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Die "ecloga" des Theodulus, übersetzt von Konrad Goehl mit einer Einführung und Erläuterungen von Jorit Wintjes, Baden-Baden: Dt. Wiss.-Verlag (DWV) 2012, 108 S., 22,95 € (= DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters, Bd. 1) - ISBN: 978-3-86888-052-6

Die "ecloga" des Theodulus, übersetzt von Konrad Goehl mit einer Einführung und Erläuterungen
von Jorit Wintjes, Baden-Baden: Dt. Wiss.-Verlag (DWV) 2012, 108 S., 22,95 € (= DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters, Bd. 1) - ISBN: 978-3-86888-052-6

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Konrad Goehl und Jorit Wintjes

Die ecloga des Theodulus


DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters

hrsg. von Konrad Goehl und Jorit Wintjes

Band 1


Die ecloga des Theodulus

übersetzt

von Konrad Goehl

mit einer Einführung und Erläuterungen

von Jorit Wintjes

Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV)

Baden-Baden


Cover-Gestaltung: Jorit Wintjes und Birgitta Karle (DWV)

Umschlagabbildung: Alithía und Pseustis nach einer mittelalterlichen Handschrift

Die DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters erscheinen in unregelmäßiger Folge und sind

offen für alle mediävistischen Themen sowie insbesondere auch für Arbeiten zur

lateinischen Philologie des Mittelalters.

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Nationalbibliothek

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Die Deutsche Nationalbibliothek a répertorié cette publication dans la Deutsche

Nationalbibliografie; les données bibliographiques détaillées peuvent être

consultées sur Internet à l'adresse http://dnb.ddb.de.

1. Auflage 2012

Gedruckt auf alterungsbeständigem, chlorfrei gebleichtem Papier

(Printed in Germany, September 2012)

© Copyright by

Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV) ®

Postfach 11 01 35

D–76487 Baden-Baden

www.DWV-net.de

www.UniversityPress.de

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung,

vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein

anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung

elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN: 978-­‐3-­‐86888-­‐052-­‐6


Vorwort der Herausgeber

Die ecloga Theoduli war ein Grundtext der mittelalterlichen Bildungswelt. So

wie in jüngerer Zeit Generationen von Lateinschülern ihre ersten Lektüreerfahrungen

mit Caesars Gallischem Krieg machen mußten – oder durften –, so war

die ecloga einer derjenigen Texte, an denen spätestens seit dem 12. Jh. angehende

Lateinschüler die Sprache erlernten. Heute ist dieser Text weitgehend in Vergessenheit

geraten – weder eine lateinische Ausgabe noch eine deutsche Übersetzung

sind zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bändchens leicht greifbar.

Die letzte lateinische Ausgabe liegt mehr als ein Jahrhundert zurück und ist an

vergleichsweise entlegenem Ort publiziert, von einer deutschen Übersetzung aus

dem 19. oder 20. Jh. haben die Herausgeber keine Kenntnis. Daher war es ihr

erstes Anliegen, diesen für das Mittelalter wichtigen Text im lateinischen Original

und einer deutschen Übersetzung wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich

zu machen. Das vorliegende Büchlein erhebt dabei nicht den Anspruch,

das letzte oder auch nur ein maßgebliches Wort in der Erforschung der ecloga

zu sein – Einführung und Erläuterungen dienen primär dem Verständnis von

Text und Übersetzung, nur das Kapitel über die theologische Dimension der ecloga

erläutert eingehender Zusammenhänge, die ein Leser des lateinischen Mittelalters

als selbstverständlich angesehen haben wird, auf die aber nach dem

Kenntnisstand der Herausgeber bislang nur in unzureichender Weise hingewiesen

worden ist.

Dank für den Anstoß zur Beschäftigung der Herausgeber mit der ecloga

gebührt in erster Linie einem Mann, dessen Lebenszeit fast so weit zurückliegt

wie die ecloga selbst – bei der Diskussion einer Passage in einer frühen Abschrift

des Persiuskommentares des italienischen Gelehrten Paulus Perusinus

stießen die Herausgeber auf zwei Zitate eines "Theodolus", die ihnen einmal

mehr die enge Begrenztheit ihres Wissens um die lateinische Literatur des Mittelalters

deutlich machten, gleichzeitig aber auch die Neugier auf das sich hinter

diesen Zitaten verbergende Werk weckten; das vorliegende Bändchen ist ein

Ergebnis dieser Neugier. Die Herausgeber danken ferner Herrn Prof. Udo

Scholz für seine Ermutigung und seine Unterstützung bei ihrem Unterfangen

sowie Herrn Prof. Werner Gerabek und dem Deutschen Wissenschaftsverlag für

die freundliche Hilfe bei der Umsetzung des Buchprojektes.

Würzburg, am Festtag von Mariä Himmelfahrt – die Herausgeber



Inhaltsverzeichnis

I. Einführung (J. Wintjes) 7

I.1. Ein mittelalterlicher Schultext 7

I.2. Autor und Entstehungszeit der ecloga 13

I.3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte der ecloga 17

I.4. Zu Text und Übersetzung der vorliegenden Ausgabe 20

II. ecloga Theoduli (Übersetzung K. Goehl) 23

III. Erläuterungen (J. Wintjes) 51

III.1. Aufbau und Komposition der ecloga 51

III.2. Erläuterungen 56

IV. Die ecloga als Gottes- und Frauengeschichte (K. Goehl) 75

V. Zitierte Literatur 89

VI. Indices (K. Goehl) 93

VI.1. Index nominum 93

VI.2. Index verborum 96



I. Einführung

I.1. Ein mittelalterlicher Schultext

Audiant etiam in eisdem scolis Donatum, Cathonem et Theodolum … 1

Zu den ältesten Schulen Breslaus zählte das Gymnasium zu St. Maria Magdalena,

das auf eine Stiftung aus dem Jahr 1267 zurückgeht. 2 Während der Stiftungsbrief

– eine Urkunde des päpstlichen Botschafters Guido – in erster Linie

die Notwendigkeit einer Schulgründung zur Versorgung von Bürgerkindern in

den Blick nimmt, deren Schulweg zur Domschule ansonsten unzumutbar lang

und mit Gefahren verbunden gewesen wäre, 3 werden im letzten Drittel konkret

die Aufgaben der Neugründung angeführt – die Schule soll als Anfangsschule

Elementarunterricht in Lesen, Religion, Gesang sowie der lateinischen Sprache

bieten; 4 Fortgeschrittenenunterricht war in der Stadt weiterhin der Domschule

vorbehalten. Für den lateinischen Elementarunterricht nennt die Urkunde explizit

Donat, Cato – womit der Autor der disticha Catonis gemeint ist – sowie die

ecloga des Theodulus.

Stiftungsbrief des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena, Breslau – Zeile 24: Erwähnung des

Theodulus

Bei dem Stiftungsbrief des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena handelt es

sich um das älteste dokumentarische Zeugnis zur ecloga, jedoch nicht um das

einzige. 5 Knapp dreißig Jahre später gab Bischof Johann von Breslau seine Zustimmung

zur Gründung einer weiteren Schule, des späteren Gymnasiums zu St.

Elisabeth, und auch in dieser Urkunde wird die ecloga explizit als Teil des

Schulkanons erwähnt. 6 Die Verwendung der ecloga im Rahmen des lateinischen

1 Korn 1870, 35 nr. 32, 24.

2 Zu Gründung und Geschichte des Gymnasiums im Mittelalter cf. Schönborn 1843, der ein

Faksimile der Gründungsurkunde enthält.

3 Korn 1870, 35 nr. 32, 6-12; offenbar litt eine Stadt wie Breslau bereits in der Mitte des 13.

Jh. unter einem erheblichen Verkehrsaufkommen – explizit wird eine multitudo hominum,

curruum et equorum erwähnt (nr. 32, 10).

4 Korn 1870, 35 nr. 32, 20-24.

5 Zur Bedeutung der beiden Zeugnisse cf. Frey 1904, 3, der zu Recht darauf hinweist, daß die

literarische Überlieferung zum Gebrauch der ecloga im Unterricht noch ältere Zeugnisse

kennt.

6 Korn 1870, 35 nr. 65, 59-60.

7


Anfangsunterrichts war im 13. Jh. keineswegs eine Seltenheit. Noch vor die

Gründung des Breslauer Gymnasiums zu St. Maria Magdalena ist ein knapper,

nach seinen einleitenden Worten Sacerdos ad altare genannter Traktat zu datieren,

7 der dem 1217 verstorbenen englischen Gelehrten Alexander of Neckham

zugeschrieben wird und wohl in das ausgehende 12. Jh. gehört. Sein Autor weist

ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen Donat, den disticha und Theodulus

hin:

Postquam alphabetum didicerit et ceteris puerilibus rudimentis imbutus

fuerit, Donatum et illud utile moralitatis compendium, quod Catonis

esse vulgus opinatur, addiscat et ab egloga Theodoli transeat ad

egglogas [sic] bucolicorum, prelectis tamen quibusdam libellis informacioni

rudium necessariis. 8

Die ecloga sollte also den Schüler auf die Begegnung mit den Klassikern

vorbereiten, von denen zunächst die vergilischen Eklogen abgehandelt wurden;

zusammen mit den disticha Catonis handelte es sich um Anfangslektüre, was

verschiedene Interpreten angesichts der nicht geringen Schwierigkeit des Textes

in Erstaunen versetzt hat. 9 Alexander of Neckham oder Guido stellten keine isolierten

Einzelmeinungen dar, sondern stehen stellvertretend für zahlreiche Äußerungen

mittelalterlicher Gelehrter, die allesamt der ecloga im Rahmen des

Schulbetriebes einen wichtigen Platz zuwiesen 10 So ist es wenig verwunderlich,

wenn bereits zu Beginn des 13. Jh. in einem Kommentarfragment eines Anonymus

zu einem Text, der selbst unbekannt ist, 11 neben Vergil, Ovid und anderen

Klassikern auch Verse aus der ecloga für sprachliche Erklärungen herangezogen

werden. 12

Bereits ein oberflächlicher Blick auf die Entwicklung des mittelalterlichen

Lektürekanons bestätigt die besondere Bedeutung der ecloga. 13 Schon im 10. Jh.

scheint sich eine Anthologie von Schultexten herausgebildet zu haben, der neben

den disticha Catonis, den fabulae des spätantiken Dichters Avianus sowie

7 Haskins 1909, 76.

8 Sacerdos ad altare nach Haskins 1909, 90; Cf. auch Hamilton 1909, 7.

9 Cf. etwa Boas 1914, 18: „Theodulus in mediis poetis gentilibus unus Christianus ceteris ... ,

cuius poetae contortas sententias vix captum puerorum assequi potuisse dicas“; anders hingegen

Green 1982, 49: „other factors contributing to the poem's popularity were surely its relatively

simple style”.

10 Cf. hierzu allgemein Hamilton 1909, 7-11.

11 Das Kommentarfragment ist einzig in einer Handschrift aus Cambridge erhalten (cf. Hunt

1991, 274); die bislang einzige Ausgabe besorgte Hunt 1991, 274-286; cf. auch Meyer 1903,

65-67, der zuerst auf den Text sowie einige in ihm enthaltene französischsprachige Glossen

hinwies (p. 67).

12 Cf. etwa Hunt 1991, 275: Subigere pro cogere, Virgilius: ‚subigitque fateri’, et pro impellere

et pro vincere, unde Theodolus: ‚Quam natura dedit legem, Susanna subegit’.

13 Zur Herausbildung des mittelalterlichen Lektürekanons cf. Boas 1914, Avesani 1965, 475-

480, Hunt 1991, 66-70 und Baldzuhn 2009, 93-105.

8


der Ilias latina auch die ecloga Theoduli angehörte. 14 Im Verlauf des 11. Jhs.

verfestigte sich hieraus dann ein Korpus von zunächst sechs Autoren, den auctores

sex; 15 während die Ilias latina offenbar an Bedeutung verlor, traten zu den

drei verbliebenen Texten nun das Werk des spätantiken Elegikers Maximianus,

die Achilleis des Statius sowie Claudians De raptu Proserpinae. Für diese

Sammlung von sechs Texten, die von der Forschung – Marcus Boas folgend –

auch liber Catonis genannt worden ist, 16 hat Michael Baldzuhn eine nordfranzösische

Herkunft plausibel gemacht und zudem darauf hingewiesen, daß der liber

anscheinend fast ausschließlich im französischen und englischen Bereich

Verbreitung fand, für den deutschsprachigen und italienischen Raum hingegen

Handschriftenzeugnisse fehlen. 17 Demgegenüber erfreute sich die ecloga – dem

Zeugnis der Handschriften zufolge – in ganz Europa großer Beliebtheit. 18

Aus den auctores sex entstand schließlich im 13. Jh. eine weitere Anthologie,

die sogenannten auctores octo; in teilweise wechselnder Zusammenstellung

bildeten sie die Grundlage des Lateinunterrichts bis über das Ende des Mittelalters

hinaus. 19 An die Stelle von Avianus, Maximianus, Statius und Claudian traten

nun die fabulae Aesops, eine an die disticha Catonis anschließende und unter

der Bezeichnung Facetus bekannt gewordene anonyme Sammlung von Verhaltensmaßregeln

und moralischen Anleitungen, 20 der sogenannte Floretus, 21 ein

wohl fälschlicherweise Bernard von Clairvaux zugeschriebener Verstraktat

dogmatischen Inhalts, 22 der im 12. Jh. entstandene liber parabolarum des französischen

Theologen Alain von Lille, 23 der Tobias, 24 ein ebenfalls im 12. Jh.

entstandenes und den Stoff des biblischen Buches Tobit verarbeitendes Versepos

aus der Feder des französischen Dichters Matthaeus Vindocinensis sowie

der anonyme Traktat de contemptu mundi. 25 Während aber auch nach der Verfestigung

des Kanons der auctores octo in der Überlieferung andere Texte an die

Stelle der soeben genannten treten konnten, bildeten die disticha Catonis und die

ecloga Theoduli einen festen Kern des Korpus. 26

14 Hunt 1991, 67.

15 Hunt 1991, 68-69.

16 Boas 1913, 17.

17 Baldzuhn 2009, 96-100.

18 Osternacher 1916, 354-355.

19 Pepin 1999, 1-3; kritisch hingegen Baldzuhn 2009, 103-105.

20 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 41-12.

21 Über den Titel des Werks gibt der erste Vers des Floretus Aufschluß: nomine floretus liber

incipit ad bona ceptus (Floretus 1).

22 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 213-215.

23 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 149-151.

24 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 79-82.

25 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 55-57.

26 Auf ein Lesebuch in einer Zusammenstellung ohne die ecloga (disticha Catonis, Avianus,

Aesop) hat Voigt 1891 hingewiesen und geurteilt, „das aus der Autorentrias Cato, Esopus und

Avian bestehende erste Triviallesebuch [habe] nach Form wie Inhalt durch die Jahrhunderte

hindurch vom frühen Mittelalter bis zum Durchbruch des Humanismus alle Fortschritte des

9


Das Interesse des Mittelalters blieb allerdings nicht auf die Nutzung des

Textes im Rahmen des Sprachunterrichts beschränkt. Immer wieder verwiesen

mittelalterliche Autoren auch auf eine besondere inhaltliche Dimension des Textes.

So bemerkte im 13. Jh. der in Bamberg wirkende Gelehrte Hugo von Trimberg:

Nam triplex legentibus fructus in hoc datur:

Per fabulas historias et allegorias

Ad discendum triplices lector habet vias. 27

Die ecloga bot nach Auffassung Hugos also nicht nur einzelne Erzählungen,

die aus der antiken Mythologie entnommen waren – fabulas – und konnte

nicht nur dazu dienen, Episoden aus dem Alten Testament – historias – zu vermitteln,

sie besaß zudem eine theologische Dimension, die durch allegorische

Interpretationen erschlossen werden konnte. In ähnlicher Weise äußerte sich bereits

vor der Mitte des 12. Jh. der Benediktiner Konrad von Hirsau, der in seinem

dialogus super auctores als eigentlichen Zweck der ecloga die cognitio veritatis

sowie die confirmatio rectae fidei identifizierte 28 und pointiert hinzusetzte:

Intentio est sacrae paginae veritatem commendare et fabularum commenta

dissuadere. 29

Insgesamt zeigt sich, daß die ecloga zwar im Rahmen des lateinischen Anfangsunterrichts

weithin Verwendung fand, daß sie darüber hinaus aber auch

vielfach als ein Traktat zur moralischen Instruktion des Lesers angesehen wurde.

30 Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte dafür verantwortlich sein, daß die ecloga

im Verlauf der Herausbildung des Korpus der auctores octo nie durch einen

anderen Text ersetzt wurde – die Entwicklung der im Schulbetrieb verwendeten

Textanthologien vom 10. bis zum 13. Jh. läßt eine deutliche inhaltliche

Verlagerung von antiken Stoffen hin zu ausgesprochen christlichen Texten erkennen;

es war die theologisch-moralische Dimension der ecloga, die ihr über

alle Veränderungen hinweg einen festen Platz im Kanon der Schultexte sicherte.

Dabei offenbart ein genauerer Blick auf die Wirkungsgeschichte der ecloga,

daß diese keineswegs erst im Laufe des Mittelalters als theologischer Traktat

entdeckt wurde. Vielmehr datiert das früheste Zeugnis einer solchen Wahrnehmung

der ecloga in das 11. Jh. und damit in die Zeit, in der offenbar die erste

Kommentartätigkeit einsetzte. In der zweiten Hälfte des 11. Jh. verfaßte der Be-

Geschmacks und der Wissenschaft in sich aufzunehmen und wiederzuspiegeln [vermocht]“

(Voigt 1891, 48).

27 Hugo registrum 453L-455L (521H-523H).

28 Konrad dialogus p. 45S.

29 Konrad dialogus p. 45S.

30 Konrad dialogus p. 46S.

10


nediktinermönch Sigebert von Gembloux einen Katalog von insgesamt 171 Verfassern

theologischer Werke, den liber de scriptoribus ecclesiasticis; in diesen

nahm er die ecloga auf, 31 aber weder die disticha Catonis, noch Donat oder andere

im Anfangsunterricht eingesetzte Autoren.

Die Verwendung der ecloga im lateinischen Anfangsunterricht sowie ihre

darüber hinausgehende theologisch-moralische Dimension fanden ihren Niederschlag

in einer umfangreichen Kommentierungstätigkeit, die, wie eben erwähnt,

in der zweiten Hälfte des 11. Jh. einsetzte. 32 Der älteste noch faßbare Kommentar

stammt aus der Feder des Bernhard von Utrecht, über den außerhalb seines

Werkes keine Nachrichten erhalten sind; 33 offenbar wirkte er als Lateinlehrer

und verfaßte seinen Kommentar, den er dem Utrechter Bischof Konrad widmete,

auf Drängen seiner Schüler. Das Werk, das den Vergilkommentar des Servius

nicht nur benutzte, sondern anscheinend auch zum Vorbild nahm, 34 entstand

während der Amtszeit Konrads zwischen 1076 und 1099; 35 das Hauptinteresse

Bernhards galt dabei sprachlichen und inhaltlichen Erläuterungen, denen gegenüber

die theologischen Interpretationen der ecloga deutlich zurücktraten. 36 Der

Kommentar Bernhards erfreute sich offenbar nicht geringer Beliebtheit; hiervon

zeugen insgesamt mindestens sechs erhaltene Handschriften aus dem 12. Jh. 37

Wohl rund 100 Jahre später wurde dann das Werk Bernhards durch einen

neuen Kommentar verdrängt, der für die Folgezeit maßgeblich sein sollte; mindestens

47 erhaltene Handschriften zeugen von der weiten Verbreitung dieses

Kommentars, von dem mehrere Versionen überliefert sind. 38 Dieses Werk, dessen

älteste Überlieferungszeugen aus dem 13. Jh. stammen, wird in zwei der ältesten

Handschriften dem bereits erwähnten englischen Gelehrten Alexander of

Neckham zugeschrieben; 39 diese Zuweisung fand in der Neuzeit nicht zuletzt

aufgrund des übrigen Werkes Alexanders Zustimmung, da dieses unter anderem

auch die Bearbeitung von Texten aus dem Schulbetrieb einschloß. 40 Obwohl,

wie oben gezeigt, Alexander die ecloga offenbar als eine Art Übergangslektüre

auffaßte, behandelt der Kommentar in der Hauptsache inhaltliche Fragen, wobei

31 Sigebert liber Nr. 134.

32 Grundlegend für die Beschäftigung mit den mittelalterlichen Kommentaren zur ecloga ist

die Zusammenstellung von Quinn 1971; cf. daneben Hamilton 1911, 5-8 und Chance 1994,

349-352.

33 Frey 1904, 13-14, Quinn 1971, 389 und Chance 1994, 386.

34 Frey 1904, 8-9; das Urteil Freys, der Serviuskommentar habe auch dem Verfasser der ecloga

als wichtigste Quelle gedient (Frey 1904, 13), geht allerdings, wie die Studien von Osternacher

1907 und Green 1982 gezeigt haben, zu weit.

35 Zur Datierung cf. Huygens 1954, 420, Quinn 1971, 386 und Chance 1994, 386.

36 Quinn 1971, 386.

37 Quinn 1971, 387.

38 Quinn 1971, 389.

39 Quinn 1971, 389; zu Alexander of Neckham ist die monographische Studie von Hunt 1984

grundlegend; cf. daneben Chance 1994, 592 n. 7.

40 Quinn 1971, 389.

11


rationalisierende Interpretationen heidnischer Mythen ein charakteristisches

Merkmal des Werkes sind. 41

Im Verlauf des 14. Jh. entstand der nach der Herkunft der Mehrheit der

Handschriften benannte Kommentar des Anonymus Teutonicus. 42 Obwohl in

einigen Handschriften größere Textpassagen aus dem Kommentar des Alexander

of Neckham übernommen worden sind, bietet der Anonymus Teutonicus

insgesamt einen eigenständigen Text. Vermutlich vornehmlich an jüngere Schüler

gerichtet, 43 konzentriert sich der Kommentar vor allem auf die allegorische

Interpretation sowohl der heidnischen wie der biblischen Geschichten, während

er aber Sacherklärungen oder die Diskussion grammatikalischer Probleme weitgehend

ausklammert; daher schließt Árpád Orbán, der Erstherausgeber des

Kommentars nach einer Utrechter Handschrift, 44 seine Einleitung mit der Bemerkung:

Commentum Anonymi Teutonici enim notae simplicis rudisque est, in

quo vix ulla quaestio theoretica, scientifica, theologica vel artis

grammaticae disputatur. 45

Gegen Ende des 14. Jh. erfuhr der Kommentar des Alexander of Neckham

eine Überarbeitung, die vor allem aus der Einfügung von Zitaten aus klassischen

Autoren bestand. 46 Dieses in einer Handschrift und mehreren frühen Drucken

erhaltene Werk ist verschiedentlich dem englischen Gelehrten und Bischof von

St. David's und Chichester Stephen Patrington zugeschrieben worden; die Identifikation

des Autors beruhte dabei vor allem auf einem Werkverzeichnis im Autorenkatalog

Illustrium majoris Britanniae scriptorum Summarium von John

Bale, das einen ecloga-Kommentar anführt. 47 Betty Nye Quinn hat allerdings zu

Recht darauf hingewiesen, daß keinerlei belastbare Indizien für eine derartige

Identifizierung vorliegen. 48

Zu Beginn des 15. Jh. verfaßte schließlich der französische Gelehrte Odo

einen weiteren ecloga-Kommentar, der als Auftragsarbeit dem Sohn des französischen

Königs Karls VI. gewidmet war. 49 Auch dieses Werk stützte sich stark

41 Quinn 1971, 389.

42 Quinn 1971, 398-400; der Kommentar ist in fünf Teilen von Orbán herausgegeben worden

(Orbán 1973, Orbán 1974, Orbán 1975, Orbán 1976 und Orbán 1977).

43 Orbán 1973, 5.

44 Cf. Orbán 1973, 2-4 und Quinn 1971, 399.

45 Orbán 1973, 5.

46 Quinn 1971, 403.

47 Bale 1548, 389 nennt neben In Aeglogas Theodoli auch einen weiteren Kommentar – In

Aesopi fabulas –, der wohl ebenfalls in einen schulischen Kontext einzuordnen ist.

48 Quinn 1971, 403.

49 Über diesen magister Odo ist nur wenig bekannt; dem Explicit seines Kommentars zufolge

stammt Odo aus der Picardie: optimo et acutissimo ingenio viri insignis magistri odonis natione

Picardi in theodulum succinctissima explanatio finit feliciter (Levet 1488, 170); er ist als

Odo Picardus in die Literatur eingegangen, cf. Quinn, 1971, 404-405 und Chance 1994, 592

n. 7 (der die Ausgabe Levet 1488 nicht vorgelegen hat).

12


auf den Alexander of Neckham zugeschriebenen Kommentar, fügte daneben

aber angesichts des Adressaten unter anderem auch auf die Prinzenerziehung

ausgerichtetes Material ein, wie bereits die einleitende Widmung zeigt. 50

Neben den oben genannten, zum Teil sehr wirkungsmächtigen Kommentaren

hat Betty Nye Quinn auf drei weitere umfangreichere Texte aus dem 14.

und 15. Jh. hingewiesen, 51 bei denen es sich offenbar um eigenständige Arbeiten

handelt. 52 Daneben fand sie insgesamt elf kleinere, bis in das 13. Jh. zurückreichende

Kommentare auf, 53 die keine eigenständigen Interpretationen bieten. Dabei

wird man aufgrund der weitverbreiteten Nutzung der ecloga im lateinischen

Elementarunterricht annehmen dürfen, daß derartige "kleine" Kommentare, die

vor allem das Textverständnis erleichtern sollten, in großer Zahl etwa von Lateinlehrern

verfaßt wurden, oft aber keinen Eingang in die Überlieferung gefunden

haben; schließlich ist der Text vielfach mit Glossen und interlinearen Kommentaren

versehen worden.

I.2. Autor und Entstehungszeit der ecloga

Weniges glaubte das Mittelalter über den Verfasser der ecloga sicher zu wissen.

Die älteste biographische Überlieferung ist in dem in der zweiten Hälfte des 11.

Jh. entstandenen Theoduluskommentar des Bernhard von Utrecht greifbar.

Demnach entstammte Theodulus einer wohlhabenden christlichen Familie aus

Italien, wo er seine Elementarerziehung genoß. Später begab er sich nach Athen,

um seine Ausbildung fortzuführen, wobei Bernhard seine Kenntnisse der griechischen

Sprache betont. Dort hörte er Christen und Heiden miteinander streiten

und begann, sowohl Material aus der heidnischen Mythologie zu sammeln als

auch entsprechende Geschichten aus dem Alten Testament; hieraus stellte er

nach seiner Rückkehr die ecloga zusammen. Vor der endgültigen Fertigstellung

verstarb Theodulus, wie Bernhard anhand einer metrischen Analyse von v. 320

zu erkennen glaubte. 54

50 Cf. etwa Levet 1488, 3: Eya igitur, illustrissime et serenissime princeps (ut ego vos cum

Boetio exhortor), adversamini vitiis, colite virtutes et ab ineunte adolescentia animum

vestrum sanctissimis et saluberrimis quibuscumque institutis informate, inducite, erudite.

51 Quinn 1971, 400-401; von den vier Handschriften enthält eine die Datierung 1474, eine

weitere, von einem Maenhardus verfaßte die Jahresangabe 1346, während eine weitere anscheinend

auf den humanistischen Gelehrten Franciscellus Mancinus zurückgeht.

52 Quinn 1971, 400.

53 Quinn 1971, 401-403.

54 V. 320: Dic, et Troianum lauderis scire secretum; unter Verweis auf Ovid Met. 2.556 und

die korrekte Quantität der ersten Silbe von sēcrētum urteilt Bernhard über den vorliegenden

Vers: "se" male corripuit (cf. Hugyens 1970, 58); ob beim Urteil der mittelalterlichen Kommentatoren,

der Autor sei vor Vollendung des Werkes gestorben, der Gedanke an Vergil, der

der Vita des Donat zufolge sein Werk nach seinem Tod verbrennen lassen wollte (Don. Virg.

38: Iusserat haec rapidis aboleri carmina flammis | Vergilius, Phrygium quae cecinere ducem),

mitschwang, läßt sich nicht entscheiden.

13


Sieht man einmal von der bemerkenswerten Annahme ab, der Autor der

ecloga habe diese nicht fertigstellen können, wirken die biographischen Informationen

wenig konkret. Eine genaue chronologische Verortung fehlt, auch

wenn mit Christen streitende Heiden eher einen antiken als einen frühmittelalterlichen

Kontext vermuten lassen; der Hinweis, Theodulus stamme aus Italien, ist

geographisch denkbar unkonkret; schließlich erfährt der Leser nichts über die

eigentliche Biographie – so bleibt beispielsweise im Dunkeln, welcher Tätigkeit

Theodulus genau nachgegangen ist; es findet sich lediglich in einigen Zeugnissen

der Hinweis, zum Zeitpunkt seines Todes habe er dem Klerikerstand angehört.

Insgesamt scheint die Biographie weitgehend aus dem Umstand abgeleitet,

55 daß der Ort des Geschehens der ecloga Athen, ihre Sprache Latein und ihre

inhaltliche Intention eine dezidiert christliche ist; der Hinweis auf die Lebensumstände

der Eltern dient in diesem Zusammenhang wohl lediglich zur Erklärung

des Umstandes, daß eine Erziehung und Ausbildung in Italien und Athen –

zu Recht – als kostspielig angesehen wurde. Belastbare Informationen über den

Autor lassen sich aus der mittelalterlichen Überlieferung nicht gewinnen. 56

Ein Gutteil der biographischen Überlieferung des Mittelalters geht vermutlich

entweder direkt auf Bernhard von Utrecht zurück oder teilt sich mit diesem

die gleiche Quelle; 57 im Folgenden seien nur einige Beispiele angeführt.

Wenige Jahrzehnte nach Bernhard von Utrecht nahm der oben bereits erwähnte

Sigebert von Gembloux die ecloga in sein Werk De scriptoribus ecclesiasticis

auf; bei weitgehend identischer Formulierung bietet Sigebert neben den bei

Bernhard zu findenden biographischen Informationen den Hinweis, Theodulus

müsse als dei servus verstanden werden. 58 Diese Feststellung findet sich in der

ersten Hälfte des 12. Jh. auch bei Konrad von Hirsau in seinem dialogus super

auctores, der ansonsten ebenfalls das bei Bernhard und Sigebert zu findende

Material verarbeitet. 59 Die wenigen Informationen, die Honorius von Autun in

seiner wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jh. verfaßten Zusammenstellung

christlicher Autoren De luminaribus ecclesiae zu Theodulus liefert, fügen sich

ebenso in die Überlieferung ein. Der um 1170 entstandene Katalog des Anonymus

Mellicensis wiederholt den Text Bernhards praktisch wortgenau, Hugo von

Trimberg hingegen bietet im 13. Jh. einen Teil der biographischen Informationen

in Versform, bleibt inhaltlich aber gleichfalls im Rahmen der bisherigen

Tradition. 60

55 Zuerst bemerkt von Beck 1836, 9.

56 Cf. Frey 1904, 9: „Wir kommen damit zu dem Ergebnis, daß wir über das Leben des Dichters

nichts wissen“.

57 Beck 1836, 8-13 hat sich für seine Untersuchung der vita des Theodulus auf die Informationen

des Sigebert von Gembloux gestützt, da ihm der Kommentar des Bernhard von Utrecht

nicht vorlag; cf. auch Frey 1904, 7-8.

58 De scriptoribus 134 (PL 160.576-577).

59 Dialogus p. 44S, cf. Scheps 1889, 43 n. 19.

60 Registrum 456L-459L (524H-527H), cf. Langosch 1942, 230 und Huemer 1888, 150; nicht

zuletzt im Rahmen der ecloga-Kommentierung fand diese Tradition im Mittelalter weite

Verbreitung; cf. etwa aus dem ecloga-Kommentar des bereits erwähnten Alexander of Neck-

14


Daneben scheinen auch andere Informationen über den Verfasser der ecloga

kursiert zu haben; ein Vermerk in einer Handschrift der Bibliotheca

Amploniana, auf den Max Manitius zuerst hingewiesen hat, 61 schreibt einen

Kommentar zur vita Mariae Aegyptiacae 62 sowohl einem Bischof Johannes von

Athen als auch einem anonymen Mönch zu; aus der Feder des Bischofs Johannes

sei auch die ecloga. 63 Mit diesem Überlieferungsstrang hängen vermutlich

die Informationen zusammen, die sich im 15. Jh. im Liber de scriptoribus ecclesiasticis

des Johannes Trithemius finden. Demnach hatte sich der Verfasser der

ecloga von Italien nicht etwa nach Griechenland, sondern nach Syrien begeben,

wo er zunächst zum Priester und dann zum Bischof geweiht wurde. Johannes

Trithemius ging offenbar von einem umfangreicheren literarischen Schaffen des

Theodulus aus; neben der ecloga führte er ein weiteres Werk De consonantia

scripturarum an, von dem ihm aber nur mehr der Titel vorlag.

In der Neuzeit ist die Frage nach der Autorschaft der ecloga eng mit dem

Problem der Datierung des Werkes verknüpft worden. Die ältere Forschung war

dabei noch stark von der biographischen Tradition des Mittelalters beeinflußt;

eindrücklich zeigt dies etwa Christian Gottlieb Jöcher, der in seinem Allgemeinen

Gelehrten-Lexikon Theodulus einerseits auf das Ende des 10. Jh. datierte,

andererseits noch von einer italischen Herkunft sowie einem Besuch in Athen

ausging. 64 Noch bis zur Datierung von Gustav Bauch am Ende des 19. Jh.

scheint diese Tradition wirksam gewesen zu sein. 65

In jüngerer Zeit hat die Forschung stärker formale Aspekte des Werkes in

den Mittelpunkt gerückt, wobei eine Analyse der metrischen Gestaltung der ecloga

im Vordergrund stand. Diese zeichnet sich zum einen durch die ausschließliche

Verwendung leoninischer Hexameter aus, wobei sich der Reim nahezu

durchgängig auf der dritten Hebung des Verses findet; Ausnahmen bilden lediglich

v. 20, 66 der den Reim auf der vierten Hebung aufweist, sowie v. 285, in dem

der Reim auf der zweiten und vierten Hebung zu finden ist. 67 Neben der ausham:

auctor iste primum in Italia studuit, deinde vero in Graecia apud Athenas (zitiert nach

Beck, 1836, 6)

61 Cf. Manitius 1906, 234.

62 Zum Problem der Autorenschaft der vita Mariae Aegyptiacae cf. Degórski 2001, 67.

63 Schum 1887, 672.

64 Cf. Osternacher 1902, 10, der die Bemerkungen Jöchers auf die mittelalterliche Kommentartradition

zurückgeführt hat.

65 Cf. Bauch 1899, 33

66 Illa refert: „Nec dicta movent nec præmia mulcent“.

67 Prata virent, silvae frondent, nunc omnia rident; der Vers findet sich in dieser Gestalt (in

der er mit Meyer 1905, 86 zu den sog. Trinini Salientes zu zählen ist) im ältesten Überlieferungsträger

sowie einigen anderen Handschriften und wurde so von Osternacher in den Text

übernommen. Die Mehrzahl der Handschriften weist Alternativen auf, bei denen der Reim auf

der dritten Hebung liegt; cf. Osternacher 1902, 50. Karl Strecker hat über diesen Vers geurteilt:

„Dieser Vers genügt für mein Gefühl, um den Dichter einer jüngeren Zeit zuzuweisen“

(Strecker 1924, 20 n. 1); angesichts der mit v. 285 verbundenen textkritischen Probleme wird

man eine derartige Einschätzung mit Vorsicht aufnehmen.

15


schließlichen Verwendung des leoninischen Hexameters ist die ecloga auch

durch eine strenge Elisions- und Hiatvermeidung gekennzeichnet; 68 auch einund

fünfsilbige Wörter am Versende finden sich nur in äußerst geringer Zahl. 69

Aufbauend auf diesem Befund ist die ecloga von ihrem letzten Herausgeber,

Johannes Osternacher, unter andere, ganz oder teilweise in leoninischen

Hexametern verfaßte Werke des 9. Jh. eingereiht worden, 70 ohne daß Osternacher

allerdings eine konkrete Identifizierung des Autors vornahm. Paul Winterfeld

datierte die ecloga dann ebenfalls in das 9. Jh., wobei er ihren Verfasser mit

dem mit Walahfrid Strabo befreundeten Theologen Gottschalk von Orbais identifizierte,

71 der als Pseudonym seinen Namen latinisiert habe. Winterfeld hielt

die ecloga für eine typischen Vertreterin der karolingischen Ekloge, deren Blütezeit

er für das 9. Jh. ansetzte, 72 und betonte dabei den Charakter der ecloga als

Streitgedicht. Der Datierung- und Identifizierungsvorschlag von Winterfeld hat

zunächst breite Zustimmung erfahren; auch Osternacher war spätestens 1911

davon überzeugt, es handele sich beim Autor der ecloga um Gottschalk von Orbais,

wie eine handschriftliche Widmung eines in der Harvard University Library

befindlichen Exemplars seiner Ausgabe belegt.

Der Datierung Winterfelds hat Karl Strecker deutlich widersprochen.

Nach einer ausführlichen Untersuchung der Entwicklung des leoninischen Hexameters

kam Strecker zu dem Ergebnis, daß in diesem zunächst ein Reim auf

der zweiten oder vierten Hebung ebenso möglich war wie auf der dritten, ehe

sich die letztere Form schließlich ab dem 11. Jh. durchzusetzen begann 73 – in

eben dieser Form ist die ecloga gehalten. 74 Auch die Vermeidung von Elision

und Hiat ist von Strecker als wichtiger Indikator für eine Datierung nicht vor

dem 10. Jh. gewertet worden. 75 Daneben hat Strecker die von Winterfeld vorgeschlagene

Identifizierung des Dichters der ecloga mit Gottschalk von Orbais

einer eingehenden Prüfung unterzogen und kam zu dem Ergebnis, daß sich die

ecloga nicht etwa in das Werk des Gottschalk einfügen läßt, sondern vielmehr

deutlich von diesem unterscheidet und mindestens in das 10. Jh. zu datieren ist. 76

Insgesamt muß die Diskussion um die Autorenschaft und Datierung der

ecloga als noch nicht abgeschlossen angesehen werden. 77 Mit einiger Sicherheit

68 Zur Bedeutung von Elisionsvermeidung bei Datierungsversuchen cf. Traube 1885, 382, der

diese für die nachkarolingische Zeit als „allgemeine Poenitenz“ bezeichnet.

69 Strecker 1924, 22.

70 Osternacher 1902, 11-12.

71 Winterfeld 1905, 71.

72 Winterfeld 1905, 70.

73 Strecker 1922, 215.

74 Für sich alleine genommen besitzt dieser Umstand allerdings wenig Wert für die Frage

nach der Datierung, wie Strecker 1924, 21 selbst bemerkt.

75 Strecker 1922, 22.

76 Strecker 1922, 23.

77 Seit den Bemühungen Osternachers, Winterfelds und Streckers ist der Autor der ecloga

verschiedentlich in das 9., 10. und 11. Jh. datiert worden; für eine Zusammenfassung cf.

Quinn 1971, 384-385, inbesondere n. 5; zuletzt haben Casaretto 1997, xx-xxx und Herren

2007, 199-200 das Problem mit einiger Ausführlichkeit behandelt.

16


läßt sich lediglich als terminus ante quem das Entstehungsdatum des ältesten

Überlieferungsträgers, des Codex Etonensis, festhalten. Freilich verlagert sich

dadurch das Problem lediglich – denn für den Codex Etonensis sind verschiedentlich

das 9., 10. und 11. Jh. vorgeschlagen worden; dabei hat sich Osternacher

nachdrücklich für das 10. Jh. ausgesprochen, 78 Strecker hingegen eine Datierung

bereits in das 10. Jh. für wenig wahrscheinlich gehalten. 79 Eine eingehende

Untersuchung des Codex in Verbindung mit der Frage, wie groß dessen

Distanz zum Urtext gewesen sein könnte, muß den Ausgangspunkt künftiger

Datierungsversuche bilden. Spätestens in der Mitte des 11. Jh. dürfte der Text

bereits eine gewisse Verbreitung erfahren haben, da in der zweiten Hälfte dieses

Jhs. mit Bernhard von Utrecht die Kommentierung der ecloga einsetzt.

I.3. Überlieferungs– und Editionsgeschichte der ecloga

Angesichts der eingangs geschilderten Bedeutung, die der ecloga im Unterrichtsbetrieb

des Mittelalters zukam, ist es wenig verwunderlich, daß der Text in

zahlreichen Handschriften überlebte. Stützte sich August Emil Alfred Beck im

Jahr 1836 bei seiner Ausgabe noch auf eine Auswahl von elf Codices aus einer

ihm bekannten Gesamtzahl von 15 Handschriften, 80 konnte Johannes Osternacher

für den von ihm im Jahr 1902 vorgelegten Text bereits 24 Handschriften

zugrunde legen; insgesamt waren ihm zu diesem Zeitpunkt 121 Codices bekannt.

81 Etwas mehr als ein Jahrzehnt später war die Gesamtzahl der Osternacher

bekannten Handschriften bereits auf 176 angewachsen. 82 Von diesen lassen

sich – soweit dies möglich ist – fünf in das 10. und 11. Jh. datieren, 15 in das 12.

Jh., 45 können dem 13. Jh., 44 dem 14. Jh. zugeordnet werden; mit insgesamt 61

Texten ist die größte Zahl an Abschriften in das 15 Jh. zu datieren, zwei weitere

Handschriften sind schließlich dem 16. Jh. zuzuordnen. 83 Die große Zahl der

Abschriften seit dem 13. Jh. belegt dabei eine ungebrochene Popularität der ecloga

vom Hochmittelalter bis zum Einsetzen des Buchdrucks. Die Mehrzahl der

späteren Handschriften hat für die Gestaltung des Textes allerdings nur geringe

Bedeutung. Insgesamt darf man annehmen, daß die Zahl der im Mittelalter kursierenden

Abschriften der ecloga noch deutlich über den von Osternacher identifizierten

176 Handschriften lag – die ecloga war nicht nur ein häufig kommentierter

Text, sondern offenkundig auch ein weit verbreiteter; 84 dabei zeigt sich

78 Osternacher 1902, 15.

79 Strecker 1924, 20.

80 Beck 1836, 18-22; cf. auch Osternacher 1916, 354-355.

81 Osternacher 1902, 13-14.

82 Diese Gesamtzahl enthält auch Abschriften mittelalterlicher Kommentare zu der ecloga, die

zwar keinen separaten Text enthalten, aus denen der zugrundeliegende Text aber sicher rekonstruiert

werden kann; cf. Osternacher 1916, 356 n. 2.

83 Für eine Übersicht über die Handschriften cf. Osternacher 1916, 356-374.

84 Osternacher 1916, 356 mit n. 1.

17


bei der Verteilung der erhaltenen Handschriften ein gewisser Schwerpunkt nördlich

der Alpen. 85

Aus der Masse der heute noch erhaltenen Handschriften ragt der bereits

erwähnte Codex Etonensis als ältester und zugleich wichtigster Überlieferungsträger

heraus. 86 Der insgesamt 81 Blatt umfassende Codex bietet neben der ecloga

auch carmina eines Anonymus, die dem Cornelius Gallus zugeschrieben

wurden, ferner die Achilleis des Statius, Abschriften der Remedia amoris und

der Heroides Ovids sowie eine lateinische Version der Phaenomena Arats. Die

ecloga eröffnet die Handschrift, aufgrund einer Beschädigung enthält sie allerdings

nur die Verse 23-344.

Die große Beliebtheit und weite Verbreitung der ecloga fand im ausgehenden

15. und beginnenden 16. Jh. zunächst eine nahtlose Fortsetzung. Zwischen

der im Jahr 1481 erschienen editio princeps, deren Existenz von Osternacher

nachgewiesen, die aber zu seinen Lebzeiten nicht mehr greifbar war, 87 und

dem Ende des 16. Jh. erschienen nicht weniger als 87 Ausgaben. 88 Diese enthielten

teilweise nur die ecloga, teilweise boten sie daneben auch andere, in den

Kontext des mittelalterlichen Schulbetriebs gehörige Texte, insbesondere die

Sammlung der sogenannten auctores octo, eines Corpus von Schultexten, das

sich im 10. Jh. zu verfestigen begann. 89 Die intensive editorische Tätigkeit sowie

deren spürbares Nachlassen in der zweiten Hälfte des 16. Jh. wird deutlich aus

folgender Übersicht über die datierbaren Ausgaben aus der Zeit zwischen 1481

und 1600:

30

25

25

20

15

10

5

0

9

1481-

1490

1491-

1500

15

1501-

1510

7

1511-

1520

2

1521-

1530

5

1531-

1540

1

1541-

1550

0 0

1551-

1560

1561-

1570

1

1571-

1580

0 0

1581-

1590

1591-

1600

Datierbare Editionen der ecloga zwischen 1481 und 1600

85 Osternacher 1916, 355.

86 Osternacher 1902, 15 mit n. 4; für eine ausführliche Beschreibung cf. Sedlmayer 1878, 5-6;

cf. daneben Boas 1914, 44; eine Abbildung eines einzelnen Blattes im Anhang von Osternacher

1902.

87 Osternacher 1916, 333 mit n. 1.

88 Eine Auflistung bei Osternacher 1916, 333-352; wie Osternacher selbst p. 352 bemerkt, ist

die Liste nicht vollständig.

89 Zu den auctores octo cf. Boas 1914, insbesondere 45-46.

18


Mit dem beginnenden 17. Jh. schwand nahezu jegliches Interesse an der ecloga.

Abgesehen von der Aufnahme in das Manuale Biblicum des Johannes

Muntzenberg, das nach seiner Drucklegung 1610 noch zweimal in den Jahren

1618 und 1620 nachgedruckt wurde, 90 fand das Werk keinen Herausgeber mehr

und geriet schnell in Vergessenheit. Erst mehr als 150 Jahre später erschien mit

der Ausgabe von Johann Gottlob Schwabe eine erste kritische Ausgabe, die sich

auf drei Handschriften stützte und die, wie August Beck in der Einleitung zu

seiner 1836 als Marburger Dissertation erschienenen Ausgabe pointiert feststellte,

91 die ecloga wieder stärker in das Interesse der Forschung rückte. Die Becksche

Ausgabe stützte sich zwar erstmalig auf eine größere Zahl von insgesamt

15 Handschriften, doch weder der älteren Ausgabe Schwabes noch der Ausgabe

Becks gelang es, die ecloga auch nur einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit

bekannt zu machen. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jh. fanden sich

in einschlägigen Handbüchern keine verläßlichen Informationen, was Hans

Vollmer bereits 1904 beklagte:

„Jedermann wird … den Eindruck erhalten, als handle es sich um ein

verschollenes Buch, über dessen Inhalt man nur auf spärliche Ueberlieferung

und unsichere Vermutungen angewiesen sei.“ 92

Der bis heute maßgebliche Text wurde schließlich 1902 von Johannes

Osternacher, der am bischöflichen Gymnasium Petrinum in Urfahr unterrichtete,

vorgelegt. 93 In den folgenden Jahren beschäftigte sich Osternacher weiter intensiv

mit der ecloga und legte zunächst 1907 einen immer noch grundlegenden

Kommentar sowie einen nur geringfügig veränderten Text vor. 94 Danach trieb er

energisch die Arbeiten zur Erstellung einer editio maior für die MGH voran, die

als ein erstes wichtiges Zwischenergebnis eine umfangreiche Studie zu den erhaltenen

Handschriften und Textausgaben erbrachten, die 1916 veröffentlicht

wurde. 95 Osternacher konnte seine Arbeiten aber aufgrund des Ersten Weltkrieges

nicht mehr zu Ende führen; 96 zu einer neuen, auf eine noch breitere Handschriftenbasis

gestützten editio maior ist es bislang nicht gekommen. 97 Seither

90 Osternacher 1916, 352.

91 Beck 1836, 24: Huic editori sane gratiae habendae sunt, quod scriptorem in bibliothecarum

solummodo aliquot tenebris latentem in manus hominum reduxerit.

92 Vollmer 1904, 321; cf. auch Osternacher 1916, 331 n. 2.

93 Osternacher 1902; zur Vita Osternachers cf. Weißengruber 1977.

94 Osternacher 1907.

95 Osternacher 1916; seit seiner Ausgabe von 1902 war die Zahl der ihm bekannten Handschriften

von 121 auf 178, die der Ausgaben von insgesamt 54 auf 96 angestiegen.

96 Strecker 1924, 18-19.

97 Die verdienstvolle Arbeit von Green 1980 bietet zwar einen gegenüber Osternacher leicht

veränderten Text, dieser stützt sich aber im Wesentlichen nur auf eine Handschrift (Green

1980, 115); auch die wertvolle Ausgabe von Casaretto 1997 stützt sich auf den Osternacherschen

Text.

19


hat die ecloga immer wieder vereinzeltes Interesse hervorgerufen, 98 ohne allerdings

an die Bekanntheit des Textes im 16. Jh. auch nur ansatzweise anknüpfen

zu können.

Blickt man insgesamt auf die Überlieferungs- und Editionsgeschichte der

ecloga, bietet sich ein durchaus eigenartiges Bild. Zwar garantiert die weite

Verbreitung eines Textes im Mittelalter keineswegs ein entsprechendes neuzeitliches

Interesse, doch würde man von einer intensiven Editionstätigkeit im 15.

und 16. Jh. wohl nicht sofort darauf schließen, daß der betreffende Text innerhalb

eines Jahrhunderts nahezu völlig in Vergessenheit gerät. Grundsätzlich treten

hierbei zwei verschiedene Probleme auf – zum einen stellt sich die Frage

nach der Ursache für den dramatischen Abfall des Interesses an der ecloga, zum

anderen ist die große Zahl an Drucken an sich keineswegs selbstverständlich;

von diesen wurde, wie Osternacher zuerst bemerkt hat, die Mehrzahl in Frankreich

verlegt. 99 Die Antwort auf die erstgenannte Frage scheint auf der Hand zu

liegen – es dürfte sowohl zeitgeschichtlichen Entwicklungen, dabei insbesondere

dem heraufziehenden konfessionellen Konflikt in Europa, als auch einem sich

verändernden Zeitgeschmack geschuldet sein, daß die ecloga langsam in Vergessenheit

geriet. Für die große Zahl an Ausgaben des 15. und 16. Jh. ist es dagegen

um einiges schwieriger, eine plausible Erklärung zu finden. Immerhin läßt

sich mutmaßen, daß die ecloga auch noch in der Frühneuzeit eine zentrale Rolle

als Schultext gespielt haben dürfte.

I.4. Zu Text und Übersetzung der vorliegenden Ausgabe

Der vorliegenden Übersetzung liegt der unveränderte Text Osternachers aus

dem Jahr 1907 zugrunde, der wiederum nur minimale Unterschiede zu seiner

Ausgabe aus dem Jahr 1902 aufweist. 100 Ebenfalls übersetzt sind die – im vorliegenden

Text kursiv gedruckten – Verse 345-352 am Schluß des Textes; bei

diesen handelt es sich um eine spätere Anfügung, die nur in wenigen Handschriften

und dort zudem in teilweise voneinander abweichender Textgestalt

nachweisbar ist. 101 Erst Beck hat sie in seiner Ausgabe zum ersten Mal angeführt,

allerdings bereits auf die Einschätzung Gotthold Ephraim Lessings verwiesen,

102 der 1799 eine briefliche Anfrage aus Weimar bezüglich einer die ecloga

sowie diese Verse enthaltenden Handschrift beantwortete:

„Aber wer erkennet hier nicht das Gemächt eines noch spätern und

noch barbarischern Mönchs? So schlecht auch die Verse des Theodu-

98 Hervorzuheben sind neben Green 1980 und Casaretto 1997 die englischen Übersetzungen

von Pepin 1999, 25-40 sowie Herren 2007, 218-230.

99 Osternacher 1916, 352-353.

100 Osternacher 1907, 68.

101 Cf. die Kommentarnotizen von Osternacher 1902, 54 zu vv. 345-351.

102 Beck 1836, 17.

20


lus sind, so sind sie doch nicht so gar erbärmlich, als dieser abscheuliche

Schwanz.“ 103

Zwar läßt dieses hinsichtlich der ecloga nicht gerade schmeichelhafte Urteil

eine offenbar nicht geringe Abneigung gegenüber der literarischen Produktion

des lateinischen Mittelalters erkennen; Lessing muß aber dahingehend rechtgegeben

werden, daß sich die Verse durchaus vom übrigen Text unterscheiden.

So scheinen vv. 349-352 an vv. 185-188 anknüpfen zu wollen, doch geht die

Darstellung etwa der Dreifaltigkeit in den Schlußversen deutlich andere Wege;

104 ansonsten stehen letztere inhaltlich in keinem direkten Bezug zum vorherigen

Wettstreit zwischen Pseustis und Alithía. Schließlich sind sie erkennbar

ohne Gespür für die filigrane Zahlenkonstruktion der ecloga zusammengestellt

worden, die durch die Anfügung weiterer acht Verse deutlich aus dem Gleichgewicht

gerät.

103 Lachmann/Maltzahn 1855, 176-177.

104 Cf. v. 187: cui tres personae, tria nomina mit v. 351: alme Deus, triplex, ast omnipotens,

pie, simplex.

21


22


II. ecloga Theoduli – Text und Übersetzung

Pr. 1

5

10

15

19

Aethiopum terras iam fervida

torruit aestas,

In Cancro solis dum volvitur

aureus axis,

Compuleratque suas tiliae sub

amoena capellas

Natus ab Athenis pastor

cognomine Pseustis,

Pellis pantherae corpus cui

texit utrimque

Discolor et rigidas perflavit

fistula buccas

Emittens sonitum per mille

foramina vocum.

Ad fontem iuxta pascebat

oves Alithia.

Virgo decora nimis David

de semine regis,

Cuius habens citharam fluvii

percussit ad undam.

Substiterat fluvius tanta

dulcedine captus

Auscultando quasi modulantis

carmina plectri

Ipseque balantum grex

obliviscitur esum.

Non tulerat Pseustis, sed motus

felle doloris

Litoris alterius proclamat ab

aggere tutus:

«Cur, Alithia, canis rebus

stultissima mutis?

Si iuvat, ut vincas, mecum

certare potestas:

Fistula nostra tuum cedet, si

vincis, in usum;

Victa dabis citharam; legem

coeamus in aequam».

Der heiße Sommer röstete das

Äthiopierland, die goldene Sonnenachse

drehte sich im Sternzeichen

des Krebses. Ein Hirte aus

Athen mit dem Beinamen Pseustis

hatte seine Zicklein unterm lieblichen

Schatten der Linde zusammengetrieben.

Ein zweifarbiges

Leopardenfell bedeckte ihm den

Leib vorne und hinten, und seine

Flöte blähte ihm die festen Backen

auf, während sie ihren Ton aus tausend

Pfeifenlöchern klingen ließ.

Nahebei an der Quelle weidete

Alithía ihre Schafe. Sie war eine

überaus schöne Jungfrau aus dem

Geschlechte Davids; sie hatte Davids

Harfe und schlug sie am Wasser

des Flusses. Gefangen von solcher

Süßigkeit hielt der Fluß an

und lauschte dem Takt der melodisch

geschlagenen Lieder. Selbst

die Herde der blökenden Schafe

vergaß ihre Mahlzeit. Pseustis hielt

es nicht aus, getrieben von

schmerzlichem Neid rief er vom

anderen Uferdamm:

«O Alithía, warum singst du so

töricht, ohne Sinn und Zweck?

Macht dir's Freude zu siegen, so

hast du hier die Möglichkeit zum

Kampf mit mir. Siegst du, geht

meine Flöte in deinen Gebrauch;

siege ich, gibst du mir deine Harfe;

unter gleichem Recht wollen wir

uns begegnen.»

23


20

25

30

35

36

Illa refert: «Nec dicta movent

nec præmia mulcent

Me tua nunc adeo, quia vulnere

mordeor uno:

Quo res cumque cadit, testis nisi

sedulus assit,

Si victus fueris, non me

vicisse fateris.

Sed quia mutari nescit sententia

coepti,

En adaquare gregem, simul et

relevare calorem

Nostra venit Fronesis: sedeat

pro iudice nobis».

Pseustis ad hæc: «Video quod

eam sors obtulit ultro.

Huc ades, o Fronesi! Nam

sufficit hora diei,

Ut tua iam nostro postponas

seria ludo».

Tunc mater Fronesis: «Adaquato

me grege quamvis

Accelerare domum iussisset

uterque parentum

Nec dubitem poenas, si

quicquam tardo, paratas,

Laeta feram talis praesumens

gaudia litis.

Perge prior, Pseusti, quia

masculus; illa sequaci

Aequabit studio. Sit tetras in

ordine vestro.

Pitagorae numerus. Sol augeat,

obsecro, tempus.»

Jene entgegnete: «Weder bewegen

mich deine Worte noch erfreuen

mich deine Preise sehr, denn eine

Wunde frißt an mir: Wie immer

die Sache hinausgeht, sofern kein

aufmerksamer Zeuge da ist, wirst

du, falls du besiegt bist, nicht

zugeben, daß ich gesiegt habe.

Doch weil es bei dem bleiben

muß, was wir begonnen haben,

sieh da, eben kommt unsere Fronesis,

um ihre Herde zum Wasser

zu führen und Abkühlung zu

schaffen bei der Hitze: sie soll für

uns Richterin sein.»

Pseustis sagte darauf: «Ich sehe,

daß das Schicksal sie zu uns geführt

hat. Komm hierher, Fronesis!

Die Tagesstunde läßt es zu, daß du

deine Geschäfte für unseren Wettstreit

hintanstellst.»

Da sprach Fronesis: «Obwohl die

beiden Eltern mir befohlen haben,

nach dem Tränken der Herde nach

Hause zu eilen, und ich nicht daran

zweifle, daß Strafen mich erwarten,

wenn ich mich verspäte,

will ich sie heiter ertragen, weil

ich die Freuden eines solchen

Wettstreits höher schätze. Du

fängst als erster an, Pseustis, du

bist der Mann. Sie wird als zweite

mit dem gleichen Eifer antworten.

Jeder von euch hat eine Einheit

von vier Versen zur Verfügung,

gemäß den Harmonien des Pythagoras.

Und die Sonne sei nun gebeten,

stillezustehen und euch Zeit

zu schenken.»

24


1.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

37

40

Primus Cretaeis venit Saturnus

ab oris

Aurea per cunctas disponens

saecula terras;

Nullus ei genitor nec quisquam

tempore maior;

Ipso gaudet avo superum

generosa propago.

Am Anfang kam Saturn von Kretas

Küste und brachte allen Landen

das Goldene Zeitalter. Ohne

Vater und Vorfahren erfreut er die

edlen Kinder der Götter als Großvater.

ALITHIA

Incola primus homo fuit in

viridi paradiso.

Coniuge vipereum donec suadente

venenum

Hausit eo cunctis miscendo

pocula mortis:

Sentit adhuc proles, quod commisere

parentes.

ALITHÍA

Der Einwohner im grünen Paradies

war Adam, bis er auf Zuraten

der Ehefrau das Gift der Schlange

nahm und so allen Menschen den

Todesbecher mischte. Bis heute

fühlen die Nachfahren, was die

Ureltern angerichtet haben.

2.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

45

50

52

Splendorem tanti non passus

Iuppiter auri

Expulit illatis patrem

crudeliter armis:

Decolor argento mundi

successit imago

Et iam primatum dedit illi

curia divum.

ALITHIA

Exulat eiectus de sede

pia protoplastus

Ac cinis in cinerem naturae

mutat honorem.

Ne tamen aeterni temeremur

stipite pomi,

Flammeus ante fores vetat ensis

adire volentes.

Den Glanz des goldenen Zeitalters

duldete Jupiter nicht; er tat dem

Vater mit Waffen Gewalt an und

trieb ihn davon. Entfärbt zu Silber

folgte das zweite Weltalter; die

Götter hielten Hof, und Jupiter

bekam den ersten Rang.

ALITHÍA

Im Elend der Verbannung vom

Paradies lebt der Erstgeschaffene;

aus Staub und Asche wird die

Zierde der Natur wieder zu Staub

und Asche. Damit wir aber nicht

aufs neue Schaden nehmen vom

Apfel des ewigen Baums der Erkenntnis,

verbietet uns ein Flammenschwert,

daß wir dem Tor des

Paradieses nahen, so sehr wir auch

wollen.

25


3.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

53

55

Egregio Cecropi debetur

causa litandi:

Ille bovis primo rimatus

viscera ferro.

Sacra Iovi statuit, quae

posteritas celebravit;

Condidit Athenas; adiuvit

nomine Pallas.

Dem edlen Kekrops danken wir

die Ursache der Weihe-Opfer; er

erforschte als erster mit dem Messer

die Eingeweide des Stieres und

führte das Opfer für Jupiter ein,

das dann die Nachwelt feierte. Er

gründete Athen, und Pallas

schmückte diese Stadt mit ihrem

Namen.

60

ALITHIA

Immolat ante Deum Cain de

semine frugum;

Frater Abel iustus dedit acceptabile

munus

Sponte ferens agnum – talis

decet hostia Christum;

Ense cadit fratris; loquitur post

funera mortis.

ALITHÍA

Kain opferte vor Gott von seinen

Feldfrüchten, doch sein gerechter

Bruder Abel brachte eine wohlgefällige

Gabe, indem er freiwillig

ein Lamm darbot – dies Opfertier

bezeichnet ja Christus. Dann fiel

er vom Streich seines Bruders;

doch nach seinem Tod spricht er

weiter, nämlich durch sein Blut.

4.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

64

Licaon Arcas caelestes

provocat iras,

Quando suas aedes invasit

Iuppiter hospes,

Fallere temptando numen Iovis;

exuit ergo

Corpus et os hominis; saevit

lupus asper in arvis.

Lykaon, der König von Arkadien,

fordert den Zorn der Himmlischen

heraus, als Jupiter sein Haus als

Gast betritt, indem er dessen göttliches

Wesen zu täuschen versucht.

Daraufhin verliert er

menschlichen Körper und Sprache

und wütet als böser Wolf in den

Gefilden.

26


65

ALITHIA

Enoc, iustitiæ polluto cultor

in orbe,

Raptus de terra nulli

comparuit ultra,

Iudicis adventum fidens

athleta secundum;

Leviathan contra socio

praecedet Helia.

ALITHÍA

Henoch, der die Gerechtigkeit

pflegte in einer verdorbenen Welt,

wurde hinweggenommen von der

Erde und ward von keinem mehr

gesehen. Gläubig erwartet der

Held die Wiederkunft des Richters

am Ende der Zeit. Doch vorher

kommt Elias und kämpft mit ihm

gegen Leviathan.

5.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

70

Venit ab Oceano submergens

cuncta vorago,

Tellus cessit aquae, periit quod

vixerat omne;

Deucalion homines, praeter

quem nemo superstes,

Cum Pirra iactis renovavit

coniuge saxis.

Ein Schlund aus Wasser kam vom

Ozean, welcher alles verschlang

und überschwemmte. Die Erde

wich dem Wasser; alles, was gelebt

hatte, ging zugrunde. Deukalion

mit seiner Gattin Pyrrha, die

allein überlebten, warf Steine und

schuf so die Menschen neu.

75

76

ALITHIA

Ultio digna Dei fontes

disrupit abissi

Octavum Noe servans in

partibus arcae;

Amodo ne talem patiantur

saecula cladem,

Visibus humanis per nubila

panditur Iris.

ALITHÍA

Eine rächende Strafe, Gottes würdig,

brach die Brunnen des Abyssus

auf. Noah wurde als Achter in

den Räumen der Arche gerettet.

Zum Zeichen, daß zukünftige

Jahrhunderte solche Vernichtung

nicht mehr leiden müssen, spannte

sich vor den Augen der Menschen

zwischen den Wolken der Regenbogen

aus.

27


6.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

77

80

Idaeos lepores puer

exagitat Ganimedes,

Quem Iovis arreptum devexit in

aethera sursum

Armiger; ablato divum

concesserat ordo

Nomen pincernae, quod

possedit prius Hebe.

Der Knabe Ganymed jagte am

Berge Ida die Hasen, da packte ihn

Jupiters Blitzeträger, der Adler,

und trug ihn hoch in den Äther.

Dem Entführten verlieh die Götterschar

das Amt des Mundschenks,

welches Hebe zuvor besaß.

ALITHIA

Corvum perfidiae dampnant

animalia quaeque,

Nuntius inclusis quia noluit

esse salutis;

Ore columba suo ramum

viridantibus intro

Detulerat foliis, superest

Armenia testis.

ALITHÍA

Den Raben, der dem eingeschlossenen

Noah kein Rettungsbote

werden wollte, verdammen alle

Tiere wegen seiner Untreue. Die

Taube trug in ihrem Munde einen

Zweig mit grünenden Blättern zur

Arche. Ein Zeugnis ist noch vorhanden

in Armenien.

7.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

85

Surrexere viri terra

genitrice creati,

Pellere caelicolas fuit omnibus

una voluntas;

Mons cumulat montem, sed

totum Mulciber hostem

Fulmine deiectum Vulcani trusit

in antrum.

Titanen erhoben sich, von der

fruchtbaren Erde geschaffen, und

hatten alle einen Willen: die

Himmelsbewohner zu stürzen. Sie

türmen Berg auf Berg, doch Jupiter

wirft mit seinem Blitz sämtliche

Feinde hinab und stößt sie in

die Höhle des Vulcanus.

90

92

ALITHIA

Posteritas Adae summa

Babilonis in arce

Turrim construxit, quæ caelum

tangere possit.

Excitat ira Deum: confusio

fit labiorum,

Disperguntur ibi, nomen non

excidit urbi.

ALITHÍA

Adams Nachfahren errichteten auf

dem Gipfel der Burg von Babylon

einen Turm, der den Himmel berühren

sollte. Zorn ergreift Gott

den Herrn: er verwirrt ihre Sprachen,

sie zerstreuen sich in alle

Winde. Doch der Name der Stadt

bleibt bestehen.

28


8.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

93

95

Fulmina Ciclopes Iovis

imperio fabricantes

Paeone percusso morti

decrevit Apollo;

Mox deitate sua superum

spoliatus in ira

Admeti curam pecoris

suscepit agendam.

Nachdem sie seinen Sohn Paion

durchbohrt hatten, bestimmte

Apollon die auf Jupiters Geheiß

Blitz und Donnerkeil schmiedenden

Zyklopen dem Tode, wurde

doch bald darauf, dem Zorn der

anderen Götter verfallen, seiner

Gottheit beraubt und nahm Admet

die Sorge ab, das Vieh zu hüten.

100

ALITHIA

Limite iussus Abram patrio

discedere Sarram

Assumpsit sine spe sobolis sibi

concipiendae;

Tandem confectis aetate

creatur herilis

Filius et lactat, sua quam

natura gravabat.

ALITHÍA

Abraham zog aus seiner Heimat

weg nach dem Geheiß des Herrn

und nahm Sarah, sein Weib, obgleich

er keine Hoffnung sah, daß

sie ihm noch ein Kind gebären

werde. Endlich wurde den hochbetagten

Eltern ein Stammhalter mit

Namen Isaak geschenkt, und Sarah,

die unter der Last ihrer Jahre

litt, ernährte ihn an ihrer Brust.

9.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

104

Daedalus aptatis liquidum secat

aera pennis;

Filius insequitur, fragilis sed

cera liquatur

Et cadit in pelagus, gemuit sub

pondere fluctus.

Ille sui compos brumales

attigit Arctos.

Daedalus teilt die klare Luft mit

künstlich verfertigten Flügeln, sein

Sohn folgt ihm, doch das unbeständige

Wachs zerfließt, er stürzt

ins Meer, die Flut dröhnt unter

seinem Fall. Dem Daedalus indessen

glückt sein Flug, er gelangt in

die Gegenden unter dem Nordstern.

29


105

ALITHIA

Heredis forma non est

motus patriarcha,

Quin mactaret eum, nisi vox

emissa deorsum

Parcere iussisset; rapitur, qui

cornibus haeret

In dumis, aries; sequitur patrem

sua proles.

ALITHÍA

Die Schönheit seines Sohnes

konnte Stammvater Abraham

nicht hindern, ihn zu opfern, erst

eine Stimme, die von oben kam

und ihm befahl, den Isaak zu

schonen, hielt ihn auf. Ein Widder

hatte sich mit seinen Hörnern im

Gebüsch verfangen, Abraham

opferte ihn, und der Sohn folgte

seinem Vater.

10.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

110

Phillis amore gravi Demofontis

capta superbi

Mutat flebiliter rigidum pro

corpore suber;

Ille reversus eo truncum rigat

ore supino,

Occurrit foliis, ceu senserit

oscula, Phillis.

Phyllis, ergriffen von schwerer

Liebe zum hochmütigen König

Demophon, verwandelte vor Weinen

ihren Leib in eine dürre Korkeiche.

Demophon, spät zurück,

beugte sich und benetzte den dürren

Baum mit seinen Tränen. Da

wuchsen ihm Blätter entgegen, als

ob Phyllis die Küsse gefühlt hätte.

115

116

ALITHIA

In cinerem Sodomas solvens

divina potestas

Ob pactum patrui Loth parcere

cogitat uni;

Servat eum Segor, sed perfida

vertitur uxor

In salis effigiem, lambunt

animalia cautem.

ALITHÍA

Gottes Macht brannte Sodom zu

Asche, allein den Lot verschonte

er wegen des Bundes, den er mit

dessen Onkel Abraham geschlossen

hatte. Die Stadt Zoar rettete

ihn; sein Weib jedoch, die es am

Glauben fehlen ließ, wendete sich

und wurde gleich in eine Salzsäule

verwandelt. An diesem Stein

lecken die Tiere.

30


11.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

117

120

Argolicas contra bellans

acies Citharea

Titidæ manibus grave pertulerat

dea vulnus;

Deplorant socii commissa

ducis furiosi,

Nam facti volucres acuunt pro

dentibus ungues.

Als die kythereische Aphrodite

vor Troja in den Kampf eingriff

gegen die Griechen, empfing die

Göttin von der Hand des Tydeus-

Sohnes Diomedes eine schmerzhafte

Wunde. Seine Gefährten beklagten

die Tat ihres wütenden

Führers – und hatten Ursache,

denn sie wurden in Vögel verwandelt

und schärften ihre Klauen;

Zähne zum Knirschen hatten sie

nicht mehr.

ALITHIA

Congressus Domino Iacob

luctamine longo

Nervos amisit femoris, dum

cedere nescit;

Quam plagam veluti gemat

evenisse parenti,

Non comedit nervum successio

tota nepotum.

ALITHÍA

Jakob begegnete dem Herrn und

rang in langem Kampf mit ihm;

doch als er nicht aufgab, renkt'

ihm der Herr die Spannader an

seiner Hüfte aus. Um diese Lähmung

des Stammvaters zu beklagen,

essen die Kinder Israel keine

Spannader auf dem Gelenk der

Hüfte bis auf den heutigen Tag.

12.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

125

128

Ipolitus saeva perit

accusante noverca

Discerptus bigis focas

agitantibus undis.

Dampna pudicitiæ non pertulit

ira Dianæ:

Ipolitum revocat; modo nomine

Virbius extat.

Hippolytus, durch seine böswütende

Stiefmutter unkeuschen Angriffs

zu Unrecht beschuldigt,

wurde von seinem Zwiegespann,

als des Meeres Wogen seinen

Rossen Seekälber in den Weg

trieben, ums Leben gebracht. Diese

Bestrafung seiner Keuschheit

ertrug Diana nicht in ihrem Zorn.

Sie rief Hippolytus zurück ins Leben,

doch trug er nun den Namen

Virbius.

31


129

130

ALITHIA

Venditus in servum Ioseph

livore suorum

Ardentis dominae dum spernit

vota minasque,

Addictus vinclis discussit somnia

regis

Et subduntur ei totius

regna Canopi.

ALITHÍA

Joseph, durch den Neid seiner

Brüder in die Knechtschaft verkauft,

verachtete Versprechungen

wie Drohungen seiner liebeglühenden

Herrin. In Fesseln geschlagen

deutete er dem Pharao

die Träume, und der setzte ihn

über ganz Ägypten.

13.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

135

Graecorum primus vestigat

grammata Cadmus;

Postquam sevit humi dentes

septemplicis ydri

Quos necdum fato mersit

fortuna sinistro:

Ne patiantur idem, se sibilat

esse draconem.

Als erster unter den Griechen erfand

Cadmus das Schreiben.

Nachdem er eine siebenköpfige

Schlange getötet und ihre Zähne in

die Erde gesät hatte, versenkte sie

Fortuna kurze Zeit für ein böses

Geschick: um diesem zu entgehen,

zischt er, er sei eine Schlange.

140

ALITHIA

Raptus aquis Moyses magicas

everterat artes,

Omnis eum regio timuit

circumflua Nilo;

Eduxit cives, submersit

fluctibus hostes,

Memphios exitium testatur

Adhuc mare rubrum.

ALITHÍA

Moses, dem Nilwasser entrissen,

hatte die Zauberkünste Ägyptens

besiegt, und alles Land, vom Nil

umflossen, fürchtete ihn. Er führte

sein Volk aus dem Land, versenkte

den Feind in den Fluten, und

den Untergang Pharaos bezeugt

bis zum heutigen Tag das Rote

Meer.

14.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

144

Summa Iovis calidas Europae

forma medullas

Movit et in taurum deitatis

vertit amictum:

Virgine stuprata non passus

Agenoris arma

Nomen donat ei, quod habet

pars tertia mundi.

Die überragende Schönheit der

Europa erregte und bewegte Jupiters

heißes Mark, er hüllte seine

Gottheit in die Verkleidung eines

Stiers. Nachdem er die Jungfrau

geschändet hatte, verbarg er sich

vor den Waffen ihres Vaters Agenor.

Er gab Europa den Namen,

den ein Drittel der Welt trägt.

32


145

ALITHIA

Insignem vitulum conflaverat

ignis et aurum

Ex Aaron digitis; insanit

turba rebellis:

Stirps Levi postquam Domini

compescuit iram,

pontificalis ei datur infula

iure perhenni.

ALITHÍA

Aaron schuf mit den Händen aus

Gold und Feuer ein herrliches

Kalb; da raste die gottlose Menge.

Nachdem die Söhne aus dem

Stamm Levi den Zorn des Herrn

gestillt hatten, wurde ihnen auf

alle Zeit die Mitra des Priesters

verliehen.

15.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

150

Uxoris stimulos luis,

Amphiarae sacerdos,

Pectore flagrantis dum splendet

baca monilis:

Haurit te subito specus ex Acheronte

profundo;

Mactat eam tenebris orbatae

dextera prolis.

Du gehorchst dem Drängen der

Gattin, Amphiaraus, Seher und

Priester, weil an ihrer Brust der

Edelstein der prangenden Halskette

leuchtet, da verschlingt dich die

Höhle, die sich plötzlich aus der

Tiefe der Unterwelt auftut. Die

Hand deines verwaisten Sohnes

aber schlachtet die Mutter und

schickt sie ebenfalls zur Unterwelt.

155

156

ALITHIA

Fata Chorae miseri parere monent

meliori:

Accipit infernus, quem devorat

arida tellus;

Sed Deus occulte Moysen sepeliverat

ipse

Nec cuiquam hominum dedit

indagare sepulchrum.

ALITHÍA

Das Geschick des bejammernswerten

Korah und seiner Rotte

mahnt uns zu Gehorsam und Demut:

die dürre Erde verschlang

und die Hölle empfing ihn. Gott

selbst aber begrub den Moses im

Verborgenen und gestattete keinem

Menschen, sein Grab zu erfahren.

33


16.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

157

160

Ventilat oestro decoratam cornibus

Io

Iuno ferox et ei tutelam

deputat Argi:

Mugit pro verbis horrentibus

obsita saetis,

Donec in effigiem rediit

mutata priorem.

Wütend jagt Juno die zu einer gehörnten

Kuh gemachte Io mit Hilfe

einer Rinderbremse und gibt ihr

Argus zum Wächter. Nun kann sie

nicht mehr sprechen, nur noch

muhen, bedeckt mit starrenden

Borsten. Dennoch gewann sie zuletzt

ihr menschliches Äußeres

wieder.

ALITHIA

Offensus Balaam calcaribus urget

asellam;

Angelus occurrit, pecudem qui

stare coegit.

Res horrenda nimis! Laxatur

vox animalis,

Quae consuevit homo producere

verba, loquendo.

ALITHÍA

Wütend sitzt Bileam auf seiner

Eselin und gibt ihr die Sporen. Ein

Engel tritt ihm in den Weg und

zwingt das Tier zum Stehen. Ein

Wunder, erschrecklich zu hören!

Die Stimme des Tieres wird

weich, und es kann Worte sprechen

wie ein Mensch.

17.

Pseustis

PSEUSTIS

165

168

Sufficeret thalamis ut

Iuppiter Amphitrionis,

Noctis opem placidae geminavit

candida Phoebe;

Protinus Alcmena licet

indignante noverca

Editus Alcides immissos

strangulat angues.

Damit Jupiter im Schlafgemach

Amphitryons genügend Befriedigung

finde, verdoppelte der helle

Mond die Nacht, die ihn erfreute,

in ihrer Länge. Nachdem Alkmene

den Alciden Herkules gegen den

Willen der Stiefmutter Juno geboren

hatte, schickte diese ihm

Schlangen in die Wiege, doch der

Knabe erwürgte sie.

34


169

170

ALITHIA

Victrici populo ne quondam

vivida bello

Deficeret virtus Gabaon ad

prœlia, Phoebus

Imperio Iosuae stabat defixus

in arce:

Quæ sanctae fidei sint praemia,

discite cuncti.

ALITHÍA

Damit dem siegreichen Volk Israel

seine kräftige Tugend im Krieg

gegen die Gibeoniten nicht erlahme,

ließ Josua die Sonne unbewegt

am Himmel stehen. Merkt

alle, was der Lohn sein kann eines

heiligen Glaubens.

18.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

175

Alcidæ vigilem spoliavit

clava draconem;

Gerionis pompam rapit et consumpserat

ydram;

Cacus cessit ei, succumbit

ianitor Orci:

Incendit demum paelex Deianira

superbum.

Die Keule des Alciden Herkules

raubte dem Drachen die Äpfel der

Hesperiden, nahm Geryon die

Rinderherde weg und überwältigte

die Hydra. Cacus mußte ihm unterliegen,

desgleichen Cerberus,

der den Eingang zur Hölle bewacht.

Doch zuletzt steckte die

schöne Deianira den Übermütigen

mit ihrem Nessushemd in Brand.

180

ALITHIA

Samson exuviis indutus

membra leonis

Sternit mille viros, devastat

vulpibus agros,

Urbis claustra tulit, nervorum

vincula rupit:

Fraude sua tandem praecidit

Dalida crinem.

ALITHÍA

Samson, in eine Löwenhaut gekleidet,

warf tausend Männer der

Philister nieder, verwüstete die

Felder mit Hilfe von Füchsen, hob

die Stadttore aus, zerriß alle Fesseln;

dennoch schnitt ihm schließlich

die listige Dalila seine Locken

ab, die Quelle seiner Kraft.

19.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

184

Nomina mille deum vatem

defendite vestrum,

Qui colitis Ditem, qui

stelliferam regionem,

Qui partes mundi, qui stagna

sonantis abissi:

Nomina mille deum vatem

defendite vestrum.

Ihr tausendnamigen Götter, behütet

euren Dichter! Die ihr die Unterwelt

und den Sternenhimmel

beherrscht, die Erdteile und den

tönenden See des Abyssus: Ihr

tausendnamigen Götter, behütet

euren Dichter!

35


185

ALITHIA

Par idemque Deus, maiestas,

gloria, virtus,

Quod fuit, est et erit, te

collaudat, tibi servit,

Cui tres personae, tria nomina;

tu sine fine,

Tu sine principio nos vincere

falsa iubeto.

ALITHÍA

Gott, der du dir selbst gleich und

in dir einig bist, Herrlichkeit,

Kraft und Macht: was war, was ist

und was sein wird, preist dich und

muß dir dienen. In drei Personen

und drei Namen ein Gott, ohne

Ende und ohne Anfang, gebiete

uns, über das Falsche, Verkehrte

zu siegen.

20.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

190

Certavere sequi demissis frondibus

orni

Orphea per silvas modulantem

carminis odas;

Euridicen motis, qui regna

tenent Acherontis,

Condicione gravi iussit Proserpina

reddi.

Die Eschen senkten ihre Äste und

wetteiferten, Orpheus zu folgen,

als er seine Lieder durch die Wälder

ertönen ließ. Die Herrscher des

Reiches der Unterwelt wurden gerührt,

und Proserpina befahl, daß

ihm Eurydice zurückgegeben werde,

doch unter schwerer Bedingung.

195

196

ALITHIA

Ne regis corpus vexaret

praedo malignus,

Cordarum musa puer

adiuvit citharista;

Cuius erat studium pelles

tondere bidentum,

Temporis articulo successit

dextera sceptro.

ALITHÍA

Damit der böse Geist den König

Saul nicht länger quäle, half ihm

David der Knabe mit dem Klang

seiner Harfe. Der vorher eifrig

Schafe schor, hielt bald danach als

Nachfolger das Szepter in der

Hand.

36


21.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

197

200

Herbarum succos tractans

Cillenius heros

Exsortes lucis virga revocavit

ab umbris,

Arte potens tali, credas ut

cuncta fateri,

Quod natum Maiae lactavit

mamma novercae.

Merkur, in der Grotte am Berg

Cyllene geboren, verstand sich auf

Säfte der Kräuter und rief mit seinem

goldenen Stab die in die Unterwelt

gegangenen Seelen von

den Schatten zurück. Die Macht

seiner Künste war so groß: du

kannst es mit einem Wort sagen:

ihn hatte, den Sohn der Maja, seine

Stiefmutter Juno gesäugt.

ALITHIA

Omnipotens Ididae poscenti

dona Sophiae

Annuit in tantum, naturae vincat

ut usum

Praeditus ingenio decoravit

moenia templo:

Confertum gazis evertit

amor muliebris.

ALITHÍA

Der Allmächtige gewährte Salomon,

als er um das Geschenk der

Weisheit bat, die Macht, die Natur

zu beherrschen. Mit dem Geist

Gottes angetan, vollendete er den

gemauerten Tempel, doch reich an

Schätzen ließ er von Frauenliebe

sich verführen.

22.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

205

208

Cnosia cum raros quateret

Dodona racemos,

Mater larga Ceres miserata

fame pereuntes

Triptolemum mundo misit

serpente ministro,

Qui primum terrae spem

demonstravit aristae.

Weil das knossische Dodona nur

wenig Reben trug, erbarmte sich

die reiche Muttergöttin Ceres des

Hungers der Vergehenden und

sandte den Triptolemus in die

Welt, auf einem Wagen, welchen

Schlangen zogen. Der zeigte als

erster der Erde die Hoffnung, die

eine Getreideähre bringt.

37


209

210

ALITHIA

Nubes aethereas precibus

constrinxit Helias,

Gramina nulla super madidus

stillaret ut imber;

Pulsus humo patria bibit a

torrente propheta;

Suffecit pastus, quem detulit

assecla corvus.

ALITHÍA

Die Wolken des Himmels schloß

Elias mit seinen Bitten, sodaß

nicht auf das kleinste Gras ein befeuchtender

Regen noch von oben

tropfte. Seiner Heimat verwiesen

trank der Prophet aus dem Sturzbach,

und ihm mußte die Speise

genügen, die der dienstbare Rabe

brachte.

23.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

215

Gorgonis effigie mortalis

vertitur Ide,

Nam qui viderunt, lapides

quasi diriguerunt.

Bellerofon monstro cum

Palladis arte perempto

Comit equi pennas et se dimittit

in auras.

Durch den Anblick der Gorgo

wurde jeder Sterbliche verwandelt;

denn alle, die sie ansahen,

wurden zu Stein. Bellerophon,

dem Athene mit ihren Künsten

half, tötete dieses Ungeheuer,

kämmte die Fittiche des geflügelten

Rosses Pegasus und schwang

sich in die Lüfte.

220

ALITHIA

Effugium terrae Iezabel

obstruxit Heliae,

Cum distractus equis apparuit

igneus axis;

Flammea, quae venit, vatem

quadriga levavit,

Spiritus heredi geminatur

amore magistri.

ALITHÍA

Die böse Königin Jezabel ließ dem

Elias auf der Erde keine Möglichkeit

zur Flucht, da erschien ihm

ein feuriger Wagen, gezogen von

Rossen, und der Prophet fuhr auf

diesem feurigen Viergespann gen

Himmel. Durch die Liebe des Lehrers

verdoppelte sich im Nachfolger

der prophetische Geist.

38


24.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

221

Tithonum thalamis dignans

Aurora superbis

Augendo vitam mutavit

inusque cicadam;

Extinctum Troiae sepelivit

Mennona longae,

Annua cuius aves venerantur

festa frequentes.

Aurora hielt Tithonus ihres vornehmen

Schlafgemachs für würdig

und gab ihm ein Leben, so lang,

daß er gar zur Zikade wurde. Er

bestattete seinen Sohn Memnon,

der vorm langbelagerten Troja

fiel. Dessen Vögel begehen alljährlich

seinen Todestag in großer

Zahl.

225

ALITHIA

Addictus morti faciem rigat imbre

salubri

Rex Ezechias et fati

distulit horas;

Ne dubitaret item se

promeruisse salutem,

Lora sui cursus retro sol

flexit anhelus.

ALITHÍA

Den Tod vor Augen befeuchtete

der König Hiskia sein Angesicht

mit dem heilenden Regen der Tränen

und schob so sein Ende hinaus.

Damit er nicht bezweifle, Rettung

erlangt zu haben, wandte die

heiße Sonne ihren Lauf rückwärts.

25.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

230

232

Excedit laudes hominum, qui

primus agones

Instituit fieri sub vertice

montis Olimpi:

Ardua victrices obnubit

laurea crines,

Ducit pompa domum, sequitur

confusio victum.

Über allem Lob und Ruhm der

Menschen steht, der als erster die

Spiele einrichtete und unter dem

Gipfel des Berges Olymp stattfinden

ließ. Ein aufragender Lorbeerkranz

umwand das Haupthaar

des Siegers, im Triumphzug führten

sie ihn nach Hause; dem Besiegten

folgte Verwirrung und

Schande.

39


233

235

ALITHIA

Casum Iosiae deflebant

oppida Iudae:

Magedo campos fons

detestantur et arbos;

Maerent morte sua leges et

nobile Pascha,

Omnis adhuc aetas, sed

praecipue Ieremias.

ALITHÍA

Den Tod des Königs Josias beweinten

die Städte von Juda;

Quelle und Baum, wo er erschlagen

wurde, machten die Gegend

von Megiddo abscheulich. Den

Tod betrauern seine Gesetze und

das herrliche Paschafest, und alle

Folgezeit trauert bis jetzt, besonders

aber Jeremias.

26.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

240

Dum tonitrus simulat Salmon et

fulmina quassat

Lampade terrifica percurrens

Elidis arva,

In medio pontis non passus

Iuppiter hostis

Comparis arma sui deiecerat

igne minaci.

Als Salmoneus den Donner nachahmte

und Blitze schleuderte, indem

er die Fluren von Elis durchfuhr

mit schreckenverbreitenden

Fackeln, da stürzte Jupiter, der die

Waffen eines gleich starken Gegners

nicht duldete, ihn mitten auf

der Brücke mit dem schrecklichen

Feuer seines Blitzes.

244

ALITHIA

Inscius esse Deum nisi se

rex Assiriorum

Rores et pluvias septem

toleravit aristas,

Bestia factus homo: cunctis

suadetur in illo,

Discant naturae contenti

Viribus esse.

ALITHÍA

Der König der Assyrer glaubte

nicht, daß außer ihm ein Gott sei,

und mußte sieben Erntezeiten lang

Tau und Regen ertragen. Aus einem

Menschen wurde er ein Tier.

An diesem König können alle lernen:

man muß zufrieden sein mit

dem, was die Natur verleiht.

40


27.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

245

Quadrupedes Phoebi quæ cogit

causa morari?

Experientur item Phaetontis

saecula cladem.

Quid, vesper, cessas? Saturarunt

prata capellas,

Ruminat omne pecus, nescit

procedere Phoebus.

Welche Ursache zwingt das Viergespann

des Sonnengottes Phöbus

zum Anhalten? Die ganze Welt

erfährt den Fall des Phaethon und

leidet unter ihm. Wo bleibst du,

Nacht? Die Ziegen sind nun satt,

das Vieh kann nicht mehr fressen,

nur noch wiederkäuen. Doch

Phöbus steht, kommt nicht voran.

250

ALITHIA

Visibus humanis famulantur

lumina solis

Fixa tenore suo, quem prima

creavit origo.

Cur noctem revocas? Quid vis?

Me fallere temptas;

Quod te destituunt vires,

suspiria produnt.

ALITHÍA

Die Sonne dient mit ihren Strahlen

der menschlichen Sehkraft, vom

ersten Schöpfungstag an ihren Ort

fixiert. Warum rufst du die Nacht

zurück? Was willst du? Soll das

eine Versuchung sein? Deine

Kräfte verlassen dich offenbar und

bringen dich zu solchem Seufzen.

28.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

255

256

Pignoris egregii speciem metuens

violari

Acrisius seris ostruxit

limina turris:

Et iam tecta super pluviam

stillavit adulter

Virginis in gremium: Danaem

corruperat aurum.

Aus Furcht, die Unschuld seiner

wunderschönen Tochter könne

verletzt werden, verschloß Acrisius

den Eingang seines Turms mit

Riegeln. Jedoch der ehebrecherische

Jupiter ließ Regen auf das

Dach des Turmes fallen und tropfte

so selbst in der Jungfrau Schoß.

Ein Goldregen nahm Danae die

Unschuld.

41


257

260

ALITHIA

In caveam missum non attigit

ira leonum,

Quamvis passa famem, tutante

Deo Danielem,

Signatis foribus cui prandia

detulit intus

Abacuc uno transvectus

regna capillo.

ALITHÍA

An Daniel in der Löwengrube kam

die Wut der Bestien, wiewohl sie

Hunger litten, nicht heran, weil

Gott ihn schützte. Ihm brachte

Habakuk Speise, nachdem ihn

Gott am Haarschopf von Judäa

nach Babylon gebracht und ihm

die Löwengrube gezeigt hatte.

29. PSEUSTIS

Thura cremate focis, si quos

servare velitis

Fetus incolumes: iubet hoc

Latonia proles.

Ex humero Triviae dependent

spicula mille

Cum totidem nervis, Niobae

vindicta loquacis.

ALITHIA

PSEUSTIS

Verbrennt Weihrauch auf den Altären,

wenn ihr gesunde Kinder

haben wollt! So befahl Latonas

Tochter Diana. Von ihrer Schulter

hängen tausend Pfeile mit tausend

Bogensehnen, mit denen die großsprecherische

Niobe bestraft wurde.

ALITHÍA

265

268

Presbiteris flammas nec longi

temporis ætas

Nec tanti sexus potuit

restringere virtus;

Sed districta licet mortis sibi

fata videret,

Quam natura dedit legem,

Susanna subegit.

Die Flamme der Begehrlichkeit

des Alten konnte weder sein Greisentum

noch männliche Selbstbeherrschung

dämpfen. Doch ob sie

gleich ein schlimmes Schicksal

und den Tod vor Augen sah, so

überwand Susanna dennoch ihre

Schwäche, welche die Natur den

Frauen als Gesetz gegeben hat.

42


30.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

269

270

Mens robusta viri levitate

cadit muliebri:

Ypomanes tractant, gustu sua

membra cruentant.

Femina quid possit, Terei

domus aspera novit,

Scit Medea suis infesta

clade peremptis.

Der starke Sinn des Mannes fällt

durch den leichten Sinn der Frau.

Die Frauen kennen Liebeszauber

und machen ihre Glieder blutig

nach Belieben durch Mordtaten.

Wozu eine Frau fähig ist, weiß das

verfluchte Haus des Tereus zu berichten,

das weiß auch Medea, die

ihren Kindern Feindin wurde und

sie tötete.

275

ALITHIA

Aera ne foedent, isthaec

convicia cessent.

Femineas vires expavit

dux Olofernes

Insignis viduae vesano

captus amore:

Deflent Assirii, quod

crediderit mulieri.

ALITHÍA

Hör auf mit diesen widerlichen

Beispielen; du verpestest die Luft.

Ich weiß ein anderes: Holofernes,

der Feldherr, lernte weibliche Fähigkeiten

fürchten, besinnungslos

von Liebe zur wunderschönen

Witwe Judith. Danach beweinten

die Assyrer, daß er der Frau geglaubt

hatte.

31.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

280

Ardet Scilla thoros – torquebat

viscera Minos –,

Purpureo veterem spoliavit

crine parentem:

Sed contempta viro plumas

capit incita rostro,

Vexat ubique pater, curvis sonat

unguibus aer.

Scylla war krank vor Liebe zu Minos,

beraubte daher ihren alten

Vater seines roten Haares. Verschmäht

von dem geliebten Mann,

wird sie aus Zorn zu einem Vogel,

nimmt Federkleid und einen

Schnabel an. Ihr Vater verfolgt sie

überall; die Luft ertönt unter den

Schwingen.

43


281

ALITHIA

Coniugis offensum tumido sermone

tirannum

Persidis et Mediae species

commovit Edissae:

In solio Vasti meruit

captiva locari

Civibus intentam removens a

principe plagam.

ALITHÍA

Den Herrscher von Persien und

Medien, der durch die hochmütige

Sprache seiner Gattin Vasthi beleidigt

war, bewegte die Schönheit

Esthers, und so erreichte es die

Gefangene, daß sie auf den Thron

statt der Vasthi gesetzt wurde.

Dort wendete sie die Verfolgung

ab, die ihrem Volk vom Herrscher

zugedacht war.

32.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

285

Prata virent, silvae frondent,

nunc omnia rident:

Huc Elicon Musas, huc, Protheu,

mitte Napaeas;

Assint praecipue, si curant florida

Tempe,

Quos in distichii serie

complecteris, Enni.

Die Wiesen stehen grün, die Wälder

voll im Laub, und alles jauchzet,

alles lacht: sende mir, Helikon,

deine Musen, und du, Proteus,

die Nymphen. Vor allem

aber mögen mir, wenn sie wollen,

daß ich das blühende Tempe-Tal

preise, die zwölf Götter beistehen,

die du, oh Ennius, in einem Distichon

zusammenfaßt.

290

292

ALITHIA

Erroris causas finxit timor

atque voluptas:

Singula si baratro sunt, numina

singula caelo,

Si sua mundus habet, si pontus,

quid modo restet

Ni, quot membra tenes,

tot confiteare penates?

ALITHÍA

Furcht und Begierde bildeten die

Ursachen des Irrglaubens: Wenn

die einen Götter der Unterwelt angehören,

die andern dem Himmel,

wenn Erde und Meer ihre Götter

besitzen, was bleibt dir übrig, als

in jedem deiner Glieder einen eigenen

Gott zu verehren?

44


33.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

293

295

Sponte sua tauri cupiunt

ad tecta reverti:

Vesper oves cithiso, capras

depellit ab ulmo;

Ni matura redis,

lupus insidiabitur agnis.

Cede, dies, caelo, quia nescit

cedere virgo.

Von sich aus wünschen die Stiere,

in ihren Stall zurückzukehren, der

Abend kündigt sich an und trennt

die Schafe vom Ginster und die

Ziegen vom Ulmenbusch. Kehrst

du nicht zeitig heim, holt der Wolf

deine Lämmer. Weiche jetzt, lieber

Tag, denn Jungfrau Alithía

weiß sonst nicht, wann sie zu weichen

hat.

300

ALITHIA

Si vos terret, oves, lupus ad caulas

redeuntes,

Cornibus elatis illum, mea

cura, petatis,

Quem sine fraude pius paschalis

vicerat Agnus.

Fige, dies, cursum, ne perdat

virgo triumphum.

ALITHÍA

Wenn euch, ihr Schafe, auf dem

Rückweg zu den Hürden der Wolf

erschreckt, dann haltet ihm, das ist

mein Rat, eure Hörner entgegen

und greift ihn an. Denn diesen

Feind hat ja das fromme Osterlamm

besiegt; das ist gewiß. Halt

deinen Lauf an, lieber Tag, damit

die Jungfrau Alithía ihren

Triumph nicht verliert.

34.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

304

Triste mari vectis Helenae

respectus in astris,

Frugibus aerugo, serpentum

sibilus agro;

Hortos talpa fodit, digitos

urtica perurit:

Omnia quis divum voluit

confligere tantum?

Ein trauriges Vorzeichen ist für

die Seefahrer der Anblick des

Elmsfeuers unter den Sternen, die

verrostete Sichel für die Feldfrüchte,

das Zischen der Schlangen

für den dürren Acker; der

Maulwurf untergräbt das Gartenland,

die Brennessel versengt die

Finger: Wer von den Göttern wollte

wohl, daß alles so gegeneinander

kämpft?

45


305

ALITHIA

Dulce viro mulier, pratis arentibus

imber,

Mandragorae sterili, fons

agricolae sitienti:

Praecellit cunctis, animae

velamina carnis

Exuerint postquam, placari

Iudicis iram.

ALITHÍA

Süß ist die Frau für den Mann, der

Regen für die ausgedorrten Wiesen,

das Zauberkraut Alraune für

die Unfruchtbare, die Quelle für

den durstigen Landmann. Das

Schönste aber ist es, und für alle,

daß Gottes Richter-Zorn, nachdem

die Seele ihres Leibes Hülle ausgezogen

hat, besänftigt wird.

35.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

310

Quaenam caelicolas avertit

dira voluptas?

Zodiaci numquid loca maximus

ordo reliquit?

Aut stertunt omnes aut tractant

pocula Lethes.

Cede, dies, caelo, quia nescit

cedere virgo.

Welche schlimme Begierde hat die

Himmelsbewohner von mir abgewendet?

Hat die große Ordnung

die Tierkreiszeichen verlassen?

Entweder schlafen sie alle, oder

sie leeren die Becher des Vergessens.

Weiche jetzt, lieber Tag,

denn Jungfrau Alithía weiß sonst

nicht, wann sie zu weichen hat.

315

316

ALITHIA

Obtutu vigili curat

fastigia caeli,

Quicquid nutrit humus,

quicquid producit abissus,

Nec somnum novit qui Verbo

cuncta creavit.

Fige dies, cursum, ne perdat

virgo triumphum.

ALITHÍA

Wach und aufmerksam sorgt für

den Himmelsgiebel wie für die

nahrungsspendende Erde und auch

für die Tiefe des Meeres und kennt

keinen Schlummer: der Herr, der

durch sein Wort alles erschaffen

hat. Halt deinen Lauf an, lieber

Tag, damit die Jungfrau Alithía

ihren Triumph nicht verliert.

46


36.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

317

320

Dic mihi: dum tristes adiit Proserpina

sedes

Lege data matri, si vellet

nata reverti,

Gustum perfidiae quis primum

prodidit ore?

Dic et Troianum lauderis scire

secretum.

Sage mir: als Proserpina zum

düstern Thron der Unterwelt gelangte

– der Mutter Ceres wurde

ein Gesetz gegeben für den Fall,

daß die Tochter zurückkehren

wolle – wer verriet da treulos den

sofortigen Genuß des Granatapfels?

Sag mir's, und ich werde

dich loben, daß du das Geheimnis

der heidnischen Mythologie

kennst.

ALITHIA

Cum pelagus mundo subsidat,

mundus Olimpo,

In medio semper consistat

pendulus aer,

Dic: ubi terra levem caeli

supereminet axem?

Et te posse Dei tetragrammaton

annuo fari.

ALITHÍA

Da unterhalb der Erde Wasser,

unterhalb des Olymps die Erde ist

und in der Mitte immerdar die

Luft schwebt, sag mir: wo überragt

die Erde die leichtschwebende

Himmelsachse? Dann werde ich

bestätigen, daß du das Tetragramm

Gottes aussprechen kannst.

37.

PSEUSTIS

PSEUSTIS

325

328

Ista suis hodie si praevalet

artibus in me,

Dum cessit Mopso, Calcantis

more dolebo,

Fraude puellari sed non

patiar superari:

Millesies repetam, nisi subtrahat

Hesperus horam.

Wenn Alithía hier durch ihre

Künste heute gegen mich siegt,

werde ich weinen wie Kalchas, als

er Mopsos weichen mußte. Durch

Jungferntrug jedoch will ich mich

nicht besiegen lassen. Tausendmal

werde ich meine Verse wiederholen,

bis mir der Abend meine Zeit

entzieht.

47


329

330

ALITHIA

Nunc utinam Tales, falsorum

fictor, adesses!

Quatuor imprimis

evangelicae rationis

Nitar codicibus, nostrum de

virgine corpus

Ut Deus accepit, nec me labor

iste gravabit.

ALITHÍA

O daß doch der kluge Thales hier

wäre, um dir beim Täuschen beizustehen!

Ich aber werde mich auf

die vier Bücher mit der Lehre der

Evangelien stützen, die sagen, daß

Gott durch die Jungfrau unseren

Menschenkörper angenommen

hat. Und die Mühe, mit dir zu

streiten, wird mich nicht mehr bedrücken.

335

PSEUSTIS

Egregiam sobolem cui per Stilbontis

amorem

Vi superum magna sociasti –

teste Capella –,

Obsecro te, Fronesi, iubeas

reticere sorori:

Quo tendis, cedo nec me

cessisse negabo.

PSEUSTIS

Ich beschwöre dich, Fronesis, befiehl

deiner Schwester Alithía, zu

schweigen, bei der Liebe Merkurs,

dem du deine hervorragende

Tochter beigesellt hast nach dem

gewaltigen Willen der Götter, wie

Martianus Capella bezeugt. Was

auch immer du zeigen willst, ich

gebe mich geschlagen und werde

nie bestreiten, kapituliert zu haben.

340

FRONESIS

Mortales cuncti quod

contendunt adipisci

Nec, si perficiant, vitae

discrimina curant,

Ex insperato Dominus tibi

contulit ultro:

Ut cessare velis devictus

supplicat hostis.

FRONESIS

Allen Sterblichen ist es eigen, die

Gefahren des Lebens geringzuschätzen,

sofern sie nur vollenden,

was sie erreichen wollen. Du hast

es nicht erwartet, Alithía, doch der

Herr hat dir von sich aus den Sieg

gegeben. Der überwundene Feind

bittet dich, es jetzt gut sein zu

lassen.

48


341

344

Treicius vates commovit

pectine Manes,

Te moveant lacrimae; iam tollit

cornua Phoebe;

Sol petit Oceanum. frigus

succedit opacum:

Desine quod restat,

ne desperatio laedat.

Orpheus, der thrakische Sänger,

hat mit seiner Leier die Unterweltsgötter

gerührt. Laß dich von

den Tränen des Pseustis bewegen.

Schon steigt die Mondsichel empor,

die Sonne versinkt im Okeanos,

dem Dunkel folgt Kälte. Laß

jetzt beiseite, was noch ungesagt

ist, damit den Gegner nicht Verzweiflung

überfällt.

345

350

352

Tunc Alithia Deo reddens pia

carmina plectro

Hoste suo victo coepit

modulare benigno:

Alme Deus, triplex, ast

omnipotens, pie, simplex,

Qui caelum, terras, mare,

tartara rite gubernas

Quique regis cuncta propria

virtute sub una,

Erige subiectos cunctos tibi,

sterne superbos:

Cui sit laus semper, virtus, pax,

gloria perpes,

Quem decet aeternum regnum

sine fine per aevum.

Da begann Alithía, nachdem sie

den Gegner besiegt hatte, fromme

Gesänge auf ihrer angenehmen

Lyra anzustimmen: Herrschergott,

dreifaltiger, allmächtiger, frommer,

in drei Personen einer, der

du Himmel, Erde, Meer und Unterwelt

nach Gebühr regierst und

alles, was es gibt, durch deine

Kraft beherrschst, richte auf, die

sich dir unterworfen haben, und

wirf die Hochmütigen nieder;

denn bei dir ist stets Lob, Kraft,

Friede, Ruhm, und dir gebührt

dauernde Herrschaft ohne Ende in

Ewigkeit.

49


ecloga Theoduli – Darstellung von Pseustis, Alithía und Fronesis 1

1 BSB 4 Inc.c.a. 694, fol. iv; mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek

München.

50


III. Erläuterungen

Die vorliegenden Erläuterungen, denen einige wenige Bemerkungen über die

Struktur der ecloga und die Arbeitsweise des Autors vorgeschaltet sind, dienen

dem besseren Verständnis von Text und Übersetzung und fußen im Wesentlichen

auf den Arbeiten von Johannes Osternacher, Roger Green und Francesco

Mosetti Casaretto. 2 Sie erheben nicht den Anspruch, ein vollgültiger, alle inhaltlichen

Facetten der ecloga ausleuchtender Kommentar zu sein; ein solcher ist

trotz der großen Verdienste der genannten Arbeiten weiterhin ein Desiderat der

Forschung.

III.1. Aufbau und Komposition der ecloga

Die ecloga ist in einen einleitenden Teil (Vv. 1-36), den eigentlichen Hauptteil,

der einen Wettstreit zwischen dem Schäfer Pseustis und der Ziegenhirtin Alithía

zum Inhalt hat (Vv. 37-332), sowie einen Schlußteil (Vv. 332-344) gegliedert.

Dabei besteht der Hauptteil aus insgesamt 37 Paaren von Versgruppen zu je vier

Hexametern; in der vorliegenden Ausgabe sind diese Versgruppenpaare zusammengefaßt

numeriert. In 29 der insgesamt 37 Paare werden Episoden aus der

antiken Mythologie ausgewählten Erzählungen aus dem Alten Testament einander

gegenübergestellt (Nr. 1-18, 20-26, 28-31), in einem Fall findet eine antike

Episode keine biblische Entsprechung (Nr. 27); diese Anordnung ist in der Anlage

der ecloga als Sangeswettstreit begründet.

In der Vergangenheit haben sich die Interpreten nicht zuletzt für eine

sprachliche Analyse der ecloga interessiert und den Vorlagen des Autors für

einzelne Redewendungen sowohl in den heidnisch-mythologischen als auch in

den biblischen Episoden nachgespürt. 3 Dabei hat sich gezeigt, daß der Autor

über einen vergleichsweise breiten Lektürehintergrund verfügt haben muß. 4 Für

das inhaltliche Verständnis der ecloga von mindestens ebenso großer Bedeutung

ist allerdings die Frage nach der kompositorischen Vorgehensweise ihres Autors.

Eher beiläufig haben verschiedene Interpreten hier auf einen Umstand hingewiesen,

5 der bei näherer Betrachtung bis zu einem gewissen Grad überraschend

ist.

Nach den dem fiktiven Sangeswettstreit zugrunde liegenden Regeln äußert

sich Pseustis zunächst mit einer Episode in einer Gruppe von vier Hexame-

2 Osternacher 1907, Green 1982, Casaretto 1997.

3 Grundlegend hierfür neben Green 1982 ist immer noch die Similiensammlung von Osternacher

1907.

4 Green 1992, 105: „We see that, even after due allowance is made for the fortuitous, our poet

had a wide acquaintance with early Christian hexameter poetry in addition to the major

sources ... His knowledge of the pagan classics is less varied, although very thorough in the

case of Vergil and Ovid.”

5 So etwa Green 1982, 68; Herren 2007, 200.

51


tern, ehe dann Alithía darauf antwortet. 6 Diese Konstruktion würde es logisch

erscheinen lassen, daß der inhaltliche Ablauf des Wettstreites von Pseustis her

aufgebaut ist und Alithía auf die von Pseustis genannten Beispiele reagiert. Tatsächlich

ist allerdings gerade das Gegenteil der Fall – der Autor der ecloga hat

diese von den Episoden Alithías her gestaltet, deren Abfolge sich mit wenigen

Ausnahmen streng an die im Bibeltext gegebene chronologische Reihenfolge

hält. So dient in den ersten zwölf Versgruppenpaaren (Strophen 1-12) das Buch

Genesis als inhaltliche Vorlage; bis auf eine Ausnahme werden die einzelnen

Episoden in exakt der Reihenfolge wiedergegeben, in der sie im Buch Genesis

aufzufinden sind. Lediglich die Darstellung des Untergangs Sodoms fällt ein

wenig aus dem Rahmen, da sie zwischen das Opfer Abrahams und den Kampf

Jakobs mit Gott geschaltet ist, im Buch Genesis jedoch vor dem Abrahamsopfer

erzählt wird; allerdings gehört der Untergang Sodoms auch im Buch Genesis in

den unmittelbaren Kontext der Abrahamsgeschichte. 7

Während das Buch Genesis vom Autor der ecloga intensiv ausgewertet

worden ist, schöpfen die folgenden Versgruppenpaare (Strophen 13-26) aus insgesamt

acht verschiedenen Büchern. Neben den Büchern Exodus, Numeri und

Deuteronomium dienen auch die Bücher Josua, Richter, 1 Samuel, 1 Könige

sowie 2 Könige als Quelle für die von Alithía vorgetragenen Episoden. Doch

auch wenn die einzelnen Episoden innerhalb der entsprechenden Bücher deutlich

auseinander liegen, folgt die ecloga getreu der Reihenfolge der Vulgata;

lediglich die Erwähnung des Todes des Moses (Strophe 15) durchbricht diese

Ordnung, da auf diese im Buch Deuteronomium überlieferte Episode in der ecloga

die Geschichte von Bileams Esel folgt, die noch in das Buch Numeri gehört.

Der Tod des Moses bildet allerdings nicht den eigentlichen Kern des Beitrags

von Alithía in Strophe 15, sondern liefert lediglich ein positives Gegenbild

zur eigentlichen Episode, dem Ende Korahs und seiner Angehörigen. Die letzten

Versgruppenpaare schöpfen aus den Büchern Daniel, Judith und Esther; hier

wird die chronologische Folge der biblischen Vorlage erneut durchbrochen;

während in der Vulgata das Buch Daniel auf die Bücher Judith und Esther folgt,

stehen die aus ihm entnommenen Episoden in der ecloga vor denen aus den Büchern

Judith und Esther.

Dieser Bruch ist dem Umstand geschuldet, daß die ecloga inhaltlich auf

die Trias Susanna – Judith – Esther zuläuft; der eigentliche Sangeswettstreit findet

mit diesen drei Beispielen außergewöhnlicher Frauen ein Ende. Diese sind

dabei nach ihrer Bedeutung sowie nach der Rangstellung der Personen gereiht,

mit denen sie interagieren: während sich Susannas Tugend in der Auseinandersetzung

mit zwei anderen Personen zeigte, hatte Judiths Tat, die den assyrischen

Feldherrn Holofernes tötete, Auswirkungen nicht allein auf sie selbst, sondern

auf das Schicksal aller Israeliten; Esther schließlich gelang es, als Frau des persischen

Großkönigs, diesen für das jüdische Volk zu gewinnen.

6 Vv. 34-35: Perge prior, Pseusti, quia masculus; illa sequaci | Aequabit studio. Sit tetras in

ordine vestro.

7 Gen. 12-23.

52


Insgesamt zeigt sich, daß der Autor der ecloga offenbar zunächst aus dem

Alten Testament eine Abfolge einzelner Episoden hergestellt hat. Dabei schöpfte

er zu einem wesentlichen Teil aus eng aufeinanderfolgenden Kapiteln des Buches

Genesis, nutzte dann Material aus weiter auseinanderliegenden Abschnitten

der folgenden Bücher und wählte schließlich die Geschichten Susannas, Judiths

und Esthers als Höhe- und Endpunkt der Episodenfolge; die von Pseustis vorgetragenen

Beispiele aus der antik-heidnischen Mythologie sind dann den einzelnen

biblischen Episoden zugeordnet, zeigen aber keinen vergleichbar engen inneren

Zusammenhang. Die nachfolgende Übersicht stellt die Hauptquellen der

christlichen und heidnisch-mythologischen Episoden, soweit sie sich im Falle

letzterer identifizieren lassen, einander gegenüber.

Somit ermöglicht bereits die Analyse der Komposition der ecloga zwei

wichtige Feststellungen: Zum einen besitzt das Gedicht eine deutliche inhaltliche

Dimension; trotz seiner Bedeutung im Rahmen des mittelalterlichen Schulbetriebes

handelt es sich offenkundig um weit mehr als um einen reinen Schultext.

Bei dieser inhaltlichen Dimension steht nicht etwa die Tradierung einzelner

mythologischer Episoden aus der Antike im Vordergrund, wie angesichts der

Konstruktion des Sängerwettstreits vermutet werden könnte, sondern offenkundig

die Vermittlung christlicher Inhalte. Zum anderen zeigen diese eine ungewöhnliche

Schwerpunktsetzung – die Episoden beschränken sich auf das Alte

Testament und betonen die Tugendhaftigkeit einzelner biblischer Frauengestalten.

8

8 Vor diesem Hintergrund gewinnen Bemerkungen wie etwa die eingangs der Einführung

zitierte des Konrad von Hirsau, die ecloga übermittle die veritas sacrae paginae (Dialogus p.

45S) eine interessante Qualität.

53


Hauptquellen der einzelnen Episoden

Strophe 9 Pseustis Alithía 10

1 Ov. Met. 1.89-112. Gen. 2-3.

2 Ov. Met. 1.113-124. Gen. 3.

3 Isid. Chron. 16 Gen. 4.

4 Ov. Met. 1.165-243. Gen. 5.

5 Ov. Met. 1.259-415. Gen. 6-9.

6 Verg. Aen. 5.252-255. Gen. 8.

7 Ov. Met. 1.151-162. Gen. 11.

8 Serv. Aen. 6.398. Gen. 12-20.

9 Verg. Aen. 6.14-33. Gen. 22.

10 Ov. Her. 2. Gen. 19.

11 Ov. Met. 14.456-511. Gen. 32.

12

13

Verg. Aen. 7.761-780:

Ov. Fast. 6.745

Ov. Met. 3.1-130:

Met. 4.563-604.

Gen. 37-50.

Ex. 1-15.

14 Ov. Met. 2.833-875. Ex. 32-35.

15

Stat. Theb. 7.789-823;

Ov. Met. 4.407-410.

Num. 16;

Dtn 34.

16 Ov. Met. 1.582-746 Num. 22.

17 Verg. Aen. 8.288-289. Jos. 10.

9 Gemäß der Zählung der vorliegenden Ausgabe

10 Grau hinterlegt diejenigen Abschnitte, die aus der Ordnung der Vulgata herausfallen

54


18 keine Hauptquelle identifizierbar. Ri. 13-16.

20 Verg. Georg. 4.454-503. 1 Sam. 16.

21 Prud. Symm. 1.86-92.

1 Kön. 5-9;

1 Kön. 11.

22 Verg. Georg. 1.147-149. 1 Kön. 17.

23

Ov. Met. 4.604.662;

Met. 4.773-789.

1 Kön. 19;

2 Kön. 2.

24 Ov. Met. 13.600-619. 2 Kön. 20.

25 Isid. Chron. 87.

2 Kön. 23;

2 Chron. 35.

26 Verg. Aen. 6.585-594. Dan. 4

28 Prud. Symm. 1.65-68.

Dan. 2;

Dan. 14.

29 Ov. Met. 6.146-312. Dan. 13.

30

Ov. Met. 6.424-674;

Met. 7.1-450.

Jdt. 10-13.

31 Ov. Met. 8.1-151. Est. 2-9.

55


III.2. Erläuterungen

Vv. 1-36: Die Einleitung umreißt die Szene und stellt die beiden Kontrahenten

des anstehenden Wettstreits vor; dabei stellt sich die ecloga bereits mit

dem ersten Vers deutlich erkennbar in die antike bukolische Tradition. 11 Zuerst

tritt der Ziegenhirte Pseustis auf, dessen Name Pseustis (abgeleitet vom Griechischen

ho Pseustes, der Lügner) bereits auf die von ihm vorgetragenen Inhalte

hinweist – er trägt heidnische fabulae vor. In dem Leopardenfell, mit dem er bekleidet

ist (v. 5), hat Osternacher eine negative Charakterisierung vermutet. 12

Wahrscheinlicher ist allerdings ein weiterer Bezug auf eine antike Thematik:

Verg. Aen. 8.460 läßt Euander von Pallene ein derartiges Fell tragen 13 – als Heros,

dem die antike mythologische Überlieferung zuschrieb, das griechische

Pantheon sowie wichtige zivilisatorische Elemente wie Schrift und Kodifizierung

des Rechts nach Italien gebracht zu haben, 14 ist er im Kontext eines Wettstreites

zwischen antiker Mythologie und christlicher Heilsgeschichte zur Charakterisierung

des heidnischen Protagonisten besonders geeignet.

Dem Pseustis wird die Schäferin Alithía gegenübergestellt; 15 ihr Name

leitet sich vom Griechischen he alétheia, die Wahrheit, ab, was wie im Falle des

Pseustis auf die Inhalte im folgenden Wettstreit hinweist: Alithía ist die Vermittlerin

der Glaubenswahrheit; gleichzeitig ist damit bereits der Ausgang des Wettstreits

vorweggenommen. Bereits den mittelalterlichen Kommentatoren ist aufgefallen,

daß die Namen der beiden Kontrahenten diese charakterisieren, sie haben

dabei allerdings – wohl aufgrund unzureichender Griechischkenntnisse –

teilweise kreative Erklärungen gefunden; so geht der Name Alithía dem im 12.

Jh. verfaßten Accessus ad auctores eines Anonymus zufolge auf ein angeblich

hebräisches Wort ali (Weisheit) sowie ein griechisches Wort thia (göttlich) zurück

und bedeute göttliche Weisheit. 16

Pseustis und Alithía werden beide ein Instrument spielend vorgestellt –

Pseustis spielt mit der Flöte ein typisches Hirteninstrument (vv. 6-7), während

Alithía auf der Harfe spielt, dem Instrument Davids (v. 10), aus dessen Familie

sie stammt (v. 9); die ungewöhnliche Formulierung modulantis carmina plectri

erklärt sich dabei vermutlich aus einer verkürzten Zusammenführung verschiedener

Stellen bei Venantius Fortunatus. 17 Dabei rührt das Spiel der Alithía nicht

11 Cf. Verg. ecl. 10.67: Aethiopum uersemus ovis sub sidere Cancri mit v. 1: Aethiopum terras

iam fervida torruit aestas.

12 Osternacher 1907, 19.

13 Verg. Aen. 460: demissa ab laeua pantherae terga retorquens.

14 Dion. Hal. 1.31.1-3 und 1.33.4.

15 Diese Gegenüberstellung scheint auch einige Verse bei Chaucer inspiriert zu haben, cf.

Holthausen 1894, 264; für weitere Parallelen cf. Holthausen 1894, 265-266.

16 Huygens 1970, 27: introducuntur hic duae personae, Pseustis et Alithia, quibus haec nomina

bene conveniunt: Pseustis enim stans in falsitate et Alithia veritas dei interpretatur: ali

hebreo sermone veritas, thia deus dicitur.

17 Cf. etwa Venant. Fortun. carm. 2.9.3-4: iam dudum obliti desueto carmine plectri | cogitis

antequam renovare lyram und carm. 2.9.19: carmine Davitico divina poemata pangens.

56


nur ihre Schafherde, sondern veranlaßt auch Pseustis, sie zu einem Wettstreit

herauszufordern, dessen Sieger das Instrument des jeweils anderen gewinnen

soll. Da Alithía Zweifel an der Aufrichtigkeit des Pseustis äußert (v. 23-24),

wird die dritte auftretende Person, Fronesis, zur Schiedsrichterin bestimmt (v.

26); auch hier deutet der Name Fronesis, der von Griechisch he phronesis (Vernunft)

abgeleitet ist, auf Funktion und Verhalten der Person im Rahmen des

Wettstreits. Mit dieser Grundkonstellation – einem Wettstreit, den ein Schiedsrichter

überwacht – knüpft die ecloga eng an die dritte Ekloge Vergils an, in der

Damoetas und Menalcas miteinander streiten, während Palaemon als Schiedsrichter

fungiert. 18 Der von Alithía geäußerte Zweifel, Pseustis könne seine Niederlage

unter Umständen nicht eingestehen, wird in v. 336 schließlich aufgehoben;

mit dem dort auf den ersten Blick merkwürdig anmutenden Hinweis teste

Capella gesteht Pseustis dort Alithía den Sieg zu. Den Verweis auf Martianus

Capella erklärt unter anderem die Gestalt der Fronesis, die bereits am Anfang

mit dem Epitheton mater versehen wird (v. 30), das sich auch bei Martianus Capella

findet. 19

Vv. 37-40: Pseustis beginnt seine Darstellung heidnischer Mythologie mit

dem goldenen Zeitalter unter der Herrschaft Saturns. Ausführlich behandelt dieses

etwa Ovid in seinen Metamorphosen, 20 als direkte Vorlage dürfte dem Autor

der ecloga allerdings das Ende des zweiten Buchs der vergilischen Georgica

gedient haben. 21 Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, daß Pseustis

keinen fulminanteren Auftakt für seinen Wettstreit wählt; die Erklärung dürfte in

der Wahl des Anfangspunktes der christlichen Episodenfolge zu suchen sein, die

mit der Erschaffung des Menschen als Beginn des Sündenfalls einsetzt – dieser

hat der Autor der ecloga diejenige Epoche gegenübergestellt, die in der antikheidnischen

Mythologie als erste der Menschheitsgeschichte und Beginn einer

stetigen Verschlechterung der Zeitalter galt; in der zweiten Episode des Pseustis

wird der Gedanke fortgeführt.

Vv. 41-44: Auch der Einstieg der Alithía in den Sangeswettstreit ist ein

zweigliedriger. Zunächst steht der unmittelbare Sündenfall im Vordergrund, ehe

in der zweiten Episode dann das Schicksal nach der Vertreibung und die Unmöglichkeit

der Rückkehr in das Paradies betont wird; inhaltlich orientieren sich

beide Episoden an Gen. 3.

Vv. 45-48: Pseustis setzt seine Schilderung mit der Ablösung des goldenen

durch das silberne Zeitalter fort, an dessen Ende Jupiter als oberster der Götter

feststeht. Zwar gehen die Formulierungen hier stärker eigene Wege, doch

folgt der Gedankengang eng einem Vorbild aus dem ersten Buch der Metamorphosen

Ovids. 22

18 Verg. ecl. 3.50-51.

19 Mart Cap. De nuptiis 2.114.

20 Ov. Met. 1.89-112.

21 Verg. Georg. 2.538: aureus hanc vitam in terris Saturnus agebat, cf. v. 37-38: Primus Cretaeis

venit Saturnus ab oris | Aurea per cunctas disponens saecula terras.

22 Ov. Met. 1.113-115: Postquam Saturno tenebrosa in Tartara misso | Sub Iove mundus erat,

subiit argentea proles, | Auro deterior, fulvo pretiosior aere.

57


Vv. 49-52: Alithía antwortet mit einem Verweis auf das Schicksal Adams

nach der Vertreibung aus dem Paradies; der ungewöhnliche Ausdruck protoplastus

(Erstgeschaffener) läßt sich bis zum spätantiken Dichter Commodianus

und seinem Werk instructiones adversus gentium deos zurückverfolgen; seither

gehört er zum terminologischen Bestand christlicher Epik. 23

Vv. 53-56: Mit Kekrops wendet sich Pseustis der Begründung menschlicher

Zivilisation zu; er galt der Antike als einer der ersten König Athens; seine

Wahl als Beispiel ist sicher der Verortung des Wettstreites vor Athen geschuldet.

Über Kekrops ist eine breite, nicht immer einheitliche antike Überlieferung

erhalten; unter anderem werden ihm die Begründung der zentralen Kulte

Athens, die Einführung des Alphabets und die Einrichtung der Opferpraxis zugeschrieben,

auf die sich der Autor der ecloga hier konzentriert. Als Vorlage

dient hier offenbar ein Kapitel aus dem Chronicon des Isidor. 24

Vv. 57-60: Auf den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies läßt

Alithía, der Ordnung der Vulgata folgend, die Geschichte von Kain und Abel

folgen. Der Autor der ecloga schreibt hier im Wesentlichen Gen. 4.1-15 aus; bei

dem auf den ersten Blick schwer verständlichen loquitur in v. 60 handelt es sich

um eine sehr nahe Übernahme aus Hebr. 11.4. 25

Vv. 61-64: Dem Kainsfrevel ordnet der Autor der ecloga die in der Antike

populäre Geschichte von Lykaon, dem ersten König Arkadiens, zu; dabei stützt

er sich auf die in den Metamorphosen Ovids vorliegende Überlieferung. 26 Danach

hatte Lykaon dem ihn inkognito besuchenden Jupiter Menschenfleisch serviert,

um die göttliche Natur seines Gastes zu prüfen, woraufhin dieser schließlich

Lykaon in einen Wolf verwandelte. 27 Wie im Falle Kains hat auch der Frevel

des Lykaon eine über die eigentliche Tat hinausgehende Folgewirkung, da

Jupiter, von der Schlechtigkeit der Menschen angewidert, beschließt, sie durch

die deukalionische Flut zu vernichten. In der Darstellung Ovids besteht ein unmittelbarer

kausaler wie chronologischer Zusammenhang mit der Flut, was erklärt,

warum die nächste von Pseustis aufgegriffene Geschichte eben die von der

Flut Deukalions ist.

Vv. 65-68: Mit der Entrückung des Henoch schreitet Alithía weiter in der

Ordnung der Kapitel der Genesis voran; Hauptquelle ist hier Gen. 5. Die Anfügung

des Elia als socius des Henoch im Kampf gegen Leviathan entspringt offenbar

einer im Frühmittelalter gängigen Interpretation von Offb. 11.3. 28

23 Cf. Osternacher 1907, 22.

24 Isid. Chron. 16.

25 Hebr. 11.4: Fide plurimam hostiam Abel, quam Cain, obtulit Deo, per quam testimonium

consecutus est esse iustus, testimonium perhibente muneribus eius Deo, et per illam defunctus

adhuc loquitur.

26 Ov. Met. 1.165-243.

27 Ovid läßt Lykaon eine molossische Geisel töten (Ov. Met. 1, 226-227), andere Überlieferung

nennt den Enkel des Lykaon, Arkas.

28 Cf. Green 1982, 70.

58


Vv. 69-72: Die Deukalion-Geschichte, für die wieder Ovids Metamorphosen

als Quelle dienen, 29 folgt logisch auf die vorausgehende Lykaon-Episode. In

einer großen Flut ließ Jupiter alle Menschen ertrinken; nach einigen Tagen landeten

die einzigen Überlebenden, Deukalion und seine Gattin Pyrrha, dann auf

dem Parnassus. Dort wandten sie sich an die Göttin Themis und baten um Hilfe.

Diese antwortete mit einem Orakelspruch, wonach Deukalion und Pyrrha die

Gebeine ihrer Mutter hinter sich werfen sollten; aus diesen würden dann neue

Menschen entstehen. Deukalion erkannte die Bedeutung des Orakelspruches –

mit der Mutter war die Mutter Erde gemeint, unter ihren Gebeinen waren Steine

zu verstehen. Die von Deukalion geworfenen Steine verwandelten sich in Männer,

aus den Steinen hingegen, die Pyrrha hinter sich warf, wurden Frauen.

Vv. 73-76: Die Geschichte von Noah und der Sintflut erstreckt sich in der

Genesis über vier Kapitel; den Hinweis, Noah sei als achter gerettet worden, hat

der Autor der ecloga aus 2 Petr. 2.5 entnommen.

Vv. 77-80: Über Ganymed unterrichtet bereits die Ilias; der Autor der ecloga

folgt vermutlich einer Version der Aeneis des Vergil. 30 Demnach galt der

junge Ganymed als Schönster unter den Menschen, den Jupiter am Berg Ida in

der Gestalt eines Adlers entführte und im Olymp zum Mundschenk machte; seine

Vorgängerin Hebe, die Tochter von Jupiter und Hera, heiratete Herkules.

Vv. 81-84: Hier zeigt sich deutlich die Arbeitsweise des Autors der ecloga

– als Antwort auf die Episode des Pseustis scheint sich die Geschichte auf

den ersten Blick nicht aufzudrängen, eine Verwandlung beinhaltet sie nicht. Die

Geschichte vom Raben und der Taube setzt aber stattdessen die begonnene Noahgeschichte

nahtlos fort. Inhaltlich fußt die Episode im Wesentlichen auf Gen.

8.8-9; der Hinweis in v. 84, ein Zeugnis der Ereignisse – die Arche – sei immer

noch in Armenien zu sehen, entstammt aber offenkundig einer jüngeren Tradition.

31

Vv. 85-88: Mit der Gigantomachie, bei der sich der Autor der ecloga wieder

an Ovids Metamorphosen orientiert, 32 springt Pseustis vor die Geschichte

vom Arkaderkönig Lykaon zurück. Ovid zufolge hätten sich die Giganten, Söhne

von Gaia und Uranos, erhoben, um den Olymp zu stürmen, seien aber von

Jupiter zurückgeschlagen worden. Die Hilfe des Herakles und die jeweiligen

Schicksale der einzelnen Giganten nennt Ovid nicht, und so fehlen sie auch in

der ecloga.

Vv. 89-92: Die Erzählung vom Turmbau zu Babel folgt eng dem biblischen

Vorbild in Gen. 11.1-9. Der schwer verständlichen Formulierung nomen

non excidit urbem scheint ein Mißverständnis zugrunde zu liegen – laut Gen.

11.9 erhielt die Stadt ihren Namen als Folge der babylonischen Verwirrung, der

29 Ov. Met. 1.259-415; Verg. Georg. 1.62-63, Buk. 6.41.

30 Verg. Aen. 5.252-255; Hor. Carm 4.4.1-4.

31 Cf. etwa J. AJ 1.3.5.

32 Ov. Met. 1.151sqq.

59


Autor der ecloga scheint davon auszugehen, daß die Stadt bereits vor der Verwirrung

so hieß. 33

Vv. 93-96: In starker Verkürzung bietet Pseustis die in der Antike beliebte

Geschichte von Apollon und seinem Strafdienst beim thessalischen König Admetus.

Apollon hatte aus Rache für die Tötung seines Sohnes Asclepius – für

den hier der unter anderem in Verg. Aen. 7.769 belegten Beinamen Paeon verwandt

wird – durch einen von Jupiter geschleuderten Blitz die Kyklopen getötet,

die die tödliche Waffe für Jupiter geschmiedet hatten. Zur Strafe mußte Apollon

ein Jahr lang als Hirte dienen; während dieser Zeit half er dem Admetus bei seinem

Werben um seine künftige Frau Alcestis. In der vorliegenden Form schöpft

der Autor der ecloga die Geschichte wohl aus dem Aeneiskommentar des Servius.

34

Vv. 97-100: Mit Abrahams Berufung und Wanderung beginnt eine Reihe

von Episoden über die Erzväter; in der ersten werden die Ereignisse der Kapitel

bis zur Geburt des Isaak zusammengefaßt. 35

Vv. 101-104: Ebenso wie die Geschichte von Apollons Hirtendienst bei

Admet erfreute sich auch die Geschichte des athenischen Handwerkers Daedalus

in der Antike großer Beliebtheit. Dieser hatte seinen Neffen Talos aus Neid auf

dessen Erfindungen erschlagen und war nach Kreta an den Hof des Minos geflohen,

für den er das Labyrinth baute. Dort sperrte ihn Minos ein, nachdem er

Ariadne ein Wollknäuel gegeben hatte, mit Hilfe dessen sie es dem Theseus ermöglichte,

aus dem Labyrinth wieder herauszufinden. In Gefangenschaft fertigte

Daedalus für seinen Sohn Ikaros und sich selbst Flügel, mit denen ihnen die

Flucht aus dem Labyrinth gelang. Ikaros kam dabei jedoch der Sonne zu nahe,

woraufhin das Wachs, das die Flügel zusammenhielt, schmolz; Ikaros stürzte ins

Meer und ertrank. Die antike Überlieferung läßt Daedalus mehrheitlich nach Sizilien

fliehen, wo er weitere bedeutende Bauten errichtete. Die ecloga folgt hingegen

der Aeneis Vergils, in der Daedalus nach Kyme kam, wo er einen großen

Apollontempel errichtete. 36 Die für sich alleine genommen schwer verständliche

Formulierung in v. 104 brumales attingit Arctos ist dabei nur die erste Hälfte der

vergilischen Wendung insuetum per iter gelidas enauit ad Arctos | Chalcidicaque

leuis tandem super astitit arce; 37 mit der Unterdrückung der Informationen

des zweiten Teils hat der Autor der ecloga die der Beschreibung des eigentlichen

Ziels – Kyme – vorausgehende allgemeine Richtungsangabe Vergils in das

Ziel der Flucht des Daedalus umgewandelt.

Vv. 105-108: Mit dem Isaaksopfer läßt der Autor der ecloga Alithía die

Erzvätergeschichte fortführen; die Episode faßt Gen. 22 zusammen. 38

33 Cf. Green 1982, 71.

34 Serv. Aen. 6.398; cf. Green 1982, 83-84.

35 Gen. 12-20; cf. Green 1982, 71.

36 Verg. Aen. 6.14-33.

37 Verg. Aen. 6.16-17.

38 Cf. Green 1982, 71-72.

60


Vv. 109-112: Zu den über Demophon, einen Sohn des Theseus, überlieferten

Geschichten zählt auch die von der thrakischen Königstochter Phyllis.

Diese heiratete den gerade auf dem Rückweg von Troja nach Athen befindlichen

Demophon, der sie sofort nach der Hochzeit verlassen mußte. Als er nicht zum

versprochenen Termin zu Phyllis zurückkehrte, erhängte diese sich und wurde in

einen dürren Baum verwandelt; der schlug erst aus, als Demophon doch noch

zurückkehrte und den Baum umarmte. Für die wohl erst in hellenistischer Zeit

entstandene Geschichte dürfte sich der Autor der ecloga vor allem am zweiten

Heroidesbrief Ovids orientiert haben. 39

Vv. 113-116: Mit der Erzählung vom Schicksal Sodoms durchbricht der

Autor der ecloga zum ersten Mal die biblische Reihenfolge, allerdings nur innerhalb

der Erzvätererzählung; die Episode faßt Gen. 19 zusammen. Bei dem in

v. 115 erwähnten Namen Segor handelt es sich um eine in der Vulgata häufig

vorkommende Schreibvariante von Zoar. 40

Vv. 117-120: Diomedes aus Argos zählte zu den bekanntesten griechischen

Helden vor Troja. Im Zweikampf verwundete er dort sowohl Ares als

auch Aphrodite; deren Beinamen Kythereia hat die Antike seit Hesiod auf die

vor der Küste der Peloponnes liegende Insel Kythera mit ihrem bedeutenden

Aphroditeheiligtum zurückgeführt. Dort habe sie nach ihrer Geburt zuerst festes

Land betreten. 41 Bald nach seiner Rückkehr nach Argos brach Diomedes wieder

zu neuen Abenteuern auf, die ihn unter anderem nach Italien führten; unterschiedliche

Versionen sind über seinen Tod überliefert, seine Gefährten wurden

zu Vögeln verwandelt. Während diese Verwandlung mehrheitlich in die Zeit

nach dem Tod des Diomedes fällt, geschieht diese in den Metamorphosen

Ovids, die dem Autor der ecloga hier als Vorlage dienten, 42 bereits auf dem Weg

nach Italien; über diesen chronologischen Zusammenhang schweigt sich die ecloga

allerdings aus.

Vv. 121-124: Für die Erzählung von Jakobs Kampf mit Gott beim Überschreiten

des Flusses Jabbok greift der Autor der ecloga auf Gen. 32,23-33 zurück.

Vv. 125-128: Zu Hippolytus, der Sage nach einem Sohn des Theseus und

einer Amazone, existierten in der Antike unterschiedliche Überlieferungen, die

ihren Niederschlag unter anderem in zwei in der Wertung seiner Schwiegermutter

Phaidra verschieden akzentuierenden Tragödien des Euripides fanden.

Phaidra hatte Hippolytus zunächst nachgestellt, diesen dann aber, nachdem er

ihr Werben zurückgewiesen hatte, bei seinem Vater verleumdet. Dieser wandte

sich daraufhin an Poseidon und bat ihn, Hippolytus zu töten; Poseidon wühlte

die See auf, ließ einen Stier im Weg des Gespannes von Hippolytus auftauchen

und brachte die Pferde so zum Scheuen; die vom Autor der ecloga erwähnten

phocae (Seehunde) dürften auf eine Kommentarnotiz des Servius zurückzufüh-

39 Ovid Rem. Amor. 591-606, Her. 2, Ars 2.353-354, 3.37-38, 3.459-460

40 Cf. Green 1982, 72.

41 Hes. Theog. 198.

42 Ov. Met. 14.456-511.

61


ren sein. 43 Hippolytus wurde aus dem Wagen geschleudert und von seinem Gespann

zu Tode geschleift. Den Toten läßt schließlich Artemis wieder zum Leben

erwachen, wobei die antike Tradition unterschiedliche Versionen bewahrt hat.

Der Autor der ecloga folgt zum einen Ovid, der Artemis bzw. Diana den Hippolytus

selbst wieder ins Leben rufen läßt, 44 und greift zum anderen auf ein in Unteritalien

besonders populäres Element der Hippolytussage zurück, wonach dieser

nach seiner Wiederbelebung sich nach Aricia in den Albaner Bergen begeben

habe, das ein Dianaheiligtum von überregionaler Bedeutung besaß; dort

herrschte er bis zu seinem Tod und nahm den Namen Virbius an. 45

Vv. 129-132: Ohne direkten Bezug zur Hippolytussage wendet sich

Alithía nun mit Joseph den Söhnen Jakobs zu; das Material schöpft der Autor

der ecloga aus Gen. 37-50.

Vv. 133-136: Zu Cadmus, dem mythischen Gründer Thebens, der antiker

Tradition nach als Übermittler zentraler Kulturtechniken wie des Schreibens galt

und der mit den Gründungslegenden zahlreicher Gemeinwesen in Verbindung

gebracht wurde, existierte in der Antike seit der archaischen Zeit eine breite

Überlieferung. Der Autor der ecloga konzentriert sich auf die Gründung Thebens

und stützt sich dabei auf die Version Ovids: Cadmus hatte, vom delphischen

Orakel nach Theben geführt, die dort hausende Riesenschlange erschlagen

und dann auf Anweisung Athenes deren Zähne in den Boden gepflanzt. Aus

den Schlangenzähnen entstanden bewaffnete Männer, die gegeneinander kämpften;

46 auf diese unmittelbar nach der „Aussaat“ der Zähne stattfindende Auseinandersetzung

spielt das auf den ersten Blick schwer verständliche fato sinistro

in v. 135 an. Cadmus hingegen wurde zur Strafe für die Tötung der Riesenschlange

selbst in eine Schlange verwandelt. 47 Antiker Tradition nach geschah

dies am Ende seines Lebens, in der ecloga hingegen findet die Verwandlung offenbar

statt, unmittelbar nachdem er die Zähne der Riesenschlange in den Boden

gesteckt hatte; ne patiatur idem in v. 136 muß offenbar dahingehend verstanden

werden, daß sich Cadmus durch die Verwandlung der Teilnahme an dem Kampf

der „erwachsenen“ Bewaffneten entzog. 48 Durch den einleitenden Hinweis auf

die Vermittlung der Schrift durch Cadmus in v. 133 erfährt die Episode im übrigen

eine besondere Pointierung – derjenige, der es den Griechen ermöglicht hat,

43 Serv. Aen. 7.761: qui [sc. Poseidon] agitanti currus Hippolyto inmisit focam; Casaretto

1997, 35 vermutet, der Autor der ecloga verwende hier aus metrischen Gründen den Plural.

44 Ov. Fast. 6.745; anders etwa in Apollod. 3.10.3, wo Asclepius den Hippolytus wiederbelebt.

45 So etwa in Verg. Aen. 7.761-780, das dem Autor der ecloga teilweise als Vorbild diente, cf.

Verg. Aen. 7.777 (…ubi nomine Virbius esset) mit v. 128 (… modo nomine Virbius exstat); cf.

auch Ov. Met, 5.544 und Ov. Fast. 6.756. Eine etymologisierende Erklärung für den ungewöhnlichen

Namen liefert Serv. Aen. 761: Diana ... eum Virbium, quasi bis virum, iussit vocari.

46 Ov. Met. 3.1-130.

47 Ov. Met. 4.563-604.

48 Das Motiv des dem Kampf Ausweichens ist abgewandelt auch bei Ovid greifbar, cf. Ov.

Met. 3.116-117.

62


mittels der Schrift zu kommunizieren, ist schließlich selbst auf das sibilare angewiesen.

Vv. 137-140: Mit Moses und dem Beginn der Flucht aus Ägypten verläßt

der Autor der ecloga das Buch Genesis; die Darstellung faßt Ex. 1-15 zusammen.

Vv. 141-145: Die bekannte Episode von der Entführung der am Strand

Blumen pflückenden Europa durch Jupiter in Gestalt eines Stieres wird in den

Metamorphosen Ovids, auf die sich der Autor der ecloga stützt, 49 unmittelbar

vor dem ersten Teil der Cadmusgeschichte behandelt, die als eine unmittelbare

Folge der Entführung dargestellt wird. 50 Die auf den ersten Blick unnötige und

wie antiquarischer Ballast wirkende Bemerkung, der Kontinent Europa trage den

Namen der Tocher des Agenor, 51 erklärt sich aus dem Aufbau der folgenden biblischen

Episode: 52 so, wie das Priesteramt auf alle Zeiten – perhenni (v. 148) –

bei den Nachkommen des Levi verbleibt, ist die Bezeichnung des Kontinents

das dauerhafte Erbe der Europaepisode. So erklärt sich auch die auf den ersten

Blick reichlich ungelenk wirkende Formulierung in v. 144 nomen donat ei: Da

den Nachfahren Levis das Priesteramt von Gott verliehen worden ist (datur v.

148), muß, um eine brauchbare Parallelgeschichte herzustellen, auch Jupiter der

Europa in vergleichbarer Weise etwas von bleibender Bedeutung verleihen; es

handelt sich somit nicht um ein reines Versehen, wie in der Vergangenheit vermutet

worden ist. 53 Die Komprimierung dieses Gedankens in einen einzigen

Vers führt schließlich zur Formulierung von v. 144 – die in donat immerhin eine

ansprechende sprachliche Parallele zu v. 148 (datur) aufweisen kann.

Vv. 146-149: Für die Geschichte vom goldenen Kalb und der Verleihung

des Priesteramts an die Leviten greift der Autor der ecloga auf Ex. 32 zurück.

Vv. 150-153: Amphiaraus, der auf Drängen seiner Gattin Eriphyle an

prominenter Stelle am Zug der Sieben gegen Theben teilnahm, obwohl er den

Ausgang und sein eigenes Schicksal vorhersah, 54 ist als Held und Seher bereits

in der Epik deutlich greifbar. Daher nimmt er auch in der Thebais des Statius

eine wichtige Rolle ein; auf diese stützt sich der Autor der ecloga für v. 149-

151, 55 während er für den in v. 152 behandelten Alcmaion sich wieder den Metamorphosen

Ovids zuwendet; dort tötet Alcmaion seine Mutter nach dem Tod

des Vaters und wird mit Wahnsinn geschlagen. 56 Bei der in v. 150 erwähnten

Halskette handelt es sich antiker Überlieferung nach um ein Hochzeitsgeschenk

49 Ov. Met. 2.833-875.

50 Ov. Met. 3.4-8.

51 Ov. Fast. 5.617-618: ... te, Sidoni, Iuppiter implet, | parsque tuum terrae tertia nomen habet;

cf. v. 144: nomen donat ei, quod habet pars tertia mundi.

52 Es handelt sich dabei nicht, wie Green 1982, 86-87 vermutet, um ein Versehen des Autors

der ecloga.

53 Green 1982, 86-87, dessen Urteil, es handele sich um „a garbled piece of home-spun aetiology“,

zu hart ist.

54 Stat. Theb. 4.188-189.

55 Stat. Theb. 7.789-823.

56 Ov. Met. 4.407-410.

63


des Jupiter an Harmonia, die Tochter von Aphrodite und Ares, die er dem Cadmus

zur Frau gegeben hatte; 57 die Kette wurde in der Folgezeit Teil des thebanischen

Kronschatzes. Eriphyle erhielt sie schließlich von Polyneikes; im Gegenzug

überredete sie Amphiaraus, gegen Theben zu ziehen. Die Übergabe der Kette

an Eriphyle ist immer wieder Gegenstand von Vasenabbildungen gewesen;

daneben bewahrt Pausanias eine kuriose Nachricht, wonach in einem Heiligtum

in Amathus auf Zypern noch zu seinen Lebzeiten ein Schmuckstück gezeigt

wurde, bei dem es sich um die Halskette der Harmonia gehandelt haben soll. 58

Vv. 154-157: Mit der Geschichte vom Tod Korahs springt der Autor der

ecloga weit nach vorne in das Buch Numeri – der Aufstand der Rotte Korah gegen

Moses wird in Num. 16 behandelt. Kurioserweise begnügt sich Alithía hier

nicht mit einer Episode; dem Schicksal Korahs sind Vv. 154-155 gewidmet, die

beiden folgenden Verse haben den Tod des Moses zum Inhalt und schöpfen aus

Dtn. 34. Möglicherweise wollte der Autor der ecloga die mit Vv. 137-140 begonnene

Mosesgeschichte zu einem sinnvollen Abschluß führen. 59

Vv. 158-161: Sowohl die Europageschichte als auch die Episode um den

Tod des Amphiaraus stehen in einem – wenn auch losen – inhaltlichen Zusammenhang.

Mit Io wendet sich der Autor der ecloga nun zwar vom thebanischen

Sagenkreis ab, doch handelt es sich auch hier um die Geschichte der Verführung

einer Königstochter durch Jupiter; insofern besteht eine gewisse Parallelität zur

Europaepisode. Um dem Argwohn seiner Gattin zu entgehen, verwandelte Jupiter

die Io, eine Priesterin der Hera, in eine Kuh. Diese allerdings erbat sich die Io

als Geschenk und ließ sie von Argus bewachen. Jupiter wiederum schickte Hermes,

um Io zu befreien, der dabei den Argus tötete. Daraufhin jagte sie Juno mit

einer Bremse, ehe sie schließlich in Ägypten durch Jupiter ihre menschliche

Gestalt wiedererhält. Für die sowohl in der antiken Literatur als auch in der

Kunst beliebte Episode stützt sich der Autor der ecloga auf die Darstellung

Ovids, 60 die Io jagende Bremse schöpft er hingegen aus den Georgica des Vergil.

61 Kurioserweise stellt er dieses Detail im Ablauf der Episode neben die Bewachung

durch Argus, was der antiken Tradition widerspricht; dies dürfte vermutlich

auf das Fehlen der Bremse in der Darstellung des Ovid zurückzuführen

sein.

Vv. 161-164: Auch die Geschichte vom Seher Bileam entstammt dem

Buch Numeri. 62 Bileams Esel scheute, als ihm ein Engel entgegentrat, der den

Menschen zunächst nicht sichtbar war. Bileam schlug den Esel, der daraufhin zu

ihm sprach und sich über die Schläge beschwerte. Erst daraufhin gab sich der

Engel auch dem Bileam zu erkennen. Der biblische Bericht verzichtet auf eine

57 Das Halsband ist ausführlich in Stat. Theb. 2.269-288 beschrieben.

58 Paus. 9.41.2; zur weiteren Geschichte der Halskette cf. Paus. 8.28.10.

59 Green 1982, 74 hat zudem zur Geschichte vom Tod des Korah plausibel vermutet: „The

story is less full than the contrasting one of Amphiaraus, and has to be eked out with the death

of Moses“.

60 Ov. Met. 1.582-746.

61 Verg. Georg. 3.153.

62 Num. 22.22-35.

64


Bewertung des Umstandes, daß der Esel plötzlich sprechen kann, für den Autor

der ecloga hingegen ist dies eine res horrenda nimis (v. 163); die ecloga dürfte

hiermit antiken Vorstellungen folgen, wonach Tiere, die mit Menschen sprechen,

eine außergewöhnliche Normdurchbrechung darstellten. 63

Vv. 165-168: Die in der Antike sehr beliebte Geschichte von Alcmene,

der Frau des Königs von Tiryns Amphitryo, ist bereits in der Odyssee greifbar; 64

in Gestalt ihres Mannes hatte sich Jupiter Zugang zu ihr verschafft und in einer

verlängerten Nacht Hercules gezeugt. Die Alcmenesage ist mit zahlreichen Variationen

in verschiedenen Details breit überliefert; häufig wird auch berichtet,

daß die über das Verhalten des Jupiter erboste Juno Schlangen schickte, um den

neugeborenen Hercules zu töten. Literarisch wurde die Geschichte unter anderem

von Plautus in seiner Komödie Amphitryo verarbeitet, der Autor der ecloga

scheint aber – wenigstens für die Beschreibung der Hercules angreifenden

Schlangen – im Wesentlichen aus Verg. Aen. 8.288-289 geschöpft zu haben.

Vv. 169-172: Mit der Episode von der Anrufung Gottes durch Josua im

Kampf gegen die Amoriterkönige bei Gibeon, die Jos. 10 entstammt, wird das

Buch Deuteronomium übersprungen. 65 In v. 168 läßt er Alithía aus dem dialogischen

Wettstreit ausbrechen; die Wendung discite cuncti dürfte sich nicht nur an

das imaginäre Publikum des Sangeswettstreites richten – denn Pseustis und

Alithía sind ja bis auf Fronesis allein –, sondern auch an den Leser.

Vv. 173-176: Mit einer Auswahl aus den Taten des Hercules läßt der Autor

der ecloga den Pseustis die in Vv. 165-168 begonnene Herculesgeschichte

fortsetzen. Insgesamt fünf Episoden werden angesprochen: zunächst nennt

Pseustis den Diebstahl der goldenen Äpfel der – in der ecloga nicht genannten –

Nymphen Hesperiden, deren Garten von einem Drachen bewacht wurde. Darauf

folgt der Diebstahl der Herde roter Rinder des Riesen Geryon, dessen Herde von

einem zweiköpfigen Hund bewacht wurde; Hercules tötete sowohl den Hund als

auch schließlich Geryon selbst. Hierauf folgt die Tötung der lernäischen Hydra,

einer der Überlieferung nach von Juno aufgezogenen Riesenschlange, die vor

allem für ihre Vielköpfigkeit bekannt war, 66 sowie der Sieg über den italischen

Riesen Cacus, der Hercules einige der Rinder aus der Herde Geryons entwendet

hatte. Mit dem von Hercules gefangenen Unterweltswächter Cerberus, der in v.

175 namenlos als ianitor Orci bezeichnet wird und dessen Gefangennahme im

Tatenkatalog des Hercules oft an letzter Stelle steht, endet die Aufzählung. In v.

176 wird schließlich das Ende des Hercules angesprochen. Dieser hatte seine

63 Selbst die unsterblichen Rosse Achills Balius und Xanthus konnten nicht sprechen; erst in

Il. 19.407 verleiht Hera Xanthus kurzzeitig Sprache, um den Tod Achills zu weissagen (Il.

19.416-417); cf. auch Opp. Cyn. 1.227, für den das Sprechen des Xanthus bedeutet, die physios

thesmoi zu überspringen. Die antike Fabel steht diesem Befund nicht entgegen; dort

kommunizieren die Tiere nur untereinander.

64 Hom. Od. 11.266-268.

65 Zur sprachlichen Analyse cf. Green 1982, 74.

66 Über die Zahl der Köpfe besteht in der antiken Tradition keine Einigkeit; cf. etwa Verg.

Aen. 6.576: quinquaginta atris immanis hiatibus Hydra | saeuior intus habet sedem und Ov.

Met. 9.70-71: ... nec ullum | de centum numero caput est inpune recisum.

65


Gattin Deianira dem Centauren Nessus anvertraut, der sie aber entführen wollte;

von Hercules mit einem Giftpfeil tödlich verwundet, riet Nessus der Deianira,

sein vergiftetes Blut zu sammeln, da es als Liebeszauber eingesetzt werden könne.

Als sich Hercules dann in eine Gefangene verliebt, bestreicht Deianira ein

Festgewand mit dem Blut; das Hemd aber bereitet Hercules in solchem Maße

Schmerzen, daß er den Tod sucht und sich verbrennen läßt. Warum der Autor

der ecloga in v. 176 Deianira nicht als coniunx, sondern als paelex bezeichnet,

ist nicht ganz klar; möglicherweise handelt es sich um ein Versehen. 67

Vv. 177-180: Die Geschichte von Samson und Delila faßt im Wesentlichen

Ri. 15 und 16 zusammen. Der Hinweis in v. 177, Samson habe ein Löwenfell

getragen, mutet auf den ersten Blick kurios an, da Samson in der biblischen

Erzählung sein Erlebnis mit dem Löwen ja zunächst sogar vor seinen Eltern geheimhält,

68 dürfte aber durch die Parallelisierung mit Hercules zu erklären sein.

Vv. 181-184: Pseustis unterbricht den Sangeswettstreit mit einer Wendung

an die Götter um Beistand; zwischen den identischen Vv. 181 und 184

werden sie in vierfacher Weise angesprochen. 69

Vv. 185-188: Alithía antwortet auf die Anrufung der heidnischen Götter

mit einer Wendung an Gott; während aber Pseustis um Beistand für seine Person

bittet, steht bei Alithía der Sieg der veritas im Vordergrund (v. 188).

Vv. 189-192: Aus dem umfangreichen mythologischen Material um die

Gestalt des Thrakiers Orpheus, in dem die Antike den ersten Dichter und Sänger

erblickte, greift der Autor der ecloga die Eurydikesage heraus, gemäß welcher

Orpheus in die Unterwelt hinabgestiegen war, um seine Frau Eurydike ins Leben

zurückzuholen; aufgrund seines bewegenden Gesanges wurde ihm dies gestattet,

doch durfte er auf seinem Rückweg Eurydike nicht ansehen – die condicio gravis

aus v. 192. Als er dieses Gebot mißachtete und sich umdrehte, mußte Eurydike

wieder in die Unterwelt zurückkehren. In diese Geschichte, für die inhaltlich

wohl Verg. Georg. 4.454-503 als Quelle genutzt wurde, ist die Nachricht

eingewoben, die Bäume hätten aufgrund des Gesanges des Orpheus ihre Blätter

abgelegt, was sich zwar einerseits deutlich auf Ov. Met. 11.46-47 stützt, 70 andererseits

aber eigentlich in den Kontext des Todes des Sängers gehört; augenscheinlich

liegt hier ein Mißverständnis vor.

Vv. 193-196: Mit der Episode von König Saul und dem ihm auf der Harfe

vorspielenden David greift der Autor der ecloga Material aus 1 Sam. 16.14-23

auf. Auf den ersten Blick scheint nur ein loser inhaltlicher Zusammenhang zur

67 Cf. Green 1982, 88.

68 Ri. 15.6, 9 und 16.

69 Osternacher hat in Vv. 182-183 unter anderem deutliche Parallelen zu Hrab. Maur. 26.1-3

(Te deus aeternus, hominum sanctissimus auctor, | stelligeram caeli summus qui continet arcem,

| perspicit atque omnem fortis dominator abyssum) gesehen und gemutmaßt „nonne

Mauri et Strabi loci simillimi indicant Theodulum quoque eiusdem fere aetatis fuisse“ (Osternacher

1907, 40); ob man die Formulierung tatsächlich für einen Datierungsversuch nutzbar

machen kann, muß allerdings bezweifelt werden.

70 Cf. Ov. Met. 11.46 : Positis te frondibus arbor tonsa comas luxit mit v. 189: Certavere sequi

demissis frondibus orni.

66


vorausgehenden Orpheusepisode zu bestehen, da sich das, was David und Orpheus

mit ihrer Musik erreichen wollen, doch erheblich voneinander unterscheidet.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber eine deutlich erkennbare Parallelität:

während Pseustis, auf seiner Flöte spielend, mit dem Flötenspieler Orpheus

den bedeutendsten Sänger der Welt des antiken Mythos vorstellt, antwortet

Alithía, selbst Harfe spielend, mit dem wichtigsten Harfenspieler der biblischen

Welt – von dem sie ja zudem abstammt.

Vv. 197-200: Für den in einer Höhle des Berges Cillene auf der Peloponnes

geborenen Mercur konnte der Autor der ecloga aus einer breiten Überlieferung

auswählen. Er stützte sich in erster Linie auf eine knappe Zusammenfassung

in der Schrift contra Symmachum des Prudentius; 71 das Motiv des

Erweckens von den Toten knüpft an die vorherige Episode des Pseustis an.

Vv. 201-204: Für den Bau des Tempels durch Salomo schöpfte der Autor

der ecloga aus 1 Kön. 5-9, für den von Frauen veranlaßten Bundesbruch Salomos

diente 1 Kön. 11 als Quelle. 72

Vv. 205-208: Die Episode vom eigentlich eleusinischen Heros Triptolemus,

der die Ähren aussäte, die ihm von Ceres geschenkt worden waren, und so

die Menschen im Ackerbau unterwies, schöpft im Wesentlichen aus Vergils Georgica;

besonders deutlich wird dies an der Verortung des Geschehens – während

traditionell Triptolemus auf dem rharischen Feld bei Eleusis sät und erntet,

73 verlegt Vergil die Handlung nach der bedeutenden Orakelstätte Dodona. 74

In V. 205 liegt mit dem von der handschriftlichen Überlieferung gebotenen gnosia

ein Problem vor, dem bereits Beck Aufmerksamkeit geschenkt hat. Hinter

dem gnosia verbirgt sich zunächst eine Schreibvariante von cnos(s)ia, „knossisch“

bzw. in einem weiter gefaßten Sinne „kretisch“; 75 diese geographische

Information paßt allerdings überhaupt nicht zu dem in Epirus befindlichen Dodona.

Daher haben Beck und ihm folgend Osternacher auf einen entweder durch

Unkenntnis des Autors der ecloga verursachten Fehler oder ein Überlieferungsproblem

geschlossen; 76 während Beck nicht in den Text eingriff, änderte Oster-

71 Cf. Prud. Symm. 1.86-92.

72 Der Autor der ecloga verwendet für Salomo den Namen Idida; cf. 2 Sam. 12.24-25: et vocavit

nomen eius Salomon et Dominus dilexit eum misitque in manu Nathan prophetae et vocavit

nomen eius Amabilis Domino eo quod diligeret eum Dominus und Isid. Etym. 7.6.65:

Salomon tribus nominibus fuisse perhibetur. Primum vocabulum eius Salomon dicitur, id est

pacificus, eo quod in regno eius pax fuerit. Secundum nomen Ididia, eo quod fuerit dilectus et

amabilis Domino.

73 So etwa Paus. 1.38.6.

74 Cf. etwa Verg. Georg. 1, 147-149: prima Ceres ferro mortalis uertere terram | instituit,

cum iam glandes atque arbuta sacrae | deficerent siluae et uictum Dodona negaret.

75 Cf. etwa Prop. 1.3.1-2: Qualis Thesea iacuit cedente carina | languida desertis Cnosia litoribus.

76 Beck 1836, 41: „Miro errore Theodulus Dodonam … Gnossiam vocat, i.e. Cretensem“; der

Autor der ecloga habe sich möglicherweise davon in die Irre leiten lassen, daß Juppiter

sowohl mit Dodona als auch mit Kreta in Verbindung gebracht wurde; dagegen Osternacher

1907, 45: „minime enim possum adduci, ut iam Theodulum adeo errasse de Dodonae situ

censeam, quam in Epiro, non in Creta insula situm doctissimus ille vir procul dubio noverat“.

67


nacher, der in seiner Ausgabe von 1902 noch gnosia abgedruckt hatte, dies 1907

in ch(a)onia ab, ein häufig belegtes Epitheton für Dodona. 77 Da dieses auch in

Verg. Georg. 1 geschieht, 78 also in demselben Gedicht, das als Quelle für die

Verortung der Handlung in Dodona dient, dürfte der Vorschlag Osternachers die

wahrscheinlichste Lösung für das Problem sein.

Vv. 209-212: Für die Episode von Elias und seiner Flucht an den Bach

Krith schöpfte der Autor der ecloga aus 1 Kön. 17,1-7.

Vv. 213-216: Für die Geschichte von der Tötung Medusas durch Perseus

dürfte der Autor der ecloga zunächst in erster Linie auf die Metamorphosen

Ovids zurückgegriffen haben. 79 Obwohl in v. 215 nicht Perseus, sondern der in

der antiken Mythologie ebenfalls mit dem geflügelten Pferd Pegasus in Verbindung

gebrachte Heros Bellerophon genannt ist, dem die Antike die Tötung des

Ungeheuers Chimaera zuschrieb, dürfte mit monstro in v. 216 wohl weiterhin

Medusa gemeint sein; 80 es ist sehr wohl denkbar, daß der Autor hier Perseus und

Bellerophon in einer Figur vereint hat. Green hat überdies darauf aufmerksam

gemacht, 81 daß dieser Episode neben Ovid ebenfalls ein Abschnitt aus den Mythographi

Vaticani zugrunde liegen könnte, in dem Bellerophon und Perseus

gleichgesetzt und ihre Taten zu einem Tatenkatalog vereinigt werden; 82 sollten

die Mythographi tatsächlich der ecloga als Vorbild gedient haben, 83 wäre dies

eine einfache Erklärung für die Verbindung von Perseus und Bellerophon.

Vv. 217-220: Die Darstellung der Geschichte von der Entrückung des

Elias verschränkt Material aus 1 Kön. 19 und 2. Kön. 2, wobei die direkte kausale

Verknüpfung des Streites mit Jezebel und der Entrückung, die mit effugium

terrae … obstruxit gegeben ist, im Widerspruch zur biblischen Erzählung steht,

in der auf die Flucht vor Jezebel neue Aufträge des Herrn und die Berufung

Elisas (des in v. 220 erwähnten heres) folgen. Die auf den ersten Blick schwer

verständliche Wendung spiritus magistri geminatur in v. 220 erklärt sich aus der

in 2 Kön. 2.9 geäußerten Bitte des Elisa obsecro ut fiat duplex spiritus tuus in

me. Von einem Viergespann weiß die biblische Erzählung nichts; 84 es dürfte

dem Bemühen geschuldet sein, auch numerisch deutlich über das eine geflügelte

Pferd des Bellerophon hinauszugehen.

Vv. 221-224: Der wegen seiner Schönheit von Aurora entführte Tithonus

galt in der Antike als Musterbeispiel eines Greises – zwar hatte Aurora von Jupi-

77 Cf. etwa Ov. Met. 13.716: vocalemque sua terram Dodonida quercu | Chaoniosque sinus

…; weitere Belegstellen bei Osternacher 1907, 45-46.

78 Verg. Georg. 1.7-8: Liber et alma Ceres, vestro si munere tellus | Chaoniam pingui glandem

mutavit arista.

79 Ov. Met. 4.604.662 und 4.773-789.

80 Anders Beck 1836, 41.

81 Green 1982, 90.

82 Cf. Myth. 1.71: Perseus qui et Bellerophon; cf. auch Myth. 1.157.

83 Angesichts der unsicheren Datierung beider Texte ist hier allerdings wenigstens Vorsicht

angebracht.

84 2 Kön. 2.11: ecce currus igneus et equi ignei diviserunt utrumque et ascendit Helias per

turbinem in caelum.

68


ter für ihn Unsterblichkeit erbeten und erhalten, doch vergessen, auch um ewige

Jugend zu bitten. Daher alterte – im Gegensatz zu Ganymed – Tithonus wie ein

Sterblicher. 85 Für die Geschichte von den sogenannten Memnonsvögeln, die sich

aus der Asche des vor Troja von Achill erschlagenen Sohnes von Aurora und

Tithonus erheben und den Tod des Memnon beklagen, dürfte der Autor der ecloga

im Wesentlichen aus Ov. Met. 13.600-619 geschöpft haben. 86

Vv. 225-228: Für die Geschichte von der wundersamen Heilung des Königs

Hiskia greift der Autor der ecloga auf 2 Kön. 20 zurück. Der Aspekt der

wundersamen Heilung stellt eine Verbindung zur vorausgehenden Episode dar,

das Motiv der rückwärts laufenden Sonne scheint bereits auf Vv. 245 und die

Klage des Pseustis über die in ihrem Lauf innehaltende Sonne vorauszudeuten.

Vv. 229-232: Als Vorlage für die in der Antike weit verbreitete Geschichte

von der Einrichtung der olympischen Spiele durch Hercules dürfte unter anderem

ein Eintrag aus der Chronik des Isidor von Sevilla gedient haben; 87 Green

hat wohl zu Recht darauf hingewiesen, daß die korrekte Verwendung des Wortes

agones eher auf eine entsprechende Vorlage denn auf solide Griechischkenntnisse

des Autors der ecloga zurückzuführen sein dürfte. 88 Ob der Hinweis,

die Spiele hätten sub vertice montis Olimpi (v. 230) stattgefunden, mit Green als

Hinweis auf eine Einarbeitung von Myth. 1.131 gewertet werden kann, 89 wo

Hercules die Spiele am Olymp begründet, was dann in Olympia nachgeahmt

wird, läßt sich nicht entscheiden, da die Wendung theoretisch auch als Verallgemeinerung

im Sinne von „im Schatten der Wohnstätte der Götter = auf Erden“

verstanden werden könnte.

Vv. 233-236: Über das Ende des Königs Josia in der Schlacht bei Megiddo

berichten sowohl 2 Kön. 23 als auch 2 Chron. 35, wo wie in der ecloga die

Verbindung zum Paschafest und zur Klage des Jeremias hergestellt wird.

Vv. 237-240: Für die Geschichte vom Gründer der Stadt Salmone in Elis,

der sich Opfer darbringen ließ und Blitze und Donner des Jupiter nachahmte,

ehe dieser als Strafe für die Gotteslästerung des Salmoneus ihn mit einem – echten

– Blitz samt seiner Stadt vernichtete, stützt sich der Autor der ecloga auf

Verg. Aen. 6.585-594.

Vv. 241-244: Die Episode von der Verwandlung des Königs Nebukadnezar

in einen Vogel als Strafe für seinen Hochmut greift auf Dan. 4.22-30 zurück.

Zum zweiten Mal läßt der Autor der ecloga Alithía aus dem dialogischen Wettstreit

mit einer Wendung an die bereits in v. 168 angesprochenen cuncti heraustreten.

85 Cf. etwa Hom. hym. 5.218-238.

86 Zwar hat Green 1982, 90 auf eine ebenfalls bestehende Ähnlichkeit zu Myth. 1.139 hingewiesen,

daraus allerdings zu schließen „there is no need to assume the poet’s familiarity with

Ovid M. 1.600-619“ erscheint angesichts der ansonsten in den ecloga deutlich erkennbaren

Vertrautheit gerade mit den Metamorphosen mehr als kühn.

87 Isid. Chron. 87: per haec tempora Hercules agonem Olympiacum constituit.

88 Green 1982, 90-91.

89 Green 1982, 91.

69


Vv. 245-248: Pseustis unterbricht erneut den Wettstreit, diesmal allerdings

nicht mit einer Anrufung an die Götter, sondern einer Klage darüber, daß

die Nacht nicht hereinbricht; Siegesgewißheit wird man den Worten des Pseustis

nicht unbedingt attestieren wollen. Die in v. 246 kurz angesprochene Geschichte

von Phaethon, dem Sohn des Sonnengottes Phoebus, der heimlich den Sonnenwagen

des Helios bestieg und mit diesem abstürzte, wird im zweiten Buch der

Metamorphosen Ovids breit ausgeführt.

Vv. 249-252: Alithía antwortet direkt auf die Unterbrechung des Wettstreites

durch Pseustis und wertet diese als ein Anzeichen für seine bevorstehende

Niederlage.

Vv. 253-256: Die Geschichte von Danae, der Tochter des argivischen Königs

Acrisius, die von ihm in einen Turm eingesperrt worden war und der sich

Jupiter in Gestalt eines goldenen Regens näherte, findet sich bereits in den homerischen

Epen und ist in der Antike immer wieder literarisch verarbeitet worden.

Der Autor der ecloga dürfte sich hier vor allem an einem Abschnitt aus der

Schrift contra Symmachum des Prudentius orientiert haben. 90

Vv. 257-260: Die Geschichte von Daniel in der Löwengrube und Habakuk

faßt Dan. 2 und Dan. 14.32-39 zusammen.

Vv. 261-264: Mit einer Wendung, die zunächst wirkt, als wolle Pseustis

wie Alithía in v. 168 und v. 244 zum Publikum sprechen, leitet der Autor der

ecloga die in der Antike breit überlieferte Geschichte von Niobe, der Tochter

des Tantalos, ein. Diese galt als Musterbeispiel für menschliche Hybris, da sie

sich an einem Fest der Latona ihrer göttlichen Herkunft und insbesondere ihrer

vierzehn Kinder gerühmt hatte. Zur Strafe für ihren Hochmut sandte Latona ihre

beiden Kinder Diana und Apollo aus, um die Kinder der Niobe zu töten. Niobe

selbst floh zum Sipylusberg und wurde dort versteinert. Ausführlich behandelt

Ovid die Niobegeschichte in Ov. Met. 6.146-312; hierauf basiert auch die von

Pseustis vorgetragene Episode. Das auf den ersten Blick ungewöhnliche Epitheton

Trivia für Diana findet sich in römischer Literatur bereits bei Ennius und

erklärt sich aus der Bedeutung von Diana als Schutzgöttin von Weggabelungen.

91

Vv. 265-268: Mit der Erzählung von der tugendhaften Susanna nähert sich

die Episodenfolge der Alithía ihrem Höhepunkt; der Autor der ecloga schöpft

hier aus Dan. 13.1-24.

Vv. 269-272: Für das tückische Verhalten von Frauen bietet Pseustis zunächst

eine allgemeine Aussage in v. 270, sodann mit den Geschichten von

Procne und Philomela sowie Medea zwei konkrete Beispiele. Das in v. 270 erwähntes

hippomanes hat der Autor der ecloga wohl der Beschreibung in Verg.

90 Cf. Cf. Prud. Symm. 1.65-68: Nunc foribus surdis, sera quas vel pessulus arctis | firmarant

cuneis, per tectum dives amator | Imbricibus ruptis, undantis desuper auri | infundens pluviam

gremio excipientis amicae.

91 Cf. Green 2006, 128-131; Trivia als Epitheton für Diana ist oft belegt, der Autor der ecloga

kann es daher durchaus eigener Lektüre antiker Vorlagen entnommen haben; anders Green

1982, 92.

70


Georg. 3.280-283 entnommen; dieser „Brunstschleim“ galt in der Antike als

Aphrodisiakum. 92 Gewissermaßen den Gegenpol hierzu bildet der auf den ersten

Blick schwer verständliche zweite Teil des Verses, der wohl auf Abtreibungen

hinweist. Die Geschichte der Schwestern Procne und Philomela findet sich etwa

in Ov. Met. 6.424-674; Tereus, der Gatte von Prokne und König Thrakiens, hatte

die Schwester seiner Frau vergewaltigt und, damit seine Tat unentdeckt bleibe,

ihr die Zunge herausgeschnitten und sie gefangen halten lassen. Philomela webte

aber ein Tuch, daß sie Procne zukommen ließ und anhand dessen Procne von

der Tat ihres Mannes erfuhr; sie befreite ihre Schwester, und aus Rache töteten

beide den Sohn des Tereus, Itys, und setzten ihn seinem Vater beim Festmahl

vor. Als Tereus erkannte, was geschehen war, verfolgte er die beiden Schwestern,

doch alsbald wurden Procne, Philomela und Tereus in Vögel verwandelt.

Mit der in der Antike breit und in zahlreichen Variationen überlieferten Medeageschichte

greift der Autor der ecloga nicht nur ein weiteres Beispiel für eine

Kindsmörderin heraus – Medea hatte, um sich an ihrem Gatten Jason zu rächen,

nicht nur dessen Geliebte Glauce mit einem vergifteten Gewand, sondern auch

die beiden Kinder Jasons getötet –, die Medeageschichte schließt auch in den

Metamorphosen nahezu nahtlos an die Geschichte von Procne und Philomela an,

weswegen man Ov. Met. 7.1-450 als primäre Quelle annehmen kann.

Vv. 273-276: Als nächstes Beispiel einer tugendhaften Frau dient Judith;

aus dem entsprechenden Buch greift der Autor der ecloga das Zusammentreffen

von Judith und Holofernes in Jdt. 10-13 heraus. In v. 273 zeigt Alithía zum

ersten Mal eine direkte, in ihrer Heftigkeit durchaus überraschende Reaktion auf

ein Beispiel des Pseustis – wobei auch das Beispiel der Judith mit dem femina

quid possit (v. 271) des Pseustis beschrieben werden könnte.

Vv. 277-280: Mit der in verschiedenen Varianten überlieferten Geschichte

der Tochter des megarischen Königs Nisus erreichen die Beispiele negativen

Verhaltens von Frauen einen Höhepunkt. Der Autor der ecloga folgt hier Ov.

Met. 8.1-151, wonach Scylla aus Liebe zu dem Megara belagernden Minos ihrem

Vater die Haarlocken abschnitt, mit denen sein persönliches Geschick und

das Wohl der Stadt untrennbar verknüpft waren, und sie dem Minos als Geschenk

brachte. Minos aber erschrak, brach die Belagerung ab und begab sich

auf seine Schiffe; Scylla schwamm ihm nach und wurde von ihrem Vater, der in

einen Seeadler verwandelt worden war, angegriffen, dabei aber selbst in einen

Vogel verwandelt. Mit Scylla hat Pseustis ebenfalls eine Trias an weiblichen

Gestalten aufgeboten, wobei ausgehend vom gotteslästerlichen Verhalten der

Niobe über die Kindsmörderinnen Prokne und Medea bis hin zur Vatermörderin

Scylla eine gewisse Steigerung erkennbar ist.

Vv. 281-284: Den Höhepunkt der christlichen Episodenfolge bietet

schließlich die Rettung des Volkes Israel durch Esther, über die Est. 2-9 berichtet.

92 Cf. etwa Plin. NH 8.66 (165): et sane equis amoris innasci veneficium, hippomanes appellatum,

wobei hier möglicherweise nicht die in Verg. Georg. 280-283 angesprochene Flüssigkeit

gemeint ist, sondern während der Trächtigkeit von Stuten entstehende Verdickungen.

71


Vv. 285-288: Nachdem die beiden Episodenfolgen einen Abschluß gefunden

haben, setzt Pseustis den Sangeswettstreit mit einem Musenanruf fort. Die

Verbindung zwischen dem Helicongebirge und den Musen ist in der Antike

zahlreich bezeugt, neben anderen Kultstätten beherbergte es ein bedeutendes

Musenheiligtum im sogenannten Musental; gleiches gilt für das Tempetal. Die

Erwähnung des Wassergottes Proteus in Verbindung mit den Napaeen, die als in

Tälern und Höhlen anzutreffende Nymphen nicht recht zu Proteus passen, könnte,

wie Green vermutet hat, auf ein Mißverständnis von Verg. Georg. 387-392

zurückzuführen sein. 93 Bei dem in v. 288 angesprochenen distich(i)on Enni handelt

es sich um die beiden folgenden Verse: Juno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana,

Venus, Mars, | Mercurius, Jovi', Neptunus, Vulcanus, Apollo. 94 Der Autor der

ecloga hat diese vermutlich aus Martianus Capella entnommen, 95 dem wohl seinerseits

das Werk de deo Socratis des Apuleius vorlag. 96

Vv. 289-292: Auf den erneuten Götteranruf des Pseustis reagiert Alithía

nun anders als noch in v. 185 – die direkte Wendung an Pseustis zeigt, daß sie

sich bereits als Siegerin weiß.

Vv. 293-296: Pseustis antwortet nicht auf die Frage Alithías, sondern rät

Alithía, nach Hause zurückzukehren und bittet in mit Vv. 245-248 vergleichbarer

Weise um das Anbrechen der Nacht, damit der Wettstreit ein Ende finde.

Vv. 297-300: In v. 299 stellt Alithía ihren Sieg fest, der gleichzeitig der

Sieg der christlichen Wahrheit über den heidnischen error (v. 289) ist. Gewissermaßen

als Antwort auf die Bitte des Pseustis um das Hereinbrechen des

Abends wünscht Alithía in v. 300 eine Verlängerung des Tages. Der Vers ist

dabei der Bitte von Pseustis sehr ähnlich: an gleicher Stelle im Vers – als zweites

Wort nach einem zweisilbigen Imperativ – findet sich dies, auf das die sehr

ähnlich lautenden caelo bzw. cursum folgen; in beiden Versen wird Alithía als

virgo bezeichnet, wobei v. 300 betont mit triumphum endet.

Vv. 301-304: Die Antwort des Pseustis auf die Siegesgewißheit der

Alithía erstaunt im ersten Moment – obwohl es sich ja um einen Sangeswettstreit

handelt, den er angeregt hatte, klagt er nun in v. 304 über den Streit; der

Anspruch der Alithía, den Wettstreit für sich entschieden zu haben, wird nicht

bestritten. Als astra Helenae (oder häufiger sidus Helenae) wurde in der Antike

das Auftreten eines einzelnen Elmsfeuers bezeichnet, das als unheilbringendes

Vorzeichen gesehen wurde, wohingegen das Auftreten zweier Feuer als positives

Vorzeichen gewertet und nach Castor und Pollux benannt wurde. 97

Vv. 305-308: Alithía geht nicht auf den Gedanken des Pseustis ein, sondern

bringt mit dem Gedanken der Auferstehung ein weiteres Element der veritas,

mit dem sie den Wettstreit fortzusetzen scheint. Gleichzeitig ergreift Alithía

93 Dort läßt Vergil die Nymphe Cyrene sagen: hunc et Nymphae veneramur et ipse (Verg.

Georg. 4.391); cf. Green 1982, 93.

94 Enn. Ann. 7.240; cf. Skutsch 1985, 424-425.

95 Mart. Cap. 1.42.

96 Apul. de deo Socr. 2.

97 Cf. etwa Plin. NH 2.101: graves, cum solitariae venere, mergentesque navigia et, si in carinae

ima deciderint, exurentes, geminae autem salutares et prosperi cursus nuntiae.

72


nach der vorausgehenden Klage des Pseustis im Rahmen des Sangeswettstreites

argumentativ die Initiative.

Vv. 309-312: Die Antwort des Pseustis macht deutlich, daß er sich geschlagen,

von seinen Göttern verlassen und den Wettstreit verloren gibt; dabei

wiederholt v. 312 die Bitte um das Anbrechen der Nacht in v. 296.

Vv. 313-316: Dem Bild der schlafenden und vergeßlichen Himmelsbewohner

stellt Alithía den sich um die Schöpfung sorgenden Herrn gegenüber;

ausdrücklich betont sie dabei, Gott kenne keinen Schlaf, ganz im Gegensatz zu

den Göttern des Pseustis, denen er in v. 311 genau dies vorwirft. Augenfällig ist

die Parallele zu 1 Kön. 18.25-29; dort verspottet der Prophet Elias die vergeblich

den Gott Baal anrufenden Priester mit den Worten: clamate voce maiore deus

enim est et forsitan loquitur aut in diversorio est aut in itinere aut certe dormit

ut excitetur. Wie Pseustis wiederholt auch Alithía ihre Bitte um die Verlängerung

des Tages.

Vv. 317-320: Mit der Geschichte von Proserpina, die aus Ov. Met. 5.392-

550 schöpft, läßt der Autor der ecloga Pseustis vom Sangeswettstreit in eine direkte

Auseinandersetzung umschwenken, wodurch zum Ende des Gedichts hin

nochmals die Dynamik gesteigert wird. Pseustis stellt Alithía eine Frage aus

dem Zusammenhang der Proserpinageschichte, die weniger ein Rätsel als eine

einfache Wissensfrage darstellt. Proserpina war von Pluto entführt worden, woraufhin

ihre Mutter Ceres nach langer Suche schließlich von der Entführung erfuhr

und Juppiter bat, von Pluto die Rückgabe der Tochter zu erwirken. Juppiter

gab ihrer Bitte nach, allerdings nur unter der Bedingung, daß Proserpina noch

nicht von Nahrung aus der Unterwelt gekostet habe. Doch hatte diese im Garten

des Pluto bereits von einem Granatapfel gegessen und war dabei von Ascalaphus,

einem Unterweltsdämon, beobachtet worden; 98 dieser verriet Proserpina

und machte so ihre Rückkehr unmöglich. Nach dem Namen des Ascalaphus nun

fragt Pseustis. Sollte sie diese – zugegebenermaßen nicht zentrale – Figur kennen,

so wolle er den Sieg Alithías eingestehen; dahingehend wenigstens dürfte

die Bemerkung über das secretum Troianum zu verstehen sein. In diesem haben

verschiedene Interpreten einen konkreten Verweis auf das Palladium, das troianische

Kultbild der Athene gesehen, 99 tatsächlich dürfte es sich aber eher, wie

von Osternacher vorgeschlagen, 100 um eine allgemein-sprichwörtliche Bemerkung

(etwa im Sinne von „sich hervorragend auskennen“) handeln.

Vv. 321-324: Der Frage nach Ascalaphus stellt Alithía ihrerseits ein echtes

Rätsel entgegen; als Antwort auf die Frage, wo die Erde den Himmel über-

98 Ov. Met. 5.539; angesichts der großen Bedeutung der Metamorphosen für den Autor der

ecloga dürfte Ascalaphus diesem – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch seinem Publikum

– vetrauter gewesen sein als dem modernen Leser.

99 Für diese Identifizierung finden sich auch in Spätantike und Frühmittelalter zahlreiche Belege;

in großer Zeitnähe zur ecloga etwa schreibt Remigius von Auxerre in seinem Kommentar

zu Martianus Capella: secretum ergo Troianum vocat ipsum Palladium, hoc est simulacrum

Palladis, quod pro mysterio habebant Troiani (Rem. Aut. Comm. in Mart. Cap. 48.11.9-

10).

100 Osternacher 1907, 64.

73


ragt, dürfte Alithía „im Paradies“ vorgeschwebt haben. Der Verweis auf das

tetragrammaton, die vier hebräischen Buchstaben des Gottesnamens in v. 324,

hat wie das secretum Troianum in v. 320 eine sprichwörtliche Funktion.

Vv. 325-328: Für den Wettstreit zwischen den beiden Sehern Kalchas und

Mopsos, aus dem letzterer siegreich hervorging, greift der Autor der ecloga auf

eine Notiz im Eklogenkommentar des Servius zurück. 101 In Vv. 327-328 zeigt

sich Pseustis dann plötzlich bereit, den Wettstreit fortzusetzen, solange der Tag

noch andauert.

Vv. 329-332: Als Antwort auf Vv. 327-328 zeigt sich auch Alithía bereit,

den Wettstreit fortzusetzen; dabei machen Vv. 330-331 deutlich, woraus sie im

Folgenden ihr Material nehmen will, nämlich den vier Evangelien. Gleichzeitig

weist v. 329 auf die Entschlossenheit der Alithía hin, die auch mit Thales – der

in der Antike als erster Philosoph galt, von Alithía hingegen wenig schmeichelhaft

falsorum fictor genannt wird – in einen Wettstreit eintreten würde, sollte

dieser Pseustis zur Seite springen.

Vv. 333-336: Pseustis gibt sich endgültig geschlagen und wendet sich an

die Schiedsrichterin Fronesis; er gesteht seine Niederlage ein und bittet um ein

Ende des Wettstreits. Der allgemeine Verweis auf Martianus Capellas erklärt die

Verwendung des gewählten, aber bei Martianus üblichen Epithetons Stilbon für

Merkur.

Vv. 337-344: Fronesis beendet schließlich den Sangeswettstreit, erklärt

Alithía zur Siegerin und appelliert gleichzeitig an ihren Großmut, eine Versöhnung

herbeizuführen, um Pseustis nicht vollends verzweifeln zu lassen.

Vv. 345-352: Zur Frage nach der Authentizität dieser Versgruppe siehe in

der Einleitung Kap. I.4. Neben den dort angeführten Argumenten gegen die

Echtheit ist als weiteres wichtiges Indiz der Umstand zu nennen, daß mit v. 349

durch Fronesis nicht nur der Sieg der Alithía bestätigt, sondern diese anschließend

von Fronesis ermahnt wird, sich dem besiegten Pseustis gegenüber großmütig

zu zeigen. Gerade der Forderung des letzten Verses desine quod restat

würde aber das Anstimmen von pia carmina ja deutlich widersprechen.

101 Serv. Ecl. 6.72; cf. Green 1982, 93.

74


IV. Die ecloga als Gottes- und Frauengeschichte

Im Hochsommer, unter dem Sonnenwende-Sternbild des Krebses, treffen sich

im Äthiopierland – beide Angaben weisen auf Vergils 10. Ekloge hin, also Hirtendichtung

mit Wettgesang nach dem Vorbild des Theokrit – der Hirte Pseustis

aus Athen mit seinen Zicklein und die Jungfrau Alithía aus dem Geschlechte

Davids mit ihrer Schafherde. Es ist wohl keine Überinterpretation, wenn man

annimmt, daß der Dichter bewußt den Heidenhirten Böcklein hüten läßt, die

Alithía aber Schafe, wie es der Gute Hirte tut.

Pseustis, beeindruckt von dem schönen Harfenspiel der Alithía, bietet ihr

also einen Wettgesang an und setzt seine Flöte zum Preis; siegt er, bekommt er

ihre Harfe, des Königs David Instrument. Schiedsrichterin wird Fronesis, das ist

die kluge Vernunft, die gerade dazukommt. Diese schafft den Bezug zu Martianus

Capella und seinem großen Werk über die Universalbildung, wo sie ebenfalls

auftritt.

Pseustis als Mann darf anfangen, jedem steht eine Strophe aus vier Hexametern

– es sind Leoniner mit Binnenreim – zur Verfügung, bei Sonnenuntergang

soll der Wettstreit entschieden sein. Es zeigt sich nun, daß Pseustis Geschichten

aus der heidnischen Mythologie vorträgt (daher sein Name: der bedeutet

ja, daß er die Unwahrheit spricht), während Alithía (die Wahrheit) Beispiele

aus dem Alten Testament durchgeht und jenen gegenüberstellt.

Pseustis beginnt mit dem goldenen Zeitalter, Alithía antwortet mit dem

Paradies, in welches durch den Einfluß der Urmutter Eva die Erbsünde kam.

Dem goldenen Zeitalter folgt das silberne (Strophe 2); parallel dazu steht die

Vertreibung aus dem Paradies. Der Dichter betont übrigens, daß die Pforte zum

Paradies versperrt wurde, damit durch den Baum der Erkenntnis kein zweites

Mal Schaden entstehen kann! Anschließend wird das mißlungene Opfer Kains

und das gottwohlgefällige Opfer Abels beschrieben (Strophe 3). Das Lamm

Abels bildet natürlich eine Vorausdeutung auf Christus als Lamm Gottes. Demgegenüber

hatte Pseustis die Einführung der Götteropfer durch Kekrops, den

Ahnherrn der Athener, berichtet.

Die nächsten beiden Gegenüberstellungen sind die Verwandlung des Lykaon,

der den Gott Jupiter herausgefordert hatte, in einen Wolf und dagegen die

Entrückung des gerechten Henoch, der wie Elias den Tod nicht sah – beide wurden

zu Gott entrückt –, womit ein Ausblick auf das Weltende und das Jüngste

Gericht verbunden ist. (Strophe 4) Nach der folgenden Sintflut schafft Deukalion

neue Menschen, entsprechend handelt auch Noah; und Gott schließt im Regenbogen

einen Bund mit den Menschen (Strophe 5). Bereits hier hebt sich ab,

wie in den biblischen Ereignissen eine Entwicklung stattfindet, welche die mythologischen

Geschichten nicht zu bieten haben. Der Taube, die den Ölzweig

nach der Sintflut zur Arche bringt und so den neuen Anfang zeigt (Strophe 6),

wird Jupiters Adler, der den schönen Ganymed auf den Olymp entführt, gegenübergestellt.

Der wird nun Mundschenk Jupiters an der Stelle der Hebe; das ist

75


keine Entwicklung, die mit dem Fortschritt in den biblischen Geschichten sich

vergleichen könnte.

Nun folgen drei Doppelbeispiele (Strophen 7 bis 9) für die Folgen von

Gehorsam und Ungehorsam: die Bestrafung der Titanen, die Berg auf Berg getürmt

haben, um die Götter zu stürzen, Parallele dazu: der Turm von Babel und

die Sprachverwirrung; Abrahams und Sarahs unerwartete Erhöhung durch ihre

späte Fruchtbarkeit, dem gegenüber eine Demütigung Apollons durch Jupiter:

zweimal das Unerwartete, nicht zu Erwartende; zuletzt der Fall des Ikarus, der

seinem Vater Dädalus ungehorsam gewesen war, dagegen der Gehorsam Abrahams

bei der Opferung seines Sohnes Isaak und Gottes Lohn dafür, der wieder

in die Zukunft weist. Spätestens hier fällt auf, daß offensichtlich immer jeweils

drei Parallelgeschichten oder Kontrapunkte zusammengefaßt worden sind und

einen Abschnitt von sechs Strophen bilden.

Im Ping-Pong-Spiel der Episoden folgt nun eine Dreier- bzw. Sechsergruppe

(Strophen 10 bis 12) mit Metamorphosen, also Verwandlungsgeschichten,

oder Eingriffen der Gottheit ins Leben der Menschen: Die thrakische Königstochter

Phyllis verwandelt sich aus Liebesschmerz um Demophon in eine

dürre Korkeiche; als ihr Geliebter um sie weint, sprießen ihm Blätter entgegen.

Dieser Geschichte wird die Zerstörung von Sodom und Gomorrha und die Verwandlung

von Lots Weib in eine Salzsäule gegenübergestellt. Offensichtlich

bildet hier der mangelnde Glaube des Demophon, der dadurch seine Geliebte

verliert, die Parallele zu Lots Weib, die nicht auf Gottes Bund mit Abraham vertrauen

wollte. Zwei Begegnungen mit der Gottheit haben Konsequenzen: Jakob,

der am Fluß Jabbok mit Gott ringt und ihn nicht lassen will, wird von ihm durch

einen Schlag auf die Hüfte gelähmt. Diomedes verletzt im Kampf um Troja die

Göttin Aphrodite, als diese sich persönlich einmischt; zur Strafe werden seine

Gefährten in Vögel verwandelt.

Und schließlich wird der bekannten Geschichte von Josephs Verleumdung

durch Potiphars Weib, seiner Deutung der Träume Pharaos von den sieben guten

und schlechten Jahren und seiner schließlichen Erhöhung die Geschichte vom

keuschen Hippolytus vorangestellt, der gleichfalls in Versuchung geführt, verleumdet

und gar umgebracht, doch von der Göttin Artemis, die das nicht dulden

wollte, ins Leben zurückgeholt wurde. In den letzten zwei Episoden (in Strophe

12) ist der zerstörende Einfluß der Frauen (durch Verführung und Verleumdung)

entscheidend gewesen, zum dritten Mal nach Einführung der Erbsünde durch

Eva in der ersten Strophe der Alithía und der Bestrafung von Lots ungläubigem

Weib.

In der folgenden Gruppe der Strophen 13 bis 15 geht es um Handlungen,

die für die Folgezeit von Nutzen waren. Kadmos erfindet die Schrift, Moses

führt sein Volk aus Ägypten ins Gelobte Land. Jupiter verwandelt sich in einen

Stier und verführt die Europa, gibt ihr aber den Namen, den ein Drittel der Welt

(neben Asien und Afrika) trägt. Aaron schafft das Goldene Kalb, der Stamm Levi

aber erhält für alle Zeit das Priesteramt. Und schließlich wird der komplizierten

Geschichte von Amphiaraus, der von seiner Gattin zu einem Feldzug verleitet

wurde, dessen üblen Ausgang er voraussah, worauf ihn Jupiter in die Unter-

76


welt holte, seine Söhne aber die Mutter ebenfalls in die Unterwelt schickten:

dieser Erzählung wird das Schicksal der Rotte Korah gegenübergestellt, die

gleichfalls in die Unterwelt versank, und schließlich die Bestattung des Moses

durch Gott selbst. In diesen Strophen geht es offensichtlich um die Herstellung

einer Ordnung für die Folgezeit.

Strophengruppe 16 bis 18 erzählt von wunderbaren Rettungen und Großtaten:

Io, eine der Geliebten des Jupiter, wird von Juno in eine Kuh verwandelt,

es gelingt ihr aber, die Göttin zu versöhnen und ihr menschliches Äußeres zurückzugewinnen.

Bileam soll auf Anweisung des Königs der Moabiter das Volk

Israel verfluchen. Er reitet auf seinem Esel, da stellt sich ihm ein Engel in den

Weg, den nur der Esel sieht. Als Bileam den Esel schlägt, spricht der plötzlich

mit menschlicher Stimme, und Israel wird gerettet. Die nächsten beiden Strophen

erzählen die Verlängerung der Nacht für Jupiter, während er mit Alkmene

den starken Herkules zeugt, und die Verlängerung des Tages für Josua, der so

die Gibeoniten besiegen kann. Herkules wird trotz seiner Großtaten am Ende

durch Deianira seiner Kraft beraubt: die Parallele dazu bildet natürlich Samson,

der von Dalila geblendet und schließlich gleichfalls zu Tode gebracht wird. Wie

Strophengruppe 12 endet auch dieser Abschnitt mit dem zerstörenden Einfluß

der Frauen auf ihre heroischen Männer, die die Welt reinigen und ordnen.

An dieser Stelle macht der Dichter die Gliederung seiner Ekloge sichtbar.

Nach 18 Strophen in sechs Dreiergruppen (das sind 144 Verszeilen) stimmen

nämlich Pseustis und Alithía jetzt ein Gebet zu den heidnischen Göttern bzw.

zum dreifaltigen Gott an und bitten um den Sieg über das Böse (zweimal vier

Verse). Dieses zentrale Gebet trennt den Hauptteil in zwei gleiche Teile, denn

anschließend folgen noch einmal sechs Dreiergruppen (die Strophen 20-37), also

wieder 144 Verse Wettgesang. Das Prooemium vor dem Beginn des Wettgesangs

bestand aus 36 Versen, die sich in die Abfolge 15 + 4 + 7 + 3 + 7 einteilen

lassen. So ergibt sich die Gesamtanordnung: 36 / 144 / 8 / 144 / 12; der Urteilsspruch

am Schluß umfaßt nämlich 12 Verszeilen. 36 Verse Prooemium plus 12

Verse als Schluß ergeben 48 Verse. Der Hauptteil mit 12 mal 24, also 288 Versen,

plus 8 Versen Zentralgebet ergibt 296 Zeilen; zählt man nun noch die 48

Verse der Rahmenerzählung hinzu, entsteht die Gesamtzahl 344. Und hier zeigt

sich der Zahlenzauber: bei 344 Versen ergeben die Zahlen 3 mal 4 mal 4 wieder

48; alles ist durch 6 teilbar bzw. durch 3. Und das ist ja die Zahl Gottes, die Trinität.

In der 33. Strophe der Alithía wird der Sieg des Osterlamms über das Böse

benannt, also Opfer und Auferstehung Christi. Seine Lebenszeit betrug der Legende

nach bekanntlich 33 Jahre!

Wir stellen also fest, daß unser Dichter Theodulus, der „Diener Gottes“,

wie sein Name sagt, sein Werk nach einer konsequenten Zahlensymbolik aufbaut,

indem er durch Herbeiführung von Symmetrien und Entsprechungen eine

eindrucksvolle Architektur erstellt. Übrigens macht er dadurch klar, wie ernst er

sein Vorhaben nimmt und welche Bedeutung er ihm beimißt. Bereits im Vorspann

hatte Fronesis (die „kluge Vernunft“) die Anweisung gegeben: sit tetras

77


in ordine vestro | Pitagorae numerus. 102 Grundlage bilden stets die Ziffern 3 und

4 sowie natürlich ihre Summen und Produkte. Systematik in der Verwendung

heilbringender Zahlen anzustreben, ist gängige mittelalterliche Praxis, selbstverständlich

auf religiösem Hintergrund. So wie der Schöpfer mit der Weltschöpfung

die Zeit erschuf und einteilte und gliederte, so muß der Mensch sein Leben

einteilen, ins Kirchenjahr etwa und in Gebets- und Arbeitsstunden: dann überwindet

er Unordnung, Chaos und Diabolos – der Teufel ist ja der Verwirrer, der

Stifter von Unordnung und Unglück – und denkt, soweit er kann, Gottes Gedanken.

Daß wir richtig gesehen haben, zeigt die folgende Dreiergruppe (Strophen

20 bis 22): von jetzt an überwiegen positive Einflüsse, die in den Strophen der

Alithía auch nicht mehr beeinträchtigt werden. Orpheus vor Proserpina und David

vor Saul profitieren von der heilenden Zauberwirkung der Musik. Der Gott

Merkur erhält seine Zaubermacht über die Pflanzen und seine Aufgabe als Seelengeleiter

durch die Muttermilch seiner Tante Juno, die ihn in der Grotte der

Maja gesäugt hat; Salomon bekommt die Weisheit und Macht Gottes verliehen

und kann so in Jerusalem den Tempel Davids vollenden. In dieser Strophe wird

zum fünften (und letzten) Mal an den verderblichen Einfluß der Frau erinnert.

Von Ceres geschickt, kommt Triptolemos und bringt die Ähre in die unfruchtbare

Welt: ein Eingriff der Gottheit, der für die Zukunft Hoffnung gibt. Elias

schließt den Himmel, die Erde wird gleichfalls unfruchtbar, doch er wird durch

den Raben, den Gott schickt, gespeist.

Die nächste Gruppe führt den Gedankengang zu Himmelfahrt, Lebensverlängerung

und Dauer: Bellerophon tötet die todbringende Gorgo und schwingt

sich auf dem Flügelroß Pegasus in die Lüfte. Elias fährt auf einem feurigen Wagen

gen Himmel und hinterläßt seinen Prophetengeist dem Nachfolger Elisa in

verdoppelter Kraft. Aurora schenkt ihrem Gatten Tithonos die Unsterblichkeit;

der Todestag seines Sohnes Memnon wird alljährlich begangen, freilich von

Vögeln, die aus seiner Asche kamen. Dem frommen König Hiskia schenkt Gott

zusätzlich Lebenszeit und läßt als Zeichen dafür die Sonne rückwärts gehen.

Und der Begründung der Olympischen Spiele bei den Heiden entspricht die

Einsetzung des Paschafestes durch den König Josias, den Jeremias in den Klageliedern

für alle Folgezeit betrauert. Anschließend werden die Folgen der Selbstüberhebung

gezeigt: Als Salmoneus wie Jupiter sein will und Blitze schleudert,

wird er von ihm vernichtet. Und als Nebukadnezar gleichfalls glaubt, er sei wie

Gott, verliert er seine Herrschaft und muß wie ein Tier weiterleben.

In der folgenden Strophe 27 fehlen erstmals die Beispiele. Pseustis macht

Phöbus, dem Sonnengott, Vorwürfe, weil er stehenzubleiben scheint, und ruft

nach der Nacht und dem Ende des Wettstreits. Alithía stellt fest, daß seine Niederlage

nahe ist. Danach wird Danae, der Jupiter in ihrem Turm trotz aller Sicherheitsmaßnahmen

die Unschuld raubt, die Rettung Daniels aus der Löwengrube

gegenübergestellt. Je ein Beispiel für negatives oder positives Einwirken

der Gottheit.

102 Vv. 35-36.

78


Nach dieser Niederlage einer Frau bringen die Strophen 29 bis 31 auf Seiten

Alithías einen neuen Gedanken und eine überraschende Entwicklung: Frauen

erheben sich über ihre schwache Natur, verlieren ihren negativen Einfluß, werden

aus Leidenden, ihrer Natur Erliegenden zu handelnden Helferinnen. Niobe,

die sich aus Eitelkeit und Hochmut mit der Göttin mißt, wird von ihr getötet.

Susanna im Bade dagegen besiegt ihre weibliche Schwachheit und sorgt für die

Bestrafung der Männer, die die Ordnung mit Füßen treten. Prokne und Medea

töten voll weiblicher Bosheit ihre eigenen Kinder. Judith enthauptet den assyrischen

Feldherrn Holofernes und rettet so ihr Volk. Scylla, von Minos verschmäht,

verübt aus Rache Verbrechen am eigenen Vater. Esther dagegen bewahrt

durch ihren Mut ihr Volk vor der Vernichtung.

Damit enden die kontrastierenden Beispiele, der Wettgesang ist eigentlich

zu Ende. Auffällig war, wie in den Strophen der Alithía, was wir schon bei den

Sintflutgeschichten bemerkt haben, eine Entwicklung stattfindet, zunächst im

Hinblick auf die Einrichtung der Welt und die Ordnung der Zukunft, dann aber

konzentriert auf das Erscheinungsbild der Frau, die in der heidnischen Mythologie

durchwegs gefährlich und bedrohlich, zugleich aber schwach und gefährdet

erscheint, da ja die Frau als „Mängelwesen“, von phlegmatischer, also kalter und

feuchter Komplexion, dem Gesetz der Natur unterliegt, während der Mann, der

sich vom Sanguiniker (warm und feucht) zum Choleriker (warm und trocken)

entwickelt, seine Natur beherrschen kann und soll.

Diese Einzelheiten stehen nicht im Gedicht, waren aber für den mittelalterlichen

nicht anders als für den antiken Menschen selbstverständliche Grundlage

und Voraussetzung seines Denkens. Die Karolingerzeit kannte das Viererschema

und die aus ihm erwachsende Humoralpathologie auf jeden Fall aus den

‚Etymologien’ (4. Buch) des Isidor von Sevilla (um 600). Die Zuordnung der

Säfte zu den moralischen Komplexionen fehlt dort freilich, es geht nur um

Krankheiten. Im ‚Hortulus’ des Walahfrid Strabo finden sich keinerlei Angaben

zur Komplexion, diese treten erstmals im ‚Macer Floridus’ auf. Es gab zwar einen

„Ur-Macer“, aber erst nach Bekanntwerden des ‚Liber graduum’ des

Constantinus Africanus zwischen 1050 und 1100, der erstmals die Komplexionen

in der Phytotherapie berücksichtigt, entstand der uns vertraute ‚Macer’, der

zu jeder Pflanze die Primärqualitäten schreibt. 103 Wie weit diese Umstände gegen

eine Datierung der ecloga in die Zeit Karls des Großen sprechen, kann hier

nicht entschieden werden. Das Viererschema und die Humoralpathologie war

jedenfalls, unter Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der antiken Tradition,

bis in die Goethezeit hinauf die Welterklärungsformel, das Paradigma, das

die Weltordnung darstellte. Die Leistung unseres Dichters Theodulus besteht

nun darin, hier eine Entwicklung herausgearbeitet und mit seinen Beispielen aus

dem Alten Testament belegt zu haben, nämlich wie von Eva bis Esther die Frau

den Einfluß ihrer schwachen und eigentlich schlechten Natur zu beherrschen

und sogar zu überwinden gelernt hat, offensichtlich aufgrund ihrer Orientierung

an Gottes Bund mit seinem rechtgläubigen Volk, auf den ja nach der Strophe 2

103 Goehl/Mayer 2003, 20.

79


auch etwa in den Strophen 5, 8 und 14, immer im Mittelpunkt der jeweiligen

Dreiergruppe, von Alithía hingewiesen wurde. Damit ist selbstverständlich auch

die Überlegenheit Gottes im AT über die heidnischen Götter und deren Mythologie

unwiderlegbar gezeigt und der Fortschritt bewiesen, den das christliche

Weltbild mit sich brachte. Wohlgemerkt: diese Entwicklung der Frau wird im

Hinblick auf ihre Bestimmung dargestellt, zu ihrer höchsten Daseinsmöglichkeit,

nämlich der Gottesgebärerin, in der sich der Sohn Gottes inkarniert, zu gelangen.

Ohne weiteres kommt allerdings damit auch ein neues Verständnis von

der Würde der Frau in die Welt.

Doch bis zum endgültigen Sieg der Alithía sind noch sechs Strophen nötig.

Pseustis sucht Unterstützung bei den Musen, den Nymphen und den zwölf

Göttern, die der römische Dichter Ennius aufgezählt hat. Alithía macht ihn dagegen

auf die Absurdität der unzähligen Einzelgötter aufmerksam. Der Aufforderung

des Pseustis, die Lämmer jetzt am Abend in ihre Ställe heimzuführen,

damit der Wolf nicht über sie herfällt, antwortet Alithía mit dem Bild des Osterlamms,

das über ihn und über alle Feinde triumphiert (in Strophe 33, wie schon

angemerkt). Und als Pseustis beklagt, daß doch die Götter eine Welt geschaffen

haben, in der alles gegeneinander kämpft, stellt ihm Alithía vor Augen, daß diese

Gegensätze ja einander ausgleichen: ein Ausblick auf die Besänftigung des

Zorns des Weltenrichters nach dem Tod des Leibes.

In Strophe 35 sieht sich Pseustis von den Göttern verlassen. Er kann den

Wettstreit nur gewinnen, wenn jetzt die Nacht kommt und ein Ende erzwingt.

Alithía preist dagegen den Schöpfer, der die Welt so gut eingerichtet hat und den

Tag dauern läßt, damit sie jetzt seinen Triumph verkünden kann. Dabei verzahnt

der Dichter seine Verse hier am Ende: die Strophenschlüsse der Gruppen 33 und

35 zitieren einander. Pseustis versucht ein letztes Beispiel: Die geraubte Proserpina

wurde durch Verrat dazu verdammt, Herrscherin über die Unterwelt zu

sein. Er spricht Alithía auf das Geheimnis des Palladiums an – so deutet Bernhard

von Utrecht diese Stelle –, welches Troja durch Zauberkraft vor der Zerstörung

schützte (bis es freilich durch Odysseus oder Aeneas entführt wurde).

Alithía antwortet ihm mit Gottes Weltordnung und mit dem Gottes-Tetragramm

JHWH (Jahwe/Jehovah). Der Bund mit einem doch vergänglichen Götterbild, an

dem angeblich Schutz durch Zauberwirkung haftet, wird verglichen mit dem

Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat! (5 und 6 gegen 36: eine

Klammer innerhalb des Gedichts.)

Pseustis will sich der Jungfrau, von der er sich betrogen fühlt, indes noch

immer nicht geschlagen geben. „Tausendmal werde ich meine Verse wiederholen,

bis mir der Abend meine Zeit entzieht.“ Da antwortet ihm Alithía mit der

„Lehre der Evangelien, die sagen, daß Gott durch die Jungfrau unseren Menschenkörper

angenommen hat.“ Damit ist der Wettstreit entschieden, jetzt ist

kein Gegenargument mehr möglich. Pseustis gibt sich geschlagen, Fronesis fordert

zur Versöhnung auf, damit Pseustis nicht in Verzweiflung fällt. Der Schluß

dieser „Ekloge“ wird ganz besonders wirkungsvoll dadurch, daß nach der Nennung

der Inkarnation Gottes durch die Jungfrau Maria das Werk schließt. Wenn

80


die Sonne wieder aufgeht, beginnt sozusagen das Neue Testament und eine andere

Zeit.

Der Dichter hat also tatsächlich eine Teleologie von der Urmutter Eva, die

die Sünde in die Welt brachte, bis zur Gottesmutter Maria, die Gott in die Welt

brachte, herausgearbeitet und in einen mathematisch gegliederten Gedankengang

gefügt. Der aus der frühen Ostkirche stammende schöne und theologisch ja

notwendige Gedanke von der Vollkommenheit der Theotókos oder Deípara bzw.

Dei Génitrix, der Gottesgebärerin, und ihrer Freiheit von der Erbsünde infolge

der unbefleckten Empfängnis (die schließlich 1854 durch Pius IX. zum Dogma

erklärt wurde) wird hier in der ecloga unseres „Gottesknechtes“ Theodulus im

lateinischen Westen greifbar. Die von Alithía vorgetragenen Geschichten aus

dem Alten Testament sind für den Autor wie für den mittelalterlichen Leser

historische Tatsachen. Insofern hat der Dichter seine Gottes- und Frauengeschichte

unwiderlegbar historisch fundiert.

Wie sehr das marianische Mysterium fromme Männer immer beschäftigt

hat und weitergedacht worden ist, zeigt ein Text, der hier angehängt werden soll;

er ist zu finden in der Münchener Residenz über dem Eingang zur sogenannten

Reichen Kapelle, die 1607 geweiht wurde. Unter dem „Englischen Gruß“ wird

Maria gegrüßt als Genitrix Genitoris sui iam geniti gignendi – wundervoll geistreich,

doch kaum übersetzbar: die Gebärerin ihres Schöpfers, der schon gezeugt

ist (durch Gott Vater vor aller Zeit) und jetzt durch sie geboren werden wird.

81


ecloga Theoduli – Übersicht

Pseustis

1. Saturn, Goldenes

Zeitalter.

Freude für die Götterkinder.

2. Sturz des Saturn, Silbernes

Zeitalter,

Herrschaft Jupiters.

3. Kekrops führt Opfer

ein.

4. Lykaon wird zum

Wolf.

5. Sintflut. Deukalion

schafft die Menschen

neu.

6. Ganymed wird vom

Adler entführt.

7. Die Titanen türmen

Berg auf Berg: Strafe.

8. Das Unerwartete:

Apollons Fall durch

Jupiter.

9. Tod durch Ungehorsam:

Ikarus stirbt, Dädalus

bleibt am Leben.

Alithía

Paradies, Erbsünde

durch Eva.

Unheil für die Nachfahren.

Verbannung, Todesschicksal,

versperrte Paradiesespforte,

damit kein neuer

Schaden entsteht durch

den Baum der Erkenntnis.

Kains und Abels Opfer.

Henoch wird entrückt.

Elias. Leviathan.

Sintflut. Noah desgleichen.

Regenbogen.

Rabe wird verdammt,

Taube bringt den Zweig

zur Arche. Beweis: Reste

der Arche in Armenien.

Turm von Babylon: Strafe.

Das Unerwartete: Abrahams

und Sarahs Erhöhung

durch Gott, Sohn

Isaak.

Leben durch Gehorsam:

Opferung des Widders.

Isaak bleibt am Leben

durch den Gehorsam Abrahams.

Wirkungen auf

die Folgezeit.

Gegensatz.

Gegensatz.

Parallele.

Vorausdeutung

auf Christus.

Gegensatz

Vorausdeutung

auf das Weltende

Parallele.

Bund zwischen

Gott und den

Menschen.

Parallele.

Archäologischer

Nachweis der

Heilsgeschichte.

Ungehorsam

und Gehorsam.

Parallele.

Gegensatz.

Gegensatz.

82


10. Phyllis – Korkeiche.

Ungläubiger Mann.

11. Diomedes verletzt

Aphrodite. Diese

verwandelt seine Gefährten

in Vögel.

12. Hippolytus wird verleumdet,

von Diana

ins Leben zurückgerufen

und bekommt

neuen Namen.

13. Kluge Taten des

Kadmus.

14. Jupiter – Stier – Europa:

ihren Namen

trägt ein Drittel der

Welt.

15. Unterweltsstrafe für

Amphiaraus. Rache

des Sohnes an der

Mutter. Unterweltsstrafe

auch für

die Gattin.

16. Io wird Kuh und wieder

Mensch.

17. Verlängerung der

Nacht für Jupiter bei

Alkmene. Ihr Knabe

Herkules erwürgt die

Schlangen.

18. Großtaten des Herkules.

Verliert seine

Kraft durch Deianira.

Weib des Lot – Salzsäule.

Ungläubige Frau.

Jakob am Jabbok, Gott

lähmt seine Spannader.

Kinder Israels dürfen diese

Ader nicht essen.

Joseph in Ägypten wird

verkauft, verleumdet, bekommt

vom Pharao neue

Stellung.

Kluge Taten des Moses.

Goldenes Kalb Aarons:

Priesteramt beim Stamm

Levi.

Unterweltsstrafe für die

Rotte Korah, der Aaron

um sein Priesteram beneidet,

durch Moses. Bestattung

des Moses durch

Gott.

Bileams Esel spricht wie

ein Mensch.

Verlängerung des Tages

für Josua. "Lohn eines

heiligen Glaubens".

Großtaten des Samson.

Verliert seine Kraft durch

Dalila.

Metamorphose

nach unten.

Gottes Bund mit

Lots Onkel Abraham.

Metamorphose.

Gefährliche Begegnung

mit der

Gottheit.

Metamorphose

nach oben durch

Tugend.

Zerstörender

Einfluß der

Frauen.

Nutzen für die

Folgezeit.

Nutzen für die

Folgezeit.

Unterweltsstrafen

der Neider. Herstellung

der Ordnung

für die Folgezeit.

Wundertaten.

Lohn der Verbindung

mit

Gott.

Großtaten. Zerstörender

Einfluß der

Frauen.

83


19. Anrufung der Götter. Anrufung Gottes. Gebet um Sieg

über das Böse.

20. Orpheus vor Proserpina.

21. Merkurs Fähigkeiten

infolge Junos Muttermilch.

22. Triptolemus bringt

die Ähre in die unfruchtbare

Welt.

Hoffnung.

23. Gorgo. Bellerophon

tötet sie, schwingt

sich auf Pegasus in

die Lüfte.

24. Tithonus: Zikade, bestattet

seinen Sohn

Memnon, Memnoniden:

Vögel.

25. Olymp, Olympische

Spiele. Ewiges Gedenken.

26. Selbstüberhebung:

Salmoneus schleudert

Blitze. Gestürzt durch

Jupiter.

27. Fall des Phaethon,

Stillstand der Sonne.

Wunsch nach der

Nacht und dem Ende

des Wettstreits.

28. Danae im Turm: Verlust

der Unschuld

durch Jupiter.

David vor Saul.

Salomons Verdienste infolge

des befristeten Geschenks

von Weisheit und

Macht Gottes. Störender

Einfluß der Frau.

Elias schließt den Himmel,

Erde wird unfruchtbar.

Speisung durch den

Raben. Hoffnung.

Jezabel. Elias fährt auf

feurigen Rossen gen

Himmel. Übergibt Elisäus

seinen Geist verdoppelt.

Hinausgeschobener Tod

des Hiskias. Umkehr der

Sonne.

Höhen um Megiddo, Paschafest

durch Josias. E-

wiges Gedenken, Jeremias.

Nebukadnezar glaubt, er

sei Gott. Wird zum Tier.

Keine Vergleichsbeispiele!

Lob der Sonne.

Daniel in der Löwengrube:

Rettung durch Engel

und Habakuk.

Positive Wirkung

der Musik.

Positiver Einfluß

der Gottheit.

Eingriff der

Gottheit macht

Hoffnung für die

Folgezeit.

Parallele.

Himmelfahrt.

Parallele.

Verlängertes

Leben.

Parallele.

Ewiges Gedenken.

Parallele:

Strafe für Selbstüberhebung.

Sieg und Niederlage

kündigen

sich an.

Gegensatz

Negatives und

positives Einwirken

der

Gottheit.

84


29. Niobe: Überhebung

durch Eitelkeit.

30. Sieg durch Mordtaten:

Prokne und Medea.

31. Scyllas Liebeskrankheit

und Strafe.

32. Anrufung der 9 Musen

und der 12 Götter

um Beistand beim

Wettstreit.

33. Erneute Aufforderung

an die Sonne, unterzugehen.

34. Irdische Gegensätze

und Kämpfe. Schuld

welches Gottes?

35. Pseustis von den Göttern

verlassen. Bittet

um Ende des Tages.

Strophenschluß wie

33.

36. Proserpina, Treuebruch,

Troja: Palladium.

37. Pseustis will sich einer

Frau nicht geschlagen

geben.

Susanna: Überwindung

der weiblichen Schwachheit.

Sieg über starke Männer:

Judiths Sieg über Holofernes.

Esthers Mut und Rettung

Israels.

Absurdität der vielen Einzelgötter.

Aufforderung an die Sonne

zu bleiben: Triumph

des Osterlamms.

Irdische Harmonie. Tilgung

von Gottes Zorn.

Alithía in Gottes Hut.

Ende des Tages bringt

Sieg.

Beziehung der Strophenschlüsse.

Weltordnung, Gottes Tetragramm

JHWH.

Evangelien: Gottes Inkarnation

durch die Virgo

Maria.

Frauen handeln

entgegen ihrer

Natur und werden

vollwertig.

Ende der Beispiele.

Neuer Einsatz.

Nennung Christi

in Strophe 33/2!

Gegensätzliche

Weltbilder.

Sieg und Niederlage

werden

sichtbar.

Sieg.

85


ecloga Theoduli – Überblick über den Handlungsfortgang

Strophen-

Gruppen

Inhalt AT

Aussage

1-3

Paradies, Erbsünde, Kain

und Abel.

Erbsünde durch die Frau. Bleibende

Setzungen, Vorausdeutung auf Christus.

4-6 Henoch, Sintflut.

Vorausschau auf das Weltende, Bund

zwischen Gott und Menschen.

7-9

10-12

13-15

16-18

Strafen für Hochmut.

Unerwartete Belohnung.

Lohn für Gehorsam.

Lots Weib, Jakob am Jabbok,

Joseph.

Moses, Levi, Rotte Korah,

Bestattung des Moses

durch Gott.

Bileams Esel, Josua,

Samson.

Ungehorsam und Gehorsam gegenüber

Gott.

Begegnungen mit Gott, verschiedenartige

Folgen,

Störender Einfluß der Frauen.

Herstellung der Ordnung für die Folgezeit.

Wundertaten. Lohn der Verbindung mit

Gott. Störender Einfluß der Frauen.

19 Gebet. Gebet um Sieg über das Böse.

20-22

23-25

26-28

David vor Saul, Salomon,

Elias.

Elias, Hiskias, Josias

(Jeremias).

Daniel in der Löwengrube.

Eingriffe Gottes. Großtaten trotz störenden

Einflusses der Frauen auf Salomon.

Weitere Eingriffe Gottes: Himmelfahrt,

Verlängertes Leben, Ewiges Gedenken

Sieg und Niederlage zeichnen sich ab.

86


29-31 Susanna, Judith, Esther.

Frauen handeln entgegen ihrer Natur

und werden vollwertig. Gebet 19 ist

erhört. Ende der Beispiele.

32-34

35-37

Gottes Triumph über Einzelgötter,

Triumph des

Osterlamms, Tilgung von

Gottes Zorn.

Gottes Tetragramm. E-

vangelium: Gottes Inkarnation

durch die Virgo.

Sieg und Niederlage sind entschieden.

Teleologie von Eva zu Maria.

38

Kapitulation des Pseustis unter Berufung auf Martianus Capella.

Versöhnung.

87


88


V. Zitierte Literatur

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91


92


VI. Indices

I.1. Index nominum

Die Namen der Sprecher, Alithía, Fronesis und Pseustis, sind hier nicht aufgenommen.

Aaron 146

Abacuc 260

Abel 58

Abra<ha>m 97

Acheron 151, 191

Acrisius 254

Adam 89

Admetus 96

Aethiopes 1

Agenor 143

Agnus Paschalis 299

Alcida 173

Alcides 168

Alcmena 167

Amphiaraus 149

Amphitryon 165

Apollo 94

Arcas 61

Argolicus 117

Argus 158

Armenia 84

Assyrii 241, 276

Athenae 4, 56

Aurora 221

Babylon 89

Balaam 161

Bellerophon 215

Bileam sieh Balaam

Cacus 175

Cadmus 133

Cain 57

Calcas 326

Canopus 132

Capella 334

Cecrops 53

Ceres 206

Chora 153

Christus 59

Cnosius 205

Cretaeus 37

Cyclops 93

Cyllenius 197

Cytharea 117

Daedalus 101

Dalida 180

Danae 256

Daniel 258

David 9

Deianira 176

Demophon 109

Deucalion 71

Deus 57, 73, 91,

155, 185,

241, 258,

324, 332

Diana 127

Dis<pater> 182

Dodona 205

Edissa 282

Elias sieh Helias

Elicon 286

Elis 238

Ennius 288

Enoc 65

Esther sieh Edissa

Europa 141

93


Eurydice 191

Evangelicus 330

Ezechias 226

Gabaon 170

Ganymedes 77

Geryon 174

Gibeon sieh Gabaon

Gorgo 213

Graecus 133

Habacuc sieh Abacuc

Hebe 80

Helena 301

Helias 68, 209,

217

Helicon sieh Elicon

Henoch sieh Enoc

Hesperus 328

Hippolytus 125, 128

Hiskia sieh Ezechias

Holophernes sieh Olofernes

Jacob 121

Idaeus 77

Idida 201

Jeremias 236

Jezabel 217

Io 157

Ipolitus sieh Hippolytus

Joseph 129

Josias 233

Josua 171

Iris 76

Juda 233

Juno 158

Jupiter 45, 55, 62,

63, 78, 87,

93, 141,

165, 239

Korah sieh Chora

Latonius 262

Lethe 311

Levi 147

Leviathan 68

Loth 114

Lycaon 61

Magedo 234

Maia 200

Manes 341

Mare Rubrum 10

Martianus Capella sieh Capella

Medea 272

Media 282

Megiddo sieh Magedo

Memphis 140

Mennon bzw. Memnon 223

Minos 277

Mopsus 326

Moyses 137, 155

Musa 194, 286

Napaea 286

Nilus 138

Nioba 264

Noe 74

Orcus 175

Olofernes 274

Olympus 230, 321

Orpheus 190

Paeon 94

Pallas 56, 215

Paradisus 41

Pascha 235

Penates 292

Persis 282

94


Phaethon 246

Phoebe 166, 342

Phoebus 170, 245,

248

Phyllis 109, 112

Proserpina 192, 316

Proteus 286

Pyrrha 72

Pythagoras 36

Salmon<eus> 237

Salomo sieh Idida

Samson 177

Sara 97

Saturnus 37

Scylla 277

Segor 115

Sodoma 113

Sophia 201

Stilbon 333

Susanna 268

Tempe 287

Tereus 271

Thales 329

Threicius 341

Tithonus 221

Triptolemus 207

Trivia 263

Troia 223

Troianus 320

Tydida 118

Vasthi 283

Virbius 128

Vulcanus 88

Zoar sieh Segor

95


I.2. Index verborum

abyssus 73, 183,

314

accelerare 31

acceptabilis 58

accipere 154, 332

accusare 125

acies 117

acuere 120

adaquari 25, 30

addicere 131, 225

adeo 21

adesse 22, 28, 287,

329

adhuc 44, 140,

236

adipisci 337

adire 52, 317

adiuvare 56, 194

adulter 255

adventus 67

aedes 62

aequare 35

aequus 19

aer 101, 273,

280, 322

aerugo 302

aestas 1

aetas 99, 236,

265

aeternus 51

aether 78

aethereus 209

ager 178, 302

agere 96

agger 15

agitare 126

agnus 59, 295,

299

agon 229

agricola 306

alter 15

amictus 142

amittere 122

amodo 75

amoenus 3

amor 109, 204,

220, 275,

333

angelus 162

anguis 168

anhelus 228

anima 307

animal 81, 116,

163

annuere 202, 324

annuus 224

antrum 88

apparere 218

aptare 101

aqua 70, 137

arbor 234

arca 74

arctus 104

ardere 130, 277

arduus 231

arere 305

argentum 47

aridus 154

aries 108

arista 208, 242

arma 46, 143,

240

armiger 79

arripere 78

ars 137, 199,

215, 325

articulus 196

arvum 64, 238

arx 89, 171

asella 161

asper 64, 271

assecla 212

assumere 98

astrum 301

96


athleta 67

attingere 104, 257

auferre 79

augere 36, 222

aura 216

aureus 2, 38

aurum 45, 145,

256

auscultari 12

avertere 309

avis 224

avus 40

axis 2, 218, 323

baca 150

balare 13

barathrum 290

bellare 117

bellum 169

bestia 243

bibere 211

bidens 195

bigae 126

bos 54

brumalis 104

bucca 6

cadere 22, 60, 103

calcar 161

calidus 141

calor 25

campus 234

cancer 2

candidus 166

canere 16

capella 3, 247

capere 11, 109,

275, 279

capillus 260

capra 294

captivus 283

carmen 12, 190

caro 307

casus, -us 233

caulae 297

caus (cos) 116

causa 53, 245,

289

cavea 257

cedere 18, 70, 122,

175, 296,

312, 326,

336

celebrare 55

cera 102

certare 17, 189

cessare 247, 273,

340

chorda 194

cicada 222

cinis 50, 113

circumfluus 138

cithara 10, 19

citharista 194

civis 139, 284

clades 75, 246,

272

claustra 179

clava 173

codex 331

coelestis 61

coelicola 86, 309

coelum 90, 290,

296, 312,

313, 323

cogere 162, 245

cogitare 114

cognomen 4

coire 19

colere 182

collaudare 186

columba 83

comedere 124

comere 216

committere 44, 119

commovere 341

compar 240

comparere, -eo 66

97


compellere 3

compescere 147

complecti 288

compos 104

concedere 79

concipere 98

condere 56

condicio 192

conferre 339

confertus 204

conficere 99

confiteri 292

conflare 145

confligere 304

confusio 91, 232

congredi 121

coniunx 42, 72, 281

consistere 322

constringere 209

construere 90

consuevisse 164

consumere 174

contemnere 279

contendere 337

contentus 244

convicium 273

cornu 107, 157,

298, 342

corda sieh chorda

corpus 4, 64, 110,

193, 331

corrumpere 256

corvus 81, 212

cos sieh caus

creare 85, 99, 250,

315

credere 199, 276

cremare 261

crinis 180, 231,

278

crudelis 46

cruentare 270

cultor 65

cumulare 87

cuncti 38, 43, 69,

172, 199,

243, 307,

315, 337

cupere 293

cur 16, 251

cura 96, 298

curare 287, 313,

338

curia 48

cursus 228, 300,

316

curvus 280

cytisus 294

damnare 81

damnum 127

dare 19, 48, 58,

148, 156,

268, 318

dea 118

debere 53

decere 59

decernere 94

decolor 47

decorare 157, 203

decorus 9

defendere 181, 184

deferre 84, 212,

259

deficere 170

defigere 171

deflere 233, 276

deicere 88, 240

deitas 95, 142

demittere 189

demonstrare 208

demum 176

dens 120, 134

deorsum 106

depellere 294

dependere 263

deplorare 119

deputare 158

98


desinere 344

desperatio 344

destituere 252

detestari 234

deus 181, 184

devastare 178

devehere 78

devincere 340

devorare 154

dexter 152, 196

dicere 20, 317,

320, 323

dies 28, 296,

300, 312,

316

differre 226

digitus 146, 303

dignari 221

dignus 73

dimittere 216

dirigescere 214

dirus 309

discedere 97

discere 172, 244

discerpere 126

discolor 6

discrimen 338

discutere 131

dispergere 92

disponere 38

disrumpere 73

distichium[!] 288

distrahere 218

districtus 267

divinus 113

divus 48, 79, 304

dolere 326

dolor 14

domina 130

dominus 121, 147,

339

domum 31, 232

domus 271

donare 144

donum 201

draco 136, 173

dubitare 32, 227

ducere 232

dulcedo 11

dulcis 305

duma 108

dux 119, 274

edere 168

educere 139

efferre 298

effigies 116, 160,

213

effugium 217

egregius 53, 253,

333

eicere 49

emittere 7, 106

ensis 52, 60

equus 216, 218

error 289

esus, -us 13

evangelicus 330

evenire 123

evertere 137, 204

exagitare 77

excedere 229

excidere 92

excitare 91

exitium 140

expavescere 274

expellere 46

experiri 246

exsors 198

exstare 128

exstinguere 222

exsulare 49

exuere 63, 308

exuviae 177

fabricari 93

facere 120, 243

facies 225

99


fallere 63, 251

falsus 188, 329

fames 206, 258

famulari 249

fari 324

fastigium 313

fateri 23, 199

fatum 135, 153,

226, 267

fel 14

femina 271

femineus 274

femur 122

ferox 158

ferre 14, 33, 59,

179

ferrum 54

fervidus 1

festum 224

fetus sieh foetus

fictor 329

fidere 67

fides 172

fieri 91, 230

figere 250, 300,

316

filius 100, 102

fingere 289

finis 187

fistula 6, 18

flagrare 150

flamma 265

flammeus 52, 219

flebilis 110

flectere 228

floridus 287

fluctus 103, 139

fluvius 10, 11

foca sieh phoca

focus 261

fodere 303

foedare 273

foetus 262

folium 84, 112

fons 8, 73, 234,

306

foramen 7

fores 52, 259

forma 105, 141

fortuna 135

fragilis 102

frater 58, 60

fraus 180, 299,

327

frequens 224

frigus 343

frondere 285

frons, frondis 189

fruges 57, 302

fulmen 88, 93, 237

funus 60

furiosus 119

gaudere 40

gaudium 33

gaza 204

gemere 103, 123

geminare 166, 220

generosus 40

genitor 39

genitrix 85

gloria 185

gramen 210

gramma 133

gravare 100, 332

gravis 109, 118,

192

gremium 256

grex 13, 25, 30

gustus 270, 319

habere 10, 144,

291

haerere 107

haurire 43, 151

herba 197

heres 105, 220

100


herilis 99

heros 197

hippomanes 270

hodie 325

homo 41, 71, 156,

164, 229,

243

honor 50

hora 28, 226,

328

horrere 159, 163

hospes 62

hostia 59, 87

hostis 139, 239,

340

hortus 303

huc 28

humanus 76, 249

humerus 263

humi 134

humus 211, 314

hydra 174

hydrus 134

iacere, -io 72

ianitor 175

ibi 92

ide<a> 213

igneus 218

ignis 145, 240

imago 47

imber 210, 225,

305

immittere 168

immolare 57

imperium 93, 171

imprimis 330

incendere 176

incipere 24

incitus 279

includere 82

incola 41

incolumis 262

indagare 156

indignari 167

induere 177

infernus 154

inferre 46

infestus 272

infula 148

ingenium 203

insanire 146

inscius 241

insequi 102

insidiari 295

insignis 145, 275

insperatus 339

instituere 230

intendere 284

intro 83

intus 259

inusque 222

invadere 62

ira 61, 91, 95,

127, 147,

257, 308

item 227, 246

iubere 31, 97, 107,

188, 192,

262, 335

iudex 26, 67, 308

ius 148

iustitia 65

iustus 58

iuvare 17

labium 91

labor 332

lacrima 342

lactare 100, 200

laedere 344

laetus 33

lambere 116

lampas 238

lapis 214

largus 206

laudare 320

laurea 231

101


laus 229

laxare 163

leo 177, 257

lepus 77

levare 219

levis 323

levitas 269

lex 19, 235,

268, 318

licet 167, 267

limen 254

limes 97

liquare 102

liquidus 101

lis 33

litare 53

litus 15

livor 129

locare 283

locus 310

longus 121, 223,

265

loquax 264

loqui 60, 164

lorum 228

luctamen 121

ludus 29

luere 149

lumen 249

lupus 64, 295,

297

lux 198

mactare 106, 152

madidus 210

maerere 235

magicus 137

magister 220

magnus 334

maiestas 185

maior 39

malignus 193

mamma 200

mandragora 306

manus 118

mare 140, 301

masculus 34

mater 30, 206,

318

maturus 295

maximus 310

medius 239, 322

medulla 141

melior 153

membrum 177, 270,

292

mens 269

merere 283

mergere 135

metuere 253

mille 7, 178, 181,

184, 263

millesies 328

minae 130

minax 240

minister 207

miscere 43

miser 153

miserari 206

mittere 207, 257

modo 128, 291

modulari 12, 190

moenia 203

monere 153

monile 150

mons 87, 230

monstrum 215

morari 245

mordere 21

mors 43, 60, 94,

225, 235,

267

mortalis 213, 337

mos 326

movere 14, 20, 105,

142, 191,

342

mox 95

mugire 159

102


mulcere 20

muliebris 204, 269

mulier 276, 305

mundus (Subst.) 47, 144,

183, 207,

291, 321

munus 58

mutare 24, 50, 110,

160, 222

mutus 16

nasci 4, 200, 318

natura 50, 100,

202, 244,

268

necdum 135

negare 336

nemo 71

nepos 124

nervus 122, 124,

179, 264

nescire 24, 122,

248, 296,

312

nimis 9, 163

niti 331

nobilis 235

nolle 82

nomen 56, 80, 92,

128, 144,

181, 184,

187

noscere 271, 315

noverca 125, 167,

200

nox 166, 251

nubes 209

nubila 76

nullus 39, 66, 210

numen 63, 290

numerus 36

nuntius 82

nutrire 314

oblivisci 13

obnubere 231

obsecrare 36, 335

obserere, obsitus 159

obstruere 217, 254

obtutus 313

occultus 155

occurrere 112, 162

oceanus 69, 343

octavus 74

oda 190

oestrus 157

offendere 161, 281

offerre 27

omnipotens 201

omnis 70, 86, 138,

236, 248,

285, 304,

311

opacus 343

oppidum 233

ops 166

ora 37

orbare 152

orbis 65

ordo 35, 79, 310

origo 250

ornus 189

os, oris 64, 83, 111,

319

osculum 112

ovis 8, 294, 297

pactum 114

paelex 176

pandere 76

panthera 5

par 185

parare 32

parcere 107, 114

parens 123, 278

parentes 31, 44

parere 153

103


pars 74, 144,

183

pascere 8

paschalis 299

pastor 4

pastus, -us 212

pater 46, 108,

280

pati 45, 75, 136,

134, 239,

258, 327

patriarcha 105

patrius 97, 211

patruus 114

pecten 341

pectus 150

pecus 96, 162,

248

pelagus 103, 321

pellere 86, 211

pellis 5, 195

pendulus 322

penna 101, 216

perdere 300, 316

percurrere 238

percutere 10, 94

perennis 148

perferre 118, 127

perficere 338

perfidia 81, 319

perfidus 115

perflare 6

pergere 34

perimere 215, 272

perire 70, 125,

206

persona 187

perurere 303

petere 298, 343

phoca 126

pignus 253

pincerna 80

pius 49, 299

placare 308

placidus 166

plaga 123, 284

plectrum 12

pluma 279

pluvia 242, 255

poculum 43, 311

poena 32

polluere 65

pompa 174, 232

pomum 51

pondus 103

pons 239

pontificalis 148

pontus 291

populus 169

poscere 201

posse 90, 266,

271, 324

possidere 80

posteritas 55, 89

postponere 29

potens 199

potestas 17, 113

praecedere 68

praecellere 307

praecidere 180

praecipue 236, 287

praeditus 203

praedo 193

praemium 20, 172

praesumere 33

praevalere 325

prandium 259

pratum 247, 285,

305

preces 209

presbyter 265

primatus 48

primum 208, 319

primus 37, 41, 54,

133, 229,

250

princeps 284

principium 188

prior 34, 160

prius 80

104


procedere 248

proclamare 15

prodere 252, 319

producere 164, 314

proelium 170

profundus 151

proles 44, 108,

152, 262

promerere 227

propago 40

propheta 211

protinus 167

protoplastus 49

provocare 61

pudicitia 127

puellaris 327

puer 77, 194

purpureus 278

quadriga 219

quadrupes 245

quassare 237

quatere 205

quattuor 330

quisquam 39, 156

quisque 81

quondam 169

quot 292

racemus 205

ramus 83

rapere 66, 107,

137, 174

rarus 205

ratio 330

rebellis 146

reddere 192

redire 160, 295,

297

referre 20

regio 138, 182

regnum 132, 191,

260

relevare 25

relinquere 310

removere 284

renovare 72

repetere 328

res 16, 22, 163

respectus 301

restare 291, 344

restringere 266

reticere 335

retro 228

reverti 111, 293,

318

revocare 128, 198,

251

rex 9, 131, 193,

226, 241

ridere 285

rigare 111, 225

rigidus 6, 110

rimari 54

robustus 269

ros 242

rostrum 279

ruber 140

ruminare 248

rumpere 179

sacer 55

sacerdos 149

saeculum 38, 75, 246

saeta 159

saevire 64

saevus 125

sal 116

saluber 225

salus 82, 227

sanctus 172

saturare 247

saxum 72

sceptrum 196

scire 320

secretus 320

secundus 67

105


sedere 26

sedes 49, 316

sedulus 22

semen 9, 57

semper 322

sententia 24

sentire 44, 112

sepelire 155, 223

septem 242

septemplex 134

sepulchrum 156

sequax 34

sequi 108, 189,

232

sera 254

serere, sevi 134

seria, -orum 29

series 288

sermo 281

serpens 207, 302

servare 74, 115,

261

servire 186

servus 129

seta sieh saeta

sexus 266

sibilare 136

sibilus 302

signare 259

silva 190, 285

simulare 237

singuli 290

sinister 135

sitire 306

sociare 334

socius 68, 119

sol 2, 36, 228,

249, 343

solium 283

solvere 113

somnium 131

somnus 315

sonare 183, 280

sonitus 7

soror 335

sors 27

species 253

specus 151

spernere 130

spes 98, 208

spiculum 263

spiritus 220

splendere 150

splendor 45

spoliare 95, 173,

278

sponte 59, 293

stagnum 183

stare 162, 171

statuere 55

stellifer 182

sterilis 306

sternere 178

stertere 311

stillare 210, 255

stimulus 149

stipes 51

stirps 147

strangulare 168

studium 35, 195

stultus 16

stuprare 143

suadere 42, 243

subdere 132

suber 110

subigere 268

subitus 151

submergere 69, 139

suboles 98, 333

subsidere, subsido 321

subsistere 11

subtrahere 328

succedere 47, 196,

343

successio 124

succumbere 175

sucus 197

sufficere 28, 165,

212

summus 89, 141

106


superare 327

superbus 109, 176,

221

supereminere 323

superesse 84

superi 40, 95, 334

superstes 71

supinus 111

supplicare 340

surrigere 85

sursum 78

suscipere 96

suspirium 252

talis 33, 59, 75,

199

talpa 303

tandem 180

tangere 90

tantus 11, 45, 202,

266

tantum 304

tardare 32

taurus 142, 293

tectum 255, 293

tellus 70, 154

temerare 51

templum 203

temptare 63, 251

tempus 36, 39, 196,

265

tendere 335

tenebrae 152

tenere 191, 292

tenor 250

terra 1, 38, 66,

85, 208,

216, 323

terrere 297

terrificus 238

tertius 144

testari 140

testis 22, 84, 334

tetragrammaton 324

tetras 35

texere 5

thalamus 165, 221

thus 261

tilia 3

timere 138

timor 289

tolerare 242

tollere 342

tondere 195

tonitrus 237

torquere 277

torrens 211

torrere 1

torus 277

totidem 264

totus 87, 124,

132

tractare 197, 270,

311

transvehi 260

tres 187

tristis 301, 317

triumphus 300, 316

trudere 88

truncus 111

tumidus 281

turba 146

turris 90, 254

tus sieh thus

tutari 258

tutela 158

tutus 15

tyrannus 281

ubique 280

ulmus 294

ultio 73

ultra 66

ultro 27, 339

umbra 198

unda 10, 126

unguis 120, 280

107


unus 21, 86, 114,

260

urbs 92, 179

urgere 161

urtica 303

usus, -us 18, 202

uterque 31

utrimque 5

uxor 115, 149

vates 181, 184,

219, 341

vehi 301

velamen 307

velle 52, 251,

261, 304,

318, 340

vendere 129

venenum 42

venerari 224

venire 26, 37, 69,

219

ventilare 157

verbum 159, 164,

315

vertere 115, 142,

213

vertex 230

vesanus 275

vesper 247, 294

vestigare 133

vetare 52

vetus 278

vexare 193, 280

victrix 169, 231

videre 27, 214,

267

vidua 275

vigil 173, 313

vincere 17, 18, 19,

23, 188,

202, 232,

299

vinculum 131, 179

vindicta 264

violare 253

vipereus 42

vir 85, 178,

269, 279,

305

virere 285

virga 198

virgo 9, 143, 256,

296, 300,

312, 316,

331

viridare 83

viridis 41

virtus 170, 185,

266

vis 244, 252,

274, 334

viscera 54, 277

visus, -us 76, 249

vita 222, 338

vitulus 145

vivere 70

vividus 169

volucris 120

voluntas 86

voluptas 289, 309

volvere 2

vorago 69

votum 130

vox 7, 106, 163

vulnus 21, 118

vulpes 178

ydra sieh hydra

ydrus sieh hydrus

ypomanes sieh hippomanes

zodiacus 310

108

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