre <strong>Stimme</strong> bis<br />

in den Zuschauerraum<br />

aus. Sie erlebt ihren<br />

<strong>Körper</strong> groß <strong>und</strong> präsent.<br />

Sie ist stimmig eingestimmt:<br />

»bei sich« <strong>und</strong><br />

»draußen«, bei Spielpartner<br />

<strong>und</strong> Publikum.<br />

111


ANHANG


Literatur<br />

Egon Aderhold: Das gesprochene Wort. Sprechkünstlerische Gestaltung<br />

deutschsprachiger Texte. Henschel Verlag, Berlin 1995<br />

Egon Aderhold: Sprecherziehung des <strong>Schauspieler</strong>s. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong><br />

Methoden. Henschel Verlag, Berlin 4 1993<br />

Barbara Maria Bernhard: <strong>Sprechtraining</strong>. Professionell sprechen – auf der<br />

Bühne <strong>und</strong> am Mikrofon. öbv & hpt, Wien 2002<br />

Barbara Maria Bernhard: Sprechen im Beruf. Der wirksame <strong>Ein</strong>satz der<br />

<strong>Stimme</strong>. öbv & hpt, Wien 2003<br />

Barbara Maria Bernhard: Sprechübungen. <strong>Ein</strong>e Sammlung <strong>für</strong> Theatergruppen.<br />

öbv & hpt, Wien 2004<br />

Horst Coblenzer / Franz Muhar: Atem <strong>und</strong> <strong>Stimme</strong>. Anleitung zum guten<br />

Sprechen. öbv & hpt, Wien 19 1999<br />

Horst Coblenzer: Erfolgreich sprechen. Fehler <strong>und</strong> wie man sie vermeidet.<br />

öbv & hpt, Wien 4 1999<br />

Gerhard Ebert / Rolf Penka (Hg.): Schauspielen. Handbuch der <strong>Schauspieler</strong>-<br />

Ausbildung. Henschel Verlag, Berlin 4 1998<br />

Gerhard Ebert: ABC des Schauspielens. Talent erkennen <strong>und</strong> entwickeln.<br />

Henschel Verlag, Berlin 2004<br />

Uta Feuerstein: Stimmig sein. Die Selbstregulation der <strong>Stimme</strong> in Gesang<br />

<strong>und</strong> Stimmtherapie. Jungfermann Verlag, Paderborn 2000<br />

Eric N. Franklin: Befreite <strong>Körper</strong>. Das Handbuch zur imaginativen Bewegungspädagogik.<br />

VAK Verlag, Kirchzarten bei Freiburg 2 2000<br />

Volkmar Glaser: Eutonie. Das Verhaltensmuster des menschlichen Wohlbefindens.<br />

Haug Verlag, Heidelberg 4 1993<br />

Susanne Valerie Granzer: <strong>Schauspieler</strong> außer sich. Exponiertheit <strong>und</strong> performative<br />

Kunst. <strong>Ein</strong>e feminine Recherche. transcript, Bielefeld 2011<br />

Jerzy Grotowski: Für ein armes Theater. Alexander Verlag, Berlin 3 2006<br />

Günter Habermann: <strong>Stimme</strong> <strong>und</strong> Sprache. <strong>Ein</strong>e <strong>Ein</strong>führung in ihre Physiologie<br />

<strong>und</strong> Hygiene. Thieme Verlag, Stuttgart – New York 1986<br />

Hajo Kurzenberger: Der kollektive Prozess des Theaters. Chorkörper,<br />

Probengemeinschaften, theatrale Kreativität. transcript Verlag, Bielefeld<br />

2009<br />

Richard Kostelanetz: John Cage im Gespräch. Zu Musik, Kunst <strong>und</strong> geistigen<br />

Fragen unserer Zeit. DuMont Buchverlag, Köln 1989<br />

Ernst Leisi: Rilkes Sonette an Orpheus. Interpretation, Kommentar, Glossar.<br />

Gunter Narr Verlag, Tübingen 1987<br />

Peter von Matt: Wörterleuchten. Kleine Deutungen deutscher Gedichte.<br />

Carl Hanser Verlag, München 2009<br />

Ilse Middendorf: Der erfahrbare Atem. <strong>Ein</strong>e Atemlehre. Jungfermann-<br />

Verlag, Paderborn 8 1995<br />

148


Hans Martin Ritter: Sprechen auf der Bühne. ein Lehr- <strong>und</strong> Arbeitsbuch.<br />

Henschel Verlag, Berlin 1999<br />

Wolfgang Saus: Oberton Singen. Das Geheimnis einer magischen Stimmkunst.<br />

Traumzeit-Verlag, Battweiler 3 2011<br />

Wolfgang Schadewaldt: Antikes Drama auf dem Theater heute. Neske,<br />

Pfullingen 1970<br />

Jurij A. Vasiljev: Imagination, Bewegung, <strong>Stimme</strong>. Variationen <strong>für</strong> ein<br />

Training. Verlag Urban, Trstěnice 2000<br />

Jurij A. Vasiljev: <strong>Stimme</strong>, Atem, Bewegung. Training <strong>für</strong> <strong>Stimme</strong>nergie <strong>und</strong><br />

Kommunikation. Verlag Urban, Trstěnice 2002<br />

Arbeitstexte<br />

Peter Handke: Untertagblues. <strong>Ein</strong> Stationendrama (Textauszug: 19. Szene).<br />

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2003. Alle Rechte bei <strong>und</strong> vorbehalten<br />

durch den Suhrkamp Verlag Berlin.<br />

Gert Jonke: Chorphantasie. Konzert <strong>für</strong> Dirigent auf der Suche nach dem<br />

Orchester (Textauszug: Anfangsmonolog). © Literaturverlag Droschl,<br />

Graz / Wien 2003<br />

Franz Kafka: <strong>Ein</strong>e kaiserliche Botschaft. In: Poseidon <strong>und</strong> andere kurze<br />

Prosa. Fischer Taschenbuchverlag GmbH, Frankfurt am Main 1994.<br />

S. 115 f.<br />

Franz Kafka: <strong>Ein</strong> Kommentar. In: Ebd. S. 59<br />

Dea Loher: Das letzte Feuer. © Verlag der Autoren, Frankfurt am Main<br />

Heiner Müller: Die Schlacht (Textauszug, Szene: Fleischer <strong>und</strong> Frau). In:<br />

Ders., Werke. Hg. von Frank Hörnigk, Band 4: Die Stücke 2. © Suhrkamp<br />

Verlag Frankfurt am Main 2001. Alle Rechte bei <strong>und</strong> vorbehalten durch<br />

den Suhrkamp Verlag Berlin.<br />

Ewald Palmetshofer: faust hat hunger <strong>und</strong> verschluckt sich an einer grete.<br />

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2009. Der auszugweise<br />

Abdruck in dieser Publikation erfolgt mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung der<br />

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main. (Aufführungsrechte: Ebd.,<br />

Abt. Theater & Medien, E-Mail: ulrike.betz@fischerverlage.de)<br />

William Shakespeare: König Richard der Dritte. Übers. von A. W. Schlegel.<br />

Reclams Universal-Bibliothek Nr. 62, Stuttgart 1971<br />

Sophokles: Antigone. Textfassung von Hajo Kurzenberger <strong>und</strong> Stephan<br />

Müller <strong>für</strong> die Aufführung am Volkstheater Wien. Nur Manuskript.<br />

Der auszugweise Abdruck in dieser Publikation erfolgt mit fre<strong>und</strong>licher<br />

Genehmigung des Volkstheaters Wien.<br />

Botho Strauß: Trilogie des Wiedersehens. © Carl Hanser Verlag München<br />

1976 (Ausgabe: dtv 1982, S. 31 f.)<br />

149


Dank<br />

Herzlichen Dank an meine Schauspielstudierenden Konstantin<br />

Shklyar <strong>und</strong> Alexandra Gottschlich, die sich als Fotomodelle <strong>für</strong> das<br />

Kapitel »Vor dem Auftritt« zur Verfügung gestellt haben.<br />

Für die kreative Mitarbeit im Tonstudio danke ich den Schauspielstudenten<br />

Sebastian Schmeck, Okan Cömert <strong>und</strong> Silas Breiding.<br />

Für die kritischen Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln danke<br />

ich Dr. Michael Bernhard, Sebastian Bernhard, Prof. Annett Matzke,<br />

Simone Dorenburg <strong>und</strong> Mareike Tiede.<br />

Dem Volkstheater Wien danke ich <strong>für</strong> die Genehmigung, die Szenenfotos<br />

auf S. 129, 132, 138 <strong>und</strong> 146 sowie die Textauszüge aus seiner<br />

Antigone-Fassung verwenden zu dürfen.<br />

150


Zur Autorin<br />

Barbara Maria Bernhard ist<br />

Diplom-Sprecherin <strong>und</strong> Diplom-Sprecherzieherin.<br />

Sie<br />

studierte an der Hochschule<br />

<strong>für</strong> Musik <strong>und</strong> Darstellende<br />

Kunst Stuttgart. Sie lehrt am<br />

Max Reinhardt Seminar <strong>und</strong><br />

ist Sprechtrainerin am Volkstheater Wien, sowie beim Radio- <strong>und</strong><br />

Fernsehsender ORF. Sie ist Sprecherin von Hörbüchern <strong>und</strong> E-Books<br />

sowie Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Sprechen.<br />

Mehr unter: www.sprechtraining-bernhard.at<br />

151


Trackliste zur CD<br />

Titel<br />

Dauer<br />

01 Goethe-Rap 00:43:74<br />

02 Sandstrand 01:15:51<br />

03 Beckenkissen 02:10:27<br />

04 Reinigung <strong>und</strong> Erfrischung 01:12:69<br />

05 Ohrmeditation 01:29:05<br />

06 Meeresmuschel 06:54:01<br />

07 ffff-Seil, ssss-Seil, sch-Seil 03:13:14<br />

08 Päckchenhaltung 01:50:62<br />

09 Pulston 01:18:62<br />

10 Käferhaltung 01:24:57<br />

11 Fersensitz 00:22:65<br />

12 Katzenjammer – »Mieaou« 01:02:34<br />

13 Zehenballensitz 00:45:03<br />

14 Kichern 00:23:53<br />

15 Tennisball 02:02:25<br />

16 Bouche fermée 01:30:00<br />

17 Clown 01:01:63<br />

18 Handyübung 01:41:05<br />

19 Klangbad 01:39:08<br />

20 Sprechgesang 01:17:72<br />

21 Rücken zur Ecke 00:42:00<br />

22 Elefant 01:18:02<br />

23 Verstecken 00:55:73<br />

24 Untertagblues (19. Szene) 02:05:15<br />

© Alle Rechte bei <strong>und</strong> vorbehalten<br />

durch den Suhrkamp Verlag Berlin<br />

25 Pingpong 01:23:26<br />

26 Handwand 00:49:35<br />

27 Bürger-Text 01:24:32<br />

28 Bürger-Rap 00:52:42<br />

29 Ventiltönchen 01:24:00<br />

30 Flüstern 00:58:13<br />

31 ORF 00:55:62<br />

32 Dirigieren 01:30:00<br />

33 Goethe-Rap: Variation 00:54:03<br />

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