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Die "ecloga" des Theodulus, übersetzt von Konrad Goehl mit einer Einführung und Erläuterungen von Jorit Wintjes, Baden-Baden: Dt. Wiss.-Verlag (DWV) 2012, 108 S., 22,95 € (= DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters, Bd. 1) - ISBN: 978-3-86888-052-6
Die "ecloga" des Theodulus, übersetzt von Konrad Goehl mit einer Einführung und Erläuterungen
von Jorit Wintjes, Baden-Baden: Dt. Wiss.-Verlag (DWV) 2012, 108 S., 22,95 € (= DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters, Bd. 1) - ISBN: 978-3-86888-052-6
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Konrad Goehl und Jorit Wintjes
Die ecloga des Theodulus
DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters
hrsg. von Konrad Goehl und Jorit Wintjes
Band 1
Die ecloga des Theodulus
übersetzt
von Konrad Goehl
mit einer Einführung und Erläuterungen
von Jorit Wintjes
Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV)
Baden-Baden
Cover-Gestaltung: Jorit Wintjes und Birgitta Karle (DWV)
Umschlagabbildung: Alithía und Pseustis nach einer mittelalterlichen Handschrift
Die DWV-Schriften zur Erforschung des Mittelalters erscheinen in unregelmäßiger Folge und sind
offen für alle mediävistischen Themen sowie insbesondere auch für Arbeiten zur
lateinischen Philologie des Mittelalters.
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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1. Auflage 2012
Gedruckt auf alterungsbeständigem, chlorfrei gebleichtem Papier
(Printed in Germany, September 2012)
© Copyright by
Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV) ®
Postfach 11 01 35
D–76487 Baden-Baden
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anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung
elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN: 978-‐3-‐86888-‐052-‐6
Vorwort der Herausgeber
Die ecloga Theoduli war ein Grundtext der mittelalterlichen Bildungswelt. So
wie in jüngerer Zeit Generationen von Lateinschülern ihre ersten Lektüreerfahrungen
mit Caesars Gallischem Krieg machen mußten – oder durften –, so war
die ecloga einer derjenigen Texte, an denen spätestens seit dem 12. Jh. angehende
Lateinschüler die Sprache erlernten. Heute ist dieser Text weitgehend in Vergessenheit
geraten – weder eine lateinische Ausgabe noch eine deutsche Übersetzung
sind zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bändchens leicht greifbar.
Die letzte lateinische Ausgabe liegt mehr als ein Jahrhundert zurück und ist an
vergleichsweise entlegenem Ort publiziert, von einer deutschen Übersetzung aus
dem 19. oder 20. Jh. haben die Herausgeber keine Kenntnis. Daher war es ihr
erstes Anliegen, diesen für das Mittelalter wichtigen Text im lateinischen Original
und einer deutschen Übersetzung wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Das vorliegende Büchlein erhebt dabei nicht den Anspruch,
das letzte oder auch nur ein maßgebliches Wort in der Erforschung der ecloga
zu sein – Einführung und Erläuterungen dienen primär dem Verständnis von
Text und Übersetzung, nur das Kapitel über die theologische Dimension der ecloga
erläutert eingehender Zusammenhänge, die ein Leser des lateinischen Mittelalters
als selbstverständlich angesehen haben wird, auf die aber nach dem
Kenntnisstand der Herausgeber bislang nur in unzureichender Weise hingewiesen
worden ist.
Dank für den Anstoß zur Beschäftigung der Herausgeber mit der ecloga
gebührt in erster Linie einem Mann, dessen Lebenszeit fast so weit zurückliegt
wie die ecloga selbst – bei der Diskussion einer Passage in einer frühen Abschrift
des Persiuskommentares des italienischen Gelehrten Paulus Perusinus
stießen die Herausgeber auf zwei Zitate eines "Theodolus", die ihnen einmal
mehr die enge Begrenztheit ihres Wissens um die lateinische Literatur des Mittelalters
deutlich machten, gleichzeitig aber auch die Neugier auf das sich hinter
diesen Zitaten verbergende Werk weckten; das vorliegende Bändchen ist ein
Ergebnis dieser Neugier. Die Herausgeber danken ferner Herrn Prof. Udo
Scholz für seine Ermutigung und seine Unterstützung bei ihrem Unterfangen
sowie Herrn Prof. Werner Gerabek und dem Deutschen Wissenschaftsverlag für
die freundliche Hilfe bei der Umsetzung des Buchprojektes.
Würzburg, am Festtag von Mariä Himmelfahrt – die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung (J. Wintjes) 7
I.1. Ein mittelalterlicher Schultext 7
I.2. Autor und Entstehungszeit der ecloga 13
I.3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte der ecloga 17
I.4. Zu Text und Übersetzung der vorliegenden Ausgabe 20
II. ecloga Theoduli (Übersetzung K. Goehl) 23
III. Erläuterungen (J. Wintjes) 51
III.1. Aufbau und Komposition der ecloga 51
III.2. Erläuterungen 56
IV. Die ecloga als Gottes- und Frauengeschichte (K. Goehl) 75
V. Zitierte Literatur 89
VI. Indices (K. Goehl) 93
VI.1. Index nominum 93
VI.2. Index verborum 96
I. Einführung
I.1. Ein mittelalterlicher Schultext
Audiant etiam in eisdem scolis Donatum, Cathonem et Theodolum … 1
Zu den ältesten Schulen Breslaus zählte das Gymnasium zu St. Maria Magdalena,
das auf eine Stiftung aus dem Jahr 1267 zurückgeht. 2 Während der Stiftungsbrief
– eine Urkunde des päpstlichen Botschafters Guido – in erster Linie
die Notwendigkeit einer Schulgründung zur Versorgung von Bürgerkindern in
den Blick nimmt, deren Schulweg zur Domschule ansonsten unzumutbar lang
und mit Gefahren verbunden gewesen wäre, 3 werden im letzten Drittel konkret
die Aufgaben der Neugründung angeführt – die Schule soll als Anfangsschule
Elementarunterricht in Lesen, Religion, Gesang sowie der lateinischen Sprache
bieten; 4 Fortgeschrittenenunterricht war in der Stadt weiterhin der Domschule
vorbehalten. Für den lateinischen Elementarunterricht nennt die Urkunde explizit
Donat, Cato – womit der Autor der disticha Catonis gemeint ist – sowie die
ecloga des Theodulus.
Stiftungsbrief des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena, Breslau – Zeile 24: Erwähnung des
Theodulus
Bei dem Stiftungsbrief des Gymnasiums zu St. Maria Magdalena handelt es
sich um das älteste dokumentarische Zeugnis zur ecloga, jedoch nicht um das
einzige. 5 Knapp dreißig Jahre später gab Bischof Johann von Breslau seine Zustimmung
zur Gründung einer weiteren Schule, des späteren Gymnasiums zu St.
Elisabeth, und auch in dieser Urkunde wird die ecloga explizit als Teil des
Schulkanons erwähnt. 6 Die Verwendung der ecloga im Rahmen des lateinischen
1 Korn 1870, 35 nr. 32, 24.
2 Zu Gründung und Geschichte des Gymnasiums im Mittelalter cf. Schönborn 1843, der ein
Faksimile der Gründungsurkunde enthält.
3 Korn 1870, 35 nr. 32, 6-12; offenbar litt eine Stadt wie Breslau bereits in der Mitte des 13.
Jh. unter einem erheblichen Verkehrsaufkommen – explizit wird eine multitudo hominum,
curruum et equorum erwähnt (nr. 32, 10).
4 Korn 1870, 35 nr. 32, 20-24.
5 Zur Bedeutung der beiden Zeugnisse cf. Frey 1904, 3, der zu Recht darauf hinweist, daß die
literarische Überlieferung zum Gebrauch der ecloga im Unterricht noch ältere Zeugnisse
kennt.
6 Korn 1870, 35 nr. 65, 59-60.
7
Anfangsunterrichts war im 13. Jh. keineswegs eine Seltenheit. Noch vor die
Gründung des Breslauer Gymnasiums zu St. Maria Magdalena ist ein knapper,
nach seinen einleitenden Worten Sacerdos ad altare genannter Traktat zu datieren,
7 der dem 1217 verstorbenen englischen Gelehrten Alexander of Neckham
zugeschrieben wird und wohl in das ausgehende 12. Jh. gehört. Sein Autor weist
ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen Donat, den disticha und Theodulus
hin:
Postquam alphabetum didicerit et ceteris puerilibus rudimentis imbutus
fuerit, Donatum et illud utile moralitatis compendium, quod Catonis
esse vulgus opinatur, addiscat et ab egloga Theodoli transeat ad
egglogas [sic] bucolicorum, prelectis tamen quibusdam libellis informacioni
rudium necessariis. 8
Die ecloga sollte also den Schüler auf die Begegnung mit den Klassikern
vorbereiten, von denen zunächst die vergilischen Eklogen abgehandelt wurden;
zusammen mit den disticha Catonis handelte es sich um Anfangslektüre, was
verschiedene Interpreten angesichts der nicht geringen Schwierigkeit des Textes
in Erstaunen versetzt hat. 9 Alexander of Neckham oder Guido stellten keine isolierten
Einzelmeinungen dar, sondern stehen stellvertretend für zahlreiche Äußerungen
mittelalterlicher Gelehrter, die allesamt der ecloga im Rahmen des
Schulbetriebes einen wichtigen Platz zuwiesen 10 So ist es wenig verwunderlich,
wenn bereits zu Beginn des 13. Jh. in einem Kommentarfragment eines Anonymus
zu einem Text, der selbst unbekannt ist, 11 neben Vergil, Ovid und anderen
Klassikern auch Verse aus der ecloga für sprachliche Erklärungen herangezogen
werden. 12
Bereits ein oberflächlicher Blick auf die Entwicklung des mittelalterlichen
Lektürekanons bestätigt die besondere Bedeutung der ecloga. 13 Schon im 10. Jh.
scheint sich eine Anthologie von Schultexten herausgebildet zu haben, der neben
den disticha Catonis, den fabulae des spätantiken Dichters Avianus sowie
7 Haskins 1909, 76.
8 Sacerdos ad altare nach Haskins 1909, 90; Cf. auch Hamilton 1909, 7.
9 Cf. etwa Boas 1914, 18: „Theodulus in mediis poetis gentilibus unus Christianus ceteris ... ,
cuius poetae contortas sententias vix captum puerorum assequi potuisse dicas“; anders hingegen
Green 1982, 49: „other factors contributing to the poem's popularity were surely its relatively
simple style”.
10 Cf. hierzu allgemein Hamilton 1909, 7-11.
11 Das Kommentarfragment ist einzig in einer Handschrift aus Cambridge erhalten (cf. Hunt
1991, 274); die bislang einzige Ausgabe besorgte Hunt 1991, 274-286; cf. auch Meyer 1903,
65-67, der zuerst auf den Text sowie einige in ihm enthaltene französischsprachige Glossen
hinwies (p. 67).
12 Cf. etwa Hunt 1991, 275: Subigere pro cogere, Virgilius: ‚subigitque fateri’, et pro impellere
et pro vincere, unde Theodolus: ‚Quam natura dedit legem, Susanna subegit’.
13 Zur Herausbildung des mittelalterlichen Lektürekanons cf. Boas 1914, Avesani 1965, 475-
480, Hunt 1991, 66-70 und Baldzuhn 2009, 93-105.
8
der Ilias latina auch die ecloga Theoduli angehörte. 14 Im Verlauf des 11. Jhs.
verfestigte sich hieraus dann ein Korpus von zunächst sechs Autoren, den auctores
sex; 15 während die Ilias latina offenbar an Bedeutung verlor, traten zu den
drei verbliebenen Texten nun das Werk des spätantiken Elegikers Maximianus,
die Achilleis des Statius sowie Claudians De raptu Proserpinae. Für diese
Sammlung von sechs Texten, die von der Forschung – Marcus Boas folgend –
auch liber Catonis genannt worden ist, 16 hat Michael Baldzuhn eine nordfranzösische
Herkunft plausibel gemacht und zudem darauf hingewiesen, daß der liber
anscheinend fast ausschließlich im französischen und englischen Bereich
Verbreitung fand, für den deutschsprachigen und italienischen Raum hingegen
Handschriftenzeugnisse fehlen. 17 Demgegenüber erfreute sich die ecloga – dem
Zeugnis der Handschriften zufolge – in ganz Europa großer Beliebtheit. 18
Aus den auctores sex entstand schließlich im 13. Jh. eine weitere Anthologie,
die sogenannten auctores octo; in teilweise wechselnder Zusammenstellung
bildeten sie die Grundlage des Lateinunterrichts bis über das Ende des Mittelalters
hinaus. 19 An die Stelle von Avianus, Maximianus, Statius und Claudian traten
nun die fabulae Aesops, eine an die disticha Catonis anschließende und unter
der Bezeichnung Facetus bekannt gewordene anonyme Sammlung von Verhaltensmaßregeln
und moralischen Anleitungen, 20 der sogenannte Floretus, 21 ein
wohl fälschlicherweise Bernard von Clairvaux zugeschriebener Verstraktat
dogmatischen Inhalts, 22 der im 12. Jh. entstandene liber parabolarum des französischen
Theologen Alain von Lille, 23 der Tobias, 24 ein ebenfalls im 12. Jh.
entstandenes und den Stoff des biblischen Buches Tobit verarbeitendes Versepos
aus der Feder des französischen Dichters Matthaeus Vindocinensis sowie
der anonyme Traktat de contemptu mundi. 25 Während aber auch nach der Verfestigung
des Kanons der auctores octo in der Überlieferung andere Texte an die
Stelle der soeben genannten treten konnten, bildeten die disticha Catonis und die
ecloga Theoduli einen festen Kern des Korpus. 26
14 Hunt 1991, 67.
15 Hunt 1991, 68-69.
16 Boas 1913, 17.
17 Baldzuhn 2009, 96-100.
18 Osternacher 1916, 354-355.
19 Pepin 1999, 1-3; kritisch hingegen Baldzuhn 2009, 103-105.
20 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 41-12.
21 Über den Titel des Werks gibt der erste Vers des Floretus Aufschluß: nomine floretus liber
incipit ad bona ceptus (Floretus 1).
22 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 213-215.
23 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 149-151.
24 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 79-82.
25 Hunt 1991, 70; Pepin 1999, 55-57.
26 Auf ein Lesebuch in einer Zusammenstellung ohne die ecloga (disticha Catonis, Avianus,
Aesop) hat Voigt 1891 hingewiesen und geurteilt, „das aus der Autorentrias Cato, Esopus und
Avian bestehende erste Triviallesebuch [habe] nach Form wie Inhalt durch die Jahrhunderte
hindurch vom frühen Mittelalter bis zum Durchbruch des Humanismus alle Fortschritte des
9
Das Interesse des Mittelalters blieb allerdings nicht auf die Nutzung des
Textes im Rahmen des Sprachunterrichts beschränkt. Immer wieder verwiesen
mittelalterliche Autoren auch auf eine besondere inhaltliche Dimension des Textes.
So bemerkte im 13. Jh. der in Bamberg wirkende Gelehrte Hugo von Trimberg:
Nam triplex legentibus fructus in hoc datur:
Per fabulas historias et allegorias
Ad discendum triplices lector habet vias. 27
Die ecloga bot nach Auffassung Hugos also nicht nur einzelne Erzählungen,
die aus der antiken Mythologie entnommen waren – fabulas – und konnte
nicht nur dazu dienen, Episoden aus dem Alten Testament – historias – zu vermitteln,
sie besaß zudem eine theologische Dimension, die durch allegorische
Interpretationen erschlossen werden konnte. In ähnlicher Weise äußerte sich bereits
vor der Mitte des 12. Jh. der Benediktiner Konrad von Hirsau, der in seinem
dialogus super auctores als eigentlichen Zweck der ecloga die cognitio veritatis
sowie die confirmatio rectae fidei identifizierte 28 und pointiert hinzusetzte:
Intentio est sacrae paginae veritatem commendare et fabularum commenta
dissuadere. 29
Insgesamt zeigt sich, daß die ecloga zwar im Rahmen des lateinischen Anfangsunterrichts
weithin Verwendung fand, daß sie darüber hinaus aber auch
vielfach als ein Traktat zur moralischen Instruktion des Lesers angesehen wurde.
30 Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte dafür verantwortlich sein, daß die ecloga
im Verlauf der Herausbildung des Korpus der auctores octo nie durch einen
anderen Text ersetzt wurde – die Entwicklung der im Schulbetrieb verwendeten
Textanthologien vom 10. bis zum 13. Jh. läßt eine deutliche inhaltliche
Verlagerung von antiken Stoffen hin zu ausgesprochen christlichen Texten erkennen;
es war die theologisch-moralische Dimension der ecloga, die ihr über
alle Veränderungen hinweg einen festen Platz im Kanon der Schultexte sicherte.
Dabei offenbart ein genauerer Blick auf die Wirkungsgeschichte der ecloga,
daß diese keineswegs erst im Laufe des Mittelalters als theologischer Traktat
entdeckt wurde. Vielmehr datiert das früheste Zeugnis einer solchen Wahrnehmung
der ecloga in das 11. Jh. und damit in die Zeit, in der offenbar die erste
Kommentartätigkeit einsetzte. In der zweiten Hälfte des 11. Jh. verfaßte der Be-
Geschmacks und der Wissenschaft in sich aufzunehmen und wiederzuspiegeln [vermocht]“
(Voigt 1891, 48).
27 Hugo registrum 453L-455L (521H-523H).
28 Konrad dialogus p. 45S.
29 Konrad dialogus p. 45S.
30 Konrad dialogus p. 46S.
10
nediktinermönch Sigebert von Gembloux einen Katalog von insgesamt 171 Verfassern
theologischer Werke, den liber de scriptoribus ecclesiasticis; in diesen
nahm er die ecloga auf, 31 aber weder die disticha Catonis, noch Donat oder andere
im Anfangsunterricht eingesetzte Autoren.
Die Verwendung der ecloga im lateinischen Anfangsunterricht sowie ihre
darüber hinausgehende theologisch-moralische Dimension fanden ihren Niederschlag
in einer umfangreichen Kommentierungstätigkeit, die, wie eben erwähnt,
in der zweiten Hälfte des 11. Jh. einsetzte. 32 Der älteste noch faßbare Kommentar
stammt aus der Feder des Bernhard von Utrecht, über den außerhalb seines
Werkes keine Nachrichten erhalten sind; 33 offenbar wirkte er als Lateinlehrer
und verfaßte seinen Kommentar, den er dem Utrechter Bischof Konrad widmete,
auf Drängen seiner Schüler. Das Werk, das den Vergilkommentar des Servius
nicht nur benutzte, sondern anscheinend auch zum Vorbild nahm, 34 entstand
während der Amtszeit Konrads zwischen 1076 und 1099; 35 das Hauptinteresse
Bernhards galt dabei sprachlichen und inhaltlichen Erläuterungen, denen gegenüber
die theologischen Interpretationen der ecloga deutlich zurücktraten. 36 Der
Kommentar Bernhards erfreute sich offenbar nicht geringer Beliebtheit; hiervon
zeugen insgesamt mindestens sechs erhaltene Handschriften aus dem 12. Jh. 37
Wohl rund 100 Jahre später wurde dann das Werk Bernhards durch einen
neuen Kommentar verdrängt, der für die Folgezeit maßgeblich sein sollte; mindestens
47 erhaltene Handschriften zeugen von der weiten Verbreitung dieses
Kommentars, von dem mehrere Versionen überliefert sind. 38 Dieses Werk, dessen
älteste Überlieferungszeugen aus dem 13. Jh. stammen, wird in zwei der ältesten
Handschriften dem bereits erwähnten englischen Gelehrten Alexander of
Neckham zugeschrieben; 39 diese Zuweisung fand in der Neuzeit nicht zuletzt
aufgrund des übrigen Werkes Alexanders Zustimmung, da dieses unter anderem
auch die Bearbeitung von Texten aus dem Schulbetrieb einschloß. 40 Obwohl,
wie oben gezeigt, Alexander die ecloga offenbar als eine Art Übergangslektüre
auffaßte, behandelt der Kommentar in der Hauptsache inhaltliche Fragen, wobei
31 Sigebert liber Nr. 134.
32 Grundlegend für die Beschäftigung mit den mittelalterlichen Kommentaren zur ecloga ist
die Zusammenstellung von Quinn 1971; cf. daneben Hamilton 1911, 5-8 und Chance 1994,
349-352.
33 Frey 1904, 13-14, Quinn 1971, 389 und Chance 1994, 386.
34 Frey 1904, 8-9; das Urteil Freys, der Serviuskommentar habe auch dem Verfasser der ecloga
als wichtigste Quelle gedient (Frey 1904, 13), geht allerdings, wie die Studien von Osternacher
1907 und Green 1982 gezeigt haben, zu weit.
35 Zur Datierung cf. Huygens 1954, 420, Quinn 1971, 386 und Chance 1994, 386.
36 Quinn 1971, 386.
37 Quinn 1971, 387.
38 Quinn 1971, 389.
39 Quinn 1971, 389; zu Alexander of Neckham ist die monographische Studie von Hunt 1984
grundlegend; cf. daneben Chance 1994, 592 n. 7.
40 Quinn 1971, 389.
11
rationalisierende Interpretationen heidnischer Mythen ein charakteristisches
Merkmal des Werkes sind. 41
Im Verlauf des 14. Jh. entstand der nach der Herkunft der Mehrheit der
Handschriften benannte Kommentar des Anonymus Teutonicus. 42 Obwohl in
einigen Handschriften größere Textpassagen aus dem Kommentar des Alexander
of Neckham übernommen worden sind, bietet der Anonymus Teutonicus
insgesamt einen eigenständigen Text. Vermutlich vornehmlich an jüngere Schüler
gerichtet, 43 konzentriert sich der Kommentar vor allem auf die allegorische
Interpretation sowohl der heidnischen wie der biblischen Geschichten, während
er aber Sacherklärungen oder die Diskussion grammatikalischer Probleme weitgehend
ausklammert; daher schließt Árpád Orbán, der Erstherausgeber des
Kommentars nach einer Utrechter Handschrift, 44 seine Einleitung mit der Bemerkung:
Commentum Anonymi Teutonici enim notae simplicis rudisque est, in
quo vix ulla quaestio theoretica, scientifica, theologica vel artis
grammaticae disputatur. 45
Gegen Ende des 14. Jh. erfuhr der Kommentar des Alexander of Neckham
eine Überarbeitung, die vor allem aus der Einfügung von Zitaten aus klassischen
Autoren bestand. 46 Dieses in einer Handschrift und mehreren frühen Drucken
erhaltene Werk ist verschiedentlich dem englischen Gelehrten und Bischof von
St. David's und Chichester Stephen Patrington zugeschrieben worden; die Identifikation
des Autors beruhte dabei vor allem auf einem Werkverzeichnis im Autorenkatalog
Illustrium majoris Britanniae scriptorum Summarium von John
Bale, das einen ecloga-Kommentar anführt. 47 Betty Nye Quinn hat allerdings zu
Recht darauf hingewiesen, daß keinerlei belastbare Indizien für eine derartige
Identifizierung vorliegen. 48
Zu Beginn des 15. Jh. verfaßte schließlich der französische Gelehrte Odo
einen weiteren ecloga-Kommentar, der als Auftragsarbeit dem Sohn des französischen
Königs Karls VI. gewidmet war. 49 Auch dieses Werk stützte sich stark
41 Quinn 1971, 389.
42 Quinn 1971, 398-400; der Kommentar ist in fünf Teilen von Orbán herausgegeben worden
(Orbán 1973, Orbán 1974, Orbán 1975, Orbán 1976 und Orbán 1977).
43 Orbán 1973, 5.
44 Cf. Orbán 1973, 2-4 und Quinn 1971, 399.
45 Orbán 1973, 5.
46 Quinn 1971, 403.
47 Bale 1548, 389 nennt neben In Aeglogas Theodoli auch einen weiteren Kommentar – In
Aesopi fabulas –, der wohl ebenfalls in einen schulischen Kontext einzuordnen ist.
48 Quinn 1971, 403.
49 Über diesen magister Odo ist nur wenig bekannt; dem Explicit seines Kommentars zufolge
stammt Odo aus der Picardie: optimo et acutissimo ingenio viri insignis magistri odonis natione
Picardi in theodulum succinctissima explanatio finit feliciter (Levet 1488, 170); er ist als
Odo Picardus in die Literatur eingegangen, cf. Quinn, 1971, 404-405 und Chance 1994, 592
n. 7 (der die Ausgabe Levet 1488 nicht vorgelegen hat).
12
auf den Alexander of Neckham zugeschriebenen Kommentar, fügte daneben
aber angesichts des Adressaten unter anderem auch auf die Prinzenerziehung
ausgerichtetes Material ein, wie bereits die einleitende Widmung zeigt. 50
Neben den oben genannten, zum Teil sehr wirkungsmächtigen Kommentaren
hat Betty Nye Quinn auf drei weitere umfangreichere Texte aus dem 14.
und 15. Jh. hingewiesen, 51 bei denen es sich offenbar um eigenständige Arbeiten
handelt. 52 Daneben fand sie insgesamt elf kleinere, bis in das 13. Jh. zurückreichende
Kommentare auf, 53 die keine eigenständigen Interpretationen bieten. Dabei
wird man aufgrund der weitverbreiteten Nutzung der ecloga im lateinischen
Elementarunterricht annehmen dürfen, daß derartige "kleine" Kommentare, die
vor allem das Textverständnis erleichtern sollten, in großer Zahl etwa von Lateinlehrern
verfaßt wurden, oft aber keinen Eingang in die Überlieferung gefunden
haben; schließlich ist der Text vielfach mit Glossen und interlinearen Kommentaren
versehen worden.
I.2. Autor und Entstehungszeit der ecloga
Weniges glaubte das Mittelalter über den Verfasser der ecloga sicher zu wissen.
Die älteste biographische Überlieferung ist in dem in der zweiten Hälfte des 11.
Jh. entstandenen Theoduluskommentar des Bernhard von Utrecht greifbar.
Demnach entstammte Theodulus einer wohlhabenden christlichen Familie aus
Italien, wo er seine Elementarerziehung genoß. Später begab er sich nach Athen,
um seine Ausbildung fortzuführen, wobei Bernhard seine Kenntnisse der griechischen
Sprache betont. Dort hörte er Christen und Heiden miteinander streiten
und begann, sowohl Material aus der heidnischen Mythologie zu sammeln als
auch entsprechende Geschichten aus dem Alten Testament; hieraus stellte er
nach seiner Rückkehr die ecloga zusammen. Vor der endgültigen Fertigstellung
verstarb Theodulus, wie Bernhard anhand einer metrischen Analyse von v. 320
zu erkennen glaubte. 54
50 Cf. etwa Levet 1488, 3: Eya igitur, illustrissime et serenissime princeps (ut ego vos cum
Boetio exhortor), adversamini vitiis, colite virtutes et ab ineunte adolescentia animum
vestrum sanctissimis et saluberrimis quibuscumque institutis informate, inducite, erudite.
51 Quinn 1971, 400-401; von den vier Handschriften enthält eine die Datierung 1474, eine
weitere, von einem Maenhardus verfaßte die Jahresangabe 1346, während eine weitere anscheinend
auf den humanistischen Gelehrten Franciscellus Mancinus zurückgeht.
52 Quinn 1971, 400.
53 Quinn 1971, 401-403.
54 V. 320: Dic, et Troianum lauderis scire secretum; unter Verweis auf Ovid Met. 2.556 und
die korrekte Quantität der ersten Silbe von sēcrētum urteilt Bernhard über den vorliegenden
Vers: "se" male corripuit (cf. Hugyens 1970, 58); ob beim Urteil der mittelalterlichen Kommentatoren,
der Autor sei vor Vollendung des Werkes gestorben, der Gedanke an Vergil, der
der Vita des Donat zufolge sein Werk nach seinem Tod verbrennen lassen wollte (Don. Virg.
38: Iusserat haec rapidis aboleri carmina flammis | Vergilius, Phrygium quae cecinere ducem),
mitschwang, läßt sich nicht entscheiden.
13
Sieht man einmal von der bemerkenswerten Annahme ab, der Autor der
ecloga habe diese nicht fertigstellen können, wirken die biographischen Informationen
wenig konkret. Eine genaue chronologische Verortung fehlt, auch
wenn mit Christen streitende Heiden eher einen antiken als einen frühmittelalterlichen
Kontext vermuten lassen; der Hinweis, Theodulus stamme aus Italien, ist
geographisch denkbar unkonkret; schließlich erfährt der Leser nichts über die
eigentliche Biographie – so bleibt beispielsweise im Dunkeln, welcher Tätigkeit
Theodulus genau nachgegangen ist; es findet sich lediglich in einigen Zeugnissen
der Hinweis, zum Zeitpunkt seines Todes habe er dem Klerikerstand angehört.
Insgesamt scheint die Biographie weitgehend aus dem Umstand abgeleitet,
55 daß der Ort des Geschehens der ecloga Athen, ihre Sprache Latein und ihre
inhaltliche Intention eine dezidiert christliche ist; der Hinweis auf die Lebensumstände
der Eltern dient in diesem Zusammenhang wohl lediglich zur Erklärung
des Umstandes, daß eine Erziehung und Ausbildung in Italien und Athen –
zu Recht – als kostspielig angesehen wurde. Belastbare Informationen über den
Autor lassen sich aus der mittelalterlichen Überlieferung nicht gewinnen. 56
Ein Gutteil der biographischen Überlieferung des Mittelalters geht vermutlich
entweder direkt auf Bernhard von Utrecht zurück oder teilt sich mit diesem
die gleiche Quelle; 57 im Folgenden seien nur einige Beispiele angeführt.
Wenige Jahrzehnte nach Bernhard von Utrecht nahm der oben bereits erwähnte
Sigebert von Gembloux die ecloga in sein Werk De scriptoribus ecclesiasticis
auf; bei weitgehend identischer Formulierung bietet Sigebert neben den bei
Bernhard zu findenden biographischen Informationen den Hinweis, Theodulus
müsse als dei servus verstanden werden. 58 Diese Feststellung findet sich in der
ersten Hälfte des 12. Jh. auch bei Konrad von Hirsau in seinem dialogus super
auctores, der ansonsten ebenfalls das bei Bernhard und Sigebert zu findende
Material verarbeitet. 59 Die wenigen Informationen, die Honorius von Autun in
seiner wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jh. verfaßten Zusammenstellung
christlicher Autoren De luminaribus ecclesiae zu Theodulus liefert, fügen sich
ebenso in die Überlieferung ein. Der um 1170 entstandene Katalog des Anonymus
Mellicensis wiederholt den Text Bernhards praktisch wortgenau, Hugo von
Trimberg hingegen bietet im 13. Jh. einen Teil der biographischen Informationen
in Versform, bleibt inhaltlich aber gleichfalls im Rahmen der bisherigen
Tradition. 60
55 Zuerst bemerkt von Beck 1836, 9.
56 Cf. Frey 1904, 9: „Wir kommen damit zu dem Ergebnis, daß wir über das Leben des Dichters
nichts wissen“.
57 Beck 1836, 8-13 hat sich für seine Untersuchung der vita des Theodulus auf die Informationen
des Sigebert von Gembloux gestützt, da ihm der Kommentar des Bernhard von Utrecht
nicht vorlag; cf. auch Frey 1904, 7-8.
58 De scriptoribus 134 (PL 160.576-577).
59 Dialogus p. 44S, cf. Scheps 1889, 43 n. 19.
60 Registrum 456L-459L (524H-527H), cf. Langosch 1942, 230 und Huemer 1888, 150; nicht
zuletzt im Rahmen der ecloga-Kommentierung fand diese Tradition im Mittelalter weite
Verbreitung; cf. etwa aus dem ecloga-Kommentar des bereits erwähnten Alexander of Neck-
14
Daneben scheinen auch andere Informationen über den Verfasser der ecloga
kursiert zu haben; ein Vermerk in einer Handschrift der Bibliotheca
Amploniana, auf den Max Manitius zuerst hingewiesen hat, 61 schreibt einen
Kommentar zur vita Mariae Aegyptiacae 62 sowohl einem Bischof Johannes von
Athen als auch einem anonymen Mönch zu; aus der Feder des Bischofs Johannes
sei auch die ecloga. 63 Mit diesem Überlieferungsstrang hängen vermutlich
die Informationen zusammen, die sich im 15. Jh. im Liber de scriptoribus ecclesiasticis
des Johannes Trithemius finden. Demnach hatte sich der Verfasser der
ecloga von Italien nicht etwa nach Griechenland, sondern nach Syrien begeben,
wo er zunächst zum Priester und dann zum Bischof geweiht wurde. Johannes
Trithemius ging offenbar von einem umfangreicheren literarischen Schaffen des
Theodulus aus; neben der ecloga führte er ein weiteres Werk De consonantia
scripturarum an, von dem ihm aber nur mehr der Titel vorlag.
In der Neuzeit ist die Frage nach der Autorschaft der ecloga eng mit dem
Problem der Datierung des Werkes verknüpft worden. Die ältere Forschung war
dabei noch stark von der biographischen Tradition des Mittelalters beeinflußt;
eindrücklich zeigt dies etwa Christian Gottlieb Jöcher, der in seinem Allgemeinen
Gelehrten-Lexikon Theodulus einerseits auf das Ende des 10. Jh. datierte,
andererseits noch von einer italischen Herkunft sowie einem Besuch in Athen
ausging. 64 Noch bis zur Datierung von Gustav Bauch am Ende des 19. Jh.
scheint diese Tradition wirksam gewesen zu sein. 65
In jüngerer Zeit hat die Forschung stärker formale Aspekte des Werkes in
den Mittelpunkt gerückt, wobei eine Analyse der metrischen Gestaltung der ecloga
im Vordergrund stand. Diese zeichnet sich zum einen durch die ausschließliche
Verwendung leoninischer Hexameter aus, wobei sich der Reim nahezu
durchgängig auf der dritten Hebung des Verses findet; Ausnahmen bilden lediglich
v. 20, 66 der den Reim auf der vierten Hebung aufweist, sowie v. 285, in dem
der Reim auf der zweiten und vierten Hebung zu finden ist. 67 Neben der ausham:
auctor iste primum in Italia studuit, deinde vero in Graecia apud Athenas (zitiert nach
Beck, 1836, 6)
61 Cf. Manitius 1906, 234.
62 Zum Problem der Autorenschaft der vita Mariae Aegyptiacae cf. Degórski 2001, 67.
63 Schum 1887, 672.
64 Cf. Osternacher 1902, 10, der die Bemerkungen Jöchers auf die mittelalterliche Kommentartradition
zurückgeführt hat.
65 Cf. Bauch 1899, 33
66 Illa refert: „Nec dicta movent nec præmia mulcent“.
67 Prata virent, silvae frondent, nunc omnia rident; der Vers findet sich in dieser Gestalt (in
der er mit Meyer 1905, 86 zu den sog. Trinini Salientes zu zählen ist) im ältesten Überlieferungsträger
sowie einigen anderen Handschriften und wurde so von Osternacher in den Text
übernommen. Die Mehrzahl der Handschriften weist Alternativen auf, bei denen der Reim auf
der dritten Hebung liegt; cf. Osternacher 1902, 50. Karl Strecker hat über diesen Vers geurteilt:
„Dieser Vers genügt für mein Gefühl, um den Dichter einer jüngeren Zeit zuzuweisen“
(Strecker 1924, 20 n. 1); angesichts der mit v. 285 verbundenen textkritischen Probleme wird
man eine derartige Einschätzung mit Vorsicht aufnehmen.
15
schließlichen Verwendung des leoninischen Hexameters ist die ecloga auch
durch eine strenge Elisions- und Hiatvermeidung gekennzeichnet; 68 auch einund
fünfsilbige Wörter am Versende finden sich nur in äußerst geringer Zahl. 69
Aufbauend auf diesem Befund ist die ecloga von ihrem letzten Herausgeber,
Johannes Osternacher, unter andere, ganz oder teilweise in leoninischen
Hexametern verfaßte Werke des 9. Jh. eingereiht worden, 70 ohne daß Osternacher
allerdings eine konkrete Identifizierung des Autors vornahm. Paul Winterfeld
datierte die ecloga dann ebenfalls in das 9. Jh., wobei er ihren Verfasser mit
dem mit Walahfrid Strabo befreundeten Theologen Gottschalk von Orbais identifizierte,
71 der als Pseudonym seinen Namen latinisiert habe. Winterfeld hielt
die ecloga für eine typischen Vertreterin der karolingischen Ekloge, deren Blütezeit
er für das 9. Jh. ansetzte, 72 und betonte dabei den Charakter der ecloga als
Streitgedicht. Der Datierung- und Identifizierungsvorschlag von Winterfeld hat
zunächst breite Zustimmung erfahren; auch Osternacher war spätestens 1911
davon überzeugt, es handele sich beim Autor der ecloga um Gottschalk von Orbais,
wie eine handschriftliche Widmung eines in der Harvard University Library
befindlichen Exemplars seiner Ausgabe belegt.
Der Datierung Winterfelds hat Karl Strecker deutlich widersprochen.
Nach einer ausführlichen Untersuchung der Entwicklung des leoninischen Hexameters
kam Strecker zu dem Ergebnis, daß in diesem zunächst ein Reim auf
der zweiten oder vierten Hebung ebenso möglich war wie auf der dritten, ehe
sich die letztere Form schließlich ab dem 11. Jh. durchzusetzen begann 73 – in
eben dieser Form ist die ecloga gehalten. 74 Auch die Vermeidung von Elision
und Hiat ist von Strecker als wichtiger Indikator für eine Datierung nicht vor
dem 10. Jh. gewertet worden. 75 Daneben hat Strecker die von Winterfeld vorgeschlagene
Identifizierung des Dichters der ecloga mit Gottschalk von Orbais
einer eingehenden Prüfung unterzogen und kam zu dem Ergebnis, daß sich die
ecloga nicht etwa in das Werk des Gottschalk einfügen läßt, sondern vielmehr
deutlich von diesem unterscheidet und mindestens in das 10. Jh. zu datieren ist. 76
Insgesamt muß die Diskussion um die Autorenschaft und Datierung der
ecloga als noch nicht abgeschlossen angesehen werden. 77 Mit einiger Sicherheit
68 Zur Bedeutung von Elisionsvermeidung bei Datierungsversuchen cf. Traube 1885, 382, der
diese für die nachkarolingische Zeit als „allgemeine Poenitenz“ bezeichnet.
69 Strecker 1924, 22.
70 Osternacher 1902, 11-12.
71 Winterfeld 1905, 71.
72 Winterfeld 1905, 70.
73 Strecker 1922, 215.
74 Für sich alleine genommen besitzt dieser Umstand allerdings wenig Wert für die Frage
nach der Datierung, wie Strecker 1924, 21 selbst bemerkt.
75 Strecker 1922, 22.
76 Strecker 1922, 23.
77 Seit den Bemühungen Osternachers, Winterfelds und Streckers ist der Autor der ecloga
verschiedentlich in das 9., 10. und 11. Jh. datiert worden; für eine Zusammenfassung cf.
Quinn 1971, 384-385, inbesondere n. 5; zuletzt haben Casaretto 1997, xx-xxx und Herren
2007, 199-200 das Problem mit einiger Ausführlichkeit behandelt.
16
läßt sich lediglich als terminus ante quem das Entstehungsdatum des ältesten
Überlieferungsträgers, des Codex Etonensis, festhalten. Freilich verlagert sich
dadurch das Problem lediglich – denn für den Codex Etonensis sind verschiedentlich
das 9., 10. und 11. Jh. vorgeschlagen worden; dabei hat sich Osternacher
nachdrücklich für das 10. Jh. ausgesprochen, 78 Strecker hingegen eine Datierung
bereits in das 10. Jh. für wenig wahrscheinlich gehalten. 79 Eine eingehende
Untersuchung des Codex in Verbindung mit der Frage, wie groß dessen
Distanz zum Urtext gewesen sein könnte, muß den Ausgangspunkt künftiger
Datierungsversuche bilden. Spätestens in der Mitte des 11. Jh. dürfte der Text
bereits eine gewisse Verbreitung erfahren haben, da in der zweiten Hälfte dieses
Jhs. mit Bernhard von Utrecht die Kommentierung der ecloga einsetzt.
I.3. Überlieferungs– und Editionsgeschichte der ecloga
Angesichts der eingangs geschilderten Bedeutung, die der ecloga im Unterrichtsbetrieb
des Mittelalters zukam, ist es wenig verwunderlich, daß der Text in
zahlreichen Handschriften überlebte. Stützte sich August Emil Alfred Beck im
Jahr 1836 bei seiner Ausgabe noch auf eine Auswahl von elf Codices aus einer
ihm bekannten Gesamtzahl von 15 Handschriften, 80 konnte Johannes Osternacher
für den von ihm im Jahr 1902 vorgelegten Text bereits 24 Handschriften
zugrunde legen; insgesamt waren ihm zu diesem Zeitpunkt 121 Codices bekannt.
81 Etwas mehr als ein Jahrzehnt später war die Gesamtzahl der Osternacher
bekannten Handschriften bereits auf 176 angewachsen. 82 Von diesen lassen
sich – soweit dies möglich ist – fünf in das 10. und 11. Jh. datieren, 15 in das 12.
Jh., 45 können dem 13. Jh., 44 dem 14. Jh. zugeordnet werden; mit insgesamt 61
Texten ist die größte Zahl an Abschriften in das 15 Jh. zu datieren, zwei weitere
Handschriften sind schließlich dem 16. Jh. zuzuordnen. 83 Die große Zahl der
Abschriften seit dem 13. Jh. belegt dabei eine ungebrochene Popularität der ecloga
vom Hochmittelalter bis zum Einsetzen des Buchdrucks. Die Mehrzahl der
späteren Handschriften hat für die Gestaltung des Textes allerdings nur geringe
Bedeutung. Insgesamt darf man annehmen, daß die Zahl der im Mittelalter kursierenden
Abschriften der ecloga noch deutlich über den von Osternacher identifizierten
176 Handschriften lag – die ecloga war nicht nur ein häufig kommentierter
Text, sondern offenkundig auch ein weit verbreiteter; 84 dabei zeigt sich
78 Osternacher 1902, 15.
79 Strecker 1924, 20.
80 Beck 1836, 18-22; cf. auch Osternacher 1916, 354-355.
81 Osternacher 1902, 13-14.
82 Diese Gesamtzahl enthält auch Abschriften mittelalterlicher Kommentare zu der ecloga, die
zwar keinen separaten Text enthalten, aus denen der zugrundeliegende Text aber sicher rekonstruiert
werden kann; cf. Osternacher 1916, 356 n. 2.
83 Für eine Übersicht über die Handschriften cf. Osternacher 1916, 356-374.
84 Osternacher 1916, 356 mit n. 1.
17
bei der Verteilung der erhaltenen Handschriften ein gewisser Schwerpunkt nördlich
der Alpen. 85
Aus der Masse der heute noch erhaltenen Handschriften ragt der bereits
erwähnte Codex Etonensis als ältester und zugleich wichtigster Überlieferungsträger
heraus. 86 Der insgesamt 81 Blatt umfassende Codex bietet neben der ecloga
auch carmina eines Anonymus, die dem Cornelius Gallus zugeschrieben
wurden, ferner die Achilleis des Statius, Abschriften der Remedia amoris und
der Heroides Ovids sowie eine lateinische Version der Phaenomena Arats. Die
ecloga eröffnet die Handschrift, aufgrund einer Beschädigung enthält sie allerdings
nur die Verse 23-344.
Die große Beliebtheit und weite Verbreitung der ecloga fand im ausgehenden
15. und beginnenden 16. Jh. zunächst eine nahtlose Fortsetzung. Zwischen
der im Jahr 1481 erschienen editio princeps, deren Existenz von Osternacher
nachgewiesen, die aber zu seinen Lebzeiten nicht mehr greifbar war, 87 und
dem Ende des 16. Jh. erschienen nicht weniger als 87 Ausgaben. 88 Diese enthielten
teilweise nur die ecloga, teilweise boten sie daneben auch andere, in den
Kontext des mittelalterlichen Schulbetriebs gehörige Texte, insbesondere die
Sammlung der sogenannten auctores octo, eines Corpus von Schultexten, das
sich im 10. Jh. zu verfestigen begann. 89 Die intensive editorische Tätigkeit sowie
deren spürbares Nachlassen in der zweiten Hälfte des 16. Jh. wird deutlich aus
folgender Übersicht über die datierbaren Ausgaben aus der Zeit zwischen 1481
und 1600:
30
25
25
20
15
10
5
0
9
1481-
1490
1491-
1500
15
1501-
1510
7
1511-
1520
2
1521-
1530
5
1531-
1540
1
1541-
1550
0 0
1551-
1560
1561-
1570
1
1571-
1580
0 0
1581-
1590
1591-
1600
Datierbare Editionen der ecloga zwischen 1481 und 1600
85 Osternacher 1916, 355.
86 Osternacher 1902, 15 mit n. 4; für eine ausführliche Beschreibung cf. Sedlmayer 1878, 5-6;
cf. daneben Boas 1914, 44; eine Abbildung eines einzelnen Blattes im Anhang von Osternacher
1902.
87 Osternacher 1916, 333 mit n. 1.
88 Eine Auflistung bei Osternacher 1916, 333-352; wie Osternacher selbst p. 352 bemerkt, ist
die Liste nicht vollständig.
89 Zu den auctores octo cf. Boas 1914, insbesondere 45-46.
18
Mit dem beginnenden 17. Jh. schwand nahezu jegliches Interesse an der ecloga.
Abgesehen von der Aufnahme in das Manuale Biblicum des Johannes
Muntzenberg, das nach seiner Drucklegung 1610 noch zweimal in den Jahren
1618 und 1620 nachgedruckt wurde, 90 fand das Werk keinen Herausgeber mehr
und geriet schnell in Vergessenheit. Erst mehr als 150 Jahre später erschien mit
der Ausgabe von Johann Gottlob Schwabe eine erste kritische Ausgabe, die sich
auf drei Handschriften stützte und die, wie August Beck in der Einleitung zu
seiner 1836 als Marburger Dissertation erschienenen Ausgabe pointiert feststellte,
91 die ecloga wieder stärker in das Interesse der Forschung rückte. Die Becksche
Ausgabe stützte sich zwar erstmalig auf eine größere Zahl von insgesamt
15 Handschriften, doch weder der älteren Ausgabe Schwabes noch der Ausgabe
Becks gelang es, die ecloga auch nur einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit
bekannt zu machen. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jh. fanden sich
in einschlägigen Handbüchern keine verläßlichen Informationen, was Hans
Vollmer bereits 1904 beklagte:
„Jedermann wird … den Eindruck erhalten, als handle es sich um ein
verschollenes Buch, über dessen Inhalt man nur auf spärliche Ueberlieferung
und unsichere Vermutungen angewiesen sei.“ 92
Der bis heute maßgebliche Text wurde schließlich 1902 von Johannes
Osternacher, der am bischöflichen Gymnasium Petrinum in Urfahr unterrichtete,
vorgelegt. 93 In den folgenden Jahren beschäftigte sich Osternacher weiter intensiv
mit der ecloga und legte zunächst 1907 einen immer noch grundlegenden
Kommentar sowie einen nur geringfügig veränderten Text vor. 94 Danach trieb er
energisch die Arbeiten zur Erstellung einer editio maior für die MGH voran, die
als ein erstes wichtiges Zwischenergebnis eine umfangreiche Studie zu den erhaltenen
Handschriften und Textausgaben erbrachten, die 1916 veröffentlicht
wurde. 95 Osternacher konnte seine Arbeiten aber aufgrund des Ersten Weltkrieges
nicht mehr zu Ende führen; 96 zu einer neuen, auf eine noch breitere Handschriftenbasis
gestützten editio maior ist es bislang nicht gekommen. 97 Seither
90 Osternacher 1916, 352.
91 Beck 1836, 24: Huic editori sane gratiae habendae sunt, quod scriptorem in bibliothecarum
solummodo aliquot tenebris latentem in manus hominum reduxerit.
92 Vollmer 1904, 321; cf. auch Osternacher 1916, 331 n. 2.
93 Osternacher 1902; zur Vita Osternachers cf. Weißengruber 1977.
94 Osternacher 1907.
95 Osternacher 1916; seit seiner Ausgabe von 1902 war die Zahl der ihm bekannten Handschriften
von 121 auf 178, die der Ausgaben von insgesamt 54 auf 96 angestiegen.
96 Strecker 1924, 18-19.
97 Die verdienstvolle Arbeit von Green 1980 bietet zwar einen gegenüber Osternacher leicht
veränderten Text, dieser stützt sich aber im Wesentlichen nur auf eine Handschrift (Green
1980, 115); auch die wertvolle Ausgabe von Casaretto 1997 stützt sich auf den Osternacherschen
Text.
19
hat die ecloga immer wieder vereinzeltes Interesse hervorgerufen, 98 ohne allerdings
an die Bekanntheit des Textes im 16. Jh. auch nur ansatzweise anknüpfen
zu können.
Blickt man insgesamt auf die Überlieferungs- und Editionsgeschichte der
ecloga, bietet sich ein durchaus eigenartiges Bild. Zwar garantiert die weite
Verbreitung eines Textes im Mittelalter keineswegs ein entsprechendes neuzeitliches
Interesse, doch würde man von einer intensiven Editionstätigkeit im 15.
und 16. Jh. wohl nicht sofort darauf schließen, daß der betreffende Text innerhalb
eines Jahrhunderts nahezu völlig in Vergessenheit gerät. Grundsätzlich treten
hierbei zwei verschiedene Probleme auf – zum einen stellt sich die Frage
nach der Ursache für den dramatischen Abfall des Interesses an der ecloga, zum
anderen ist die große Zahl an Drucken an sich keineswegs selbstverständlich;
von diesen wurde, wie Osternacher zuerst bemerkt hat, die Mehrzahl in Frankreich
verlegt. 99 Die Antwort auf die erstgenannte Frage scheint auf der Hand zu
liegen – es dürfte sowohl zeitgeschichtlichen Entwicklungen, dabei insbesondere
dem heraufziehenden konfessionellen Konflikt in Europa, als auch einem sich
verändernden Zeitgeschmack geschuldet sein, daß die ecloga langsam in Vergessenheit
geriet. Für die große Zahl an Ausgaben des 15. und 16. Jh. ist es dagegen
um einiges schwieriger, eine plausible Erklärung zu finden. Immerhin läßt
sich mutmaßen, daß die ecloga auch noch in der Frühneuzeit eine zentrale Rolle
als Schultext gespielt haben dürfte.
I.4. Zu Text und Übersetzung der vorliegenden Ausgabe
Der vorliegenden Übersetzung liegt der unveränderte Text Osternachers aus
dem Jahr 1907 zugrunde, der wiederum nur minimale Unterschiede zu seiner
Ausgabe aus dem Jahr 1902 aufweist. 100 Ebenfalls übersetzt sind die – im vorliegenden
Text kursiv gedruckten – Verse 345-352 am Schluß des Textes; bei
diesen handelt es sich um eine spätere Anfügung, die nur in wenigen Handschriften
und dort zudem in teilweise voneinander abweichender Textgestalt
nachweisbar ist. 101 Erst Beck hat sie in seiner Ausgabe zum ersten Mal angeführt,
allerdings bereits auf die Einschätzung Gotthold Ephraim Lessings verwiesen,
102 der 1799 eine briefliche Anfrage aus Weimar bezüglich einer die ecloga
sowie diese Verse enthaltenden Handschrift beantwortete:
„Aber wer erkennet hier nicht das Gemächt eines noch spätern und
noch barbarischern Mönchs? So schlecht auch die Verse des Theodu-
98 Hervorzuheben sind neben Green 1980 und Casaretto 1997 die englischen Übersetzungen
von Pepin 1999, 25-40 sowie Herren 2007, 218-230.
99 Osternacher 1916, 352-353.
100 Osternacher 1907, 68.
101 Cf. die Kommentarnotizen von Osternacher 1902, 54 zu vv. 345-351.
102 Beck 1836, 17.
20
lus sind, so sind sie doch nicht so gar erbärmlich, als dieser abscheuliche
Schwanz.“ 103
Zwar läßt dieses hinsichtlich der ecloga nicht gerade schmeichelhafte Urteil
eine offenbar nicht geringe Abneigung gegenüber der literarischen Produktion
des lateinischen Mittelalters erkennen; Lessing muß aber dahingehend rechtgegeben
werden, daß sich die Verse durchaus vom übrigen Text unterscheiden.
So scheinen vv. 349-352 an vv. 185-188 anknüpfen zu wollen, doch geht die
Darstellung etwa der Dreifaltigkeit in den Schlußversen deutlich andere Wege;
104 ansonsten stehen letztere inhaltlich in keinem direkten Bezug zum vorherigen
Wettstreit zwischen Pseustis und Alithía. Schließlich sind sie erkennbar
ohne Gespür für die filigrane Zahlenkonstruktion der ecloga zusammengestellt
worden, die durch die Anfügung weiterer acht Verse deutlich aus dem Gleichgewicht
gerät.
103 Lachmann/Maltzahn 1855, 176-177.
104 Cf. v. 187: cui tres personae, tria nomina mit v. 351: alme Deus, triplex, ast omnipotens,
pie, simplex.
21
22
II. ecloga Theoduli – Text und Übersetzung
Pr. 1
5
10
15
19
Aethiopum terras iam fervida
torruit aestas,
In Cancro solis dum volvitur
aureus axis,
Compuleratque suas tiliae sub
amoena capellas
Natus ab Athenis pastor
cognomine Pseustis,
Pellis pantherae corpus cui
texit utrimque
Discolor et rigidas perflavit
fistula buccas
Emittens sonitum per mille
foramina vocum.
Ad fontem iuxta pascebat
oves Alithia.
Virgo decora nimis David
de semine regis,
Cuius habens citharam fluvii
percussit ad undam.
Substiterat fluvius tanta
dulcedine captus
Auscultando quasi modulantis
carmina plectri
Ipseque balantum grex
obliviscitur esum.
Non tulerat Pseustis, sed motus
felle doloris
Litoris alterius proclamat ab
aggere tutus:
«Cur, Alithia, canis rebus
stultissima mutis?
Si iuvat, ut vincas, mecum
certare potestas:
Fistula nostra tuum cedet, si
vincis, in usum;
Victa dabis citharam; legem
coeamus in aequam».
Der heiße Sommer röstete das
Äthiopierland, die goldene Sonnenachse
drehte sich im Sternzeichen
des Krebses. Ein Hirte aus
Athen mit dem Beinamen Pseustis
hatte seine Zicklein unterm lieblichen
Schatten der Linde zusammengetrieben.
Ein zweifarbiges
Leopardenfell bedeckte ihm den
Leib vorne und hinten, und seine
Flöte blähte ihm die festen Backen
auf, während sie ihren Ton aus tausend
Pfeifenlöchern klingen ließ.
Nahebei an der Quelle weidete
Alithía ihre Schafe. Sie war eine
überaus schöne Jungfrau aus dem
Geschlechte Davids; sie hatte Davids
Harfe und schlug sie am Wasser
des Flusses. Gefangen von solcher
Süßigkeit hielt der Fluß an
und lauschte dem Takt der melodisch
geschlagenen Lieder. Selbst
die Herde der blökenden Schafe
vergaß ihre Mahlzeit. Pseustis hielt
es nicht aus, getrieben von
schmerzlichem Neid rief er vom
anderen Uferdamm:
«O Alithía, warum singst du so
töricht, ohne Sinn und Zweck?
Macht dir's Freude zu siegen, so
hast du hier die Möglichkeit zum
Kampf mit mir. Siegst du, geht
meine Flöte in deinen Gebrauch;
siege ich, gibst du mir deine Harfe;
unter gleichem Recht wollen wir
uns begegnen.»
23
20
25
30
35
36
Illa refert: «Nec dicta movent
nec præmia mulcent
Me tua nunc adeo, quia vulnere
mordeor uno:
Quo res cumque cadit, testis nisi
sedulus assit,
Si victus fueris, non me
vicisse fateris.
Sed quia mutari nescit sententia
coepti,
En adaquare gregem, simul et
relevare calorem
Nostra venit Fronesis: sedeat
pro iudice nobis».
Pseustis ad hæc: «Video quod
eam sors obtulit ultro.
Huc ades, o Fronesi! Nam
sufficit hora diei,
Ut tua iam nostro postponas
seria ludo».
Tunc mater Fronesis: «Adaquato
me grege quamvis
Accelerare domum iussisset
uterque parentum
Nec dubitem poenas, si
quicquam tardo, paratas,
Laeta feram talis praesumens
gaudia litis.
Perge prior, Pseusti, quia
masculus; illa sequaci
Aequabit studio. Sit tetras in
ordine vestro.
Pitagorae numerus. Sol augeat,
obsecro, tempus.»
Jene entgegnete: «Weder bewegen
mich deine Worte noch erfreuen
mich deine Preise sehr, denn eine
Wunde frißt an mir: Wie immer
die Sache hinausgeht, sofern kein
aufmerksamer Zeuge da ist, wirst
du, falls du besiegt bist, nicht
zugeben, daß ich gesiegt habe.
Doch weil es bei dem bleiben
muß, was wir begonnen haben,
sieh da, eben kommt unsere Fronesis,
um ihre Herde zum Wasser
zu führen und Abkühlung zu
schaffen bei der Hitze: sie soll für
uns Richterin sein.»
Pseustis sagte darauf: «Ich sehe,
daß das Schicksal sie zu uns geführt
hat. Komm hierher, Fronesis!
Die Tagesstunde läßt es zu, daß du
deine Geschäfte für unseren Wettstreit
hintanstellst.»
Da sprach Fronesis: «Obwohl die
beiden Eltern mir befohlen haben,
nach dem Tränken der Herde nach
Hause zu eilen, und ich nicht daran
zweifle, daß Strafen mich erwarten,
wenn ich mich verspäte,
will ich sie heiter ertragen, weil
ich die Freuden eines solchen
Wettstreits höher schätze. Du
fängst als erster an, Pseustis, du
bist der Mann. Sie wird als zweite
mit dem gleichen Eifer antworten.
Jeder von euch hat eine Einheit
von vier Versen zur Verfügung,
gemäß den Harmonien des Pythagoras.
Und die Sonne sei nun gebeten,
stillezustehen und euch Zeit
zu schenken.»
24
1.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
37
40
Primus Cretaeis venit Saturnus
ab oris
Aurea per cunctas disponens
saecula terras;
Nullus ei genitor nec quisquam
tempore maior;
Ipso gaudet avo superum
generosa propago.
Am Anfang kam Saturn von Kretas
Küste und brachte allen Landen
das Goldene Zeitalter. Ohne
Vater und Vorfahren erfreut er die
edlen Kinder der Götter als Großvater.
ALITHIA
Incola primus homo fuit in
viridi paradiso.
Coniuge vipereum donec suadente
venenum
Hausit eo cunctis miscendo
pocula mortis:
Sentit adhuc proles, quod commisere
parentes.
ALITHÍA
Der Einwohner im grünen Paradies
war Adam, bis er auf Zuraten
der Ehefrau das Gift der Schlange
nahm und so allen Menschen den
Todesbecher mischte. Bis heute
fühlen die Nachfahren, was die
Ureltern angerichtet haben.
2.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
45
50
52
Splendorem tanti non passus
Iuppiter auri
Expulit illatis patrem
crudeliter armis:
Decolor argento mundi
successit imago
Et iam primatum dedit illi
curia divum.
ALITHIA
Exulat eiectus de sede
pia protoplastus
Ac cinis in cinerem naturae
mutat honorem.
Ne tamen aeterni temeremur
stipite pomi,
Flammeus ante fores vetat ensis
adire volentes.
Den Glanz des goldenen Zeitalters
duldete Jupiter nicht; er tat dem
Vater mit Waffen Gewalt an und
trieb ihn davon. Entfärbt zu Silber
folgte das zweite Weltalter; die
Götter hielten Hof, und Jupiter
bekam den ersten Rang.
ALITHÍA
Im Elend der Verbannung vom
Paradies lebt der Erstgeschaffene;
aus Staub und Asche wird die
Zierde der Natur wieder zu Staub
und Asche. Damit wir aber nicht
aufs neue Schaden nehmen vom
Apfel des ewigen Baums der Erkenntnis,
verbietet uns ein Flammenschwert,
daß wir dem Tor des
Paradieses nahen, so sehr wir auch
wollen.
25
3.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
53
55
Egregio Cecropi debetur
causa litandi:
Ille bovis primo rimatus
viscera ferro.
Sacra Iovi statuit, quae
posteritas celebravit;
Condidit Athenas; adiuvit
nomine Pallas.
Dem edlen Kekrops danken wir
die Ursache der Weihe-Opfer; er
erforschte als erster mit dem Messer
die Eingeweide des Stieres und
führte das Opfer für Jupiter ein,
das dann die Nachwelt feierte. Er
gründete Athen, und Pallas
schmückte diese Stadt mit ihrem
Namen.
60
ALITHIA
Immolat ante Deum Cain de
semine frugum;
Frater Abel iustus dedit acceptabile
munus
Sponte ferens agnum – talis
decet hostia Christum;
Ense cadit fratris; loquitur post
funera mortis.
ALITHÍA
Kain opferte vor Gott von seinen
Feldfrüchten, doch sein gerechter
Bruder Abel brachte eine wohlgefällige
Gabe, indem er freiwillig
ein Lamm darbot – dies Opfertier
bezeichnet ja Christus. Dann fiel
er vom Streich seines Bruders;
doch nach seinem Tod spricht er
weiter, nämlich durch sein Blut.
4.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
64
Licaon Arcas caelestes
provocat iras,
Quando suas aedes invasit
Iuppiter hospes,
Fallere temptando numen Iovis;
exuit ergo
Corpus et os hominis; saevit
lupus asper in arvis.
Lykaon, der König von Arkadien,
fordert den Zorn der Himmlischen
heraus, als Jupiter sein Haus als
Gast betritt, indem er dessen göttliches
Wesen zu täuschen versucht.
Daraufhin verliert er
menschlichen Körper und Sprache
und wütet als böser Wolf in den
Gefilden.
26
65
ALITHIA
Enoc, iustitiæ polluto cultor
in orbe,
Raptus de terra nulli
comparuit ultra,
Iudicis adventum fidens
athleta secundum;
Leviathan contra socio
praecedet Helia.
ALITHÍA
Henoch, der die Gerechtigkeit
pflegte in einer verdorbenen Welt,
wurde hinweggenommen von der
Erde und ward von keinem mehr
gesehen. Gläubig erwartet der
Held die Wiederkunft des Richters
am Ende der Zeit. Doch vorher
kommt Elias und kämpft mit ihm
gegen Leviathan.
5.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
70
Venit ab Oceano submergens
cuncta vorago,
Tellus cessit aquae, periit quod
vixerat omne;
Deucalion homines, praeter
quem nemo superstes,
Cum Pirra iactis renovavit
coniuge saxis.
Ein Schlund aus Wasser kam vom
Ozean, welcher alles verschlang
und überschwemmte. Die Erde
wich dem Wasser; alles, was gelebt
hatte, ging zugrunde. Deukalion
mit seiner Gattin Pyrrha, die
allein überlebten, warf Steine und
schuf so die Menschen neu.
75
76
ALITHIA
Ultio digna Dei fontes
disrupit abissi
Octavum Noe servans in
partibus arcae;
Amodo ne talem patiantur
saecula cladem,
Visibus humanis per nubila
panditur Iris.
ALITHÍA
Eine rächende Strafe, Gottes würdig,
brach die Brunnen des Abyssus
auf. Noah wurde als Achter in
den Räumen der Arche gerettet.
Zum Zeichen, daß zukünftige
Jahrhunderte solche Vernichtung
nicht mehr leiden müssen, spannte
sich vor den Augen der Menschen
zwischen den Wolken der Regenbogen
aus.
27
6.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
77
80
Idaeos lepores puer
exagitat Ganimedes,
Quem Iovis arreptum devexit in
aethera sursum
Armiger; ablato divum
concesserat ordo
Nomen pincernae, quod
possedit prius Hebe.
Der Knabe Ganymed jagte am
Berge Ida die Hasen, da packte ihn
Jupiters Blitzeträger, der Adler,
und trug ihn hoch in den Äther.
Dem Entführten verlieh die Götterschar
das Amt des Mundschenks,
welches Hebe zuvor besaß.
ALITHIA
Corvum perfidiae dampnant
animalia quaeque,
Nuntius inclusis quia noluit
esse salutis;
Ore columba suo ramum
viridantibus intro
Detulerat foliis, superest
Armenia testis.
ALITHÍA
Den Raben, der dem eingeschlossenen
Noah kein Rettungsbote
werden wollte, verdammen alle
Tiere wegen seiner Untreue. Die
Taube trug in ihrem Munde einen
Zweig mit grünenden Blättern zur
Arche. Ein Zeugnis ist noch vorhanden
in Armenien.
7.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
85
Surrexere viri terra
genitrice creati,
Pellere caelicolas fuit omnibus
una voluntas;
Mons cumulat montem, sed
totum Mulciber hostem
Fulmine deiectum Vulcani trusit
in antrum.
Titanen erhoben sich, von der
fruchtbaren Erde geschaffen, und
hatten alle einen Willen: die
Himmelsbewohner zu stürzen. Sie
türmen Berg auf Berg, doch Jupiter
wirft mit seinem Blitz sämtliche
Feinde hinab und stößt sie in
die Höhle des Vulcanus.
90
92
ALITHIA
Posteritas Adae summa
Babilonis in arce
Turrim construxit, quæ caelum
tangere possit.
Excitat ira Deum: confusio
fit labiorum,
Disperguntur ibi, nomen non
excidit urbi.
ALITHÍA
Adams Nachfahren errichteten auf
dem Gipfel der Burg von Babylon
einen Turm, der den Himmel berühren
sollte. Zorn ergreift Gott
den Herrn: er verwirrt ihre Sprachen,
sie zerstreuen sich in alle
Winde. Doch der Name der Stadt
bleibt bestehen.
28
8.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
93
95
Fulmina Ciclopes Iovis
imperio fabricantes
Paeone percusso morti
decrevit Apollo;
Mox deitate sua superum
spoliatus in ira
Admeti curam pecoris
suscepit agendam.
Nachdem sie seinen Sohn Paion
durchbohrt hatten, bestimmte
Apollon die auf Jupiters Geheiß
Blitz und Donnerkeil schmiedenden
Zyklopen dem Tode, wurde
doch bald darauf, dem Zorn der
anderen Götter verfallen, seiner
Gottheit beraubt und nahm Admet
die Sorge ab, das Vieh zu hüten.
100
ALITHIA
Limite iussus Abram patrio
discedere Sarram
Assumpsit sine spe sobolis sibi
concipiendae;
Tandem confectis aetate
creatur herilis
Filius et lactat, sua quam
natura gravabat.
ALITHÍA
Abraham zog aus seiner Heimat
weg nach dem Geheiß des Herrn
und nahm Sarah, sein Weib, obgleich
er keine Hoffnung sah, daß
sie ihm noch ein Kind gebären
werde. Endlich wurde den hochbetagten
Eltern ein Stammhalter mit
Namen Isaak geschenkt, und Sarah,
die unter der Last ihrer Jahre
litt, ernährte ihn an ihrer Brust.
9.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
104
Daedalus aptatis liquidum secat
aera pennis;
Filius insequitur, fragilis sed
cera liquatur
Et cadit in pelagus, gemuit sub
pondere fluctus.
Ille sui compos brumales
attigit Arctos.
Daedalus teilt die klare Luft mit
künstlich verfertigten Flügeln, sein
Sohn folgt ihm, doch das unbeständige
Wachs zerfließt, er stürzt
ins Meer, die Flut dröhnt unter
seinem Fall. Dem Daedalus indessen
glückt sein Flug, er gelangt in
die Gegenden unter dem Nordstern.
29
105
ALITHIA
Heredis forma non est
motus patriarcha,
Quin mactaret eum, nisi vox
emissa deorsum
Parcere iussisset; rapitur, qui
cornibus haeret
In dumis, aries; sequitur patrem
sua proles.
ALITHÍA
Die Schönheit seines Sohnes
konnte Stammvater Abraham
nicht hindern, ihn zu opfern, erst
eine Stimme, die von oben kam
und ihm befahl, den Isaak zu
schonen, hielt ihn auf. Ein Widder
hatte sich mit seinen Hörnern im
Gebüsch verfangen, Abraham
opferte ihn, und der Sohn folgte
seinem Vater.
10.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
110
Phillis amore gravi Demofontis
capta superbi
Mutat flebiliter rigidum pro
corpore suber;
Ille reversus eo truncum rigat
ore supino,
Occurrit foliis, ceu senserit
oscula, Phillis.
Phyllis, ergriffen von schwerer
Liebe zum hochmütigen König
Demophon, verwandelte vor Weinen
ihren Leib in eine dürre Korkeiche.
Demophon, spät zurück,
beugte sich und benetzte den dürren
Baum mit seinen Tränen. Da
wuchsen ihm Blätter entgegen, als
ob Phyllis die Küsse gefühlt hätte.
115
116
ALITHIA
In cinerem Sodomas solvens
divina potestas
Ob pactum patrui Loth parcere
cogitat uni;
Servat eum Segor, sed perfida
vertitur uxor
In salis effigiem, lambunt
animalia cautem.
ALITHÍA
Gottes Macht brannte Sodom zu
Asche, allein den Lot verschonte
er wegen des Bundes, den er mit
dessen Onkel Abraham geschlossen
hatte. Die Stadt Zoar rettete
ihn; sein Weib jedoch, die es am
Glauben fehlen ließ, wendete sich
und wurde gleich in eine Salzsäule
verwandelt. An diesem Stein
lecken die Tiere.
30
11.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
117
120
Argolicas contra bellans
acies Citharea
Titidæ manibus grave pertulerat
dea vulnus;
Deplorant socii commissa
ducis furiosi,
Nam facti volucres acuunt pro
dentibus ungues.
Als die kythereische Aphrodite
vor Troja in den Kampf eingriff
gegen die Griechen, empfing die
Göttin von der Hand des Tydeus-
Sohnes Diomedes eine schmerzhafte
Wunde. Seine Gefährten beklagten
die Tat ihres wütenden
Führers – und hatten Ursache,
denn sie wurden in Vögel verwandelt
und schärften ihre Klauen;
Zähne zum Knirschen hatten sie
nicht mehr.
ALITHIA
Congressus Domino Iacob
luctamine longo
Nervos amisit femoris, dum
cedere nescit;
Quam plagam veluti gemat
evenisse parenti,
Non comedit nervum successio
tota nepotum.
ALITHÍA
Jakob begegnete dem Herrn und
rang in langem Kampf mit ihm;
doch als er nicht aufgab, renkt'
ihm der Herr die Spannader an
seiner Hüfte aus. Um diese Lähmung
des Stammvaters zu beklagen,
essen die Kinder Israel keine
Spannader auf dem Gelenk der
Hüfte bis auf den heutigen Tag.
12.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
125
128
Ipolitus saeva perit
accusante noverca
Discerptus bigis focas
agitantibus undis.
Dampna pudicitiæ non pertulit
ira Dianæ:
Ipolitum revocat; modo nomine
Virbius extat.
Hippolytus, durch seine böswütende
Stiefmutter unkeuschen Angriffs
zu Unrecht beschuldigt,
wurde von seinem Zwiegespann,
als des Meeres Wogen seinen
Rossen Seekälber in den Weg
trieben, ums Leben gebracht. Diese
Bestrafung seiner Keuschheit
ertrug Diana nicht in ihrem Zorn.
Sie rief Hippolytus zurück ins Leben,
doch trug er nun den Namen
Virbius.
31
129
130
ALITHIA
Venditus in servum Ioseph
livore suorum
Ardentis dominae dum spernit
vota minasque,
Addictus vinclis discussit somnia
regis
Et subduntur ei totius
regna Canopi.
ALITHÍA
Joseph, durch den Neid seiner
Brüder in die Knechtschaft verkauft,
verachtete Versprechungen
wie Drohungen seiner liebeglühenden
Herrin. In Fesseln geschlagen
deutete er dem Pharao
die Träume, und der setzte ihn
über ganz Ägypten.
13.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
135
Graecorum primus vestigat
grammata Cadmus;
Postquam sevit humi dentes
septemplicis ydri
Quos necdum fato mersit
fortuna sinistro:
Ne patiantur idem, se sibilat
esse draconem.
Als erster unter den Griechen erfand
Cadmus das Schreiben.
Nachdem er eine siebenköpfige
Schlange getötet und ihre Zähne in
die Erde gesät hatte, versenkte sie
Fortuna kurze Zeit für ein böses
Geschick: um diesem zu entgehen,
zischt er, er sei eine Schlange.
140
ALITHIA
Raptus aquis Moyses magicas
everterat artes,
Omnis eum regio timuit
circumflua Nilo;
Eduxit cives, submersit
fluctibus hostes,
Memphios exitium testatur
Adhuc mare rubrum.
ALITHÍA
Moses, dem Nilwasser entrissen,
hatte die Zauberkünste Ägyptens
besiegt, und alles Land, vom Nil
umflossen, fürchtete ihn. Er führte
sein Volk aus dem Land, versenkte
den Feind in den Fluten, und
den Untergang Pharaos bezeugt
bis zum heutigen Tag das Rote
Meer.
14.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
144
Summa Iovis calidas Europae
forma medullas
Movit et in taurum deitatis
vertit amictum:
Virgine stuprata non passus
Agenoris arma
Nomen donat ei, quod habet
pars tertia mundi.
Die überragende Schönheit der
Europa erregte und bewegte Jupiters
heißes Mark, er hüllte seine
Gottheit in die Verkleidung eines
Stiers. Nachdem er die Jungfrau
geschändet hatte, verbarg er sich
vor den Waffen ihres Vaters Agenor.
Er gab Europa den Namen,
den ein Drittel der Welt trägt.
32
145
ALITHIA
Insignem vitulum conflaverat
ignis et aurum
Ex Aaron digitis; insanit
turba rebellis:
Stirps Levi postquam Domini
compescuit iram,
pontificalis ei datur infula
iure perhenni.
ALITHÍA
Aaron schuf mit den Händen aus
Gold und Feuer ein herrliches
Kalb; da raste die gottlose Menge.
Nachdem die Söhne aus dem
Stamm Levi den Zorn des Herrn
gestillt hatten, wurde ihnen auf
alle Zeit die Mitra des Priesters
verliehen.
15.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
150
Uxoris stimulos luis,
Amphiarae sacerdos,
Pectore flagrantis dum splendet
baca monilis:
Haurit te subito specus ex Acheronte
profundo;
Mactat eam tenebris orbatae
dextera prolis.
Du gehorchst dem Drängen der
Gattin, Amphiaraus, Seher und
Priester, weil an ihrer Brust der
Edelstein der prangenden Halskette
leuchtet, da verschlingt dich die
Höhle, die sich plötzlich aus der
Tiefe der Unterwelt auftut. Die
Hand deines verwaisten Sohnes
aber schlachtet die Mutter und
schickt sie ebenfalls zur Unterwelt.
155
156
ALITHIA
Fata Chorae miseri parere monent
meliori:
Accipit infernus, quem devorat
arida tellus;
Sed Deus occulte Moysen sepeliverat
ipse
Nec cuiquam hominum dedit
indagare sepulchrum.
ALITHÍA
Das Geschick des bejammernswerten
Korah und seiner Rotte
mahnt uns zu Gehorsam und Demut:
die dürre Erde verschlang
und die Hölle empfing ihn. Gott
selbst aber begrub den Moses im
Verborgenen und gestattete keinem
Menschen, sein Grab zu erfahren.
33
16.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
157
160
Ventilat oestro decoratam cornibus
Io
Iuno ferox et ei tutelam
deputat Argi:
Mugit pro verbis horrentibus
obsita saetis,
Donec in effigiem rediit
mutata priorem.
Wütend jagt Juno die zu einer gehörnten
Kuh gemachte Io mit Hilfe
einer Rinderbremse und gibt ihr
Argus zum Wächter. Nun kann sie
nicht mehr sprechen, nur noch
muhen, bedeckt mit starrenden
Borsten. Dennoch gewann sie zuletzt
ihr menschliches Äußeres
wieder.
ALITHIA
Offensus Balaam calcaribus urget
asellam;
Angelus occurrit, pecudem qui
stare coegit.
Res horrenda nimis! Laxatur
vox animalis,
Quae consuevit homo producere
verba, loquendo.
ALITHÍA
Wütend sitzt Bileam auf seiner
Eselin und gibt ihr die Sporen. Ein
Engel tritt ihm in den Weg und
zwingt das Tier zum Stehen. Ein
Wunder, erschrecklich zu hören!
Die Stimme des Tieres wird
weich, und es kann Worte sprechen
wie ein Mensch.
17.
Pseustis
PSEUSTIS
165
168
Sufficeret thalamis ut
Iuppiter Amphitrionis,
Noctis opem placidae geminavit
candida Phoebe;
Protinus Alcmena licet
indignante noverca
Editus Alcides immissos
strangulat angues.
Damit Jupiter im Schlafgemach
Amphitryons genügend Befriedigung
finde, verdoppelte der helle
Mond die Nacht, die ihn erfreute,
in ihrer Länge. Nachdem Alkmene
den Alciden Herkules gegen den
Willen der Stiefmutter Juno geboren
hatte, schickte diese ihm
Schlangen in die Wiege, doch der
Knabe erwürgte sie.
34
169
170
ALITHIA
Victrici populo ne quondam
vivida bello
Deficeret virtus Gabaon ad
prœlia, Phoebus
Imperio Iosuae stabat defixus
in arce:
Quæ sanctae fidei sint praemia,
discite cuncti.
ALITHÍA
Damit dem siegreichen Volk Israel
seine kräftige Tugend im Krieg
gegen die Gibeoniten nicht erlahme,
ließ Josua die Sonne unbewegt
am Himmel stehen. Merkt
alle, was der Lohn sein kann eines
heiligen Glaubens.
18.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
175
Alcidæ vigilem spoliavit
clava draconem;
Gerionis pompam rapit et consumpserat
ydram;
Cacus cessit ei, succumbit
ianitor Orci:
Incendit demum paelex Deianira
superbum.
Die Keule des Alciden Herkules
raubte dem Drachen die Äpfel der
Hesperiden, nahm Geryon die
Rinderherde weg und überwältigte
die Hydra. Cacus mußte ihm unterliegen,
desgleichen Cerberus,
der den Eingang zur Hölle bewacht.
Doch zuletzt steckte die
schöne Deianira den Übermütigen
mit ihrem Nessushemd in Brand.
180
ALITHIA
Samson exuviis indutus
membra leonis
Sternit mille viros, devastat
vulpibus agros,
Urbis claustra tulit, nervorum
vincula rupit:
Fraude sua tandem praecidit
Dalida crinem.
ALITHÍA
Samson, in eine Löwenhaut gekleidet,
warf tausend Männer der
Philister nieder, verwüstete die
Felder mit Hilfe von Füchsen, hob
die Stadttore aus, zerriß alle Fesseln;
dennoch schnitt ihm schließlich
die listige Dalila seine Locken
ab, die Quelle seiner Kraft.
19.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
184
Nomina mille deum vatem
defendite vestrum,
Qui colitis Ditem, qui
stelliferam regionem,
Qui partes mundi, qui stagna
sonantis abissi:
Nomina mille deum vatem
defendite vestrum.
Ihr tausendnamigen Götter, behütet
euren Dichter! Die ihr die Unterwelt
und den Sternenhimmel
beherrscht, die Erdteile und den
tönenden See des Abyssus: Ihr
tausendnamigen Götter, behütet
euren Dichter!
35
185
ALITHIA
Par idemque Deus, maiestas,
gloria, virtus,
Quod fuit, est et erit, te
collaudat, tibi servit,
Cui tres personae, tria nomina;
tu sine fine,
Tu sine principio nos vincere
falsa iubeto.
ALITHÍA
Gott, der du dir selbst gleich und
in dir einig bist, Herrlichkeit,
Kraft und Macht: was war, was ist
und was sein wird, preist dich und
muß dir dienen. In drei Personen
und drei Namen ein Gott, ohne
Ende und ohne Anfang, gebiete
uns, über das Falsche, Verkehrte
zu siegen.
20.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
190
Certavere sequi demissis frondibus
orni
Orphea per silvas modulantem
carminis odas;
Euridicen motis, qui regna
tenent Acherontis,
Condicione gravi iussit Proserpina
reddi.
Die Eschen senkten ihre Äste und
wetteiferten, Orpheus zu folgen,
als er seine Lieder durch die Wälder
ertönen ließ. Die Herrscher des
Reiches der Unterwelt wurden gerührt,
und Proserpina befahl, daß
ihm Eurydice zurückgegeben werde,
doch unter schwerer Bedingung.
195
196
ALITHIA
Ne regis corpus vexaret
praedo malignus,
Cordarum musa puer
adiuvit citharista;
Cuius erat studium pelles
tondere bidentum,
Temporis articulo successit
dextera sceptro.
ALITHÍA
Damit der böse Geist den König
Saul nicht länger quäle, half ihm
David der Knabe mit dem Klang
seiner Harfe. Der vorher eifrig
Schafe schor, hielt bald danach als
Nachfolger das Szepter in der
Hand.
36
21.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
197
200
Herbarum succos tractans
Cillenius heros
Exsortes lucis virga revocavit
ab umbris,
Arte potens tali, credas ut
cuncta fateri,
Quod natum Maiae lactavit
mamma novercae.
Merkur, in der Grotte am Berg
Cyllene geboren, verstand sich auf
Säfte der Kräuter und rief mit seinem
goldenen Stab die in die Unterwelt
gegangenen Seelen von
den Schatten zurück. Die Macht
seiner Künste war so groß: du
kannst es mit einem Wort sagen:
ihn hatte, den Sohn der Maja, seine
Stiefmutter Juno gesäugt.
ALITHIA
Omnipotens Ididae poscenti
dona Sophiae
Annuit in tantum, naturae vincat
ut usum
Praeditus ingenio decoravit
moenia templo:
Confertum gazis evertit
amor muliebris.
ALITHÍA
Der Allmächtige gewährte Salomon,
als er um das Geschenk der
Weisheit bat, die Macht, die Natur
zu beherrschen. Mit dem Geist
Gottes angetan, vollendete er den
gemauerten Tempel, doch reich an
Schätzen ließ er von Frauenliebe
sich verführen.
22.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
205
208
Cnosia cum raros quateret
Dodona racemos,
Mater larga Ceres miserata
fame pereuntes
Triptolemum mundo misit
serpente ministro,
Qui primum terrae spem
demonstravit aristae.
Weil das knossische Dodona nur
wenig Reben trug, erbarmte sich
die reiche Muttergöttin Ceres des
Hungers der Vergehenden und
sandte den Triptolemus in die
Welt, auf einem Wagen, welchen
Schlangen zogen. Der zeigte als
erster der Erde die Hoffnung, die
eine Getreideähre bringt.
37
209
210
ALITHIA
Nubes aethereas precibus
constrinxit Helias,
Gramina nulla super madidus
stillaret ut imber;
Pulsus humo patria bibit a
torrente propheta;
Suffecit pastus, quem detulit
assecla corvus.
ALITHÍA
Die Wolken des Himmels schloß
Elias mit seinen Bitten, sodaß
nicht auf das kleinste Gras ein befeuchtender
Regen noch von oben
tropfte. Seiner Heimat verwiesen
trank der Prophet aus dem Sturzbach,
und ihm mußte die Speise
genügen, die der dienstbare Rabe
brachte.
23.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
215
Gorgonis effigie mortalis
vertitur Ide,
Nam qui viderunt, lapides
quasi diriguerunt.
Bellerofon monstro cum
Palladis arte perempto
Comit equi pennas et se dimittit
in auras.
Durch den Anblick der Gorgo
wurde jeder Sterbliche verwandelt;
denn alle, die sie ansahen,
wurden zu Stein. Bellerophon,
dem Athene mit ihren Künsten
half, tötete dieses Ungeheuer,
kämmte die Fittiche des geflügelten
Rosses Pegasus und schwang
sich in die Lüfte.
220
ALITHIA
Effugium terrae Iezabel
obstruxit Heliae,
Cum distractus equis apparuit
igneus axis;
Flammea, quae venit, vatem
quadriga levavit,
Spiritus heredi geminatur
amore magistri.
ALITHÍA
Die böse Königin Jezabel ließ dem
Elias auf der Erde keine Möglichkeit
zur Flucht, da erschien ihm
ein feuriger Wagen, gezogen von
Rossen, und der Prophet fuhr auf
diesem feurigen Viergespann gen
Himmel. Durch die Liebe des Lehrers
verdoppelte sich im Nachfolger
der prophetische Geist.
38
24.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
221
Tithonum thalamis dignans
Aurora superbis
Augendo vitam mutavit
inusque cicadam;
Extinctum Troiae sepelivit
Mennona longae,
Annua cuius aves venerantur
festa frequentes.
Aurora hielt Tithonus ihres vornehmen
Schlafgemachs für würdig
und gab ihm ein Leben, so lang,
daß er gar zur Zikade wurde. Er
bestattete seinen Sohn Memnon,
der vorm langbelagerten Troja
fiel. Dessen Vögel begehen alljährlich
seinen Todestag in großer
Zahl.
225
ALITHIA
Addictus morti faciem rigat imbre
salubri
Rex Ezechias et fati
distulit horas;
Ne dubitaret item se
promeruisse salutem,
Lora sui cursus retro sol
flexit anhelus.
ALITHÍA
Den Tod vor Augen befeuchtete
der König Hiskia sein Angesicht
mit dem heilenden Regen der Tränen
und schob so sein Ende hinaus.
Damit er nicht bezweifle, Rettung
erlangt zu haben, wandte die
heiße Sonne ihren Lauf rückwärts.
25.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
230
232
Excedit laudes hominum, qui
primus agones
Instituit fieri sub vertice
montis Olimpi:
Ardua victrices obnubit
laurea crines,
Ducit pompa domum, sequitur
confusio victum.
Über allem Lob und Ruhm der
Menschen steht, der als erster die
Spiele einrichtete und unter dem
Gipfel des Berges Olymp stattfinden
ließ. Ein aufragender Lorbeerkranz
umwand das Haupthaar
des Siegers, im Triumphzug führten
sie ihn nach Hause; dem Besiegten
folgte Verwirrung und
Schande.
39
233
235
ALITHIA
Casum Iosiae deflebant
oppida Iudae:
Magedo campos fons
detestantur et arbos;
Maerent morte sua leges et
nobile Pascha,
Omnis adhuc aetas, sed
praecipue Ieremias.
ALITHÍA
Den Tod des Königs Josias beweinten
die Städte von Juda;
Quelle und Baum, wo er erschlagen
wurde, machten die Gegend
von Megiddo abscheulich. Den
Tod betrauern seine Gesetze und
das herrliche Paschafest, und alle
Folgezeit trauert bis jetzt, besonders
aber Jeremias.
26.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
240
Dum tonitrus simulat Salmon et
fulmina quassat
Lampade terrifica percurrens
Elidis arva,
In medio pontis non passus
Iuppiter hostis
Comparis arma sui deiecerat
igne minaci.
Als Salmoneus den Donner nachahmte
und Blitze schleuderte, indem
er die Fluren von Elis durchfuhr
mit schreckenverbreitenden
Fackeln, da stürzte Jupiter, der die
Waffen eines gleich starken Gegners
nicht duldete, ihn mitten auf
der Brücke mit dem schrecklichen
Feuer seines Blitzes.
244
ALITHIA
Inscius esse Deum nisi se
rex Assiriorum
Rores et pluvias septem
toleravit aristas,
Bestia factus homo: cunctis
suadetur in illo,
Discant naturae contenti
Viribus esse.
ALITHÍA
Der König der Assyrer glaubte
nicht, daß außer ihm ein Gott sei,
und mußte sieben Erntezeiten lang
Tau und Regen ertragen. Aus einem
Menschen wurde er ein Tier.
An diesem König können alle lernen:
man muß zufrieden sein mit
dem, was die Natur verleiht.
40
27.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
245
Quadrupedes Phoebi quæ cogit
causa morari?
Experientur item Phaetontis
saecula cladem.
Quid, vesper, cessas? Saturarunt
prata capellas,
Ruminat omne pecus, nescit
procedere Phoebus.
Welche Ursache zwingt das Viergespann
des Sonnengottes Phöbus
zum Anhalten? Die ganze Welt
erfährt den Fall des Phaethon und
leidet unter ihm. Wo bleibst du,
Nacht? Die Ziegen sind nun satt,
das Vieh kann nicht mehr fressen,
nur noch wiederkäuen. Doch
Phöbus steht, kommt nicht voran.
250
ALITHIA
Visibus humanis famulantur
lumina solis
Fixa tenore suo, quem prima
creavit origo.
Cur noctem revocas? Quid vis?
Me fallere temptas;
Quod te destituunt vires,
suspiria produnt.
ALITHÍA
Die Sonne dient mit ihren Strahlen
der menschlichen Sehkraft, vom
ersten Schöpfungstag an ihren Ort
fixiert. Warum rufst du die Nacht
zurück? Was willst du? Soll das
eine Versuchung sein? Deine
Kräfte verlassen dich offenbar und
bringen dich zu solchem Seufzen.
28.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
255
256
Pignoris egregii speciem metuens
violari
Acrisius seris ostruxit
limina turris:
Et iam tecta super pluviam
stillavit adulter
Virginis in gremium: Danaem
corruperat aurum.
Aus Furcht, die Unschuld seiner
wunderschönen Tochter könne
verletzt werden, verschloß Acrisius
den Eingang seines Turms mit
Riegeln. Jedoch der ehebrecherische
Jupiter ließ Regen auf das
Dach des Turmes fallen und tropfte
so selbst in der Jungfrau Schoß.
Ein Goldregen nahm Danae die
Unschuld.
41
257
260
ALITHIA
In caveam missum non attigit
ira leonum,
Quamvis passa famem, tutante
Deo Danielem,
Signatis foribus cui prandia
detulit intus
Abacuc uno transvectus
regna capillo.
ALITHÍA
An Daniel in der Löwengrube kam
die Wut der Bestien, wiewohl sie
Hunger litten, nicht heran, weil
Gott ihn schützte. Ihm brachte
Habakuk Speise, nachdem ihn
Gott am Haarschopf von Judäa
nach Babylon gebracht und ihm
die Löwengrube gezeigt hatte.
29. PSEUSTIS
Thura cremate focis, si quos
servare velitis
Fetus incolumes: iubet hoc
Latonia proles.
Ex humero Triviae dependent
spicula mille
Cum totidem nervis, Niobae
vindicta loquacis.
ALITHIA
PSEUSTIS
Verbrennt Weihrauch auf den Altären,
wenn ihr gesunde Kinder
haben wollt! So befahl Latonas
Tochter Diana. Von ihrer Schulter
hängen tausend Pfeile mit tausend
Bogensehnen, mit denen die großsprecherische
Niobe bestraft wurde.
ALITHÍA
265
268
Presbiteris flammas nec longi
temporis ætas
Nec tanti sexus potuit
restringere virtus;
Sed districta licet mortis sibi
fata videret,
Quam natura dedit legem,
Susanna subegit.
Die Flamme der Begehrlichkeit
des Alten konnte weder sein Greisentum
noch männliche Selbstbeherrschung
dämpfen. Doch ob sie
gleich ein schlimmes Schicksal
und den Tod vor Augen sah, so
überwand Susanna dennoch ihre
Schwäche, welche die Natur den
Frauen als Gesetz gegeben hat.
42
30.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
269
270
Mens robusta viri levitate
cadit muliebri:
Ypomanes tractant, gustu sua
membra cruentant.
Femina quid possit, Terei
domus aspera novit,
Scit Medea suis infesta
clade peremptis.
Der starke Sinn des Mannes fällt
durch den leichten Sinn der Frau.
Die Frauen kennen Liebeszauber
und machen ihre Glieder blutig
nach Belieben durch Mordtaten.
Wozu eine Frau fähig ist, weiß das
verfluchte Haus des Tereus zu berichten,
das weiß auch Medea, die
ihren Kindern Feindin wurde und
sie tötete.
275
ALITHIA
Aera ne foedent, isthaec
convicia cessent.
Femineas vires expavit
dux Olofernes
Insignis viduae vesano
captus amore:
Deflent Assirii, quod
crediderit mulieri.
ALITHÍA
Hör auf mit diesen widerlichen
Beispielen; du verpestest die Luft.
Ich weiß ein anderes: Holofernes,
der Feldherr, lernte weibliche Fähigkeiten
fürchten, besinnungslos
von Liebe zur wunderschönen
Witwe Judith. Danach beweinten
die Assyrer, daß er der Frau geglaubt
hatte.
31.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
280
Ardet Scilla thoros – torquebat
viscera Minos –,
Purpureo veterem spoliavit
crine parentem:
Sed contempta viro plumas
capit incita rostro,
Vexat ubique pater, curvis sonat
unguibus aer.
Scylla war krank vor Liebe zu Minos,
beraubte daher ihren alten
Vater seines roten Haares. Verschmäht
von dem geliebten Mann,
wird sie aus Zorn zu einem Vogel,
nimmt Federkleid und einen
Schnabel an. Ihr Vater verfolgt sie
überall; die Luft ertönt unter den
Schwingen.
43
281
ALITHIA
Coniugis offensum tumido sermone
tirannum
Persidis et Mediae species
commovit Edissae:
In solio Vasti meruit
captiva locari
Civibus intentam removens a
principe plagam.
ALITHÍA
Den Herrscher von Persien und
Medien, der durch die hochmütige
Sprache seiner Gattin Vasthi beleidigt
war, bewegte die Schönheit
Esthers, und so erreichte es die
Gefangene, daß sie auf den Thron
statt der Vasthi gesetzt wurde.
Dort wendete sie die Verfolgung
ab, die ihrem Volk vom Herrscher
zugedacht war.
32.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
285
Prata virent, silvae frondent,
nunc omnia rident:
Huc Elicon Musas, huc, Protheu,
mitte Napaeas;
Assint praecipue, si curant florida
Tempe,
Quos in distichii serie
complecteris, Enni.
Die Wiesen stehen grün, die Wälder
voll im Laub, und alles jauchzet,
alles lacht: sende mir, Helikon,
deine Musen, und du, Proteus,
die Nymphen. Vor allem
aber mögen mir, wenn sie wollen,
daß ich das blühende Tempe-Tal
preise, die zwölf Götter beistehen,
die du, oh Ennius, in einem Distichon
zusammenfaßt.
290
292
ALITHIA
Erroris causas finxit timor
atque voluptas:
Singula si baratro sunt, numina
singula caelo,
Si sua mundus habet, si pontus,
quid modo restet
Ni, quot membra tenes,
tot confiteare penates?
ALITHÍA
Furcht und Begierde bildeten die
Ursachen des Irrglaubens: Wenn
die einen Götter der Unterwelt angehören,
die andern dem Himmel,
wenn Erde und Meer ihre Götter
besitzen, was bleibt dir übrig, als
in jedem deiner Glieder einen eigenen
Gott zu verehren?
44
33.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
293
295
Sponte sua tauri cupiunt
ad tecta reverti:
Vesper oves cithiso, capras
depellit ab ulmo;
Ni matura redis,
lupus insidiabitur agnis.
Cede, dies, caelo, quia nescit
cedere virgo.
Von sich aus wünschen die Stiere,
in ihren Stall zurückzukehren, der
Abend kündigt sich an und trennt
die Schafe vom Ginster und die
Ziegen vom Ulmenbusch. Kehrst
du nicht zeitig heim, holt der Wolf
deine Lämmer. Weiche jetzt, lieber
Tag, denn Jungfrau Alithía
weiß sonst nicht, wann sie zu weichen
hat.
300
ALITHIA
Si vos terret, oves, lupus ad caulas
redeuntes,
Cornibus elatis illum, mea
cura, petatis,
Quem sine fraude pius paschalis
vicerat Agnus.
Fige, dies, cursum, ne perdat
virgo triumphum.
ALITHÍA
Wenn euch, ihr Schafe, auf dem
Rückweg zu den Hürden der Wolf
erschreckt, dann haltet ihm, das ist
mein Rat, eure Hörner entgegen
und greift ihn an. Denn diesen
Feind hat ja das fromme Osterlamm
besiegt; das ist gewiß. Halt
deinen Lauf an, lieber Tag, damit
die Jungfrau Alithía ihren
Triumph nicht verliert.
34.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
304
Triste mari vectis Helenae
respectus in astris,
Frugibus aerugo, serpentum
sibilus agro;
Hortos talpa fodit, digitos
urtica perurit:
Omnia quis divum voluit
confligere tantum?
Ein trauriges Vorzeichen ist für
die Seefahrer der Anblick des
Elmsfeuers unter den Sternen, die
verrostete Sichel für die Feldfrüchte,
das Zischen der Schlangen
für den dürren Acker; der
Maulwurf untergräbt das Gartenland,
die Brennessel versengt die
Finger: Wer von den Göttern wollte
wohl, daß alles so gegeneinander
kämpft?
45
305
ALITHIA
Dulce viro mulier, pratis arentibus
imber,
Mandragorae sterili, fons
agricolae sitienti:
Praecellit cunctis, animae
velamina carnis
Exuerint postquam, placari
Iudicis iram.
ALITHÍA
Süß ist die Frau für den Mann, der
Regen für die ausgedorrten Wiesen,
das Zauberkraut Alraune für
die Unfruchtbare, die Quelle für
den durstigen Landmann. Das
Schönste aber ist es, und für alle,
daß Gottes Richter-Zorn, nachdem
die Seele ihres Leibes Hülle ausgezogen
hat, besänftigt wird.
35.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
310
Quaenam caelicolas avertit
dira voluptas?
Zodiaci numquid loca maximus
ordo reliquit?
Aut stertunt omnes aut tractant
pocula Lethes.
Cede, dies, caelo, quia nescit
cedere virgo.
Welche schlimme Begierde hat die
Himmelsbewohner von mir abgewendet?
Hat die große Ordnung
die Tierkreiszeichen verlassen?
Entweder schlafen sie alle, oder
sie leeren die Becher des Vergessens.
Weiche jetzt, lieber Tag,
denn Jungfrau Alithía weiß sonst
nicht, wann sie zu weichen hat.
315
316
ALITHIA
Obtutu vigili curat
fastigia caeli,
Quicquid nutrit humus,
quicquid producit abissus,
Nec somnum novit qui Verbo
cuncta creavit.
Fige dies, cursum, ne perdat
virgo triumphum.
ALITHÍA
Wach und aufmerksam sorgt für
den Himmelsgiebel wie für die
nahrungsspendende Erde und auch
für die Tiefe des Meeres und kennt
keinen Schlummer: der Herr, der
durch sein Wort alles erschaffen
hat. Halt deinen Lauf an, lieber
Tag, damit die Jungfrau Alithía
ihren Triumph nicht verliert.
46
36.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
317
320
Dic mihi: dum tristes adiit Proserpina
sedes
Lege data matri, si vellet
nata reverti,
Gustum perfidiae quis primum
prodidit ore?
Dic et Troianum lauderis scire
secretum.
Sage mir: als Proserpina zum
düstern Thron der Unterwelt gelangte
– der Mutter Ceres wurde
ein Gesetz gegeben für den Fall,
daß die Tochter zurückkehren
wolle – wer verriet da treulos den
sofortigen Genuß des Granatapfels?
Sag mir's, und ich werde
dich loben, daß du das Geheimnis
der heidnischen Mythologie
kennst.
ALITHIA
Cum pelagus mundo subsidat,
mundus Olimpo,
In medio semper consistat
pendulus aer,
Dic: ubi terra levem caeli
supereminet axem?
Et te posse Dei tetragrammaton
annuo fari.
ALITHÍA
Da unterhalb der Erde Wasser,
unterhalb des Olymps die Erde ist
und in der Mitte immerdar die
Luft schwebt, sag mir: wo überragt
die Erde die leichtschwebende
Himmelsachse? Dann werde ich
bestätigen, daß du das Tetragramm
Gottes aussprechen kannst.
37.
PSEUSTIS
PSEUSTIS
325
328
Ista suis hodie si praevalet
artibus in me,
Dum cessit Mopso, Calcantis
more dolebo,
Fraude puellari sed non
patiar superari:
Millesies repetam, nisi subtrahat
Hesperus horam.
Wenn Alithía hier durch ihre
Künste heute gegen mich siegt,
werde ich weinen wie Kalchas, als
er Mopsos weichen mußte. Durch
Jungferntrug jedoch will ich mich
nicht besiegen lassen. Tausendmal
werde ich meine Verse wiederholen,
bis mir der Abend meine Zeit
entzieht.
47
329
330
ALITHIA
Nunc utinam Tales, falsorum
fictor, adesses!
Quatuor imprimis
evangelicae rationis
Nitar codicibus, nostrum de
virgine corpus
Ut Deus accepit, nec me labor
iste gravabit.
ALITHÍA
O daß doch der kluge Thales hier
wäre, um dir beim Täuschen beizustehen!
Ich aber werde mich auf
die vier Bücher mit der Lehre der
Evangelien stützen, die sagen, daß
Gott durch die Jungfrau unseren
Menschenkörper angenommen
hat. Und die Mühe, mit dir zu
streiten, wird mich nicht mehr bedrücken.
335
PSEUSTIS
Egregiam sobolem cui per Stilbontis
amorem
Vi superum magna sociasti –
teste Capella –,
Obsecro te, Fronesi, iubeas
reticere sorori:
Quo tendis, cedo nec me
cessisse negabo.
PSEUSTIS
Ich beschwöre dich, Fronesis, befiehl
deiner Schwester Alithía, zu
schweigen, bei der Liebe Merkurs,
dem du deine hervorragende
Tochter beigesellt hast nach dem
gewaltigen Willen der Götter, wie
Martianus Capella bezeugt. Was
auch immer du zeigen willst, ich
gebe mich geschlagen und werde
nie bestreiten, kapituliert zu haben.
340
FRONESIS
Mortales cuncti quod
contendunt adipisci
Nec, si perficiant, vitae
discrimina curant,
Ex insperato Dominus tibi
contulit ultro:
Ut cessare velis devictus
supplicat hostis.
FRONESIS
Allen Sterblichen ist es eigen, die
Gefahren des Lebens geringzuschätzen,
sofern sie nur vollenden,
was sie erreichen wollen. Du hast
es nicht erwartet, Alithía, doch der
Herr hat dir von sich aus den Sieg
gegeben. Der überwundene Feind
bittet dich, es jetzt gut sein zu
lassen.
48
341
344
Treicius vates commovit
pectine Manes,
Te moveant lacrimae; iam tollit
cornua Phoebe;
Sol petit Oceanum. frigus
succedit opacum:
Desine quod restat,
ne desperatio laedat.
Orpheus, der thrakische Sänger,
hat mit seiner Leier die Unterweltsgötter
gerührt. Laß dich von
den Tränen des Pseustis bewegen.
Schon steigt die Mondsichel empor,
die Sonne versinkt im Okeanos,
dem Dunkel folgt Kälte. Laß
jetzt beiseite, was noch ungesagt
ist, damit den Gegner nicht Verzweiflung
überfällt.
345
350
352
Tunc Alithia Deo reddens pia
carmina plectro
Hoste suo victo coepit
modulare benigno:
Alme Deus, triplex, ast
omnipotens, pie, simplex,
Qui caelum, terras, mare,
tartara rite gubernas
Quique regis cuncta propria
virtute sub una,
Erige subiectos cunctos tibi,
sterne superbos:
Cui sit laus semper, virtus, pax,
gloria perpes,
Quem decet aeternum regnum
sine fine per aevum.
Da begann Alithía, nachdem sie
den Gegner besiegt hatte, fromme
Gesänge auf ihrer angenehmen
Lyra anzustimmen: Herrschergott,
dreifaltiger, allmächtiger, frommer,
in drei Personen einer, der
du Himmel, Erde, Meer und Unterwelt
nach Gebühr regierst und
alles, was es gibt, durch deine
Kraft beherrschst, richte auf, die
sich dir unterworfen haben, und
wirf die Hochmütigen nieder;
denn bei dir ist stets Lob, Kraft,
Friede, Ruhm, und dir gebührt
dauernde Herrschaft ohne Ende in
Ewigkeit.
49
ecloga Theoduli – Darstellung von Pseustis, Alithía und Fronesis 1
1 BSB 4 Inc.c.a. 694, fol. iv; mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek
München.
50
III. Erläuterungen
Die vorliegenden Erläuterungen, denen einige wenige Bemerkungen über die
Struktur der ecloga und die Arbeitsweise des Autors vorgeschaltet sind, dienen
dem besseren Verständnis von Text und Übersetzung und fußen im Wesentlichen
auf den Arbeiten von Johannes Osternacher, Roger Green und Francesco
Mosetti Casaretto. 2 Sie erheben nicht den Anspruch, ein vollgültiger, alle inhaltlichen
Facetten der ecloga ausleuchtender Kommentar zu sein; ein solcher ist
trotz der großen Verdienste der genannten Arbeiten weiterhin ein Desiderat der
Forschung.
III.1. Aufbau und Komposition der ecloga
Die ecloga ist in einen einleitenden Teil (Vv. 1-36), den eigentlichen Hauptteil,
der einen Wettstreit zwischen dem Schäfer Pseustis und der Ziegenhirtin Alithía
zum Inhalt hat (Vv. 37-332), sowie einen Schlußteil (Vv. 332-344) gegliedert.
Dabei besteht der Hauptteil aus insgesamt 37 Paaren von Versgruppen zu je vier
Hexametern; in der vorliegenden Ausgabe sind diese Versgruppenpaare zusammengefaßt
numeriert. In 29 der insgesamt 37 Paare werden Episoden aus der
antiken Mythologie ausgewählten Erzählungen aus dem Alten Testament einander
gegenübergestellt (Nr. 1-18, 20-26, 28-31), in einem Fall findet eine antike
Episode keine biblische Entsprechung (Nr. 27); diese Anordnung ist in der Anlage
der ecloga als Sangeswettstreit begründet.
In der Vergangenheit haben sich die Interpreten nicht zuletzt für eine
sprachliche Analyse der ecloga interessiert und den Vorlagen des Autors für
einzelne Redewendungen sowohl in den heidnisch-mythologischen als auch in
den biblischen Episoden nachgespürt. 3 Dabei hat sich gezeigt, daß der Autor
über einen vergleichsweise breiten Lektürehintergrund verfügt haben muß. 4 Für
das inhaltliche Verständnis der ecloga von mindestens ebenso großer Bedeutung
ist allerdings die Frage nach der kompositorischen Vorgehensweise ihres Autors.
Eher beiläufig haben verschiedene Interpreten hier auf einen Umstand hingewiesen,
5 der bei näherer Betrachtung bis zu einem gewissen Grad überraschend
ist.
Nach den dem fiktiven Sangeswettstreit zugrunde liegenden Regeln äußert
sich Pseustis zunächst mit einer Episode in einer Gruppe von vier Hexame-
2 Osternacher 1907, Green 1982, Casaretto 1997.
3 Grundlegend hierfür neben Green 1982 ist immer noch die Similiensammlung von Osternacher
1907.
4 Green 1992, 105: „We see that, even after due allowance is made for the fortuitous, our poet
had a wide acquaintance with early Christian hexameter poetry in addition to the major
sources ... His knowledge of the pagan classics is less varied, although very thorough in the
case of Vergil and Ovid.”
5 So etwa Green 1982, 68; Herren 2007, 200.
51
tern, ehe dann Alithía darauf antwortet. 6 Diese Konstruktion würde es logisch
erscheinen lassen, daß der inhaltliche Ablauf des Wettstreites von Pseustis her
aufgebaut ist und Alithía auf die von Pseustis genannten Beispiele reagiert. Tatsächlich
ist allerdings gerade das Gegenteil der Fall – der Autor der ecloga hat
diese von den Episoden Alithías her gestaltet, deren Abfolge sich mit wenigen
Ausnahmen streng an die im Bibeltext gegebene chronologische Reihenfolge
hält. So dient in den ersten zwölf Versgruppenpaaren (Strophen 1-12) das Buch
Genesis als inhaltliche Vorlage; bis auf eine Ausnahme werden die einzelnen
Episoden in exakt der Reihenfolge wiedergegeben, in der sie im Buch Genesis
aufzufinden sind. Lediglich die Darstellung des Untergangs Sodoms fällt ein
wenig aus dem Rahmen, da sie zwischen das Opfer Abrahams und den Kampf
Jakobs mit Gott geschaltet ist, im Buch Genesis jedoch vor dem Abrahamsopfer
erzählt wird; allerdings gehört der Untergang Sodoms auch im Buch Genesis in
den unmittelbaren Kontext der Abrahamsgeschichte. 7
Während das Buch Genesis vom Autor der ecloga intensiv ausgewertet
worden ist, schöpfen die folgenden Versgruppenpaare (Strophen 13-26) aus insgesamt
acht verschiedenen Büchern. Neben den Büchern Exodus, Numeri und
Deuteronomium dienen auch die Bücher Josua, Richter, 1 Samuel, 1 Könige
sowie 2 Könige als Quelle für die von Alithía vorgetragenen Episoden. Doch
auch wenn die einzelnen Episoden innerhalb der entsprechenden Bücher deutlich
auseinander liegen, folgt die ecloga getreu der Reihenfolge der Vulgata;
lediglich die Erwähnung des Todes des Moses (Strophe 15) durchbricht diese
Ordnung, da auf diese im Buch Deuteronomium überlieferte Episode in der ecloga
die Geschichte von Bileams Esel folgt, die noch in das Buch Numeri gehört.
Der Tod des Moses bildet allerdings nicht den eigentlichen Kern des Beitrags
von Alithía in Strophe 15, sondern liefert lediglich ein positives Gegenbild
zur eigentlichen Episode, dem Ende Korahs und seiner Angehörigen. Die letzten
Versgruppenpaare schöpfen aus den Büchern Daniel, Judith und Esther; hier
wird die chronologische Folge der biblischen Vorlage erneut durchbrochen;
während in der Vulgata das Buch Daniel auf die Bücher Judith und Esther folgt,
stehen die aus ihm entnommenen Episoden in der ecloga vor denen aus den Büchern
Judith und Esther.
Dieser Bruch ist dem Umstand geschuldet, daß die ecloga inhaltlich auf
die Trias Susanna – Judith – Esther zuläuft; der eigentliche Sangeswettstreit findet
mit diesen drei Beispielen außergewöhnlicher Frauen ein Ende. Diese sind
dabei nach ihrer Bedeutung sowie nach der Rangstellung der Personen gereiht,
mit denen sie interagieren: während sich Susannas Tugend in der Auseinandersetzung
mit zwei anderen Personen zeigte, hatte Judiths Tat, die den assyrischen
Feldherrn Holofernes tötete, Auswirkungen nicht allein auf sie selbst, sondern
auf das Schicksal aller Israeliten; Esther schließlich gelang es, als Frau des persischen
Großkönigs, diesen für das jüdische Volk zu gewinnen.
6 Vv. 34-35: Perge prior, Pseusti, quia masculus; illa sequaci | Aequabit studio. Sit tetras in
ordine vestro.
7 Gen. 12-23.
52
Insgesamt zeigt sich, daß der Autor der ecloga offenbar zunächst aus dem
Alten Testament eine Abfolge einzelner Episoden hergestellt hat. Dabei schöpfte
er zu einem wesentlichen Teil aus eng aufeinanderfolgenden Kapiteln des Buches
Genesis, nutzte dann Material aus weiter auseinanderliegenden Abschnitten
der folgenden Bücher und wählte schließlich die Geschichten Susannas, Judiths
und Esthers als Höhe- und Endpunkt der Episodenfolge; die von Pseustis vorgetragenen
Beispiele aus der antik-heidnischen Mythologie sind dann den einzelnen
biblischen Episoden zugeordnet, zeigen aber keinen vergleichbar engen inneren
Zusammenhang. Die nachfolgende Übersicht stellt die Hauptquellen der
christlichen und heidnisch-mythologischen Episoden, soweit sie sich im Falle
letzterer identifizieren lassen, einander gegenüber.
Somit ermöglicht bereits die Analyse der Komposition der ecloga zwei
wichtige Feststellungen: Zum einen besitzt das Gedicht eine deutliche inhaltliche
Dimension; trotz seiner Bedeutung im Rahmen des mittelalterlichen Schulbetriebes
handelt es sich offenkundig um weit mehr als um einen reinen Schultext.
Bei dieser inhaltlichen Dimension steht nicht etwa die Tradierung einzelner
mythologischer Episoden aus der Antike im Vordergrund, wie angesichts der
Konstruktion des Sängerwettstreits vermutet werden könnte, sondern offenkundig
die Vermittlung christlicher Inhalte. Zum anderen zeigen diese eine ungewöhnliche
Schwerpunktsetzung – die Episoden beschränken sich auf das Alte
Testament und betonen die Tugendhaftigkeit einzelner biblischer Frauengestalten.
8
8 Vor diesem Hintergrund gewinnen Bemerkungen wie etwa die eingangs der Einführung
zitierte des Konrad von Hirsau, die ecloga übermittle die veritas sacrae paginae (Dialogus p.
45S) eine interessante Qualität.
53
Hauptquellen der einzelnen Episoden
Strophe 9 Pseustis Alithía 10
1 Ov. Met. 1.89-112. Gen. 2-3.
2 Ov. Met. 1.113-124. Gen. 3.
3 Isid. Chron. 16 Gen. 4.
4 Ov. Met. 1.165-243. Gen. 5.
5 Ov. Met. 1.259-415. Gen. 6-9.
6 Verg. Aen. 5.252-255. Gen. 8.
7 Ov. Met. 1.151-162. Gen. 11.
8 Serv. Aen. 6.398. Gen. 12-20.
9 Verg. Aen. 6.14-33. Gen. 22.
10 Ov. Her. 2. Gen. 19.
11 Ov. Met. 14.456-511. Gen. 32.
12
13
Verg. Aen. 7.761-780:
Ov. Fast. 6.745
Ov. Met. 3.1-130:
Met. 4.563-604.
Gen. 37-50.
Ex. 1-15.
14 Ov. Met. 2.833-875. Ex. 32-35.
15
Stat. Theb. 7.789-823;
Ov. Met. 4.407-410.
Num. 16;
Dtn 34.
16 Ov. Met. 1.582-746 Num. 22.
17 Verg. Aen. 8.288-289. Jos. 10.
9 Gemäß der Zählung der vorliegenden Ausgabe
10 Grau hinterlegt diejenigen Abschnitte, die aus der Ordnung der Vulgata herausfallen
54
18 keine Hauptquelle identifizierbar. Ri. 13-16.
20 Verg. Georg. 4.454-503. 1 Sam. 16.
21 Prud. Symm. 1.86-92.
1 Kön. 5-9;
1 Kön. 11.
22 Verg. Georg. 1.147-149. 1 Kön. 17.
23
Ov. Met. 4.604.662;
Met. 4.773-789.
1 Kön. 19;
2 Kön. 2.
24 Ov. Met. 13.600-619. 2 Kön. 20.
25 Isid. Chron. 87.
2 Kön. 23;
2 Chron. 35.
26 Verg. Aen. 6.585-594. Dan. 4
28 Prud. Symm. 1.65-68.
Dan. 2;
Dan. 14.
29 Ov. Met. 6.146-312. Dan. 13.
30
Ov. Met. 6.424-674;
Met. 7.1-450.
Jdt. 10-13.
31 Ov. Met. 8.1-151. Est. 2-9.
55
III.2. Erläuterungen
Vv. 1-36: Die Einleitung umreißt die Szene und stellt die beiden Kontrahenten
des anstehenden Wettstreits vor; dabei stellt sich die ecloga bereits mit
dem ersten Vers deutlich erkennbar in die antike bukolische Tradition. 11 Zuerst
tritt der Ziegenhirte Pseustis auf, dessen Name Pseustis (abgeleitet vom Griechischen
ho Pseustes, der Lügner) bereits auf die von ihm vorgetragenen Inhalte
hinweist – er trägt heidnische fabulae vor. In dem Leopardenfell, mit dem er bekleidet
ist (v. 5), hat Osternacher eine negative Charakterisierung vermutet. 12
Wahrscheinlicher ist allerdings ein weiterer Bezug auf eine antike Thematik:
Verg. Aen. 8.460 läßt Euander von Pallene ein derartiges Fell tragen 13 – als Heros,
dem die antike mythologische Überlieferung zuschrieb, das griechische
Pantheon sowie wichtige zivilisatorische Elemente wie Schrift und Kodifizierung
des Rechts nach Italien gebracht zu haben, 14 ist er im Kontext eines Wettstreites
zwischen antiker Mythologie und christlicher Heilsgeschichte zur Charakterisierung
des heidnischen Protagonisten besonders geeignet.
Dem Pseustis wird die Schäferin Alithía gegenübergestellt; 15 ihr Name
leitet sich vom Griechischen he alétheia, die Wahrheit, ab, was wie im Falle des
Pseustis auf die Inhalte im folgenden Wettstreit hinweist: Alithía ist die Vermittlerin
der Glaubenswahrheit; gleichzeitig ist damit bereits der Ausgang des Wettstreits
vorweggenommen. Bereits den mittelalterlichen Kommentatoren ist aufgefallen,
daß die Namen der beiden Kontrahenten diese charakterisieren, sie haben
dabei allerdings – wohl aufgrund unzureichender Griechischkenntnisse –
teilweise kreative Erklärungen gefunden; so geht der Name Alithía dem im 12.
Jh. verfaßten Accessus ad auctores eines Anonymus zufolge auf ein angeblich
hebräisches Wort ali (Weisheit) sowie ein griechisches Wort thia (göttlich) zurück
und bedeute göttliche Weisheit. 16
Pseustis und Alithía werden beide ein Instrument spielend vorgestellt –
Pseustis spielt mit der Flöte ein typisches Hirteninstrument (vv. 6-7), während
Alithía auf der Harfe spielt, dem Instrument Davids (v. 10), aus dessen Familie
sie stammt (v. 9); die ungewöhnliche Formulierung modulantis carmina plectri
erklärt sich dabei vermutlich aus einer verkürzten Zusammenführung verschiedener
Stellen bei Venantius Fortunatus. 17 Dabei rührt das Spiel der Alithía nicht
11 Cf. Verg. ecl. 10.67: Aethiopum uersemus ovis sub sidere Cancri mit v. 1: Aethiopum terras
iam fervida torruit aestas.
12 Osternacher 1907, 19.
13 Verg. Aen. 460: demissa ab laeua pantherae terga retorquens.
14 Dion. Hal. 1.31.1-3 und 1.33.4.
15 Diese Gegenüberstellung scheint auch einige Verse bei Chaucer inspiriert zu haben, cf.
Holthausen 1894, 264; für weitere Parallelen cf. Holthausen 1894, 265-266.
16 Huygens 1970, 27: introducuntur hic duae personae, Pseustis et Alithia, quibus haec nomina
bene conveniunt: Pseustis enim stans in falsitate et Alithia veritas dei interpretatur: ali
hebreo sermone veritas, thia deus dicitur.
17 Cf. etwa Venant. Fortun. carm. 2.9.3-4: iam dudum obliti desueto carmine plectri | cogitis
antequam renovare lyram und carm. 2.9.19: carmine Davitico divina poemata pangens.
56
nur ihre Schafherde, sondern veranlaßt auch Pseustis, sie zu einem Wettstreit
herauszufordern, dessen Sieger das Instrument des jeweils anderen gewinnen
soll. Da Alithía Zweifel an der Aufrichtigkeit des Pseustis äußert (v. 23-24),
wird die dritte auftretende Person, Fronesis, zur Schiedsrichterin bestimmt (v.
26); auch hier deutet der Name Fronesis, der von Griechisch he phronesis (Vernunft)
abgeleitet ist, auf Funktion und Verhalten der Person im Rahmen des
Wettstreits. Mit dieser Grundkonstellation – einem Wettstreit, den ein Schiedsrichter
überwacht – knüpft die ecloga eng an die dritte Ekloge Vergils an, in der
Damoetas und Menalcas miteinander streiten, während Palaemon als Schiedsrichter
fungiert. 18 Der von Alithía geäußerte Zweifel, Pseustis könne seine Niederlage
unter Umständen nicht eingestehen, wird in v. 336 schließlich aufgehoben;
mit dem dort auf den ersten Blick merkwürdig anmutenden Hinweis teste
Capella gesteht Pseustis dort Alithía den Sieg zu. Den Verweis auf Martianus
Capella erklärt unter anderem die Gestalt der Fronesis, die bereits am Anfang
mit dem Epitheton mater versehen wird (v. 30), das sich auch bei Martianus Capella
findet. 19
Vv. 37-40: Pseustis beginnt seine Darstellung heidnischer Mythologie mit
dem goldenen Zeitalter unter der Herrschaft Saturns. Ausführlich behandelt dieses
etwa Ovid in seinen Metamorphosen, 20 als direkte Vorlage dürfte dem Autor
der ecloga allerdings das Ende des zweiten Buchs der vergilischen Georgica
gedient haben. 21 Auf den ersten Blick erscheint es ungewöhnlich, daß Pseustis
keinen fulminanteren Auftakt für seinen Wettstreit wählt; die Erklärung dürfte in
der Wahl des Anfangspunktes der christlichen Episodenfolge zu suchen sein, die
mit der Erschaffung des Menschen als Beginn des Sündenfalls einsetzt – dieser
hat der Autor der ecloga diejenige Epoche gegenübergestellt, die in der antikheidnischen
Mythologie als erste der Menschheitsgeschichte und Beginn einer
stetigen Verschlechterung der Zeitalter galt; in der zweiten Episode des Pseustis
wird der Gedanke fortgeführt.
Vv. 41-44: Auch der Einstieg der Alithía in den Sangeswettstreit ist ein
zweigliedriger. Zunächst steht der unmittelbare Sündenfall im Vordergrund, ehe
in der zweiten Episode dann das Schicksal nach der Vertreibung und die Unmöglichkeit
der Rückkehr in das Paradies betont wird; inhaltlich orientieren sich
beide Episoden an Gen. 3.
Vv. 45-48: Pseustis setzt seine Schilderung mit der Ablösung des goldenen
durch das silberne Zeitalter fort, an dessen Ende Jupiter als oberster der Götter
feststeht. Zwar gehen die Formulierungen hier stärker eigene Wege, doch
folgt der Gedankengang eng einem Vorbild aus dem ersten Buch der Metamorphosen
Ovids. 22
18 Verg. ecl. 3.50-51.
19 Mart Cap. De nuptiis 2.114.
20 Ov. Met. 1.89-112.
21 Verg. Georg. 2.538: aureus hanc vitam in terris Saturnus agebat, cf. v. 37-38: Primus Cretaeis
venit Saturnus ab oris | Aurea per cunctas disponens saecula terras.
22 Ov. Met. 1.113-115: Postquam Saturno tenebrosa in Tartara misso | Sub Iove mundus erat,
subiit argentea proles, | Auro deterior, fulvo pretiosior aere.
57
Vv. 49-52: Alithía antwortet mit einem Verweis auf das Schicksal Adams
nach der Vertreibung aus dem Paradies; der ungewöhnliche Ausdruck protoplastus
(Erstgeschaffener) läßt sich bis zum spätantiken Dichter Commodianus
und seinem Werk instructiones adversus gentium deos zurückverfolgen; seither
gehört er zum terminologischen Bestand christlicher Epik. 23
Vv. 53-56: Mit Kekrops wendet sich Pseustis der Begründung menschlicher
Zivilisation zu; er galt der Antike als einer der ersten König Athens; seine
Wahl als Beispiel ist sicher der Verortung des Wettstreites vor Athen geschuldet.
Über Kekrops ist eine breite, nicht immer einheitliche antike Überlieferung
erhalten; unter anderem werden ihm die Begründung der zentralen Kulte
Athens, die Einführung des Alphabets und die Einrichtung der Opferpraxis zugeschrieben,
auf die sich der Autor der ecloga hier konzentriert. Als Vorlage
dient hier offenbar ein Kapitel aus dem Chronicon des Isidor. 24
Vv. 57-60: Auf den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies läßt
Alithía, der Ordnung der Vulgata folgend, die Geschichte von Kain und Abel
folgen. Der Autor der ecloga schreibt hier im Wesentlichen Gen. 4.1-15 aus; bei
dem auf den ersten Blick schwer verständlichen loquitur in v. 60 handelt es sich
um eine sehr nahe Übernahme aus Hebr. 11.4. 25
Vv. 61-64: Dem Kainsfrevel ordnet der Autor der ecloga die in der Antike
populäre Geschichte von Lykaon, dem ersten König Arkadiens, zu; dabei stützt
er sich auf die in den Metamorphosen Ovids vorliegende Überlieferung. 26 Danach
hatte Lykaon dem ihn inkognito besuchenden Jupiter Menschenfleisch serviert,
um die göttliche Natur seines Gastes zu prüfen, woraufhin dieser schließlich
Lykaon in einen Wolf verwandelte. 27 Wie im Falle Kains hat auch der Frevel
des Lykaon eine über die eigentliche Tat hinausgehende Folgewirkung, da
Jupiter, von der Schlechtigkeit der Menschen angewidert, beschließt, sie durch
die deukalionische Flut zu vernichten. In der Darstellung Ovids besteht ein unmittelbarer
kausaler wie chronologischer Zusammenhang mit der Flut, was erklärt,
warum die nächste von Pseustis aufgegriffene Geschichte eben die von der
Flut Deukalions ist.
Vv. 65-68: Mit der Entrückung des Henoch schreitet Alithía weiter in der
Ordnung der Kapitel der Genesis voran; Hauptquelle ist hier Gen. 5. Die Anfügung
des Elia als socius des Henoch im Kampf gegen Leviathan entspringt offenbar
einer im Frühmittelalter gängigen Interpretation von Offb. 11.3. 28
23 Cf. Osternacher 1907, 22.
24 Isid. Chron. 16.
25 Hebr. 11.4: Fide plurimam hostiam Abel, quam Cain, obtulit Deo, per quam testimonium
consecutus est esse iustus, testimonium perhibente muneribus eius Deo, et per illam defunctus
adhuc loquitur.
26 Ov. Met. 1.165-243.
27 Ovid läßt Lykaon eine molossische Geisel töten (Ov. Met. 1, 226-227), andere Überlieferung
nennt den Enkel des Lykaon, Arkas.
28 Cf. Green 1982, 70.
58
Vv. 69-72: Die Deukalion-Geschichte, für die wieder Ovids Metamorphosen
als Quelle dienen, 29 folgt logisch auf die vorausgehende Lykaon-Episode. In
einer großen Flut ließ Jupiter alle Menschen ertrinken; nach einigen Tagen landeten
die einzigen Überlebenden, Deukalion und seine Gattin Pyrrha, dann auf
dem Parnassus. Dort wandten sie sich an die Göttin Themis und baten um Hilfe.
Diese antwortete mit einem Orakelspruch, wonach Deukalion und Pyrrha die
Gebeine ihrer Mutter hinter sich werfen sollten; aus diesen würden dann neue
Menschen entstehen. Deukalion erkannte die Bedeutung des Orakelspruches –
mit der Mutter war die Mutter Erde gemeint, unter ihren Gebeinen waren Steine
zu verstehen. Die von Deukalion geworfenen Steine verwandelten sich in Männer,
aus den Steinen hingegen, die Pyrrha hinter sich warf, wurden Frauen.
Vv. 73-76: Die Geschichte von Noah und der Sintflut erstreckt sich in der
Genesis über vier Kapitel; den Hinweis, Noah sei als achter gerettet worden, hat
der Autor der ecloga aus 2 Petr. 2.5 entnommen.
Vv. 77-80: Über Ganymed unterrichtet bereits die Ilias; der Autor der ecloga
folgt vermutlich einer Version der Aeneis des Vergil. 30 Demnach galt der
junge Ganymed als Schönster unter den Menschen, den Jupiter am Berg Ida in
der Gestalt eines Adlers entführte und im Olymp zum Mundschenk machte; seine
Vorgängerin Hebe, die Tochter von Jupiter und Hera, heiratete Herkules.
Vv. 81-84: Hier zeigt sich deutlich die Arbeitsweise des Autors der ecloga
– als Antwort auf die Episode des Pseustis scheint sich die Geschichte auf
den ersten Blick nicht aufzudrängen, eine Verwandlung beinhaltet sie nicht. Die
Geschichte vom Raben und der Taube setzt aber stattdessen die begonnene Noahgeschichte
nahtlos fort. Inhaltlich fußt die Episode im Wesentlichen auf Gen.
8.8-9; der Hinweis in v. 84, ein Zeugnis der Ereignisse – die Arche – sei immer
noch in Armenien zu sehen, entstammt aber offenkundig einer jüngeren Tradition.
31
Vv. 85-88: Mit der Gigantomachie, bei der sich der Autor der ecloga wieder
an Ovids Metamorphosen orientiert, 32 springt Pseustis vor die Geschichte
vom Arkaderkönig Lykaon zurück. Ovid zufolge hätten sich die Giganten, Söhne
von Gaia und Uranos, erhoben, um den Olymp zu stürmen, seien aber von
Jupiter zurückgeschlagen worden. Die Hilfe des Herakles und die jeweiligen
Schicksale der einzelnen Giganten nennt Ovid nicht, und so fehlen sie auch in
der ecloga.
Vv. 89-92: Die Erzählung vom Turmbau zu Babel folgt eng dem biblischen
Vorbild in Gen. 11.1-9. Der schwer verständlichen Formulierung nomen
non excidit urbem scheint ein Mißverständnis zugrunde zu liegen – laut Gen.
11.9 erhielt die Stadt ihren Namen als Folge der babylonischen Verwirrung, der
29 Ov. Met. 1.259-415; Verg. Georg. 1.62-63, Buk. 6.41.
30 Verg. Aen. 5.252-255; Hor. Carm 4.4.1-4.
31 Cf. etwa J. AJ 1.3.5.
32 Ov. Met. 1.151sqq.
59
Autor der ecloga scheint davon auszugehen, daß die Stadt bereits vor der Verwirrung
so hieß. 33
Vv. 93-96: In starker Verkürzung bietet Pseustis die in der Antike beliebte
Geschichte von Apollon und seinem Strafdienst beim thessalischen König Admetus.
Apollon hatte aus Rache für die Tötung seines Sohnes Asclepius – für
den hier der unter anderem in Verg. Aen. 7.769 belegten Beinamen Paeon verwandt
wird – durch einen von Jupiter geschleuderten Blitz die Kyklopen getötet,
die die tödliche Waffe für Jupiter geschmiedet hatten. Zur Strafe mußte Apollon
ein Jahr lang als Hirte dienen; während dieser Zeit half er dem Admetus bei seinem
Werben um seine künftige Frau Alcestis. In der vorliegenden Form schöpft
der Autor der ecloga die Geschichte wohl aus dem Aeneiskommentar des Servius.
34
Vv. 97-100: Mit Abrahams Berufung und Wanderung beginnt eine Reihe
von Episoden über die Erzväter; in der ersten werden die Ereignisse der Kapitel
bis zur Geburt des Isaak zusammengefaßt. 35
Vv. 101-104: Ebenso wie die Geschichte von Apollons Hirtendienst bei
Admet erfreute sich auch die Geschichte des athenischen Handwerkers Daedalus
in der Antike großer Beliebtheit. Dieser hatte seinen Neffen Talos aus Neid auf
dessen Erfindungen erschlagen und war nach Kreta an den Hof des Minos geflohen,
für den er das Labyrinth baute. Dort sperrte ihn Minos ein, nachdem er
Ariadne ein Wollknäuel gegeben hatte, mit Hilfe dessen sie es dem Theseus ermöglichte,
aus dem Labyrinth wieder herauszufinden. In Gefangenschaft fertigte
Daedalus für seinen Sohn Ikaros und sich selbst Flügel, mit denen ihnen die
Flucht aus dem Labyrinth gelang. Ikaros kam dabei jedoch der Sonne zu nahe,
woraufhin das Wachs, das die Flügel zusammenhielt, schmolz; Ikaros stürzte ins
Meer und ertrank. Die antike Überlieferung läßt Daedalus mehrheitlich nach Sizilien
fliehen, wo er weitere bedeutende Bauten errichtete. Die ecloga folgt hingegen
der Aeneis Vergils, in der Daedalus nach Kyme kam, wo er einen großen
Apollontempel errichtete. 36 Die für sich alleine genommen schwer verständliche
Formulierung in v. 104 brumales attingit Arctos ist dabei nur die erste Hälfte der
vergilischen Wendung insuetum per iter gelidas enauit ad Arctos | Chalcidicaque
leuis tandem super astitit arce; 37 mit der Unterdrückung der Informationen
des zweiten Teils hat der Autor der ecloga die der Beschreibung des eigentlichen
Ziels – Kyme – vorausgehende allgemeine Richtungsangabe Vergils in das
Ziel der Flucht des Daedalus umgewandelt.
Vv. 105-108: Mit dem Isaaksopfer läßt der Autor der ecloga Alithía die
Erzvätergeschichte fortführen; die Episode faßt Gen. 22 zusammen. 38
33 Cf. Green 1982, 71.
34 Serv. Aen. 6.398; cf. Green 1982, 83-84.
35 Gen. 12-20; cf. Green 1982, 71.
36 Verg. Aen. 6.14-33.
37 Verg. Aen. 6.16-17.
38 Cf. Green 1982, 71-72.
60
Vv. 109-112: Zu den über Demophon, einen Sohn des Theseus, überlieferten
Geschichten zählt auch die von der thrakischen Königstochter Phyllis.
Diese heiratete den gerade auf dem Rückweg von Troja nach Athen befindlichen
Demophon, der sie sofort nach der Hochzeit verlassen mußte. Als er nicht zum
versprochenen Termin zu Phyllis zurückkehrte, erhängte diese sich und wurde in
einen dürren Baum verwandelt; der schlug erst aus, als Demophon doch noch
zurückkehrte und den Baum umarmte. Für die wohl erst in hellenistischer Zeit
entstandene Geschichte dürfte sich der Autor der ecloga vor allem am zweiten
Heroidesbrief Ovids orientiert haben. 39
Vv. 113-116: Mit der Erzählung vom Schicksal Sodoms durchbricht der
Autor der ecloga zum ersten Mal die biblische Reihenfolge, allerdings nur innerhalb
der Erzvätererzählung; die Episode faßt Gen. 19 zusammen. Bei dem in
v. 115 erwähnten Namen Segor handelt es sich um eine in der Vulgata häufig
vorkommende Schreibvariante von Zoar. 40
Vv. 117-120: Diomedes aus Argos zählte zu den bekanntesten griechischen
Helden vor Troja. Im Zweikampf verwundete er dort sowohl Ares als
auch Aphrodite; deren Beinamen Kythereia hat die Antike seit Hesiod auf die
vor der Küste der Peloponnes liegende Insel Kythera mit ihrem bedeutenden
Aphroditeheiligtum zurückgeführt. Dort habe sie nach ihrer Geburt zuerst festes
Land betreten. 41 Bald nach seiner Rückkehr nach Argos brach Diomedes wieder
zu neuen Abenteuern auf, die ihn unter anderem nach Italien führten; unterschiedliche
Versionen sind über seinen Tod überliefert, seine Gefährten wurden
zu Vögeln verwandelt. Während diese Verwandlung mehrheitlich in die Zeit
nach dem Tod des Diomedes fällt, geschieht diese in den Metamorphosen
Ovids, die dem Autor der ecloga hier als Vorlage dienten, 42 bereits auf dem Weg
nach Italien; über diesen chronologischen Zusammenhang schweigt sich die ecloga
allerdings aus.
Vv. 121-124: Für die Erzählung von Jakobs Kampf mit Gott beim Überschreiten
des Flusses Jabbok greift der Autor der ecloga auf Gen. 32,23-33 zurück.
Vv. 125-128: Zu Hippolytus, der Sage nach einem Sohn des Theseus und
einer Amazone, existierten in der Antike unterschiedliche Überlieferungen, die
ihren Niederschlag unter anderem in zwei in der Wertung seiner Schwiegermutter
Phaidra verschieden akzentuierenden Tragödien des Euripides fanden.
Phaidra hatte Hippolytus zunächst nachgestellt, diesen dann aber, nachdem er
ihr Werben zurückgewiesen hatte, bei seinem Vater verleumdet. Dieser wandte
sich daraufhin an Poseidon und bat ihn, Hippolytus zu töten; Poseidon wühlte
die See auf, ließ einen Stier im Weg des Gespannes von Hippolytus auftauchen
und brachte die Pferde so zum Scheuen; die vom Autor der ecloga erwähnten
phocae (Seehunde) dürften auf eine Kommentarnotiz des Servius zurückzufüh-
39 Ovid Rem. Amor. 591-606, Her. 2, Ars 2.353-354, 3.37-38, 3.459-460
40 Cf. Green 1982, 72.
41 Hes. Theog. 198.
42 Ov. Met. 14.456-511.
61
ren sein. 43 Hippolytus wurde aus dem Wagen geschleudert und von seinem Gespann
zu Tode geschleift. Den Toten läßt schließlich Artemis wieder zum Leben
erwachen, wobei die antike Tradition unterschiedliche Versionen bewahrt hat.
Der Autor der ecloga folgt zum einen Ovid, der Artemis bzw. Diana den Hippolytus
selbst wieder ins Leben rufen läßt, 44 und greift zum anderen auf ein in Unteritalien
besonders populäres Element der Hippolytussage zurück, wonach dieser
nach seiner Wiederbelebung sich nach Aricia in den Albaner Bergen begeben
habe, das ein Dianaheiligtum von überregionaler Bedeutung besaß; dort
herrschte er bis zu seinem Tod und nahm den Namen Virbius an. 45
Vv. 129-132: Ohne direkten Bezug zur Hippolytussage wendet sich
Alithía nun mit Joseph den Söhnen Jakobs zu; das Material schöpft der Autor
der ecloga aus Gen. 37-50.
Vv. 133-136: Zu Cadmus, dem mythischen Gründer Thebens, der antiker
Tradition nach als Übermittler zentraler Kulturtechniken wie des Schreibens galt
und der mit den Gründungslegenden zahlreicher Gemeinwesen in Verbindung
gebracht wurde, existierte in der Antike seit der archaischen Zeit eine breite
Überlieferung. Der Autor der ecloga konzentriert sich auf die Gründung Thebens
und stützt sich dabei auf die Version Ovids: Cadmus hatte, vom delphischen
Orakel nach Theben geführt, die dort hausende Riesenschlange erschlagen
und dann auf Anweisung Athenes deren Zähne in den Boden gepflanzt. Aus
den Schlangenzähnen entstanden bewaffnete Männer, die gegeneinander kämpften;
46 auf diese unmittelbar nach der „Aussaat“ der Zähne stattfindende Auseinandersetzung
spielt das auf den ersten Blick schwer verständliche fato sinistro
in v. 135 an. Cadmus hingegen wurde zur Strafe für die Tötung der Riesenschlange
selbst in eine Schlange verwandelt. 47 Antiker Tradition nach geschah
dies am Ende seines Lebens, in der ecloga hingegen findet die Verwandlung offenbar
statt, unmittelbar nachdem er die Zähne der Riesenschlange in den Boden
gesteckt hatte; ne patiatur idem in v. 136 muß offenbar dahingehend verstanden
werden, daß sich Cadmus durch die Verwandlung der Teilnahme an dem Kampf
der „erwachsenen“ Bewaffneten entzog. 48 Durch den einleitenden Hinweis auf
die Vermittlung der Schrift durch Cadmus in v. 133 erfährt die Episode im übrigen
eine besondere Pointierung – derjenige, der es den Griechen ermöglicht hat,
43 Serv. Aen. 7.761: qui [sc. Poseidon] agitanti currus Hippolyto inmisit focam; Casaretto
1997, 35 vermutet, der Autor der ecloga verwende hier aus metrischen Gründen den Plural.
44 Ov. Fast. 6.745; anders etwa in Apollod. 3.10.3, wo Asclepius den Hippolytus wiederbelebt.
45 So etwa in Verg. Aen. 7.761-780, das dem Autor der ecloga teilweise als Vorbild diente, cf.
Verg. Aen. 7.777 (…ubi nomine Virbius esset) mit v. 128 (… modo nomine Virbius exstat); cf.
auch Ov. Met, 5.544 und Ov. Fast. 6.756. Eine etymologisierende Erklärung für den ungewöhnlichen
Namen liefert Serv. Aen. 761: Diana ... eum Virbium, quasi bis virum, iussit vocari.
46 Ov. Met. 3.1-130.
47 Ov. Met. 4.563-604.
48 Das Motiv des dem Kampf Ausweichens ist abgewandelt auch bei Ovid greifbar, cf. Ov.
Met. 3.116-117.
62
mittels der Schrift zu kommunizieren, ist schließlich selbst auf das sibilare angewiesen.
Vv. 137-140: Mit Moses und dem Beginn der Flucht aus Ägypten verläßt
der Autor der ecloga das Buch Genesis; die Darstellung faßt Ex. 1-15 zusammen.
Vv. 141-145: Die bekannte Episode von der Entführung der am Strand
Blumen pflückenden Europa durch Jupiter in Gestalt eines Stieres wird in den
Metamorphosen Ovids, auf die sich der Autor der ecloga stützt, 49 unmittelbar
vor dem ersten Teil der Cadmusgeschichte behandelt, die als eine unmittelbare
Folge der Entführung dargestellt wird. 50 Die auf den ersten Blick unnötige und
wie antiquarischer Ballast wirkende Bemerkung, der Kontinent Europa trage den
Namen der Tocher des Agenor, 51 erklärt sich aus dem Aufbau der folgenden biblischen
Episode: 52 so, wie das Priesteramt auf alle Zeiten – perhenni (v. 148) –
bei den Nachkommen des Levi verbleibt, ist die Bezeichnung des Kontinents
das dauerhafte Erbe der Europaepisode. So erklärt sich auch die auf den ersten
Blick reichlich ungelenk wirkende Formulierung in v. 144 nomen donat ei: Da
den Nachfahren Levis das Priesteramt von Gott verliehen worden ist (datur v.
148), muß, um eine brauchbare Parallelgeschichte herzustellen, auch Jupiter der
Europa in vergleichbarer Weise etwas von bleibender Bedeutung verleihen; es
handelt sich somit nicht um ein reines Versehen, wie in der Vergangenheit vermutet
worden ist. 53 Die Komprimierung dieses Gedankens in einen einzigen
Vers führt schließlich zur Formulierung von v. 144 – die in donat immerhin eine
ansprechende sprachliche Parallele zu v. 148 (datur) aufweisen kann.
Vv. 146-149: Für die Geschichte vom goldenen Kalb und der Verleihung
des Priesteramts an die Leviten greift der Autor der ecloga auf Ex. 32 zurück.
Vv. 150-153: Amphiaraus, der auf Drängen seiner Gattin Eriphyle an
prominenter Stelle am Zug der Sieben gegen Theben teilnahm, obwohl er den
Ausgang und sein eigenes Schicksal vorhersah, 54 ist als Held und Seher bereits
in der Epik deutlich greifbar. Daher nimmt er auch in der Thebais des Statius
eine wichtige Rolle ein; auf diese stützt sich der Autor der ecloga für v. 149-
151, 55 während er für den in v. 152 behandelten Alcmaion sich wieder den Metamorphosen
Ovids zuwendet; dort tötet Alcmaion seine Mutter nach dem Tod
des Vaters und wird mit Wahnsinn geschlagen. 56 Bei der in v. 150 erwähnten
Halskette handelt es sich antiker Überlieferung nach um ein Hochzeitsgeschenk
49 Ov. Met. 2.833-875.
50 Ov. Met. 3.4-8.
51 Ov. Fast. 5.617-618: ... te, Sidoni, Iuppiter implet, | parsque tuum terrae tertia nomen habet;
cf. v. 144: nomen donat ei, quod habet pars tertia mundi.
52 Es handelt sich dabei nicht, wie Green 1982, 86-87 vermutet, um ein Versehen des Autors
der ecloga.
53 Green 1982, 86-87, dessen Urteil, es handele sich um „a garbled piece of home-spun aetiology“,
zu hart ist.
54 Stat. Theb. 4.188-189.
55 Stat. Theb. 7.789-823.
56 Ov. Met. 4.407-410.
63
des Jupiter an Harmonia, die Tochter von Aphrodite und Ares, die er dem Cadmus
zur Frau gegeben hatte; 57 die Kette wurde in der Folgezeit Teil des thebanischen
Kronschatzes. Eriphyle erhielt sie schließlich von Polyneikes; im Gegenzug
überredete sie Amphiaraus, gegen Theben zu ziehen. Die Übergabe der Kette
an Eriphyle ist immer wieder Gegenstand von Vasenabbildungen gewesen;
daneben bewahrt Pausanias eine kuriose Nachricht, wonach in einem Heiligtum
in Amathus auf Zypern noch zu seinen Lebzeiten ein Schmuckstück gezeigt
wurde, bei dem es sich um die Halskette der Harmonia gehandelt haben soll. 58
Vv. 154-157: Mit der Geschichte vom Tod Korahs springt der Autor der
ecloga weit nach vorne in das Buch Numeri – der Aufstand der Rotte Korah gegen
Moses wird in Num. 16 behandelt. Kurioserweise begnügt sich Alithía hier
nicht mit einer Episode; dem Schicksal Korahs sind Vv. 154-155 gewidmet, die
beiden folgenden Verse haben den Tod des Moses zum Inhalt und schöpfen aus
Dtn. 34. Möglicherweise wollte der Autor der ecloga die mit Vv. 137-140 begonnene
Mosesgeschichte zu einem sinnvollen Abschluß führen. 59
Vv. 158-161: Sowohl die Europageschichte als auch die Episode um den
Tod des Amphiaraus stehen in einem – wenn auch losen – inhaltlichen Zusammenhang.
Mit Io wendet sich der Autor der ecloga nun zwar vom thebanischen
Sagenkreis ab, doch handelt es sich auch hier um die Geschichte der Verführung
einer Königstochter durch Jupiter; insofern besteht eine gewisse Parallelität zur
Europaepisode. Um dem Argwohn seiner Gattin zu entgehen, verwandelte Jupiter
die Io, eine Priesterin der Hera, in eine Kuh. Diese allerdings erbat sich die Io
als Geschenk und ließ sie von Argus bewachen. Jupiter wiederum schickte Hermes,
um Io zu befreien, der dabei den Argus tötete. Daraufhin jagte sie Juno mit
einer Bremse, ehe sie schließlich in Ägypten durch Jupiter ihre menschliche
Gestalt wiedererhält. Für die sowohl in der antiken Literatur als auch in der
Kunst beliebte Episode stützt sich der Autor der ecloga auf die Darstellung
Ovids, 60 die Io jagende Bremse schöpft er hingegen aus den Georgica des Vergil.
61 Kurioserweise stellt er dieses Detail im Ablauf der Episode neben die Bewachung
durch Argus, was der antiken Tradition widerspricht; dies dürfte vermutlich
auf das Fehlen der Bremse in der Darstellung des Ovid zurückzuführen
sein.
Vv. 161-164: Auch die Geschichte vom Seher Bileam entstammt dem
Buch Numeri. 62 Bileams Esel scheute, als ihm ein Engel entgegentrat, der den
Menschen zunächst nicht sichtbar war. Bileam schlug den Esel, der daraufhin zu
ihm sprach und sich über die Schläge beschwerte. Erst daraufhin gab sich der
Engel auch dem Bileam zu erkennen. Der biblische Bericht verzichtet auf eine
57 Das Halsband ist ausführlich in Stat. Theb. 2.269-288 beschrieben.
58 Paus. 9.41.2; zur weiteren Geschichte der Halskette cf. Paus. 8.28.10.
59 Green 1982, 74 hat zudem zur Geschichte vom Tod des Korah plausibel vermutet: „The
story is less full than the contrasting one of Amphiaraus, and has to be eked out with the death
of Moses“.
60 Ov. Met. 1.582-746.
61 Verg. Georg. 3.153.
62 Num. 22.22-35.
64
Bewertung des Umstandes, daß der Esel plötzlich sprechen kann, für den Autor
der ecloga hingegen ist dies eine res horrenda nimis (v. 163); die ecloga dürfte
hiermit antiken Vorstellungen folgen, wonach Tiere, die mit Menschen sprechen,
eine außergewöhnliche Normdurchbrechung darstellten. 63
Vv. 165-168: Die in der Antike sehr beliebte Geschichte von Alcmene,
der Frau des Königs von Tiryns Amphitryo, ist bereits in der Odyssee greifbar; 64
in Gestalt ihres Mannes hatte sich Jupiter Zugang zu ihr verschafft und in einer
verlängerten Nacht Hercules gezeugt. Die Alcmenesage ist mit zahlreichen Variationen
in verschiedenen Details breit überliefert; häufig wird auch berichtet,
daß die über das Verhalten des Jupiter erboste Juno Schlangen schickte, um den
neugeborenen Hercules zu töten. Literarisch wurde die Geschichte unter anderem
von Plautus in seiner Komödie Amphitryo verarbeitet, der Autor der ecloga
scheint aber – wenigstens für die Beschreibung der Hercules angreifenden
Schlangen – im Wesentlichen aus Verg. Aen. 8.288-289 geschöpft zu haben.
Vv. 169-172: Mit der Episode von der Anrufung Gottes durch Josua im
Kampf gegen die Amoriterkönige bei Gibeon, die Jos. 10 entstammt, wird das
Buch Deuteronomium übersprungen. 65 In v. 168 läßt er Alithía aus dem dialogischen
Wettstreit ausbrechen; die Wendung discite cuncti dürfte sich nicht nur an
das imaginäre Publikum des Sangeswettstreites richten – denn Pseustis und
Alithía sind ja bis auf Fronesis allein –, sondern auch an den Leser.
Vv. 173-176: Mit einer Auswahl aus den Taten des Hercules läßt der Autor
der ecloga den Pseustis die in Vv. 165-168 begonnene Herculesgeschichte
fortsetzen. Insgesamt fünf Episoden werden angesprochen: zunächst nennt
Pseustis den Diebstahl der goldenen Äpfel der – in der ecloga nicht genannten –
Nymphen Hesperiden, deren Garten von einem Drachen bewacht wurde. Darauf
folgt der Diebstahl der Herde roter Rinder des Riesen Geryon, dessen Herde von
einem zweiköpfigen Hund bewacht wurde; Hercules tötete sowohl den Hund als
auch schließlich Geryon selbst. Hierauf folgt die Tötung der lernäischen Hydra,
einer der Überlieferung nach von Juno aufgezogenen Riesenschlange, die vor
allem für ihre Vielköpfigkeit bekannt war, 66 sowie der Sieg über den italischen
Riesen Cacus, der Hercules einige der Rinder aus der Herde Geryons entwendet
hatte. Mit dem von Hercules gefangenen Unterweltswächter Cerberus, der in v.
175 namenlos als ianitor Orci bezeichnet wird und dessen Gefangennahme im
Tatenkatalog des Hercules oft an letzter Stelle steht, endet die Aufzählung. In v.
176 wird schließlich das Ende des Hercules angesprochen. Dieser hatte seine
63 Selbst die unsterblichen Rosse Achills Balius und Xanthus konnten nicht sprechen; erst in
Il. 19.407 verleiht Hera Xanthus kurzzeitig Sprache, um den Tod Achills zu weissagen (Il.
19.416-417); cf. auch Opp. Cyn. 1.227, für den das Sprechen des Xanthus bedeutet, die physios
thesmoi zu überspringen. Die antike Fabel steht diesem Befund nicht entgegen; dort
kommunizieren die Tiere nur untereinander.
64 Hom. Od. 11.266-268.
65 Zur sprachlichen Analyse cf. Green 1982, 74.
66 Über die Zahl der Köpfe besteht in der antiken Tradition keine Einigkeit; cf. etwa Verg.
Aen. 6.576: quinquaginta atris immanis hiatibus Hydra | saeuior intus habet sedem und Ov.
Met. 9.70-71: ... nec ullum | de centum numero caput est inpune recisum.
65
Gattin Deianira dem Centauren Nessus anvertraut, der sie aber entführen wollte;
von Hercules mit einem Giftpfeil tödlich verwundet, riet Nessus der Deianira,
sein vergiftetes Blut zu sammeln, da es als Liebeszauber eingesetzt werden könne.
Als sich Hercules dann in eine Gefangene verliebt, bestreicht Deianira ein
Festgewand mit dem Blut; das Hemd aber bereitet Hercules in solchem Maße
Schmerzen, daß er den Tod sucht und sich verbrennen läßt. Warum der Autor
der ecloga in v. 176 Deianira nicht als coniunx, sondern als paelex bezeichnet,
ist nicht ganz klar; möglicherweise handelt es sich um ein Versehen. 67
Vv. 177-180: Die Geschichte von Samson und Delila faßt im Wesentlichen
Ri. 15 und 16 zusammen. Der Hinweis in v. 177, Samson habe ein Löwenfell
getragen, mutet auf den ersten Blick kurios an, da Samson in der biblischen
Erzählung sein Erlebnis mit dem Löwen ja zunächst sogar vor seinen Eltern geheimhält,
68 dürfte aber durch die Parallelisierung mit Hercules zu erklären sein.
Vv. 181-184: Pseustis unterbricht den Sangeswettstreit mit einer Wendung
an die Götter um Beistand; zwischen den identischen Vv. 181 und 184
werden sie in vierfacher Weise angesprochen. 69
Vv. 185-188: Alithía antwortet auf die Anrufung der heidnischen Götter
mit einer Wendung an Gott; während aber Pseustis um Beistand für seine Person
bittet, steht bei Alithía der Sieg der veritas im Vordergrund (v. 188).
Vv. 189-192: Aus dem umfangreichen mythologischen Material um die
Gestalt des Thrakiers Orpheus, in dem die Antike den ersten Dichter und Sänger
erblickte, greift der Autor der ecloga die Eurydikesage heraus, gemäß welcher
Orpheus in die Unterwelt hinabgestiegen war, um seine Frau Eurydike ins Leben
zurückzuholen; aufgrund seines bewegenden Gesanges wurde ihm dies gestattet,
doch durfte er auf seinem Rückweg Eurydike nicht ansehen – die condicio gravis
aus v. 192. Als er dieses Gebot mißachtete und sich umdrehte, mußte Eurydike
wieder in die Unterwelt zurückkehren. In diese Geschichte, für die inhaltlich
wohl Verg. Georg. 4.454-503 als Quelle genutzt wurde, ist die Nachricht
eingewoben, die Bäume hätten aufgrund des Gesanges des Orpheus ihre Blätter
abgelegt, was sich zwar einerseits deutlich auf Ov. Met. 11.46-47 stützt, 70 andererseits
aber eigentlich in den Kontext des Todes des Sängers gehört; augenscheinlich
liegt hier ein Mißverständnis vor.
Vv. 193-196: Mit der Episode von König Saul und dem ihm auf der Harfe
vorspielenden David greift der Autor der ecloga Material aus 1 Sam. 16.14-23
auf. Auf den ersten Blick scheint nur ein loser inhaltlicher Zusammenhang zur
67 Cf. Green 1982, 88.
68 Ri. 15.6, 9 und 16.
69 Osternacher hat in Vv. 182-183 unter anderem deutliche Parallelen zu Hrab. Maur. 26.1-3
(Te deus aeternus, hominum sanctissimus auctor, | stelligeram caeli summus qui continet arcem,
| perspicit atque omnem fortis dominator abyssum) gesehen und gemutmaßt „nonne
Mauri et Strabi loci simillimi indicant Theodulum quoque eiusdem fere aetatis fuisse“ (Osternacher
1907, 40); ob man die Formulierung tatsächlich für einen Datierungsversuch nutzbar
machen kann, muß allerdings bezweifelt werden.
70 Cf. Ov. Met. 11.46 : Positis te frondibus arbor tonsa comas luxit mit v. 189: Certavere sequi
demissis frondibus orni.
66
vorausgehenden Orpheusepisode zu bestehen, da sich das, was David und Orpheus
mit ihrer Musik erreichen wollen, doch erheblich voneinander unterscheidet.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber eine deutlich erkennbare Parallelität:
während Pseustis, auf seiner Flöte spielend, mit dem Flötenspieler Orpheus
den bedeutendsten Sänger der Welt des antiken Mythos vorstellt, antwortet
Alithía, selbst Harfe spielend, mit dem wichtigsten Harfenspieler der biblischen
Welt – von dem sie ja zudem abstammt.
Vv. 197-200: Für den in einer Höhle des Berges Cillene auf der Peloponnes
geborenen Mercur konnte der Autor der ecloga aus einer breiten Überlieferung
auswählen. Er stützte sich in erster Linie auf eine knappe Zusammenfassung
in der Schrift contra Symmachum des Prudentius; 71 das Motiv des
Erweckens von den Toten knüpft an die vorherige Episode des Pseustis an.
Vv. 201-204: Für den Bau des Tempels durch Salomo schöpfte der Autor
der ecloga aus 1 Kön. 5-9, für den von Frauen veranlaßten Bundesbruch Salomos
diente 1 Kön. 11 als Quelle. 72
Vv. 205-208: Die Episode vom eigentlich eleusinischen Heros Triptolemus,
der die Ähren aussäte, die ihm von Ceres geschenkt worden waren, und so
die Menschen im Ackerbau unterwies, schöpft im Wesentlichen aus Vergils Georgica;
besonders deutlich wird dies an der Verortung des Geschehens – während
traditionell Triptolemus auf dem rharischen Feld bei Eleusis sät und erntet,
73 verlegt Vergil die Handlung nach der bedeutenden Orakelstätte Dodona. 74
In V. 205 liegt mit dem von der handschriftlichen Überlieferung gebotenen gnosia
ein Problem vor, dem bereits Beck Aufmerksamkeit geschenkt hat. Hinter
dem gnosia verbirgt sich zunächst eine Schreibvariante von cnos(s)ia, „knossisch“
bzw. in einem weiter gefaßten Sinne „kretisch“; 75 diese geographische
Information paßt allerdings überhaupt nicht zu dem in Epirus befindlichen Dodona.
Daher haben Beck und ihm folgend Osternacher auf einen entweder durch
Unkenntnis des Autors der ecloga verursachten Fehler oder ein Überlieferungsproblem
geschlossen; 76 während Beck nicht in den Text eingriff, änderte Oster-
71 Cf. Prud. Symm. 1.86-92.
72 Der Autor der ecloga verwendet für Salomo den Namen Idida; cf. 2 Sam. 12.24-25: et vocavit
nomen eius Salomon et Dominus dilexit eum misitque in manu Nathan prophetae et vocavit
nomen eius Amabilis Domino eo quod diligeret eum Dominus und Isid. Etym. 7.6.65:
Salomon tribus nominibus fuisse perhibetur. Primum vocabulum eius Salomon dicitur, id est
pacificus, eo quod in regno eius pax fuerit. Secundum nomen Ididia, eo quod fuerit dilectus et
amabilis Domino.
73 So etwa Paus. 1.38.6.
74 Cf. etwa Verg. Georg. 1, 147-149: prima Ceres ferro mortalis uertere terram | instituit,
cum iam glandes atque arbuta sacrae | deficerent siluae et uictum Dodona negaret.
75 Cf. etwa Prop. 1.3.1-2: Qualis Thesea iacuit cedente carina | languida desertis Cnosia litoribus.
76 Beck 1836, 41: „Miro errore Theodulus Dodonam … Gnossiam vocat, i.e. Cretensem“; der
Autor der ecloga habe sich möglicherweise davon in die Irre leiten lassen, daß Juppiter
sowohl mit Dodona als auch mit Kreta in Verbindung gebracht wurde; dagegen Osternacher
1907, 45: „minime enim possum adduci, ut iam Theodulum adeo errasse de Dodonae situ
censeam, quam in Epiro, non in Creta insula situm doctissimus ille vir procul dubio noverat“.
67
nacher, der in seiner Ausgabe von 1902 noch gnosia abgedruckt hatte, dies 1907
in ch(a)onia ab, ein häufig belegtes Epitheton für Dodona. 77 Da dieses auch in
Verg. Georg. 1 geschieht, 78 also in demselben Gedicht, das als Quelle für die
Verortung der Handlung in Dodona dient, dürfte der Vorschlag Osternachers die
wahrscheinlichste Lösung für das Problem sein.
Vv. 209-212: Für die Episode von Elias und seiner Flucht an den Bach
Krith schöpfte der Autor der ecloga aus 1 Kön. 17,1-7.
Vv. 213-216: Für die Geschichte von der Tötung Medusas durch Perseus
dürfte der Autor der ecloga zunächst in erster Linie auf die Metamorphosen
Ovids zurückgegriffen haben. 79 Obwohl in v. 215 nicht Perseus, sondern der in
der antiken Mythologie ebenfalls mit dem geflügelten Pferd Pegasus in Verbindung
gebrachte Heros Bellerophon genannt ist, dem die Antike die Tötung des
Ungeheuers Chimaera zuschrieb, dürfte mit monstro in v. 216 wohl weiterhin
Medusa gemeint sein; 80 es ist sehr wohl denkbar, daß der Autor hier Perseus und
Bellerophon in einer Figur vereint hat. Green hat überdies darauf aufmerksam
gemacht, 81 daß dieser Episode neben Ovid ebenfalls ein Abschnitt aus den Mythographi
Vaticani zugrunde liegen könnte, in dem Bellerophon und Perseus
gleichgesetzt und ihre Taten zu einem Tatenkatalog vereinigt werden; 82 sollten
die Mythographi tatsächlich der ecloga als Vorbild gedient haben, 83 wäre dies
eine einfache Erklärung für die Verbindung von Perseus und Bellerophon.
Vv. 217-220: Die Darstellung der Geschichte von der Entrückung des
Elias verschränkt Material aus 1 Kön. 19 und 2. Kön. 2, wobei die direkte kausale
Verknüpfung des Streites mit Jezebel und der Entrückung, die mit effugium
terrae … obstruxit gegeben ist, im Widerspruch zur biblischen Erzählung steht,
in der auf die Flucht vor Jezebel neue Aufträge des Herrn und die Berufung
Elisas (des in v. 220 erwähnten heres) folgen. Die auf den ersten Blick schwer
verständliche Wendung spiritus magistri geminatur in v. 220 erklärt sich aus der
in 2 Kön. 2.9 geäußerten Bitte des Elisa obsecro ut fiat duplex spiritus tuus in
me. Von einem Viergespann weiß die biblische Erzählung nichts; 84 es dürfte
dem Bemühen geschuldet sein, auch numerisch deutlich über das eine geflügelte
Pferd des Bellerophon hinauszugehen.
Vv. 221-224: Der wegen seiner Schönheit von Aurora entführte Tithonus
galt in der Antike als Musterbeispiel eines Greises – zwar hatte Aurora von Jupi-
77 Cf. etwa Ov. Met. 13.716: vocalemque sua terram Dodonida quercu | Chaoniosque sinus
…; weitere Belegstellen bei Osternacher 1907, 45-46.
78 Verg. Georg. 1.7-8: Liber et alma Ceres, vestro si munere tellus | Chaoniam pingui glandem
mutavit arista.
79 Ov. Met. 4.604.662 und 4.773-789.
80 Anders Beck 1836, 41.
81 Green 1982, 90.
82 Cf. Myth. 1.71: Perseus qui et Bellerophon; cf. auch Myth. 1.157.
83 Angesichts der unsicheren Datierung beider Texte ist hier allerdings wenigstens Vorsicht
angebracht.
84 2 Kön. 2.11: ecce currus igneus et equi ignei diviserunt utrumque et ascendit Helias per
turbinem in caelum.
68
ter für ihn Unsterblichkeit erbeten und erhalten, doch vergessen, auch um ewige
Jugend zu bitten. Daher alterte – im Gegensatz zu Ganymed – Tithonus wie ein
Sterblicher. 85 Für die Geschichte von den sogenannten Memnonsvögeln, die sich
aus der Asche des vor Troja von Achill erschlagenen Sohnes von Aurora und
Tithonus erheben und den Tod des Memnon beklagen, dürfte der Autor der ecloga
im Wesentlichen aus Ov. Met. 13.600-619 geschöpft haben. 86
Vv. 225-228: Für die Geschichte von der wundersamen Heilung des Königs
Hiskia greift der Autor der ecloga auf 2 Kön. 20 zurück. Der Aspekt der
wundersamen Heilung stellt eine Verbindung zur vorausgehenden Episode dar,
das Motiv der rückwärts laufenden Sonne scheint bereits auf Vv. 245 und die
Klage des Pseustis über die in ihrem Lauf innehaltende Sonne vorauszudeuten.
Vv. 229-232: Als Vorlage für die in der Antike weit verbreitete Geschichte
von der Einrichtung der olympischen Spiele durch Hercules dürfte unter anderem
ein Eintrag aus der Chronik des Isidor von Sevilla gedient haben; 87 Green
hat wohl zu Recht darauf hingewiesen, daß die korrekte Verwendung des Wortes
agones eher auf eine entsprechende Vorlage denn auf solide Griechischkenntnisse
des Autors der ecloga zurückzuführen sein dürfte. 88 Ob der Hinweis,
die Spiele hätten sub vertice montis Olimpi (v. 230) stattgefunden, mit Green als
Hinweis auf eine Einarbeitung von Myth. 1.131 gewertet werden kann, 89 wo
Hercules die Spiele am Olymp begründet, was dann in Olympia nachgeahmt
wird, läßt sich nicht entscheiden, da die Wendung theoretisch auch als Verallgemeinerung
im Sinne von „im Schatten der Wohnstätte der Götter = auf Erden“
verstanden werden könnte.
Vv. 233-236: Über das Ende des Königs Josia in der Schlacht bei Megiddo
berichten sowohl 2 Kön. 23 als auch 2 Chron. 35, wo wie in der ecloga die
Verbindung zum Paschafest und zur Klage des Jeremias hergestellt wird.
Vv. 237-240: Für die Geschichte vom Gründer der Stadt Salmone in Elis,
der sich Opfer darbringen ließ und Blitze und Donner des Jupiter nachahmte,
ehe dieser als Strafe für die Gotteslästerung des Salmoneus ihn mit einem – echten
– Blitz samt seiner Stadt vernichtete, stützt sich der Autor der ecloga auf
Verg. Aen. 6.585-594.
Vv. 241-244: Die Episode von der Verwandlung des Königs Nebukadnezar
in einen Vogel als Strafe für seinen Hochmut greift auf Dan. 4.22-30 zurück.
Zum zweiten Mal läßt der Autor der ecloga Alithía aus dem dialogischen Wettstreit
mit einer Wendung an die bereits in v. 168 angesprochenen cuncti heraustreten.
85 Cf. etwa Hom. hym. 5.218-238.
86 Zwar hat Green 1982, 90 auf eine ebenfalls bestehende Ähnlichkeit zu Myth. 1.139 hingewiesen,
daraus allerdings zu schließen „there is no need to assume the poet’s familiarity with
Ovid M. 1.600-619“ erscheint angesichts der ansonsten in den ecloga deutlich erkennbaren
Vertrautheit gerade mit den Metamorphosen mehr als kühn.
87 Isid. Chron. 87: per haec tempora Hercules agonem Olympiacum constituit.
88 Green 1982, 90-91.
89 Green 1982, 91.
69
Vv. 245-248: Pseustis unterbricht erneut den Wettstreit, diesmal allerdings
nicht mit einer Anrufung an die Götter, sondern einer Klage darüber, daß
die Nacht nicht hereinbricht; Siegesgewißheit wird man den Worten des Pseustis
nicht unbedingt attestieren wollen. Die in v. 246 kurz angesprochene Geschichte
von Phaethon, dem Sohn des Sonnengottes Phoebus, der heimlich den Sonnenwagen
des Helios bestieg und mit diesem abstürzte, wird im zweiten Buch der
Metamorphosen Ovids breit ausgeführt.
Vv. 249-252: Alithía antwortet direkt auf die Unterbrechung des Wettstreites
durch Pseustis und wertet diese als ein Anzeichen für seine bevorstehende
Niederlage.
Vv. 253-256: Die Geschichte von Danae, der Tochter des argivischen Königs
Acrisius, die von ihm in einen Turm eingesperrt worden war und der sich
Jupiter in Gestalt eines goldenen Regens näherte, findet sich bereits in den homerischen
Epen und ist in der Antike immer wieder literarisch verarbeitet worden.
Der Autor der ecloga dürfte sich hier vor allem an einem Abschnitt aus der
Schrift contra Symmachum des Prudentius orientiert haben. 90
Vv. 257-260: Die Geschichte von Daniel in der Löwengrube und Habakuk
faßt Dan. 2 und Dan. 14.32-39 zusammen.
Vv. 261-264: Mit einer Wendung, die zunächst wirkt, als wolle Pseustis
wie Alithía in v. 168 und v. 244 zum Publikum sprechen, leitet der Autor der
ecloga die in der Antike breit überlieferte Geschichte von Niobe, der Tochter
des Tantalos, ein. Diese galt als Musterbeispiel für menschliche Hybris, da sie
sich an einem Fest der Latona ihrer göttlichen Herkunft und insbesondere ihrer
vierzehn Kinder gerühmt hatte. Zur Strafe für ihren Hochmut sandte Latona ihre
beiden Kinder Diana und Apollo aus, um die Kinder der Niobe zu töten. Niobe
selbst floh zum Sipylusberg und wurde dort versteinert. Ausführlich behandelt
Ovid die Niobegeschichte in Ov. Met. 6.146-312; hierauf basiert auch die von
Pseustis vorgetragene Episode. Das auf den ersten Blick ungewöhnliche Epitheton
Trivia für Diana findet sich in römischer Literatur bereits bei Ennius und
erklärt sich aus der Bedeutung von Diana als Schutzgöttin von Weggabelungen.
91
Vv. 265-268: Mit der Erzählung von der tugendhaften Susanna nähert sich
die Episodenfolge der Alithía ihrem Höhepunkt; der Autor der ecloga schöpft
hier aus Dan. 13.1-24.
Vv. 269-272: Für das tückische Verhalten von Frauen bietet Pseustis zunächst
eine allgemeine Aussage in v. 270, sodann mit den Geschichten von
Procne und Philomela sowie Medea zwei konkrete Beispiele. Das in v. 270 erwähntes
hippomanes hat der Autor der ecloga wohl der Beschreibung in Verg.
90 Cf. Cf. Prud. Symm. 1.65-68: Nunc foribus surdis, sera quas vel pessulus arctis | firmarant
cuneis, per tectum dives amator | Imbricibus ruptis, undantis desuper auri | infundens pluviam
gremio excipientis amicae.
91 Cf. Green 2006, 128-131; Trivia als Epitheton für Diana ist oft belegt, der Autor der ecloga
kann es daher durchaus eigener Lektüre antiker Vorlagen entnommen haben; anders Green
1982, 92.
70
Georg. 3.280-283 entnommen; dieser „Brunstschleim“ galt in der Antike als
Aphrodisiakum. 92 Gewissermaßen den Gegenpol hierzu bildet der auf den ersten
Blick schwer verständliche zweite Teil des Verses, der wohl auf Abtreibungen
hinweist. Die Geschichte der Schwestern Procne und Philomela findet sich etwa
in Ov. Met. 6.424-674; Tereus, der Gatte von Prokne und König Thrakiens, hatte
die Schwester seiner Frau vergewaltigt und, damit seine Tat unentdeckt bleibe,
ihr die Zunge herausgeschnitten und sie gefangen halten lassen. Philomela webte
aber ein Tuch, daß sie Procne zukommen ließ und anhand dessen Procne von
der Tat ihres Mannes erfuhr; sie befreite ihre Schwester, und aus Rache töteten
beide den Sohn des Tereus, Itys, und setzten ihn seinem Vater beim Festmahl
vor. Als Tereus erkannte, was geschehen war, verfolgte er die beiden Schwestern,
doch alsbald wurden Procne, Philomela und Tereus in Vögel verwandelt.
Mit der in der Antike breit und in zahlreichen Variationen überlieferten Medeageschichte
greift der Autor der ecloga nicht nur ein weiteres Beispiel für eine
Kindsmörderin heraus – Medea hatte, um sich an ihrem Gatten Jason zu rächen,
nicht nur dessen Geliebte Glauce mit einem vergifteten Gewand, sondern auch
die beiden Kinder Jasons getötet –, die Medeageschichte schließt auch in den
Metamorphosen nahezu nahtlos an die Geschichte von Procne und Philomela an,
weswegen man Ov. Met. 7.1-450 als primäre Quelle annehmen kann.
Vv. 273-276: Als nächstes Beispiel einer tugendhaften Frau dient Judith;
aus dem entsprechenden Buch greift der Autor der ecloga das Zusammentreffen
von Judith und Holofernes in Jdt. 10-13 heraus. In v. 273 zeigt Alithía zum
ersten Mal eine direkte, in ihrer Heftigkeit durchaus überraschende Reaktion auf
ein Beispiel des Pseustis – wobei auch das Beispiel der Judith mit dem femina
quid possit (v. 271) des Pseustis beschrieben werden könnte.
Vv. 277-280: Mit der in verschiedenen Varianten überlieferten Geschichte
der Tochter des megarischen Königs Nisus erreichen die Beispiele negativen
Verhaltens von Frauen einen Höhepunkt. Der Autor der ecloga folgt hier Ov.
Met. 8.1-151, wonach Scylla aus Liebe zu dem Megara belagernden Minos ihrem
Vater die Haarlocken abschnitt, mit denen sein persönliches Geschick und
das Wohl der Stadt untrennbar verknüpft waren, und sie dem Minos als Geschenk
brachte. Minos aber erschrak, brach die Belagerung ab und begab sich
auf seine Schiffe; Scylla schwamm ihm nach und wurde von ihrem Vater, der in
einen Seeadler verwandelt worden war, angegriffen, dabei aber selbst in einen
Vogel verwandelt. Mit Scylla hat Pseustis ebenfalls eine Trias an weiblichen
Gestalten aufgeboten, wobei ausgehend vom gotteslästerlichen Verhalten der
Niobe über die Kindsmörderinnen Prokne und Medea bis hin zur Vatermörderin
Scylla eine gewisse Steigerung erkennbar ist.
Vv. 281-284: Den Höhepunkt der christlichen Episodenfolge bietet
schließlich die Rettung des Volkes Israel durch Esther, über die Est. 2-9 berichtet.
92 Cf. etwa Plin. NH 8.66 (165): et sane equis amoris innasci veneficium, hippomanes appellatum,
wobei hier möglicherweise nicht die in Verg. Georg. 280-283 angesprochene Flüssigkeit
gemeint ist, sondern während der Trächtigkeit von Stuten entstehende Verdickungen.
71
Vv. 285-288: Nachdem die beiden Episodenfolgen einen Abschluß gefunden
haben, setzt Pseustis den Sangeswettstreit mit einem Musenanruf fort. Die
Verbindung zwischen dem Helicongebirge und den Musen ist in der Antike
zahlreich bezeugt, neben anderen Kultstätten beherbergte es ein bedeutendes
Musenheiligtum im sogenannten Musental; gleiches gilt für das Tempetal. Die
Erwähnung des Wassergottes Proteus in Verbindung mit den Napaeen, die als in
Tälern und Höhlen anzutreffende Nymphen nicht recht zu Proteus passen, könnte,
wie Green vermutet hat, auf ein Mißverständnis von Verg. Georg. 387-392
zurückzuführen sein. 93 Bei dem in v. 288 angesprochenen distich(i)on Enni handelt
es sich um die beiden folgenden Verse: Juno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana,
Venus, Mars, | Mercurius, Jovi', Neptunus, Vulcanus, Apollo. 94 Der Autor der
ecloga hat diese vermutlich aus Martianus Capella entnommen, 95 dem wohl seinerseits
das Werk de deo Socratis des Apuleius vorlag. 96
Vv. 289-292: Auf den erneuten Götteranruf des Pseustis reagiert Alithía
nun anders als noch in v. 185 – die direkte Wendung an Pseustis zeigt, daß sie
sich bereits als Siegerin weiß.
Vv. 293-296: Pseustis antwortet nicht auf die Frage Alithías, sondern rät
Alithía, nach Hause zurückzukehren und bittet in mit Vv. 245-248 vergleichbarer
Weise um das Anbrechen der Nacht, damit der Wettstreit ein Ende finde.
Vv. 297-300: In v. 299 stellt Alithía ihren Sieg fest, der gleichzeitig der
Sieg der christlichen Wahrheit über den heidnischen error (v. 289) ist. Gewissermaßen
als Antwort auf die Bitte des Pseustis um das Hereinbrechen des
Abends wünscht Alithía in v. 300 eine Verlängerung des Tages. Der Vers ist
dabei der Bitte von Pseustis sehr ähnlich: an gleicher Stelle im Vers – als zweites
Wort nach einem zweisilbigen Imperativ – findet sich dies, auf das die sehr
ähnlich lautenden caelo bzw. cursum folgen; in beiden Versen wird Alithía als
virgo bezeichnet, wobei v. 300 betont mit triumphum endet.
Vv. 301-304: Die Antwort des Pseustis auf die Siegesgewißheit der
Alithía erstaunt im ersten Moment – obwohl es sich ja um einen Sangeswettstreit
handelt, den er angeregt hatte, klagt er nun in v. 304 über den Streit; der
Anspruch der Alithía, den Wettstreit für sich entschieden zu haben, wird nicht
bestritten. Als astra Helenae (oder häufiger sidus Helenae) wurde in der Antike
das Auftreten eines einzelnen Elmsfeuers bezeichnet, das als unheilbringendes
Vorzeichen gesehen wurde, wohingegen das Auftreten zweier Feuer als positives
Vorzeichen gewertet und nach Castor und Pollux benannt wurde. 97
Vv. 305-308: Alithía geht nicht auf den Gedanken des Pseustis ein, sondern
bringt mit dem Gedanken der Auferstehung ein weiteres Element der veritas,
mit dem sie den Wettstreit fortzusetzen scheint. Gleichzeitig ergreift Alithía
93 Dort läßt Vergil die Nymphe Cyrene sagen: hunc et Nymphae veneramur et ipse (Verg.
Georg. 4.391); cf. Green 1982, 93.
94 Enn. Ann. 7.240; cf. Skutsch 1985, 424-425.
95 Mart. Cap. 1.42.
96 Apul. de deo Socr. 2.
97 Cf. etwa Plin. NH 2.101: graves, cum solitariae venere, mergentesque navigia et, si in carinae
ima deciderint, exurentes, geminae autem salutares et prosperi cursus nuntiae.
72
nach der vorausgehenden Klage des Pseustis im Rahmen des Sangeswettstreites
argumentativ die Initiative.
Vv. 309-312: Die Antwort des Pseustis macht deutlich, daß er sich geschlagen,
von seinen Göttern verlassen und den Wettstreit verloren gibt; dabei
wiederholt v. 312 die Bitte um das Anbrechen der Nacht in v. 296.
Vv. 313-316: Dem Bild der schlafenden und vergeßlichen Himmelsbewohner
stellt Alithía den sich um die Schöpfung sorgenden Herrn gegenüber;
ausdrücklich betont sie dabei, Gott kenne keinen Schlaf, ganz im Gegensatz zu
den Göttern des Pseustis, denen er in v. 311 genau dies vorwirft. Augenfällig ist
die Parallele zu 1 Kön. 18.25-29; dort verspottet der Prophet Elias die vergeblich
den Gott Baal anrufenden Priester mit den Worten: clamate voce maiore deus
enim est et forsitan loquitur aut in diversorio est aut in itinere aut certe dormit
ut excitetur. Wie Pseustis wiederholt auch Alithía ihre Bitte um die Verlängerung
des Tages.
Vv. 317-320: Mit der Geschichte von Proserpina, die aus Ov. Met. 5.392-
550 schöpft, läßt der Autor der ecloga Pseustis vom Sangeswettstreit in eine direkte
Auseinandersetzung umschwenken, wodurch zum Ende des Gedichts hin
nochmals die Dynamik gesteigert wird. Pseustis stellt Alithía eine Frage aus
dem Zusammenhang der Proserpinageschichte, die weniger ein Rätsel als eine
einfache Wissensfrage darstellt. Proserpina war von Pluto entführt worden, woraufhin
ihre Mutter Ceres nach langer Suche schließlich von der Entführung erfuhr
und Juppiter bat, von Pluto die Rückgabe der Tochter zu erwirken. Juppiter
gab ihrer Bitte nach, allerdings nur unter der Bedingung, daß Proserpina noch
nicht von Nahrung aus der Unterwelt gekostet habe. Doch hatte diese im Garten
des Pluto bereits von einem Granatapfel gegessen und war dabei von Ascalaphus,
einem Unterweltsdämon, beobachtet worden; 98 dieser verriet Proserpina
und machte so ihre Rückkehr unmöglich. Nach dem Namen des Ascalaphus nun
fragt Pseustis. Sollte sie diese – zugegebenermaßen nicht zentrale – Figur kennen,
so wolle er den Sieg Alithías eingestehen; dahingehend wenigstens dürfte
die Bemerkung über das secretum Troianum zu verstehen sein. In diesem haben
verschiedene Interpreten einen konkreten Verweis auf das Palladium, das troianische
Kultbild der Athene gesehen, 99 tatsächlich dürfte es sich aber eher, wie
von Osternacher vorgeschlagen, 100 um eine allgemein-sprichwörtliche Bemerkung
(etwa im Sinne von „sich hervorragend auskennen“) handeln.
Vv. 321-324: Der Frage nach Ascalaphus stellt Alithía ihrerseits ein echtes
Rätsel entgegen; als Antwort auf die Frage, wo die Erde den Himmel über-
98 Ov. Met. 5.539; angesichts der großen Bedeutung der Metamorphosen für den Autor der
ecloga dürfte Ascalaphus diesem – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch seinem Publikum
– vetrauter gewesen sein als dem modernen Leser.
99 Für diese Identifizierung finden sich auch in Spätantike und Frühmittelalter zahlreiche Belege;
in großer Zeitnähe zur ecloga etwa schreibt Remigius von Auxerre in seinem Kommentar
zu Martianus Capella: secretum ergo Troianum vocat ipsum Palladium, hoc est simulacrum
Palladis, quod pro mysterio habebant Troiani (Rem. Aut. Comm. in Mart. Cap. 48.11.9-
10).
100 Osternacher 1907, 64.
73
ragt, dürfte Alithía „im Paradies“ vorgeschwebt haben. Der Verweis auf das
tetragrammaton, die vier hebräischen Buchstaben des Gottesnamens in v. 324,
hat wie das secretum Troianum in v. 320 eine sprichwörtliche Funktion.
Vv. 325-328: Für den Wettstreit zwischen den beiden Sehern Kalchas und
Mopsos, aus dem letzterer siegreich hervorging, greift der Autor der ecloga auf
eine Notiz im Eklogenkommentar des Servius zurück. 101 In Vv. 327-328 zeigt
sich Pseustis dann plötzlich bereit, den Wettstreit fortzusetzen, solange der Tag
noch andauert.
Vv. 329-332: Als Antwort auf Vv. 327-328 zeigt sich auch Alithía bereit,
den Wettstreit fortzusetzen; dabei machen Vv. 330-331 deutlich, woraus sie im
Folgenden ihr Material nehmen will, nämlich den vier Evangelien. Gleichzeitig
weist v. 329 auf die Entschlossenheit der Alithía hin, die auch mit Thales – der
in der Antike als erster Philosoph galt, von Alithía hingegen wenig schmeichelhaft
falsorum fictor genannt wird – in einen Wettstreit eintreten würde, sollte
dieser Pseustis zur Seite springen.
Vv. 333-336: Pseustis gibt sich endgültig geschlagen und wendet sich an
die Schiedsrichterin Fronesis; er gesteht seine Niederlage ein und bittet um ein
Ende des Wettstreits. Der allgemeine Verweis auf Martianus Capellas erklärt die
Verwendung des gewählten, aber bei Martianus üblichen Epithetons Stilbon für
Merkur.
Vv. 337-344: Fronesis beendet schließlich den Sangeswettstreit, erklärt
Alithía zur Siegerin und appelliert gleichzeitig an ihren Großmut, eine Versöhnung
herbeizuführen, um Pseustis nicht vollends verzweifeln zu lassen.
Vv. 345-352: Zur Frage nach der Authentizität dieser Versgruppe siehe in
der Einleitung Kap. I.4. Neben den dort angeführten Argumenten gegen die
Echtheit ist als weiteres wichtiges Indiz der Umstand zu nennen, daß mit v. 349
durch Fronesis nicht nur der Sieg der Alithía bestätigt, sondern diese anschließend
von Fronesis ermahnt wird, sich dem besiegten Pseustis gegenüber großmütig
zu zeigen. Gerade der Forderung des letzten Verses desine quod restat
würde aber das Anstimmen von pia carmina ja deutlich widersprechen.
101 Serv. Ecl. 6.72; cf. Green 1982, 93.
74
IV. Die ecloga als Gottes- und Frauengeschichte
Im Hochsommer, unter dem Sonnenwende-Sternbild des Krebses, treffen sich
im Äthiopierland – beide Angaben weisen auf Vergils 10. Ekloge hin, also Hirtendichtung
mit Wettgesang nach dem Vorbild des Theokrit – der Hirte Pseustis
aus Athen mit seinen Zicklein und die Jungfrau Alithía aus dem Geschlechte
Davids mit ihrer Schafherde. Es ist wohl keine Überinterpretation, wenn man
annimmt, daß der Dichter bewußt den Heidenhirten Böcklein hüten läßt, die
Alithía aber Schafe, wie es der Gute Hirte tut.
Pseustis, beeindruckt von dem schönen Harfenspiel der Alithía, bietet ihr
also einen Wettgesang an und setzt seine Flöte zum Preis; siegt er, bekommt er
ihre Harfe, des Königs David Instrument. Schiedsrichterin wird Fronesis, das ist
die kluge Vernunft, die gerade dazukommt. Diese schafft den Bezug zu Martianus
Capella und seinem großen Werk über die Universalbildung, wo sie ebenfalls
auftritt.
Pseustis als Mann darf anfangen, jedem steht eine Strophe aus vier Hexametern
– es sind Leoniner mit Binnenreim – zur Verfügung, bei Sonnenuntergang
soll der Wettstreit entschieden sein. Es zeigt sich nun, daß Pseustis Geschichten
aus der heidnischen Mythologie vorträgt (daher sein Name: der bedeutet
ja, daß er die Unwahrheit spricht), während Alithía (die Wahrheit) Beispiele
aus dem Alten Testament durchgeht und jenen gegenüberstellt.
Pseustis beginnt mit dem goldenen Zeitalter, Alithía antwortet mit dem
Paradies, in welches durch den Einfluß der Urmutter Eva die Erbsünde kam.
Dem goldenen Zeitalter folgt das silberne (Strophe 2); parallel dazu steht die
Vertreibung aus dem Paradies. Der Dichter betont übrigens, daß die Pforte zum
Paradies versperrt wurde, damit durch den Baum der Erkenntnis kein zweites
Mal Schaden entstehen kann! Anschließend wird das mißlungene Opfer Kains
und das gottwohlgefällige Opfer Abels beschrieben (Strophe 3). Das Lamm
Abels bildet natürlich eine Vorausdeutung auf Christus als Lamm Gottes. Demgegenüber
hatte Pseustis die Einführung der Götteropfer durch Kekrops, den
Ahnherrn der Athener, berichtet.
Die nächsten beiden Gegenüberstellungen sind die Verwandlung des Lykaon,
der den Gott Jupiter herausgefordert hatte, in einen Wolf und dagegen die
Entrückung des gerechten Henoch, der wie Elias den Tod nicht sah – beide wurden
zu Gott entrückt –, womit ein Ausblick auf das Weltende und das Jüngste
Gericht verbunden ist. (Strophe 4) Nach der folgenden Sintflut schafft Deukalion
neue Menschen, entsprechend handelt auch Noah; und Gott schließt im Regenbogen
einen Bund mit den Menschen (Strophe 5). Bereits hier hebt sich ab,
wie in den biblischen Ereignissen eine Entwicklung stattfindet, welche die mythologischen
Geschichten nicht zu bieten haben. Der Taube, die den Ölzweig
nach der Sintflut zur Arche bringt und so den neuen Anfang zeigt (Strophe 6),
wird Jupiters Adler, der den schönen Ganymed auf den Olymp entführt, gegenübergestellt.
Der wird nun Mundschenk Jupiters an der Stelle der Hebe; das ist
75
keine Entwicklung, die mit dem Fortschritt in den biblischen Geschichten sich
vergleichen könnte.
Nun folgen drei Doppelbeispiele (Strophen 7 bis 9) für die Folgen von
Gehorsam und Ungehorsam: die Bestrafung der Titanen, die Berg auf Berg getürmt
haben, um die Götter zu stürzen, Parallele dazu: der Turm von Babel und
die Sprachverwirrung; Abrahams und Sarahs unerwartete Erhöhung durch ihre
späte Fruchtbarkeit, dem gegenüber eine Demütigung Apollons durch Jupiter:
zweimal das Unerwartete, nicht zu Erwartende; zuletzt der Fall des Ikarus, der
seinem Vater Dädalus ungehorsam gewesen war, dagegen der Gehorsam Abrahams
bei der Opferung seines Sohnes Isaak und Gottes Lohn dafür, der wieder
in die Zukunft weist. Spätestens hier fällt auf, daß offensichtlich immer jeweils
drei Parallelgeschichten oder Kontrapunkte zusammengefaßt worden sind und
einen Abschnitt von sechs Strophen bilden.
Im Ping-Pong-Spiel der Episoden folgt nun eine Dreier- bzw. Sechsergruppe
(Strophen 10 bis 12) mit Metamorphosen, also Verwandlungsgeschichten,
oder Eingriffen der Gottheit ins Leben der Menschen: Die thrakische Königstochter
Phyllis verwandelt sich aus Liebesschmerz um Demophon in eine
dürre Korkeiche; als ihr Geliebter um sie weint, sprießen ihm Blätter entgegen.
Dieser Geschichte wird die Zerstörung von Sodom und Gomorrha und die Verwandlung
von Lots Weib in eine Salzsäule gegenübergestellt. Offensichtlich
bildet hier der mangelnde Glaube des Demophon, der dadurch seine Geliebte
verliert, die Parallele zu Lots Weib, die nicht auf Gottes Bund mit Abraham vertrauen
wollte. Zwei Begegnungen mit der Gottheit haben Konsequenzen: Jakob,
der am Fluß Jabbok mit Gott ringt und ihn nicht lassen will, wird von ihm durch
einen Schlag auf die Hüfte gelähmt. Diomedes verletzt im Kampf um Troja die
Göttin Aphrodite, als diese sich persönlich einmischt; zur Strafe werden seine
Gefährten in Vögel verwandelt.
Und schließlich wird der bekannten Geschichte von Josephs Verleumdung
durch Potiphars Weib, seiner Deutung der Träume Pharaos von den sieben guten
und schlechten Jahren und seiner schließlichen Erhöhung die Geschichte vom
keuschen Hippolytus vorangestellt, der gleichfalls in Versuchung geführt, verleumdet
und gar umgebracht, doch von der Göttin Artemis, die das nicht dulden
wollte, ins Leben zurückgeholt wurde. In den letzten zwei Episoden (in Strophe
12) ist der zerstörende Einfluß der Frauen (durch Verführung und Verleumdung)
entscheidend gewesen, zum dritten Mal nach Einführung der Erbsünde durch
Eva in der ersten Strophe der Alithía und der Bestrafung von Lots ungläubigem
Weib.
In der folgenden Gruppe der Strophen 13 bis 15 geht es um Handlungen,
die für die Folgezeit von Nutzen waren. Kadmos erfindet die Schrift, Moses
führt sein Volk aus Ägypten ins Gelobte Land. Jupiter verwandelt sich in einen
Stier und verführt die Europa, gibt ihr aber den Namen, den ein Drittel der Welt
(neben Asien und Afrika) trägt. Aaron schafft das Goldene Kalb, der Stamm Levi
aber erhält für alle Zeit das Priesteramt. Und schließlich wird der komplizierten
Geschichte von Amphiaraus, der von seiner Gattin zu einem Feldzug verleitet
wurde, dessen üblen Ausgang er voraussah, worauf ihn Jupiter in die Unter-
76
welt holte, seine Söhne aber die Mutter ebenfalls in die Unterwelt schickten:
dieser Erzählung wird das Schicksal der Rotte Korah gegenübergestellt, die
gleichfalls in die Unterwelt versank, und schließlich die Bestattung des Moses
durch Gott selbst. In diesen Strophen geht es offensichtlich um die Herstellung
einer Ordnung für die Folgezeit.
Strophengruppe 16 bis 18 erzählt von wunderbaren Rettungen und Großtaten:
Io, eine der Geliebten des Jupiter, wird von Juno in eine Kuh verwandelt,
es gelingt ihr aber, die Göttin zu versöhnen und ihr menschliches Äußeres zurückzugewinnen.
Bileam soll auf Anweisung des Königs der Moabiter das Volk
Israel verfluchen. Er reitet auf seinem Esel, da stellt sich ihm ein Engel in den
Weg, den nur der Esel sieht. Als Bileam den Esel schlägt, spricht der plötzlich
mit menschlicher Stimme, und Israel wird gerettet. Die nächsten beiden Strophen
erzählen die Verlängerung der Nacht für Jupiter, während er mit Alkmene
den starken Herkules zeugt, und die Verlängerung des Tages für Josua, der so
die Gibeoniten besiegen kann. Herkules wird trotz seiner Großtaten am Ende
durch Deianira seiner Kraft beraubt: die Parallele dazu bildet natürlich Samson,
der von Dalila geblendet und schließlich gleichfalls zu Tode gebracht wird. Wie
Strophengruppe 12 endet auch dieser Abschnitt mit dem zerstörenden Einfluß
der Frauen auf ihre heroischen Männer, die die Welt reinigen und ordnen.
An dieser Stelle macht der Dichter die Gliederung seiner Ekloge sichtbar.
Nach 18 Strophen in sechs Dreiergruppen (das sind 144 Verszeilen) stimmen
nämlich Pseustis und Alithía jetzt ein Gebet zu den heidnischen Göttern bzw.
zum dreifaltigen Gott an und bitten um den Sieg über das Böse (zweimal vier
Verse). Dieses zentrale Gebet trennt den Hauptteil in zwei gleiche Teile, denn
anschließend folgen noch einmal sechs Dreiergruppen (die Strophen 20-37), also
wieder 144 Verse Wettgesang. Das Prooemium vor dem Beginn des Wettgesangs
bestand aus 36 Versen, die sich in die Abfolge 15 + 4 + 7 + 3 + 7 einteilen
lassen. So ergibt sich die Gesamtanordnung: 36 / 144 / 8 / 144 / 12; der Urteilsspruch
am Schluß umfaßt nämlich 12 Verszeilen. 36 Verse Prooemium plus 12
Verse als Schluß ergeben 48 Verse. Der Hauptteil mit 12 mal 24, also 288 Versen,
plus 8 Versen Zentralgebet ergibt 296 Zeilen; zählt man nun noch die 48
Verse der Rahmenerzählung hinzu, entsteht die Gesamtzahl 344. Und hier zeigt
sich der Zahlenzauber: bei 344 Versen ergeben die Zahlen 3 mal 4 mal 4 wieder
48; alles ist durch 6 teilbar bzw. durch 3. Und das ist ja die Zahl Gottes, die Trinität.
In der 33. Strophe der Alithía wird der Sieg des Osterlamms über das Böse
benannt, also Opfer und Auferstehung Christi. Seine Lebenszeit betrug der Legende
nach bekanntlich 33 Jahre!
Wir stellen also fest, daß unser Dichter Theodulus, der „Diener Gottes“,
wie sein Name sagt, sein Werk nach einer konsequenten Zahlensymbolik aufbaut,
indem er durch Herbeiführung von Symmetrien und Entsprechungen eine
eindrucksvolle Architektur erstellt. Übrigens macht er dadurch klar, wie ernst er
sein Vorhaben nimmt und welche Bedeutung er ihm beimißt. Bereits im Vorspann
hatte Fronesis (die „kluge Vernunft“) die Anweisung gegeben: sit tetras
77
in ordine vestro | Pitagorae numerus. 102 Grundlage bilden stets die Ziffern 3 und
4 sowie natürlich ihre Summen und Produkte. Systematik in der Verwendung
heilbringender Zahlen anzustreben, ist gängige mittelalterliche Praxis, selbstverständlich
auf religiösem Hintergrund. So wie der Schöpfer mit der Weltschöpfung
die Zeit erschuf und einteilte und gliederte, so muß der Mensch sein Leben
einteilen, ins Kirchenjahr etwa und in Gebets- und Arbeitsstunden: dann überwindet
er Unordnung, Chaos und Diabolos – der Teufel ist ja der Verwirrer, der
Stifter von Unordnung und Unglück – und denkt, soweit er kann, Gottes Gedanken.
Daß wir richtig gesehen haben, zeigt die folgende Dreiergruppe (Strophen
20 bis 22): von jetzt an überwiegen positive Einflüsse, die in den Strophen der
Alithía auch nicht mehr beeinträchtigt werden. Orpheus vor Proserpina und David
vor Saul profitieren von der heilenden Zauberwirkung der Musik. Der Gott
Merkur erhält seine Zaubermacht über die Pflanzen und seine Aufgabe als Seelengeleiter
durch die Muttermilch seiner Tante Juno, die ihn in der Grotte der
Maja gesäugt hat; Salomon bekommt die Weisheit und Macht Gottes verliehen
und kann so in Jerusalem den Tempel Davids vollenden. In dieser Strophe wird
zum fünften (und letzten) Mal an den verderblichen Einfluß der Frau erinnert.
Von Ceres geschickt, kommt Triptolemos und bringt die Ähre in die unfruchtbare
Welt: ein Eingriff der Gottheit, der für die Zukunft Hoffnung gibt. Elias
schließt den Himmel, die Erde wird gleichfalls unfruchtbar, doch er wird durch
den Raben, den Gott schickt, gespeist.
Die nächste Gruppe führt den Gedankengang zu Himmelfahrt, Lebensverlängerung
und Dauer: Bellerophon tötet die todbringende Gorgo und schwingt
sich auf dem Flügelroß Pegasus in die Lüfte. Elias fährt auf einem feurigen Wagen
gen Himmel und hinterläßt seinen Prophetengeist dem Nachfolger Elisa in
verdoppelter Kraft. Aurora schenkt ihrem Gatten Tithonos die Unsterblichkeit;
der Todestag seines Sohnes Memnon wird alljährlich begangen, freilich von
Vögeln, die aus seiner Asche kamen. Dem frommen König Hiskia schenkt Gott
zusätzlich Lebenszeit und läßt als Zeichen dafür die Sonne rückwärts gehen.
Und der Begründung der Olympischen Spiele bei den Heiden entspricht die
Einsetzung des Paschafestes durch den König Josias, den Jeremias in den Klageliedern
für alle Folgezeit betrauert. Anschließend werden die Folgen der Selbstüberhebung
gezeigt: Als Salmoneus wie Jupiter sein will und Blitze schleudert,
wird er von ihm vernichtet. Und als Nebukadnezar gleichfalls glaubt, er sei wie
Gott, verliert er seine Herrschaft und muß wie ein Tier weiterleben.
In der folgenden Strophe 27 fehlen erstmals die Beispiele. Pseustis macht
Phöbus, dem Sonnengott, Vorwürfe, weil er stehenzubleiben scheint, und ruft
nach der Nacht und dem Ende des Wettstreits. Alithía stellt fest, daß seine Niederlage
nahe ist. Danach wird Danae, der Jupiter in ihrem Turm trotz aller Sicherheitsmaßnahmen
die Unschuld raubt, die Rettung Daniels aus der Löwengrube
gegenübergestellt. Je ein Beispiel für negatives oder positives Einwirken
der Gottheit.
102 Vv. 35-36.
78
Nach dieser Niederlage einer Frau bringen die Strophen 29 bis 31 auf Seiten
Alithías einen neuen Gedanken und eine überraschende Entwicklung: Frauen
erheben sich über ihre schwache Natur, verlieren ihren negativen Einfluß, werden
aus Leidenden, ihrer Natur Erliegenden zu handelnden Helferinnen. Niobe,
die sich aus Eitelkeit und Hochmut mit der Göttin mißt, wird von ihr getötet.
Susanna im Bade dagegen besiegt ihre weibliche Schwachheit und sorgt für die
Bestrafung der Männer, die die Ordnung mit Füßen treten. Prokne und Medea
töten voll weiblicher Bosheit ihre eigenen Kinder. Judith enthauptet den assyrischen
Feldherrn Holofernes und rettet so ihr Volk. Scylla, von Minos verschmäht,
verübt aus Rache Verbrechen am eigenen Vater. Esther dagegen bewahrt
durch ihren Mut ihr Volk vor der Vernichtung.
Damit enden die kontrastierenden Beispiele, der Wettgesang ist eigentlich
zu Ende. Auffällig war, wie in den Strophen der Alithía, was wir schon bei den
Sintflutgeschichten bemerkt haben, eine Entwicklung stattfindet, zunächst im
Hinblick auf die Einrichtung der Welt und die Ordnung der Zukunft, dann aber
konzentriert auf das Erscheinungsbild der Frau, die in der heidnischen Mythologie
durchwegs gefährlich und bedrohlich, zugleich aber schwach und gefährdet
erscheint, da ja die Frau als „Mängelwesen“, von phlegmatischer, also kalter und
feuchter Komplexion, dem Gesetz der Natur unterliegt, während der Mann, der
sich vom Sanguiniker (warm und feucht) zum Choleriker (warm und trocken)
entwickelt, seine Natur beherrschen kann und soll.
Diese Einzelheiten stehen nicht im Gedicht, waren aber für den mittelalterlichen
nicht anders als für den antiken Menschen selbstverständliche Grundlage
und Voraussetzung seines Denkens. Die Karolingerzeit kannte das Viererschema
und die aus ihm erwachsende Humoralpathologie auf jeden Fall aus den
‚Etymologien’ (4. Buch) des Isidor von Sevilla (um 600). Die Zuordnung der
Säfte zu den moralischen Komplexionen fehlt dort freilich, es geht nur um
Krankheiten. Im ‚Hortulus’ des Walahfrid Strabo finden sich keinerlei Angaben
zur Komplexion, diese treten erstmals im ‚Macer Floridus’ auf. Es gab zwar einen
„Ur-Macer“, aber erst nach Bekanntwerden des ‚Liber graduum’ des
Constantinus Africanus zwischen 1050 und 1100, der erstmals die Komplexionen
in der Phytotherapie berücksichtigt, entstand der uns vertraute ‚Macer’, der
zu jeder Pflanze die Primärqualitäten schreibt. 103 Wie weit diese Umstände gegen
eine Datierung der ecloga in die Zeit Karls des Großen sprechen, kann hier
nicht entschieden werden. Das Viererschema und die Humoralpathologie war
jedenfalls, unter Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der antiken Tradition,
bis in die Goethezeit hinauf die Welterklärungsformel, das Paradigma, das
die Weltordnung darstellte. Die Leistung unseres Dichters Theodulus besteht
nun darin, hier eine Entwicklung herausgearbeitet und mit seinen Beispielen aus
dem Alten Testament belegt zu haben, nämlich wie von Eva bis Esther die Frau
den Einfluß ihrer schwachen und eigentlich schlechten Natur zu beherrschen
und sogar zu überwinden gelernt hat, offensichtlich aufgrund ihrer Orientierung
an Gottes Bund mit seinem rechtgläubigen Volk, auf den ja nach der Strophe 2
103 Goehl/Mayer 2003, 20.
79
auch etwa in den Strophen 5, 8 und 14, immer im Mittelpunkt der jeweiligen
Dreiergruppe, von Alithía hingewiesen wurde. Damit ist selbstverständlich auch
die Überlegenheit Gottes im AT über die heidnischen Götter und deren Mythologie
unwiderlegbar gezeigt und der Fortschritt bewiesen, den das christliche
Weltbild mit sich brachte. Wohlgemerkt: diese Entwicklung der Frau wird im
Hinblick auf ihre Bestimmung dargestellt, zu ihrer höchsten Daseinsmöglichkeit,
nämlich der Gottesgebärerin, in der sich der Sohn Gottes inkarniert, zu gelangen.
Ohne weiteres kommt allerdings damit auch ein neues Verständnis von
der Würde der Frau in die Welt.
Doch bis zum endgültigen Sieg der Alithía sind noch sechs Strophen nötig.
Pseustis sucht Unterstützung bei den Musen, den Nymphen und den zwölf
Göttern, die der römische Dichter Ennius aufgezählt hat. Alithía macht ihn dagegen
auf die Absurdität der unzähligen Einzelgötter aufmerksam. Der Aufforderung
des Pseustis, die Lämmer jetzt am Abend in ihre Ställe heimzuführen,
damit der Wolf nicht über sie herfällt, antwortet Alithía mit dem Bild des Osterlamms,
das über ihn und über alle Feinde triumphiert (in Strophe 33, wie schon
angemerkt). Und als Pseustis beklagt, daß doch die Götter eine Welt geschaffen
haben, in der alles gegeneinander kämpft, stellt ihm Alithía vor Augen, daß diese
Gegensätze ja einander ausgleichen: ein Ausblick auf die Besänftigung des
Zorns des Weltenrichters nach dem Tod des Leibes.
In Strophe 35 sieht sich Pseustis von den Göttern verlassen. Er kann den
Wettstreit nur gewinnen, wenn jetzt die Nacht kommt und ein Ende erzwingt.
Alithía preist dagegen den Schöpfer, der die Welt so gut eingerichtet hat und den
Tag dauern läßt, damit sie jetzt seinen Triumph verkünden kann. Dabei verzahnt
der Dichter seine Verse hier am Ende: die Strophenschlüsse der Gruppen 33 und
35 zitieren einander. Pseustis versucht ein letztes Beispiel: Die geraubte Proserpina
wurde durch Verrat dazu verdammt, Herrscherin über die Unterwelt zu
sein. Er spricht Alithía auf das Geheimnis des Palladiums an – so deutet Bernhard
von Utrecht diese Stelle –, welches Troja durch Zauberkraft vor der Zerstörung
schützte (bis es freilich durch Odysseus oder Aeneas entführt wurde).
Alithía antwortet ihm mit Gottes Weltordnung und mit dem Gottes-Tetragramm
JHWH (Jahwe/Jehovah). Der Bund mit einem doch vergänglichen Götterbild, an
dem angeblich Schutz durch Zauberwirkung haftet, wird verglichen mit dem
Bund, den Gott mit den Menschen geschlossen hat! (5 und 6 gegen 36: eine
Klammer innerhalb des Gedichts.)
Pseustis will sich der Jungfrau, von der er sich betrogen fühlt, indes noch
immer nicht geschlagen geben. „Tausendmal werde ich meine Verse wiederholen,
bis mir der Abend meine Zeit entzieht.“ Da antwortet ihm Alithía mit der
„Lehre der Evangelien, die sagen, daß Gott durch die Jungfrau unseren Menschenkörper
angenommen hat.“ Damit ist der Wettstreit entschieden, jetzt ist
kein Gegenargument mehr möglich. Pseustis gibt sich geschlagen, Fronesis fordert
zur Versöhnung auf, damit Pseustis nicht in Verzweiflung fällt. Der Schluß
dieser „Ekloge“ wird ganz besonders wirkungsvoll dadurch, daß nach der Nennung
der Inkarnation Gottes durch die Jungfrau Maria das Werk schließt. Wenn
80
die Sonne wieder aufgeht, beginnt sozusagen das Neue Testament und eine andere
Zeit.
Der Dichter hat also tatsächlich eine Teleologie von der Urmutter Eva, die
die Sünde in die Welt brachte, bis zur Gottesmutter Maria, die Gott in die Welt
brachte, herausgearbeitet und in einen mathematisch gegliederten Gedankengang
gefügt. Der aus der frühen Ostkirche stammende schöne und theologisch ja
notwendige Gedanke von der Vollkommenheit der Theotókos oder Deípara bzw.
Dei Génitrix, der Gottesgebärerin, und ihrer Freiheit von der Erbsünde infolge
der unbefleckten Empfängnis (die schließlich 1854 durch Pius IX. zum Dogma
erklärt wurde) wird hier in der ecloga unseres „Gottesknechtes“ Theodulus im
lateinischen Westen greifbar. Die von Alithía vorgetragenen Geschichten aus
dem Alten Testament sind für den Autor wie für den mittelalterlichen Leser
historische Tatsachen. Insofern hat der Dichter seine Gottes- und Frauengeschichte
unwiderlegbar historisch fundiert.
Wie sehr das marianische Mysterium fromme Männer immer beschäftigt
hat und weitergedacht worden ist, zeigt ein Text, der hier angehängt werden soll;
er ist zu finden in der Münchener Residenz über dem Eingang zur sogenannten
Reichen Kapelle, die 1607 geweiht wurde. Unter dem „Englischen Gruß“ wird
Maria gegrüßt als Genitrix Genitoris sui iam geniti gignendi – wundervoll geistreich,
doch kaum übersetzbar: die Gebärerin ihres Schöpfers, der schon gezeugt
ist (durch Gott Vater vor aller Zeit) und jetzt durch sie geboren werden wird.
81
ecloga Theoduli – Übersicht
Pseustis
1. Saturn, Goldenes
Zeitalter.
Freude für die Götterkinder.
2. Sturz des Saturn, Silbernes
Zeitalter,
Herrschaft Jupiters.
3. Kekrops führt Opfer
ein.
4. Lykaon wird zum
Wolf.
5. Sintflut. Deukalion
schafft die Menschen
neu.
6. Ganymed wird vom
Adler entführt.
7. Die Titanen türmen
Berg auf Berg: Strafe.
8. Das Unerwartete:
Apollons Fall durch
Jupiter.
9. Tod durch Ungehorsam:
Ikarus stirbt, Dädalus
bleibt am Leben.
Alithía
Paradies, Erbsünde
durch Eva.
Unheil für die Nachfahren.
Verbannung, Todesschicksal,
versperrte Paradiesespforte,
damit kein neuer
Schaden entsteht durch
den Baum der Erkenntnis.
Kains und Abels Opfer.
Henoch wird entrückt.
Elias. Leviathan.
Sintflut. Noah desgleichen.
Regenbogen.
Rabe wird verdammt,
Taube bringt den Zweig
zur Arche. Beweis: Reste
der Arche in Armenien.
Turm von Babylon: Strafe.
Das Unerwartete: Abrahams
und Sarahs Erhöhung
durch Gott, Sohn
Isaak.
Leben durch Gehorsam:
Opferung des Widders.
Isaak bleibt am Leben
durch den Gehorsam Abrahams.
Wirkungen auf
die Folgezeit.
Gegensatz.
Gegensatz.
Parallele.
Vorausdeutung
auf Christus.
Gegensatz
Vorausdeutung
auf das Weltende
Parallele.
Bund zwischen
Gott und den
Menschen.
Parallele.
Archäologischer
Nachweis der
Heilsgeschichte.
Ungehorsam
und Gehorsam.
Parallele.
Gegensatz.
Gegensatz.
82
10. Phyllis – Korkeiche.
Ungläubiger Mann.
11. Diomedes verletzt
Aphrodite. Diese
verwandelt seine Gefährten
in Vögel.
12. Hippolytus wird verleumdet,
von Diana
ins Leben zurückgerufen
und bekommt
neuen Namen.
13. Kluge Taten des
Kadmus.
14. Jupiter – Stier – Europa:
ihren Namen
trägt ein Drittel der
Welt.
15. Unterweltsstrafe für
Amphiaraus. Rache
des Sohnes an der
Mutter. Unterweltsstrafe
auch für
die Gattin.
16. Io wird Kuh und wieder
Mensch.
17. Verlängerung der
Nacht für Jupiter bei
Alkmene. Ihr Knabe
Herkules erwürgt die
Schlangen.
18. Großtaten des Herkules.
Verliert seine
Kraft durch Deianira.
Weib des Lot – Salzsäule.
Ungläubige Frau.
Jakob am Jabbok, Gott
lähmt seine Spannader.
Kinder Israels dürfen diese
Ader nicht essen.
Joseph in Ägypten wird
verkauft, verleumdet, bekommt
vom Pharao neue
Stellung.
Kluge Taten des Moses.
Goldenes Kalb Aarons:
Priesteramt beim Stamm
Levi.
Unterweltsstrafe für die
Rotte Korah, der Aaron
um sein Priesteram beneidet,
durch Moses. Bestattung
des Moses durch
Gott.
Bileams Esel spricht wie
ein Mensch.
Verlängerung des Tages
für Josua. "Lohn eines
heiligen Glaubens".
Großtaten des Samson.
Verliert seine Kraft durch
Dalila.
Metamorphose
nach unten.
Gottes Bund mit
Lots Onkel Abraham.
Metamorphose.
Gefährliche Begegnung
mit der
Gottheit.
Metamorphose
nach oben durch
Tugend.
Zerstörender
Einfluß der
Frauen.
Nutzen für die
Folgezeit.
Nutzen für die
Folgezeit.
Unterweltsstrafen
der Neider. Herstellung
der Ordnung
für die Folgezeit.
Wundertaten.
Lohn der Verbindung
mit
Gott.
Großtaten. Zerstörender
Einfluß der
Frauen.
83
19. Anrufung der Götter. Anrufung Gottes. Gebet um Sieg
über das Böse.
20. Orpheus vor Proserpina.
21. Merkurs Fähigkeiten
infolge Junos Muttermilch.
22. Triptolemus bringt
die Ähre in die unfruchtbare
Welt.
Hoffnung.
23. Gorgo. Bellerophon
tötet sie, schwingt
sich auf Pegasus in
die Lüfte.
24. Tithonus: Zikade, bestattet
seinen Sohn
Memnon, Memnoniden:
Vögel.
25. Olymp, Olympische
Spiele. Ewiges Gedenken.
26. Selbstüberhebung:
Salmoneus schleudert
Blitze. Gestürzt durch
Jupiter.
27. Fall des Phaethon,
Stillstand der Sonne.
Wunsch nach der
Nacht und dem Ende
des Wettstreits.
28. Danae im Turm: Verlust
der Unschuld
durch Jupiter.
David vor Saul.
Salomons Verdienste infolge
des befristeten Geschenks
von Weisheit und
Macht Gottes. Störender
Einfluß der Frau.
Elias schließt den Himmel,
Erde wird unfruchtbar.
Speisung durch den
Raben. Hoffnung.
Jezabel. Elias fährt auf
feurigen Rossen gen
Himmel. Übergibt Elisäus
seinen Geist verdoppelt.
Hinausgeschobener Tod
des Hiskias. Umkehr der
Sonne.
Höhen um Megiddo, Paschafest
durch Josias. E-
wiges Gedenken, Jeremias.
Nebukadnezar glaubt, er
sei Gott. Wird zum Tier.
Keine Vergleichsbeispiele!
Lob der Sonne.
Daniel in der Löwengrube:
Rettung durch Engel
und Habakuk.
Positive Wirkung
der Musik.
Positiver Einfluß
der Gottheit.
Eingriff der
Gottheit macht
Hoffnung für die
Folgezeit.
Parallele.
Himmelfahrt.
Parallele.
Verlängertes
Leben.
Parallele.
Ewiges Gedenken.
Parallele:
Strafe für Selbstüberhebung.
Sieg und Niederlage
kündigen
sich an.
Gegensatz
Negatives und
positives Einwirken
der
Gottheit.
84
29. Niobe: Überhebung
durch Eitelkeit.
30. Sieg durch Mordtaten:
Prokne und Medea.
31. Scyllas Liebeskrankheit
und Strafe.
32. Anrufung der 9 Musen
und der 12 Götter
um Beistand beim
Wettstreit.
33. Erneute Aufforderung
an die Sonne, unterzugehen.
34. Irdische Gegensätze
und Kämpfe. Schuld
welches Gottes?
35. Pseustis von den Göttern
verlassen. Bittet
um Ende des Tages.
Strophenschluß wie
33.
36. Proserpina, Treuebruch,
Troja: Palladium.
37. Pseustis will sich einer
Frau nicht geschlagen
geben.
Susanna: Überwindung
der weiblichen Schwachheit.
Sieg über starke Männer:
Judiths Sieg über Holofernes.
Esthers Mut und Rettung
Israels.
Absurdität der vielen Einzelgötter.
Aufforderung an die Sonne
zu bleiben: Triumph
des Osterlamms.
Irdische Harmonie. Tilgung
von Gottes Zorn.
Alithía in Gottes Hut.
Ende des Tages bringt
Sieg.
Beziehung der Strophenschlüsse.
Weltordnung, Gottes Tetragramm
JHWH.
Evangelien: Gottes Inkarnation
durch die Virgo
Maria.
Frauen handeln
entgegen ihrer
Natur und werden
vollwertig.
Ende der Beispiele.
Neuer Einsatz.
Nennung Christi
in Strophe 33/2!
Gegensätzliche
Weltbilder.
Sieg und Niederlage
werden
sichtbar.
Sieg.
85
ecloga Theoduli – Überblick über den Handlungsfortgang
Strophen-
Gruppen
Inhalt AT
Aussage
1-3
Paradies, Erbsünde, Kain
und Abel.
Erbsünde durch die Frau. Bleibende
Setzungen, Vorausdeutung auf Christus.
4-6 Henoch, Sintflut.
Vorausschau auf das Weltende, Bund
zwischen Gott und Menschen.
7-9
10-12
13-15
16-18
Strafen für Hochmut.
Unerwartete Belohnung.
Lohn für Gehorsam.
Lots Weib, Jakob am Jabbok,
Joseph.
Moses, Levi, Rotte Korah,
Bestattung des Moses
durch Gott.
Bileams Esel, Josua,
Samson.
Ungehorsam und Gehorsam gegenüber
Gott.
Begegnungen mit Gott, verschiedenartige
Folgen,
Störender Einfluß der Frauen.
Herstellung der Ordnung für die Folgezeit.
Wundertaten. Lohn der Verbindung mit
Gott. Störender Einfluß der Frauen.
19 Gebet. Gebet um Sieg über das Böse.
20-22
23-25
26-28
David vor Saul, Salomon,
Elias.
Elias, Hiskias, Josias
(Jeremias).
Daniel in der Löwengrube.
Eingriffe Gottes. Großtaten trotz störenden
Einflusses der Frauen auf Salomon.
Weitere Eingriffe Gottes: Himmelfahrt,
Verlängertes Leben, Ewiges Gedenken
Sieg und Niederlage zeichnen sich ab.
86
29-31 Susanna, Judith, Esther.
Frauen handeln entgegen ihrer Natur
und werden vollwertig. Gebet 19 ist
erhört. Ende der Beispiele.
32-34
35-37
Gottes Triumph über Einzelgötter,
Triumph des
Osterlamms, Tilgung von
Gottes Zorn.
Gottes Tetragramm. E-
vangelium: Gottes Inkarnation
durch die Virgo.
Sieg und Niederlage sind entschieden.
Teleologie von Eva zu Maria.
38
Kapitulation des Pseustis unter Berufung auf Martianus Capella.
Versöhnung.
87
88
V. Zitierte Literatur
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91
92
VI. Indices
I.1. Index nominum
Die Namen der Sprecher, Alithía, Fronesis und Pseustis, sind hier nicht aufgenommen.
Aaron 146
Abacuc 260
Abel 58
Abra<ha>m 97
Acheron 151, 191
Acrisius 254
Adam 89
Admetus 96
Aethiopes 1
Agenor 143
Agnus Paschalis 299
Alcida 173
Alcides 168
Alcmena 167
Amphiaraus 149
Amphitryon 165
Apollo 94
Arcas 61
Argolicus 117
Argus 158
Armenia 84
Assyrii 241, 276
Athenae 4, 56
Aurora 221
Babylon 89
Balaam 161
Bellerophon 215
Bileam sieh Balaam
Cacus 175
Cadmus 133
Cain 57
Calcas 326
Canopus 132
Capella 334
Cecrops 53
Ceres 206
Chora 153
Christus 59
Cnosius 205
Cretaeus 37
Cyclops 93
Cyllenius 197
Cytharea 117
Daedalus 101
Dalida 180
Danae 256
Daniel 258
David 9
Deianira 176
Demophon 109
Deucalion 71
Deus 57, 73, 91,
155, 185,
241, 258,
324, 332
Diana 127
Dis<pater> 182
Dodona 205
Edissa 282
Elias sieh Helias
Elicon 286
Elis 238
Ennius 288
Enoc 65
Esther sieh Edissa
Europa 141
93
Eurydice 191
Evangelicus 330
Ezechias 226
Gabaon 170
Ganymedes 77
Geryon 174
Gibeon sieh Gabaon
Gorgo 213
Graecus 133
Habacuc sieh Abacuc
Hebe 80
Helena 301
Helias 68, 209,
217
Helicon sieh Elicon
Henoch sieh Enoc
Hesperus 328
Hippolytus 125, 128
Hiskia sieh Ezechias
Holophernes sieh Olofernes
Jacob 121
Idaeus 77
Idida 201
Jeremias 236
Jezabel 217
Io 157
Ipolitus sieh Hippolytus
Joseph 129
Josias 233
Josua 171
Iris 76
Juda 233
Juno 158
Jupiter 45, 55, 62,
63, 78, 87,
93, 141,
165, 239
Korah sieh Chora
Latonius 262
Lethe 311
Levi 147
Leviathan 68
Loth 114
Lycaon 61
Magedo 234
Maia 200
Manes 341
Mare Rubrum 10
Martianus Capella sieh Capella
Medea 272
Media 282
Megiddo sieh Magedo
Memphis 140
Mennon bzw. Memnon 223
Minos 277
Mopsus 326
Moyses 137, 155
Musa 194, 286
Napaea 286
Nilus 138
Nioba 264
Noe 74
Orcus 175
Olofernes 274
Olympus 230, 321
Orpheus 190
Paeon 94
Pallas 56, 215
Paradisus 41
Pascha 235
Penates 292
Persis 282
94
Phaethon 246
Phoebe 166, 342
Phoebus 170, 245,
248
Phyllis 109, 112
Proserpina 192, 316
Proteus 286
Pyrrha 72
Pythagoras 36
Salmon<eus> 237
Salomo sieh Idida
Samson 177
Sara 97
Saturnus 37
Scylla 277
Segor 115
Sodoma 113
Sophia 201
Stilbon 333
Susanna 268
Tempe 287
Tereus 271
Thales 329
Threicius 341
Tithonus 221
Triptolemus 207
Trivia 263
Troia 223
Troianus 320
Tydida 118
Vasthi 283
Virbius 128
Vulcanus 88
Zoar sieh Segor
95
I.2. Index verborum
abyssus 73, 183,
314
accelerare 31
acceptabilis 58
accipere 154, 332
accusare 125
acies 117
acuere 120
adaquari 25, 30
addicere 131, 225
adeo 21
adesse 22, 28, 287,
329
adhuc 44, 140,
236
adipisci 337
adire 52, 317
adiuvare 56, 194
adulter 255
adventus 67
aedes 62
aequare 35
aequus 19
aer 101, 273,
280, 322
aerugo 302
aestas 1
aetas 99, 236,
265
aeternus 51
aether 78
aethereus 209
ager 178, 302
agere 96
agger 15
agitare 126
agnus 59, 295,
299
agon 229
agricola 306
alter 15
amictus 142
amittere 122
amodo 75
amoenus 3
amor 109, 204,
220, 275,
333
angelus 162
anguis 168
anhelus 228
anima 307
animal 81, 116,
163
annuere 202, 324
annuus 224
antrum 88
apparere 218
aptare 101
aqua 70, 137
arbor 234
arca 74
arctus 104
ardere 130, 277
arduus 231
arere 305
argentum 47
aridus 154
aries 108
arista 208, 242
arma 46, 143,
240
armiger 79
arripere 78
ars 137, 199,
215, 325
articulus 196
arvum 64, 238
arx 89, 171
asella 161
asper 64, 271
assecla 212
assumere 98
astrum 301
96
athleta 67
attingere 104, 257
auferre 79
augere 36, 222
aura 216
aureus 2, 38
aurum 45, 145,
256
auscultari 12
avertere 309
avis 224
avus 40
axis 2, 218, 323
baca 150
balare 13
barathrum 290
bellare 117
bellum 169
bestia 243
bibere 211
bidens 195
bigae 126
bos 54
brumalis 104
bucca 6
cadere 22, 60, 103
calcar 161
calidus 141
calor 25
campus 234
cancer 2
candidus 166
canere 16
capella 3, 247
capere 11, 109,
275, 279
capillus 260
capra 294
captivus 283
carmen 12, 190
caro 307
casus, -us 233
caulae 297
caus (cos) 116
causa 53, 245,
289
cavea 257
cedere 18, 70, 122,
175, 296,
312, 326,
336
celebrare 55
cera 102
certare 17, 189
cessare 247, 273,
340
chorda 194
cicada 222
cinis 50, 113
circumfluus 138
cithara 10, 19
citharista 194
civis 139, 284
clades 75, 246,
272
claustra 179
clava 173
codex 331
coelestis 61
coelicola 86, 309
coelum 90, 290,
296, 312,
313, 323
cogere 162, 245
cogitare 114
cognomen 4
coire 19
colere 182
collaudare 186
columba 83
comedere 124
comere 216
committere 44, 119
commovere 341
compar 240
comparere, -eo 66
97
compellere 3
compescere 147
complecti 288
compos 104
concedere 79
concipere 98
condere 56
condicio 192
conferre 339
confertus 204
conficere 99
confiteri 292
conflare 145
confligere 304
confusio 91, 232
congredi 121
coniunx 42, 72, 281
consistere 322
constringere 209
construere 90
consuevisse 164
consumere 174
contemnere 279
contendere 337
contentus 244
convicium 273
cornu 107, 157,
298, 342
corda sieh chorda
corpus 4, 64, 110,
193, 331
corrumpere 256
corvus 81, 212
cos sieh caus
creare 85, 99, 250,
315
credere 199, 276
cremare 261
crinis 180, 231,
278
crudelis 46
cruentare 270
cultor 65
cumulare 87
cuncti 38, 43, 69,
172, 199,
243, 307,
315, 337
cupere 293
cur 16, 251
cura 96, 298
curare 287, 313,
338
curia 48
cursus 228, 300,
316
curvus 280
cytisus 294
damnare 81
damnum 127
dare 19, 48, 58,
148, 156,
268, 318
dea 118
debere 53
decere 59
decernere 94
decolor 47
decorare 157, 203
decorus 9
defendere 181, 184
deferre 84, 212,
259
deficere 170
defigere 171
deflere 233, 276
deicere 88, 240
deitas 95, 142
demittere 189
demonstrare 208
demum 176
dens 120, 134
deorsum 106
depellere 294
dependere 263
deplorare 119
deputare 158
98
desinere 344
desperatio 344
destituere 252
detestari 234
deus 181, 184
devastare 178
devehere 78
devincere 340
devorare 154
dexter 152, 196
dicere 20, 317,
320, 323
dies 28, 296,
300, 312,
316
differre 226
digitus 146, 303
dignari 221
dignus 73
dimittere 216
dirigescere 214
dirus 309
discedere 97
discere 172, 244
discerpere 126
discolor 6
discrimen 338
discutere 131
dispergere 92
disponere 38
disrumpere 73
distichium[!] 288
distrahere 218
districtus 267
divinus 113
divus 48, 79, 304
dolere 326
dolor 14
domina 130
dominus 121, 147,
339
domum 31, 232
domus 271
donare 144
donum 201
draco 136, 173
dubitare 32, 227
ducere 232
dulcedo 11
dulcis 305
duma 108
dux 119, 274
edere 168
educere 139
efferre 298
effigies 116, 160,
213
effugium 217
egregius 53, 253,
333
eicere 49
emittere 7, 106
ensis 52, 60
equus 216, 218
error 289
esus, -us 13
evangelicus 330
evenire 123
evertere 137, 204
exagitare 77
excedere 229
excidere 92
excitare 91
exitium 140
expavescere 274
expellere 46
experiri 246
exsors 198
exstare 128
exstinguere 222
exsulare 49
exuere 63, 308
exuviae 177
fabricari 93
facere 120, 243
facies 225
99
fallere 63, 251
falsus 188, 329
fames 206, 258
famulari 249
fari 324
fastigium 313
fateri 23, 199
fatum 135, 153,
226, 267
fel 14
femina 271
femineus 274
femur 122
ferox 158
ferre 14, 33, 59,
179
ferrum 54
fervidus 1
festum 224
fetus sieh foetus
fictor 329
fidere 67
fides 172
fieri 91, 230
figere 250, 300,
316
filius 100, 102
fingere 289
finis 187
fistula 6, 18
flagrare 150
flamma 265
flammeus 52, 219
flebilis 110
flectere 228
floridus 287
fluctus 103, 139
fluvius 10, 11
foca sieh phoca
focus 261
fodere 303
foedare 273
foetus 262
folium 84, 112
fons 8, 73, 234,
306
foramen 7
fores 52, 259
forma 105, 141
fortuna 135
fragilis 102
frater 58, 60
fraus 180, 299,
327
frequens 224
frigus 343
frondere 285
frons, frondis 189
fruges 57, 302
fulmen 88, 93, 237
funus 60
furiosus 119
gaudere 40
gaudium 33
gaza 204
gemere 103, 123
geminare 166, 220
generosus 40
genitor 39
genitrix 85
gloria 185
gramen 210
gramma 133
gravare 100, 332
gravis 109, 118,
192
gremium 256
grex 13, 25, 30
gustus 270, 319
habere 10, 144,
291
haerere 107
haurire 43, 151
herba 197
heres 105, 220
100
herilis 99
heros 197
hippomanes 270
hodie 325
homo 41, 71, 156,
164, 229,
243
honor 50
hora 28, 226,
328
horrere 159, 163
hospes 62
hostia 59, 87
hostis 139, 239,
340
hortus 303
huc 28
humanus 76, 249
humerus 263
humi 134
humus 211, 314
hydra 174
hydrus 134
iacere, -io 72
ianitor 175
ibi 92
ide<a> 213
igneus 218
ignis 145, 240
imago 47
imber 210, 225,
305
immittere 168
immolare 57
imperium 93, 171
imprimis 330
incendere 176
incipere 24
incitus 279
includere 82
incola 41
incolumis 262
indagare 156
indignari 167
induere 177
infernus 154
inferre 46
infestus 272
infula 148
ingenium 203
insanire 146
inscius 241
insequi 102
insidiari 295
insignis 145, 275
insperatus 339
instituere 230
intendere 284
intro 83
intus 259
inusque 222
invadere 62
ira 61, 91, 95,
127, 147,
257, 308
item 227, 246
iubere 31, 97, 107,
188, 192,
262, 335
iudex 26, 67, 308
ius 148
iustitia 65
iustus 58
iuvare 17
labium 91
labor 332
lacrima 342
lactare 100, 200
laedere 344
laetus 33
lambere 116
lampas 238
lapis 214
largus 206
laudare 320
laurea 231
101
laus 229
laxare 163
leo 177, 257
lepus 77
levare 219
levis 323
levitas 269
lex 19, 235,
268, 318
licet 167, 267
limen 254
limes 97
liquare 102
liquidus 101
lis 33
litare 53
litus 15
livor 129
locare 283
locus 310
longus 121, 223,
265
loquax 264
loqui 60, 164
lorum 228
luctamen 121
ludus 29
luere 149
lumen 249
lupus 64, 295,
297
lux 198
mactare 106, 152
madidus 210
maerere 235
magicus 137
magister 220
magnus 334
maiestas 185
maior 39
malignus 193
mamma 200
mandragora 306
manus 118
mare 140, 301
masculus 34
mater 30, 206,
318
maturus 295
maximus 310
medius 239, 322
medulla 141
melior 153
membrum 177, 270,
292
mens 269
merere 283
mergere 135
metuere 253
mille 7, 178, 181,
184, 263
millesies 328
minae 130
minax 240
minister 207
miscere 43
miser 153
miserari 206
mittere 207, 257
modo 128, 291
modulari 12, 190
moenia 203
monere 153
monile 150
mons 87, 230
monstrum 215
morari 245
mordere 21
mors 43, 60, 94,
225, 235,
267
mortalis 213, 337
mos 326
movere 14, 20, 105,
142, 191,
342
mox 95
mugire 159
102
mulcere 20
muliebris 204, 269
mulier 276, 305
mundus (Subst.) 47, 144,
183, 207,
291, 321
munus 58
mutare 24, 50, 110,
160, 222
mutus 16
nasci 4, 200, 318
natura 50, 100,
202, 244,
268
necdum 135
negare 336
nemo 71
nepos 124
nervus 122, 124,
179, 264
nescire 24, 122,
248, 296,
312
nimis 9, 163
niti 331
nobilis 235
nolle 82
nomen 56, 80, 92,
128, 144,
181, 184,
187
noscere 271, 315
noverca 125, 167,
200
nox 166, 251
nubes 209
nubila 76
nullus 39, 66, 210
numen 63, 290
numerus 36
nuntius 82
nutrire 314
oblivisci 13
obnubere 231
obsecrare 36, 335
obserere, obsitus 159
obstruere 217, 254
obtutus 313
occultus 155
occurrere 112, 162
oceanus 69, 343
octavus 74
oda 190
oestrus 157
offendere 161, 281
offerre 27
omnipotens 201
omnis 70, 86, 138,
236, 248,
285, 304,
311
opacus 343
oppidum 233
ops 166
ora 37
orbare 152
orbis 65
ordo 35, 79, 310
origo 250
ornus 189
os, oris 64, 83, 111,
319
osculum 112
ovis 8, 294, 297
pactum 114
paelex 176
pandere 76
panthera 5
par 185
parare 32
parcere 107, 114
parens 123, 278
parentes 31, 44
parere 153
103
pars 74, 144,
183
pascere 8
paschalis 299
pastor 4
pastus, -us 212
pater 46, 108,
280
pati 45, 75, 136,
134, 239,
258, 327
patriarcha 105
patrius 97, 211
patruus 114
pecten 341
pectus 150
pecus 96, 162,
248
pelagus 103, 321
pellere 86, 211
pellis 5, 195
pendulus 322
penna 101, 216
perdere 300, 316
percurrere 238
percutere 10, 94
perennis 148
perferre 118, 127
perficere 338
perfidia 81, 319
perfidus 115
perflare 6
pergere 34
perimere 215, 272
perire 70, 125,
206
persona 187
perurere 303
petere 298, 343
phoca 126
pignus 253
pincerna 80
pius 49, 299
placare 308
placidus 166
plaga 123, 284
plectrum 12
pluma 279
pluvia 242, 255
poculum 43, 311
poena 32
polluere 65
pompa 174, 232
pomum 51
pondus 103
pons 239
pontificalis 148
pontus 291
populus 169
poscere 201
posse 90, 266,
271, 324
possidere 80
posteritas 55, 89
postponere 29
potens 199
potestas 17, 113
praecedere 68
praecellere 307
praecidere 180
praecipue 236, 287
praeditus 203
praedo 193
praemium 20, 172
praesumere 33
praevalere 325
prandium 259
pratum 247, 285,
305
preces 209
presbyter 265
primatus 48
primum 208, 319
primus 37, 41, 54,
133, 229,
250
princeps 284
principium 188
prior 34, 160
prius 80
104
procedere 248
proclamare 15
prodere 252, 319
producere 164, 314
proelium 170
profundus 151
proles 44, 108,
152, 262
promerere 227
propago 40
propheta 211
protinus 167
protoplastus 49
provocare 61
pudicitia 127
puellaris 327
puer 77, 194
purpureus 278
quadriga 219
quadrupes 245
quassare 237
quatere 205
quattuor 330
quisquam 39, 156
quisque 81
quondam 169
quot 292
racemus 205
ramus 83
rapere 66, 107,
137, 174
rarus 205
ratio 330
rebellis 146
reddere 192
redire 160, 295,
297
referre 20
regio 138, 182
regnum 132, 191,
260
relevare 25
relinquere 310
removere 284
renovare 72
repetere 328
res 16, 22, 163
respectus 301
restare 291, 344
restringere 266
reticere 335
retro 228
reverti 111, 293,
318
revocare 128, 198,
251
rex 9, 131, 193,
226, 241
ridere 285
rigare 111, 225
rigidus 6, 110
rimari 54
robustus 269
ros 242
rostrum 279
ruber 140
ruminare 248
rumpere 179
sacer 55
sacerdos 149
saeculum 38, 75, 246
saeta 159
saevire 64
saevus 125
sal 116
saluber 225
salus 82, 227
sanctus 172
saturare 247
saxum 72
sceptrum 196
scire 320
secretus 320
secundus 67
105
sedere 26
sedes 49, 316
sedulus 22
semen 9, 57
semper 322
sententia 24
sentire 44, 112
sepelire 155, 223
septem 242
septemplex 134
sepulchrum 156
sequax 34
sequi 108, 189,
232
sera 254
serere, sevi 134
seria, -orum 29
series 288
sermo 281
serpens 207, 302
servare 74, 115,
261
servire 186
servus 129
seta sieh saeta
sexus 266
sibilare 136
sibilus 302
signare 259
silva 190, 285
simulare 237
singuli 290
sinister 135
sitire 306
sociare 334
socius 68, 119
sol 2, 36, 228,
249, 343
solium 283
solvere 113
somnium 131
somnus 315
sonare 183, 280
sonitus 7
soror 335
sors 27
species 253
specus 151
spernere 130
spes 98, 208
spiculum 263
spiritus 220
splendere 150
splendor 45
spoliare 95, 173,
278
sponte 59, 293
stagnum 183
stare 162, 171
statuere 55
stellifer 182
sterilis 306
sternere 178
stertere 311
stillare 210, 255
stimulus 149
stipes 51
stirps 147
strangulare 168
studium 35, 195
stultus 16
stuprare 143
suadere 42, 243
subdere 132
suber 110
subigere 268
subitus 151
submergere 69, 139
suboles 98, 333
subsidere, subsido 321
subsistere 11
subtrahere 328
succedere 47, 196,
343
successio 124
succumbere 175
sucus 197
sufficere 28, 165,
212
summus 89, 141
106
superare 327
superbus 109, 176,
221
supereminere 323
superesse 84
superi 40, 95, 334
superstes 71
supinus 111
supplicare 340
surrigere 85
sursum 78
suscipere 96
suspirium 252
talis 33, 59, 75,
199
talpa 303
tandem 180
tangere 90
tantus 11, 45, 202,
266
tantum 304
tardare 32
taurus 142, 293
tectum 255, 293
tellus 70, 154
temerare 51
templum 203
temptare 63, 251
tempus 36, 39, 196,
265
tendere 335
tenebrae 152
tenere 191, 292
tenor 250
terra 1, 38, 66,
85, 208,
216, 323
terrere 297
terrificus 238
tertius 144
testari 140
testis 22, 84, 334
tetragrammaton 324
tetras 35
texere 5
thalamus 165, 221
thus 261
tilia 3
timere 138
timor 289
tolerare 242
tollere 342
tondere 195
tonitrus 237
torquere 277
torrens 211
torrere 1
torus 277
totidem 264
totus 87, 124,
132
tractare 197, 270,
311
transvehi 260
tres 187
tristis 301, 317
triumphus 300, 316
trudere 88
truncus 111
tumidus 281
turba 146
turris 90, 254
tus sieh thus
tutari 258
tutela 158
tutus 15
tyrannus 281
ubique 280
ulmus 294
ultio 73
ultra 66
ultro 27, 339
umbra 198
unda 10, 126
unguis 120, 280
107
unus 21, 86, 114,
260
urbs 92, 179
urgere 161
urtica 303
usus, -us 18, 202
uterque 31
utrimque 5
uxor 115, 149
vates 181, 184,
219, 341
vehi 301
velamen 307
velle 52, 251,
261, 304,
318, 340
vendere 129
venenum 42
venerari 224
venire 26, 37, 69,
219
ventilare 157
verbum 159, 164,
315
vertere 115, 142,
213
vertex 230
vesanus 275
vesper 247, 294
vestigare 133
vetare 52
vetus 278
vexare 193, 280
victrix 169, 231
videre 27, 214,
267
vidua 275
vigil 173, 313
vincere 17, 18, 19,
23, 188,
202, 232,
299
vinculum 131, 179
vindicta 264
violare 253
vipereus 42
vir 85, 178,
269, 279,
305
virere 285
virga 198
virgo 9, 143, 256,
296, 300,
312, 316,
331
viridare 83
viridis 41
virtus 170, 185,
266
vis 244, 252,
274, 334
viscera 54, 277
visus, -us 76, 249
vita 222, 338
vitulus 145
vivere 70
vividus 169
volucris 120
voluntas 86
voluptas 289, 309
volvere 2
vorago 69
votum 130
vox 7, 106, 163
vulnus 21, 118
vulpes 178
ydra sieh hydra
ydrus sieh hydrus
ypomanes sieh hippomanes
zodiacus 310
108